Urteil des EuGH vom 12.07.2001

EuGH: verordnung, genehmigung, regierung, mitgliedstaat, behandlung im ausland, belgien, chirurgischer eingriff, soziale sicherheit, krankheitskosten, versorgung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
12. Juli 2001
„Soziale Sicherheit - Krankenversicherung - Artikel 22 und 36 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 -
Dienstleistungsfreiheit - Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) - In einem anderen
Mitgliedstaat entstandene Krankenhauskosten - Später für unbegründet erklärte Versagung der
Genehmigung“
In der Rechtssache C-368/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) von der Cour du travail
Mons (Belgien) in dem bei dieser anhängigen Rechtsstreit
Abdon Vanbraekel u. a.
gegen
Alliance nationale des mutualités chrétiennes (ANMC)
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 22 und 36 der Verordnung
(EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf
Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und
abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6)
geänderten und aktualisierten Fassung und des Artikels 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG)
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten C. Gulmann, A. La Pergola
(Berichterstatter), M. Wathelet und V. Skouris sowie der Richter D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet, P. Jann, L.
Sevón, R. Schintgen und der Richterin F. Macken,
Generalanwalt: A. Saggio
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der belgischen Regierung, vertreten durch J. Devadder als Bevollmächtigten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und C.-D. Quassowski als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch R. Silva de Lapuerta als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger und A. de Bourgoing als
Bevollmächtigte,
- der irischen Regierung, vertreten durch M. A. Buckley als Bevollmächtigten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra als Bevollmächtigten,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins als Bevollmächtigten im Beistand
von S. Moore, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Hillenkamp und H. Michard als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der belgischen Regierung, vertreten durch A. Snoecx als
Bevollmächtigte, der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten, der deutschen
Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing, der spanischen Regierung, vertreten durch R. Silva de Lapuerta,
der französischen Regierung, vertreten durch C. Bergeot als Bevollmächtigte, der irischen Regierung,
vertreten durch B. Lenihan, SC, und N. Hyland, BL, der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A.
Fierstra, der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer, der finnischen Regierung,
vertreten durch T. Pynnä, der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse als Bevollmächtigten, der
Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Moore, und der Kommission, vertreten durch H.
Michard, in der Sitzung vom 22. Februar 2000
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Mai 2000,
folgendes
Urteil
1.
Die Cour du travail Mons hat mit Urteil vom 9. Oktober 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 16.
Oktober 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung der
Artikel 22 und 36 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der
Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren
Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung
(EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten
Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) und des Artikels 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt
Artikel 49 EG) zur Vorentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Vanbraekel und seinen sechs Kindern
als Erben von Frau Descamps einerseits und der Alliance nationale des mutualités chrétiennes (im
Folgenden: ANMC) andererseits, bei dem es um die Ablehnung der ANMC geht, Krankenhauskosten zu
erstatten, die Frau Descamps im Zusammenhang mit einer orthopädischen Operation in einem
Krankenhaus in Frankreich entstanden sind.
Rechtlicher Rahmen
3.
Artikel 22 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:
„Ein Arbeitnehmer oder Selbstständiger, der die nach den Rechtvorschriften des zuständigen Staates
für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung
des Artikels 18, erfüllt und
a) dessen Zustand während eines Aufenthalts im Gebiet eines anderen als des zuständigen
Mitgliedstaats unverzüglich Leistungen erfordert oder
b) ...
c) der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen
Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten,
hat Anspruch auf:
i) Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder
Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtvorschriften, als ob er bei diesem versichert
wäre; die Dauer der Leistungsgewährung richtet sich jedoch nach den Rechtvorschriften des
zuständigen Staates;
ii) Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtvorschriften.
Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts
können diese Leistungen jedoch vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den
Rechtvorschriften des zuständigen Staates für Rechnung des zuständigen Trägers gewährt werden.“
4.
Artikel 22 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:
„Die nach Absatz 1 Buchstabe c) erforderliche Genehmigung darf nicht verweigert werden, wenn die
betreffende Behandlung zu den Leistungen gehört, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats
vorgesehen sind, in dessen Gebiet der Betreffende wohnt, und wenn er in Anbetracht seines
derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit diese Behandlung
nicht in einem Zeitraum erhalten kann, der für diese Behandlungen in dem Staat, in dem er seinen
Wohnsitz hat, normalerweise erforderlich ist.“
5.
Abschnitt 7 von Titel III Kapitel 1 der Verordnung Nr. 1408/71 mit der Überschrift „Erstattung
zwischen Trägern“ umfasst Artikel 36, der wie folgt lautet:
„(1) Aufwendungen für Sachleistungen, die aufgrund dieses Kapitels vom Träger eines
Mitgliedstaats für Rechnung des Trägers eines anderen Mitgliedstaats gewährt worden sind, sind in
voller Höhe zu erstatten, soweit Artikel 32 nicht etwas anderes vorsieht.
(2) Erstattungen nach Absatz 1 werden nach Maßgabe der Durchführungsverordnung gemäß Artikel
98 entweder gegen Nachweis der tatsächlichen Aufwendungen oder unter Zugrundelegung von
Pauschalbeträgen festgestellt und vorgenommen.
Die Pauschalbeträge müssen den wirklichen Ausgaben möglichst genau entsprechen.
3) Zwei oder mehr Mitgliedstaaten oder die zuständigen Behörden dieser Staaten können andere
Erstattungsverfahren vereinbaren oder auf jegliche Erstattung zwischen den unter ihre Zuständigkeit
fallenden Trägern verzichten.“
6.
Artikel 76 quater Absatz 1 des Gesetzes vom 9. August 1963 über die Einrichtung und
Ausgestaltung eines Systems der Pflichtversicherung gegen Krankheit und Invalidität (im Folgenden:
Gesetz vom 9. August 1963) sah zum Zeitpunkt des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens vor:
„Sofern der König keine Ausnahme vorgesehen hat, werden die in diesem Gesetz vorgesehenen
Leistungen nicht gewährt, wenn sich der Empfänger zu dem Zeitpunkt, zu dem er die Leistungen
beantragt, nicht tatsächlich in Belgien befindet oder wenn die Gesundheitsleistungen im Ausland
erbracht worden sind.“
7.
Artikel 221 Absatz 1 der Königlichen Verordnung vom 4. November 1963 zur Durchführung des
Gesetzes vom 9. August 1963 bestimmt:
„Im Ausland erbrachte Gesundheitsleistungen werden bewilligt:
...
2. dem Empfänger, wenn die Wiederherstellung seiner Gesundheit einen Krankenhausaufenthalt
erfordert, der im Ausland unter besseren medizinischen Bedingungen erfolgen kann und der zuvor
vom Vertrauensarzt für unerlässlich befunden worden ist.“
8.
Die belgische Regierung führt jedoch in ihren schriftlichen Erklärungen aus, dass die Anträge auf
Genehmigung der Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat nunmehr anhand von Artikel 22 der
Verordnung Nr. 1408/71 und nicht mehr anhand der erwähnten belgischen Regelung geprüft würden.
9.
So gehe aus den im Runderlass Nr. 83/54-80/54 des Institut national d'assurance maladie-invalidité
(Staatliche Anstalt für Kranken- und Invaliditätsversicherung, INAMI) vom 4. Februar 1983 enthaltenen
ministeriellen Weisungen hervor, dass die belgische Regelung keine Anwendung mehr finde, wenn der
in Rede stehende Sachverhalt durch das Gemeinschaftsrecht geregelt werde.
10.
Der ministerielle Runderlass O. A. Nr. 81/215 - 80/51 vom 18. Juni 1971 enthält folgende Regelung
für die Ausstellung des Formblatts E 112 im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom
21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 74, S. 1) und somit für die
Erstattung in einem anderen Mitgliedstaat erbrachter ärztlicher Leistungen:
„I. In Bezug auf die Anwendung von Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 sind folgende Grundsätze
zu beachten:
1. Die Genehmigung der Behandlung im Ausland darf nicht erteilt werden, wenn die Behandlung auf
medizinisch-technischer Ebene auch in Belgien erfolgen kann;
2. wird eine Genehmigung einer Behandlung im Ausland in ganz außerordentlichen Fällen erteilt, d.
h., wenn die Behandlung in Belgien nicht erfolgen kann, so hat der Vertrauensarzt die Krankenanstalt
und/oder den Facharzt und den vorgesehenen Behandlungszeitraum klar anzugeben:
3. vorbehaltlich von Nummer 2 können die von belgischen Versicherungen nicht gedeckten
Leistungen nicht im Ausland erbracht werden, d. h. es darf kein Formblatt E 112 für Leistungen
ausgestellt werden, die in Belgien von der obligatorischen Krankenversicherung und
Invaliditätsversicherung nicht erstattet werden könnten (absolute Einschränkung);
...“
Der Sachverhalt und die Vorlagefrage
11.
Frau Descamps, eine in Belgien wohnende und der ANMC angeschlossene belgische
Staatsangehörige, die an einer doppelseitigen Gonarthrose litt, beantragte bei dieser im Februar
1990 die Genehmigung für einen von der ANMC zu übernehmenden orthopädisch-chirurgischen Eingriff
in Frankreich.
12.
Diese Genehmigung wurde mit der Begründung abgelehnt, der Antrag sei unzureichend begründet,
da Frau Descamps nicht das Gutachten eines in einer inländischen Hochschuleinrichtung tätigen
Arztes vorgelegt habe.
13.
Frau Descamps unterzog sich im April 1990 ungeachtet des Fehlens einer Genehmigung dem
erwähnten Eingriff in Frankreich und erhob dann beim Tribunal dutravail Tournai (Belgien) Klage auf
Erstattung der Kosten dieser Behandlung durch die ANMC.
14.
Das Tribunal du travail Tournai wies die Klage mit Urteil vom 10. Dezember 1991 ab. Es führte aus,
dass die Versagung durch die ANMC u. a. deshalb begründet sei, weil Frau Descamps „nicht unter
Vorlage zumindest des Gutachtens eines belgischen Universitätsprofessors den Nachweis erbracht
[hat], dass der in Frankreich vorgenommene Eingriff unter besseren medizinischen Bedingungen als
denjenigen vorgenommen wurde, unter denen er in Belgien hätte durchgeführt werden können“.
15.
Die Cour du travail Mons, bei der Frau Descamps gegen diese Entscheidung Rechtsmittel einlegte,
stellte mit Zwischenurteil vom 8. Oktober 1993 fest, dass das vom Tribunal du travail Tournai
festgestellte Erfordernis einer Stellungnahme eines belgischen Universitätsprofessors für die Zwecke
der Genehmigung überzogen sei. Mit demselben Urteil beauftragte sie einen Sachverständigen, ein
Gutachten darüber zu erstellen, ob die Wiederherstellung von Frau Descamps im März 1990 einen
Krankenhausaufenthalt erforderte, der im Ausland unter besseren medizinischen Bedingungen als in
Belgien erfolgen konnte.
16.
Nach dem Gutachten des Sachverständigen, das am 29. Dezember 1994 vorgelegt wurde,
erforderte „die Wiederherstellung der Gesundheit von Frau Jeanne Descamps im März 1990 einen
Krankenhausaufenthalt, der im Ausland unter besseren medizinischen Bedingungen erfolgen konnte
(chirurgischer Eingriff von Dr. Cartier in Paris, Artikel 221 Absatz 1 der Königlichen Verordnung vom 4.
November 1963)“.
17.
Aus dem Vorbringen vor der Cour du travail Mons nach der Vorlage des
Sachverständigengutachtens geht hervor, dass sich die Erstattung der Frau Descamps entstandenen
Krankheitskosten unter den Umständen des Ausgangsverfahrens bei Zugrundelegung der im
französischen Recht vorgesehenen Erstattungskoeffizienten auf 38 608,89 FRF und bei Anwendung
der im belgischen Recht vorgesehenen Erstattungskoeffizienten auf 49 935,44 FRF belaufen würde.
18.
Frau Descamps starb im Laufe des Verfahrens am 10. August 1996. Ihre Erben - ihr Ehemann, Herr
Vanbraekel, und ihre sechs Kinder - haben das Verfahren aufgenommen.
19.
Aufgrund des Gutachtens des vom Gericht bestellten Sachverständigen hat die Cour du travail
Mons ausgeführt, dass die ANMC zur Übernahme der Kosten des Krankenhausaufenthalts von Frau
Descamps „gemäß Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 und den Artikeln 59 und 60 des Vertrages“
verurteilt würde. Unter Hinweis darauf, dass nur noch die Frage der Höhe dieser Kostenübernahme zu
entscheiden sei, hat die Cour du travail Mons das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende
Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Wenn das nationale Gericht im Rahmen eines bei ihm anhängigen Rechtsstreits die Notwendigkeit
einer Krankenhauspflege in einem anderen Mitgliedstaat als dem des zuständigen Trägers anerkannt
hat, während die vorherige Genehmigung nach Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 versagt worden
war,
a) hat dann die Erstattung der Kosten der Krankenhauspflege nach der Regelung des Staates des
zuständigen Trägers oder nach der Regelung des Staates zu erfolgen, in dessen Gebiet die
Krankenhauspflege stattfand?
b) Ist eine in den Rechtsvorschriften des Staates des zuständigen Trägers vorgesehene Begrenzung
der Höhe der Erstattung im Hinblick auf Artikel 36 der Verordnung Nr. 1408/71 zulässig, in dem von
einer Erstattung in voller Höhe die Rede ist?
Zur Zulässigkeit
20.
Nach Ansicht der irischen und der niederländischen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten
Königreichs gibt das Vorlageurteil nicht genau an, weshalb das nationale Gericht einer Auslegung des
Gemeinschaftsrechts bedarf, um den Rechtsstreit entscheiden zu können, und enthält keine
ausreichenden tatsächlichen und rechtlichen Angaben, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, ihr
Recht, beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen einzureichen, wirksam auszuüben.
21.
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine dem nationalen Gericht dienliche Auslegung des
Gemeinschaftsrechts nur möglich, wenn dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in
dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf
denen diese Fragen beruhen (vgl. u. a. Urteil vom 26. Januar 1993 in den Rechtssachen C-320/90, C-
321/90 und C-322/90, Telemarsicabruzzo u. a., Slg. 1993, I-393, Randnr. 6, Beschlüsse vom 19. März
1993 in der Rechtssache C-157/92, Banchero, Slg. 1993, I-1085, Randnr. 4, vom 30. April 1998 in den
Rechtssachen C-128/97 und C-137/97, Testa und Modesti, Slg. 1998, I-2181, Randnr. 5, und vom 28.
Juni 2000 in der Rechtssache C-116/00, Laguillaumie, Slg. 2000, I-4979, Randnr. 15). Der Gerichtshof
hat auch wiederholt hervorgehoben, wie wichtig es ist, dass das vorlegende Gericht genau angibt,
warum ihm die Auslegung des Gemeinschaftsrechts fraglich und die Vorlage von
Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof erforderlich erscheint (u. a. Beschlüsse vom 25. Juni
1996 in der Rechtssache C-101/96, Italia Testa, Slg. 1996, I-3081, Randnr. 6, Testa und Modesti,
Randnr. 15, und Laguillaumie, Randnr. 16).
22.
Im vorliegenden Fall hat das nationale Gericht derartige Anforderungen jedoch nicht verkannt.
23.
Denn das Vorlageurteil enthält die Angabe der anwendbaren Bestimmungen des nationalen Rechts
und eine Beschreibung des Sachverhalts, die zwar kurz ist, doch ausreicht, um dem Gerichtshof die
Entscheidung zu ermöglichen.
24.
Im Übrigen hat das vorlegende Gericht, wie zuvor ausgeführt worden ist, bereits entschieden, dass
unter den im Ausgangsverfahren vorliegenden Umständen die Voraussetzungen erfüllt sind, von
denen das Gemeinschaftsrecht das Bestehen eines Anspruchs auf Erstattung für eine Behandlung in
einem anderen Mitgliedstaat als dem der Versicherungszugehörigkeit abhängig macht. Wie im
Vorlageurteil hervorgehoben, soll mit dem Auslegungsersuchen an den Gerichtshof nur bestimmt
werden, wie hoch die zu gewährende Erstattung sein muss, und insbesondere, ob in dieser Beziehung
die im Mitgliedstaat der Versicherungszugehörigkeit geltende Regelung oder aber die Regelung
aufgrund der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats anzuwenden ist, in dem die Behandlung erfolgt ist.
25.
Daher ist die vom Vorlagegericht gestellte Frage sehr wohl zu prüfen.
Zum ersten Teil der Vorlagefrage
26.
Mit dem ersten Teil seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in Fällen, in denen
jemand einen Antrag auf Genehmigung gemäß Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr.
1408/71 gestellt ist, dieser Antrag abgelehnt worden ist und die Unbegründetheit dieser Ablehnung
später festgestellt wird, die Erstattung der Behandlungskosten durch den zuständigen Träger nach
den im Mitgliedstaat der Versicherungszugehörigkeit geltenden Bestimmungen oder aber nach den
Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats zu erfolgen hat, in dem die Behandlung vorgenommen worden
ist.
27.
Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Frage ist vorab darauf hinzuweisen, dass es sich, obwohl
das nationale Gericht dies nicht darlegt, bei den Gemeinschaftsbestimmungen, deren Auslegung für
die Beantwortung der aufgeworfenen Frage erheblich ist, um Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c in
Verbindung mit Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 und um Artikel 59 des Vertrages handelt.
28.
Wie schon angegeben, führt das vorlegende Gericht ferner aus, es habe selbst entschieden, dass
die Krankheitskosten, um die es im Ausgangsverfahren geht, „gemäß Artikel 22 der Verordnung Nr.
1408/71 und den Artikeln 59 sowie 60 des Vertrages“ von der ANMC zu übernehmen sind.
29.
Zur Anwendbarkeit von Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 im vorliegenden Ausgangsverfahren
ist erstens darauf hinzuweisen, dass Frau Descamps einen Antrag auf vorherige Genehmigung gemäß
dieser Bestimmung gestellt und das vorlegende Gericht die ihr gegenüber ausgesprochene
Versagung der Genehmigung für unwirksam erklärt hat.
30.
Zweitens erlaubt es der Umstand, dass die Versagung der Genehmigung im Ausgangsverfahren
aufgrund der Kriterien für die Genehmigung im nationalen Recht und nicht aufgrund der Kriterien des
Artikels 22 Absatz 2 Unterabsatz 2 derVerordnung Nr. 1408/71 für unbegründet befunden worden ist,
nicht, mit der belgischen Regierung davon auszugehen, dass diese Verordnung nicht anzuwenden sei.
31.
Denn aus Artikel 22 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 ergibt sich, dass in dieser
Bestimmung nur festgelegt werden soll, unter welchen Umständen es ausgeschlossen ist, dass der
zuständige nationale Träger die gemäß Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c beantragte Genehmigung
versagen kann. Diese Bestimmung soll dagegen keineswegs die Fälle begrenzen, in denen eine
derartige Genehmigung gemäß Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c erteilt werden kann. Wird eine
Genehmigung auf der Grundlage einer nationalen Bestimmung erteilt, die, wie die im
Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung, die Erteilung der Genehmigung vorsieht, wenn
nachgewiesen ist, dass eine Krankenhauspflege unter besseren medizinischen Bedingungen im
Ausland erbracht werden kann, so ist daher davon auszugehen, dass eine derartige Genehmigung
eine Genehmigung im Sinne von Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 darstellt.
32.
Zum Umfang der Ansprüche, die Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 einem
Sozialversicherten verleiht, dem eine Genehmigung erteilt worden ist, ergibt sich aus Absatz 1 Ziffer i,
dass einem solchen Versicherten grundsätzlich Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers
vom Träger des Aufenthaltsorts nach den Rechtsvorschriften des Staates der Leistungserbringung zu
gewähren sind, als ob er dort versichert wäre, und dass sich nur die Dauer der Leistungsgewährung
weiterhin nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates richtet. Indem diese Bestimmung den
Sozialversicherten, für die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gelten und denen eine
Genehmigung erteilt worden ist, so einen Zugang zur Behandlung in den anderen Mitgliedstaaten
unter ebenso günstigen Voraussetzungen gewährleistet, wie sie für die Sozialversicherten gelten, die
den Rechtsvorschriften der letztgenannten Staaten unterliegen, trägt sie dazu bei, die Freizügigkeit
der Sozialversicherten zu erleichtern.
33.
Nach allem müssen die nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Behandlung
erfolgt, geltenden Modalitäten der Kostenübernahme angewandt werden, und der zuständige Träger
hat später dem Träger des Aufenthaltsortes unter den in Artikel 36 der Verordnung Nr. 1408/71
vorgesehenen Voraussetzungen seine Aufwendungen zu erstatten.
34.
Die praktische Wirksamkeit wie auch die hinter diesen Bestimmungen stehenden Erwägungen
gebieten es im Übrigen, davon auszugehen, dass ein Sozialversicherter, wenn er einen Antrag auf
Genehmigung gemäß Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 gestellt hat, dieser
Antrag vom zuständigen Träger abgelehnt worden ist und die Unbegründetheit dieser Ablehnung
später entweder vom zuständigen Träger selbst oder durch gerichtliche Entscheidung festgestellt
wird, einen unmittelbaren Anspruch gegen den zuständigen Träger auf eine Erstattung in der Höhe
hat, wie sie normalerweise zu erbringen gewesen wäre, wenn die Genehmigung von Anfang an
ordnungsgemäß erteilt worden wäre.
35.
Soweit das vorlegende Gericht ausführt, dass die Erstattung, die bei Anwendung der belgischen
Regelung gewährt werden könnte, höher sei als diejenige, die sich aus der Anwendung der
französischen Regelung ergäbe, und da es in diesem Zusammenhang die Frage nach der Höhe der
Erstattung aufwirft, auf die die Kläger des Ausgangsverfahrens als Erben von Frau Descamps nach
dem Gemeinschaftsrecht tatsächlich Anspruch haben, stellt sich die Frage, ob die Kläger zusätzlich
Anspruch auf eine ergänzende Erstattung gemäß dem Unterschied zwischen den beiden Regelungen
haben.
36.
Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 soll nicht die Erstattung der bei einer Behandlung in einem
anderen Mitgliedstaat entstandenen Kosten durch die Mitgliedstaaten zu den im Mitgliedstaat der
Versicherungszugehörigkeit geltenden Sätzen regeln und hindert die Mitgliedstaten daher nicht an
einer solchen Erstattung (Urteil vom 28. April 1998 in der Rechtssache C-158/06, Kohll, Slg. 1998, I-
1931, Randnr. 27), wenn die Rechtsvorschriften des Versicherungsmitgliedstaats eine derartige
Erstattung vorsehen und die nach diesen Rechtsvorschriften angewandten Sätze sich als günstiger
als diejenigen erweisen, die in dem Mitgliedstaat praktiziert werden, in dem die Behandlung erfolgt ist.
37.
Zwar hindert Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht an einer Erstattung, die diejenige
aufgrund der Anwendung der Regelung des Aufenthaltsmitgliedsstaats ergänzt, wenn sich die im
Versicherungsmitgliedstaat angewandte Regelung als günstiger erweist, doch schreibt die
Bestimmung auch nicht eine derartige ergänzende Erstattung vor. Daher ist zu prüfen, ob sich eine
derartige Verpflichtung aus Artikel 59 des Vertrages ergeben kann.
38.
Zunächst ist zu klären, ob der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens unter die
Dienstleistungsfreiheit im Sinne von Artikel 59 des Vertrages fällt.
39.
Einige Regierungen, die beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht haben, haben in der
Tat die Ansicht vertreten, dass Krankenhausdienstleistungen eine wirtschaftliche Betätigung im Sinne
von Artikel 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) sein können.
40.
Vorab sei darauf hingewiesen, dass Dienstleistungen nach Artikel 60 des Vertrages Leistungen
sind, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den
freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen.
41.
Im Übrigen fallen nach ständiger Rechtsprechung medizinische Tätigkeiten unter Artikel 60 des
Vertrages, ohne dass danach zu unterscheiden ist, ob die Behandlung im klinischen Rahmen oder
außerhalb davon erfolgt (Urteile vom 31. Januar 1984 in den Rechtssachen 286/82 und 26/83, Luisi
und Carbone, Slg. 1984, 377, Randnr. 16,vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-159/90, Society
for the Protection of Unborn Children Ireland, Slg. 1991, I-4685, Randnr. 18, und Kohll, Randnrn. 29
und 51).
42.
Ferner führen nach ständiger Rechtsprechung die Besonderheiten bestimmter Dienstleistungen
nicht dazu, dass diese nicht unter den elementaren Grundsatz des freien Verkehrs fallen (Urteile vom
17. Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80, Webb, Slg. 1981, 3305, Randnr. 10, und Kohll, Randnr.
20); dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung zum Bereich der sozialen
Sicherheit gehört, schließt daher die Anwendung der Artikel 59 und 60 des Vertrages nicht aus (Urteil
Kohll, Randnr. 21).
43.
Da die Krankenhausleistungen, um die es im Ausgangsverfahren geht, unter die
Dienstleistungsfreiheit fallen, ist sodann zu prüfen, ob es eine Beschränkung des freien
Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Artikel 59 des Vertrages herbeiführt, dass eine nationale
Regelung dem inländischen Versicherten, dem eine Krankenhauspflege in einem anderen
Mitgliedstaat gemäß Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 genehmigt worden
ist, keine Kostenübernahme in gleicher Höhe gewährleistet, wie sie ihm gewährt worden wäre, wenn er
in dem Mitgliedstaat seiner Versicherungszugehörigkeit im Krankenhaus behandelt worden wäre.
44.
Nach ständiger Rechtsprechung verstößt jede nationale Regelung gegen Artikel 59 EG-Vertrag, die
die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von Diensten
im Inneren eines Mitgliedstaats erschwert (Urteil vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-381/93,
Kommission/Frankreich, Slg. 1994, I-5145, Randnr. 17, und Kohll, Randnr. 33).
45.
Im vorliegenden Fall ist der Umstand, dass ein Sozialversicherter eine weniger günstige Erstattung
erhält, wenn er sich einer Krankenhausbehandlung in einem anderen Mitgliedstaat unterzieht, als
wenn er die gleiche Behandlung im Mitgliedstaat der Versicherungszugehörigkeit in Anspruch nimmt,
zweifellos geeignet ist, diesen Versicherten davon abzuschrecken oder ihn gar daran zu hindern, sich
an Erbringer von medizinischen Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten zu wenden, und sowohl
für diesen Versicherten als auch für die Dienstleistenden eine Behinderung des freien
Dienstleistungsverkehrs darstellt (in diesem Sinn Urteile Luisi und Carbone, Randnr. 16, vom 28.
Januar 1992 in der Rechtssache C-204/90, Bachmann, Slg. 1992, I-249, Randnr. 31, und Kohll, Randnr.
35).
46.
Daher ist schließlich zu prüfen, ob es sich objektiv rechtfertigen lässt, dass eine nationale Regelung
dem im Inland angeschlossenen Versicherten keine Deckung in mindestens ebenso vorteilhafter Höhe
gewährt, wenn Krankenhausdienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbracht werden.
47.
Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass sich nicht ausschließen lässt, dass eine erhebliche
Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden
Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der eineBeschränkung des freien
Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann (Urteil Kohll, Randnr. 41).
48.
Ebenso hat der Gerichtshof anerkannt, dass das Ziel, eine ausgewogene, allen zugängliche
ärztliche und klinische Versorgung aufrechtzuerhalten, zwar eng mit der Finanzierung des Systems der
sozialen Sicherheit verbunden ist, aber auch zu den Ausnahmen aus Gründen der öffentlichen
Gesundheit nach Artikel 56 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 46 EG) zählen kann, soweit es zur
Erzielung eines hohen Gesundheitsschutzes beiträgt (Urteil Kohll, Randnr. 50).
49.
Weiter hat der Gerichtshof festgestellt, dass Artikel 56 EG-Vertrag es den Mitgliedstaaten erlaubt,
den freien Dienstleistungsverkehr im Bereich der ärztlichen und klinischen Versorgung
einzuschränken, soweit die Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen
Versorgung oder eines bestimmten Niveaus der Heilkunde im Inland für die Gesundheit oder selbst
das Überleben ihrer Bevölkerung erforderlich ist (Urteil Kohll, Randnr. 51).
50.
In Bezug auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens ist jedoch festzustellen, dass keiner der in
den Randnummern 47 bis 59 dieses Urteils erwähnten zwingenden Gründe das im Ausgangsverfahren
vorliegende Hemmnis rechtfertigen kann.
51.
Denn hier hat das vorlegende Gericht entschieden, dass Frau Descamps einen Anspruch auf die
Genehmigung hatte, die in der nationalen Regelung, der sie unterlag, und in Artikel 22 Absatz 1
Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehen ist. Unter diesen Umständen kann nicht
angenommen werden, dass die Gewährung einer ergänzenden Erstattung gemäß dem Unterschied
zwischen der in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats der Versicherungszugehörigkeit
vorgesehenen Beteiligungsregelung und derjenigen, die vom Aufenthaltsmitgliedstaat angewandt
wird, dann, wenn die erstere günstiger als die letztere ist, im Mitgliedstaat der
Versicherungszugehörigkeit die Aufrechterhaltung einer ausgewogenen, allen zugänglichen ärztlichen
und klinischen Versorgung oder die Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und
pflegerischen Versorgung oder eines bestimmten Niveaus der Heilkunde im Inland gefährden würde.
52.
Da eine derartige ergänzende Erstattung, die sich nach der Beteiligungsregelung der
Versicherungsstaats bemisst, begrifflich keine zusätzliche finanzielle Belastung für das
Krankenversicherungssystem dieses Staates im Vergleich zu der Erstattung bedeutet, die im Fall der
Krankenhauspflege in diesem Staat hätte erbracht werden müssen, kann auch nicht angenommen
werden, dass es sich wesentlich auf die Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit auswirken
würde, wenn eine derartige ergänzende Erstattung zu Lasten des Krankenversicherungssystems geht
(Urteil Kohll, Randnr. 42).
53.
Nach allem ist auf den ersten Teil der Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 22 Absatz 1
Buchstabe c in Verbindung mit Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 so auszulegen ist, dass, wenn ein
Sozialversicherter vom zuständigen Träger dieGenehmigung erhalten hat, sich in einen anderen
Mitgliedstaat zu begeben, um sich dort behandeln zu lassen, der Träger des Aufenthaltsorts
verpflichtet ist, ihm Sachleistungen nach den für ihn geltenden Bestimmungen über die
Kostenübernahme für Leistungen der Gesundheitspflege zu erbringen, als ob der Betroffene bei ihm
versichert wäre.
Wurde ein Genehmigungsantrag, den ein Sozialversicherter gemäß Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c
der Verordnung Nr. 1408/71 gestellt hat, durch den zuständigen Träger abgelehnt und wird die
Unbegründetheit dieser Ablehnung später festgestellt, so hat der Betroffene einen unmittelbaren
Anspruch gegen den zuständigen Träger auf eine Erstattung in der Höhe, wie sie der Träger des
Aufenthaltsorts gemäß der Regelung nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zu erbringen
gehabt hätte, wenn die Genehmigung von Anfang an ordnungsgemäß erteilt worden wäre.
Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 soll keine Erstattung zu den im Mitgliedstaat der
Versicherungszugehörigkeit geltenden Sätzen regeln und hindert daher weder an der Gewährung
einer ergänzenden Erstattung gemäß dem Unterschied zwischen der Beteiligungsregelung nach den
Vorschriften dieses Staates und der für den Aufenthaltsmitgliedstaat geltenden Regelung noch
schreibt er eine solche Erstattung vor, wenn die erstere Regelung günstiger als die letztere ist und
die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats der Versicherungszugehörigkeit eine solche Erstattung
vorsehen.
Artikel 59 des Vertrages ist so auszulegen, dass dann, wenn die Erstattung von Kosten, die durch in
einem Aufenthaltsmitgliedstaat erbrachte Krankenhausdienstleistungen veranlasst worden sind, die
sich aus der Anwendung der in diesem Staat geltenden Regelung ergibt, niedriger als diejenige ist,
die sich aus der Anwendung der im Mitgliedstaat der Versicherungszugehörigkeit geltenden
Rechtsvorschriften im Fall einer Krankenhauspflege in diesem Staat ergeben würde, dem
Sozialversicherten vom zuständigen Träger eine ergänzende Erstattung gemäß dem genannten
Unterschied zu gewähren ist.
Zum zweiten Teil der Vorlagefrage
54.
Mit dem zweiten Teil seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 36 der
Verordnung Nr. 1408/71 so auszulegen ist, dass danach ein Sozialversicherter, der einen
Genehmigungsantrag gemäß Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 gestellt hat
und dem dieser Antrag vom zuständigen Träger abgelehnt worden ist, Anspruch auf Erstattung
sämtlicher Krankheitskosten hat, die ihm in dem Mitgliedstaat entstanden sind, in dem er behandelt
worden ist, wenn sich die Ablehnung seines Genehmigungsantrags als unbegründet erweist.
55.
Im Hinblick auf die Beantwortung der so umformulierten Frage genügt die Feststellung, dass bereits
nach dem Wortlaut von Artikel 36 der Verordnung Nr.1408/71 die vollständige Erstattung zwischen
Trägern, die diese Bestimmung regelt, nur Sachleistungen betrifft, die vom Träger eines
Aufenthaltsmitgliedstaats für Rechnung des zuständigen Trägers gemäß Titel III Kapitel 1 der
Verordnung gewährtwerden. Daher bezieht sich diese Erstattung, wie in den Randnummern 32 und 33
dieses Urteils dargelegt worden ist, nur auf die Sachleistungen, deren Übernahme durch den Träger
des Aufenthaltsorts in den für diesen geltenden Rechtsvorschriften vorgesehen ist, und genau in dem
Umfang, in dem diese Übernahme vorgesehen ist.
56.
Daher ist auf den zweiten Teil der Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 36 der Verordnung Nr.
1408/71 nicht so ausgelegt werden kann, dass danach ein Sozialversicherter, der einen
Genehmigungsantrag gemäß Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 gestellt hat
und dem dieser Antrag vom zuständigen Träger abgelehnt worden ist, Anspruch auf die Erstattung
sämtlicher Krankheitskosten hat, die ihm in dem Mitgliedstaat entstanden sind, in dem er behandelt
worden ist, wenn sich die Ablehnung seines Genehmigungsantrags als unbegründet erweist.
Kosten
57.
Die Auslagen der belgischen, der dänischen, der deutschen, der spanischen, der französischen,
der irischen, der niederländischen, der österreichischen, der finnischen und der schwedischen
Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die Erklärungen vor dem
Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens
ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm von der Cour du travail Mons mit Urteil vom 9. Oktober 1998 vorgelegte Frage für Recht
erkannt:
1. Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c in Verbindung mit Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71
des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf
Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der
Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des
Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung ist so auszulegen, dass,
wenn ein Sozialversicherter vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich
in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um sich dort behandeln zu lassen, der Träger
des Aufenthaltsorts verpflichtet ist, ihm Sachleistungen nach den für ihn
geltendenBestimmungen über die Kostenübernahme für Leistungen der
Gesundheitspflege zu erbringen, als ob der Betroffene bei ihm versichert wäre.
Wurde ein Genehmigungsantrag, den ein Sozialversicherter gemäß Artikel 22 Absatz 1
Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 gestellt hat, durch den zuständigen Träger
abgelehnt und wird die Unbegründetheit dieser Ablehnung später festgestellt, so hat der
Betroffene einen unmittelbaren Anspruch gegen den zuständigen Träger auf eine
Erstattung in der Höhe, wie sie der Träger des Aufenthaltsorts gemäß der Regelung nach
den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zu erbringen gehabt hätte, wenn die
Genehmigung von Anfang an ordnungsgemäß erteilt worden wäre.
Artikel 22 der Verordnung Nr. 1408/71 soll keine Erstattung zu den im Mitgliedstaat der
Versicherungszugehörigkeit geltenden Sätzen regeln und hindert daher weder an der
Gewährung einer ergänzenden Erstattung gemäß dem Unterschied zwischen der
Beteiligungsregelung nach den Vorschriften dieses Staates und der für den
Aufenthaltsmitgliedstaat geltenden Regelung noch schreibt er eine solche Erstattung vor,
wenn die erstere Regelung günstiger als die letztere ist und die Rechtsvorschriften des
Mitgliedstaats der Versicherungszugehörigkeit eine solche Erstattung vorsehen.
Artikel 59 des Vertrages ist so auszulegen, dass dann, wenn die Erstattung von Kosten,
die durch in einem Aufenthaltsmitgliedstaat erbrachte Krankenhausdienstleistungen
veranlasst worden sind, die sich aus der Anwendung der in diesem Staat geltenden
Regelung ergibt, niedriger als diejenige ist, die sich aus der Anwendung der im
Mitgliedstaat der Versicherungszugehörigkeit geltenden Rechtsvorschriften im Fall einer
Krankenhauspflege in diesem Staat ergeben würde, dem Sozialversicherten vom
zuständigen Träger eine ergänzende Erstattung gemäß dem genannten Unterschied zu
gewähren ist.
2. Artikel 36 der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 2001/83
geänderten und aktualisierten Fassung kann nicht so ausgelegt werden, dass danach ein
Sozialversicherter, der einen Genehmigungsantrag gemäß Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c
der Verordnung Nr. 1408/71 gestellt hat und dem dieser Antrag vom zuständigen Träger
abgelehnt worden ist, Anspruch auf die Erstattung sämtlicher Krankheitskosten hat, die
ihm in dem Mitgliedstat entstanden sind, in dem er behandelt worden ist, wenn sich die
Ablehnung seines Genehmigungsantrags als unbegründet erweist.
Rodríguez Iglesias
Gulmann
La Pergola
Wathelet
Skouris
Edward
Puissochet
Jann
Sevón
Schintgen
Macken
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Juli 2001.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Französisch.