Urteil des BVerwG vom 29.10.2014

Öffentliche Bekanntmachung, Zustand, Verwaltungsakt, Bier

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 32.14
VGH 23 C 2254/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Oktober 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bick und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Flurbereinigungsgerichts
beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 30. Januar
2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klä-
rung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, konkreten, jedoch in ihrer Be-
deutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehen-
den, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revi-
siblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegrün-
dung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt, d.h. näher ausgeführt
werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im
allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beab-
sichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr; so bereits Beschluss vom
2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Be-
schluss vom 24. Juli 2008 - BVerwG 9 B 41.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1
VwGO Nr. 58 Rn. 3 m.w.N.). Der bloße Hinweis, die Rechtsfrage sei bisher
noch nicht höchstrichterlich entschieden, reicht für den Vortrag der Klärungsbe-
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dürftigkeit allein nicht aus (Beschluss vom 9. März 1993 - BVerwG 3 B 105.92 -
Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 11).
Diesen Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung wird
die Beschwerdebegründung hinsichtlich der von ihr aufgeworfenen Frage,
ob es sich bei der vorläufigen Anordnung der Besitzein-
weisung im Rahmen der Unternehmensflurbereinigung
(§§ 87 ff. FlurbG) um einen rechtsgestaltenden Einzelakt
oder um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt,
nicht gerecht. Denn in dieser Allgemeinheit lässt sich die Frage schon auf der
Grundlage der bisherigen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten, ohne
dass es dafür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Ein Dauer-
verwaltungsakt ist nach seinem Sinn und Zweck und dem einschlägigen mate-
riellen Recht in seinen Wirkungen wesensgemäß auf Dauer angelegt. Er ist all-
gemein dadurch gekennzeichnet, dass er sich nicht in einem einmaligen Ge-
oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, son-
dern ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand vom Verwaltungsakt
abhängiges Rechtsverhältnis begründet oder inhaltlich verändert. Die Behörde
hat den Dauerverwaltungsakt auf fortbestehende Rechtmäßigkeit zu überwa-
chen; für seine rechtliche Beurteilung ist grundsätzlich die jeweils aktuelle Sach-
und Rechtslage maßgeblich (vgl. Urteile vom 28. Februar 1997 - BVerwG 1 C
29.95 - BVerwGE 104, 115 <120> und vom 20. Juni 2013 - BVerwG 8 C 46.12 -
BVerwGE 147, 81 Rn. 33; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG,
8. Aufl. 2014, § 35 Rn. 223 ff.). Eine derartige - zeitlich begrenzte - Dauerwir-
kung kommt der vorläufigen Anordnung nach § 36 FlurbG ohne Weiteres zu;
dass die Flurbereinigungsbehörde sie auch nach ihrem Erlass unter Kontrolle
zu halten hat, bringt das Gesetz insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass es
die Behörde nicht nur ermächtigt, vorläufige Anordnungen zu erlassen, sondern
auch, bereits erlassene Anordnungen aufzuheben oder zu ändern. Dies trägt
dem Umstand Rechnung, dass dem Eigentümer mit der vorläufigen Anordnung
nach § 36 Abs. 1 FlurbG der Besitz und die Nutzung des Grundstücks nicht
endgültig entzogen und dem Begünstigten übertragen werden (Beschluss vom
6. März 1961 - BVerwG 1 B 141.60 - Buchholz 424.01 § 36 FlurbG von 1953
Nr. 2 S. 4). Es soll nicht schon der mit dem Flurbereinigungsverfahren erstrebte
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tatsächliche Zustand vorzeitig herbeigeführt, sondern es sollen lediglich für ei-
nen begrenzten Zeitraum der Übergang in den neuen Zustand vorbereitet und
gesichert sowie die Aufstellung des Plans und die Durchführung des Verfahrens
erleichtert und beschleunigt werden (Beschluss vom 7. Juni 1963 - BVerwG 1 B
80.63 - RzF 5 zu § 36 Abs. 1 FlurbG). Demgemäß ist die Anordnung nach § 36
Abs. 1 FlurbG nicht nur einmalig für den Zeitpunkt der erstmaligen Besitzüber-
tragung, sondern für deren gesamte Dauer konstitutiv und folglich nur rechtmä-
ßig, wenn und solange die Anordnung erforderlich sowie darüber hinaus drin-
gend ist (vgl. Beschluss vom 25. Januar 2007 - BVerwG 10 B 42.06 - Buchholz
424.01 § 36 FlurbG Nr. 9 Rn. 4).
Die konkreten Schlussfolgerungen, die das Flurbereinigungsgericht aus diesem
Rechtscharakter der vorläufigen Anordnung im vorliegenden Fall gezogen hat,
sind nicht grundsätzlich bedeutsam. Der Streitfall zeichnet sich durch eine gan-
ze Reihe außergewöhnlicher Umstände aus (fehlerhafte öffentliche Bekannt-
machung, erhebliche zeitliche Verzögerung der geplanten Besitzeinweisung,
Neubekanntmachung mit unklarem Inhalt, faktische Vollziehung), die ihn vom
Regelfall einer vorläufigen Anordnung unterscheiden. Ob die Annahme des
Flurbereinigungsgerichts zutrifft, die hier angefochtene Anordnung sei unter
Berücksichtigung dieser Besonderheiten ab dem Zeitpunkt ihrer individuellen
Bekanntgabe dem Kläger gegenüber rechtmäßig geworden, betrifft nur den
Einzelfall und hat keine darüber hinausgehende Bedeutung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dr. Bier
Dr. Bick
Steinkühler
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