Urteil des EuG vom 11.07.2014

Wirtschaftliche Einheit, Grundsatz der Gleichbehandlung, Tochtergesellschaft, Muttergesellschaft

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)
11. Juli 2014
)
„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Paraffinwachse – Markt für Paraffingatsch –
Entscheidung, mit der ein Verstoß gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Abstimmung der
Preise und Aufteilung der Märkte – Verantwortlichkeit einer Muttergesellschaft für
Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln, die von ihrer Tochtergesellschaft und von
einem Gemeinschaftsunternehmen, an dem sie beteiligt ist, begangen wurden –
Bestimmende Einflussnahme durch die Muttergesellschaft – Vermutung im Fall einer
100%igen Beteiligung – Nachfolge – Verhältnismäßigkeit – Gleichbehandlung –
Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006 – Unbeschränkte
Nachprüfungsbefugnis“
In der Rechtssache T‑543/08
RWE AG
RWE Dea AG
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Stadler, M. Röhrig und S. Budde,
Klägerinnen,
gegen
Europäische Kommission,
Bevollmächtigte,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Art. 1 und 2 der Entscheidung K (2008) 5476 endg. der
Kommission vom 1. Oktober 2008 in einem Verfahren nach Artikel 8l [EG] und Artikel 53
EWR-Abkommen (Sache COMP/39181 – Kerzenwachse), soweit sie die Klägerinnen
betrifft, und, hilfsweise, Herabsetzung der gegen die Klägerinnen festgesetzten
Geldbuße
erlässt
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten O. Czúcz (Berichterstatter), der Richterin I. Labucka
und des Richters D. Gratsias,
Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. März
2012
folgendes
Urteil
Vorgeschichte des Rechtsstreits und angefochtene Entscheidung
1. Verwaltungsverfahren und Erlass der angefochtenen Entscheidung
1
Mit der Entscheidung K (2008) 5476 endg. vom 1. Oktober 2008 in einem Verfahren
nach Artikel 8l [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39181 –
Kerzenwachse) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) stellte die Europäische
Kommission fest, dass die Klägerinnen, die RWE AG und die RWE Dea AG (im
Folgenden zusammen: RWE), gemeinsam mit anderen Unternehmen eine
Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG und gegen Art. 53 Abs. 1 des Abkommens
über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) begangen hätten, indem sie sich an
einem den Markt für Paraffinwachs im EWR und den deutschen Markt für Paraffingatsch
betreffenden Kartell beteiligt hätten.
2
Außer an die Klägerinnen war die angefochtene Entscheidung an folgende
Unternehmen gerichtet: die ENI SpA, die Esso Deutschland GmbH, die Esso Société
Anonyme Française, die ExxonMobil Petroleum and Chemical BVBA und die Exxon
Mobil Corp. (die vier Letzteren im Folgenden zusammen: ExxonMobil), die H&R
ChemPharm GmbH, die H&R Wax Company Vertrieb GmbH und die Hansen &
Rosenthal KG (im Folgenden zusammen: H&R), die Tudapetrol Mineralölerzeugnisse
Nils Hansen KG, die MOL Nyrt., die Repsol YPF Lubricantes y Especialidades SA, die
Repsol Petróleo SA und die Repsol YPF SA (die drei Letzteren im Folgenden
zusammen: Repsol), die Sasol Wax GmbH, die Sasol Wax International AG, die Sasol
Holding in Germany GmbH und die Sasol Ltd (im Folgenden zusammen: Sasol), die
Shell Deutschland Oil GmbH, die Shell Deutschland Schmierstoff GmbH, die Deutsche
Shell GmbH, die Shell International Petroleum Company Ltd, die Shell Petroleum
Company Ltd, die Shell Petroleum NV und die Shell Transport and Trading Company Ltd
(im Folgenden zusammen: Shell) sowie die Total SA und die Total France SA (im
Folgenden zusammen: Total) (erster Erwägungsgrund der angefochtenen
Entscheidung).
3
Paraffinwachse werden in Raffinerien aus Rohöl hergestellt. Sie werden für die
Herstellung von Produkten wie Kerzen, Chemikalien, Reifen und Erzeugnissen der
Automobilindustrie sowie in der Kautschuk-, Verpackungs-, Klebstoff- und
Kaugummiindustrie eingesetzt (vierter Erwägungsgrund der angefochtenen
Entscheidung).
4
Bei der Herstellung von Paraffinwachsen dient Paraffingatsch als Ausgangsmaterial. Es
fällt in Raffinerien als Nebenprodukt bei der Herstellung von Mineralölen aus Rohöl an.
Es wird auch an Endabnehmer, z. B. an Hersteller von Spanplatten, verkauft (fünfter
Es wird auch an Endabnehmer, z. B. an Hersteller von Spanplatten, verkauft (fünfter
Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).
5
Die Kommission begann ihre Untersuchung, nachdem Shell Deutschland Schmierstoffe
sie mit Schreiben vom 17. März 2005 über das Bestehen eines Kartells informiert hatte
und bei ihr einen Antrag auf Geldbußenerlass gemäß der Mitteilung der Kommission
über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45,
S. 3) (im Folgenden: Kronzeugenregelung von 2002) gestellt hatte (72. Erwägungsgrund
der angefochtenen Entscheidung).
6
Am 28. und 29. April 2005 führte die Kommission in Anwendung des Art. 20 Abs. 4 der
Verordnung Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den
Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1)
Nachprüfungen in den Räumlichkeiten von „H&R/Tudapetrol“, ENI, MOL sowie in
denjenigen der Gesellschaften der Gruppen Sasol, ExxonMobil, Repsol und Total durch
(75. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). In den Räumlichkeiten der
Klägerinnen wurden keine Nachprüfungen durchgeführt.
7
Am 25. Mai 2007 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an die
oben in Rn. 2 genannten Gesellschaften, darunter die Klägerinnen (85. Erwägungsgrund
der angefochtenen Entscheidung). Mit Schreiben vom 13. August 2007 beantworteten
die Klägerinnen die Mitteilung der Beschwerdepunkte.
8
Am 10. und 11. Dezember 2007 führte die Kommission eine mündliche Anhörung durch,
an der die Klägerinnen teilnahmen (91. Erwägungsgrund der angefochtenen
Entscheidung).
9
In der angefochtenen Entscheidung vertritt die Kommission aufgrund der ihr
vorliegenden Beweise die Ansicht, dass die Adressaten, die die Mehrheit der
Paraffinwachs- und Paraffingatschhersteller im EWR ausmachten, an einer einzigen,
komplexen und fortdauernden Zuwiderhandlung gegen Art. 81 des Vertrags und Art. 53
EWR-Abkommen teilgenommen hätten, die das Gebiet des EWR betreffe. Diese
Zuwiderhandlung habe in Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten
Verhaltensweisen für Preisfestsetzungen und für den Austausch und die Offenlegung
von kommerziell empfindlichen Informationen über Paraffinwachse bestanden. In Bezug
auf RWE (später Shell), ExxonMobil, MOL, Repsol, Sasol und Total habe die
Zuwiderhandlung im Hinblick auf Paraffinwachse auch in der Aufteilung der Kunden
und/oder der Märkte bestanden. Außerdem habe die von RWE, ExxonMobil, Sasol und
Total begangene Zuwiderhandlung auch auf dem deutschen Markt an Endabnehmer
verkauftes Paraffingatsch betroffen (Erwägungsgründe 2, 95, 328 und Art. 1 der
angefochtenen Entscheidung).
10
Die rechtswidrigen Verhaltensweisen seien bei wettbewerbswidrigen
Zusammenkünften, die von den Teilnehmern als „technische Treffen“ oder manchmal als
„Blauer Salon“ bezeichnet worden seien, und bei „Gatsch-Treffen“ besprochen worden,
die speziell Fragen zum Paraffingatsch gewidmet gewesen seien.
11
Die im vorliegenden Fall verhängten Geldbußen wurden auf der Grundlage der
Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2
Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. C 210, S. 2) (im Folgenden: Leitlinien von
Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. C 210, S. 2) (im Folgenden: Leitlinien von
2006) berechnet, die zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Mitteilung der
Beschwerdepunkte an die oben in Rn. 2 genannten Gesellschaften in Kraft waren.
12
Die angefochtene Entscheidung enthält u. a. folgende Bestimmungen:
„Artikel 1
Die folgenden Unternehmen haben eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 Absatz 1
[EG] und – seit dem 1. Januar 1994 – gegen Artikel 53 EWR-Abkommen begangen,
indem sie sich in den jeweils genannten Zeiträumen an einer fortdauernden
Vereinbarung und/oder einer fortdauernden abgestimmten Verhaltensweise im
Paraffinwachssektor auf dem Gemeinsamen Markt und, seit 1. Januar 1994, im
Europäischen Wirtschaftsraum beteiligten:
RWE-Dea AG: vom 3. September 1992 bis zum 30. Juni 2002;
RWE AG: vom 3. September 1992 bis zum 30. Juni 2002;
Bei den folgenden Unternehmen betrifft die Zuwiderhandlung auch an Endkunden auf
dem deutschen Markt verkauftes Paraffingatsch im jeweils angegebenen Zeitraum:
RWE-Dea AG: vom 30. Oktober 1997 bis zum 30. Juni 2002;
RWE AG: vom 30. Oktober 1997 bis zum 30. Juni 2002;
Artikel 2
Für die in Artikel 1 genannte Zuwiderhandlung werden folgende Geldbußen festgesetzt:
ENI S.p.A: 29 120 000 EUR;
Esso Société Anonyme Française: 83 588 400 EUR,
davon gesamtschuldnerisch mit
ExxonMobil Petroleum and Chemical B.V.B.A. und ExxonMobil Corporation:
34 670 400 EUR, davon gesamtschuldnerisch mit Esso Deutschland GmbH:
27 081 600 EUR;
Tudapetrol Mineralölerzeugnisse Nils Hansen KG: 12 000 000 EUR;
Hansen & Rosenthal KG gesamtschuldnerisch mit H&R Wax Company Vertrieb GmbH:
24 000 000 EUR,
davon gesamtschuldnerisch mit
H&R ChemPharm GmbH: 22 000 000 EUR;
MOL Nyrt.: 23 700 000 EUR;
Repsol YPF Lubricantes y Especialidades S.A. gesamtschuldnerisch mit Repsol
Petróleo S.A. und Repsol YPF S.A.: 19 800 000 EUR;
Sasol Wax GmbH: 318 200 000 EUR,
davon gesamtschuldnerisch mit
Sasol Wax International AG, Sasol Holding in Germany GmbH und Sasol Limited:
250 700 000 EUR;
Shell Deutschland Oil GmbH, Shell Deutschland Schmierstoff GmbH, Deutsche Shell
GmbH, Shell International Petroleum Company Limited, the Shell Petroleum Company
Limited, Shell Petroleum N.V. und the Shell Transport and Trading Company Limited: 0
EUR;
RWE-Dea AG gesamtschuldnerisch mit RWE AG: 37 440 000 EUR;
Total France S.A. gesamtschuldnerisch mit Total S.A.: 128 163 000 EUR.“
2. Die Strukturen der RWE-Gruppe und des Gemeinschaftsunternehmens Shell & Dea
Oil
13
Die Klägerinnen wurden für das Verhalten der Mitarbeiter der Dea Mineraloel AG,
später umgewandelt in Dea Mineraloel GmbH (im Folgenden: Dea Mineraloel), zur
Verantwortung gezogen.
14
Vom 3. September 1992 bis 2. Januar 2002 war Dea Mineraloel eine 100%ige
Tochtergesellschaft der RWE-Dea Aktiengesellschaft für Mineraloel und Chemie, später
umbenannt in RWE Dea. RWE Dea war zu 99,4 % eine Tochtergesellschaft der RWE
AG.
15
Am 2. Januar 2002 übernahm Deutsche Shell die gemeinsame Kontrolle von Dea
Mineraloel zusammen mit RWE Dea, indem sie 50 % der Anteile an Dea Mineraloel
erwarb. Der Zusammenschluss wurde von der Kommission mit der Entscheidung
K(2001) 4526 endg. vom 20. Dezember 2001 zur Erklärung der Vereinbarkeit eines
Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt und dem EWR-Abkommen (Sache
COMP/M.2389 – Shell/DEA) (im Folgenden: Entscheidung über die Genehmigung des
Zusammenschlusses)
genehmigt.
Dea
Mineraloel
wurde
damit
ein
Gemeinschaftsunternehmen, das, umbenannt in Shell & Dea Oil, zu je 50 % von
Deutsche Shell und RWE Dea gehalten wurde und in dem diese ihre jeweiligen
Mineralöl- und Petrochemietätigkeiten zusammenlegten.
16
Am 1. Juli 2002 erwarb Shell die verbleibenden 50 % der Anteile an dem
Gemeinschaftsunternehmen Shell & Dea Oil. Shell & Dea Oil wurde 2003 in Shell
Gemeinschaftsunternehmen Shell & Dea Oil. Shell & Dea Oil wurde 2003 in Shell
Deutschland Oil umbenannt. Am 1. April 2004 wurde das Wachsgeschäft von der Shell
Deutschland Oil in deren 100%ige Tochtergesellschaft Shell Deutschland Schmierstoff
eingebracht.
Verfahren und Anträge der Parteien
17
Die Klägerinnen haben mit Klageschrift, die am 15. Dezember 2008 bei der Kanzlei des
Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
18
Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte Kammer) beschlossen, die
mündliche Verhandlung zu eröffnen. Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen gemäß
Art. 64 seiner Verfahrensordnung hat es die Parteien aufgefordert, bestimmte Fragen zu
beantworten und bestimmte Schriftstücke vorzulegen. Die Parteien sind dieser
Aufforderung fristgerecht nachgekommen.
19
In der Sitzung vom 20. März 2012 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen
des Gerichts beantwortet.
20
In Anbetracht des tatsächlichen Zusammenhangs mit den Rechtssachen T‑540/08,
Esso u. a./Kommission, T‑541/08, Sasol u. a./Kommission, T‑544/08, Hansen &
Rosenthal und H&R Wax Company Vertrieb/Kommission, T‑548/08, Total/Kommission,
T‑550/08, Tudapetrol/Kommission, T‑551/08, H&R ChemPharm/Kommission, T‑558/08,
ENI/Kommission,
T‑562/08,
Repsol
YPF
Lubricantes
y
Especialidades
u. a./Kommission, und T‑566/08, Total Raffinage Marketing/Kommission, und der
Sachnähe der aufgeworfenen Rechtsfragen hat das Gericht beschlossen, das Urteil in
der vorliegenden Rechtssache erst nach den mündlichen Verhandlungen in den
genannten zusammenhängenden Rechtssachen zu verkünden, von denen die letzte am
3. Juli 2013 stattgefunden hat.
21
Die Klägerinnen beantragen,
– Art. 1 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin ein Verstoß der
Klägerinnen gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 EWR-Abkommen festgestellt wird;
– Art. 2 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin gegen sie eine
Geldbuße in Höhe von 37 440 000 Euro verhängt wird;
– hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
22
Die Kommission beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
23
Die Klägerinnen machen zur Stützung ihrer Klage drei Gründe geltend. Mit dem ersten
rügen sie einen Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der
Verordnung Nr. 1/2003 durch die fehlerhafte Feststellung, dass sie mit Dea Mineraloel
bzw. Shell & Dea Oil eine wirtschaftliche Einheit gebildet hätten. Hilfsweise rügen sie mit
einem zweiten Klagegrund einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung
durch eine fehlerhafte Anwendung der Kronzeugenregelung von 2002, die insbesondere
darin liege, dass der Kronzeugenantrag von Shell nicht auf die Klägerinnen erstreckt
worden sei. Schließlich rügen sie hilfsweise mit einem dritten Klagegrund einen Verstoß
gegen Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 durch die Missachtung der für die
Bußgeldbemessung geltenden Grundsätze.
1 . Zum ersten Klagegrund: fehlerhafte Feststellung, dass die Klägerinnen mit Dea
Mineraloel bzw. Shell & Dea Oil eine wirtschaftliche Einheit gebildet hätten
24
Die Klägerinnen tragen vor, die Kommission habe dadurch, dass sie sie für die
Zuwiderhandlung haftbar gemacht habe, die von Dea Mineraloel in der Zeit vom 3.
September 1992 bis 2. Januar 2002 und von Shell & Dea Oil in der Zeit vom 2. Januar
bis 30. Juni 2002 (im Folgenden: Zeitraum des Gemeinschaftsunternehmens) begangen
worden sei, gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr.
1/2003 verstoßen. Dieser Verstoß beruhe darauf, dass die Kommission den Begriff
„Unternehmen“ im Sinne von Art. 81 EG falsch ausgelegt habe.
Einleitende Bemerkungen
25
Was die gesamtschuldnerische Haftung einer Muttergesellschaft für das Verhalten ihrer
Tochtergesellschaft oder eines Gemeinschaftsunternehmens anbelangt, an dem sie
beteiligt ist, so vermag der Umstand, dass eine Tochtergesellschaft oder ein
Gemeinschaftsunternehmen eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, noch nicht
auszuschließen, dass deren Verhalten der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann
(vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 14. Juli 1972, Imperial Chemical
Industries/Kommission, 48/69, Slg. 1972, 619, Rn. 132).
26
Das Wettbewerbsrecht der Union betrifft nämlich die Tätigkeit von Unternehmen, und
der Begriff des Unternehmens umfasst jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende
Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung (Urteil des
Gerichtshofs vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑97/08 P, Slg.
2009, I‑8237, Rn. 54, und Urteil des Gerichts vom 13. Juli 2011, General Technic-Otis
u. a./Kommission, T‑141/07, T‑142/07, T‑145/07 und T‑146/07, Slg. 2011, II‑4977,
Rn. 53).
27
Die Unionsgerichte haben ferner klargestellt, dass in diesem Zusammenhang unter dem
Begriff des Unternehmens eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen ist, selbst wenn
diese wirtschaftliche Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen
Personen gebildet wird (vgl. Urteile des Gerichtshofs vom 12. Juli 1984, Hydrotherm
Gerätebau, 170/83, Slg. 1984, 2999, Rn. 11, und Akzo Nobel u. a./Kommission, oben in
Rn. 26 angeführt, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung, Urteil des Gerichts
vom 29. Juni 2000, DSG/Kommission, T‑234/95, Slg. 2000, II‑2603, Rn. 124). Sie haben
betont, dass es bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht auf die sich aus der
betont, dass es bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht auf die sich aus der
Verschiedenheit der Rechtspersönlichkeit ergebende formale Trennung zwischen zwei
Gesellschaften ankommt, sondern vielmehr darauf, ob sich die beiden Gesellschaften auf
dem Markt einheitlich verhalten. Es kann also notwendig sein, zu ermitteln, ob zwei oder
mehrere Gesellschaften mit je eigener Rechtspersönlichkeit ein und dasselbe
Unternehmen oder ein und dieselbe wirtschaftliche Einheit mit einheitlichem
Marktverhalten
bilden
oder
hierzu
gehören
(Urteil
Imperial
Chemical
Industries/Kommission, oben in Rn. 25 angeführt, Rn. 140, Urteile des Gerichts vom 15.
September 2005, DaimlerChrysler/Kommission, T‑325/01, Slg. 2005, II‑3319, Rn. 85,
und General Technic-Otis u. a./Kommission, oben in Rn. 26 angeführt, Rn. 54).
28
Verstößt eine solche wirtschaftliche Einheit gegen die Wettbewerbsregeln, hat sie nach
dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für diese Zuwiderhandlung
einzustehen (Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission, oben in Rn. 26 angeführt, Rn. 56, und
Urteil General Technic-Otis u. a./Kommission, oben in Rn. 26 angeführt, Rn. 55).
29
Einer Muttergesellschaft kann das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft aufgrund ihrer
Zugehörigkeit zu demselben Unternehmen zugerechnet werden, wenn die
Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht unabhängig bestimmt, weil sie insoweit
unter dem bestimmenden Einfluss der Muttergesellschaft steht, und zwar vor allem
wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen
diesen beiden Rechtssubjekten (vgl. in diesem Sinne Urteil Akzo Nobel
u. a./Kommission, oben in Rn. 26 angeführt, Rn. 58, und Urteil des Gerichts vom 20. März
2002, HFB u. a./Kommission, T‑9/99, Slg. 2002, II‑1487, Rn. 527).
30
Das Marktverhalten der Tochtergesellschaft steht insbesondere dann unter dem
bestimmenden Einfluss der Muttergesellschaft, wenn die Tochtergesellschaft im
Wesentlichen die Weisungen befolgt, die ihr in dieser Hinsicht von der Muttergesellschaft
erteilt werden (Urteile des Gerichtshofs Imperial Chemical Industries/Kommission, oben
in Rn. 25 angeführt, Rn. 133, 137 und 138, und vom 16. November 2000, Metsä-Serla
u. a./Kommission, C‑294/98 P, Slg. 2000, I‑10065, Rn. 27).
31
Das Marktverhalten der Tochtergesellschaft steht grundsätzlich auch dann unter dem
bestimmenden Einfluss der Muttergesellschaft, wenn sich diese nur die Befugnis
vorbehält, bestimmte strategische Geschäftsentscheidungen vorzugeben oder zu
genehmigen, gegebenenfalls durch ihre Vertreter in den Organen der
Tochtergesellschaft, während die Befugnis, die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft
im engen Sinne festzulegen, deren sie operativ führenden Geschäftsführern übertragen
wird, die von der Muttergesellschaft ausgewählt werden und die geschäftlichen
Interessen der Muttergesellschaft vertreten und fördern (vgl. in diesem Sinne Urteil des
Gerichts vom 9. September 2011, Alliance One International/Kommission, T‑25/06, Slg.
2011, II‑5741, Rn. 138 und 139).
32
Ist die Einheitlichkeit des Marktverhaltens der Tochtergesellschaft und ihrer
Muttergesellschaft gewährleistet, etwa in den oben in den Rn. 30 und 31 beschriebenen
Fällen oder durch andere wirtschaftliche, organisatorische und rechtliche Bindungen
zwischen den Gesellschaften, sind diese Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit
und bilden damit ein Unternehmen im Sinne der oben in Rn. 27 angeführten
Rechtsprechung. Weil eine Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft ein
Rechtsprechung. Weil eine Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft ein
Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG bilden, kann die Kommission demnach eine
Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die Muttergesellschaft richten,
ohne dass deren persönliche Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachzuweisen wäre
(vgl. in diesem Sinne Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission, oben in Rn. 26 angeführt,
Rn. 59).
33
Die Rechtsprechung, auf die oben in den Rn. 25 bis 32 Bezug genommen worden ist,
ist auch auf den Fall anwendbar, dass einer oder mehreren Muttergesellschaften die
Verantwortung für eine von ihrem Gemeinschaftsunternehmen begangene
Zuwiderhandlung zugerechnet wird (Urteil General Technic-Otis u. a./Kommission, oben
in Rn. 26 angeführt, Rn. 52 bis 56).
34
Anhand dieser Regeln sind die Argumente der Klägerinnen und die Richtigkeit der in
der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Feststellungen zu der Frage zu prüfen, ob
den Klägerinnen die Verantwortung für das Verhalten der zu 100 % von ihnen
gehaltenen Dea Mineraloel (erster Teil) und der zu 50 % von ihnen gehaltenen Shell &
Dea Oil (zweiter Teil) zugerechnet werden durfte.
Zum ersten Teil: Zurechnung der Verantwortung für die von Dea Mineraloel begangene
Zuwiderhandlung zulasten der Klägerinnen (Zeitraum bis 2. Januar 2002)
Zur angefochtenen Entscheidung
35
In der angefochtenen Entscheidung legte die Kommission Folgendes dar:
„…
(545) ... Die Ausübung eines bestimmenden Einflusses auf die Unternehmenspolitik
einer Tochtergesellschaft setzt nicht voraus, dass die Leitung des Tagesgeschäfts
der Tochtergesellschaft übernommen worden wäre. Die Leitung der
Tochtergesellschaft kann durchaus von dieser selbst übernommen werden; dies
schließt jedoch nicht aus, dass die Muttergesellschaft Ziele und
unternehmenspolitische Verhaltensweisen vorgibt, welche sich auf den Erfolg der
Gruppe insgesamt sowie die Kohärenz innerhalb der Gruppe auswirken, und dass
korrigierend auf jegliches Verhalten eingewirkt wird, das von diesen Zielsetzungen
und unternehmenspolitischen Verhaltensweisen abweicht. RWE räumt ein, dass
sich die RWE AG auf die allgemeinen Angelegenheiten der RWE-Gruppe wie z. B.
Strategie, Planung, Controlling und Finanzierung konzentriert und technische
Berichte erhalten habe. Außerdem erklärt RWE, dass obwohl weder der Vorstand
noch der Aufsichtsrat der RWE Dea AG Einfluss auf das Geschäftsverhalten von
Dea Mineraloel nahmen, haben sie sich auf die Geschäfte der Dea Mineraloel …
konzentriert, die einen größeren Kapitaleinsatz, die Entwicklung von
Gewinnspannen/Erträgen, die Übernahme von Risiken usw. erfordert hätten, und
dass sie sich auf die entsprechenden Berichte, die sie empfingen, verließen, da
diese als genaue Darstellungen beurteilt worden seien, habe man die
Geschäftsentwicklung nicht aktiv überwacht … Diese Erklärungen zeigen, dass [die
Klägerinnen] die Möglichkeit hatten, zumindest die Strategie und finanzielle
Angelegenheiten ihrer Tochtergesellschaften zu kontrollieren und auch ein
entsprechendes Interesse hatten, und dass sie tatsächlich eine gewisse Kontrolle
entsprechendes Interesse hatten, und dass sie tatsächlich eine gewisse Kontrolle
über bestimmte strategische Aspekte und auch durch ein Berichtssystem ausübten.
(546) Die Einwände, dass Paraffinwachs nur sehr begrenzte Bedeutung für RWE
gehabt habe und dass die RWE AG oder die RWE Dea AG daher nur geringen
Anreiz gehabt hätten, die Preispolitik von Dea Mineraloel zu überwachen, haben im
Hinblick auf die Frage, ob eine Tochtergesellschaft tatsächlich unabhängig war,
keine Beweiskraft. Dass die Muttergesellschaft an der Geschäftstätigkeit der
einzelnen Unternehmen nicht selbst beteiligt war, ist nicht entscheidend für die
Frage, ob die Muttergesellschaft mit den aktiv tätigen Gesellschaften der Gruppe als
Teil einer einzigen wirtschaftlichen Einheit zu betrachten ist. Die Aufteilung der
Aufgaben ist ein normales Phänomen in Unternehmensgruppen. Eine
wirtschaftliche Einheit übernimmt per definitionem alle wichtigen Funktionen eines
Marktteilnehmers innerhalb der Rechtssubjekte, aus denen diese wirtschaftliche
Einheit besteht. …
...
(553) Die Kommission gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die RWE AG und die
RWE Dea AG zumindest vom 3. September 1992 bis zum 1. Januar 2002
bestimmenden Einfluss auf [Dea Mineraloel] ausgeübt und diese wirksam
kontrolliert haben[, so dass sie] … Teil des Unternehmens [sind], das die
Zuwiderhandlung begangen hat.“
Zu der Vermutung, dass die Tochtergesellschaft und ihre einzige Muttergesellschaft eine
wirtschaftliche Einheit gebildet hätten
36
In dem besonderen Fall, dass eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer
Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen hat,
kann zum einen diese Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf das
Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausüben und besteht zum anderen eine
widerlegliche Vermutung, dass diese Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden
Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt. Unter diesen Umständen
genügt es, dass die Kommission nachweist, dass die Muttergesellschaft das gesamte
Kapital der Tochtergesellschaft hält, um anzunehmen, dass die Muttergesellschaft einen
bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik dieses Tochterunternehmens ausübt.
Die Kommission kann in der Folge dem Mutterunternehmen als Gesamtschuldner die
Haftung für die Zahlung der gegen dessen Tochterunternehmen verhängten Geldbuße
zuweisen, sofern die vom Mutterunternehmen, dem es obliegt, diese Vermutung zu
widerlegen, vorgelegten Beweise nicht für den Nachweis ausreichen, dass sein
Tochterunternehmen auf dem Markt eigenständig auftritt (vgl. Urteil Akzo Nobel
u. a./Kommission, oben in Rn. 26 angeführt, Rn. 60 und 61 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
37
Darüber hinaus gilt nach der Rechtsprechung die Vermutung der Verantwortlichkeit, die
darauf beruht, dass sich eine Gesellschaft im Besitz sämtlicher Kapitalanteile einer
anderen Gesellschaft befindet, nicht nur in Fällen einer unmittelbaren Beziehung
zwischen der Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft, sondern auch in Fällen
wie dem vorliegenden, in denen es sich wegen der Zwischenschaltung einer anderen
wie dem vorliegenden, in denen es sich wegen der Zwischenschaltung einer anderen
Gesellschaft um eine mittelbare Beziehung handelt (Urteil des Gerichtshofs vom 20.
Januar 2011, General Química u. a./Kommission, C‑90/09 P, Slg. 2011, I‑1, Rn. 90).
38
Die Muttergesellschaft, die nahezu das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält,
befindet sich wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen,
die zwischen ihr und dieser Tochtergesellschaft bestehen, bezüglich ihrer Möglichkeit
der bestimmenden Einflussnahme auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft in einer
ähnlichen Lage wie der ausschließliche Anteilseigner. Folglich ist die Kommission
berechtigt, bei dieser Sachlage die gleiche Beweisregelung heranzuziehen, d. h., auf die
Vermutung zurückzugreifen, dass diese Muttergesellschaft ihre Macht zu einer
bestimmenden Einflussnahme auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft tatsächlich
gebraucht hat. Sicherlich ist nicht auszuschließen, dass in bestimmten Fällen
Minderheitsgesellschafter gegenüber der Tochtergesellschaft über Rechte verfügen
können, die ihnen gestatten, die vorgenannte Analogie in Frage zu stellen. Abgesehen
davon, dass solche Rechte im Allgemeinen nicht mit ganz unbedeutenden Anteilen wie
denen im vorliegenden Fall verknüpft sind, ist indessen von den Klägerinnen im
vorliegenden Fall nichts dieser Art vorgebracht worden (vgl. in diesem Sinne Urteil des
Gerichts vom 7. Juni 2011, Arkema France u. a./Kommission, T‑217/06, Slg. 2011,
II‑2593, Rn. 53).
39
Wird die Vermutung nicht widerlegt, kann die Kommission feststellen, dass die
Tochtergesellschaft und die unmittelbaren und mittelbaren Muttergesellschaften Teil ein
und derselben wirtschaftlichen Einheit sind und damit ein einziges Unternehmen im
Sinne der oben in Rn. 27 angeführten Rechtsprechung bilden. Weil eine
Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft ein einziges Unternehmen im Sinne von
Art. 81 EG bilden, kann die Kommission demnach eine Entscheidung, mit der Geldbußen
verhängt werden, an die Muttergesellschaft richten, ohne dass deren persönliche
Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachzuweisen wäre (vgl. die oben in Rn. 32
angeführte Rechtsprechung).
40
Um die oben in Rn. 36 beschriebene Vermutung zu widerlegen, hatten die Klägerinnen
gemäß der Rechtsprechung alle Angaben in Bezug auf die organisatorischen,
wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen zwischen ihnen und Dea Mineraloel
vorzulegen, die ihrer Ansicht nach dem Nachweis dienen könnten, dass sie keine
wirtschaftliche Einheit darstellten. Das Gericht muss bei seiner Würdigung alle ihm
vorgelegten Angaben berücksichtigen, wobei deren Charakter und Bedeutung je nach
den Merkmalen des jeweiligen Falls variieren können (Urteil des Gerichts vom 12.
Dezember 2007, Akzo Nobel u. a./Kommission, T‑112/05, Slg. 2007, II‑5049, Rn. 65).
41
Diese Vermutung beruht auf den Feststellungen, dass zum einen – von wirklich
außergewöhnlichen Umständen abgesehen – eine Gesellschaft, die die Gesamtheit des
Kapitals einer Tochtergesellschaft hält, allein aufgrund dieser Beteiligung einen
bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausüben kann und
dass es zum anderen normalerweise am zweckmäßigsten ist, in der Sphäre der
Einheiten, denen gegenüber diese Vermutung eingreift, zu ermitteln, ob diese Befugnis
zur Einflussnahme tatsächlich nicht ausgeübt wurde (Urteil des Gerichtshofs vom 29.
September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, Slg. 2011, I‑8947, Rn. 60).
September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, Slg. 2011, I‑8947, Rn. 60).
42
Zudem rechtfertigt sich die Anwendung einer solchen Vermutung dadurch, dass die
Muttergesellschaft, wenn sie alleinige Anteilseignerin der Tochtergesellschaft ist, über
alle in Betracht kommenden Instrumente verfügt, um das Geschäftsverhalten der
Tochtergesellschaft auf ihr eigenes abzustimmen. Insbesondere bestimmt der
Alleinaktionär, indem er ihre Satzung beschließt, grundsätzlich den Umfang der
Eigenständigkeit der Tochtergesellschaft, er wählt ihre Geschäftsführer aus und trifft oder
genehmigt die strategischen Geschäftsentscheidungen der Tochtergesellschaft,
gegebenenfalls durch seine Vertreter in deren Organen. Darüber hinaus wird die
wirtschaftliche Einheit zwischen der Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft
gewöhnlich zusätzlich durch Verpflichtungen gesichert, die sich aus dem
Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten ergeben, etwa zur Erstellung konsolidierter
Abschlüsse, durch die Verpflichtung der Tochtergesellschaft, der Muttergesellschaft in
regelmäßigen Zeiträumen über ihre Tätigkeit Bericht zu erstatten, sowie durch die
Erstellung der Jahresabschlüsse der Tochtergesellschaft durch die allein aus der
Muttergesellschaft gebildete Hauptversammlung, was notwendigerweise impliziert, dass
die Muttergesellschaft die Geschäftstätigkeiten der Tochtergesellschaft zumindest in
ihren Grundzügen verfolgt.
43
Somit erscheint die Aufstellung der Vermutung, die Muttergesellschaft habe tatsächlich
einen bestimmenden Einfluss auf das Geschäftsverhalten ihrer Tochtergesellschaft
ausgeübt, gerechtfertigt, da sie Situationen, die für die Beziehungen zwischen einer
Tochtergesellschaft und ihrer einzigen Muttergesellschaft charakteristisch sind, dadurch
erfasst, dass dieser Vermutung zufolge der Umstand, dass das gesamte oder nahezu
gesamte Kapital einer Tochtergesellschaft von einer einzigen Muttergesellschaft
gehalten wird, grundsätzlich ein einheitliches Verhalten dieser beiden Gesellschaften auf
dem Markt impliziert.
44
Gleichwohl verfügen die betroffenen Gesellschaften nach der Mitteilung der
Beschwerdepunkte uneingeschränkt über die Möglichkeit, den Beweis dafür zu führen,
dass die oben in Rn. 42 beschriebenen Mechanismen, die gewöhnlich zur Abstimmung
des Geschäftsverhaltens der Tochtergesellschaft auf das ihrer Muttergesellschaft führen,
nicht normal funktioniert haben, so dass die wirtschaftliche Einheit der Gruppe
aufgehoben wurde.
Zu den Argumenten der Klägerinnen bezüglich der Widerlegung der Vermutung
45
Im vorliegenden Fall stellen die Klägerinnen nicht in Abrede, dass die Kommission, da
RWE Dea das gesamte Kapital von Dea Mineraloel und die RWE AG 99,4 % des
Kapitals von RWE Dea hielt, in Ermangelung gegenteiliger Beweise annehmen durfte,
dass sie tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Geschäftsverhalten von Dea
Mineraloel ausgeübt hätten.
46
Sie sind jedoch der Ansicht, dass sie in ihrer Antwort auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte genügend Beweise vorgebracht hätten, um die Vermutung zu
widerlegen.
– Zur operativen Eigenständigkeit von Dea Mineraloel
47
Die Klägerinnen machen geltend, dass die Kommission in der angefochtenen
Entscheidung unzutreffend angenommen habe, die Ausübung eines bestimmenden
Einflusses der Muttergesellschaft auf die Unternehmenspolitik einer Tochtergesellschaft
setze nicht die Übernahme der Leitung des Tagesgeschäfts der Tochtergesellschaft
voraus. Daher reichten ihre in den Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte
vorgetragenen Argumente aus, um die Vermutung zu widerlegen.
48
Erstens führen die Klägerinnen aus, dass sich die RWE AG als
Konzernobergesellschaft auf konzernsteuernde Aufgaben wie Strategie, Planung,
Controlling und Finanzierung konzentriere. Auf das operative Geschäft von RWE Dea
bzw. von Dea Mineraloel habe sie keinen Einfluss genommen.
49
Hierzu hat das Gericht bereits entschieden, dass der Umstand, dass eine
Tochtergesellschaft eine eigene örtliche Geschäftsleitung hat und über ihre eigenen
Mittel verfügt, für sich genommen nicht beweist, dass sie ihr Marktverhalten gegenüber
ihrer Muttergesellschaft eigenständig bestimmt. Die Aufgabenteilung zwischen
Tochtergesellschaften und ihren Muttergesellschaften, insbesondere der Umstand, dass
die Leitung des operativen Geschäfts der lokalen Geschäftsleitung einer 100%igen
Tochtergesellschaft übertragen wird, ist eine gängige Praxis großer Unternehmen, die
aus einer Vielzahl von Tochtergesellschaften bestehen, die letztlich von derselben
Konzernobergesellschaft gehalten werden. Bei einer 100%igen oder nahezu 100%igen
Beteiligung am Kapital der unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligten
Tochtergesellschaft sind die insoweit vorgelegten Beweise nicht geeignet, die
Vermutung, dass die Muttergesellschaft und die Konzernobergesellschaft tatsächlich
bestimmenden Einfluss auf das Verhalten der Tochtergesellschaft ausgeübt haben, zu
widerlegen (vgl. in diesem Sinne Urteil Alliance One International/Kommission, oben in
Rn. 31 angeführt, Rn. 130 und 131).
50
Dieser Ansatz rechtfertigt sich im Übrigen dadurch, dass bei einer Tochtergesellschaft,
die zu 100 % oder nahezu 100 % von einer einzigen Muttergesellschaft gehalten wird, im
Grunde ein einziges geschäftliches Interesse besteht und die Mitglieder der Organe der
Tochtergesellschaft von dem alleinigen Anteilseigner bestimmt und ernannt werden, der
ihnen zumindest informell Weisungen erteilen und Leistungskriterien vorgeben kann.
Daher besteht in einem solchen Fall notwendigerweise ein Vertrauensverhältnis
zwischen der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft und derjenigen der
Muttergesellschaft, und diese Geschäftsleitungen verhalten sich zwangsläufig so, dass
sie das einzige bestehende geschäftliche Interesse, nämlich das der Muttergesellschaft,
vertreten und fördern (vgl. auch oben, Rn. 31). So ist die Einheitlichkeit des
Marktverhaltens der Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft trotz der
Eigenständigkeit gewährleistet, über die die Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft bei
der Führung von deren operativem Geschäft verfügt, welche sich nach der für die
Tochtergesellschaft festgelegten Geschäftspolitik im engeren Sinne richtet. Zudem ist es
in der Regel der einzige Anteilseigner, der allein und nach seinen eigenen Interessen
die Modalitäten der Entscheidungsfindung einer Tochtergesellschaft bestimmt und den
Umfang ihrer operativen Eigenständigkeit bestimmt. Dies kann er nach seinem eigenen
Willen durch neu festgelegte Regeln für die Betriebsführung der Tochtergesellschaft oder
im Rahmen einer Umstrukturierung oder selbst durch die Schaffung informeller
im Rahmen einer Umstrukturierung oder selbst durch die Schaffung informeller
Entscheidungsstrukturen
ändern.
Somit
stellt
die
Geschäftsleitung
der
Tochtergesellschaft bei der Ausübung ihrer autonomen Befugnisse grundsätzlich sicher,
dass das Geschäftsverhalten der Tochtergesellschaft mit dem des übrigen Konzerns in
Einklang steht.
51
Zweitens fügen sich die von den Klägerinnen angeführten Gesichtspunkte dem Konzept
der dezentralisierten Geschäftsführung ein, das für Großunternehmen mit diversifizierten
Tätigkeiten typisch ist, und beruhen auf keinem außergewöhnlichen Umstand. Vielmehr
räumen die Klägerinnen gerade ein, dass sich die RWE AG konzernsteuernde Aufgaben
wie Strategie, Planung, Controlling und Finanzierung gewidmet und von Dea Mineraloel
technische Berichte erhalten habe, während sich RWE Dea für die Tätigkeiten von Dea
Mineraloel interessiert habe, mit denen ein hoher Kapitalbedarf verbunden gewesen sei,
sowie für die Entwicklung von Marktmargen oder Gewinnen und für die Risiken.
52
Drittens ist die Kommission nach Ansicht der Klägerinnen in der angefochtenen
Entscheidung inkohärent vorgegangen, da sie die operative Geschäftsführung im
Zusammenhang mit der Zurechnung des Verhaltens des Gemeinschaftsunternehmens
von BP und Mobil zulasten dieser Muttergesellschaften durchaus geprüft habe (374.
Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Dagegen habe sie es abgelehnt,
die operative Eigenständigkeit von Dea Mineraloel zu berücksichtigen.
53
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen (vgl. insoweit auch die Prüfung des
zweiten Teils des vorliegenden Klagegrundes), dass die jeweiligen Befugnisse der
Muttergesellschaften bei der Leitung des operativen Geschäfts eines gemeinsamen
Unternehmens ein relevanter Gesichtspunkt für die Beurteilung der Frage sind, ob die
Verantwortung für eine von dem Gemeinschaftsunternehmen begangene
Zuwiderhandlung den Muttergesellschaften zuzurechnen ist, da die gemeinsame Leitung
des Gemeinschaftsunternehmens von der wirtschaftlichen Einheit zeugt, die das
Gemeinschaftsunternehmen mit den diese gemeinsame Leitung wahrnehmenden
Muttergesellschaften bildet. Doch handelt es sich bei Dea Mineraloel nicht um ein
Gemeinschaftsunternehmen, sondern um eine 100%ige Tochtergesellschaft von RWE
Dea, auf die eine andere Beweisregelung Anwendung findet, da es nur einen einzigen
Anteilseigner und ein einziges geschäftliches Interesse gab und sämtliche
Geschäftsführer unmittelbar oder mittelbar ausschließlich von der Muttergesellschaft
ausgewählt und ernannt wurden (vgl. oben, Rn. 42 und 50).
54
Daher ist das Argument, das aus der Zurechnung der Verantwortung für die
Zuwiderhandlung des Gemeinschaftsunternehmens von BP und Mobil hergeleitet wird,
irrelevant.
55
Daraus folgt, dass das Vorbringen der Klägerinnen zur operativen Eigenständigkeit von
Dea Mineraloel, das eine Aufhebung der aus Dea Mineraloel und den Klägerinnen
bestehenden wirtschaftlichen Einheit nicht zu belegen vermag, zurückzuweisen ist.
– Zu dem fehlenden Einfluss auf das Paraffinwachsgeschäft und dem geringen
prozentualen Anteil der Verkäufe von Paraffinwachs am Umsatz von Dea Mineraloel
56
Die Klägerinnen machen geltend, die RWE AG habe Dea Mineraloel keinerlei
Weisungen für die Führung des Tagesgeschäfts erteilt. Lediglich für die Durchführung
von Großprojekten von erheblicher Bedeutung für den Gesamtkonzern sei die
Zustimmung des Vorstands und des Aufsichtsrats der RWE AG eingeholt worden. Da
das Paraffinwachsgeschäft aber nie Bedeutung für den Gesamtkonzern gehabt hatte,
seien Vorstand und Aufsichtsrat der RWE AG nicht mit Fragen der Geschäftsführung aus
diesem Bereich befasst worden.
57
Ebenso wenig hätten der Vorstand und der Aufsichtsrat von RWE Dea Einfluss auf das
Paraffinwachsgeschäft von Dea Mineraloel genommen oder ihr Weisungen für dieses
Geschäft erteilt. Im Hinblick auf das Paraffinwachsgeschäft habe der Vorstand von RWE
Dea lediglich die wöchentliche Stichtagsrechnung zur Kenntnis genommen, in der das
Geschäftsergebnis des Mineralölwerks Grasbrook zusammengefasst worden sei. Diese
wöchentliche Stichtagsrechnung habe im Wesentlichen mit dem vom Rechnungswesen
gelieferten Monatsergebnis übereingestimmt. Aus diesem Grund sei eine aktive
Begleitung des Paraffinwachsgeschäfts aus Sicht des Vorstands von RWE Dea
entbehrlich gewesen.
58
Das von dem Kartellvorwurf betroffene Geschäft mache nur 0,1 % bis 0,2 % des
Umsatzes von Dea Mineraloel aus, was ein „starkes Indiz“ dafür sei, dass tatsächlich
kein bestimmender Einfluss seitens der Konzernspitze genommen worden sei.
59
Erstens gibt nach der Rechtsprechung nicht ein zwischen Mutter- und
Tochterunternehmen
in
Bezug
auf
die
Zuwiderhandlung
bestehendes
Anstiftungsverhältnis und schon gar nicht eine Beteiligung Ersterer an dieser
Zuwiderhandlung, sondern der Umstand, dass sie ein einziges Unternehmen im Sinne
des Art. 81 EG darstellen, der Kommission die Befugnis, die Entscheidung, mit der
Geldbußen verhängt werden, an das Mutterunternehmen einer Unternehmensgruppe zu
richten. Die Zurechnung der Zuwiderhandlung einer Tochtergesellschaft an ihre
Muttergesellschaft erfordert nämlich nicht den Beweis, dass die Muttergesellschaft die
Politik ihrer Tochtergesellschaft in dem konkreten Bereich beeinflusst, der Gegenstand
der Zuwiderhandlung war. Daraus folgt, dass der Umstand, dass die Geschäftsleitung
der Muttergesellschaft keine Kenntnis von der Zuwiderhandlung hatte und keine
Weisungen in Bezug auf die Produktion oder den Verkauf der Erzeugnisse, die
Gegenstand des Kartells waren, erteilt hat, im Hinblick auf die Widerlegung der
Vermutung unerheblich ist (Urteile des Gerichts vom 12. Dezember 2007, Akzo Nobel
u. a./Kommission, oben in Rn. 40 angeführt, Rn. 58 und 83, und vom 13. Juli 2011, Shell
Petroleum u. a./Kommission, T‑38/07, Slg. 2011, II‑4383, Rn. 69 und 70).
60
Ferner ist aus denselben Gründen der Umstand, dass das von der Zuwiderhandlung
betroffene Geschäftsfeld oder Geschäft nur einen geringen prozentualen Anteil am
Gesamtgeschäft des Konzerns oder der Muttergesellschaft ausmacht, nicht geeignet, die
Unabhängigkeit der genannten Tochtergesellschaft von ihrer Muttergesellschaft
nachzuweisen, und daher ohne Auswirkung auf die Anwendung der Vermutung, dass
die Muttergesellschaft tatsächlich bestimmenden Einfluss auf das Geschäftsverhalten
ihrer Tochtergesellschaft auf dem Markt ausübt (Urteil des Gerichts vom 30. September
2009, Arkema/Kommission, T‑168/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht,
Rn. 79, vgl. auch in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 26. April 2007, Bolloré
u. a./Kommission, T‑109/02, T‑118/02, T‑122/02, T‑125/02, T‑126/02, T‑128/02,
u. a./Kommission, T‑109/02, T‑118/02, T‑122/02, T‑125/02, T‑126/02, T‑128/02,
T‑129/02, T‑132/02 und T‑136/02, Slg. 2007, II‑947, Rn. 144).
61
Außerdem ändert der geringe Anteil des Verkaufs der Erzeugnisse, die Gegenstand des
Kartells waren, am Umsatz des Konzerns nichts an der Tatsache, dass die in diesem
Bereich erzielten Ergebnisse in der Regel in die konsolidierten Abschlüsse der
Muttergesellschaften eingehen. Somit ist die Rentabilität dieser Geschäfte von Interesse
für die Muttergesellschaften und für den Konzern insgesamt.
62
Im Übrigen müssen nicht unbedingt förmliche Weisungen der Muttergesellschaft an ihre
Tochtergesellschaft vorliegen, damit die wirtschaftliche Einheit zwischen diesen beiden
Gesellschaften nachgewiesen werden kann (vgl. oben, Rn. 31). Die wirtschaftliche
Einheit zwischen ihnen ist nämlich auch gewährleistet, wenn die Befugnis, die
Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft im engen Sinne zu bestimmen, der mit der
Führung des operativen Geschäfts der Tochtergesellschaft betrauten Geschäftsleitung
übertragen ist, die von der Muttergesellschaft ausgewählt und auf ihren Positionen
bestätigt wird und das einzige bestehende geschäftliche Interesse vertritt und fördert,
nämlich das der Muttergesellschaft, die Alleineigentümerin ist. Die genannte
Geschäftsleitung stellt somit bei der Ausübung ihrer eigenständigen Befugnisse sicher,
dass das Geschäftsverhalten der Tochtergesellschaft mit dem der Muttergesellschaft im
Einklang steht (vgl. oben, Rn. 50). Ein Einschreiten der Muttergesellschaft kann somit auf
Situationen beschränkt sein, in denen die Ergebnisse der Tochtergesellschaft nicht den
Erwartungen der Muttergesellschaft entsprechen, während sich die Muttergesellschaft
bei normalen Ergebnissen darauf beschränken kann, die Geschäfte ihrer
Tochtergesellschaft über von dieser erstellte Berichte zu verfolgen und etwaige
strategische Entscheidungen zu genehmigen.
63
Daher sind die Argumente, mit denen die Klägerinnen geltend machen, dass sie im
Bereich Paraffinwachs keinen Einfluss ausgeübt hätten, zurückzuweisen.
64
Damit ist die Feststellung der Kommission zu bestätigen, dass die Klägerinnen und Dea
Mineraloel zu dem Unternehmen gehörten, das in der Zeit vom 3. September 1992 bis 1.
Januar 2002 die Zuwiderhandlung begangen hat. Folglich hat die Kommission keinen
Fehler begangen, als sie die Klägerinnen und Dea Mineraloel für die Zuwiderhandlung
zur Verantwortung gezogen hat.
Zur behaupteten verschuldensunabhängigen Haftung der Klägerinnen
65
Die Klägerinnen sind der Ansicht, dass der von der Kommission im vorliegenden Fall
verfolgte Ansatz zu einer „nahezu verschuldensunabhängigen“ Haftung führe, was mit
dem Grundsatz persönlicher Verantwortlichkeit unvereinbar sei. Die Zurückweisung der
Argumente, die sie vorgebracht hätten, um die Vermutung der tatsächlichen Ausübung
eines bestimmenden Einflusses zu widerlegen, habe zur Folge, dass diese Vermutung
im Fall von Tochtergesellschaften, die zu 100 % von einer Muttergesellschaft gehalten
würden, letztlich in eine unwiderlegliche Vermutung des Bestehens einer
wirtschaftlichen Einheit umgewandelt werde.
66
Es ist darauf hinzuweisen, dass die Anwendung der Vermutung, dass eine
Muttergesellschaft bestimmenden Einfluss auf das Geschäftsverhalten ihrer
Muttergesellschaft bestimmenden Einfluss auf das Geschäftsverhalten ihrer
Tochtergesellschaft ausübt, gerechtfertigt ist, da sie für die Beziehungen zwischen einer
Tochtergesellschaft und ihrer einzigen Muttergesellschaft charakteristische Situationen
erfasst, und dass diese Vermutung nicht unwiderleglich ist (vgl. oben, Rn. 41 bis 44).
67
Die Widerlegung dieser Vermutung ist jedoch keine Frage der Menge und der
Detailliertheit der Beweise, wenn sich aus diesen ergibt, dass eine für ein großes
multinationales Unternehmen normale Organisationssituation vorliegt, wo die Befugnisse
der operativen Geschäftsführung an die Leitung seiner örtlichen Einheiten übertragen
sind. Um diese Vermutung zu widerlegen, sind außergewöhnliche Umstände
darzulegen, die zeigen, dass die wirtschaftliche Einheit der Gruppe, obwohl das gesamte
Kapital der Tochtergesellschaften der Gruppe von ihren Muttergesellschaften gehalten
wird, aufgehoben worden ist, da die Mechanismen, die gewöhnlich für die Abstimmung
des Geschäftsverhaltens der Tochtergesellschaft auf das ihrer Muttergesellschaft sorgen,
nicht normal funktioniert haben.
68
Außerdem darf ein Unternehmen nach dem Grundsatz der individuellen Zumessung
von Strafen und Sanktionen, der für jedes Verwaltungsverfahren gilt, das zur
Verhängung von Sanktionen nach den Wettbewerbsregeln der Union führen kann, nur
für die Handlungen bestraft werden, die ihm individuell zur Last gelegt worden sind (vgl.
in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 13. Dezember 2001, Krupp Thyssen Stainless
und Acciai speciali Terni/Kommission, T‑45/98 und T‑47/98, Slg. 2001, II‑3757, Rn. 63).
69
Dieser Grundsatz muss jedoch mit dem Unternehmensbegriff und mit der
Rechtsprechung vereinbar sein, wonach der Umstand, dass die Muttergesellschaft und
ihre Tochtergesellschaft ein einziges Unternehmen im Sinne des Art. 81 EG bilden, die
Kommission berechtigt, die Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die
Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe zu richten. Somit ist festzustellen, dass
gegen die Klägerinnen selbst eine Sanktion wegen der Zuwiderhandlung verhängt
wurde, die ihnen aufgrund ihrer engen wirtschaftlichen, organisatorischen und
rechtlichen Bindungen zu Dea Mineraloel, die sich daraus ergaben, dass sie deren
gesamtes Kapital hielten, persönlich zur Last gelegt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil
Metsä-Serla u. a./Kommission, oben in Rn. 30 angeführt, Rn. 34).
70
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Kommission auf der Grundlage der
fraglichen Vermutung, die im vorliegenden Fall nicht widerlegt wurde, feststellen durfte,
dass die Klägerinnen zu einem „Unternehmen“ gehörten, das gegen Art. 81 EG
verstoßen hat. Somit wurden die Grundsätze der persönlichen Verantwortlichkeit und der
individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen gewahrt.
71
Daher ist diese Rüge zurückzuweisen.
72
Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass die Kommission nicht
gegen Art. 81 EG und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen hat, als sie
den Klägerinnen die Verantwortung für die von Dea Mineraloel begangene
Zuwiderhandlung zugerechnet hat.
73
Folglich ist der erste Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.
Zum zweiten Teil: Zurechnung der Verantwortung für die von Shell & Dea Oil
Zum zweiten Teil: Zurechnung der Verantwortung für die von Shell & Dea Oil
begangene Zuwiderhandlung (2. Januar bis 30. Juni 2002) zulasten der Klägerinnen
74
Die Klägerinnen machen geltend, dass die Kommission ihnen zu Unrecht die
Verantwortung für die von Shell & Dea Oil, einem zu gleichen Teilen von RWE Dea und
von
Shell
gehaltenen
Gemeinschaftsunternehmen,
im
Zeitraum
des
Gemeinschaftsunternehmens vom 2. Januar bis 30. Juni 2002 begangene
Zuwiderhandlung zugerechnet habe. Shell habe bereits unmittelbar nach der Gründung
des Gemeinschaftsunternehmens dessen operative Kontrolle übernommen. Folglich
dürfe die Kommission gegen die Klägerinnen keine Geldbuße für die von dieser Einheit
begangene Zuwiderhandlung verhängen.
75
In der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission Shell und RWE als
Gesamtschuldner für die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen von Shell & Dea Oil
zur Verantwortung gezogen (552. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).
Sie hat den Klägerinnen die Verantwortung für diese Verhaltensweisen aufgrund
folgender Erwägungen zugerechnet:
„…
(510) Als Shell und [RWE Dea] im Januar 2002 ihr Gemeinschaftsunternehmen
gründeten, wurde die bestehende Dea Mineraloel … als Instrument zur Einrichtung
des Gemeinschaftsunternehmens genutzt; diese Gesellschaft wurde am 2. Januar
2002 in ‚Shell & Dea Oil GmbH‘ umbenannt und gleichzeitig jeweils zu 50 % der
Deutsche
Shell
GmbH
und
der
[RWE
Dea]
unterstellt.
Das
Gemeinschaftsunternehmen wurde in der Absicht gegründet, dass Shell nach einer
Übergangsphase, die mit der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens
beginnen und spätestens am 1. Juli 2004 enden sollte, die alleinige Kontrolle über
die kombinierten Geschäftsbereiche übernehmen sollte. Während des
Übergangszeitraums sollten von jedem Anteilseigner gleich viele Mitglieder für die
für
das
Tagesgeschäft
des
Gemeinschaftsunternehmens
zuständige
Geschäftsführung benannt werden; der Vorsitzende der Geschäftsführung sollte
jedoch das ausschlaggebende Votum besitzen und von Shell benannt werden.
Zudem besaßen beide Parteien gewisse Vetorechte, um ihren bestimmenden
Einfluss auf das Gemeinschaftsunternehmen zu wahren; somit übten Shell und
RWE während der Übergangsphase gemeinsam die Kontrolle über das
Gemeinschaftsunternehmen aus [die Fn. 666 der angefochtenen Entscheidung
verweist hierzu auf die Entscheidung über die Genehmigung des
Zusammenschlusses].
(549) [Aus der Rechtsprechung, insbesondere aus dem Urteil des Gerichts vom 27.
September 2006, Avebe/Kommission, T‑314/01, Slg. 2006, II‑3085] ergibt sich,
dass die Kompetenz eines Unternehmens zur Führung eines anderen
Unternehmens als Nachweis dafür dienen kann, dass dieses einen bestimmenden
Einfluss auf das andere Unternehmen ausgeübt hat. In dieser Sache ist
festzustellen, dass die gemeinsame Kompetenz von Shell und RWE in der
Geschäftsführung im Hinblick auf die Führung des Gemeinschaftsunternehmens
Geschäftsführung im Hinblick auf die Führung des Gemeinschaftsunternehmens
auf
der
Grundlage
der
Vereinbarung
zur
Gründung
des
Gemeinschaftsunternehmens nachgewiesen wurde (siehe Randnummer [510]). Die
Mitglieder der für das Tagesgeschäft des Gemeinschaftsunternehmens zuständigen
Geschäftsführung wurden zu gleichen Teilen von beiden Anteilseignern benannt.
Beschlüsse in der Aktionärsversammlung wurden mit einfacher Mehrheit gefasst.
(Beide Parteien besaßen jeweils 50 % der Stimmrechte und Entscheidungen
konnten von beiden Parteien mit einem Veto verhindert werden.) Während des
maßgeblichen Zeitraums sollten bestimmte Entscheidungen von einem aus sechs
Mitgliedern bestehenden Ausschuss des Gemeinschaftsunternehmens getroffen
werden; jeder Antei1seigner sollte jeweils drei Mitglieder benennen, und
Entscheidungen sollten nur einmütig gefällt werden können. Das
Gemeinschaftsunternehmen konnte nach eigenem Ermessen und in eigener
Kompetenz eine Reihe strategischer Entscheidungen treffen (z. B. bezüglich des
Geschäftsplans, des Jahreshaushalts, struktureller Veränderungen am
Gemeinschaftsunternehmen, Investitionen oberhalb einer bestimmten Grenze und
der Benennung von Mitgliedern der Geschäftsführung). (In Randnummer [510]
wurde auf die so genannten Vetorechte verwiesen.) Daher stellt die Kommission
angesichts dieser Vetorechte beider Parteien zur Wahrung ihres bestimmenden
Einflusses im Gemeinschaftsunternehmen fest, dass Shell und RWE das
Gemeinschaftsunternehmen im betreffenden Zeitraum gemeinsam kontrolliert
haben [vgl. Fn. 680 der angefochtenen Entscheidung und Entscheidung über die
Genehmigung des Zusammenschlusses].
(550) Unter diesen Umständen kann die Tatsache, dass der Vorstandsvorsitzende
das ausschlaggebende Votum besaß und von Shell benannt wurde, nicht als
erheblich, geschweige denn entscheidend dafür betrachtet werden, dass die
Vermutung der gemeinsamen Haftung von Shell und RWE … widerlegt würde …,
da dies nicht die Vetorechte betrifft. In Anbetracht der Leitungsstruktur des
Gemeinschaftsunternehmens kann den von RWE vorgebrachten Argumenten
dahingehend,
dass
die
Umsatz-
und
die
Preispolitik
des
Gemeinschaftsunternehmens nur von Shell entschieden und kontrolliert worden sei
und dass das Management des Gemeinschaftsunternehmens in die
Unternehmensstruktur von Shell integriert gewesen sei, nicht gefolgt werden.
Ähnlich ändert auch die Tatsache, dass seit der Gründung des
Gemeinschaftsunternehmens vorgesehen war, dass Shell nach dem
Übergangszeitraum
die
uneingeschränkte
Kontrolle
über
das
Gemeinschaftsunternehmen übernehmen würde, nichts an der Tatsache, dass das
Gemeinschaftsunternehmen während des Übergangszeitraums aus den oben in
den Randnummern (510) und (549) genannten Gründen der gemeinsamen
Kontrolle von Shell und RWE unterstand.
(551) In Anbetracht der gemeinsamen Führungskompetenz (insbesondere auch über
den Ausschuss des Gemeinschaftsunternehmens) und der Tatsache, dass Shell
und RWE sämtliche Anteile am Gemeinschaftsunternehmen gemeinsam
kontrollierten (beide zu jeweils 50 %), steht die Zuschreibung der Haftung zu
beiden Muttergesellschaften im vorliegenden Fall im Einklang mit dem Urteil
[Avebe/Kommission].
[Avebe/Kommission].
(553) … die RWE AG und die RWE-Dea AG [haben] vom 2. Januar 2002 bis zum 30.
Juni 2002 (gemeinsam mit der Shell-Gruppe) bestimmenden Einfluss auf [das
Gemeinschaftsunternehmen] ausgeübt und [dieses] wirksam kontrolliert. Daher
haften die RWE AG und die RWE-Dea AG gesamtschuldnerisch mit dem Shell-
Konzern für das Verhalten [von Shell & Dea Oil] zwischen dem 2. Januar 2002 und
dem 30. Juni 2002. Für beide Zeiträume sind die RWE AG und die RWE-Dea AG
Teil des Unternehmens, das die Zuwiderhandlung begangen hat.“
76
Erstens machen die Klägerinnen geltend, dass entgegen den Ausführungen der
Kommission in der angefochtenen Entscheidung im Urteil des Gerichts vom 27.
September 2006, Avebe/Kommission (T‑314/01, Slg. 2006, II‑3085), keine allgemeine
Vermutung zu der Frage aufgestellt werde, ob auf das Geschäftsverhalten eines von
zwei Muttergesellschaften zu gleichen Teilen gehaltenen Gemeinschaftsunternehmens
ein bestimmender Einfluss ausgeübt worden sei.
77
Zweitens habe die Kommission in der angefochtenen Entscheidung die „gemeinsame
Leitung“ des Gemeinschaftsunternehmens durch Shell und RWE nicht nachgewiesen.
Die gemeinsame Leitung sei im Urteil Avebe/Kommission (oben in Rn. 76 angeführt) auf
der Grundlage von Indizien festgestellt worden, die im vorliegenden Fall fehlten.
78
Insbesondere seien in der Rechtssache, in der das Urteil Avebe/Kommission ergangen
sei, die Muttergesellschaften „gemeinsam für die Geschäftspolitik verantwortlich“ und in
allen Gremien, einschließlich der Geschäftsführung (Direktoren), gleichberechtigt
vertreten gewesen. Im vorliegenden Fall dagegen sei die Geschäftsführung zwar
paritätisch besetzt gewesen, jedoch habe der von Shell zu bestellende Vorsitzende der
Geschäftsleitung bei Stimmengleichheit das ausschlaggebende Stimmrecht gehabt.
79
Außerdem habe in der Rechtssache, in der das Urteil Avebe/Kommission ergangen sei,
das Gemeinschaftsunternehmen regelmäßig an Beauftragte beider Muttergesellschaften
berichten müssen. Im vorliegenden Fall sei die Geschäftsführung von Beginn an in die
Entscheidungs- und Berichtsstrukturen des Shell-Konzerns eingebunden gewesen.
80
Drittens sind die Klägerinnen der Ansicht, dass die Merkmale der Geschäftsführung von
Shell & Dea Oil, die sich aus deren vorübergehender Natur ergäben, eine gemeinsame
Leitung ausschlössen.
81
Hierzu machen sie geltend, dass nach den Bestimmungen der Vereinbarung über das
Gemeinschaftsunternehmen
Shell
die
Mehrheit
der
Anteile
an
dem
Gemeinschaftsunternehmen bis zum Ablauf einer bestimmten Frist habe erwerben
sollen, während RWE das Recht erlangt habe, ihre Anteile an dem
Gemeinschaftsunternehmen Shell anzubieten. In dem Verfahren, das zum Erlass der
Entscheidung über die Genehmigung des Zusammenschlusses geführt habe (auf das
sich die Kommission in den Erwägungsgründen 510, 530 und 549 der angefochtenen
Entscheidung gestützt habe), habe die Kommission nämlich nicht die Erlangung einer
gemeinsamen Kontrolle, sondern unmittelbar den Erwerb der ausschließlichen Kontrolle
durch Shell geprüft und festgestellt.
durch Shell geprüft und festgestellt.
82
Die Einbindung der Geschäftsführung von Shell & Dea Oil in die Entscheidungs- und
Berichtsstrukturen von Shell ergebe sich u. a. aus den Verfahrensregeln für deren
Geschäftsführung. Gemäß § 1.1 dieser Regeln sei die Geschäftsführung von Shell & Dea
Oil in die Shell Europe Oil Products Ltd einzubinden gewesen. Gemäß § 1.2 sei der
Vorsitzende der Geschäftsführung von Shell & Dea Oil verpflichtet gewesen, die
Geschäftsführung nach internationalem Shell-Standard auszurichten. Nach § 3 dieser
Regeln sei jeder Geschäftsführer Teil der Entscheidungs- und Berichtsstrukturen von
Shell gewesen. Nach § 4 dieser Regeln sei der Vorsitzende der Geschäftsführung zur
Zusammenarbeit mit dem Präsidenten von Shell Europe Oil Products verpflichtet
gewesen.
83
Diese Entscheidungs- und Berichtsstrukturen seien bereits bei der Gründung des
Gemeinschaftsunternehmens eingeführt und von Anfang an beachtet worden. Herr S.
etwa, der nach der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens für das
Paraffinwachsgeschäft als Verkaufsleiter zuständig gewesen sei, habe nicht an die
Geschäftsführung des Gemeinschaftsunternehmens berichtet. Er habe vielmehr
unmittelbar an Herrn G., den European Wax Manager der Shell-Gruppe bei der Shell UK
Oil Products Ltd, berichtet. Was die Vertriebspolitik und das operative Geschäft von Shell
& Dea Oil im Bereich Paraffinwachs anbelangt habe, sei das Organ, über das RWE Dea
kraft ihrer Besetzungsbefugnis als Gesellschafterin Einfluss hätte ausüben können,
überhaupt nicht befasst worden. Die Vertriebspolitik und das operative Geschäft seien
von der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens an praktisch allein von Shell
gesteuert worden.
84
Die Einbindung des Gemeinschaftsunternehmens in die Strukturen von Shell habe sich
auch in anderen wichtigen Unternehmensbereichen gezeigt. So sei ein Projekt namens
„Finance Controlling Procurement“ mit der Zielsetzung aufgelegt worden, die
Rechnungslegungssysteme von Shell als die auch für Shell & Dea Oil maßgeblichen
Systeme einzurichten und die Übertragung des Rechnungswesens der alten Dea
Mineraloel auf diese Systeme vorzubereiten. Shell & Dea Oil sei insoweit – wie sich aus
den „Kurzinformationen zum FCP-Projekt“ ergebe – bereits als Teil der europäischen
Shell-Organisation betrachtet worden. In diesem Dokument heißt es, dass „[d]er
Grundsatz der Joint- Venture Vereinbarung beinhaltet, dass das Joint-Venture als Teil
der europäischen Organisation von Shell die Standards, Systeme, Prozesse und Kultur
von Shell übernehmen wird“ und dass „im Rahmen des Aufbaus des Shell Dea Oil Joint-
Ventures … daher sämtliche Geschäftsprozesse von Shell und Dea harmonisiert werden
[sollen]“, wobei „[d]ie Geschäftsprozesse von Shell … dabei als der zu übernehmende
Standard [gelten]“.
85
Ferner hätten während der Bestandsdauer des Gemeinschaftsunternehmens die
Mitarbeiter des Rechnungswesens von RWE Dea keinen Zugriff auf die
Rechnungslegung von Shell & Dea Oil gehabt.
86
Somit erbringen nach Ansicht der Klägerinnen die von der Kommission in der
angefochtenen Entscheidung zusammengetragenen Gesichtspunkte nicht den Nachweis
einer „gemeinsamen Leitung“ im Sinne des Urteils Avebe/Kommission (oben in Rn. 76
angeführt), sondern allenfalls den einer gemeinsamen Kontrolle im Sinne von Art. 3
angeführt), sondern allenfalls den einer gemeinsamen Kontrolle im Sinne von Art. 3
Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar
2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. L 24, S. 1). Der
Nachweis der gemeinsamen Leitung sei qualitativ nämlich mehr als der einer
gemeinsamen Kontrolle und setze voraus, dass die Muttergesellschaften die Geschäfte
tatsächlich auch aktiv gemeinsam führten.
87
Da die Kommission im vorliegenden Fall den Nachweis einer gemeinsamen Leitung
nicht erbracht habe, sei die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit
die Kommission den Klägerinnen die Verantwortung für die von Shell & Dea Oil
begangene Zuwiderhandlung zurechne.
88
Die Kommission ist erstens der Auffassung, dass eine Vermutung für die tatsächliche
Ausübung eines bestimmenden Einflusses durch die beiden Muttergesellschaften auf
das Geschäftsverhalten des Gemeinschaftsunternehmens bestehe, wenn nicht nur die
gemeinsame Kontrolle über (nahezu) 100 % der Gesellschaftsanteile, sondern darüber
hinaus eine gemeinsame Leitungsbefugnis beider Muttergesellschaften hinsichtlich der
Geschäftspolitik des Gemeinschaftsunternehmens nachgewiesen sei.
89
Zweitens ist sie der Ansicht, sie habe den Nachweis einer gemeinsamen
Leitungsbefugnis unter Verweis auf die Bestimmungen der Vereinbarung zur Gründung
des Gemeinschaftsunternehmens erbracht. Die Klägerinnen stellten nicht in Abrede,
dass die von der Kommission angeführten Umstände einen bestimmenden Einfluss der
beiden Muttergesellschaften auf strategische Entscheidungen von Shell & Dea Oil
begründeten. Da die Muttergesellschaften den besten Einblick in die konkrete
Ausgestaltung der Kontrollverhältnisse im Gemeinschaftsunternehmen hätten, obliege es
ihnen, den Gegenbeweis zu führen, wenn die Kommission auf der Grundlage
nachgewiesener Umstände eine gemeinsame Leitungsbefugnis über die
Geschäftspolitik des Gemeinschaftsunternehmens nachgewiesen und damit den Prima-
facie-Beweis für die Ausübung eines bestimmenden Einflusses durch beide
Muttergesellschaften erbracht habe.
90
Die Klägerinnen argumentierten ausschließlich damit, dass sie keinen Einfluss auf die
Vertriebs- und Preispolitik, d. h. auf das operative Geschäft von Shell & Dea Oil,
genommen
hätten.
Sie
behaupteten,
dass
das
Tagesgeschäft
des
Gemeinschaftsunternehmens in die „Entscheidungs‑ und Berichtsstrukturen“ der Shell-
Gruppe eingebunden gewesen sei. Nach Ansicht der Kommission reicht es für die
Annahme einer wirtschaftlichen Einheit aber aus, wenn sich der bestimmende Einfluss
der Muttergesellschaften auf die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft im weiteren
Sinne, insbesondere auf strategische Entscheidungen, erstreckt. Daher genüge das
Argument der privilegierten Einflussnahmemöglichkeit der Shell-Gruppe auf die
Vertriebs- und Preispolitik von Shell & Dea Oil nicht, um zu beweisen, dass die beiden
Muttergesellschaften nicht gemeinsam Einfluss ausgeübt hätten.
91
Darüber hinaus ergebe sich aus den Bestimmungen der Vereinbarung zur Gründung
des Gemeinschaftsunternehmens, dass beide Muttergesellschaften gemeinsam die
Leitung über das Gemeinschaftsunternehmen ausgeübt hätten. RWE Dea und Deutsche
Shell seien in der Gesellschafterversammlung paritätisch vertreten gewesen, da sie zu
Shell seien in der Gesellschafterversammlung paritätisch vertreten gewesen, da sie zu
gleichen Teilen am Kapital des Gemeinschaftsunternehmens beteiligt gewesen seien.
Dementsprechend seien auch der Gesellschafterausschuss und die Geschäftsführung
paritätisch besetzt gewesen. In den Aufsichtsrat hätten beide Muttergesellschaften
ebenfalls eine gleiche Anzahl von Vertretern entsandt.
92
Während RWE im Gesellschafterausschuss und im Aufsichtsrat den Vorsitzenden
gestellt habe, sei der Vorsitzende der Geschäftsführung von Shell im Einvernehmen mit
RWE bestellt worden. Bei Stimmengleichheit habe der Vorsitzende zwar das
ausschlaggebende Stimmrecht gehabt, jedoch seien die Vertreter in der
Geschäftsführung verpflichtet gewesen, alle zumutbaren Anstrengungen zu
unternehmen, um Einigkeit bei der Entscheidungsfindung zu erzielen. Im Übrigen sei in
den Aufsichtsrat des gemeinsamen Unternehmens eine Reihe von Vorständen der
Klägerinnen entsandt worden.
93
Was die Kompetenzverteilung anbelange, sei die Geschäftsleitung allein für die
operative Geschäftsführung des Gemeinschaftsunternehmens verantwortlich gewesen,
habe dabei aber der Kontrolle und dem Weisungsrecht des Gesellschafterausschusses
und der Gesellschafterversammlung unterlegen. Dies sei mit entsprechenden
Informations- und Berichtspflichten und dem Recht zur Rechnungsprüfung der
Muttergesellschaften verbunden gewesen. Daher hätten die Klägerinnen entgegen ihren
Ausführungen entsprechende Informationen erhalten und Prüfungen selbst vornehmen
können.
94
Strategische Fragen seien dem Gesellschafterausschuss und in letzter Instanz der
Gesellschafterversammlung vorbehalten gewesen, in denen jeweils mit einfacher
Mehrheit entschieden worden sei. In der Gesellschafterversammlung und im
Gesellschafterausschuss hätten sich beide Muttergesellschaften intensiv darum
bemühen sollen, „Pattsituationen zu beheben“, wobei ultimativ eine Lösung zwischen
den jeweiligen Konzernspitzen herbeizuführen gewesen sei.
95
Das Gemeinschaftsunternehmen habe keine von den Muttergesellschaften
unabhängige Geschäftsführung gehabt, und beide Muttergesellschaften hätten sich in
allen Fragen auf einen gemeinsamen Kurs verständigen müssen. Zudem seien beide
Muttergesellschaften
in
gleicher
Weise
über
das
Geschäft
des
Gemeinschaftsunternehmens informiert worden und hätten auf der Grundlage der
übermittelten Berichte ihren Einfluss in den Organen des Gemeinschaftsunternehmens
geltend machen können. Diese Sachlage begründe den Anscheinsbeweis, dass beide
Muttergesellschaften einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik von Shell &
Dea Oil auch tatsächlich ausgeübt hätten.
96
Die Klägerinnen hielten dem entgegen, dass die Geschäftsführung von Shell & Dea Oil
von Anfang an „vollständig in die Entscheidungs‑ und Berichtsstrukturen der Shell-
Gruppe eingebunden“ worden sei. Aus den Verfahrensregeln für die operative
Geschäftsführung ergebe sich zwar, dass mit Blick auf einen möglichen späteren Erwerb
der alleinigen Kontrolle durch Shell von Anfang an eine Angleichung der
Geschäftsabläufe im Gemeinschaftsunternehmen mit denjenigen des Shell-Konzerns
vorgesehen gewesen sei. Nach Auffassung der Kommission wurde hiermit aber lediglich
eine organisatorische Integration in die Shell-Gruppe vorweggenommen, ohne jedoch
eine organisatorische Integration in die Shell-Gruppe vorweggenommen, ohne jedoch
die gemeinsame Leitung des Gemeinschaftsunternehmens in Frage zu stellen. So habe
Shell dem Gemeinschaftsunternehmen als Kooperationspartner und Ratgeber zur Seite
stehen sollen. Die Verfahrensregeln machten gleichwohl deutlich, dass damit kein
Eingriff in die Leitungsbefugnis von RWE verbunden gewesen sei.
97
Außerdem fehle jeder Nachweis für das Vorbringen der Klägerinnen, wonach der
Verkaufsleiter des Gemeinschaftsunternehmens nicht an dessen Geschäftsführung,
sondern allein an den für das Wachsgeschäft in Europa zuständigen Geschäftsführer von
Shell berichtet habe. Das Vorbringen der Klägerinnen betreffe in jedem Fall allein die
Struktur des Berichtswesens, das möglicherweise so organisiert gewesen sei, dass die
Verkaufszahlen bei Shell gesammelt und aufbereitet worden seien. Shell habe weiterhin
ein eigenes Wachsgeschäft gehabt, während das ehemalige Wachsgeschäft von RWE
im Gemeinschaftsunternehmen konzentriert gewesen sei. Ohnehin sei der Verkaufsleiter
Mitglied der Geschäftsführung gewesen oder jedenfalls als „First Level Manager“ zur
Kooperation und zu Informationen gegenüber der Geschäftsführung verpflichtet
gewesen. Die Geschäftsführung sei daher direkt durch den jeweiligen Geschäftsführer
oder über das Shell-Berichtswesen informiert worden, was auch erforderlich gewesen
sei, da es nach Ziff. 13.4 der Vereinbarung zur Gründung des
Gemeinschaftsunternehmens dem Gesellschafterausschuss habe Bericht erstatten
müssen.
98
Auch die Anpassung der Rechnungslegungssysteme rechtfertige nicht die Annahme
einer alleinigen Leitungsbefugnis der Shell-Gruppe. RWE Dea habe Zugang zu den
Rechnungsdaten von Shell & Dea Oil gehabt. Das Dokument „Kurzinformationen zum
FCP-Projekt“ bestätige im Übrigen, dass es um eine einheitliche Organisation des
Gemeinschaftsunternehmens unter Anpassung an die „Geschäftsprozesse der Shell“,
nicht um eine Übertragung von Entscheidungskompetenzen auf Shell gegangen sei.
Entgegen den Behauptungen der Klägerinnen sei dort von einer „Berichterstattung an
beide Shareholder“ die Rede.
Zur gemeinsamen Kontrolle und zur gemeinsamen Ausübung von bestimmendem
Einfluss auf das Geschäftsverhalten des Gemeinschaftsunternehmens
99
Die Klägerinnen widersprechen der Auffassung, dass ein Beweis der gemeinsamen
Kontrolle ausreiche, um die gemeinsame Ausübung von bestimmendem Einfluss durch
die
beiden
Muttergesellschaften
auf
das
Geschäftsverhalten
des
Gemeinschaftsunternehmens nachzuweisen. Die Kommission trägt vor, dass die
Ausübung eines solchen Einflusses vermutet werden könne, wenn die beiden
Muttergesellschaften 100 % des Kapitals des Gemeinschaftsunternehmens zu gleichen
Teilen hielten oder wenn eine gemeinsame Leitungsbefugnis bestehe. Außerdem meint
die Kommission, dass sich die gemeinsame Leitungsbefugnis auf der Basis der
Regelungen in der Vereinbarung zur Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens
nachweisen lasse.
100
Erstens ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004
„[d]ie Kontrolle … durch Rechte, Verträge oder andere Mittel begründet [wird], die einzeln
oder zusammen unter Berücksichtigung aller tatsächlichen oder rechtlichen Umstände
die Möglichkeit gewähren, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines
die Möglichkeit gewähren, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines
Unternehmens auszuüben“.
101
Nach der Rechtsprechung kann sich die Kommission bei der Prüfung der Frage, ob das
wettbewerbswidrige Verhalten einer Gesellschaft einer anderen Gesellschaft nach
Art. 81 EG zugerechnet werden kann, nicht wie bei der Anwendung der Verordnung Nr.
139/2004 beim Nachweis der Kontrolle ausschließlich auf die Fähigkeit der Letzteren zur
Einflussnahme stützen, ohne zu prüfen, ob tatsächlich ein Einfluss ausgeübt wurde
(Urteil General Technic-Otis u. a./Kommission, oben in Rn. 26 angeführt, Rn. 69).
102
Vielmehr obliegt es ihr grundsätzlich, einen solchen entscheidenden Einfluss anhand
einer Reihe tatsächlicher Umstände zu beweisen (vgl. Urteil Avebe/Kommission, oben in
Rn. 76 angeführt, Rn. 136 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zu diesen
Umständen gehört, dass dieselben natürlichen Personen gleichzeitig leitende Positionen
in
der
Muttergesellschaft
und
ihrer
Tochtergesellschaft
oder
ihrem
Gemeinschaftsunternehmen innehatten (Urteil des Gerichts vom 12. Juli 2011, Fuji
Electric/Kommission, T‑132/07, Slg. 2011, II‑4091, Rn. 184, vgl. auch in diesem Sinne
Urteil des Gerichtshofs vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission,
C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425,
Rn. 119 und 120) oder dass die genannten Gesellschaften die Weisungen ihrer
einheitlichen Leitung zu befolgen hatten und sich auf dem Markt nicht unabhängig
verhalten konnten (vgl. in diesem Sinne Urteil HFB u. a./Kommission, oben in Rn. 29
angeführt, Rn. 527).
103
Im vorliegenden Fall hat sich die Kommission nicht auf einen solchen direkten Beweis
der Ausübung eines bestimmenden Einflusses durch RWE und Shell auf das
Geschäftsverhalten von Shell & Dea Oil gestützt.
104
Die Feststellung im 510. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, wonach
„Shell und RWE während der Übergangsphase gemeinsam die Kontrolle über das
Gemeinschaftsunternehmen aus[übten]“, war nämlich auf die Entscheidung über die
Genehmigung des Zusammenschlusses gestützt, wie sich aus der Fn. 666 der
angefochtenen Entscheidung ergibt. Ferner hat die Kommission im 549.
Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass „[i]n dieser
Sache … die gemeinsame Kompetenz von Shell und RWE in der Geschäftsführung im
Hinblick auf die Führung des Gemeinschaftsunternehmens auf der Grundlage der
Vereinbarung zur Gründung des Gemeinschaftsunternehmens nachgewiesen wurde
(siehe Randnummer [510])“. Zudem hat die Kommission im 549. Erwägungsgrund der
angefochtenen Entscheidung die Modalitäten der Entscheidungsfindung innerhalb der
anderen Organe des Gemeinschaftsunternehmens abstrakt geprüft, d. h. ausschließlich
auf der Grundlage der Vereinbarung zur Gründung des Gemeinschaftsunternehmens.
Auf dieser Grundlage hat die Kommission am Ende des genannten Erwägungsgrundes
den Schluss gezogen, dass Shell und RWE das Gemeinschaftsunternehmen im
betreffenden Zeitraum gemeinsam kontrolliert hätten, und hat in der Fn. 680 der
angefochtenen Entscheidung ausdrücklich auf die Entscheidung über die Genehmigung
des Zusammenschlusses verwiesen.
105
Daraus ergibt sich, dass die Kommission im vorliegenden Fall die gemeinsame
Ausübung eines bestimmenden Einflusses durch Shell und RWE auf das
Ausübung eines bestimmenden Einflusses durch Shell und RWE auf das
Geschäftsverhalten von Shell & Dea Oil wie bei einer nach den Regeln für die
Genehmigung von Zusammenschlüssen durchgeführten Prüfung ausschließlich auf der
Grundlage einer abstrakten Prüfung der Vereinbarung zur Gründung des
Gemeinschaftsunternehmens, die vor der Aufnahme der Tätigkeit von Shell & Dea Oil
unterzeichnet wurde, festgestellt hat.
106
Zweitens hat das Gericht somit zu prüfen, inwieweit eine derartige abstrakte und in die
Zukunft gerichtete Prüfung, die im Bereich von Unternehmenszusammenschlüssen
durchgeführt wird, wo der Erlass der Genehmigungsentscheidung der Aufnahme der
Tätigkeit des Gemeinschaftsunternehmens vorausgeht, auch dem Nachweis der
tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses auf das Geschäftsverhalten des
Gemeinschaftsunternehmens in einer Entscheidung dienen kann, mit der den
Muttergesellschaften die Verantwortung für eine in der Vergangenheit von dem
genannten Gemeinschaftsunternehmen begangene Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG
zugerechnet wird.
107
Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass, selbst wenn die Befugnis oder die
Möglichkeit, die Geschäftsentscheidungen des Gemeinschaftsunternehmens zu
bestimmen, an sich lediglich auf der bloßen Fähigkeit beruht, einen bestimmenden
Einfluss auf sein Geschäftsverhalten auszuüben, und damit unter den Begriff „Kontrolle“
im Sinne der Verordnung Nr. 139/2004 fällt, die Kommission und die Unionsgerichte
davon ausgehen können, dass die gesetzlichen Vorschriften und die Bestimmungen der
Vereinbarungen über den Betrieb dieses Unternehmens, insbesondere die der
Vereinbarung
zur
Gründung
des
Gemeinschaftsunternehmens
und
der
Stimmrechtsvereinbarung der Anteilseigner, umgesetzt und eingehalten wurden.
Insoweit darf die Prüfung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses
auf das Geschäftsverhalten des Gemeinschaftsunternehmens, wie bei der Prüfung
hinsichtlich der Kontrolle, aus einer abstrakten Prüfung der vor der Aufnahme der
Tätigkeit des Gemeinschaftsunternehmens unterzeichneten Dokumente bestehen.
Insbesondere wenn diese Vorschriften und Bestimmungen vorsehen, dass für eine
Beschlussfassung innerhalb eines Organs des Gemeinschaftsunternehmens die
Stimmen jeder Muttergesellschaft erforderlich sind, können die Kommission und die
Unionsgerichte in Ermangelung gegenteiliger Beweise zu der Feststellung gelangen,
dass diese Beschlüsse von den Muttergesellschaften gemeinsam gefasst wurden (vgl. in
diesem Sinne Urteile Avebe/Kommission, oben in Rn. 76 angeführt, Rn. 137 bis 139, Fuji
Electric/Kommission, oben in Rn. 102 angeführt, Rn. 186 bis 193, und General Technic-
Otis/Kommission, oben in Rn. 26 angeführt, Rn. 112 und 113).
108
Da jedoch die Prüfung hinsichtlich der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden
Einflusses nachträglich erfolgt und daher auf konkreten Umständen beruhen kann,
können sowohl die Kommission als auch die betroffenen Parteien den Nachweis
erbringen, dass die Geschäftsentscheidungen des Gemeinschaftsunternehmens nach
anderen Modalitäten gefasst wurden als denen, die sich aus der bloßen abstrakten
Prüfung der Vereinbarung über den Betrieb des Gemeinschaftsunternehmens ergaben
(vgl. in diesem Sinne Urteile Fuji Electric/Kommission, oben in Rn. 102 angeführt,
Rn. 194 und 195, und General Technic-Otis u. a./Kommission, oben in Rn. 26 angeführt,
Rn. 115 bis 117). Insbesondere können die Kommission oder die betroffenen Parteien
Rn. 115 bis 117). Insbesondere können die Kommission oder die betroffenen Parteien
den Nachweis erbringen, dass ungeachtet der Befugnis einer Muttergesellschaft, die
betreffenden
Beschlüsse
über
ihre
Vertreter
in
den
Organen
des
Gemeinschaftsunternehmens allein zu fassen, diese Beschlüsse tatsächlich von
mehreren oder von allen Muttergesellschaften einstimmig gefasst wurden.
Zur Rechtmäßigkeit der Feststellung der Kommission, dass die Verantwortlichkeit für die
von Shell & Dea Oil begangene Zuwiderhandlung RWE und Shell zuzurechnen ist
109
In Anbetracht der oben in den Rn. 99 bis 108 ausgeführten Erwägungen ist somit zu
prüfen, ob die Kommission in der angefochtenen Entscheidung genügend Umstände
angeführt hat, um den Klägerinnen die Verantwortung für die von Shell & Dea Oil
begangene Zuwiderhandlung zuzurechnen.
110
Aus der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass die Kommission ihre
Feststellung zur gesamtschuldnerischen Haftung der Klägerinnen und des Shell-
Konzerns für die von Shell & Dea Oil begangene Zuwiderhandlung auf zwei
Gesichtspunkte gestützt hat. Erstens hat sie sich auf das Vorliegen einer gemeinsamen
Leitungsbefugnis bezogen, die sie unter Bezugnahme auf die Entscheidung über die
Genehmigung des Zusammenschlusses, in dessen Rahmen Shell und RWE zunächst
die gemeinsame Kontrolle über Shell & Dea Oil erlangt hatten und Shell dann nach
Ablauf einer Übergangsfrist die alleinige Kontrolle über das Gemeinschaftsunternehmen
erwerben sollte, anhand der Prüfung der Vereinbarung zur Gründung des
Gemeinschaftsunternehmens festgestellt hat. Zweitens hat sie den Umstand
herangezogen, dass die beiden Muttergesellschaften gemeinsam und zu gleichen Teilen
das gesamte Kapital des Gemeinschaftsunternehmens hielten.
111
Soweit die Klägerinnen erstens vortragen, die angenommene „gemeinsame
Leitungsbefugnis“ bestehe eher in der bloßen Fähigkeit zur Ausübung eines
bestimmenden Einflusses, d. h. einer Kontrolle im Sinne von Art. 2 der Verordnung Nr.
139/2004, als in der tatsächlichen Ausübung dieser Kontrolle, genügt der Hinweis, dass
aus der gemeinsamen Leitungsbefugnis, wie sie sich aus den Vereinbarungen über den
Betrieb des Gemeinschaftsunternehmens ergibt, auf die tatsächliche gemeinsame
Leitung geschlossen werden kann, wenn nicht das Gegenteil nachgewiesen wird (vgl.
oben, Rn. 107 und 108).
112
Zweitens hat das Gericht zum Wesen der gemeinsamen Leitung in seinem Urteil
Avebe/Kommission (oben in Rn. 76 angeführt, Rn. 136 bis 138) diejenigen Indizien als
relevant angesehen, die belegen, dass die von den Muttergesellschaften jeweils
ernannten Mitglieder der Organe des Gemeinschaftsunternehmens, die die
Geschäftsinteressen der Muttergesellschaften vertreten, bei der Festlegung und
Umsetzung
der
Geschäftspolitik
des
Gemeinschaftsunternehmens
eng
zusammenarbeiten sollten und dass die von ihnen getroffenen Entscheidungen
zwangsläufig einen übereinstimmenden Willen der von der Kommission zur
Verantwortung gezogenen Muttergesellschaften widerspiegelten. Außerdem zog das
Gericht Hinweise darauf heran, dass zur Festlegung der Geschäftspolitik des
Gemeinschaftsunternehmens regelmäßige Kontakte zwischen den Muttergesellschaften
und den jeweils von ihnen ernannten Mitgliedern der Organe des
Gemeinschaftsunternehmens stattfanden. Das Gericht hat nicht nur die strategische
Gemeinschaftsunternehmens stattfanden. Das Gericht hat nicht nur die strategische
Entscheidungsfindung im Gemeinschaftsunternehmen geprüft, sondern auch die
Führung des Tagesgeschäfts, und hat darauf hingewiesen, dass die beiden von den
beiden Muttergesellschaften ernannten Direktoren auch in dieser Hinsicht eng
zusammenarbeiten sollten (Urteil Avebe/Kommission, oben in Rn. 76 angeführt, Rn. 136
bis 138).
113
Darüber hinaus hat das Gericht in seinem Urteil General Technic-Otis u. a./Kommission
(oben in Rn. 26 angeführt, Rn. 112 und 118) hervorgehoben, dass das Kapital des
Gemeinschaftsunternehmens zu 75 % von Otis Belgien und die verbleibenden 25 % von
General Technic gehalten wurde und dass nach der Satzung des
Gemeinschaftsunternehmens
jeder
Gesellschafter
im
Verwaltungsrat
des
Gemeinschaftsunternehmens im Verhältnis zu seiner Kapitalbeteiligung vertreten war.
Da die Entscheidungen des Verwaltungsrats mit einer Mehrheit von 80 % der Stimmen
getroffen werden mussten, hatte Otis notwendigerweise durch seine Vertreter im
Verwaltungsrat während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung ihre Zustimmung zu
allen diesen Entscheidungen erteilt.
114
Drittens verfügte im vorliegenden Fall RWE zwar über ein Vetorecht im
Gesellschafterausschuss und in der Gesellschafterversammlung, dies betraf jedoch nicht
sämtliche Entscheidungen bezüglich der Leitung des Gemeinschaftsunternehmens. Das
ausschlaggebende Stimmrecht des von Shell ernannten Vorsitzenden der
Geschäftsführung bedeutet jedoch, dass die von Shell ernannten Mitglieder auch gegen
den Willen der von RWE ernannten Mitglieder Entscheidungen der Geschäftsführung
treffen konnten. Somit konnte allein auf der Grundlage der in der angefochtenen
Entscheidung genannten Bestimmungen der Vereinbarung zur Gründung des
Gemeinschaftsunternehmens nicht nachgewiesen werden, dass die beiden
Muttergesellschaften das Gemeinschaftsunternehmen in enger Zusammenarbeit geleitet
haben und dass die Entscheidungsfindung in der Geschäftsführung des
Gemeinschaftsunternehmens notwendigerweise den Willen jeder der zur Verantwortung
gezogenen Muttergesellschaften widerspiegelte.
115
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission keine konkreten tatsächlichen
Nachweise, wie etwa Protokolle der Sitzungen der Geschäftsführung, dafür vorgelegt
hat, dass das Gemeinschaftsunternehmen von den beiden Muttergesellschaften in enger
Zusammenarbeit geleitet wurde und die von der Geschäftsführung getroffenen
Entscheidungen
den
Willen
jeder
der
zur
Verantwortung
gezogenen
Muttergesellschaften widerspiegelten.
116
Somit fehlten im vorliegenden Fall die Indizien, auf deren Grundlage das Gericht in den
Urteilen Avebe/Kommission (oben in Rn. 76 angeführt) und General Technic-Otis
u. a./Kommission (oben in Rn. 26 angeführt) die gemeinsame Leitung festgestellt hat.
117
Drittens hat die Kommission jedoch geltend gemacht, dass es für den Nachweis einer
wirtschaftlichen Einheit ausreiche, dass sich der von den Muttergesellschaften
ausgeübte bestimmende Einfluss auf die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft im
weiten Sinne, insbesondere auf strategische Entscheidungen, erstrecke.
118
Insoweit ist zunächst hervorzuheben, dass der Geschäftsführung eine bedeutende
118
Insoweit ist zunächst hervorzuheben, dass der Geschäftsführung eine bedeutende
Rolle bei der Bestimmung der Geschäftspolitik von Shell & Dea Oil zukam. Nach
Ziff. 13.2 der Vereinbarung zur Gründung des Gemeinschaftsunternehmens war die
Geschäftsführung alleinverantwortlich für die Leitung der Geschäfte des
Gemeinschaftsunternehmens und verfügte über die nötigen Befugnisse, um die Ziele des
Gemeinschaftsunternehmens umzusetzen, auch wenn die strategischen Befugnisse dem
Gesellschafterausschuss vorbehalten blieben. Nach Ziff. 12.5 dieser Vereinbarung
beschränkten sich diese vorbehaltenen Befugnisse im Wesentlichen auf die Aufstellung
des Haushalts und des Geschäftsplans, Entscheidungen bezüglich Investitionen und
Verträge mit Dritten, deren Wert eine bestimmte Schwelle überschritt, die Benennung
von Mitgliedern der Geschäftsführung und die Umstrukturierung.
119
Ferner ergibt sich aus der oben in den Rn. 112 und 113 angeführten Rechtsprechung,
dass der Einfluss der Muttergesellschaften auf die operative Geschäftsführung des
Gemeinschaftsunternehmens, der über von den Muttergesellschaften benannte
Mitglieder der Geschäftsführung des Gemeinschaftsunternehmens ausgeübt wird, für die
Beurteilung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit zwischen den
Muttergesellschaften und dem genannten Gemeinschaftsunternehmen in hohem Maße
relevant ist.
120
Des Weiteren kann die Frage der operativen Geschäftsführung zwar unerheblich sein,
wenn es sich um eine zu 100 % von einer einzigen Muttergesellschaft gehaltene
Tochtergesellschaft handelt, da der Nachweis der operativen Eigenständigkeit der
Tochtergesellschaft für sich genommen nicht die Vermutung der Ausübung eines
bestimmenden Einflusses zu widerlegen vermag (vgl. die oben in Rn. 49 angeführte
Rechtsprechung).
121
Jedoch werden bei einem einzigen Anteilseigner alle Entscheidungen – einschließlich
derjenigen, die die operative Geschäftsführung der Tochtergesellschaft betreffen – von
Geschäftsführern getroffen, die unmittelbar oder (mittels der Organe, deren Mitglieder von
der Muttergesellschaft benannt wurden) mittelbar von der Muttergesellschaft nominiert
und ernannt werden. Da es keine weiteren Anteilseigner gibt, sind zudem die einzigen
Geschäftsinteressen, die in der Tochtergesellschaft bestehen, grundsätzlich die des
einzigen Anteilseigners. Daher kann die Kommission die tatsächliche Ausübung eines
bestimmenden Einflusses auch dort vermuten, wo die operative Geschäftsführung von
Geschäftsführern der Tochtergesellschaft eigenständig wahrgenommen wird.
122
Bei Gemeinschaftsunternehmen gibt es eine Mehrheit von Anteilseignern, und die
Entscheidungen seiner Organe werden von Mitgliedern getroffen, die die
Geschäftsinteressen der verschiedenen Muttergesellschaften vertreten, die
übereinstimmen, aber auch unterschiedlich sein können. Somit bleibt die Frage relevant,
ob die Muttergesellschaft, insbesondere durch von ihr bestellte Geschäftsführer, einen
tatsächlichen
Einfluss
auf
die
operative
Geschäftsführung
des
Gemeinschaftsunternehmens ausgeübt hat.
123
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerinnen bereits in ihrer Stellungnahme
zur Mitteilung der Beschwerdepunkte Gesichtspunkte vorgetragen hatten, die für die
Beurteilung des Vorliegens einer gemeinsamen Leitung relevant sind. Sie hatten dort
geltend gemacht, dass die Vertriebs‑ und Preispolitik des Gemeinschaftsunternehmens,
geltend gemacht, dass die Vertriebs‑ und Preispolitik des Gemeinschaftsunternehmens,
d. h. im Wesentlichen die operative Geschäftsführung, auf den Entscheidungen von Shell
beruht habe und von Shell kontrolliert worden sei; die Leitung des
Gemeinschaftsunternehmens sei in die Strukturen von Shell integriert worden. Dagegen
wurden die einzigen Argumente, die die Kommission in der angefochtenen
Entscheidung angeführt hat, um diese Gesichtspunkte zu widerlegen, aus den
Vetorechten hergeleitet, die RWE im Gesellschafterausschuss und in der
Gesellschafterversammlung hatte. Wie sich jedoch insbesondere aus der obigen Rn. 118
ergibt, fiel die operative Geschäftsführung des Gemeinschaftsunternehmens nicht in die
Kompetenz dieser Organe. Vielmehr waren die Entscheidungen, die für die Beurteilung,
ob eine gemeinsame Leitung vorliegt, relevant sind, im Wesentlichen von der
Geschäftsführung zu treffen.
124
Somit hat die Kommission in der angefochtenen Entscheidung die gemeinsame Leitung
des Gemeinschaftsunternehmens nicht nachgewiesen.
125
Im Übrigen ist festzustellen, dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung
außer der gemeinsamen Leitung keinen sich aus den wirtschaftlichen, organisatorischen
und rechtlichen Bindungen ergebenden Anhaltspunkt angeführt hat, um nachzuweisen,
dass RWE tatsächlich bestimmenden Einfluss auf das Geschäftsverhalten des
Gemeinschaftsunternehmens ausgeübt hat.
126
Dass RWE und Shell zusammen 100 % des Kapitals von Shell & Dea Oil hielten,
bedeutet nicht, dass der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache dem Sachverhalt
ähnelte, der Gegenstand des oben in Rn. 76 angeführten Urteils Avebe/Kommission war,
da
das
Gericht
in
jenem
Urteil
eine
gemeinsame
Leitung
des
Gemeinschaftsunternehmens festgestellt und seine Schlussfolgerungen, was die
tatsächliche Ausübung eines bestimmenden Einflusses anging, auf weitere relevante
Anhaltspunkte gestützt hatte, die im vorliegenden Fall fehlen.
127
In ihrer Klagebeantwortung hat die Kommission eine Liste über die Besetzung
verschiedener Posten bei Dea Mineraloel, Shell & Dea Oil und den Klägerinnen durch
dieselben Personen vorgelegt, aus der hervorgeht, dass drei Mitglieder des Vorstands
von RWE Dea zwischen dem 2. Januar und dem 30. Juni 2002 gleichzeitig Mitglieder
des Aufsichtsrats von Shell & Dea Oil waren. Bevor diese Personen Mitglieder des
Aufsichtsrats von Shell & Dea Oil wurden, waren sie Mitglieder des Vorstands von Dea
Mineraloel.
Hingegen
konnte
es
während
des
Bestehens
des
Gemeinschaftsunternehmens nicht zu Überschneidungen zwischen den Mitgliedern der
Geschäftsführung oder des Gesellschafterausschusses einerseits und den Mitgliedern
der Organe der Klägerinnen andererseits kommen.
128
Selbst unter der Annahme, dass sich die von der Kommission im vorliegenden Fall
aufgezeigte gleichzeitige Besetzung mehrerer Posten auf die Beurteilung der
tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses auswirken kann, kann dieser
Umstand die in der angefochtenen Entscheidung insoweit gezogene Schlussfolgerung
nicht stützen. Die Begründung ist dem Betroffenen nämlich grundsätzlich gleichzeitig mit
der ihn beschwerenden Entscheidung mitzuteilen. Das Fehlen der Begründung kann
nicht dadurch geheilt werden, dass der Betroffene die Gründe für die Entscheidung
während des Verfahrens vor den Unionsinstanzen erfährt (Urteile des Gerichtshofs vom
während des Verfahrens vor den Unionsinstanzen erfährt (Urteile des Gerichtshofs vom
26. November 1981, Michel/Parlament, 195/80, Slg. 1981, 2861, Rn. 22, und Elf
Aquitaine/Kommission, oben in Rn. 41 angeführt, Rn. 149).
129
Nach alledem ist festzustellen, dass die Anhaltspunkte, die die Kommission in der
angefochtenen Entscheidung zusammengetragen hat, nicht ausreichen, um
nachzuweisen, dass die Klägerinnen und Shell die Vorgehensweise von Shell und Dea
Oil auf dem Markt gemeinsam festlegten, so dass die Kommission nicht den Schluss
ziehen durfte, dass die Klägerinnen und Shell & Dea Oil eine wirtschaftliche Einheit
bildeten. Folglich hat die Kommission gegen Art. 81 EG verstoßen, als sie auf der
alleinigen Grundlage der in der angefochtenen Entscheidung zusammengetragenen
Gesichtspunkte die gesamtschuldnerische Haftung der Klägerinnen für die von Shell &
Dea Oil begangene Zuwiderhandlung festgestellt hat.
130
Daher ist dem zweiten Teil des ersten Klagegrundes stattzugeben und die
angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit die Kommission die
Beteiligung der Klägerinnen an dem Kartell zwischen dem 2. Januar und dem 30. Juni
2002 festgestellt hat. Die Auswirkungen der festgestellten Rechtswidrigkeit auf den
Betrag der Geldbuße werden unten in den Rn. 260 ff. geprüft.
2 . Zum zweiten Klagegrund: Nichtanwendung der Kronzeugenregelung von 2002 auf
die Klägerinnen
131
Hilfsweise machen die Klägerinnen geltend, dass die Kommission die
Kronzeugenregelung von 2002 fehlerhaft angewandt und gegen den Grundsatz der
Gleichbehandlung verstoßen habe, soweit sie die gegen sie festgesetzte Geldbuße nicht
unter Berücksichtigung des von Shell Deutschland Schmierstoff u. a. im Namen von
Shell Deutschland Oil gestellten Kronzeugenantrags erlassen oder ermäßigt habe. Die
gegen sie festgesetzte Geldbuße sei daher „auf Null herabzusetzen, jedenfalls aber
deutlich zu ermäßigen“, was dem Sinn und Zweck der Kronzeugenregelung ebenso wie
der Absicht von Shell entspreche, die in deren Kronzeugenantrag dargelegt sei.
Zum ersten Teil: Nichterstreckung des von Shell gestellten Kronzeugenantrags auf die
Klägerinnen
Zur angefochtenen Entscheidung
132
In der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission festgestellt:
„…
„(732) … Shell [war] das erste Unternehmen …, das Beweismittel bezüglich der in dieser
Entscheidung behandelten Zuwiderhandlung vorgelegt hat. Die übermittelten
Beweismittel haben die Kommission in die Lage versetzt, eine Entscheidung zu
erlassen und eine Nachprüfung bezüglich der mutmaßlichen Zuwiderhandlung in
diesem Sektor durchzuführen.
(736) Daher kommt für Shell ein Geldbußenerlass gemäß Ziffer 8 der
(736) Daher kommt für Shell ein Geldbußenerlass gemäß Ziffer 8 der
Kronzeugenregelung aus dem Jahre 2002 in Betracht, und die Geldbuße für Shell
wird um 100 % ermäßigt. Diese Ermäßigung erstreckt sich auch auf die
gesamtschuldnerische Haftung wegen des Verhaltens der Shell Deutschland Oil
GmbH/Shell & Dea Oil GmbH. Für den sich aus diesem Verhalten ergebenden Teil
der Geldbuße haftet folglich RWE alleine.“
133
Zur fehlenden Geltung des Kronzeugenantrags von Shell Deutschland Schmierstoff für
die Klägerinnen hat die Kommission in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt:
„…
(524) Shell argumentiert, in dem Zeitraum, in dem Dea Mineralöl Teil der RWE-
Gruppe war (d. h. vom Beginn der Zuwiderhandlung am 3. September 1992·bis zum
30. Juni 2002), müsse der Shell gewährte bedingte Erlass auch RWE zugute
kommen.
(525) Shell erklärt ferner, das Unternehmen könne und solle für den Zeitraum vom 2.
Januar bis zum 30. Januar 2002 nicht gesamtschuldnerisch mit RWE haften, wenn
die Kommission beabsichtige, eine Geldbuße gegen RWE festzusetzen. In dieser
Sache sollten Shell und RWE getrennt verantwortlich gemacht werden.
(527) … [D]ie Kommission [kann] eine allgemeine Erklärung nicht als Begründung dafür
anerkennen, dass der Shell zu gewährende bedingte Erlass von Geldbußen auf
RWE ausgeweitet werden müsse. Artikel 81 [EG] betrifft wettbewerbswidriges
Verhalten auf dem Markt während eine[s] gewissen Zeitraum[s], während sich die
Kronzeugenregelung auf Anträge auf Zusammenarbeit während eines
Verwaltungsverfahrens bezieht. Für Letztere muss die Kommission daher
bewerten, welchem Unternehmen der Antragsteller zum Zeitpunkt der
Antragstellung zuzurechnen war. Als Shell den Antrag auf Erlass der Geldbuße
gestellt hat, gehörten Shell und RWE nicht zum selben Konzern. Shell ist daher das
einzige Unternehmen, das die Anforderungen der Kronzeugenregelung von 2002
erfüllt und für das daher ein Erlass der Geldbuße in Betracht kommt.“
Zur ersten Rüge: keine Erstreckung des Shell gewährten Erlasses der Geldbuße auf die
Zuwiderhandlung von Dea Mineraloel
134
Die Klägerinnen machen geltend, dass die Kommission die Wirkung des von Shell
gestellten Kronzeugenantrags nicht auf die Zuwiderhandlung erstreckt habe, die Dea
Mineraloel zwischen 1992 und dem 2. Januar 2002 begangen habe, als die Klägerinnen
zu 100 % an ihr beteiligt gewesen seien. Dea Mineraloel sei die Gesellschaft, deren
Nachfolgerin Shell Deutschland Oil nach ihrer Übernahme durch Shell sei. Zudem sei
die Gesellschaft, die den Kronzeugenantrag gestellt habe, Shell Deutschland
Schmierstoff, die Tochtergesellschaft von Shell Deutschland Oil.
135
Bei der Anwendung der Kronzeugenregelung von 2002 sei auf das Unternehmen, dem
die Geldbuße erlassen werde, in der Form abzustellen, in der es zum Zeitpunkt der
Begehung der Zuwiderhandlung bestanden habe. Daher habe die Kommission gegen
Begehung der Zuwiderhandlung bestanden habe. Daher habe die Kommission gegen
diese Regelung verstoßen, als sie es abgelehnt habe, den von Shell Deutschland
Schmierstoff gestellten Kronzeugenantrag auf die Klägerinnen zu erstrecken. Dies
ergebe sich u. a. aus Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003, wonach bei der
Festsetzung der Höhe der gegen Unternehmen wegen Verstößen gegen Art. 81 EG
verhängten Geldbußen die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung zu
berücksichtigen seien. Da sich die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung auf das
Unternehmen bezögen, wie es während der Beteiligung an der Zuwiderhandlung
bestanden habe, sei bei der Anwendung der Kronzeugenregelung von 2002 derselbe
Unternehmensbegriff anzuwenden.
136
Erstens ist darauf hinzuweisen, dass sich nach der Rechtsprechung die Befugnis,
gegen die Muttergesellschaft eine Sanktion wegen des Verhaltens einer
Tochtergesellschaft zu verhängen, nicht auf die Rechtmäßigkeit einer allein an die an
der Zuwiderhandlung beteiligte Tochtergesellschaft gerichteten Entscheidung auswirkt.
Somit hat die Kommission die Wahl, die Sanktion entweder der an der Zuwiderhandlung
beteiligten Tochtergesellschaft oder der Muttergesellschaft aufzuerlegen, die sie im
fraglichen Zeitraum kontrollierte. Diese Wahl hat sie auch im Fall einer wirtschaftlichen
Nachfolge in der Kontrolle über die Tochtergesellschaft, so dass sie das Verhalten der
Tochtergesellschaft für die Zeit vor dem Übergang der alten Muttergesellschaft und für
die Zeit danach der neuen Muttergesellschaft zurechnen kann (vgl. Urteil des Gerichts
vom 14. Dezember 2006, Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a./Kommission, T‑259/02
bis T‑264/02 und T‑271/02, Slg. 2006, II‑5169, Rn. 331 und 332 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
137
Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass die Kommission berechtigt ist, die
Verantwortlichkeit der alten und der neuen Muttergesellschaft der an der
Zuwiderhandlung unmittelbar beteiligten Tochtergesellschaft getrennt zu prüfen und
festzustellen.
138
Daher hat im vorliegenden Fall die Kommission keinen Ermessensfehler begangen, als
sie die Verantwortlichkeit von RWE für die von Dea Mineraloel (zwischen 1992 und dem
2. Januar 2002) begangene Zuwiderhandlung und die Verantwortlichkeit von Shell für
die von den Nachfolgerinnen von DEA Mineraloel, d. h. von Shell Deutschland Oil und
deren Tochtergesellschaft Shell Deutschland Schmierstoff, (ab dem 30. Juni 2002)
begangene Zuwiderhandlung getrennt ermittelt hat.
139
Zweitens ist das Ziel des Kronzeugenprogramms der Kommission zu prüfen.
140
Hierzu ist bereits entschieden worden, dass die Herabsetzung von Geldbußen im Fall
der Kooperation von Unternehmen, die an Zuwiderhandlungen gegen das
Wettbewerbsrecht der Union beteiligt waren, auf der Erwägung beruht, dass eine solche
Kooperation der Kommission die Aufgabe erleichtert, eine Zuwiderhandlung
festzustellen und ihr gegebenenfalls ein Ende zu setzen (Urteil Dansk Rørindustri
u. a./Kommission, oben in Rn. 102 angeführt, Rn. 399, und Urteil des Gerichts vom 8.
Oktober 2008, Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, T‑69/04, Slg. 2008,
II‑2567, Rn. 225).
141
Außerdem heißt es in den Ziff. 3 und 4 der Kronzeugenregelung von 2002:
141
Außerdem heißt es in den Ziff. 3 und 4 der Kronzeugenregelung von 2002:
„Der Kommission ist bekannt, dass manche Unternehmen, die sich an rechtswidrigen
Absprachen beteiligen, ihre Beteiligung einstellen und sie von dem Bestehen des
Kartells in Kenntnis setzen wollen, wegen der Gefahr hoher Geldbußen aber davor
zurückschrecken. … Die Kommission ist der Auffassung, dass die [Union] ein Interesse
daran hat, Unternehmen, die mit ihr zusammenarbeiten, Rechtsvorteile zu gewähren.
Das Interesse der Verbraucher und Bürger an der Aufdeckung und Ahndung von
Kartellen ist größer als das Interesse an der Verhängung von Geldbußen gegen
Unternehmen, die es der Kommission ermöglichen, solche Verhaltensweisen
aufzudecken und zu untersagen.“
142
Aus der Kronzeugenregelung von 2002 ergibt sich demnach, dass das Verschulden
und die Verantwortlichkeit der Unternehmen bei der Zuwiderhandlung durch die
Anwendung dieser Regelung nicht in Frage gestellt werden und dass lediglich die
finanziellen Folgen dieser Verantwortlichkeit ausgeschlossen oder reduziert werden, um
einen Anreiz für die Unternehmen zu schaffen, Kartelle aufzudecken.
143
Daraus folgt, dass das einzige Ziel des Kronzeugenprogramms darin besteht, die
Aufdeckung derartiger Praktiken im Interesse der europäischen Verbraucher und der
Bürger zu erleichtern, indem ein Anreiz für an Kartellen beteiligte Unternehmen
geschaffen wird, diese Kartelle offenzulegen. Somit dürfen die Vorteile, die an derartigen
Praktiken beteiligte Unternehmen erlangen können, nicht über das hinausgehen, was
notwendig ist, um die volle Wirksamkeit des Kronzeugenprogramms zu gewährleisten.
144
Drittens erlässt nach Ziff. 8 der Kronzeugenregelung von 2002 die Kommission einem
Unternehmen die Geldbuße, die andernfalls verhängt worden wäre, sofern das
Unternehmen als erstes Beweismittel vorlegt, die es ihr ermöglichen, in einer
Entscheidung eine Nachprüfung anzuordnen, um gegen ein mutmaßliches Kartell zu
ermitteln, oder als erstes Beweismittel vorlegt, die es ihr ermöglichen, eine
Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG in Form eines mutmaßlichen Kartells festzustellen.
145
Somit stellt die Kronzeugenregelung von 2002 anders als Art. 23 Abs. 2 und 3 der
Verordnung Nr. 1/2003, der sich auf die Dauer der Zuwiderhandlung und damit auf die
verschiedenen Zusammensetzungen des Unternehmens, das die unmittelbar
verantwortliche Gesellschaft oder die betroffene Tätigkeit umfasst, während der
gesamten Dauer der Zuwiderhandlung bezieht, auf den Zeitpunkt der Einreichung des
Kronzeugenantrags ab, so dass der Begriff „Unternehmen“ grundsätzlich die
wirtschaftliche Einheit bezeichnet, wie sie zum Zeitpunkt der Einreichung dieses Antrags
besteht.
146
Diese Auslegung steht im Übrigen im Einklang mit dem Ziel der Kronzeugenregelung
von 2002, das darin besteht, die Aufdeckung von Kartellen dadurch zu erleichtern, dass
Anreize für die Beteiligten geschaffen werden, diese Kartelle offenzulegen. Da die
Möglichkeit besteht, die Verantwortlichkeit einer unmittelbar am Kartell beteiligten
Gesellschaft anderen Gesellschaften zuzurechnen, mit denen sie eine wirtschaftliche
Einheit bildet, muss es, um den Anreiz zur Preisgabe von Informationen zu erhalten, die
auch die Verantwortlichkeit dieser Gesellschaft implizieren, möglich sein, allen
Gesellschaften, die zum Zeitpunkt der Einreichung des Kronzeugenantrags dem
Gesellschaften, die zum Zeitpunkt der Einreichung des Kronzeugenantrags dem
Unternehmen angehören, die Sanktionen zu erlassen, die ohne diesen Antrag verhängt
würden.
147
Dagegen wirkt sich die Erstreckung des Vorteils aus dem Kronzeugenantrag auf die
Unternehmen, denen die unmittelbar am Kartell beteiligte Gesellschaft angehörte oder
die betroffene Tätigkeit zuzuordnen war, normalerweise nicht auf die Rechtslage der
Gesellschaften aus, die mit der den Antrag stellenden Gesellschaft zum Zeitpunkt der
Antragstellung ein Unternehmen bilden. Somit kann eine solche Erstreckung
grundsätzlich nicht dem einzigen mit der Kronzeugenregelung von 2002 verfolgten Ziel
dienen, nämlich für Unternehmen Anreize zu schaffen, im Interesse der Verbraucher in
der Union Kartelle preiszugeben.
148
Daraus folgt, dass die Kommission nicht gegen die Kronzeugenregelung von 2002
verstoßen hat, als sie im 527. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung die
Auffassung vertreten hat, dass der Umfang des Unternehmens, dem die Geldbuße zu
erlassen sei, anhand der Sachlage bestimmt werden müsse, die zum Zeitpunkt der
Einreichung des Kronzeugenantrags bestehe.
149
Viertens ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerinnen im Rahmen des vorliegenden
Teils des Klagegrundes lediglich geltend machen, dass ihnen der Erlass der Geldbuße
zugutekommen müsse, der Shell wegen der Informationen gewährt worden sei, die Shell
Deutschland Schmierstoff, eine Gesellschaft, die zum Zeitpunkt der Einreichung des
Kronzeugenantrags der Shell-Gruppe angehört habe, der Kommission übermittelt habe.
150
Was den Zeitraum vor dem 2. Januar 2002 betrifft, hätte die Erstreckung des
Geldbußenerlasses auf die Klägerinnen die Wirksamkeit der Umsetzung des
Kronzeugenprogramms der Kommission nicht erhöhen und damit den europäischen
Verbrauchern zugutekommen können. Die Verantwortlichkeit der Klägerinnen wurde
nämlich getrennt von der Verantwortlichkeit von Shell festgestellt. Daher konnte die
gegen sie verhängte Geldbuße Shell keinen finanziellen Nachteil bringen und Shell
somit nicht davon abbringen, alle Informationen vorzulegen, die sie der Kommission
mitteilen wollte, um einen Erlass der Geldbuße gemäß der Kronzeugenregelung von
2002 zu erreichen.
151
Außerdem ist es, wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, nicht unbillig, die neue
Muttergesellschaft einer Tochtergesellschaft, die im Wege interner Untersuchungen eine
Zuwiderhandlung entdeckt und daraufhin beschließt, mit der Kommission
zusammenzuarbeiten, durch die Gewährung eines Geldbußenerlasses zu belohnen und
dem früheren Eigentümer des Unternehmens, der diese Bemühungen nicht entfaltet hat
und nicht zur Aufklärung der Zuwiderhandlung beigetragen hat, diese Maßnahme nicht
zugutekommen zu lassen.
152
Somit hat die Kommission im vorliegenden Fall die Kronzeugenregelung von 2002
ihrem Zweck entsprechend angewandt.
153
Fünftens schließlich ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung der
Grundsatz der Gleichbehandlung, der verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht
unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen,
es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist, ein allgemeiner
es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist, ein allgemeiner
Grundsatz des Unionsrechts ist, der in den Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der
Europäischen Union verankert ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 14.
September 2010, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission u. a.,
C‑550/07 P, Slg. 2010, I‑8301, Rn. 54 und 55).
154
Im vorliegenden Fall besteht ein klarer Unterschied zwischen der Situation der
Klägerinnen und der Situation der zur Shell-Gruppe gehörenden Gesellschaften, denen
die Geldbuße nach dem Kronzeugenantrag von Shell Deutschland Schmierstoff erlassen
wurde, weil nämlich Letztere anders als die Klägerinnen zum Zeitpunkt der Einreichung
dieses Antrags mit Shell Deutschland Schmierstoff ein Unternehmen im Sinne des
Art. 81 EG bildeten. Dieser Unterschied ist im Hinblick auf die Erstreckung des Erlasses
der Geldbuße von Bedeutung, wie sich aus den oben in den Rn. 145 bis 148
wiedergegebenen Erwägungen ergibt.
155
Somit hat die Kommission unterschiedliche Sachverhalte unterschiedlich behandelt, so
dass sie nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen hat.
156
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Feststellung der Kommission zu bestätigen
ist, wonach den Klägerinnen der Shell gewährte Erlass der Geldbuße nicht
zugutekommen konnte, soweit es um die von Dea Mineraloel begangene
Zuwiderhandlung geht.
Zur zweiten Rüge: keine Erstreckung des Shell gewährten Erlasses der Geldbuße auf
die Zuwiderhandlung von Shell & Dea Oil
157
Mit ihrer zweiten Rüge beanstanden die Klägerinnen, dass der der Shell-Gruppe
gewährte Geldbußenerlass nicht auf die Geldbuße erstreckt worden sei, die gegen sie
wegen der von Shell & Dea Oil, dem Gemeinschaftsunternehmen von Shell und RWE,
während des Zeitraums zwischen dem 2. Januar und dem 30. Juni 2002 begangenen
Zuwiderhandlung verhängt worden sei.
158
Hierzu genügt der Hinweis, dass das Gericht nach Prüfung des zweiten Teils des ersten
Klagegrundes zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die angefochtene Entscheidung für
nichtig zu erklären ist, soweit die Kommission gegen die Klägerinnen Sanktionen wegen
der von Shell & Dea Oil begangenen Zuwiderhandlung verhängt hat. Daher braucht die
vorliegende Rüge nicht mehr geprüft zu werden.
159
Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist die Rüge der Nichterstreckung des Shell
für die von Dea Mineraloel begangene Zuwiderhandlung gewährten Geldbußenerlasses
zurückzuweisen und braucht über die Nichterstreckung des Shell für die von Shell & Dea
Oil begangene Zuwiderhandlung gewährten Geldbußenerlasses nicht entschieden zu
werden.
Zum zweiten Teil: Anspruch der Klägerinnen auf vollständigen Erlass oder eine
erhebliche Ermäßigung der Geldbuße gemäß der Kronzeugenregelung von 2002
160
Die Klägerinnen machen geltend, dass ihnen die Geldbuße gemäß der
Kronzeugenregelung von 2002 hätte erlassen oder sie erheblich hätte herabgesetzt
werden müssen. Die von Shell gelieferten Informationen hätten nämlich von früheren
Angestellten der Gesellschaften Dea Mineraloel und Shell & Dea Oil – die zu Shell
Deutschland Oil, der Muttergesellschaft von Shell Deutschland Schmierstoff, geworden
seien – gestammt.
161
Jedenfalls hätten auch die Klägerinnen im Verwaltungsverfahren wichtige Beweismittel
beigebracht, und der einzige Grund dafür, dass sie diese nicht früher hätten vorlegen
können, sei gewesen, dass die Kommission ihnen sehr spät mitgeteilt habe, dass die
Untersuchung auch gegen sie geführt worden sei.
162
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission bei der Beurteilung der Frage,
ob Auskünfte oder Schriftstücke, die die Unternehmen freiwillig geliefert haben, ihre
Aufgabe erleichtert haben und ob einem Unternehmen ein Nachlass im Sinne der
Kronzeugenregelung von 2002 zu gewähren ist, über ein Ermessen verfügt (vgl. in
diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in
Rn. 102 angeführt, Rn. 394, und vom 24. September 2009, Erste Group Bank
u. a./Kommission, C‑125/07 P, C‑133/07 P, C‑135/07 P und C‑137/07 P, Slg. 2009,
I‑8681, Rn. 248). Dessen ungeachtet kann sich das Gericht nicht auf diesen
Ermessensspielraum stützen, um insoweit auf eine gründliche rechtliche wie tatsächliche
Kontrolle der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung zu verzichten (vgl.
entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission,
C‑386/10 P, Slg. 2011, I‑13085, Rn. 62).
163
Ferner beruht nach der oben in Rn. 140 angeführten Rechtsprechung die Herabsetzung
von Geldbußen bei einer Zusammenarbeit von an Verstößen gegen das
Wettbewerbsrecht der Union beteiligten Unternehmen auf der Erwägung, dass eine
solche Zusammenarbeit die Aufgabe der Kommission erleichtert, eine Zuwiderhandlung
festzustellen und ihr gegebenenfalls ein Ende zu setzen.
164
Außerdem besteht, wie oben in Rn. 143 ausgeführt, das einzige Ziel des
Kronzeugenprogramms darin, die Aufdeckung von Kartellen im Interesse der
europäischen Verbraucher und Bürger dadurch zu erleichtern, dass für die Beteiligten
ein Anreiz geschaffen wird, sie preiszugeben. Daher dürfen die Vorteile, die an
derartigen Praktiken beteiligte Unternehmen erlangen können, nicht über das
hinausgehen, was notwendig ist, um die volle Wirksamkeit des Kronzeugenprogramms
zu gewährleisten.
165
Schließlich ist daran zu erinnern, dass die Kronzeugenregelung von 2002 – anders als
Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003, der sich auf die Dauer der
Zuwiderhandlung und damit auf die unterschiedlichen Zusammensetzungen des
Unternehmens, das die unmittelbar verantwortliche Gesellschaft oder die betroffene
Tätigkeit umfasst, während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung bezieht – auf den
Zeitpunkt der Einreichung des Kronzeugenantrags abstellt, so dass der Begriff
„Unternehmen“ grundsätzlich die wirtschaftliche Einheit bezeichnet, wie sie zum
Zeitpunkt der Einreichung dieses Antrags besteht.
166
Demnach ist der Umstand, dass die Informationen, durch die Shell in den Genuss des
Kronzeugenprogramms gelangen konnte, von Angestellten geliefert wurden, die vor der
Übernahme von Dea Mineraloel durch Shell beim RWE-Konzern beschäftigt gewesen
Übernahme von Dea Mineraloel durch Shell beim RWE-Konzern beschäftigt gewesen
waren, für die Beurteilung, ob die Klägerinnen einen Anspruch auf Erlass oder
Herabsetzung der Geldbuße haben, ohne Bedeutung.
167
Die Klägerinnen führen nämlich keine rechtliche Regel an, nach der die Kommission
sie deshalb von der Zahlung der Geldbuße befreien müsste, weil die Angestellten, die zu
der Aufdeckung des Kartells oder der vom Kartell erfassten Tätigkeit der Gesellschaft,
die den Kronzeugenantrag gestellt hat, beigetragen haben, in der Vergangenheit einer
von ihnen gehaltenen Gesellschaft angehörten.
168
Dagegen ergibt sich aus der Kronzeugenregelung von 2002, die auf den Zeitpunkt der
Einreichung des Kronzeugenantrags abstellt, dass die Aussagen der Angestellten der
Gesellschaft, die den Kronzeugenantrag gestellt hat, nur dem Unternehmen
zugutekommen können, dem diese Gesellschaft zum Zeitpunkt der Einreichung dieses
Antrags angehörte. Nur eine solche Auslegung gewährleistet, dass der Erlass oder die
Herabsetzung der Geldbuße, die gemäß dem Kronzeugenprogramm gewährt werden,
nicht über das hinausgehen, was notwendig ist, um das Ziel dieses Programms zu
erreichen, das darin besteht, einen Anreiz für an Kartellen beteiligte Unternehmen zu
schaffen, diese offenzulegen.
169
Daher ist die erste Rüge der Klägerinnen zurückzuweisen.
170
Zweitens machen die Klägerinnen geltend, dass die Kommission ihre Geldbuße wegen
der Beweismittel, die sie selbst während des Verwaltungsverfahrens vorgelegt hätten,
erheblich hätte herabsetzen müssen.
171
Hierzu genügt der Hinweis, dass die Klägerinnen lediglich die Zurückweisung eines
Arguments von MOL im 222. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung
erwähnen, zu dem sie zusätzliche Beweismittel vorgelegt hätten. Wie die Kommission
ausgeführt hat, wurde die Beteiligung von MOL an dem Kartell jedoch auf der Grundlage
erschöpfender Beweise festgestellt. Außerdem haben die Klägerinnen diese
Informationen in Beantwortung eines Auskunftsersuchens der Kommission zu einem
Zeitpunkt vorgelegt, zu dem bereits mindestens drei andere Unternehmen freiwillig
Beweise und Informationen zur Funktionsweise des Kartells vorgelegt hatten. Somit hat
die Kommission keinen Fehler begangen oder rechtswidrig gehandelt, als sie es
abgelehnt hat, den Klägerinnen gemäß der Kronzeugenregelung von 2002 die Geldbuße
zu erlassen oder diese herabzusetzen.
172
Jedenfalls ist das Gericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung
der Auffassung, dass in Anbetracht aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände des
Falles die von den Klägerinnen vorgetragenen Gesichtspunkte nicht ausreichen, um eine
derartige Herabsetzung zu rechtfertigen.
173
Dementsprechend ist der zweite Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.
Zum dritten Teil: Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerinnen
174
Im Rahmen des dritten Teils des zweiten Klagegrundes machen die Klägerinnen im
Wesentlichen geltend, dass ihre Möglichkeiten, einen Kronzeugenantrag zu stellen, von
Anfang an eingeschränkt gewesen seien, da die von der fraglichen Zuwiderhandlung
betroffene Tätigkeit auf Shell übertragen worden sei. Dass die Kommission sie nicht vor
der Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte darüber informiert habe, dass die
Untersuchung auch gegen sie geführt worden sei, habe ihnen die Möglichkeit
genommen, rechtzeitig einen Kronzeugenantrag zu stellen. Damit habe die Kommission
ihre Verteidigungsrechte verletzt.
175
Nach ständiger Rechtsprechung erfordert es die Wahrung der Verteidigungsrechte, dem
betroffenen Unternehmen im Verwaltungsverfahren Gelegenheit zu geben, zum
Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission angeführten Tatsachen und
Umstände sowie zu den von ihr zur Stützung ihrer Behauptung, dass eine
Zuwiderhandlung vorliege, herangezogenen Schriftstücken sachgerecht Stellung zu
nehmen (Urteile des Gerichtshofs vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française
u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Rn. 10, und vom 6. April 1995,
BPB Industries und British Gypsum/Kommission, C‑310/93 P, Slg. 1995, I‑865, Rn. 21).
176
Dieser Grundsatz kommt in Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 zum Ausdruck, der
vorsieht, dass den Parteien eine Mitteilung der Beschwerdepunkte übersandt wird, in der
alle wesentlichen Tatsachen, auf die sich die Kommission in diesem Stadium des
Verfahrens stützt, so klar angeführt sein müssen (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Januar
2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P,
C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Rn. 67), dass die Betroffenen
tatsächlich erkennen können, welches Verhalten ihnen die Kommission zur Last legt,
und sie ihre Verteidigung sachgerecht wahrnehmen können, bevor diese eine endgültige
Entscheidung erlässt. Dieses Erfordernis ist erfüllt, wenn die endgültige Entscheidung
den Betroffenen keine anderen Zuwiderhandlungen zur Last legt als diejenigen, die in
der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannt werden, und sich nur auf Tatsachen stützt,
zu denen die Betroffenen Gelegenheit hatten, sich zu äußern (vgl. in diesem Sinne Urteil
des Gerichts vom 19. März 2003, CMA CGM u. a./Kommission, T‑213/00, Slg. 2003,
II‑913, Rn. 109 und die dort angeführte Rechtsprechung).
177
Im vorliegenden Fall behaupten die Klägerinnen nicht, dass die an sie gerichtete
Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht alle Tatsachen enthalten habe, auf die die
angefochtene Entscheidung ihnen gegenüber gestützt sei. Sie machen lediglich geltend,
sie seien dadurch, dass die Kommission sie nicht auf die Einleitung des
Verwaltungsverfahrens hingewiesen habe, in eine ungünstigere Lage versetzt worden
als die Unternehmen, bei denen die Kommission Nachprüfungen durchgeführt habe.
178
Der Gerichtshof hat jedoch bereits entschieden, dass die Kommission, sofern der
Adressat einer Mitteilung der Beschwerdepunkte in die Lage versetzt wird, seinen
Standpunkt zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission behaupteten
Tatsachen und Umstände im Lauf des kontradiktorischen Verwaltungsverfahrens in
geeigneter Weise zu Gehör zu bringen, grundsätzlich nicht verpflichtet ist, vor der
Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Ermittlungsmaßnahme an
diesen Adressaten zu richten (Urteil Elf Aquitaine/Kommission, oben in Rn. 41 angeführt,
Rn. 122).
179
Daher können sich die Klägerinnen nicht mit Erfolg auf eine Verletzung ihrer
179
Daher können sich die Klägerinnen nicht mit Erfolg auf eine Verletzung ihrer
Verteidigungsrechte berufen.
180
Diese Feststellung kann nicht durch den Hinweis der Klägerinnen auf die Entscheidung
der Kommission vom 3. September 2004 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und
Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/38.069 – Kupfer-Installationsrohre) in Frage
gestellt werden. Entscheidungen in anderen Verfahren können, wenn die in diesen
Verfahren fraglichen tatsächlichen Gegebenheiten nicht die gleichen sind, nur
Hinweischarakter haben (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 21.
September 2006, JCB Service/Kommission, C‑167/04 P, Slg. 2006, I‑8935, Rn. 201 und
205, und vom 7. Juni 2007, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, C‑76/06 P, Slg.
2007, I‑4405, Rn. 60).
181
Ebenso wenig können sich die Klägerinnen mit Erfolg darauf berufen, dass die
Übertragung der vom Kartell erfassten Tätigkeit auf Shell ihnen die Zusammenarbeit mit
der Kommission erschwert habe.
182
Wie die Kommission hiergegen zu Recht eingewandt hat, waren die Klägerinnen
nämlich durch nichts daran gehindert, während des Zeitraums, in dem Dea Mineraloel
eine wirtschaftliche Einheit mit ihnen bildete, einen Kronzeugenantrag zu stellen.
183
Zudem ist es nicht Ziel des Kronzeugenprogramms, an Kartellen beteiligte
Unternehmen, die von der Einleitung des Verfahrens der Kommission Kenntnis erlangt
haben, die Möglichkeit einzuräumen, den finanziellen Folgen ihrer Verantwortung zu
entgehen, sondern die Aufdeckung derartiger Praktiken im Interesse der europäischen
Verbraucher und Bürger durch die Schaffung von Anreizen für die Beteiligten, diese
Praktiken offenzulegen, zu erleichtern. Daher dürfen die Vorteile, die an derartigen
Praktiken beteiligte Unternehmen erlangen können, nicht über das hinausgehen, was
notwendig ist, um die volle Wirksamkeit des Kronzeugenprogramms zu gewährleisten.
184
Kein Interesse der europäischen Verbraucher verlangt jedoch, dass die Kommission
einer größeren Zahl von Unternehmen als der, die zur Gewährleistung der vollen
Wirksamkeit des Kronzeugenprogramms erforderlich ist, den Vorteil eines Erlasses oder
einer Herabsetzung der Geldbuße zuteilwerden lässt, indem sie diesen Vorteil auch
anderen Unternehmen als denen gewährt, die als Erste Beweise beigebracht haben,
welche der Kommission die Anordnung von Nachprüfungen oder die Feststellung einer
Zuwiderhandlung ermöglichen.
185
Somit ist der dritte Teil des zweiten Klagegrundes und damit der zweite Klagegrund
insgesamt zurückzuweisen.
3
. Zum dritten Klagegrund: Ermittlung des für die Bemessung der gegen die
Klägerinnen verhängten Geldbuße zugrunde gelegten Umsatzes
186
Nach Ansicht der Klägerinnen hat die Kommission bei der Bestimmung des als
Bemessungsgrundlage für die Geldbuße zugrunde zu legenden Umsatzes gegen Art. 23
Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen, da sie die wesentlichen Grundsätze
der Bestimmung der Höhe der Geldbuße nicht beachtet habe, insbesondere die
Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit. Im Wesentlichen rügen
sie, dass die Kommission den in den Jahren 1999 bis 2001 auf den vom Kartell erfassten
sie, dass die Kommission den in den Jahren 1999 bis 2001 auf den vom Kartell erfassten
Märkten durchschnittlich erzielten Umsatz zugrunde gelegt habe, den sie anhand der
Angaben von Shell und nicht anhand der von ihnen vorgelegten Angaben berechnet
habe. Auch habe die Kommission ihre Begründungspflicht in dieser Hinsicht verletzt.
Zum ersten Teil: unzureichende Begründung der angefochtenen Entscheidung
hinsichtlich der Berechnung des Umsatzes der Klägerinnen
187
Die Klägerinnen machen geltend, dass die Kommission bei der Berechnung des
Umsatzes die ihr obliegende Begründungspflicht verletzt habe. Zum einen ergebe sich
aus der angefochtenen Entscheidung nicht, warum die Kommission als
Referenzzeitraum die drei letzten Jahre der Beteiligung an der Zuwiderhandlung gewählt
habe. Zum anderen begründe sie nicht ausreichend, warum sie die Angaben von Shell
zum Umsatz der Klägerinnen zugrunde gelegt habe.
188
Zunächst ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die nach Art. 253 EG
vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein
und die Überlegungen des Unionsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und
eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die
erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine
Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (Urteile des Gerichtshofs vom 22. März 2001,
Frankreich/Kommission, C‑17/99, Slg. 2001, I‑2481, und Elf Aquitaine/Kommission,
oben in Rn. 41 angeführt, Rn. 146).
189
Somit hat die Pflicht zur Begründung einer Einzelentscheidung neben der
Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Zweck, den Betroffenen so
ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit
einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht (vgl. in diesem Sinne Urteile
des Gerichtshofs vom 2. Oktober 2003, Corus UK/Kommission, C‑199/99 P, Slg. 2003,
I‑11177, Rn. 145, und Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Rn. 102 angeführt,
Rn. 462).
190
Die Begründung ist dem Betroffenen daher grundsätzlich gleichzeitig mit der ihn
beschwerenden Entscheidung mitzuteilen. Das Fehlen der Begründung kann nicht
dadurch geheilt werden, dass der Betroffene die Gründe für die Entscheidung während
des Verfahrens vor den Unionsinstanzen erfährt (Urteile Michel/Parlament, oben in
Rn. 128 angeführt, Rn. 22, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Rn. 102
angeführt, Rn. 463, und Elf Aquitaine/Kommission, oben in Rn. 41 angeführt, Rn. 149).
191
Nach ständiger Rechtsprechung ist das Begründungserfordernis nach den Umständen
des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten
Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch
den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben
können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen
Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts
den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu
beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften
auf dem betreffenden Gebiet (Urteile des Gerichtshofs vom 2. April 1998,
Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, Slg. 1998, I‑1719, Rn. 63, und
Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, Slg. 1998, I‑1719, Rn. 63, und
vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P,
Slg. 2008, I‑4951, Rn. 166 und 178).
192
Ist wie im vorliegenden Fall eine Entscheidung zur Anwendung der Wettbewerbsregeln
der Union an mehrere Adressaten gerichtet und betrifft sie die Zurechnung der
Zuwiderhandlung, muss sie in Bezug auf jeden Adressaten hinreichend begründet sein,
insbesondere aber in Bezug auf diejenigen, denen die Zuwiderhandlung nach dieser
Entscheidung zur Last gelegt wird. Daher muss eine solche Entscheidung in Bezug auf
die Muttergesellschaft, die für eine Zuwiderhandlung ihrer Tochtergesellschaft haftbar
gemacht wird, eine ausführliche Darlegung der Gründe enthalten, die es rechtfertigen,
die Zuwiderhandlung der Muttergesellschaft zuzurechnen (vgl. Urteil Elf
Aquitaine/Kommission, oben in Rn. 41 angeführt, Rn. 152 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
Zur ersten Rüge: unzureichende Begründung der angefochtenen Entscheidung
hinsichtlich der Wahl des durchschnittlichen Umsatzes der letzten drei Jahre der
Beteiligung an der Zuwiderhandlung
193
Erstens machen die Klägerinnen geltend, dass nach den Leitlinien von 2006 der
maßgebliche Zeitraum für die Bestimmung des relevanten Umsatzes das letzte Jahr der
Beteiligung an der Zuwiderhandlung sei. Nach den Erwägungsgründen 629 und 631 der
angefochtenen Entscheidung sei dies für den RWE-Konzern das Jahr 2001 gewesen.
Der angefochtenen Entscheidung lasse sich nicht entnehmen, warum sich die
Kommission als Methode allgemein dafür entschieden habe, den durchschnittlichen in
drei Jahren erzielten Umsatz und nicht den in einem einzigen Jahr erzielten Umsatz
zugrunde zu legen.
194
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission im Einklang mit Ziff. 13 der
Leitlinien von 2006 im 629. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung
ausgeführt hat, dass sie zur Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße in der Regel
den Umsatz des Unternehmens auf dem betreffenden Markt im letzten vollständigen
Geschäftsjahr seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung zugrunde lege.
195
In den Erwägungsgründen 632 und 633 der angefochtenen Entscheidung hat die
Kommission die Argumente von ExxonMobil und von MOL angeführt, mit denen geltend
gemacht worden war, dass die Erweiterungen der Union, insbesondere die von 2004,
starke Auswirkungen auf den Umsatz mehrerer Beteiligter gehabt hätten. Selbst die
Klägerinnen haben hierzu in ihrer Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte
ausgeführt, dass nach ihrer Ansicht nur der Umsatz, den Dea Mineraloel in den 15
Mitgliedstaaten erzielt habe, aus denen die Union bis zum 1. Mai 2004 bestanden habe,
berücksichtigt werden dürfe. Die Kommission hat zu diesen Argumenten im 634.
Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung wie folgt Stellung genommen:
„Die Kommission erkennt an, dass das Jahr 2004 wegen der Erweiterung der
Europäischen Union im Mai ein Ausnahmejahr war. Sie hält es daher für angemessen,
die Umsätze des Jahres 2004 nicht als einzige Grundlage für die Berechnung der
Geldbuße anzunehmen, sondern sich stattdessen auf die Umsätze der letzten drei
Geschäftsjahre, in denen die Einheit an der Zuwiderhandlung beteiligt war, zu stützen.“
Geschäftsjahre, in denen die Einheit an der Zuwiderhandlung beteiligt war, zu stützen.“
196
Mithin geht der Grund dafür, dass die Kommission auf den während der letzten drei
Jahre der Beteiligung an der Zuwiderhandlung erzielten durchschnittlichen Umsatz und
nicht auf den im letzten vollständigen Geschäftsjahr der Beteiligung erzielten Umsatz
abgestellt hat, klar aus der angefochtenen Entscheidung hervor.
197
Zweitens machen die Klägerinnen jedoch geltend, dass die Kommission nicht
begründet habe, warum sie sich dafür entschieden habe, den von den Klägerinnen im
Zeitraum 1999 bis 2001 erzielten Umsatz und nicht den allein im Jahr 2001 erzielten
Umsatz zugrunde zu legen. Zudem habe die Kommission das Argument der Klägerinnen
zurückgewiesen, wonach das Geschäftsjahr 2001/2002 ein Ausnahmejahr gewesen sei
und vielmehr auf den durchschnittlichen Umsatz abzustellen sei, den Dea Mineraloel
während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung, d. h. in den Jahren 1992/1993 bis
2000/2001, erzielt habe (639. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Die
Kommission habe jedoch in keiner Weise erklärt, warum sie sich, statt diesen
Referenzzeitraum zu wählen, auf den durchschnittlichen Umsatz der Jahre 1999 bis
2001 gestützt habe.
198
Hierzu ist auf die oben in Rn. 191 angeführte Rechtsprechung hinzuweisen, wonach
das Begründungserfordernis nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach
dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu
beurteilen ist, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und
individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung
brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu
werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des
Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch
anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet.
199
Außerdem ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung die
Kommission verpflichtet ist, den zu berücksichtigenden Zeitraum so abzugrenzen, dass
die ermittelten Umsatzzahlen so weit wie möglich miteinander vergleichbar sind (Urteil
des Gerichts vom 14. Mai 1998, Fiskeby Board/Kommission, T‑319/94, Slg. 1998,
II‑1331, Rn. 42). Zweitens ist festzustellen, dass die Kommission in der angefochtenen
Entscheidung für jedes der beschuldigten Unternehmen nach der Methode, die sie im
634. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung festgelegt hat, durchgehend den
in den letzten drei Jahren der Beteiligung am Kartell erzielten Umsatz verwendet hat.
200
Folglich lassen sich der angefochtenen Entscheidung, wie sie in ihrer Gesamtheit und
anhand ihres Kontexts und sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet
auszulegen ist, die Gründe entnehmen, aus denen die Kommission hinsichtlich der
Klägerinnen als Referenzzeitraum auf den Zeitraum 1999 bis 2001 statt nur auf das Jahr
2001 abgestellt hat. Somit ist die Rüge der unzureichenden Begründung in dieser
Hinsicht zurückzuweisen.
Zur zweiten Rüge: unzureichende Begründung der angefochtenen Entscheidung
hinsichtlich der Bestimmung des Umsatzes
201
Die Klägerinnen tragen vor, dass die Begründung der angefochtenen Entscheidung
ihnen nicht erlaube, zu überprüfen, ob die Kommission ihren Umsatz für den Zeitraum
1999 bis 2001 zutreffend bestimmt habe.
202
Sie hätten anhand der Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht nachprüfen
können, ob die Kommission die Durchschnittsumsätze für den Zeitraum 1999 bis 2001
richtig ermittelt habe. Offenbar habe sich die Kommission auf die Angaben von Shell
gestützt, weil sie der Ansicht gewesen sei, RWE habe keine nach Paraffinwachs und
Gatsch aufgeschlüsselten Umsätze für das Jahr 2001 angeben können. Nach dem 628.
Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung hätten die von der Shell-Gruppe
gelieferten Zahlen mit den von den Klägerinnen angegebenen Gesamtumsätzen
übereingestimmt. Dies hätten die Klägerinnen jedoch nicht nachvollziehen können, da
ihnen die von Shell eingereichten Umsatzzahlen während des Verwaltungsverfahrens
nicht zugänglich gemacht worden seien. Aus ihren Zahlen ergebe sich jedenfalls, dass
das Paraffinwachsgeschäft der früheren Dea Mineraloel in den Geschäftsjahren
1998/1999 bis 2000/2001 durchschnittlich Umsatzerlöse in Höhe von ca. 18,2 Mio. Euro
erwirtschaftet habe. Das seien 280 000 Euro weniger als von der Kommission
veranschlagt.
203
Im 59. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung heißt es:
„… Der durchschnittliche jährliche Wert der Verkäufe von Paraffinwachs [der RWE-
Gruppe] im EWR betrug in den Jahren 1999-2001 laut Shell 13 785 353 EUR. Der
durchschnittliche jährliche Umsatz im Paraffingatsch belief sich in den Jahren 1999-2001
laut Shell im EWR auf 4 670 083 EUR.“
204
Im 628. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung heißt es:
„Die Kommission ist bei ihren Berechnungen von den Zahlen ausgegangen, die ihr von
den Unternehmen vorgelegt wurden. Da RWE keine nach Produkten aufgeschlüsselten
Umsätze für das Jahr 2001 anzugeben in der Lage war, hat die Kommission Angaben
von Shell verwendet, die mit den von RWE angegebenen Gesamtumsätzen
übereinstimmen. …“
205
Hierzu ist bereits entschieden worden, dass die Kommission bei der Festsetzung von
Geldbußen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts ihrer Begründungspflicht genügt,
wenn sie in ihrer Entscheidung die Beurteilungskriterien angibt, die es ihr ermöglichten,
Schwere und Dauer der begangenen Zuwiderhandlung zu ermessen; sie ist nicht
verpflichtet,
darin
eingehendere
Ausführungen
oder
Zahlenangaben
zur
Berechnungsweise der Geldbuße zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil des
Gerichtshofs vom 16. November 2000, Cascades/Kommission, C‑279/98 P, Slg. 2000,
I‑9693, Rn. 38 bis 47, und Urteil des Gerichts vom 30. September 2003, Atlantic
Container Line u. a./Kommission, T‑191/98, T‑212/98 bis T‑214/98, Slg. 2003, II‑3275,
Rn. 1532). Zahlenangaben zur Berechnungsweise von Geldbußen sind, so nützlich sie
auch sein mögen, für die Beachtung der Begründungspflicht nicht unabdingbar (Urteil
des Gerichtshofs vom 2. Oktober 2003, Salzgitter/Kommission, C‑182/99 P, Slg. 2003,
I‑10761, Rn. 75, und Urteil des Gerichts vom 8. Oktober 2008, SGL Carbon/Kommission,
T‑68/04, Slg. 2008, II‑2511, Rn. 31).
206
Außerdem ist darauf hinzuweisen dass die Klägerinnen in ihrer Antwort vom 31. Januar
206
Außerdem ist darauf hinzuweisen dass die Klägerinnen in ihrer Antwort vom 31. Januar
2008 auf das Auskunftsersuchen der Kommission behauptet haben, keine Zahlen für das
Geschäftsjahr 2001/2002 vorlegen zu können. In Ermangelung dieser Zahlen konnte
jedoch der Umsatz für das Kalenderjahr 2001, den die Kommission in der angefochtenen
Entscheidung durchgehend zugrunde gelegt hat, nicht ermittelt werden. Ebenso haben
die Klägerinnen in dieser Antwort behauptet, keine nach Paraffinwachs und Gatsch
aufgeschlüsselten Zahlen für die früheren Geschäftsjahre vorlegen zu können. Solche
aufgeschlüsselten Zahlen waren jedoch für die Berechnung der Geldbuße angesichts
der Tatsache notwendig, dass der für die Schwere der Zuwiderhandlung ermittelte
Koeffizient für diese beiden Produktgruppen unterschiedlich war, nämlich 18 % für
Paraffinwachs und 15 % für Gatsch.
207
Schließlich ist festzustellen, dass die Klägerinnen in ihrer Antwort vom 5. März 2008 auf
das Auskunftsersuchen der Kommission angaben, dass sie Shell kontaktiert hätten, um
sich über die verfügbaren Umsatzzahlen zu informieren, und dass sie darüber auf dem
Laufenden gewesen seien, dass Shell der Kommission die Umsatzzahlen für das
Geschäftsjahr 2001/2002 bereits übermittelt habe. Sie verwiesen auf die von Shell für
dieses Geschäftsjahr vorgelegten Zahlen und räumten ein, dass solche zuverlässigen
und verfügbaren Zahlen für die RWE-Gruppe fehlten.
208
Es ist somit zu konstatieren, dass die Klägerinnen in dem Schriftwechsel nach der
Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte der Verwendung der von Shell
gelieferten Umsatzzahlen durch die Kommission nicht widersprochen, sondern die
Kommission vielmehr darin bestärkt haben, sie für das Geschäftsjahr 2001/2002 zu
benutzen.
209
Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist festzustellen, dass sich der
angefochtenen Entscheidung, wie sie in ihrer Gesamtheit und in ihrem Kontext,
insbesondere im Licht des Schriftwechsels zwischen den Klägerinnen und der
Kommission, sowie anhand sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet
auszulegen ist, die Gründe entnehmen lassen, aus denen die Kommission die von Shell
gelieferten Zahlen verwendet hat.
210
Zu dem Argument der Klägerinnen, dass die angefochtene Entscheidung nicht die
Methode erkennen lasse, die Shell bei der Aufschlüsselung der Umsätze zwischen
Paraffinwachs und Gatsch angewandt habe, ist darauf hinzuweisen, dass die
Kommission ihre Begründungspflicht erfüllt hat, als sie in ihrer Entscheidung die
Beurteilungskriterien angegeben hat, die es ihr ermöglichten, Schwere und Dauer der
begangenen Zuwiderhandlung zu ermessen, und dass sie nicht verpflichtet ist, darin
eingehendere Ausführungen oder Zahlenangaben zur Berechnungsweise der Geldbuße
zu machen (vgl. die oben in Rn. 205 angeführte Rechtsprechung).
211
Im Übrigen durfte die Kommission aufgrund der Angaben der Klägerinnen im
Verwaltungsverfahren annehmen, dass die Klägerinnen die von Shell gelieferten Zahlen
angesichts der zwischen den beiden Gruppen bestehenden Kontakte und der Tatsache,
dass die Klägerinnen selbst auf diese Zahlen verwiesen hatten, nicht in Abrede stellen
würden. Da indes keine allgemeine Verpflichtung besteht, sämtliche relevanten
tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte im Einzelnen anzugeben, und der Umfang
der Begründungspflicht u. a. vom Kontext des Erlasses des angefochtenen Rechtsakts
der Begründungspflicht u. a. vom Kontext des Erlasses des angefochtenen Rechtsakts
abhängt, brauchte die Kommission, insbesondere in Anbetracht der Angaben der
Klägerinnen zur Kontaktaufnahme zu Shell in dieser Angelegenheit und ihrer
Bezugnahme auf einen Teil der im Besitz von Shell befindlichen Daten, in die
angefochtene Entscheidung keine detaillierte Analyse der von Shell vorgelegten Zahlen
aufzunehmen.
212
Außerdem haben die Klägerinnen in Beantwortung einer schriftlichen Frage des
Gerichts ausgeführt, dass Shell ihnen am 25. Januar 2008 tatsächlich Umsatzzahlen zur
Verfügung gestellt habe, die aus derselben Datenbank gestammt hätten wie die
Angaben, die Shell der Kommission übermittelt habe. Der bloße Umstand, dass sich die
von Shell übermittelten Angaben nicht auf Kalenderjahre bezogen, sondern auf die
jeweils von Anfang Juli bis Ende Juni laufenden Geschäftsjahre, konnte die Klägerinnen
nicht daran hindern, die Berechnungsmethode der Kommission zu erkennen, da in der
angefochtenen Entscheidung darauf hingewiesen wird, dass der Umsatz anhand von
Angaben je Kalenderjahr berechnet worden sei. Somit konnten die Klägerinnen aufgrund
der angefochtenen Entscheidung und des Kontexts, in dem sie erlassen wurde,
erkennen, dass die Kommission die auf Geschäftsjahre bezogenen Angaben an ihre
Methode angepasst hatte, nach der Kalenderjahre berücksichtigt wurden.
213
Daher ist der erste Teil des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.
Zum zweiten Teil: Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die
Verordnung Nr. 1/2003 bei der Festsetzung des Betrags der gegen die Klägerinnen
verhängten Geldbuße
Zur Wahl des Referenzzeitraums (Kalenderjahre 1999 bis 2001)
214
Die Klägerinnen machen geltend, der Betrag der gegen sie verhängten Geldbuße stehe
außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung, da ihr Umsatz während des von der
Kommission gewählten Referenzzeitraums (1999 bis 2001) erheblich höher gewesen sei
als während des vorherigen (1992 bis 1998) und des folgenden Zeitraums (2002 bis
2004). Der Betrag der Geldbuße, der anhand des so festgestellten Umsatzes berechnet
worden sei, spiegle nicht die Schwere der von ihnen begangenen Zuwiderhandlung
wider, da der während des Referenzzeitraums erzielte Umsatz nicht für den gesamten
Zeitraum der Zuwiderhandlung repräsentativ sei. Daher habe die Kommission gegen
Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
verstoßen.
215
Um der Schwere der Zuwiderhandlung besser Rechnung zu tragen, hätte die
Kommission nach Ansicht der Klägerinnen den während der gesamten Dauer der
Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung auf den vom Kartell erfassten
Märkten durchschnittlich erzielten Umsatz zugrunde legen müssen. Hätte sich die
Kommission auf den in den Geschäftsjahren 1992/1993 bis 2000/2001 durchschnittlich
erzielten Umsatz gestützt, wäre sie, ceteris paribus, zu einer Geldbuße von etwa 30,95
Mio. Euro anstelle der gegen die Klägerinnen festgesetzten 37 440 000 Euro gelangt.
216
Nach der Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die
Handlungen der Organe nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung
Handlungen der Organe nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung
der mit der fraglichen Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet und erforderlich ist.
Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten
belastende zu wählen; ferner müssen die verursachten Nachteile in angemessenem
Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (Urteile des Gerichtshofs vom 13.
November 1990, Fedesa u. a., C‑331/88, Slg. 1990, I‑4023, Rn. 13, und vom 5. Mai
1998, Vereinigtes Königreich/Kommission, C‑180/96, Slg. 1998, I‑2265, Rn. 96, Urteil
des Gerichts vom 12. September 2007, Prym und Prym Consumer/Kommission, T‑30/05,
nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 223).
217
Im Rahmen der von der Kommission zur Ahndung von Verstößen gegen die
Wettbewerbsregeln eingeleiteten Verfahren bedeutet die Anwendung dieses
Grundsatzes, dass die Geldbußen nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen –
d. h. zur Beachtung dieser Regeln – stehen dürfen und die einem Unternehmen wegen
einer Zuwiderhandlung im Bereich des Wettbewerbs auferlegte Geldbuße so zu
bemessen ist, dass sie bei einer Gesamtwürdigung der Zuwiderhandlung unter
besonderer Berücksichtigung ihrer Schwere und Dauer in angemessenem Verhältnis zu
ihr steht (vgl. in diesem Sinne Urteil Prym und Prym Consumer/Kommission, oben in
Rn. 216 angeführt, Rn. 223 und 224 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insbesondere bedeutet dies, dass die Kommission die Geldbuße verhältnismäßig nach
den Gesichtspunkten festsetzen muss, die sie für die Beurteilung der Schwere der
Zuwiderhandlung berücksichtigt hat, und dass sie diese Gesichtspunkte dabei schlüssig
und objektiv gerechtfertigt bewerten muss (Urteile des Gerichts vom 27. September 2006,
Jungbunzlauer/Kommission, T‑43/02, Slg. 2006, II‑3435, Rn. 226 bis 228, und vom 28.
April 2010, Amann & Söhne und Cousin Filterie/Kommission, T‑446/05, Slg. 2010,
II‑1255, Rn. 171).
218
Was zudem die Wahl des Referenzzeitraums betrifft, ergibt sich aus der
Rechtsprechung, dass die Kommission eine Berechnungsmethode zu wählen hat, die es
ihr ermöglicht, Größe und Wirtschaftskraft eines jeden betroffenen Unternehmens sowie
das Ausmaß der begangenen Zuwiderhandlung anhand der tatsächlichen
wirtschaftlichen Lage zur Zeit der Begehung der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.
Zudem muss nach der Rechtsprechung der zu berücksichtigende Zeitraum so
abgegrenzt werden, dass die ermittelten Umsatzzahlen – und die Marktanteile – so weit
wie möglich miteinander vergleichbar sind. Das Referenzjahr muss daher nicht
unbedingt das letzte volle Jahr sein, in dem die Zuwiderhandlung angedauert hat (Urteil
des Gerichts vom 5. Oktober 2011, Romana Tabacchi/Kommission, T‑11/06, Slg. 2011,
II‑6681, Rn. 177, vgl. auch in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 13. September 2010,
Trioplast Wittenheim/Kommission, T‑26/06, nicht in der amtlichen Sammlung
veröffentlicht, Rn. 81 und 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).
219
Folglich kann ein bestimmtes Unternehmen nur dann verlangen, dass die Kommission
bei ihm auf einen anderen als den im Allgemeinen herangezogenen Zeitraum abstellt,
wenn es nachweist, dass der von ihm im letztgenannten Zeitraum erzielte Umsatz aus für
dieses Unternehmen spezifischen Gründen weder für seine wirkliche Größe und seine
Wirtschaftskraft noch für das Ausmaß der von ihm begangenen Zuwiderhandlung einen
Anhaltspunkt bietet (Urteile des Gerichts Fiskeby Board/Kommission, oben in Rn. 199
angeführt, Rn. 42, und vom 30. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission,
angeführt, Rn. 42, und vom 30. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission,
T‑175/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 142).
220
Erstens ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission dadurch, dass sie auf den
Durchschnitt der letzten drei Jahre der Beteiligung jedes an der Zuwiderhandlung
beteiligten Unternehmens abgestellt hat, einen Referenzzeitraum gewählt hat, der
insgesamt der in der oben in Rn. 216 angeführten Rechtsprechung aufgestellten
Anforderung genügt, den zu berücksichtigenden Zeitraum so abzugrenzen, dass die
ermittelten Zahlen so weit wie möglich miteinander vergleichbar sind.
221
Zweitens haben die Klägerinnen nicht nachgewiesen, dass der von ihnen im
letztgenannten Zeitraum erzielte Umsatz aus für sie spezifischen Gründen weder für ihre
wirkliche Größe und ihre Wirtschaftskraft noch für das Ausmaß der von ihnen
begangenen Zuwiderhandlung einen Anhaltspunkt bietet.
222
Zwar war der maßgebliche Umsatz der Jahre 1999 bis 2001 im Durchschnitt höher als
die Jahresumsätze der früheren Jahre der Beteiligung, jedoch ergibt sich aus Rn. 130
der Klageschrift, dass dies im Wesentlichen auf den Umstand zurückzuführen ist, dass
der auf den vom Kartell erfassten Märkten erzielte Umsatz der Klägerinnen während des
Zeitraums der Beteiligung an der Zuwiderhandlung kontinuierlich gestiegen ist. Ein
solcher Anstieg kann indes die typische Folge eines Kartells sein, zu dessen
Hauptzielen es gehört, die Preise der betreffenden Erzeugnisse zu erhöhen. Zudem
kann eine solche Erhöhung zumindest teilweise auch auf allgemeinen Faktoren
beruhen, wie der Inflation oder einer ebenfalls steigenden Tendenz des Preises für die
Rohstoffe der fraglichen Erzeugnisse auf dem Weltmarkt, die hier gegeben war, da nach
den Angaben der Kommission der Rohölpreis zwischen 1992 und 2001 erheblich
gestiegen ist.
223
Dagegen nennen die Klägerinnen keinen außergewöhnlichen Umstand, der den
Anstieg ihres Umsatzes im Zeitraum 1992 bis 2001 verursacht hätte. Im Übrigen ist
darauf hinzuweisen, dass diese Erhöhung tendenziell ist und in einer engen Korrelation
mit dem Rohölpreis steht.
224
Auch können sich die Klägerinnen nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der von ihnen
im Referenzzeitraum erzielte durchschnittliche Jahresumsatz höher war als der des
Zeitraums 2002 bis einschließlich 2004. Abgesehen von der ersten Hälfte des Jahres
2002 besaßen die Klägerinnen nämlich in diesem Zeitraum nicht mehr die unmittelbar an
der Zuwiderhandlung beteiligte Gesellschaft. Somit stand der Rückgang des Umsatzes
von Shell Deutschland Oil gegenüber dem von Dea Mineraloel in keinem
Zusammenhang mit der Geschäftspolitik der Klägerinnen, so dass er nicht zu ihren
Gunsten geltend gemacht werden kann.
225
Folglich haben die Klägerinnen nicht nachgewiesen, dass der Umsatz, den sie im
Referenzzeitraum erzielt haben, aus für sie spezifischen Gründen weder für ihre
wirkliche Größe und ihre Wirtschaftskraft noch für das Ausmaß der von ihnen
begangenen Zuwiderhandlung einen Anhaltspunkt bietet.
226
Da die von der Kommission getroffene Wahl des Referenzzeitraums den in der
Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen entspricht, gehen die Argumente der
Klägerinnen bezüglich der Möglichkeit, die Daten für das Geschäftsjahr 1993/1994 zu
Klägerinnen bezüglich der Möglichkeit, die Daten für das Geschäftsjahr 1993/1994 zu
rekonstruieren, ins Leere und sind daher zurückzuweisen.
227
Nach dem Vorstehenden ist festzustellen, dass die Kommission dadurch, dass sie als
Berechnungsgrundlage den durchschnittlichen Jahresumsatz der Klägerinnen im
Zeitraum 1999 bis 2001 herangezogen hat, weder gegen Art. 23 Abs. 3 der Verordnung
Nr. 1/2003 noch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen hat.
228
Jedenfalls gelangt das Gericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter
Nachprüfung zu der Auffassung, dass die hinsichtlich der Klägerinnen getroffene Wahl
des Referenzzeitraums nach sämtlichen tatsächlichen und rechtlichen Umständen des
Falles gerechtfertigt ist.
Zur Berücksichtigung der von Shell vorgelegten Zahlen
229
Mit ihrer zweiten Rüge machen die Klägerinnen geltend, dass sich die Kommission auf
die von Shell gelieferten und nicht auf die von ihnen vorgelegten Umsatzzahlen gestützt
habe.
230
Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach den Ziff. 15 und 16 der Leitlinien von 2006
die Kommission den Umsatz eines Unternehmens mittels der zuverlässigsten Daten
bestimmt, die von diesem Unternehmen verfügbar sind. Sind die von einem
Unternehmen zur Verfügung gestellten Daten unvollständig oder unzuverlässig, kann die
Kommission den Umsatz mittels der erhaltenen Teildaten oder jeder anderen von ihr als
einschlägig oder geeignet erachteten Information bestimmen.
231
Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Klägerinnen im Verwaltungsverfahren
wiederholt angegeben haben, sie seien nicht in der Lage, Daten für das Geschäftsjahr
2001/2002 vorzulegen. Die erste Hälfte dieses Geschäftsjahrs fiel indes in das
Kalenderjahr 2001, das zu dem von der Kommission zugrunde gelegten
Referenzzeitraum (Kalenderjahre 1999 bis 2001) gehörte.
232
Ferner haben die Klägerinnen in Beantwortung der Auskunftsersuchen der Kommission
wiederholt ausgeführt, dass sie keine nach Produktgruppen aufgeschlüsselten Zahlen
hätten vorlegen können. Angesichts der Tatsache, dass die von der Kommission für die
Schwere der Zuwiderhandlung verwendeten Koeffizienten für Paraffinwachs und Gatsch
unterschiedlich waren, waren jedoch aufgeschlüsselte Zahlen für die Berechnung der
Höhe des Bußgelds unerlässlich (vgl. oben, Rn. 206).
233
Somit waren die von den Klägerinnen gelieferten Daten unvollständig, so dass die
Kommission andere Daten verwenden musste, um den Betrag der gegen die
Klägerinnen zu verhängenden Geldbuße berechnen zu können.
234
Zweitens ergibt sich aus der Antwort von Shell vom 31. Januar 2008 auf das
Auskunftsersuchen der Kommission, dass die von Shell vorgelegten Daten kohärent und
vollständig waren und für sich allein genommen für die Berechnung der Kommission
ausreichten.
235
Drittens ist daran zu erinnern (vgl. oben, Rn. 207 und 208), dass die Klägerinnen in ihrer
Antwort vom 5. März 2008 auf das Auskunftsersuchen der Kommission angegeben
Antwort vom 5. März 2008 auf das Auskunftsersuchen der Kommission angegeben
haben, dass sie Shell kontaktiert hätten, um sich über die für sie verfügbaren
Umsatzzahlen zu informieren, und dass sie darüber auf dem Laufenden gewesen seien,
dass Shell der Kommission die Umsatzzahlen für das Geschäftsjahr 2001/2002 bereits
übermittelt habe. Sie haben auf die von Shell für dieses Geschäftsjahr vorgelegten
Zahlen verwiesen und eingeräumt, dass solche zuverlässigen und verfügbaren Zahlen
für die RWE-Gruppe fehlten.
236
Viertens machen die Klägerinnen nicht ausdrücklich geltend, dass der von der
Kommission für die Kalenderjahre 1999 bis 2001 für Paraffinwachs und Gatsch
angenommene Umsatz unzutreffend sei. Sie weisen lediglich darauf hin, dass das
Paraffinwachsgeschäft der ehemaligen Dea Mineraloel in den Geschäftsjahren
1998/1999 bis 2000/2001 durchschnittlich Umsätze von etwa 18,2 Mio. Euro eingebracht
habe und dass diese Zahl um etwa 280 000 Euro niedriger sei als die von der
Kommission veranschlagte. Dieses Argument ist jedoch nicht geeignet, nachzuweisen,
dass die Kommission einen Fehler begangen hat, da die von den Klägerinnen
übermittelten Daten die Geschäftsjahre 1998/1999 bis 2000/2001 betrafen und nicht die
von der Kommission in der angefochtenen Entscheidung systematisch berücksichtigten
Kalenderjahre. Außerdem ergibt sich aus den von den Klägerinnen in Rn. 130 der
Klageschrift mitgeteilten Zahlen, dass sich der Umsatz für Paraffinwachs im
Geschäftsjahr 1998/1999 auf 16 304 000 Euro und im Geschäftsjahr 1999/2000 auf
19 543 000 Euro belief. Im Geschäftsjahr 2000/2001 betrug der Umsatz für Paraffinwachs
18 677 000 Euro. Es ist daher plausibel, dass die Differenz von 280 000 Euro darauf
zurückzuführen ist, dass der von den Klägerinnen gewählte Zeitraum die zweite Hälfte
des Jahres 1998 umfasst, in der der Umsatz niedriger war als der in der zweiten Hälfte
des Jahres 2001 erzielte Umsatz, der in die Berechnung der Klägerinnen hingegen nicht
einbezogen worden war.
237
Fünftens können die Klägerinnen der Kommission nicht mit Erfolg vorwerfen, die von
Shell gelieferten Daten nicht mit ihren Teildaten und Schätzungen vervollständigt zu
haben. Wenn die Kommission nämlich über vollständige kohärente und zuverlässige
Daten aus einer Quelle verfügt, auf die die Klägerinnen in Bezug auf einen Teil der
Daten selbst verweisen, kann sie nicht verpflichtet sein, diese Daten mit den Daten aus
einer anderen Quelle, die auf der Grundlage einer unterschiedlichen Methode berechnet
wurden und deren Kompatibilität daher nicht sicher ist, zu kombinieren.
238
Folglich ist die Rüge der Klägerinnen, mit der die Berücksichtigung der von Shell
gelieferten Umsatzzahlen beanstandet wird, zurückzuweisen.
239
Somit ist der zweite Teil des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.
Zum dritten Teil: Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und die Leitlinien
von 2006
240
Die Klägerinnen tragen vor, dass sich die Kommission bei der Ermittlung des
Grundbetrags der gegen sie verhängten Geldbuße auf den Durchschnittsumsatz der
Jahre 1999 bis 2001 gestützt habe, während für Shell der Durchschnittsumsatz der Jahre
2002 bis 2004 (für Paraffinwachs) und 2001 bis 2003 (für Gatsch) berücksichtigt worden
sei. Dieser Unterschied in der Berechnung habe in zweifacher Hinsicht zu einem
sei. Dieser Unterschied in der Berechnung habe in zweifacher Hinsicht zu einem
Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung geführt.
241
Zum einen seien die Klägerinnen für die von Dea Mineraloel und von Shell & Dea Oil
vom 3. September 1992 bis 30. Juni 2002 begangene Zuwiderhandlung zur
Verantwortung gezogen worden. Shell sei für dieselbe Zuwiderhandlung im selben
Zeitraum und darüber hinaus für die von den Nachfolgegesellschaften von Shell & Dea
Oil begangene Zuwiderhandlung für einen Gesamtzeitraum vom 3. September 1992 bis
17. März 2005 zur Verantwortung gezogen worden. Wegen des unterschiedlichen
Referenzzeitraums sei jedoch der Grundbetrag der für Shell berechneten Geldbuße
niedriger gewesen als der für RWE ermittelte, auch wenn sich Shell über einen um
nahezu drei Jahre längeren Zeitraum an dem Kartell beteiligt habe. Eine derartige
Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße sei diskriminierend.
242
Zum anderen sei die Ungleichbehandlung der Klägerinnen und von Shell während der
Zeit ihres beiderseitigen Engagements bei Shell & Dea Oil, d. h. also vom 2. Januar bis
zum 30. Juni 2002, ebenfalls eklatant. Zeitanteilig entfalle auf die Klägerinnen auf diesen
Zeitraum ein Grundbetrag von 1,6 Mio. Euro. Bei Shell seien es weniger als 1,2 Mio.
Euro, obwohl gegen Shell, wie sich aus Rn. 530 der angefochtenen Entscheidung
ergebe, wegen genau derselben Zuwiderhandlung von Shell & Dea Oil
gesamtschuldnerisch eine Geldbuße verhängt worden sei.
243
Hätte die Kommission, so die Klägerinnen, den Grundbetrag für die Klägerinnen – wie
für Shell – auf Basis des durchschnittlichen Umsatzes der Jahre 2002 bis 2004 für
Paraffinwachs und 2001 bis 2003 für Gatsch ermittelt, wäre sie zu einem Betrag von etwa
24,93 Mio. Euro und, ceteris paribus, zu einer Geldbuße in Höhe von 29,92 Mio. Euro
gelangt. Das entspreche in etwa der Geldbuße, die sich aus der Berechnung anhand des
Durchschnittsumsatzes der Geschäftsjahre 1992/1993 bis 2000/2001 ergebe. Nur die
Ermittlung des maßgeblichen Umsatzes anhand des durchschnittlichen Umsatzes der
Geschäftsjahre 1992/1993 bis 2000/2001 stehe daher mit den Leitlinien von 2006 und
dem Grundsatz der Gleichbehandlung im Einklang.
244
Was erstens die allgemeine Rüge der Klägerinnen betrifft, dass ein Referenzzeitraum
angewandt worden sei, statt den Grundbetrag anhand der auf jedes Jahr der
Zuwiderhandlung entfallenden Umsätze zu berechnen, ist auf die oben in den Rn. 216
bis 225 dargelegten Erwägungen zu verweisen. Aus ihnen ergibt sich, dass die
Kommission berechtigt war, den Umsatz anhand eines Referenzzeitraums zu ermitteln,
aus dem sich für alle betroffenen Unternehmen Zahlen ergeben, die so weit wie möglich
miteinander vergleichbar sind, es sei denn, ein Unternehmen weist nach, dass der
Umsatz, den es im Referenzzeitraum erzielt hat, aus für dieses Unternehmen
spezifischen Gründen weder für seine wirkliche Größe und seine Wirtschaftskraft noch
für das Ausmaß der von ihm begangenen Zuwiderhandlung einen Anhaltspunkt bietet.
Die Klägerinnen haben jedoch nicht nachgewiesen, dass dies hier der Fall ist.
245
Zweitens braucht der Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung hinsichtlich
des Zeitraums, in dem das Gemeinschaftsunternehmen Shell & Dea Oil bestand, nicht
geprüft zu werden, da die Kommission in der angefochtenen Entscheidung nicht
genügend Gesichtspunkte zusammengetragen hat, um den Klägerinnen die
Verantwortung für dessen Handlungen zuzurechnen (vgl. oben, Rn. 130).
Verantwortung für dessen Handlungen zuzurechnen (vgl. oben, Rn. 130).
246
Drittens ist die Rüge der Klägerinnen zu prüfen, wonach trotz der Tatsache, dass der für
Shell berechnete Grundbetrag der Geldbuße auf dieselbe, von derselben Gesellschaft
begangene Zuwiderhandlung gestützt sei wie in ihrem Fall und Shell sich länger an der
Zuwiderhandlung beteiligt habe als sie, der für Shell berechnete Grundbetrag der
Geldbuße niedriger sei (30 Mio. Euro) als der für sie berechnete (31,2 Mio. Euro).
247
Es ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass der für die Klägerinnen ermittelte
Grundbetrag der Geldbuße höher war als der für Shell ermittelte, einzig und allein darauf
zurückzuführen ist, dass der Referenzzeitraum unterschiedlich war. Der durchschnittliche
Umsatz von Shell Deutschland Oil während des Zeitraums 2002 bis 2004 für
Paraffinwachs und während des Zeitraums 2001 bis 2003 für Gatsch war niedriger als
der von Dea Mineraloel während des Zeitraums 1999 bis 2001.
248
Nach ständiger Rechtsprechung muss die Kommission bei der Festsetzung von
Geldbußen den Grundsatz der Gleichbehandlung beachten, der es verbietet,
vergleichbare Situationen unterschiedlich und unterschiedliche Situationen gleich zu
behandeln, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt (Urteil des
Gerichts vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑236/01, T‑239/01,
T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, Slg. 2004, II‑1181, Rn. 219).
249
Der Gerichtshof hat zwar zum einen entschieden, dass die Heranziehung eines
einheitlichen Referenzjahrs für alle an derselben Zuwiderhandlung beteiligten
Unternehmen jedem Unternehmen die Gewissheit gibt, ebenso behandelt zu werden wie
die anderen Unternehmen, da die Sanktionen in einheitlicher Weise ermittelt werden,
und zum anderen, dass die Wahl eines zum Zeitraum der Zuwiderhandlung gehörenden
Referenzjahrs eine Beurteilung des Ausmaßes der begangenen Zuwiderhandlung
anhand der wirtschaftlichen Gegebenheiten in diesem Zeitraum ermöglicht (Urteil des
Gerichtshofs vom 2. Oktober 2003, Aristrain/Kommission, C‑196/99 P, Slg. 2003,
I‑11005, Rn. 129).
250
Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Wahl eines einheitlichen Referenzzeitraums
der einzige Weg ist, um die Sanktionen im Einklang mit dem Grundsatz der
Gleichbehandlung festzulegen. Insbesondere ist die Kommission berechtigt, zu
berücksichtigen, dass für ein bestimmtes Unternehmen das einheitliche Referenzjahr
außerhalb des Zeitraums der Zuwiderhandlung liegt, der für dieses Unternehmen
festgestellt worden ist, und somit keinen geeigneten Anhaltspunkt für sein individuelles
Gewicht bei der Begehung der Zuwiderhandlung darstellt. Die Kommission darf deshalb
den Umsatz des Unternehmens für ein vom einheitlichen Referenzjahr abweichendes
Jahr berücksichtigen, sofern die Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße für die
verschiedenen Mitglieder eines Kartells kohärent und objektiv gerechtfertigt bleibt.
251
Im vorliegenden Fall hat die Kommission, indem sie den durchschnittlichen jährlichen
Umsatz der letzten drei Jahre der Beteiligung an der Zuwiderhandlung berücksichtigt hat,
auf alle Mitglieder des Kartells ein einheitliches Kriterium objektiv angewandt, gerade um
die Gleichbehandlung der Beteiligten zu wahren.
252
Außerdem ist festzustellen, dass der Umsatzrückgang, der zur Folge hatte, dass der
252
Außerdem ist festzustellen, dass der Umsatzrückgang, der zur Folge hatte, dass der
Grundbetrag der für Shell ermittelten Geldbuße niedriger war als der für RWE ermittelte,
während des Zeitraums 2002 bis 2004 eingetreten ist. Für die ersten sechs Monate
dieses Zeitraums wurde die tatsächliche Ausübung eines bestimmenden Einflusses auf
Shell & Dea Oil durch RWE nicht nachgewiesen. Für die verbleibenden zwei Jahre und
neun Monate ist unstreitig, dass Shell Deutschland Oil und Shell Deutschland
Schmierstoff völlig unabhängig von RWE tätig waren. Somit hat die Kommission zu
Recht angenommen, es dürfe den Klägerinnen nicht zugutekommen, dass der Beitrag
von Shell zum Kartell seine wirtschaftliche Bedeutung gegen Ende, als die Klägerinnen
nicht mehr am Kartell beteiligt waren, verloren hatte, und zwar vor allem angesichts der
Tatsache, dass der Umsatz der Klägerinnen auf den vom Kartell betroffenen Märkten
während ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung eine kontinuierlich steigende
Tendenz hatte.
253
Damit lässt sich die Tatsache, dass der für die Klägerinnen berechnete Grundbetrag der
Geldbuße höher war als der für die Shell-Gruppe berechnete, einzig und allein darauf
zurückführen, dass der Umsatz auf den vom Kartell betroffenen Märkten nach der
Übernahme von Dea Mineraloel durch Shell erheblich gesunken ist. Da sich die
Klägerinnen daher hinsichtlich eines für die Festsetzung des Bußgeldbetrags
erheblichen Aspekts in einer anderen Situation befanden als Shell, ist diese Rüge der
Ungleichbehandlung zurückzuweisen.
254
Jedenfalls gelangt das Gericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter
Nachprüfung zu der Auffassung, dass der von der Kommission festgesetzte Grundbetrag
die Schwere und Dauer der von Dea Mineraloel begangenen Zuwiderhandlung in
Anbetracht sämtlicher tatsächlicher und rechtlicher Umstände des Falles zutreffend
widerspiegelt.
255
Nach all diesen Erwägungen ist auch der dritte Teil des dritten Klagegrundes und damit
der dritte Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.
4 . Zur Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung und zur Festsetzung
des endgültigen Betrags der Geldbuße
256
Die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der von der Kommission erlassenen Entscheidungen
wird durch die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ergänzt, die den
Unionsgerichten in Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 gemäß Art. 229 EG eingeräumt ist.
Diese Befugnis ermächtigt die Gerichte über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der
Zwangsmaßnahme hinaus dazu, die Beurteilung der Kommission durch ihre eigene
Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte
Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen. Die in den Verträgen
vorgesehene Kontrolle bedeutet somit – im Einklang mit den Anforderungen des
Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gemäß Art. 47 der Charta der
Grundrechte –, dass die Unionsgerichte sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher
Hinsicht eine Kontrolle vornehmen und befugt sind, die Beweise zu würdigen, die
angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären und die Höhe der Geldbußen zu
ändern (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 8. Februar 2007, Groupe
Danone/Kommission, C‑3/06 P, Slg. 2007, I‑1331, Rn. 60 bis 62, und Urteil des Gerichts
vom 21. Oktober 2003, General Motors Nederland und Opel Nederland/Kommission,
vom 21. Oktober 2003, General Motors Nederland und Opel Nederland/Kommission,
T‑368/00, Slg. 2003, II‑4491, Rn. 181).
257
Das Gericht hat daher im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung zu
dem Zeitpunkt, zu dem es seine Entscheidung erlässt, zu bewerten, ob gegen die
klägerische Partei eine Geldbuße verhängt wurde, deren Höhe die Schwere und die
Dauer der fraglichen Zuwiderhandlung so zutreffend widerspiegelt, dass diese Geldbuße
gemessen an den in Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen Kriterien
verhältnismäßig ist (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 11. März 1999,
Aristrain/Kommission, T‑156/94, Slg. 1999, II‑645, Rn. 584 bis 586, und vom 9. Juli 2003,
Cheil Jedang/Kommission, T‑220/00, Slg. 2003, II‑2473, Rn. 93).
258
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter
Nachprüfung nicht einer Prüfung von Amts wegen entspricht und dass das Verfahren vor
den Gerichten der Union ein streitiges Verfahren ist (Urteil Chalkor/Kommission, oben in
Rn. 162 angeführt, Rn. 64).
259
Im vorliegenden Fall hat die Kommission bei der Berechnung der gegen die
Klägerinnen verhängten Geldbuße für die Schwere der Zuwiderhandlung 18 % des
Jahresumsatzes von Paraffinwachs und 15 % des Jahresumsatzes von Gatsch
berücksichtigt. Die auf diese Weise ermittelten Beträge wurden wegen der Dauer der
Zuwiderhandlung um den Koeffizienten 10 für Paraffinwachs und 5 für Gatsch
multipliziert. Insgesamt, unter Einbeziehung des wegen der Schwere der
Zuwiderhandlung festgesetzten Zusatzbetrags, der ebenfalls 18 % des Umsatzes für
Paraffinwachs und 15 % des Umsatzes für Gatsch betrug, hat die Kommission einen
Multiplikator von 11 für Paraffinwachs und von 6 für Gatsch angewandt.
260
Es ist daran zu erinnern, dass die Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung
für den Zeitraum vom 2. Januar bis 30. Juni 2002 nicht nachgewiesen wurde und dass
die angefochtene Entscheidung hinsichtlich dieses Zeitraums für nichtig zu erklären ist,
soweit sie die Klägerinnen betrifft (vgl. oben, Rn. 130). Daher sind nach Abzug dieses
Zeitraums der Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung die von der
Kommission angewandten Multiplikatoren für Paraffinwachs von 11 auf 10,5 und für
Gatsch von 6 auf 5,5 herabzusetzen.
261
Der so festgesetzte Koeffizient gilt unbeschadet des Ergebnisses einer erneuten
Prüfung, die die Kommission nach dem vorliegenden Urteil möglicherweise hinsichtlich
der Frage vornehmen wird, ob die von Shell & Dea Oil begangene Zuwiderhandlung den
Klägerinnen zurechenbar ist.
262
Was im übrigen die Geldbuße betrifft, die für den Zeitraum vom 3. September 1992 bis
2. Januar 2002 verhängt wurde, ist das Gericht in Ausübung seiner Befugnis zu
unbeschränkter Nachprüfung der Auffassung, dass die Höhe der gegen die Klägerinnen
verhängten Geldbuße in Anbetracht der Schwere und der Dauer der begangenen
Zuwiderhandlung angemessen ist.
263
Nach alledem wird der Betrag der Geldbuße auf 35 888 562 Euro festgesetzt.
Kosten
Kosten
264
Nach Art. 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen oder
beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt,
teils unterliegt.
265
Im vorliegenden Fall hat das Gericht nur dem zweiten Teil des ersten Klagegrundes der
Klägerinnen stattgegeben. Infolgedessen ist der Betrag der gegen sie verhängten
Geldbuße um 4,1 % herabgesetzt worden. Bei angemessener Würdigung der Umstände
des Falles ist somit zu entscheiden, dass die Klägerinnen vier Fünftel ihrer eigenen
Kosten und vier Fünftel der Kosten der Kommission tragen. Die Kommission trägt ein
Fünftel ihrer eigenen Kosten und ein Fünftel der den Klägerinnen entstandenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1 . Art. 1 der Entscheidung K (2008) 5476 endg. der Kommission vom 1. Oktober
2008 in einem Verfahren nach Artikel 8l [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen
(Sache COMP/39181 – Kerzenwachse) wird für nichtig erklärt, soweit die
Europäische Kommission festgestellt hat, dass sich die RWE AG und die
RWE Dea AG nach dem 2. Januar 2002 an der Zuwiderhandlung beteiligt
haben.
2 . Der Betrag der gegen RWE und RWE Dea verhängten Geldbuße wird auf
35 888 562 Euro festgesetzt.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4 . Die Kommission trägt ein Fünftel ihrer eigenen Kosten und ein Fünftel der
Kosten, die RWE und RWE Dea entstanden sind. RWE und RWE Dea tragen
vier Fünftel ihrer eigenen Kosten und vier Fünftel der Kosten der
Kommission.
Czúcz
Labucka
Gratsias
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. Juli 2014.
Unterschriften
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte des Rechtsstreits und angefochtene Entscheidung
1. Verwaltungsverfahren und Erlass der angefochtenen Entscheidung
2. Die Strukturen der RWE-Gruppe und des Gemeinschaftsunternehmens Shell & Dea Oil
Verfahren und Anträge der Parteien
Rechtliche Würdigung
1. Zum ersten Klagegrund: fehlerhafte Feststellung, dass die Klägerinnen mit Dea Mineraloel
bzw. Shell & Dea Oil eine wirtschaftliche Einheit gebildet hätten
Einleitende Bemerkungen
Zum ersten Teil: Zurechnung der Verantwortung für die von Dea Mineraloel begangene
Zuwiderhandlung zulasten der Klägerinnen (Zeitraum bis 2. Januar 2002)
Zur angefochtenen Entscheidung
Zu der Vermutung, dass die Tochtergesellschaft und ihre einzige Muttergesellschaft eine
wirtschaftliche Einheit gebildet hätten
Zu den Argumenten der Klägerinnen bezüglich der Widerlegung der Vermutung
– Zur operativen Eigenständigkeit von Dea Mineraloel
– Zu dem fehlenden Einfluss auf das Paraffinwachsgeschäft und dem geringen prozentualen
Anteil der Verkäufe von Paraffinwachs am Umsatz von Dea Mineraloel
Zur behaupteten verschuldensunabhängigen Haftung der Klägerinnen
Zum zweiten Teil: Zurechnung der Verantwortung für die von Shell & Dea Oil begangene
Zuwiderhandlung (2. Januar bis 30. Juni 2002) zulasten der Klägerinnen
Zur gemeinsamen Kontrolle und zur gemeinsamen Ausübung von bestimmendem Einfluss auf
das Geschäftsverhalten des Gemeinschaftsunternehmens
Zur Rechtmäßigkeit der Feststellung der Kommission, dass die Verantwortlichkeit für die von
Shell & Dea Oil begangene Zuwiderhandlung RWE und Shell zuzurechnen ist
2. Zum zweiten Klagegrund: Nichtanwendung der Kronzeugenregelung von 2002 auf die
Klägerinnen
Zum ersten Teil: Nichterstreckung des von Shell gestellten Kronzeugenantrags auf die
Klägerinnen
Zur angefochtenen Entscheidung
Zur ersten Rüge: keine Erstreckung des Shell gewährten Erlasses der Geldbuße auf die
Zuwiderhandlung von Dea Mineraloel
Zuwiderhandlung von Dea Mineraloel
Zur zweiten Rüge: keine Erstreckung des Shell gewährten Erlasses der Geldbuße auf die
Zuwiderhandlung von Shell & Dea Oil
Zum zweiten Teil: Anspruch der Klägerinnen auf vollständigen Erlass oder eine erhebliche
Ermäßigung der Geldbuße gemäß der Kronzeugenregelung von 2002
Zum dritten Teil: Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerinnen
3. Zum dritten Klagegrund: Ermittlung des für die Bemessung der gegen die Klägerinnen
verhängten Geldbuße zugrunde gelegten Umsatzes
Zum ersten Teil: unzureichende Begründung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich
der Berechnung des Umsatzes der Klägerinnen
Zur ersten Rüge: unzureichende Begründung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich
der Wahl des durchschnittlichen Umsatzes der letzten drei Jahre der Beteiligung an der
Zuwiderhandlung
Zur zweiten Rüge: unzureichende Begründung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich
der Bestimmung des Umsatzes
Zum zweiten Teil: Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Verordnung
Nr. 1/2003 bei der Festsetzung des Betrags der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße
Zur Wahl des Referenzzeitraums (Kalenderjahre 1999 bis 2001)
Zur Berücksichtigung der von Shell vorgelegten Zahlen
Zum dritten Teil: Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und die Leitlinien von
2006
4. Zur Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung und zur Festsetzung des
endgültigen Betrags der Geldbuße
Kosten
Verfahrenssprache: Deutsch.