Urteil des BVerwG vom 29.08.2013

BVerwG: abschiebung, emrk, tatsachenfeststellung, amtshandlung, asyl, eltern, kunst, gebärdensprache, familie, trennung

BVerwG 1 B 10.13
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 10.13
VG Gießen - 01.12.2010 - AZ: VG 6 K 2019/09.GI
Hessischer VGH - 29.04.2013 - AZ: VGH 5 A 2196/11
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. August 2013
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
Beschluss Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. April 2013 wird
zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Drittel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 37 287,96 €
festgesetzt.
Gründe
1 Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gestützte
Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß §
132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch
ungeklärten und sowohl für die Berufungs- als auch die angestrebte Revisionsentscheidung
entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus und verlangt außerdem die
Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll
(stRspr, vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 m.w.N.).
Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die erstrebte Revisionsentscheidung
zur Klärung einer entscheidungserheblichen, bisher höchstrichterlich noch nicht beantworteten
fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Diesen Anforderungen aus § 133 Abs. 3 Satz 3
i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO genügt die Beschwerde nicht; im Übrigen erweisen sich die von
ihr aufgeworfenen Fragen nicht als klärungsbedürftig oder in dem angestrebten
Revisionsverfahren nicht als klärungsfähig.
3 1.1 Die Beschwerde hält zunächst die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
„ob für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Leistungsbescheids über die Heranziehung
von Abschiebekosten abzustellen ist auf die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der
zwangsweisen Beendigung des Aufenthalts bei und während der Vollziehung von
Vollstreckungsmaßnahmen, so dass bei der Art und Weise der Durchführung der Maßnahmen in
jedem Stadium des Verfahrens die Verpflichtung der vollstreckenden Behörde besteht,
schutzwürdige familiäre Bindungen zu berücksichtigen, die sich aus Art. 6 Abs. 1 GG sowie Art.
8 EMRK ergeben.“
4 Dazu führt sie aus, das Berufungsgericht habe den Abschiebungsversuch und die dann
tatsächlich erfolgte Abschiebung der Kläger für rechtmäßig erachtet, obwohl für die
ausführenden Behörden bereits eindeutig ersichtlich gewesen sei, dass eine Abschiebung des
Ehemanns bzw. Vaters der Kläger krankheitsbedingt gescheitert sei. Die bis heute andauernde
Trennung der Familie habe sich bereits abgezeichnet. Daher sei grundsätzlich zu klären, ob
Vollstreckungshandlungen unter Hinnahme getrennter Abschiebungen fortgesetzt werden
dürften, wenn sich bei einem Familienmitglied bereits dauerhafte Vollstreckungshindernisse
(Erkrankung, besonderer Betreuungsbedarf) abzeichneten. Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht
die Zulassung der Revision.
5 Die Beschwerde erfüllt nicht die Anforderungen, die an die hinreichende Darlegung der
Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage zu stellen sind. Denn sie setzt sich nicht -
wie erforderlich - mit der dazu bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander.
Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits entschieden, dass ein Ausländer für die Kosten
seiner Abschiebung gemäß § 66 Abs. 1 AufenthG nur haftet, wenn die Kosten auslösenden
Amtshandlungen, die selbstständig in seine Rechte eingreifen, ihn nicht in seinen subjektiven
Rechten verletzen (Urteil vom 16. Oktober 2012 - BVerwG 10 C 6.12 - BVerwGE 144, 326 Rn. 20
ff. unter Fortentwicklung der Rechtsprechung im Urteil vom 14. Juni 2005 - BVerwG 1 C 15.04 -
BVerwGE 124, 1 <7 f.> = Buchholz 402.240 § 82 AuslG Nr. 2 S. 5 f.). Subjektive Rechte eines
von einer Abschiebung betroffenen Ausländers würden auch dann verletzt, wenn die in § 58
Abs. 1 und § 59 Abs. 1 AufenthG genannten Abschiebungsvoraussetzungen nicht vorlägen,
Abschiebungsverbote gemäß § 60 AufenthG entgegenstünden oder Vollstreckungshindernisse
gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestünden. Ebenfalls geklärt ist, dass die Rechtmäßigkeit
von Abschiebungsmaßnahmen aus der behördlichen Sicht bei Durchführung der jeweiligen
Amtshandlung - also ex ante - zu beurteilen ist (Urteil vom 16. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 22).
Weitergehenden Klärungsbedarf lässt die Beschwerde nicht erkennen. Im Übrigen hat das
Berufungsgericht keine Tatsachen festgestellt, aus denen sich die von der Beschwerde gerügten
Vollstreckungshindernisse gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK ergeben könnten. Wegen
der Bindung des Revisionsgerichts an die Tatsachenfeststellung der Vorinstanz (§ 137 Abs. 2
VwGO) würde sich daher die aufgeworfene Rechtsfrage in dem erstrebten Revisionsverfahren
nicht stellen.
6 1.2 Die Beschwerde wirft des Weiteren sinngemäß die Grundsatzfrage auf, ob ein Elternteil für
die Abschiebekosten seiner minderjährigen Kinder haftet, jedenfalls soweit diese asyl- und
ausländerrechtlich handlungsfähig sind. Auch dieses Vorbringen führt nicht zur Zulassung der
Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der beschließende Senat hat bereits im Urteil vom
14. Juni 2005 (a.a.O. S. 4 ff.), das ein ausländerrechtlich handlungsfähiges minderjähriges Kind
betraf, entschieden, dass für die Kosten von dessen Abschiebung auch die Eltern haften, wenn
sie die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegen ihr minderjähriges Kind
mitveranlasst haben. Ob - was die Beschwerde bestreitet und für klärungsbedürftig erachtet - in
einem solchen Fall die Kosten für einen Charterflug erforderlich sind, selbst wenn sich die
Kinder der Abschiebung nicht widersetzt haben, entzieht sich rechtsgrundsätzlicher Klärung.
7 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
8 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Eckertz-Höfer
Prof. Dr. Kraft
Fricke