Urteil des EuGH vom 13.01.2005

EuGH: kommission, spanien, anwendungsbereich, begriff, rüge, verwaltung, auftragsvergabe, wörtliche auslegung, regierung, veröffentlichung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
13. Januar 200
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinien 93/36/EWG und 93/37/EWG – Öffentliche Aufträge –
Verfahren zur Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge – Anwendungsbereich – Begriff des öffentlichen
Auftraggebers – Kooperationsvereinbarungen zwischen Verwaltungen – Begriff des Auftrags – Anwendung
des Verhandlungsverfahrens in Fällen, die nicht in der Richtlinie aufgeführt sind“
In der Rechtssache C-84/03
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 26. Februar 2003,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Königreich Spanien,
Luxemburg,
Beklagter,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter R. Schintgen, J. Makarczyk
(Berichterstatter), G. Arestis und J. Klučka,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die
Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1
Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass das
Königreich Spanien gegen seine Verpflichtungen aus dem EG‑Vertrag und den Richtlinien 93/36/EWG des
Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl.
L 199, S. 1) sowie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe
öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54) verstoßen hat, indem es diese Richtlinien nicht ordnungsgemäß
in seine nationale Rechtsordnung umgesetzt hat, insbesondere
die privatrechtlichen Einrichtungen, die alle Voraussetzungen erfüllen, die in Artikel 1 Buchstabe b
Unterabsatz 2 erster, zweiter und dritter Gedankenstrich der Richtlinien aufgeführt sind, vom
Anwendungsbereich der Ley de Contratos de las Administraciones Públicas (Gesetz über öffentliche
Aufträge) vom 16. Juni 2000, in der durch das Real Decreto Legislativo 2/2000 vom 16. Juni 2000
gebilligten Fassung (BOE Nr. 148 vom 21. Juni 2000, S. 21775, im Folgenden: neugefasstes Gesetz)
durch Artikel 1 Absatz 3 dieses Gesetzes ausgeschlossen hat,
in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des neugefassten Gesetzes Kooperationsvereinbarungen zwischen
der öffentlichen Verwaltung und den übrigen öffentlichen Einrichtungen und damit auch solche
Vereinbarungen, die öffentliche Aufträge im Sinne der genannten Richtlinien sind, vom
Anwendungsbereich des Gesetzes vollkommen ausgeschlossen hat und
in den Artikeln 141 Buchstabe a und 182 Buchstaben a und g dieses Gesetzes die Anwendung des
Verhandlungsverfahrens in zwei in den genannten Richtlinien nicht aufgeführten Fällen zugelassen
hat.
Rechtlicher Rahmen
2
Nach Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 93/37
„gelten als ‚öffentliche Auftraggeber‘: der Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen
Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen bestehen.
Als ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ gilt jede Einrichtung,
die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen,
die nicht gewerblicher Art sind, und
die Rechtspersönlichkeit besitzt und
die überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des
öffentlichen Rechts finanziert wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere
unterliegt oder deren Verwaltungs‑, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern
besteht, die vom Staat, den Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen
Rechts ernannt worden sind.
...“
3
Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 93/36 ist im Wesentlichen gleich.
4
Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Richtlinie 93/36 lautet:
„(2) Die öffentlichen Auftraggeber können Lieferaufträge im Verhandlungsverfahren vergeben, wenn im
Rahmen eines offenen oder nicht offenen Verfahrens nicht ordnungsgemäße Angebote oder nur Angebote
abgegeben worden sind, die nach den innerstaatlichen, mit Abschnitt IV zu vereinbarenden Vorschriften
unannehmbar sind, sofern die ursprünglichen Bedingungen des Auftrags nicht grundlegend geändert
werden. Die öffentlichen Auftraggeber veröffentlichen in diesen Fällen eine Vergabebekanntmachung, es sei
denn, sie beziehen in das betreffende Verhandlungsverfahren alle [Lieferanten] ein, die die Kriterien der
Artikel 20 bis 24 erfüllen und die im Verlauf des vorangegangenen offenen oder nicht offenen Verfahrens
Angebote unterbreitet haben, die den formalen Voraussetzungen für das Angebotsverfahren entsprechen.
(3) Die öffentlichen Auftraggeber können in folgenden Fällen Lieferaufträge im Verhandlungsverfahren
ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung vergeben:
a)
wenn nach Durchführung eines offenen oder nicht offenen Verfahrens keine Angebote bzw. keine
geeigneten Angebote abgegeben worden sind, sofern die ursprünglichen Bedingungen des Auftrags
nicht grundlegend geändert werden und unter der Voraussetzung, dass der Kommission ein Bericht
vorgelegt wird;
b)
wenn es sich um Erzeugnisse handelt, die nur zum Zweck von Forschungen, Versuchen,
Untersuchungen oder Entwicklungen hergestellt werden, wobei unter diese Bestimmung nicht eine
Serienfertigung zum Nachweis der Marktfähigkeit des Produkts oder zur Deckung der Forschungs- und
Entwicklungskosten fällt;
c)
wenn der Gegenstand der Lieferung wegen seiner technischen oder künstlerischen Besonderheiten
oder aufgrund des Schutzes eines Ausschließlichkeitsrechts nur von einem bestimmten Lieferanten
hergestellt oder geliefert werden kann;
d)
soweit dies unbedingt erforderlich ist, wenn dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit
Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht
zulassen, die in den offenen, den nicht offenen oder den Verhandlungsverfahren gemäß Absatz 2
vorgeschriebenen Fristen einzuhalten. Die angeführten Umstände zur Begründung der zwingenden
Dringlichkeit dürfen auf keinen Fall dem öffentlichen Auftraggeber zuzuschreiben sein;
e)
bei zusätzlichen, vom ursprünglichen Unternehmer durchgeführten Lieferungen, die entweder zur
teilweisen Erneuerung von gelieferten Waren oder Einrichtungen oder zur Erweiterung von Lieferungen
oder bestehenden Einrichtungen bestimmt sind, wenn ein Wechsel des Unternehmers dazu führen
würde, dass der öffentliche Auftraggeber Material unterschiedlicher technischer Merkmale kaufen
müsste und dies eine technische Unvereinbarkeit oder unverhältnismäßige technische
Schwierigkeiten bei Gebrauch und Wartung mit sich bringen würde. Die Laufzeit dieser Aufträge sowie
der Daueraufträge darf in der Regel drei Jahre nicht überschreiten.
(4) In allen anderen Fällen vergibt der öffentliche Auftraggeber seine Lieferaufträge im offenen oder nicht
offenen Verfahren.“
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Artikel 7 Absätze 3 und 4 der Richtlinie 93/37 lautet:
„(3) Die öffentlichen Auftraggeber können in den folgenden Fällen Bauaufträge im Verhandlungsverfahren
ohne vorherige Veröffentlichung einer Vergabebekanntmachung vergeben:
a)
wenn im Rahmen eines offenen oder nicht offenen Verfahrens keine oder keine geeigneten Angebote
abgegeben worden sind, sofern die ursprünglichen Bedingungen des Auftrags nicht grundlegend
geändert werden. Der Kommission muss ein Bericht vorgelegt werden, wenn sie dies wünscht;
b)
wenn die Arbeiten aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des Schutzes von
Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Unternehmen ausgeführt werden können;
c)
soweit dies unbedingt erforderlich ist, wenn dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit
Ereignissen, die die betreffenden öffentlichen Auftraggeber nicht voraussehen konnten, es nicht
zulassen, die in den offenen, den nicht offenen oder den Verhandlungsverfahren gemäß Absatz 2
vorgeschriebenen Fristen einzuhalten. Die angeführten Umstände zur Begründung der zwingenden
Dringlichkeit dürfen auf keinen Fall den öffentlichen Auftraggebern zuzuschreiben sein;
d)
bei zusätzlichen Bauarbeiten, die weder in dem der Vergabe zugrunde liegenden Entwurf noch im
zuerst geschlossenen Vertrag vorgesehen sind, die aber wegen eines unvorhergesehenen
Ereignisses zur Ausführung der darin beschriebenen Bauleistung erforderlich sind, sofern der Auftrag
an den Unternehmer vergeben wird, der diese Bauleistung ausführt:
wenn sich diese Arbeiten in technischer oder wirtschaftlicher Hinsicht nicht ohne wesentlichen
Nachteil für den öffentlichen Auftraggeber vom Hauptauftrag trennen lassen oder
wenn diese Arbeiten zwar von der Ausführung des ersten Vorhabens getrennt werden können,
aber für dessen Verbesserung unbedingt erforderlich sind.
Der Gesamtbetrag der Aufträge für die zusätzlichen Bauarbeiten darf jedoch 50 v. H. des Wertes des
Hauptauftrags nicht überschreiten;
e)
bei neuen Bauarbeiten, die in der Wiederholung gleichartiger Bauleistungen bestehen, die durch den
gleichen öffentlichen Auftraggeber an den Unternehmer vergeben werden, der den ersten Auftrag
erhalten hat, sofern sie einem Grundentwurf entsprechen und dieser Entwurf Gegenstand des ersten
Auftrags war, der nach den in Absatz 4 genannten Verfahren vergeben wurde.
Die Möglichkeit der Anwendung dieses Verfahrens muss bereits bei der Ausschreibung des ersten
Bauabschnitts angegeben werden; der für die Fortsetzung der Bauarbeiten in Aussicht genommene
Gesamtauftragswert wird vom öffentlichen Auftraggeber für die Anwendung von Artikel 6 berücksichtigt.
Dieses Verfahren darf jedoch nur binnen drei Jahren nach Abschluss des ersten Auftrags angewandt
werden.
(4) In allen anderen Fällen vergibt der öffentliche Auftraggeber seine Bauaufträge im offenen oder nicht
offenen Verfahren.“
6
Der persönliche Anwendungsbereich der spanischen Regelung der öffentlichen Auftragsvergabe wird in
Artikel 1 des neugefassten Gesetzes definiert und erfasst alle Territorialverwaltungen, sowohl auf der
staatlichen Ebene als auch auf der Ebene der Autonomen Gemeinschaften und auf der örtlichen Ebene.
7
Artikel 1 Absatz 3 des neugefassten Gesetzes bestimmt außerdem:
„Ebenso unterliegen diesem Gesetz die Auftragsvergabe der autonomen Einrichtungen in jedem Fall und die
der anderen mit einer öffentlichen Verwaltung verbundenen oder von dieser abhängigen Einrichtungen des
öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit dann, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
a) Sie wurden zu dem besonderen Zweck gegründet, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu
erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind;
b) es handelt sich um Einrichtungen, die überwiegend von der öffentlichen Verwaltung oder anderen
Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert werden oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch
diese unterliegen oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane mehrheitlich aus Mitgliedern
bestehen, die von der öffentlichen Verwaltung oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt
worden sind.“
8
Nach dem Sechsten Nachtrag zum neugefassten Gesetz mit dem Titel „Grundsätze der öffentlich-rechtlichen
Auftragsvergabe“ gilt: „Gewerbliche Unternehmen, an deren Kapital die öffentliche Verwaltung, deren
autonome Einrichtungen oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar mehrheitlich
beteiligt sind, beachten bei der Auftragsvergabe die Grundsätze der Veröffentlichung und des Wettbewerbs,
es sei denn, die Art des durchzuführenden Auftrags ist mit diesen Grundsätzen unvereinbar.“
9
Nicht unter das neugefasste Gesetz fallen nach dessen Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c „die
Kooperationsvereinbarungen, die die allgemeine Staatsverwaltung mit der Sozialversicherung, den
Autonomen Gemeinschaften, den Gebietskörperschaften, deren autonomen Einrichtungen und allen
anderen öffentlichen Einrichtungen schließt oder die diese Einrichtungen untereinander schließen“.
10
Nach den Artikeln 141 Buchstabe a (über Bauaufträge) und 182 Buchstabe a (über Lieferaufträge) des
neugefassten Gesetzes ist das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung zulässig, wenn ein
Auftrag nicht in einem offenen oder nicht offenen Verfahren vergeben werden konnte oder die Bewerber
nicht zum Vergabeverfahren zugelassen wurden, sofern die ursprünglichen Bedingungen des Auftrags bis
auf den Preis, der nicht um mehr als 10 % erhöht werden darf, nicht geändert wurden.
11
Nach Artikel 182 Buchstabe g des neugefassten Gesetzes kann das Verhandlungsverfahren ohne vorherige
Veröffentlichung in Verfahren angewandt werden, die Güter betreffen, deren Einheitlichkeit für die
allgemeine Verwendung durch die Verwaltung für erforderlich erklärt wurde, sofern der Mustertyp der
betreffenden Güter zuvor völlig unabhängig aufgrund einer Ausschreibung nach den Bestimmungen dieses
Titels ausgewählt wurde.
Das Vorverfahren
12
Da die Kommission der Ansicht war, dass mehrere Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinien 93/36
und 93/37 in spanisches Recht teilweise mit den genannten Richtlinien unvereinbar seien, richtete sie am
17. September 1997 ein Mahnschreiben und am 24. Juli 2000 ein ergänzendes Schreiben an das Königreich
Spanien.
13
Nachdem der Kommission von den spanischen Behörden das neugefasste Gesetz übermittelt worden war,
betrachtete sie einige Streitpunkte der Umsetzung als erledigt.
14
Da die Kommission jedoch der Ansicht war, dass die Richtlinien 93/36 und 93/37 immer noch nicht
ordnungsgemäß in spanisches Recht umgesetzt worden seien, richtete sie am 24. Januar 2001 eine mit
Gründen versehene Stellungnahme und am 31. Januar 2002 eine ergänzende mit Gründen versehene
Stellungnahme an das Königreich Spanien, in der sie den Mitgliedstaat aufforderte, die erforderlichen
Maßnahmen zu ergreifen, um den Stellungnahmen binnen zwei Monaten vom Zugang der Letzteren
nachzukommen.
15
Da die Kommission die Antwort des Königreichs Spanien auf die ergänzende mit Gründen versehene
Stellungnahme für unzureichend hielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.
Begründetheit
16
Die Kommission stützt ihre Klage auf drei Rügen.
17
Mit ihrer ersten Rüge wirft die Kommission dem Königreich Spanien vor, die privatrechtlichen Einrichtungen
vom Anwendungsbereich des neugefassten Gesetzes ausgeschlossen zu haben, obwohl diese auch
Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinien
93/36 und 93/37 sein könnten.
18
Mit ihrer zweiten Rüge wirft die Kommission dem Königreich Spanien vor, die zwischen den Einrichtungen des
öffentlichen Rechts geschlossenen Kooperationsvereinbarungen vom Anwendungsbereich des neugefassten
Gesetzes ausgeschlossen zu haben, obwohl diese Vereinbarungen öffentliche Aufträge im Sinne der
Richtlinien 93/36 und 93/37 sein könnten.
19
Mit ihrer dritten Rüge wirft die Kommission dem Königreich Spanien vor, die Anwendung des
Verhandlungsverfahrens in zwei von den Richtlinien 93/36 und 93/37 nicht aufgeführten Fällen zugelassen zu
haben, nämlich für die Auftragsvergabe nach einem für erfolglos erklärten Verfahren und für die Vergabe
von Lieferaufträgen für einheitliche Güter.
Zur ersten Rüge: Ausschluss von privatrechtlichen Einrichtungen, die die in Artikel 1 Buchstabe
b Unterabsatz 2 erster, zweiter und dritter Gedankenstrich der Richtlinien 93/36 und 93/37
genannten Voraussetzungen erfüllen, vom Anwendungsbereich des neugefassten Gesetzes
20
Nach Ansicht der Kommission stimmt der persönliche Anwendungsbereich des neugefassten Gesetzes nicht
mit dem der Richtlinien 93/36 und 93/37 überein, da die nationale Regelung nur für Einrichtungen gelte, die
im Sinne des spanischen Rechts einer öffentlich-rechtlichen Regelung unterworfen seien, obwohl die
juristische Form der betreffenden Einrichtung nichts mit der in diesen Richtlinien festgelegten Definition der
„Einrichtung des öffentlichen Rechts“ zu tun habe.
21
Unter Berufung auf das Urteil vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C‑44/96 (Mannesmann Anlagenbau
Austria u. a., Slg. 1998, I‑73, Randnrn. 17 bis 35) erinnert die Kommission an die Feststellung des
Gerichtshofes, dass unter „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ eine Einrichtung zu verstehen sei, die die
drei in Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 93/37 genannten Voraussetzungen gleichzeitig
erfülle.
22
Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes (insbesondere die Urteile vom 20. September
1988 in der Rechtssache 31/87, Beentjes, Slg. 1988, 4635, und vom 10. November 1998 in der Rechtssache
C‑360/96, BFI Holding, Slg. 1998, I‑6821) trägt die Kommission vor, dass der in Artikel 1 der Richtlinien 93/36
und 93/37 definierte Begriff des öffentlichen Auftraggebers funktionell auszulegen sei.
23
Überdies macht sie geltend, dass die von der spanischen Regierung vorgenommene Auslegung des Begriffs
„Einrichtung des öffentlichen Rechts“ dem Gemeinschaftsbegriff, der in der gesamten Gemeinschaft
einheitlich auszulegen sei, seine Selbständigkeit nehme.
24
Die spanische Regierung spricht sich für eine wörtliche Auslegung des Begriffs „Einrichtung des öffentlichen
Rechts“ aus. Sie ist der Ansicht, dass dieser Begriff in den Richtlinien 93/36 und 93/37 von der öffentlichen
Hand kontrollierte gewerbliche Unternehmen nicht erfasse. Zur Begründung beruft sie sich auf die Richtlinie
93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im
Bereich der Wasser‑, Energie‑ und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 199,
S. 84), die zwischen dem Begriff „Einrichtung des öffentlichen Rechts“, der mit dem in den Richtlinien über
öffentliche Aufträge identisch sei, und dem des „öffentlichen Unternehmens“ unterscheide, dessen
Definition dem öffentlichen gewerblichen Unternehmen entspreche.
25
Außerdem lehnt die spanische Regierung jede verallgemeinernde Lösung ab. Sie ist der Ansicht, dass eine
echte Abgrenzung des Begriffs „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ erst möglich sei, wenn der Begriff „im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben“ und vor allem der der „nicht gewerblichen Art“ dieser Aufgaben
durch eine eingehende Prüfung jeder Einrichtung bestimmt worden seien.
26
Die Kommission erwidert, dass die Richtlinie 93/38 eine Sonderregelung sei und wegen ihres
Ausnahmecharakters nicht zur Auslegung allgemeiner Vorschriften, im vorliegenden Fall der Richtlinien 93/36
und 93/37, herangezogen werden könne.
27
Nach ständiger Rechtsprechung wird der Begriff „Einrichtung des öffentlichen Rechts“, der als Begriff des
Gemeinschaftsrechts in der gesamten Gemeinschaft autonom und einheitlich auszulegen ist, durch die
ausschließliche Berücksichtigung der drei in Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinien 93/36 und
93/37 kumulativ aufgeführten Tatbestandsmerkmale funktionell bestimmt (Urteile Mannesmann Anlagenbau
Austria u. a., Randnrn. 20 und 21, vom 12. Dezember 2002 in der Rechtssache C-470/99, Universale-Bau
u. a., Slg. 2002, I‑11617, Randnrn. 51 bis 53, vom 15. Mai 2003 in der Rechtssache C-214/00,
Kommission/Spanien, Slg. 2003, I‑4667, Randnrn. 52 und 53, und vom 16. Oktober 2003 in der Rechtssache
C-283/00, Kommission/Spanien, Slg. 2003, I‑11697, Randnr. 69).
28
Daraus folgt, dass für die etwaige Einstufung einer privatrechtlich organisierten Einrichtung als Einrichtung
des öffentlichen Rechts ausschließlich zu prüfen ist, ob die betreffende Einrichtung die drei kumulativen
Tatbestandsmerkmale von Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinien 93/36 und 93/37 erfüllt, wobei
die privatrechtliche Rechtsform der Einrichtung kein Kriterium darstellt, das für sich allein deren Einstufung
als öffentlicher Auftraggeber im Sinne dieser Richtlinien ausschließen könnte (Urteil vom 15. Mai 2003,
Kommission/Spanien, Randnrn. 54, 55 und 60).
29
Der Gerichtshof hat darüber hinaus klargestellt, dass diese Auslegung nicht einer Verneinung des
gewerblichen Charakters der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, die die betreffende Einrichtung
wahrnimmt, gleichkommt, da dieser Gesichtspunkt bei der Prüfung berücksichtigt werden muss, ob die
Einrichtung die Voraussetzung des Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 erster Gedankenstrich der
Richtlinien 93/36 und 93/37 erfüllt (Urteil vom 16. Oktober 2003, Kommission/Spanien, Randnr. 75).
30
Im Übrigen kann diese Schlussfolgerung auch nicht dadurch entkräftet werden, dass in den Richtlinien 93/36
und 93/37 nicht ausdrücklich auf die besondere Gruppe der „öffentlichen Unternehmen“ Bezug genommen
wird, die dagegen in der Richtlinie 93/38 aufgeführt wird (Urteil vom 16. Oktober 2003, Kommission/Spanien,
Randnr. 76).
31
Aus alledem ergibt sich, dass die spanische Regelung den Begriff „öffentlicher Auftraggeber“ in Artikel 1
Buchstabe b der Richtlinien 93/36 und 93/37 nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, da sie die
privatrechtlichen Einrichtungen vom Anwendungsbereich der Regelung ausschließt, obwohl diese alle
Voraussetzungen erfüllen können, die in Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 erster, zweiter und dritter
Gedankenstrich dieser Richtlinien aufgeführt sind.
32
Daher ist der ersten Rüge der Kommission stattzugeben.
Zur zweiten Rüge: Ausschluss von Kooperationsvereinbarungen zwischen Einrichtungen des
öffentlichen Rechts vom Anwendungsbereich des neugefassten Gesetzes
33
Die Kommission stellt fest, dass das neugefasste Gesetz die Kooperationsvereinbarungen, die die
allgemeine Staatsverwaltung mit der Sozialversicherung, den Autonomen Gemeinschaften, den
Gebietskörperschaften, deren autonomen Einrichtungen und allen anderen öffentlichen Einrichtungen
schließe oder die diese Einrichtungen untereinander schlössen, vom Anwendungsbereich des Gesetzes
ausnehme. Dieser absolute Ausschluss stelle eine nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinien 93/36
und 93/37 dar, da einige dieser Vereinbarungen von gleicher Art wie die unter die Richtlinien fallenden
öffentlichen Aufträge sein könnten.
34
Dieser Ausschluss sei in den Richtlinien 93/36 und 93/37 nicht vorgesehen.
35
Die Kommission beruft sich auf die Definition des Auftrags in Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinien 93/36 und
93/37 und auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, nach der zum Nachweis eines Auftrags zu prüfen sei,
ob eine Vereinbarung zwischen zwei verschiedenen Personen getroffen worden sei (Urteil vom 18. November
1999 in der Rechtssache C‑107/98, Teckal, Slg. 1999, I‑8121, Randnr. 49). Sie vertritt daher unter
Berücksichtigung der genannten Gesichtspunkte die Meinung, dass Kooperationsvereinbarungen zwischen
Verwaltungen Aufträge im Sinne der Richtlinien 93/36 und 93/37 sein könnten.
36
Die spanische Regierung trägt vor, dass die Vereinbarungen die normale Form der Beziehungen zwischen
Einrichtungen des öffentlichen Rechts seien. Diese Beziehungen beträfen den Markt am Rande. Im Übrigen
sei fraglich, ob das Urteil Teckal richtig sei. Der Grundsatz in Artikel 6 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates
vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge
(ABl. L 209, S. 1) sei in den anderen Richtlinien über öffentliche Aufträge implizit enthalten.
37
Nach den Definitionen in Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinien 93/36 und 93/37 setzt ein öffentlicher Liefer‑
oder Bauauftrag einen schriftlichen entgeltlichen Vertrag über den Kauf von Waren oder die Ausführung
einer bestimmten Art von Arbeiten zwischen einem Lieferanten oder Unternehmer und einem öffentlichen
Auftraggeber im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b der genannten Richtlinien voraus.
38
Nach Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 93/36 genügt es grundsätzlich, dass der Vertrag zwischen einer
Gebietskörperschaft und einer rechtlich von dieser verschiedenen Person geschlossen wurde. Etwas
anderes kann nur dann gelten, wenn die Gebietskörperschaft über die betreffende Person eine Kontrolle wie
über ihre eigenen Dienststellen ausübt und diese Person zugleich im Wesentlichen für die sie
kontrollierende Gebietskörperschaft oder Gebietskörperschaften tätig ist (Urteil Teckal, Randnr. 50).
39
Aufgrund der Übereinstimmung, die zwischen den Definitionsmerkmalen eines Auftrags – abgesehen von
dessen Gegenstand – in den Richtlinien 93/36 und 93/37 besteht, ist die im Urteil Teckal gefundene Lösung
auf die von der Richtlinie 93/37 erfassten Vereinbarungen zwischen Verwaltungen anzuwenden.
40
Daher stellt die spanische Regelung im vorliegenden Fall eine nicht ordnungsgemäße Umsetzung der
Richtlinien 93/36 und 93/37 dar, da sie die Beziehungen, gleich welcher Art, zwischen den öffentlichen
Verwaltungen, ihren öffentlichen Einrichtungen und ganz allgemein den Einrichtungen des öffentlichen
Rechts, die nicht gewerblicher Art sind, von vornherein vom Anwendungsbereich des neugefassten Gesetzes
ausschließt.
41
Unter diesen Umständen ist der zweiten Rüge der Kommission stattzugeben.
Zur dritten Rüge: Anwendung des Verhandlungsverfahrens in zwei nicht in den Richtlinien 93/36
und 93/37 aufgeführten Fällen
42
Die Kommission ist der Ansicht, dass das neugefasste Gesetz die Anwendung des Verhandlungsverfahrens
in zwei in den Richtlinien 93/36 und 93/37 nicht aufgeführten Fällen zulasse: für die Auftragsvergabe nach
einem für erfolglos erklärten Verfahren und für die Vergabe von Lieferaufträgen für einheitliche Güter.
Vorbringen der Parteien
43
Nach Ansicht der Kommission verstoßen die Artikel 141 Buchstabe a und 182 Buchstabe a des
neugefassten Gesetzes durch die Zulassung einer Erhöhung des ursprünglichen Angebotspreises um 10 %
im Vergleich zum vorangegangenen offenen oder nicht offenen Verfahren gegen die Richtlinien 93/36 und
93/37, da sie eine grundlegende Änderung einer der ursprünglichen Bedingungen des Auftrags, nämlich des
Preises, erlaubten.
44
Die Liste der Fälle, in denen das Verhandlungsverfahren angewandt werden könne, sei abschließend. Daher
müsse der Begriff der nicht grundlegenden Änderung restriktiv ausgelegt werden.
45
Die spanische Regierung wirft der Kommission vor, sie habe nicht angegeben, welche Änderung des Preises
als grundlegend zu betrachten sei und welche Erhöhung nicht so zu qualifizieren sei. Aus Gründen der
Rechtssicherheit habe der spanische Gesetzgeber den unbestimmten Begriff „grundlegende Änderung der
ursprünglichen Bedingungen des Vertrages“ konkret ausgefüllt.
46
Die Kommission wendet dagegen ein, dass sie im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage weder die Grenzen
des Verstoßes bestimmen noch die Maßnahmen angeben müsse, die die beanstandete Vertragsverletzung
beseitigen könnten. Überdies dürfe das vom nationalen Gesetzgeber verfolgte Ziel der Klarstellung der in
den Richtlinien enthaltenen Begriffe nicht zu deren Nichtanwendung führen.
Würdigung durch den Gerichtshof
47
Wie sich insbesondere aus der zwölften Begründungserwägung der Richtlinie 93/36 und der achten
Begründungserwägung der Richtlinie 93/37 ergibt, hat das Verhandlungsverfahren Ausnahmecharakter und
darf nur in bestimmten, genau festgelegten Fällen zur Anwendung gelangen. Aus diesem Grund bestimmen
die Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 93/36 und 7 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 93/37
abschließend die Fälle, in denen das Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche
Vergabebekanntmachung angewandt werden kann.
48
Nach der Rechtsprechung sind die Ausnahmen von den Vorschriften, die die Wirksamkeit der Rechte nach
dem Vertrag im Bereich der öffentlichen Bauaufträge gewährleisten sollen, eng auszulegen (Urteile vom 18.
Mai 1995 in der Rechtssache C-57/94, Kommission/Italien, Slg. 1995, I‑1249, Randnr. 23, und vom 28. März
1996 in der Rechtssache C-318/94, Kommission/Deutschland, Slg. 1996, I‑1949, Randnr. 13). Die
Mitgliedstaaten können daher weder Tatbestände für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens schaffen,
die in den genannten Richtlinien nicht vorgesehen sind, noch die ausdrücklich in diesen Richtlinien
vorgesehenen Tatbestände um neue Bestimmungen ergänzen, die die Anwendung des genannten
Verfahrens erleichtern, da sie sonst die praktische Wirksamkeit der betreffenden Richtlinien beseitigen
würden.
49
Im vorliegenden Fall lässt sich nicht abstreiten, dass die Artikel 141 Buchstabe a und 182 Buchstabe a des
neugefassten Gesetzes, soweit sie die Anwendung des Verhandlungsverfahrens zulassen, wenn ein Auftrag
nicht in einem offenen oder nicht offenen Verfahren vergeben werden konnte oder die Bewerber nicht zum
Vergabeverfahren zugelassen wurden, und die ursprünglichen Bedingungen des Auftrags bis auf den Preis,
der nicht um mehr als 10 % erhöht werden darf, nicht geändert wurden, die genannten Vorschriften der
Richtlinien 93/36 und 93/37 um eine neue Bestimmung ergänzen, die sowohl die Tragweite als auch den
Ausnahmecharakter beeinträchtigt. Denn eine solche Bestimmung kann nicht als unwesentliche Änderung
der ursprünglichen Bedingungen der Aufträge im Sinne der Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie
93/36 und 7 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 93/37 betrachtet werden.
50
Somit ist festzustellen, dass die Artikel 141 Buchstabe a und 182 Buchstabe a des neugefassten Gesetzes
die Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 93/36 und 7 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 93/37 nicht
ordnungsgemäß umgesetzt haben.
Vorbringen der Parteien
51
Die Kommission trägt vor, dass das Verfahren nach Artikel 182 Buchstabe g des neugefassten Gesetzes
gegen Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Richtlinie 93/36 verstoße, in dem die Anwendungsfälle des
Verhandlungsverfahrens aufgezählt seien.
52
Im vorliegenden Fall sehe das spanische Recht die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige
Veröffentlichung bei Gütern vor, deren Einheitlichkeit für die allgemeine Verwendung durch die Verwaltung
für erforderlich erklärt worden sei. Die Anwendung dieses Verfahrens sei möglich, sofern der Mustertyp der
Güter zuvor völlig unabhängig aufgrund einer Ausschreibung ausgewählt worden sei.
53
Die spanische Regierung trägt vor, dass die Ausschreibungen, die den Mustertyp der einheitlichen Güter
bestimmen sollten, Rahmenverträgen ähnlich seien.
54
Zudem unterschieden sich die betreffenden Ausschreibungen in keiner Weise von der Vergabe nach einer
Vereinbarung oder einem Rahmenvertrag gemäß einem anderen Artikel des neugefassten Gesetzes, zu
denen die Kommission nicht Stellung genommen habe. Daher stimme der Artikel mit den Richtlinien über
öffentliche Aufträge überein.
55
Unter Hinweis auf die Definition der Rahmenverträge trägt die Kommission vor, dass diese Verträge nicht
unter die Richtlinie 93/36 fielen.
Würdigung durch den Gerichtshof
56
Was die Vergabe von Lieferaufträgen für einheitliche Güter nach Artikel 182 Buchstabe g des neugefassten
Gesetzes betrifft, so darf das Verhandlungsverfahren nur in den in Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Richtlinie
93/36 abschließend aufgezählten Fällen zur Anwendung gelangen. Absatz 4 dieses Artikels bestimmt im
Übrigen: „In allen anderen Fällen vergibt der öffentliche Auftraggeber seine Lieferaufträge im offenen oder
nicht offenen Verfahren.“
57
Die vom spanischen Gesetzgeber eingeführte Bestimmung, um die es hier geht, entspricht weder dem in
Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 93/36 genannten Fall noch einem der fünf in Absatz 3 dieses Artikels
aufgezählten Fälle, in denen die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige öffentliche
Vergabebekanntmachung ausdrücklich zugelassen ist. Im Übrigen fällt der Begriff „Rahmenvereinbarung“
unter diese Ausnahmen.
58
Nach ständiger Rechtsprechung sind die Bestimmungen, die Ausnahmen von den Vorschriften zulassen, die
die Wirksamkeit der Rechte nach dem Vertrag im Bereich der öffentlichen Bauaufträge gewährleisten sollen,
eng auszulegen (Urteil vom 17. November 1993 in der Rechtssache C‑71/92, Kommission/Spanien, Slg. 1993,
I‑5923, Randnr. 36). Es obliegt demnach den Mitgliedstaaten, nachzuweisen, dass ihre Rechtsvorschriften
eine getreue Umsetzung der in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehenen Tatbestände darstellen. Im
vorliegenden Fall hat die spanische Regierung einen solchen Beweis nicht erbracht.
59
Soweit die betreffenden Rechtsvorschriften das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung in
Verfahren, die Güter betreffen, deren Einheitlichkeit für die allgemeine Verwendung durch die Verwaltung für
erforderlich erklärt wurde, zulassen, sofern der Mustertyp der Güter, um die es sich handelt, zuvor aufgrund
einer Ausschreibung festgestellt worden ist, haben sie Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Richtlinie 93/36 nicht
ordnungsgemäß umgesetzt.
60
Somit ist der dritten Rüge der Kommission stattzugeben.
61
Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ist festzustellen, dass das Königreich Spanien gegen seine
Verpflichtungen aus den Richtlinien 93/36 und 93/37 verstoßen hat, indem es die Richtlinien nicht
ordnungsgemäß in seine nationale Rechtsordnung umgesetzt hat, insbesondere
die privatrechtlichen Einrichtungen, die alle Voraussetzungen erfüllen, die in Artikel 1 Buchstabe b
Unterabsatz 2 erster, zweiter und dritter Gedankenstrich der Richtlinien aufgeführt sind, vom
Anwendungsbereich des neugefassten Gesetzes durch dessen Artikel 1 Absatz 3 ausgeschlossen hat,
in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des neugefassten Gesetzes Kooperationsvereinbarungen zwischen
der öffentlichen Verwaltung und den übrigen öffentlichen Einrichtungen und damit auch solche
Vereinbarungen, die öffentliche Aufträge im Sinne dieser Richtlinien sind, vom Anwendungsbereich
des Gesetzes vollkommen ausgeschlossen hat und
in den Artikeln 141 Buchstabe a und 182 Buchstaben a und g dieses neugefassten Gesetzes die
Anwendung des Verhandlungsverfahrens in zwei in den genannten Richtlinien nicht aufgeführten
Fällen zugelassen hat.
Kosten
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Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu
verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Königreichs Spanien in die Kosten beantragt hat und
dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1.
Das Königreich Spanien hat gegen seine Verpflichtungen aus den Richtlinien 93/36/EWG
des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Lieferaufträge und 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren
zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge verstoßen, indem es die genannten Richtlinien nicht
ordnungsgemäß in seine nationale Rechtsordnung umgesetzt hat, insbesondere
die privatrechtlichen Einrichtungen, die alle Voraussetzungen erfüllen, die in Artikel
1 Buchstabe b Unterabsatz 2 erster, zweiter und dritter Gedankenstrich der
Richtlinie angeführt sind, vom Anwendungsbereich der Ley de Contratos de las
Administraciones Públicas (Gesetz über öffentliche Aufträge) vom 16. Juni 2000 in der
durch das Real Decreto Legislativo 2/2000 vom 16. Juni 2000 gebilligten Fassung
durch Artikel 1 Absatz 3 dieses Gesetzes ausgeschlossen hat,
in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c dieses Gesetzes Kooperationsvereinbarungen
zwischen der öffentlichen Verwaltung und den übrigen öffentlichen Einrichtungen
und damit auch solche Vereinbarungen, die öffentliche Aufträge im Sinne der
genannten Richtlinien sind, vom Anwendungsbereich des Gesetzes vollkommen
ausgeschlossen hat und
in den Artikeln 141 Buchstabe a und 182 Buchstaben a und g dieses Gesetzes die
Anwendung des Verhandlungsverfahrens in zwei in den genannten Richtlinien nicht
aufgeführten Fällen zugelassen hat.
2.
Das Königreich Spanien trägt die Kosten.
Unterschriften.
Verfahrenssprache: Spanisch.