Urteil des BVerwG vom 18.06.2015

Aufschiebende Bedingung, Gemeinde, Deckung, Bier

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 86.14
OVG 4 LB 3/13
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juni 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Korbmacher und Steinkühler
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 4. September 2014 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
2 540,17 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gestützte
Beschwerde hat keinen Erfolg.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klä-
rung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, konkreten, jedoch in ihrer Be-
deutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehen-
den, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revi-
siblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegrün-
dung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt, d.h. näher ausgeführt
werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im
allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beab-
sichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr; siehe BVerwG, Beschluss
vom 24. Juli 2008 - 9 B 41.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 58 Rn. 3
m.w.N.).
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Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerde mit der Frage,
ob von einem Fall der anderweitigen Deckung im Sinne
von § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB auszugehen ist, wenn die
Gemeinde sich vom Erschließer im städtebaulichen Ver-
trag eine Vertragserfüllungsbürgschaft versprechen lässt,
diese dann aber nicht vom Erschließer einfordert,
nicht. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass
eine anderweitige Deckung des Erschließungsaufwands im Sinne des § 129
Abs. 1 Satz 1 BauGB auch in einem Anspruch der Gemeinde gegen einen Drit-
ten auf Übernahme von Erschließungskosten bestehen kann, soweit seiner
Durchsetzbarkeit keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegen-
stehen. Dabei sind an etwaige rechtliche Hindernisse hohe Anforderungen zu
stellen; denn die Gemeinde ist grundsätzlich verpflichtet, einen den Erschlie-
ßungsaufwand ganz oder teilweise deckenden Anspruch zu realisieren. Dem-
entsprechend kann sie einen Herstellungsaufwand nicht auf die Beitragspflichti-
gen umlegen, der ihr dadurch entsteht, dass sie ohne Verpflichtung hierzu bzw.
ohne gewichtigen Grund einen Anspruch auf Übernahme der Herstellungskos-
ten gegen einen Erschließungsunternehmer aufgibt, der durch einen Erschlie-
ßungsvertrag begründet wurde (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. September 1981
- 8 C 21.81 - Buchholz 406.11 § 125 BBauG Nr. 14 S. 8 f. und vom 9. Novem-
ber 1984 - 8 C 77.83 - BVerwGE 70, 247 <257 ff.>). Soweit die Erschließung
indes von dem Unternehmer nicht durchgeführt wird, etwa weil der Erschlie-
ßungsvertrag aufgrund eines Formmangels keine Verpflichtung des Erschlie-
ßungsunternehmers zur Übernahme der Erschließungskosten begründen konn-
te, verbleibt die Erschließung im Aufgabenbereich der Gemeinde und kann sie
die Kosten auf die Eigentümer bzw. Erbbauberechtigten erschlossener Grund-
stücke umlegen. Deren in diesem Fall mögliche Doppelbelastung ist letztlich
Folge der in ihrem Risikobereich getroffenen Entscheidung, von dem Erschlie-
ßungsunternehmer ein Grundstück zu einem Preis zu kaufen, der Erschlie-
ßungskosten einschließt, obgleich die Erbringung der Gegenleistung nicht ge-
währleistet ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 8. September 1972 - 4 C 21.71 -
Buchholz 406.11 § 123 BBauG Nr. 6 S. 13 und vom 9. November 1984 - 8 C
77.83 - BVerwGE 70, 247 <256 f.>).
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Das Berufungsgericht hat den zwischen der Gemeinde und der Erschließungs-
trägerin - der … GmbH - geschlossenen städtebaulichen Vertrag vom 7. April
2000 dahingehend ausgelegt, dass die Wirksamkeit des gesamten Vertra-
ges - allenfalls mit Ausnahme dessen § 15, demgemäß die Erschließungsträge-
rin zur Übergabe einer Vertragserfüllungsbürgschaft verpflichtet war - von eben
jener Übergabe abhing. Damit sind der Gemeinde Aufwendungen nicht deshalb
entstanden, weil sie einen Anspruch gegen die Erschließungsträgerin auf Über-
nahme der Herstellungskosten bzw. gegen einen Bürgen, hierfür einzustehen,
aufgegeben hat, sondern allenfalls deshalb, weil sie es möglicherweise ver-
säumt hat, den Abschluss eines Bürgschaftsvertrages zu ihren Gunsten nicht
nur - wie vom Berufungsgericht festgestellt - wiederholt außergerichtlich, son-
dern auch im Klagewege einzufordern. Die Frage, ob hierin ein freiwilliger Ver-
zicht liegt und ob deshalb von einer anderweitigen Deckung im Sinne von § 129
Abs. 1 Satz 1 BauGB auszugehen ist, stellte sich jedoch nur dann, wenn der
Gemeinde tatsächlich ein durchsetzbarer Anspruch auf die Beibringung einer
Vertragserfüllungsbürgschaft zustand. Ungeachtet der vom Berufungsgericht
offen gelassenen Frage, ob bis zur Übergabe der Bürgschaft auch § 15 des
Vertrages keine Wirksamkeit entfaltete, setzte dies zum einen voraus, dass hie-
rin ein diesbezüglicher einklagbarer Anspruch und nicht lediglich eine aufschie-
bende Bedingung für die Wirksamkeit des städtebaulichen Vertrages vereinbart
wurde, zum anderen, dass es der … GmbH überhaupt möglich war, einen Bür-
gen für die Vertragserfüllung zu finden.
Die danach erforderlichen Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getrof-
fen. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage könnte sich daher nicht un-
mittelbar in dem erstrebten Revisionsverfahren, sondern nur dann stellen, wenn
das Oberverwaltungsgericht nach Aufhebung seines Urteils und Zurückverwei-
sung der Sache feststellen würde, dass die Gemeinde einen durchsetzbaren
Anspruch gegen die Erschließungsträgerin auf Beibringung der Erfüllungsbürg-
schaft hatte. Nur dann käme es auf die mit der Grundsatzrüge aufgeworfene
Frage an, ob in der fehlenden gerichtlichen Durchsetzung dieses Anspruchs
eine anderweitige Deckung oder - wie vom Oberverwaltungsgericht angenom-
men - allenfalls eine zu einem Schadensersatzanspruch führende Säumnis
liegt. Hat aber das Berufungsgericht Tatsachen nicht festgestellt, die vorliegen
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müssten, damit sich die mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachte
Rechtsfrage stellen würde, und besteht lediglich die Möglichkeit, dass sie nach
Zurückverweisung der Sache aufgrund weiterer Sachverhaltsaufklärung ent-
scheidungserheblich werden könnte, so kann nach der ständigen Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich die Revision nicht nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom
5. September 1996 - 9 B 387.96 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO
Nr. 12 S. 19 f. und vom 6. Juni 2006 - 6 B 27.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2
Ziff. 1 VwGO Nr. 35 Rn. 8). Eine verfahrensfehlerhaft unterbliebene Sachver-
haltsaufklärung, welche ausnahmsweise dennoch zu einer Zulassung der Revi-
sion führen könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. März 2007 - 10 B 11.07 -
Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 38 Rn. 3), hat der Kläger nicht
dargelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Dr. Bier
Prof. Dr. Korbmacher
Steinkühler
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