Urteil des EuGH vom 21.06.2016

Unternehmen, Satzung, Rechtsmittelgrund, Europäische Kommission

BESCHLUSS DES VIZEPRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS
21. Juni 2016(
*
)
„Rechtsmittel – Streithilfe – Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits“
In der Rechtssache C‑157/16 P(I)
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 57 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 16. März 2016,
Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V.
und P. Gey,
Rechtsmittelführer,
andere Parteien des Verfahrens:
Allergopharma GmbH & Co. KG
Klägerin im ersten Rechtszug,
Europäische Kommission
Beklagte im ersten Rechtszug,
Bencard Allergie GmbH
Streithelferin im ersten Rechtszug,
erlässt
DER VIZEPRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS
nach Anhörung des Generalanwalts M. Wathelet
folgenden
Beschluss
Mit seinem Rechtsmittel beantragt der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (im Folgenden: BPI), eine deutsche Vereinigung von
Unternehmen des Pharmasektors, die Aufhebung des Beschlusses des Präsidenten der Ersten Kammer des Gerichts der Europäischen Union vom
17. Februar 2016, Allergopharma/Kommission (T‑354/15, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2016:121), mit dem der
Antrag des BPI, in der Rechtssache T‑354/15 als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Europäischen Kommission, der Beklagten im ersten
Rechtszug, zugelassen zu werden, zurückgewiesen wurde. Gegenstand der Rechtssache T‑354/15 ist eine Klage der Allergopharma GmbH & Co. KG (im
Folgenden: Allergopharma) auf Nichtigerklärung des Beschlusses (EU) 2015/1300 der Kommission vom 27. März 2015 über die Beihilferegelung
Deutschlands – Beihilfe für deutsche pharmazeutische Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten in Form einer Befreiung von Herstellerabschlägen
SA.34881 (2013/C) (ex 2013/NN) (ex 2012/CP) (ABl. 2015, L 199, S. 27).
Der BPI beantragt ferner, seinem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe stattzugeben und Allergopharma die Kosten aufzuerlegen.
Allergopharma hat am 11. April 2016 zu dem Rechtsmittel Stellung genommen. Sie beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und dem BPI die
Kosten aufzuerlegen.
Angefochtener Beschluss
In Rn. 9 des angefochtenen Beschlusses hat der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts u. a. ausgeführt, dass eine Vereinigung in einer
Rechtssache zur Streithilfe zugelassen werden könne, wenn sie eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen des betreffenden Sektors vertrete, ihr
Zweck den Schutz der Interessen ihrer Mitglieder einschließe, die Rechtssache Grundsatzfragen aufwerfen könne, die das Funktionieren des
betreffenden Sektors berührten, und damit die Interessen ihrer Mitglieder durch das zu erlassende Urteil in erheblichem Maß beeinträchtigt werden
könnten.
Daraus hat der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts in den Rn. 10 bis 14 des angefochtenen Beschlusses Folgendes abgeleitet:
„10 Zu prüfen ist, ob der BPI eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen des betreffenden Sektors vertritt.
11 Der BPI macht insoweit geltend, dass sich in ihm rund 240 Unternehmen des Sektors zusammengeschlossen hätten und er das breite Spektrum der
pharmazeutischen Industrie Deutschlands auf nationaler und internationaler Ebene, u. a. bei den Institutionen der Union, vertrete.
12 [Allergopharma] wendet ein, der BPI habe vor dem Gericht weder nachgewiesen – z. B. durch Vorlage eines Mitgliederverzeichnisses –, dass er eine
beträchtliche Anzahl von Unternehmen vertrete, noch, welchen Anteil der Unternehmen des Sektors er vertrete, und auch nicht, wie viele seiner
Mitglieder von der streitigen Beihilfe berührt werden könnten.
13 Dazu ist festzustellen, dass der BPI in der Tat keinerlei Nachweis für seine Behauptung erbracht hat, dass er eine beträchtliche Anzahl von
Unternehmen des betreffenden Sektors vertrete. Insbesondere hat er weder sein Mitgliederverzeichnis noch sonst ein Dokument beigelegt, das den
Umfang seiner Repräsentativität belegen würde.
14 Da somit das berechtigte Interesse am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs [der Europäischen
Union] nicht nachgewiesen worden ist, ist der Antrag auf Zulassung zur Streithilfe zurückzuweisen.“
Zum Rechtsmittel
Der BPI stützt sein Rechtsmittel auf zwei Gründe.
Zum ersten Rechtsmittelgrund
Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügt der BPI, der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts habe dadurch, dass er bei der Feststellung seiner
Eigenschaft als repräsentative Vereinigung keine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorgenommen habe, Art. 40 Abs. 2 der Satzung des
Gerichtshofs der Europäischen Union rechtsfehlerhaft angewandt. Insbesondere habe er in Rn. 13 des angefochtenen Beschlusses die Eigenschaft
des BPI als repräsentative Vereinigung nur mangels Vorlage eines Mitgliederverzeichnisses verneint, ohne eine Gesamtbetrachtung aller Umstände
unter Einbeziehung insbesondere der Satzung des BPI, des dem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe beigefügten Auszugs aus dem Vereinsregister
und seiner Beteiligung am Untersuchungsverfahren vor der Kommission gemäß Art. 108 Abs. 2 AEUV vorzunehmen. Diese Umstände hätten aber für
den Nachweis genügt, dass der BPI den deutschen Pharmasektor repräsentiere.
Allergopharma hält den Rechtsmittelgrund für teilweise unzulässig, jedenfalls für unbegründet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Rechtsmittel gemäß Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV und Art. 58 Abs. 1 der Satzung des
Gerichtshofs der Europäischen Union auf Rechtsfragen beschränkt und kann nicht auf die fehlerhafte Würdigung von Tatsachen gestützt werden. Für
die Beweiswürdigung ist daher allein das Gericht bzw. dessen Präsident oder der Richter, der die Aufgaben des Präsidenten des Gerichts wahrnimmt,
zuständig. Somit ist die Würdigung der Beweise, sofern diese nicht verfälscht worden sind, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des
Gerichtshofs bzw. dessen Vizepräsidenten im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegen würde (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse des Präsidenten des
Gerichtshofs vom 17. Oktober 2011, Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie u. a./Rat u. a., C‑2/11 P[I], nicht veröffentlicht,
EU:C:2011:664, Rn. 22, und Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie u. a./Rat u. a. C‑3/11 P[I], nicht veröffentlicht, EU:C:2011:665,
Rn. 26, sowie Beschluss vom 30. Januar 2014, Industrias Alen/The Clorox Company, C‑422/12 P, EU:C:2014:57, Rn. 37).
10
Eine solche Verfälschung muss sich zudem in offensichtlicher Weise aus den Akten ergeben, ohne dass es einer neuen Tatsachen- und
Beweiswürdigung bedarf (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. Oktober 2011, Gesamtverband der deutschen Textil- und
Modeindustrie u. a./Rat u. a., C‑2/11 P[I], nicht veröffentlicht, EU:C:2011:664, Rn. 23, und Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie
u. a./Rat u. a. C‑3/11 P[I], nicht veröffentlicht, EU:C:2011:665, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
11
Im vorliegenden Fall hat der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts in Rn. 9 des angefochtenen Beschlusses die vom BPI nicht beanstandete
Feststellung getroffen, dass die Zulassung einer Vereinigung zur Streithilfe in einer Rechtssache u. a. voraussetze, dass die Vereinigung eine
beträchtliche Anzahl von Unternehmen des betreffenden Sektors vertrete.
12
Entgegen dem Vorbringen des BPI geht aus Rn. 13 des angefochtenen Beschlusses klar hervor, dass der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts
bei der Beurteilung der Repräsentativität des BPI alle von diesem vorgelegten Beweismittel geprüft hat. Er hat seine Feststellung, dass der BPI seine
Repräsentativität nicht belegt habe, also nicht allein darauf gestützt, dass der BPI kein Mitgliederverzeichnis vorgelegt habe. Seine Feststellung, dass
der BPI „weder sein Mitgliederverzeichnis noch sonst ein Dokument beigelegt [hat], das den Umfang seiner Repräsentativität belegen würde“,
impliziert klar, dass die vorgelegten Dokumente einschließlich der Satzung und des Auszugs aus dem Vereinsregister insoweit nicht genügten.
13
Im Übrigen lassen die Erwägungen des Präsidenten der Ersten Kammer des Gerichts keine Verfälschung der vom BPI vorgebrachten Tatsachen
erkennen. Insbesondere hat er in Rn. 13 des angefochtenen Beschlusses zu Recht angenommen, dass die bloße Behauptung des BPI, er vertrete
eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen des betreffenden Sektors, für den Beweis der Repräsentativität des BPI nicht genüge. Entsprechende
Feststellungen hätten nämlich getroffen werden können, wenn der BPI einfach sein Mitgliederverzeichnis vorgelegt hätte (vgl. entsprechend
Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. Oktober 2011, Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie u. a./Rat u. a.,
C‑3/11 P[I], nicht veröffentlicht, EU:C:2011:665, Rn. 31).
14
Was das Vorbringen des BPI angeht, in einem vergleichbaren, die Interessen der pharmazeutischen Industrie berührenden Fall habe der
Vizepräsident des Gerichtshofs mit Beschluss vom 28. November 2013, EMA/InterMune UK u. a. (C‑390/13 P[R], EU:C:2013:795, Rn. 25), bereits
entschieden, dass ein europäischer Verband der Pharmaindustrie ein Interesse am Ausgang des Verfahrens habe, ohne dass ein
Mitgliederverzeichnis vorgelegt worden sei, kann es mit dem Hinweis sein Bewenden haben, dass es dort um einen Antrag auf vorläufigen
Rechtsschutz ging und dass ein solches Verfahren durch eine summarische Prüfung gekennzeichnet ist, was der Vizepräsident des Gerichtshofs
durch seine Feststellung hervorgehoben hat, dass der betreffende Verband auf den ersten Blick ein Rechtsschutzinteresse habe.
15
Was die Beteiligung des BPI als Beteiligter im Verwaltungsverfahren vor dem Erlass des Beschlusses 2015/1300 angeht, kann es mit der Feststellung
sein Bewenden haben, dass die Eigenschaft einer Unternehmensvereinigung als Beteiligte nach Art. 1 Buchst. h der Verordnung (EG) Nr. 659/1999
des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. 1999, L 83, S. 1) lediglich voraussetzt, dass
ihre Interessen aufgrund der Gewährung einer Beihilfe beeinträchtigt sind. Auf ihre Repräsentativität kommt es dabei nicht an. Dass eine
Unternehmensvereinigung in einem Verwaltungsverfahren vor der Kommission als Beteiligte zugelassen wurde, ist also irrelevant, wenn es darum
geht, in einem Gerichtsverfahren im Hinblick auf die Streithilfe zu bestimmen, ob der Verband eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen des
betreffenden Sektors vertritt.
16
Somit ist der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.
Zum zweiten Rechtsmittelgrund
17
Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund rügt der BPI, der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts habe dadurch, dass er in Rn. 13 des
angefochtenen Beschlusses festgestellt habe, dass „der BPI … keinerlei Nachweis für seine Behauptung erbracht hat, dass er eine beträchtliche
Anzahl von Unternehmen des betreffenden Sektors vertrete“, Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 143
Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts rechtsfehlerhaft angewandt. Damit habe der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts nämlich ein
echtes Beweiserfordernis aufgestellt, während Art. 143 Abs. 2 Buchst. g lediglich „die Darstellung der Umstände, aus denen sich das Recht zum
Streitbeitritt ergibt, wenn der Antrag gemäß Artikel 40 Absatz 2 oder 3 der Satzung [des Gerichtshofs der Europäischen Union] gestellt wird“, also
„eine schlüssige Darlegung der betreffenden Umstände“, verlange.
18
Allergopharma hält den zweiten Rechtsmittelgrund für unbegründet.
19
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs hat grundsätzlich derjenige, der sich zur Stützung eines Anspruchs auf Tatsachen beruft, diese zu
beweisen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. Januar 2008, Provincia di Ascoli Piceno und Comune di Monte Urano/Apache
Footwear u. a., C‑464/07 P[I], nicht veröffentlicht, EU:C:2008:49, Rn. 9 und die dort angeführte Rechtsprechung).
20
Entgegen dem Vorbringen des BPI lässt sich dem Wortlaut von Art. 143 Abs. 2 Buchst. g der Verfahrensordnung des Gerichts nicht entnehmen, dass
für einen Antrag auf Zulassung zur Streithilfe gemäß Art. 40 Abs. 2 und 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union gegenüber dem
Grundsatz, dass derjenige, der sich zur Stützung eines Anspruchs auf Tatsachen beruft, diese zu beweisen hat, Beweiserleichterungen gelten.
21
Im Übrigen ist die einzige bisher ergangene Entscheidung des Gerichtshofs, auf die der BPI seine Auslegung der genannten Vorschriften stützt, der
Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 28. November 2013, EMA/InterMune UK u. a. (C‑390/13 P[R], EU:C:2013:795, Rn. 25), der, wie
bereits in Rn. 14 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes betraf. Selbst wenn sich der Vizepräsident
des Gerichtshofs dort mit einem niedrigeren Beweismaß begnügt hätte, ließe sich ein solcher Ansatz, nur weil er in dieser Rechtssache angewandt
wurde, wegen des nach Art. 39 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union gebotenen summarischen Charakters der Prüfung in einem
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht auf Verfahren übertragen, die keine Anträge auf einstweilige Anordnungen betreffen.
22
Mithin ist auch der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.
23
Folglich ist das Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen.
Kosten
24
Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist, über die Kosten. Nach Art. 138
der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende
Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
25
Da der BPI mit allen seinen Rechtsmittelgründen unterlegen ist, hat er gemäß dem Antrag von Allergopharma seine eigenen Kosten und die Kosten
von Allergopharma zu tragen.
Aus diesen Gründen hat der Vizepräsident des Gerichtshofs beschlossen:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. trägt seine eigenen Kosten und die Kosten der Allergopharma GmbH & Co.
KG.
Unterschriften
*
Verfahrenssprache: Deutsch.