Urteil des BVerwG vom 27.05.2015

Rechtliches Gehör, Festsetzungsverjährung, Beitragspflicht, Bestimmtheitsgebot

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 87.14
OVG 5 A 410/13
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Mai 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Korbmacher und Steinkühler
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungs-
gerichts vom 23. Juli 2014 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
je zur Hälfte.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
3 630,96 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO)
gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde bezeichnet folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam:
"Ist Art. 20 Abs. 3 GG mit dem darin verankerten (abga-
benrechtlichen) Bestimmtheitsgebot dahingehend auszu-
legen, dass Beitragssatzungen, die hinsichtlich des Ent-
stehens der sachlichen Beitragspflicht auf den Beginn ei-
ner (Ausbau-)Maßnahme abstellen, wirksam sind?"
"Ist Art. 3 Abs. 1 GG mit dem darin verankerten Gleich-
heitsgebot und Willkürverbot dahingehend auszulegen,
dass Beitragssatzungen, die hinsichtlich des Entstehens
der sachlichen Beitragspflicht auf den Beginn einer (Aus-
bau-)Maßnahme abstellen, während andere Beitragssat-
zungen und Kommunalabgabengesetze der Länder an die
Beendigung der Ausbaumaßnahme abstellen, wirksam
sind?"
Diese Fragen vermögen die Revisionszulassung nicht zu rechtfertigen.
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Bei ihrer ersten Frage übersehen die Kläger, dass es im Verfahren der Nichtzu-
lassungsbeschwerde nicht genügt, die Auslegung und Anwendung einfachen
Rechts durch das Berufungsgericht als nicht grundgesetzkonform zu rügen.
Vielmehr muss dargelegt werden, dass der verfassungsrechtliche Maßstab
selbst einen die Zulassung der Revision rechtfertigenden Klärungsbedarf auf-
weist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2003 - 4 B 35.03 - Buch-
holz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26 S. 20 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Das Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht, den Tatbestand einer
Norm mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Dass ein Gesetz un-
bestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Begriffe verwendet,
verstößt allein noch nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklar-
heit und Justitiabilität. Das Gesetz muss nur so bestimmt sein, wie dies nach
der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den
Normzweck möglich ist. Unvermeidbare Auslegungsschwierigkeiten in Randbe-
reichen sind dann von Verfassungs wegen hinzunehmen. Erforderlich ist aller-
dings stets, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und
ihr Verhalten danach einrichten können. Sie müssen in zumutbarer Weise fest-
stellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtsfolge vor-
liegen (BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332
<384>; BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013 - 6 C 9.12 - BVerwGE 147, 292
Rn. 19 f.). Welchen über diese Grundsätze und Maßstäbe hinausgehenden Klä-
rungsbedarf der vorliegende Fall aufzeigen soll, legt die Beschwerde nicht dar.
Die auf den Gleichbehandlungsgrundsatz abzielende zweite Frage rechtfertigt
die Durchführung eines Revisionsverfahrens ebenfalls nicht. Auch insoweit gilt,
dass die Rüge, das maßgebliche Landesrecht und dessen Auslegung verstoße
gegen Bundesrecht, die Zulassung der Revision nur rechtfertigt, wenn sie auf
eine klärungsbedürftige Frage des Bundesrechts führt. Mit bloßen Angriffen ge-
gen die Rechtsauffassung der Vorinstanz, die ihrer Entscheidung ausschließlich
nicht revisibles Landesrecht zugrunde gelegt hat, kann die grundsätzliche Be-
deutung einer Rechtssache selbst dann nicht dargelegt werden, wenn der Klä-
ger zur Begründung seiner abweichenden Rechtsauffassung verfassungsrecht-
liche Erwägungen anführt (BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2003 - 4 B
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35.03 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26 S. 20 m.w.N.). Diesen Anfor-
derungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht; sie beschränkt sich
darauf, die Auslegung des Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht
unter Hinweis auf die Rechtsprechung eines anderen Oberverwaltungsgerichts
als willkürlich zu kritisieren, ohne den bundesverfassungsrechtlichen Klärungs-
bedarf hinsichtlich des als korrigierender Maßstab angeführten Gleichbehand-
lungsgebotes zu bezeichnen.
Im Übrigen lässt sich die Frage ohne Weiteres auf der Grundlage der vorhan-
denen Rechtsprechung beantworten. Danach steht der Gemeinde als ortsrecht-
licher Normgeberin aufgrund ihrer Satzungs- und Abgabenhoheit bei der Aus-
gestaltung ihrer Abgabensatzungen ein - gerichtlich nur eingeschränkt über-
prüfbarer - weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom
25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10, 1 BvR 2104/10 - NVwZ 2014, 1448 Rn. 49;
BVerwG, Beschluss vom 3. September 2014 - 9 B 46.14 - juris Rn. 4). Es unter-
liegt keinen Zweifeln, dass dieser Spielraum hinsichtlich des Entstehens der
Beitragspflicht die Wahl unterschiedlicher Anknüpfungspunkte wie den Beginn
einer Ausbaumaßnahme oder deren Beendigung zulässt.
2. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensverstoß liegt nicht vor.
Die Beschwerde macht als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
geltend, das Oberverwaltungsgericht habe nicht zur Kenntnis genommen, dass
sich die Kläger in der Widerspruchsbegründung, die in dem mit Schriftsatz vom
12. März 2009 vorgelegten Anlagenkonvolut K 4 enthalten gewesen sei, auch
auf Festsetzungsverjährung berufen hätten. Ein Gehörsverstoß ist jedoch in
dieser Hinsicht zu verneinen. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verlangt vom Gericht, die Ausführungen der
Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist
aber nicht gehalten, das gesamte Vorbringen in den Entscheidungsgründen
wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen
(vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu
einem bestimmten Vorbringen eines Beteiligten kann noch nicht geschlossen
werden, das Gericht habe dieses nicht zur Kenntnis genommen und in Erwä-
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gung gezogen (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 1999 - 9 B
797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 S. 3).
Hiernach rechtfertigt der Umstand, dass im Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Ausführungen zur Festsetzungsverjährung fehlen, nicht die Annahme eines
Gehörsverstoßes. Mit der Beschwerde wird lediglich vorgebracht, dass die Fra-
ge der Festsetzungsverjährung in der ersten Instanz aufgeworfen worden sei.
Dass die Kläger auf diesen rechtlichen Aspekt in der Berufungsinstanz vor dem
Oberverwaltungsgericht zurückgekommen wären, behauptet die Beschwerde
dagegen nicht. Angesichts dessen durfte das Oberverwaltungsgericht davon
ausgehen, dass sich die Kläger auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt nicht
mehr berufen wollten. Dies lag umso näher, als während des Berufungsverfah-
rens in Reaktion auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
5. März 2013 (- 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143) die Festsetzungsverjäh-
rung durch den mit Gesetz vom 28. November 2013 (SächsGVBl. S. 822, 840)
in das Sächsische Kommunalabgabengesetz eingefügten § 3a mit Wirkung zum
1. Januar 2014 dahingehend neu geregelt worden ist, dass die Festsetzungs-
frist für Straßenausbaubeiträge 20 Jahre beträgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100
Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3 VwGO,
§ 52 Abs. 3 GKG.
Dr. Bier
Prof. Dr. Korbmacher
Steinkühler
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