Urteil des EuGH vom 11.09.2014

Aeuv, Mitgliedstaat, Behandlung, Niederlassungsfreiheit

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
11. September 2014
)
„Vorabentscheidungsersuchen – Art. 49 AEUV und 54 AEUV – Niederlassungsfreiheit –
Art. 63 AEUV und 65 AEUV – Freier Kapitalverkehr – Steuerrecht – Körperschaftsteuer –
Regelung eines Mitgliedstaats zur Beseitigung der Doppelbesteuerung von
Gewinnausschüttungen – Anwendung der Anrechnungsmethode auf Dividenden, die
von Gesellschaften ausgeschüttet werden, die ihren Sitz in demselben Mitgliedstaat wie
die Empfängergesellschaft haben – Anwendung der Befreiungsmethode auf Dividenden,
die von Gesellschaften ausgeschüttet werden, die ihren Sitz in einem anderen
Mitgliedstaat als die Empfängergesellschaft oder in einem Drittstaat haben –
Ungleichbehandlung der Verluste der die Dividenden beziehenden Gesellschaft“
In der Rechtssache C‑47/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom
Finanzgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 6. September 2011, beim
Gerichtshof eingegangen am 31. Januar 2012, in dem Verfahren
Kronos International Inc.
gegen
Finanzamt Leverkusen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet,
J. L. da Cruz Vilaça und E. Levits (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai
2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Kronos International Inc., vertreten durch Rechtsanwälte W. Meilicke und
D. Rabback,
– des Finanzamts Leverkusen, vertreten durch B. Hillebrand, K. Kusch,
– des Finanzamts Leverkusen, vertreten durch B. Hillebrand, K. Kusch,
H. Brandenberg und M. Brombach-Krüger als Bevollmächtigte,
– der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als
Bevollmächtigte,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als
Bevollmächtigten im Beistand von S. Ford, Barrister,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und W. Mölls als
Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. November
2013
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 AEUV und 54
AEUV über die Niederlassungsfreiheit sowie der Art. 63 AEUV und 65 AEUV über den
freien Kapitalverkehr.
2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kronos International Inc. (im
Folgenden: Kronos), einer nach dem Recht des Staates Delaware (Vereinigte Staaten
von Amerika) gegründeten Gesellschaft, und dem Finanzamt Leverkusen (im Folgenden:
Finanzamt) über die Anrechnung von Körperschaftsteuer, die Dividenden ausschüttende
Tochtergesellschaften von Kronos im Ausland gezahlt haben, auf die deutsche
Körperschaftsteuer für die Jahre 1991 bis 2001.
Rechtlicher Rahmen
Deutsches Recht
3
Was die Jahre 1991 bis 2000 betrifft, wurde in § 49 Abs. 1 des
Körperschaftsteuergesetzes (BGBl. 1991 I S. 638, im Folgenden: KStG 1991) für die
Durchführung der Besteuerung von Körperschaften einschließlich der Anrechnung,
Entrichtung und Vergütung der Körperschaftsteuer auf die Vorschriften des
Einkommensteuergesetzes (BGBl. 1990 I S. 1898, im Folgenden: EStG 1990) verwiesen.
4
§ 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1990, der das sogenannte Vollanrechnungsverfahren regelte,
bestimmte:
„(2) Auf die Einkommensteuer werden angerechnet:
3. die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen
Körperschaft oder Personenvereinigung in Höhe von 3/7 der Einnahmen im Sinne des
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2, soweit diese nicht aus Ausschüttungen stammen, für die
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2, soweit diese nicht aus Ausschüttungen stammen, für die
Eigenkapital im Sinne des § 30 Abs. 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes als
verwendet gilt. Das gleiche gilt bei Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe
a, die aus der erstmaligen Veräußerung von Dividendenscheinen oder sonstigen
Ansprüchen durch den Anteilseigner erzielt worden sind; in diesen Fällen beträgt die
anrechenbare Körperschaftsteuer höchstens 3/7 des Betrags, der auf die veräußerten
Ansprüche ausgeschüttet wird. … Die Körperschaftsteuer wird nicht angerechnet:
f) wenn die Einnahmen bei der Veranlagung nicht erfasst werden;
…“
5
§ 36 Abs. 4 EStG 1990 sah vor:
„Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss zuungunsten des Steuerpflichtigen
ergibt, hat der Steuerpflichtige (Steuerschuldner) diesen Betrag, soweit er den fällig
gewordenen, aber nicht entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen entspricht,
sofort, im Übrigen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu
entrichten (Abschlusszahlung). Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss
zugunsten des Steuerpflichtigen ergibt, wird dieser dem Steuerpflichtigen nach
Bekanntgabe des Steuerbescheids ausgezahlt.“
6
Im Rahmen des Übergangs vom Anrechnungsverfahren zum sogenannten
Halbeinkünfteverfahren hob der deutsche Gesetzgeber § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1990 auf.
Jedoch geht aus der Vorlageentscheidung und den Erklärungen der deutschen
Regierung
hervor,
dass
das
Vollrechnungsverfahren
aufgrund
von
Übergangsvorschriften auch noch auf Dividenden Anwendung fand, die im Jahr 2001
bezogen wurden.
7
§ 26 Abs. 7 KStG 1991 in der bis 1993 geltenden Fassung sowie § 8b Abs. 5 dieses
Gesetzes in der ab 1994 geltenden Fassung (im Folgenden KStG 1994), bestimmten
Folgendes:
„Sind Gewinnanteile, die von einer ausländischen Gesellschaft ausgeschüttet werden,
nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unter der
Voraussetzung einer Mindestbeteiligung von der Körperschaftsteuer befreit, so gilt die
Befreiung ungeachtet der im Abkommen vereinbarten Mindestbeteiligung, wenn die
Beteiligung mindestens ein Zehntel beträgt.“
Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
8
Gemäß den mit dem Königreich Dänemark, der Französischen Republik, dem
Vereinigten Königreich und Kanada geschlossenen Abkommen zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung hat die Bundesrepublik Deutschland Dividenden von der deutschen
Steuer freizustellen, wenn diese aus Beteiligungen stammen, die eine gewisse Schwelle
erreichen oder überschreiten, und im Staat der ausschüttenden Gesellschaft besteuert
werden können.
9
Diese Beteiligungsschwelle lag in den meisten Fällen bei 10 %. Das Abkommen mit
dem Vereinigten Königreich sah jedoch eine Schwelle von 25 % vor. Dieselbe Schwelle
galt nach dem Abkommen mit Kanada hinsichtlich des Jahres 2000, während für das
Jahr 2001 eine Schwelle von 10 % galt.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
10
Kronos ist die Holdinggesellschaft einer Firmengruppe. Ihr satzungsmäßiger Sitz
befindet sich in den Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Geschäftsleitung in
Deutschland, wo sie seit 1989 mit einer Zweigniederlassung im Handelsregister erfasst
ist. Sie wurde zum Zweck der einheitlichen Leitung der europäischen und kanadischen
Tochtergesellschaften des Konzerns gegründet. Seit 1989 hält sie 99,95 % der Anteile
an der deutschen Kronos Titan GmbH. Mit dieser und weiteren deutschen Gesellschaften
bestand jeweils ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag.
11
In dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum, d. h. in den Jahren 1991 bis
2001, hielt Kronos unmittelbare Beteiligungen an folgenden Gesellschaften:
– 92,941 % bis 93,771 % an der Société Industrielle du Titane (Frankreich) in
den Jahren 1991 bis 2001,
– 100 % an Kronos Norge (Norwegen) in den Jahren 1991 bis 1998,
– 100 % an der Kronos UK Ltd (Vereinigtes Königreich) in den Jahren 1991 bis
2001,
– 98,4 % bis 100 % an der Kronos Europa SA (Belgien) in den Jahren 1991 bis
1998,
– 100 % an der Kronos Denmark ApS (Dänemark) in den Jahren 1999 bis 2001
sowie
– 100 % an der Kronos Canada Inc. (Kanada) in den Jahren 1991 bis 2001.
12
In den Jahren 2000 und 2001 hielt Kronos über ihre zu 100 % in ihrem Eigentum
stehende Tochtergesellschaft Kronos Denmark ApS (Dänemark) mittelbare
Beteiligungen an den Gesellschaften Kronos Europa SA (Belgien) und Kronos Norge
(Norwegen). Die Kronos Denmark ApS war an der belgischen Gesellschaft des
Konzerns zu 99,99 % und an der norwegischen zu 100 % beteiligt.
13
Die von Kronos für die Jahre 1991 bis 2001 in Deutschland geschuldete
Körperschaftsteuer wurde mit – gegebenenfalls korrigierten – Bescheiden festgesetzt,
die in den Jahren 2004 bis 2010 ergingen. Bei Verlusten bzw. Verlustvorträgen zwischen
ca. 150 und ca. 840 Mio. DM wurde damit die Körperschaftsteuer für 1991 aufgrund der
Dividendenausschüttungen auf 4 190 788,57 Euro und für 1992, ebenfalls aufgrund der
Dividendenausschüttungen, auf 2 050 183,81 Euro festgesetzt. Für die Jahre 1993 bis
2001 wurde sie hingegen jeweils auf Null festgesetzt.
14
Die von ausländischen Tochtergesellschaften ausgeschütteten Dividenden, die
14
Die von ausländischen Tochtergesellschaften ausgeschütteten Dividenden, die
aufgrund
des
jeweils
anwendbaren
Abkommens
zur
Vermeidung
der
Doppelbesteuerung von der Steuer freigestellt waren, gingen nicht in die
Bemessungsgrundlagen der Steuerbescheide oder Verlustfeststellungen ein.
15
Vor diesem Hintergrund begehrte Kronos die Anrechnung der von ihren Tochter- und
Enkelgesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten (Belgien, Frankreich und
Vereinigtes Königreich) und in Drittstaaten (Kanada und Norwegen) zwischen 1991 und
2001 entrichteten Körperschaft- und Kapitalertragsteuer auf die von ihr in Deutschland
geschuldete Körperschaftsteuer, da eine solche Anrechnung gegebenenfalls zu einer
Erstattung der Steuer führen müsste.
16
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2005 lehnte das Finanzamt diesen Antrag ab. Der
Bescheid wurde auf § 36 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. f EStG 1990 in Verbindung mit § 49 Abs. 1
KStG 1991 gestützt, wonach eine Anrechnung von auf Dividenden lastender
Körperschaftsteuer nur dann in Betracht komme, wenn diese Dividenden als
steuerpflichtige Einnahmen erfasst worden seien. Da die Dividenden aus ausländischen
Quellen aber nach § 26 Abs. 7 KStG 1991, was die Jahre 1991 bis 1993 betreffe, und
§ 8b Abs. 5 KStG 1994, was die Folgejahre betreffe, von der Steuer befreit seien, hätten
sie bei der Steuerfestsetzung nicht als steuerpflichtige Einnahmen angesetzt werden
können.
17
Mit Bescheid vom 10. Januar 2007 wies das Finanzamt den Einspruch von Kronos
hinsichtlich des Abrechnungsbescheids zur Körperschaftsteuer 1994 als unbegründet
zurück.
18
Am 7. Februar 2007 erhob Kronos beim Finanzgericht Köln Anfechtungsklage gegen
diesen Bescheid und Untätigkeitsklage hinsichtlich der Abrechnung zur
Körperschaftsteuer für die Jahre 1991 bis 1993 und 1995 bis 2001.
19
Im derzeitigen Stadium des nationalen Verfahrens begehrt Kronos die Anrechnung von
201 966 724 Euro entrichteter ausländischer Körperschaftsteuer. Dieser Betrag umfasst
zum einen die von den Tochtergesellschaften von Kronos in Frankreich für die Jahre
1991 bis 2001, im Vereinigten Königreich für die Jahre 1997 und 1999 sowie in Kanada
für die Jahre 2000 und 2001 entrichteten Steuern in Höhe von insgesamt 78 501 794
Euro. Zum anderen betrifft das Begehren die Anrechnung der von der belgischen und der
norwegischen Enkelgesellschaft entrichteten Körperschaftsteuer in Höhe von insgesamt
123 448 418 Euro sowie die Anrechnung dänischer Körperschaftsteuer in Höhe von
16 512 Euro auf die Dividenden, die Kronos in den Jahren 2000 und 2001 von ihrer
dänischen Tochtergesellschaft bezogen hat.
20
Außerdem begehrt Kronos für den Fall, dass die Dividendeneinnahmen als
steuerpflichtig behandelt werden sollten, die Anrechnung der auf die in Frankreich und
im Vereinigten Königreich niedergelassenen Tochtergesellschaften entfallenden
Kapitalertragsteuer in Höhe von 1 795 525 Euro.
21
Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und
dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Unterfällt der Ausschluss der Anrechnung von Körperschaftsteuer infolge der
1. Unterfällt der Ausschluss der Anrechnung von Körperschaftsteuer infolge der
Steuerfreistellung von Dividendenausschüttungen von Kapitalgesellschaften im
Drittland an deutsche Kapitalgesellschaften, für die die nationalen Vorschriften nur
voraussetzen, dass die die Dividenden empfangende Kapitalgesellschaft zu
mindestens 10 % an der ausschüttenden Gesellschaft beteiligt ist, nur der
Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV
oder auch der Kapitalverkehrsfreiheit im Sinne der Art. 63 AEUV bis 65 AEUV,
wenn die tatsächliche Beteiligung der die Dividenden erhaltenden
Kapitalgesellschaft 100 % beträgt?
2. Sind die Vorschriften zur Niederlassungsfreiheit (jetzt Art. 49 AEUV) und
gegebenenfalls auch zur Kapitalverkehrsfreiheit (bis 1993 Art. 67 EG-Vertrag, jetzt
Art. 63 AEUV bis 65 AEUV) so zu verstehen, dass sie einer Regelung
entgegenstehen, die bei Freistellung der Dividenden von ausländischen
Tochtergesellschaften von der Besteuerung die Anrechnung und Auszahlung von
Körperschaftsteuer auf diese Dividendenausschüttungen auch für den Fall des
Verlusts bei der Muttergesellschaft ausschließt, wenn für Ausschüttungen
inländischer Tochtergesellschaften eine Entlastung durch Anrechnung der
Körperschaftsteuer vorgesehen ist?
3. Sind die Vorschriften zur Niederlassungsfreiheit (jetzt Art. 49 AEUV) und
gegebenenfalls auch zur Kapitalverkehrsfreiheit (bis 1993 Art. 67 EG-Vertrag, jetzt
Art. 63 AEUV bis 65 AEUV) so zu verstehen, dass sie einer Regelung
entgegenstehen, die die Anrechnung und Auszahlung von Körperschaftsteuer auf
Dividenden von (Ur‑)Enkelgesellschaften, die im Land der Tochtergesellschaft
steuerfrei
gestellt
und
die
an
die
inländische
Muttergesellschaft
(weiter‑)ausgeschüttet und in Deutschland ebenfalls steuerfrei gestellt worden sind,
ausschließt, aber bei rein inländischen Gestaltungen gegebenenfalls über die
Anrechnung der Körperschaftsteuer auf Dividenden der Enkelgesellschaft bei der
Tochtergesellschaft und die Anrechnung der Körperschaftsteuer auf Dividenden der
Tochtergesellschaft bei der Muttergesellschaft im Fall des Verlusts bei dieser eine
Erstattung ermöglicht?
4. Für den Fall, dass auch die Regelungen über die Kapitalverkehrsfreiheit
anzuwenden sind, stellt sich – je nach Beantwortung der Frage 2 – hinsichtlich der
kanadischen Dividenden eine zusätzliche Frage:
Ist der heutige Art. 64 Abs. 1 AEUV so zu verstehen, dass er die Anwendung
inhaltlich seit dem 31. Dezember 1993 im Wesentlichen unveränderter nationaler
und DBA-Regelungen durch die Bundesrepublik Deutschland und damit den
andauernden Ausschluss der Anrechnung kanadischer Körperschaftsteuer auf in
Deutschland steuerfrei gestellte Dividenden erlaubt?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Vorbemerkungen
Vorbemerkungen
22
Das vorlegende Gericht bezieht sich mit seiner ersten Frage ihrer Formulierung zufolge
zwar nur auf die von Gesellschaften mit Sitz in einem Drittstaat ausgeschütteten
Dividenden, jedoch geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass sich diese Frage
auch auf die Dividenden erstreckt, die von Gesellschaften ausgeschüttet werden, die
ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland haben.
23
Gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. f EStG 1990 wird die Körperschaftsteuer nicht
angerechnet, wenn die Einnahmen bei der Veranlagung nicht erfasst werden.
24
Im Ausgangsverfahren sind die von den Gesellschaften mit Sitz in einem anderen
Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat ausgeschütteten Dividenden bei der Veranlagung
der die Dividenden empfangenden Gesellschaft nicht erfasst worden, da auf sie die
Befreiungsmethode angewandt wurde, die in den von der Bundesrepublik Deutschland
geschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorgesehen ist.
25
Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass die einschlägigen Regelungen
für das Festsetzungsverfahren, wie sie sich aus den Abkommen zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung und gegebenenfalls den Bestimmungen in § 26 Abs. 7 KStG 1991
für die Jahre 1991 bis 1993 und § 8b Abs. 5 KStG 1994 für die Jahre 1994 bis 2000
ergäben, nicht nur für Beteiligungen gälten, die einen bestimmenden Einfluss auf die
Entscheidungen der betreffenden Gesellschaft zuließen, und dass der deutsche
Gesetzgeber mit der Einführung eines Schwellenwerts von 10 % nicht auf eine
wesentliche Beteiligung im Sinne eines Beherrschungsverhältnisses abgestellt habe.
26
Das vorlegende Gericht gibt außerdem an, dass Kronos im gesamten für das
Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum im Umfang von etwa 93 % bis 100 % an den
verschiedenen Dividenden ausschüttenden Tochtergesellschaften beteiligt gewesen sei.
27
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Kronos den Angaben des vorlegenden
Gerichts zufolge ihren satzungsmäßigen Sitz in den Vereinigten Staaten hat und ihre
Geschäftsleitung in Deutschland, wo sie mit einer Zweigniederlassung im
Handelsregister erfasst ist. Es steht fest, dass es sich bei Kronos um eine nach dem
Recht des Staates Delaware gegründete Gesellschaft handelt. Die deutsche Regierung
stellt insoweit klar, dass nach amerikanischem Recht gegründete Gesellschaften gemäß
Art. XXV Abs. 5 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29. Oktober
1954 (BGBl. 1956 II S. 487) in Deutschland als solche anzuerkennen seien.
28
Unter diesen Umständen ist die erste Frage dahin zu verstehen, dass damit in
Erfahrung gebracht werden soll, ob die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung wie der
im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wonach eine Gesellschaft mit Sitz in einem
Mitgliedstaat die Körperschaftsteuern, die von Dividenden ausschüttenden
Kapitalgesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat entrichtet
wurden, nicht anrechnen kann, weil diese Dividenden in dem erstgenannten
Mitgliedstaat von der Steuer freigestellt sind, wenn sie aus Beteiligungen in Höhe von
mindestens 10 % des Kapitals der ausschüttenden Gesellschaft hervorgegangen sind –
wobei im konkreten Fall die tatsächliche Beteiligung der die Dividenden erhaltenden
Kapitalgesellschaft bei über 90 % liegt und die Empfängergesellschaft nach dem Recht
Kapitalgesellschaft bei über 90 % liegt und die Empfängergesellschaft nach dem Recht
eines Drittstaats gegründet worden ist –, mit dem Unionsrecht anhand der Art. 49 AEUV
und 54 AEUV oder vielmehr anhand der Art. 63 AEUV und 65 AEUV zu beurteilen ist.
Zu der in Rede stehenden Freiheit
29
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann die steuerliche Behandlung von
Dividenden unter Art. 49 AEUV über die Niederlassungsfreiheit und unter Art. 63 AEUV
über den freien Kapitalverkehr fallen (Urteile Haribo Lakritzen Hans Riegel und
Österreichische Salinen, C‑436/08 und C‑437/08, EU:C:2011:61, Rn. 33, Accor,
C‑310/09, EU:C:2011:581, Rn. 30, und Test Claimants in the FII Group Litigation,
C‑35/11, EU:C:2012:707, Rn. 89).
30
Für die Frage, ob eine nationale Regelung unter die eine oder die andere
Verkehrsfreiheit fällt, ist nach gefestigter Rechtsprechung auf den Gegenstand der
betreffenden Regelung abzustellen (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation,
EU:C:2012:707, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31
Eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen,
einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren
Tätigkeiten zu bestimmen, fällt in den Anwendungsbereich von Art. 49 AEUV über die
Niederlassungsfreiheit (vgl. Urteile Test Claimants in the FII Group Litigation, C‑446/04,
EU:C:2006:774, Rn. 37, Idryma Typou, C‑81/09, EU:C:2010:622, Rn. 47, Accor,
EU:C:2011:581, Rn. 32, Scheunemann, C‑31/11, EU:C:2012:481, Rn. 23, und Test
Claimants in the FII Group Litigation, EU:C:2012:707, Rn. 91).
32
Hingegen sind nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen
Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des
Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den
freien Kapitalverkehr zu prüfen (Urteile Haribo Lakritzen Hans Riegel und
Österreichische Salinen, EU:C:2011:61, Rn. 35, Accor, EU:C:2011:581, Rn. 32,
Scheunemann, EU:C:2012:481, Rn. 23, und Test Claimants in the FII Group Litigation,
EU:C:2012:707, Rn. 92).
33
Hinsichtlich des Ausgangsverfahrens ergibt sich aus den Abkommen zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung, die die Bundesrepublik Deutschland mit dem Königreich
Dänemark, der Französischen Republik und – was das Steuerjahr 2001 betrifft – Kanada
geschlossen hat, sowie aus der Anwendung von § 8b Abs. 5 KStG 1994 in Verbindung
mit den Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, die die Bundesrepublik
Deutschland mit dem Vereinigten Königreich und Kanada, was das Steuerjahr 2000
betrifft, geschlossen hat, dass die Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in
Deutschland von Gesellschaften mit Sitz in den anderen genannten Staaten
ausgeschüttet werden, von der deutschen Körperschaftsteuer befreit sind, wenn die
Beteiligungen der Empfängergesellschaft an der ausschüttenden Gesellschaft die
Schwelle von 10 % erreichen.
34
Eine solche Schwelle ermöglicht es zwar, diejenigen Investitionen vom
Geltungsbereich der Befreiung auszuschließen, die in der alleinigen Absicht der
Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens
Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens
Einfluss genommen werden soll.
35
Jedoch bewirkt eine solche Schwelle für sich allein entgegen dem Vorbringen der
deutschen Regierung nicht, dass die Befreiung nur auf Beteiligungen anwendbar wäre,
die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft
auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen. Der Gerichtshof hat nämlich bereits
entschieden, dass eine Beteiligung derartigen Umfangs nicht zwangsläufig bedeutet,
dass der Inhaber dieser Beteiligung einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der
Gesellschaft ausübt, bei der er Anteilseigner ist (vgl. in diesem Sinne Urteil ITELCAR
und Fazenda Pública, C‑282/12, EU:C:2013:629, Rn. 22).
36
Folglich ist die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung nicht nur auf
Dividenden anwendbar, die eine gebietsansässige Gesellschaft auf der Grundlage einer
Beteiligung erhält, die einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der
ausschüttenden Gesellschaft verleiht und es ermöglicht, deren Tätigkeiten zu
bestimmen, sondern auch auf Dividenden, die auf der Grundlage einer Beteiligung
bezogen werden, die keinen solchen Einfluss verleiht.
37
Im Angesicht von Rechtsvorschriften, deren Gegenstand es nicht ermöglicht, zu
bestimmen, ob sie vorwiegend unter Art. 49 AEUV oder unter Art. 63 AEUV fallen, sind
nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wenn die nationalen Rechtsvorschriften
Dividenden mit Ursprung in einem Mitgliedstaat betreffen, die tatsächlichen
Gegebenheiten des konkreten Falles zu berücksichtigen, um zu klären, ob die dem
Ausgangsverfahren zugrunde liegende Situation von Art. 49 AEUV oder von Art. 63
AEUV erfasst wird (vgl. in diesem Sinne Urteile Test Claimants in the FII Group
Litigation, EU:C:2012:707, Rn. 93 und 94 sowie die dort angeführte Rechtsprechung,
Beker, C‑168/11, EU:C:2013:117, Rn. 27 und 28, sowie Bouanich, C‑375/12,
EU:C:2014:138, Rn. 30).
38
Zur steuerlichen Behandlung von Dividenden mit Ursprung in einem Drittstaat hat der
Gerichtshof hingegen entschieden, dass die Prüfung des Gegenstands einer nationalen
Regelung für die Beurteilung ausreicht, ob die steuerliche Behandlung solcher
Dividenden unter die Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr
fällt, da nationale Rechtsvorschriften über die steuerliche Behandlung von Dividenden
mit Ursprung in einem Drittland nicht unter Art. 49 AEUV fallen können (vgl. in diesem
Sinne Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, EU:C:2012:707, Rn. 96 und 97).
39
So hat der Gerichtshof entschieden, dass sich eine in einem Mitgliedstaat ansässige
Gesellschaft, die eine Beteiligung an einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft
hält, die ihr einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der letztgenannten
Gesellschaft verschafft und ihr ermöglicht, deren Tätigkeiten zu bestimmen, auf Art. 63
AEUV berufen kann, um die Vereinbarkeit einer Regelung dieses Mitgliedstaats über die
steuerliche Behandlung von Dividenden mit Ursprung in diesem Drittland, die nicht
ausschließlich auf Situationen anwendbar ist, in denen die Muttergesellschaft einen
entscheidenden Einfluss auf die Dividenden ausschüttende Gesellschaft ausübt, mit
dieser Bestimmung auf den Prüfstand zu stellen (vgl. Urteil Test Claimants in the FII
Group Litigation, EU:C:2012:707, Rn. 104).
40
Folglich ist die Höhe der Beteiligung der Empfängergesellschaft an der ausschüttenden
Gesellschaft dann, wenn die nationalen Rechtsvorschriften über die Behandlung der
Dividenden nicht ausschließlich auf Situationen anwendbar sind, in denen die
Muttergesellschaft einen entscheidenden Einfluss auf die Dividenden ausschüttende
Gesellschaft ausübt, zu berücksichtigen, sofern im konkreten Fall sowohl Art. 49 AEUV
als auch Art. 63 AEUV herangezogen werden kann und die Höhe dieser Beteiligung es
ermöglicht, zu bestimmen, ob die betreffende Situation unter die eine oder die andere der
in diesen beiden unionsrechtlichen Vorschriften verankerten Freiheiten fällt.
41
Soweit in Anbetracht dessen, dass die die Dividenden ausschüttende Gesellschaft in
einem Drittstaat ansässig ist, allein der freie Kapitalverkehr gegen die nationalen
Rechtsvorschriften über die Behandlung der von dieser Gesellschaft ausgeschütteten
Dividenden angeführt werden kann, muss die Höhe der Beteiligungen an der
ausschüttenden Gesellschaft unberücksichtigt bleiben. Eine in einem Mitgliedstaat
ansässige Gesellschaft kann sich nämlich unabhängig vom Umfang ihrer Beteiligung an
der in einem Drittland niedergelassenen Dividenden ausschüttenden Gesellschaft auf
Art. 63 AEUV berufen, um die Rechtmäßigkeit einer solchen Regelung auf den Prüfstand
zu stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation,
EU:C:2012:707, Rn. 99 und 104).
42
Diese Überlegung gilt entsprechend auch dann, wenn in Anbetracht der Grenzen des
persönlichen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit allein der freie
Kapitalverkehr geltend gemacht werden kann.
43
Dies ist in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden der Fall, in
der die Dividenden beziehende Gesellschaft eine nach dem Recht eines Drittstaats
gegründete Gesellschaft ist.
44
Die Vorschriften des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit gelten nämlich nur für
Angehörige eines Mitgliedstaats der Union (vgl. in diesem Sinne Urteil Ferrer Laderer,
C‑147/91, EU:C:1992:278, Rn. 9).
45
Gemäß Art. 54 AEUV stehen die gemäß den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats
gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder
ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, für die Anwendung der Vorschriften
des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit den natürlichen Personen gleich, die
Angehörige der Mitgliedstaaten sind (Urteil National Grid Indus, C‑371/10,
EU:C:2011:785, Rn. 25).
46
Daher kann eine Gesellschaft, die nicht nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet
worden ist, nicht in den Genuss der Niederlassungsfreiheit kommen.
47
Diese Erwägung wird durch das Vorbringen von Kronos, wonach eine Gesellschaft
eines Drittstaats gegenüber einer Gesellschaft deutschen Rechts steuerlich nicht
diskriminiert werden dürfe und sich somit auf die in Art. 49 AEUV niedergelegte Freiheit
berufen können müsse, nicht in Frage gestellt.
48
In Ermangelung einer einheitlichen unionsrechtlichen Definition der Gesellschaften,
denen die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, anhand eines einheitlichen
denen die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, anhand eines einheitlichen
Anknüpfungskriteriums, nach dem sich das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht
bestimmt, ist die Frage, ob Art. 49 AEUV auf eine Gesellschaft anwendbar ist, die sich
auf die dort verankerte Grundfreiheit beruft, nämlich eine Vorfrage, die beim
gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nur nach dem anwendbaren nationalen Recht
beantwortet werden kann (vgl. Urteile Cartesio, C‑210/06, EU:C:2008:723, Rn. 109, und
National Grid Indus, EU:C:2011:75, Rn. 26).
49
Ein Mitgliedstaat kann somit die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft
aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen
werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können (vgl. in
diesem Sinne Urteile Cartesio, EU:C:2008:723, Rn. 110, und National Grid Indus,
EU:C:2011:785, Rn. 27).
50
Jedoch kann ein Mitgliedstaat nicht einseitig den persönlichen Anwendungsbereich des
die Niederlassungsfreiheit betreffenden Kapitels des Vertrags erweitern, dessen Ziel es
ist, die Niederlassungsfreiheit allein zugunsten der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu
gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Beschluss Lasertec, C‑492/04, EU:C:2007:273,
Rn. 27).
51
Daher ist festzustellen, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden, in der die Niederlassungsfreiheit aufgrund der Zugehörigkeit der Dividenden
beziehenden Gesellschaft zur Rechtsordnung eines Drittstaats nicht geltend gemacht
werden kann, eine nationale Regelung über die steuerliche Behandlung von Dividenden
mit Ursprung in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat, die nicht
ausschließlich auf Situationen anwendbar ist, in denen die Muttergesellschaft einen
entscheidenden Einfluss auf die Dividenden ausschüttende Gesellschaft ausübt, nach
Art. 63 AEUV zu beurteilen ist.
52
Folglich kann sich eine gemäß dem Recht eines Drittstaats gegründete Gesellschaft mit
Sitz in einem Mitgliedstaat unabhängig vom Umfang ihrer Beteiligung an der Dividenden
ausschüttenden Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat oder einem
Drittstaat auf diese Vorschrift berufen, um die Rechtmäßigkeit einer solchen Regelung
auf den Prüfstand zu stellen.
53
Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass aufgrund
dessen, dass der Vertrag die Niederlassungsfreiheit nicht auf Drittländer erstreckt, zu
vermeiden ist, dass die Auslegung von Art. 63 Abs. 1 AEUV in Bezug auf die
Beziehungen zu Drittländern es Wirtschaftsteilnehmern, die sich außerhalb des
territorialen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit befinden, erlaubt, in den
Genuss dieser Freiheit zu gelangen (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation,
EU:C:2012:707, Rn. 100).
54
Wie der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausführt,
besteht diese Gefahr aber in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden nicht. Die deutsche Regelung betrifft nämlich nicht die Voraussetzungen des
Marktzugangs einer Gesellschaft dieses Mitgliedstaats in einem Drittland oder einer
Gesellschaft eines Drittlands in diesem Mitgliedstaat. Sie betrifft ausschließlich die
steuerliche Behandlung von Dividenden aus Investitionen, die der Bezieher der
steuerliche Behandlung von Dividenden aus Investitionen, die der Bezieher der
Dividenden in eine in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland ansässige
Gesellschaft getätigt hat.
55
Unter diesen Umständen ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Vereinbarkeit
einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wonach
eine Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat die Körperschaftsteuern, die von
Dividenden ausschüttenden Kapitalgesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat oder
in einem Drittstaat entrichtet wurden, nicht anrechnen kann, weil diese Dividenden in
dem erstgenannten Mitgliedstaat von der Steuer freigestellt sind, wenn sie aus
Beteiligungen in Höhe von mindestens 10 % des Kapitals der ausschüttenden
Gesellschaft hervorgegangen sind – wobei im konkreten Fall die tatsächliche Beteiligung
der die Dividenden erhaltenden Kapitalgesellschaft bei über 90 % liegt und die
Empfängergesellschaft nach dem Recht eines Drittstaats gegründet worden ist –, mit
dem Unionsrecht anhand der Art. 63 AEUV und 65 AEUV zu beurteilen ist.
Zur zweiten Frage
56
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob
Art. 49 AEUV und gegebenenfalls Art. 63 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie daran
hindern, dass auf von Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat oder einem
Drittstaat ausgeschüttete Dividenden die Befreiungsmethode angewandt wird, während
auf Dividenden, die von Gesellschaften ausgeschüttet werden, die ihren Sitz in
demselben
Mitgliedstaat
haben
wie
die
Empfängergesellschaft,
die
Anrechnungsmethode angewandt wird und die Anrechnungsmethode in dem Fall, dass
diese Empfängergesellschaft Verluste verzeichnet, dazu führt, dass die von der
gebietsansässigen ausschüttenden Gesellschaft gezahlte Steuer vollständig oder
teilweise erstattet wird.
57
In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage ausschließlich unter
dem Blickwinkel des freien Kapitalverkehrs zu sehen.
58
Kronos macht insoweit geltend, dass die Investition in eine gebietsansässige
Gesellschaft in einer Situation, in der die Empfängergesellschaft Verluste verzeichne,
aufgrund der Erstattung der von der Dividenden ausschüttenden Gesellschaft gezahlten
Steuer vorteilhafter sei als die Investition in eine gebietsfremde Gesellschaft.
59
Im Übrigen sei die Anrechnungsregelung der Befreiungsregelung nicht gleichwertig,
wenn man auch die Besteuerung der Dividenden in Deutschland bei deren
Weiterverteilung an die Anteilseigner berücksichtige.
60
In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es allein Sache des
vorlegenden Gerichts ist, den Gegenstand der Fragen festzulegen, die es dem
Gerichtshof vorlegen möchte (Urteil Kersbergen-Lap und Dams-Schipper, C‑154/05,
EU:C:2006:449, Rn. 21).
61
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof aber nicht
wissen, welche Folgen die steuerliche Behandlung der von gebietsansässigen oder von
gebietsfremden Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden für die Anteilseigner der die
Dividenden beziehenden Gesellschaft hat, wenn diese Dividenden möglicherweise an
diese Anteilseigner weiterverteilt werden, sondern nur, welche Folgen diese steuerliche
Behandlung in Bezug auf die die Dividenden beziehende Gesellschaft hat.
62
Das Vorabentscheidungsersuchen enthält nämlich weder Angaben, denen zufolge die
Situation der Anteilseigner vom vorlegenden Gericht für erheblich angesehen worden
wäre, noch enthält es Informationen zur steuerlichen Behandlung etwa von der
Empfängergesellschaft weiterverteilter Dividenden oder zu den Folgen, die die
Anwendung der Befreiungsmethode oder der Anrechnungsmethode auf Ebene der
Empfängergesellschaft für die steuerliche Situation der Anteilseigner dieser Gesellschaft
hat.
63
Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die steuerliche Situation der
Inhaber von Anteilen an einem Anlageinstrument für die Beurteilung, ob eine nationale
Regelung
diskriminierend
ist,
unerheblich
ist,
wenn
das
anwendbare
Unterscheidungskriterium für die steuerliche Behandlung gemäß der betreffenden
nationalen Regelung nicht die steuerliche Situation des Anteilsinhabers ist, sondern
allein die Stellung des Anlageinstruments, je nachdem, ob es sich um ein inländisches
Anlageinstrument handelt oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil Santander Asset
Management SGIIC u. a., C‑338/11 bis C‑347/11, EU:C:2012:286, Rn. 28 und 41).
64
In Bezug auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Steuerregelung ist
festzustellen, dass sie ein Unterscheidungskriterium festlegt, das auf die
Berücksichtigung von Einnahmen bei der Veranlagung abstellt, was zu einer
unterschiedlichen Behandlung von Dividenden je nach dem Sitz der die Dividenden
ausschüttenden Gesellschaft führt.
65
Nach dieser Klarstellung ist für die Beantwortung der vorgelegten Frage darauf
hinzuweisen, dass Art. 63 AEUV einen Mitgliedstaat, in dem für Dividenden, die
gebietsansässige Gesellschaften an andere gebietsansässige Gesellschaften zahlen,
ein System zur Verhinderung wirtschaftlicher Doppelbesteuerung besteht, verpflichtet, für
Dividenden, die gebietsfremde Gesellschaften an gebietsansässige Gesellschaften
zahlen, eine gleichwertige Behandlung vorzusehen (vgl. Urteile Test Claimants in the FII
Group Litigation, EU:C:2006:774, Rn. 72, Haribo Lakritzen Hans Riegel und
Österreichische Salinen, EU:C:2011:61, Rn. 156, und Test Claimants in the FII Group
Litigation, EU:C:2012:707, Rn. 38).
66
Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass es einem Mitgliedstaat grundsätzlich
freisteht, die mehrfache Besteuerung der Dividenden, die eine gebietsansässige
Gesellschaft bezieht, durch die Option für die Befreiungsmethode zu verhindern, wenn
die Dividenden von einer gebietsansässigen Gesellschaft gezahlt werden, und durch die
Option für die Anrechnungsmethode, wenn sie von einer gebietsfremden Gesellschaft
gezahlt werden. Diese beiden Methoden sind nämlich gleichwertig, vorausgesetzt, dass
der Steuersatz für Dividenden ausländischen Ursprungs nicht höher ist als der Satz für
Dividenden inländischen Ursprungs und dass die Steuergutschrift bis zur Höhe der im
Mitgliedstaat der Empfängergesellschaft festgesetzten Steuer zumindest ebenso hoch ist
wie der im Staat der ausschüttenden Gesellschaft gezahlte Betrag (Urteil Test Claimants
in the FII Group Litigation, EU:C:2012:707, Rn. 39 und die dort angeführte
in the FII Group Litigation, EU:C:2012:707, Rn. 39 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
67
Entsprechend steht es einem Mitgliedstaat grundsätzlich auch frei, die mehrfache
Besteuerung der Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft bezieht, durch die
Option für die Anrechnungsmethode zu verhindern, wenn die Dividenden von einer
gebietsansässigen Gesellschaft gezahlt werden, und durch die Option für die
Befreiungsmethode, wenn sie von einer gebietsfremden Gesellschaft gezahlt werden.
68
Da das Unionsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand keine allgemeinen Kriterien für
die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Beseitigung
der Doppelbesteuerung innerhalb der Union vorschreibt (Urteile Kerckhaert und Morres,
C‑513/04, EU:C:2006:713, Rn. 22, und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, C‑157/10,
EU:C:2011:813, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung), kann nämlich jeder
Mitgliedstaat sein System für die Besteuerung ausgeschütteter Gewinne frei gestalten,
solange das in Rede stehende System keine durch den Vertrag verbotenen
Diskriminierungen enthält (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation,
EU:C:2012:707, Rn. 40).
69
Unabhängig davon, welcher Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung der
mehrfachen Besteuerung oder wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eingesetzt wird,
verstößt es gegen die im Vertrag gewährleisteten Verkehrsfreiheiten, wenn ein
Mitgliedstaat Dividenden ausländischen Ursprungs ungünstiger behandelt als
Dividenden inländischen Ursprungs, es sei denn, diese Ungleichbehandlung betrifft
Situationen, die nicht objektiv vergleichbar sind, oder ist durch zwingende Gründe des
Allgemeininteresses gerechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Urteile Lenz, C‑315/02,
EU:C:2004:446, Rn. 20 bis 49, Manninen, C‑319/02, EU:C:2004:484, Rn. 20 bis 55, und
Test Claimants in the FII Group Litigation, EU:C:2006:774, Rn. 46).
70
Wie in Rn. 64 des vorliegenden Urteils ausgeführt, unterlagen die von einer
Gesellschaft mit Sitz in Deutschland bezogenen Dividenden in dem für den
Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitraum je nach dem Sitz der die Dividenden
ausschüttenden Gesellschaft einer unterschiedlichen Behandlung.
71
Die von Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ausgeschütteten Dividenden wurden
nämlich in diesem Mitgliedstaat besteuert, und die von der ausschüttenden Gesellschaft
auf die ausgeschütteten Dividenden gezahlte Körperschaftsteuer wurde, wenn die
Empfängergesellschaft die Dividenden nicht verteilte, teilweise und, wenn sie sie
weiterverteilte, vollständig angerechnet.
72
In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der die die
Dividenden beziehende Gesellschaft im Übrigen Verluste erlitten hatte, wurden die von
gebietsansässigen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden bei der Festsetzung der
Steuer der Empfängergesellschaft berücksichtigt, was den vollständigen oder teilweisen
Ausgleich der Verluste zur Folge hatte und damit zu deren Verminderung oder zur
Verhinderung eines Verlustrücktrags bzw. ‑vortrags führte. Wenn die Einkünfte aus den
von den gebietsansässigen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden die von der
Empfängergesellschaft verzeichneten Verluste nicht überstiegen, wurde die von
Letzterer geschuldete Steuer auf Null festgesetzt und das Guthaben aus der Steuer, die
Letzterer geschuldete Steuer auf Null festgesetzt und das Guthaben aus der Steuer, die
auf den von der deutschen Tochtergesellschaft ausgeschütteten Dividenden lastete,
erstattet.
73
Hingegen waren die von einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat oder
in einem Drittstaat ausgeschütteten Dividenden in Deutschland von der Steuer befreit
und wurden bei der Festsetzung der Steuer der Empfängergesellschaft nicht
berücksichtigt.
Daher
wirkten
sich
diese
Dividenden
weder
auf
die
Steuerbemessungsgrundlage der Empfängergesellschaft noch auf deren etwa
vortragbare Verluste aus.
74
Da die Empfängergesellschaft auf die erhaltenen Dividenden unabhängig von dem
Steuersatz, dem die zugrunde liegenden Gewinne bei der ausschüttenden Gesellschaft
unterlagen, und der Höhe der Steuer, die diese tatsächlich darauf gezahlt hatte, in
Deutschland keine Steuer zahlte, ermöglichte die Befreiungsmethode es außerdem,
gegebenenfalls den Vorteil einer niedrigeren Besteuerung im Staat der die Dividenden
ausschüttenden Gesellschaft zu bewahren.
75
Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Dividenden beziehende
gebietsansässige Gesellschaft darüber hinaus von dem gesamten mit der
Anrechnungsmethode verbundenen Verwaltungsaufwand befreit war.
76
Schließlich wirkte sich die Befreiungsmethode dadurch, dass die von gebietsfremden
Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden bei der Festsetzung der von der
Empfängergesellschaft geschuldeten Steuer nicht berücksichtigt wurden, dahin aus,
dass in dem Fall, in dem die Empfängergesellschaft Verluste verzeichnete oder für das
betreffende Steuerjahr frühere Verluste geltend machen konnte, die ausgeschütteten
Dividenden auch keiner wirtschaftlichen Doppelbesteuerung unterlagen.
77
Die Befreiungsmethode sowie der Umstand, dass sich die von der Steuer befreiten
Dividenden nicht auf die Höhe der Verluste der gebietsansässigen
Empfängergesellschaft auswirken, beseitigen, was die diese Dividenden beziehende
Gesellschaft betrifft, im Sitzstaat die Gefahr einer Doppelbesteuerung der Dividenden.
78
Folglich führt die Anwendung der Befreiungsmethode auf von gebietsfremden
Gesellschaften bezogene Dividenden im Hinblick auf das mit der im Ausgangsverfahren
fraglichen nationalen Regelung verfolgte Ziel der Vermeidung der wirtschaftlichen
Doppelbesteuerung nicht zu einer ungünstigeren Behandlung dieser Dividenden
gegenüber Dividenden, die von gebietsansässigen Gesellschaften ausgeschüttet
werden.
79
In einer Situation, in der die Empfängergesellschaft Verluste ausweist, wie dies bei der
im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Empfängergesellschaft der Fall ist, könnte die
Erstattung der von der Dividenden ausschüttenden Gesellschaft gezahlten Steuer als ein
Liquiditätsvorteil angesehen werden.
80
Zwar geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass der Ausschluss eines
Liquiditätsvorteils bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt, wenn ein solcher
Vorteil bei einem entsprechenden innerstaatlichen Sachverhalt zur Verfügung steht, eine
Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt (vgl. entsprechend Urteil
Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt (vgl. entsprechend Urteil
Kommission/Spanien, C‑269/09, EU:C:2012:439, Rn. 59 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
81
Jedoch lassen sich die Versagung der Erstattung und die so festgestellte
Ungleichbehandlung im Kontext des Ausgangsverfahrens mit objektiv unterschiedlichen
Situationen erklären. Was die Erstattung der von der Dividenden ausschüttenden
Gesellschaft gezahlten Steuer betrifft, wie sie Kronos begehrt, befindet sich eine
Gesellschaft, die Dividenden ausländischen Ursprungs bezieht, nämlich nicht in einer
Situation, die mit derjenigen einer Gesellschaft vergleichbar wäre, die Dividenden
inländischen Ursprungs bezieht.
82
Erstens beruht der Unterschied zwischen diesen Situationen darauf, dass die
Bundesrepublik Deutschland infolge des Abschlusses von Abkommen zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung mit anderen Mitgliedstaaten und Drittstaaten darauf verzichtet
hat, ihre Besteuerungsbefugnis in Bezug auf die Dividenden auszuüben, die von
Gesellschaften mit Sitz in diesen Staaten ausgeschüttet werden.
83
Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, kann der in Art. 63 Abs. 1 AEUV
niedergelegte freie Kapitalverkehr keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten bewirken, über
einen Wegfall der inländischen Einkommensteuer, die der Anteilseigner auf aus dem
Ausland bezogene Dividenden zu entrichten hätte, hinauszugehen und einen Betrag zu
erstatten, der seinen Ursprung im Steuersystem eines anderen Mitgliedstaats hat (vgl.
entsprechend Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, EU:C:2006:774, Rn. 52),
da sonst die Steuerautonomie des erstgenannten Mitgliedstaats durch die Ausübung der
Steuerhoheit des anderen Mitgliedstaats beschränkt würde (vgl. u. a. Urteil Meilicke u. a.,
C‑262/09, EU:C:2011:438, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).
84
Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass die Eigenschaft als Sitzmitgliedstaat
der die Dividenden beziehenden Gesellschaft für diesen Mitgliedstaat nicht die Pflicht mit
sich bringen kann, einen Steuernachteil auszugleichen, der sich aus einer
Mehrfachbelastung ergibt, die zur Gänze durch den Mitgliedstaat bewirkt wird, in dessen
Hoheitsgebiet die diese Dividenden ausschüttende Gesellschaft niedergelassen ist,
sofern der zuerst genannte Mitgliedstaat die erhaltenen Dividenden bei den in seinem
Hoheitsgebiet niedergelassenen Organismen für gemeinsame Anlagen weder besteuert
noch auf andere Art und Weise berücksichtigt (Urteil Orange European Smallcap Fund,
C‑194/06, EU:C:2008:289, Rn. 41).
85
Folglich gehen in einer Situation, in der der Mitgliedstaat seine Besteuerungsbefugnis
hinsichtlich der ausländischen Dividenden nicht ausübt, indem er sie bei der
Empfängergesellschaft weder besteuert noch auf andere Weise berücksichtigt, seine
Pflichten als Sitzstaat der die Dividenden beziehenden Gesellschaft nicht so weit, dass
er die sich aus der Ausübung der Besteuerungsbefugnisse eines anderen Mitgliedstaats
oder eines Drittstaats ergebende steuerliche Belastung ausgleichen müsste.
86
Daraus folgt, dass sich die Pflichten des Sitzstaates der die Dividenden beziehenden
Gesellschaft, der seine eigene Befugnis zur Besteuerung dieser Dividenden nicht
ausübt, in Bezug auf die Behandlung der durch einen anderen Mitgliedstaat
vorgenommenen Besteuerung von den Pflichten unterscheiden, die ihm obliegen, wenn
vorgenommenen Besteuerung von den Pflichten unterscheiden, die ihm obliegen, wenn
er sich dazu entscheidet, diese Dividenden zu besteuern und infolgedessen im Rahmen
seiner eigenen Besteuerung die steuerliche Belastung berücksichtigen muss, die sich
aus der Ausübung der Besteuerungsbefugnisse des anderen Mitgliedstaats ergibt.
87
Zweitens stellt die von Kronos begehrte Erstattung im Rahmen der
Anrechnungsmethode das logische Pendant zur Berücksichtigung der Dividenden und
der zuvor erfolgten Verminderung der vortragbaren Verluste dar. Bei Fehlen einer
solchen Erstattung können die Berücksichtigung der Dividenden und die Verminderung
der Verluste der Empfängergesellschaft nämlich in späteren Steuerjahren zu einer
wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der Dividenden führen, wenn das Betriebsergebnis
der Empfängergesellschaft positiv ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Cobelfret, C‑138/07,
EU:C:2009:82, Rn. 39 und 40, sowie Beschluss KBC Bank und Beleggen,
Risicokapitaal, Beheer, C‑439/07 und C‑499/07, EU:C:2009:339, Rn. 39 und 40).
88
Hingegen besteht im Rahmen der Befreiungsmethode, da die Verluste nicht gemindert
werden, hinsichtlich der bezogenen Dividenden keine Gefahr einer wirtschaftlichen
Doppelbesteuerung. Dem Fehlen einer Erstattung steht als Gegenstück die
Nichtberücksichtigung der Dividenden bei der Veranlagung gegenüber.
89
Unter diesen Umständen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 63 AEUV
dahin auszulegen ist, dass er nicht daran hindert, dass auf von Gesellschaften mit Sitz in
einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat ausgeschüttete Dividenden die
Befreiungsmethode angewandt wird, während auf Dividenden, die von Gesellschaften
ausgeschüttet werden, die ihren Sitz in demselben Mitgliedstaat haben wie die
Empfängergesellschaft, die Anrechnungsmethode angewandt wird und die
Anrechnungsmethode in dem Fall, dass diese Empfängergesellschaft Verluste
verzeichnet, dazu führt, dass die von der gebietsansässigen ausschüttenden
Gesellschaft gezahlte Steuer vollständig oder teilweise erstattet wird.
Zur dritten und zur vierten Frage
90
In Anbetracht der Antwort auf die zweite Frage brauchen die dritte und die vierte Frage
nicht beantwortet zu werden.
Kosten
91
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem
beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen
vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
1. Die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in
Rede stehenden, wonach eine Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat die
Körperschaftsteuern,
die
von
Dividenden
ausschüttenden
Kapitalgesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat
entrichtet wurden, nicht anrechnen kann, weil diese Dividenden in dem
entrichtet wurden, nicht anrechnen kann, weil diese Dividenden in dem
erstgenannten Mitgliedstaat von der Steuer freigestellt sind, wenn sie aus
Beteiligungen in Höhe von mindestens 10 % des Kapitals der ausschüttenden
Gesellschaft hervorgegangen sind – wobei im konkreten Fall die tatsächliche
Beteiligung der die Dividenden erhaltenden Kapitalgesellschaft bei über 90 %
liegt und die Empfängergesellschaft nach dem Recht eines Drittstaats
gegründet worden ist –, mit dem Unionsrecht ist anhand der Art. 63 AEUV und
65 AEUV zu beurteilen.
2 . Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er nicht daran hindert, dass auf von
Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat
ausgeschüttete Dividenden die Befreiungsmethode angewandt wird, während
auf Dividenden, die von Gesellschaften ausgeschüttet werden, die ihren Sitz
in demselben Mitgliedstaat haben wie die Empfängergesellschaft, die
Anrechnungsmethode angewandt wird und die Anrechnungsmethode in dem
Fall, dass diese Empfängergesellschaft Verluste verzeichnet, dazu führt, dass
die von der gebietsansässigen ausschüttenden Gesellschaft gezahlte Steuer
vollständig oder teilweise erstattet wird.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.