Urteil des BVerwG vom 21.11.2014

Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Satzung, Überwälzung, Gestaltungsspielraum

Sachgebiet:
Sonstiges Abgabenrecht
Sachgebietsergänzung:
Vergnügungsteuer
Rechtsquelle/n:
GG
Art. 3 Abs. 1, 105 Abs. 2a
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3
BVerwGE: nein
Fachpresse: ja
Stichwort/e:
Vergnügungsteuer; Flächenmaßstab; Vergnügungsaufwand;
sexuelle Handlungen; Prostitution; Bordell; Einzelprostitution;
Vergnügungsteuersatzung; Landesrecht; Gleichheitssatz; Typisierung;
Pauschalierung; Gestaltungsspielraum; Verwaltungsvereinfachung; Flure;
Veranstaltungsfläche; Steuermaßstab; Überwälzung; Schätzung; Rückwirkung.
Leitsatz/-sätze:
Der Gesetzgeber ist im Vergnügungsteuerrecht von Verfassungs wegen nicht auf
einen Wirklichkeitsmaßstab beschränkt. Wählt er stattdessen einen anderen
(Ersatz- oder Wahrscheinlichkeits-)Maßstab, so ist er auf einen solchen
beschränkt, der einen bestimmten Vergnügungsaufwand wenigstens
wahrscheinlich macht. Dabei muss der gewählte Maßstab einen zumindest
lockeren Bezug zu dem Vergnügungsaufwand aufweisen (hier: Flächenmaßstab
für einen Bordellbetrieb).
Beschluss des 9. Senats vom 21. November 2014 - BVerwG 9 B 20.14
I. VG Düsseldorf vom 21. Juni 2013
Az: VG 25 K 156/13
II. OVG Münster vom 11. Dezember 2013
Az: OVG 14 A 1948/13
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 20.14
OVG 14 A 1948/13
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. November 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Buchberger und Dr. Bick
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember
2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 75 735 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Rechtsstreit betrifft die Heranziehung eines Bordellbetreibers zu einer Ver-
gnügungsteuer.
Nach § 1 der Vergnügungsteuersatzung (VStS) der Beklagten vom 12. Juli
2010 unterliegen bestimmte im Gemeindegebiet veranstaltete Vergnügungen
(Veranstaltungen) der Besteuerung. Hierzu zählen u.a.:
- die gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen
Vergnügungen in Bars, Sauna-, FKK- und Swingerclubs
sowie ähnlichen Einrichtungen (§ 1 Nr. 6 VStS)
sowie
- das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt au-
ßerhalb der in Nr. 6 genannten Einrichtungen, zum Bei-
spiel in Beherbergungsbetrieben, Privatwohnungen,
Wohnwagen und Kraftfahrzeugen mit Ausnahme von
Straßenprostitution in Verrichtungsboxen (§ 1 Nr. 7 VStS).
Die Satzung sieht vor, dass für Veranstaltungen nach Nr. 6 der Flächenmaß-
stab gilt (3 € für jede angefangenen 10 qm Veranstaltungsfläche, § 4 Abs. 2
Nr. 3 VStS); für solche nach Nr. 7 beträgt die Steuer für jede/n Prostituierte/n
6 € pro Veranstaltungstag (§ 8 VStS).
Nachdem der Kläger zunächst für Zeiträume in den Jahren 2009 bis 2010 auf
Zahlung einer Vergnügungsteuer nach § 1 Nr. 7 VStS in Anspruch genommen
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worden war und er hiergegen erfolgreich um Rechtsschutz nachgesucht hatte,
zog die Beklagte ihn mit Bescheid vom 11. Dezember 2012 für den Zeitraum
vom 3. August 2010 bis zum 31. Oktober 2012 nach § 1 Nr. 6 VStS zu einer
Vergnügungsteuer in Höhe von 90 576 € heran. Dabei legte sie den Flächen-
maßstab nach § 4 VStS zugrunde; mangels näherer Angaben des Klägers
schätzte sie die Veranstaltungsfläche auf 367 qm, wobei die Flure ganz und die
Zimmer entsprechend einer ebenfalls geschätzten Belegungsquote berücksich-
tigt wurden. Die hiergegen gerichtete Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos.
Im Berufungsverfahren wurde der Bescheid in Bezug auf die Belegungsquote
aufgrund nachträglicher Angaben des Klägers geändert und der Rechtsstreit
insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.
II
Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie des Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Sache hat nicht die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzli-
che Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur,
wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fall-
übergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von
Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur
Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung
des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich
nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
Die von ihr aufgeworfenen Fragen,
ob der Flächenmaßstab auch dann geeignet ist, Steuerge-
rechtigkeit herzustellen, wenn durch den Ersatzmaßstab
der Aufwandsbegriff des Art. 105 Abs. 2a GG unzulässig
ausgedehnt wird, weil die steigende Fläche nicht allein,
sondern nur mit steigender Anzahl von an Prostituierte
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vermieteten Zimmern ursächlich für einen steigenden Um-
satz ist,
ob der gewählte Ersatzmaßstab bei der Steuerbemessung
zumindest einen lockeren Bezug zu dem Benutzungsauf-
wand der Konsumenten als eigentlichem Ziel der Vergnü-
gungsteuer hat, wenn zwischen dem Steuerschuldner, auf
den der Ersatzmaßstab angewendet wird, und dem Kon-
sumenten keinerlei Vertragsbeziehung besteht und die
Ausgestaltung der Veranstaltung, in der der eigentliche
Benutzungsaufwand anfällt, allein einer dritten Person ob-
liegt, zu ausschließlich der der Konsument in einem ent-
geltlichen Austauschverhältnis steht,
und ob die Verwendung zweier unterschiedlicher Ersatz-
maßstäbe für die Besteuerung von Prostitution, der jeder
für sich steuergerecht ist, das Gebot der steuerlichen Leis-
tungsfähigkeit in seiner Ausprägung von Art. 3 Abs. 1 GG
verletzt, wenn der jeweilige Benutzungsaufwand der Kon-
sumenten als eigentliches Ziel der Vergnügungsteuer und
Spiegelbild deren Leistungsfähigkeit gleich ist oder sogar
der höhere Benutzungsaufwand niedriger besteuert wird,
betreffen die Auslegung und Anwendung der Vergnügungsteuersatzung (VStS)
der Beklagten vom 12. Juli 2010 und damit Landesrecht. Die Rüge, Landes-
recht sei unter Verstoß gegen Bundes(verfassungs)recht - hier unter Verletzung
der Besteuerungsgleichheit nach Art. 3 Abs. 1 GG und des Aufwandsbegriffs
nach Art.
105 Abs. 2a GG - angewandt worden, zeigt für sich genommen noch
keine klärungsbedürftige Frage des Bundesrechts auf. Eine Zulassung der Re-
vision wegen grundsätzlicher Bedeutung kann der Kläger nur erreichen, wenn
er darlegt, dass die Auslegung der einschlägigen Grundsätze des Bundes(ver-
fassungs)rechts durch die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht oder nicht
hinreichend ausdifferenziert ist, um einen Maßstab für das Landesrecht abzu-
geben (Beschlüsse vom 7. Januar 2008 - BVerwG 9 B 81.07 - Buchholz 401.0
§ 171 AO Nr. 1 Rn. 6, vom 19. September 2007 - BVerwG 9 B 22.06 - juris
Rn. 6 und vom 3. Februar 2012 - BVerwG 9 BN 3.11 - juris Rn. 3). Dies ist nicht
der Fall.
a) Die Grundsätze der Besteuerungsgleichheit nach Art. 3 Abs. 1 GG sind in
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwal-
tungsgerichts geklärt. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bedeutet für
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den Gesetzgeber die allgemeine Weisung, Gleiches gleich und Ungleiches sei-
ner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Dies gilt nicht aus-
nahmslos, sondern nur, wenn die Gleichheit oder Ungleichheit der Sachverhalte
so bedeutsam sind, dass ihre Beachtung unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten
geboten erscheint. Dabei ist dem Gesetzgeber weitgehende Gestaltungsfreiheit
zuzugestehen. Dies gilt auch für die das Steuerrecht beherrschende Ausprä-
gung des Art. 3 Abs. 1 GG als Grundsatz der Steuergerechtigkeit. Durchbre-
chungen des Gleichheitssatzes durch Typisierungen und Pauschalierungen
können - insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen - durch
Erwägungen der Verwaltungsvereinfachung und -praktikabilität gerechtfertigt
sein, solange die durch jede typisierende Regelung entstehende Ungerechtig-
keit noch in einem angemessenen Verhältnis zu den steuerlichen Vorteilen der
Typisierung steht. Die mit der Typisierungsbefugnis einhergehende Gestal-
tungsfreiheit muss der Gesetzgeber allerdings sachgerecht ausüben. Eine vom
Gesetz vorgenommene ungleiche Behandlung muss sich im Hinblick auf die
Eigenart des zu regelnden Sachbereichs auf einen vernünftigen oder sonstwie
einleuchtenden Grund zurückführen lassen. Was dabei in Anwendung des
Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd ist, lässt sich nicht allge-
mein und abstrakt feststellen, sondern nur in Bezug auf die Eigenart des kon-
kreten Sachbereichs, der geregelt wird (stRspr, vgl. nur BVerfG, Beschluss vom
15. Januar 2014 - 1 BvR 1656/09 - NVwZ 2014, 1084 Rn. 53 ff.; BVerwG, Urteil
vom 19. Januar 2000 - BVerwG 11 C 8.99 - BVerwGE 110, 265 <272>).
Daran gemessen zeigt die Beschwerde keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf
auf. Der Kläger räumt selbst ein, dass der Beklagten bei Erlass ihrer Vergnü-
gungsteuersatzung grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum in Bezug auf die
Steuermaßstäbe zusteht. Es geht ihm letztlich darum, geklärt zu wissen, ob die
Beklagte von diesem Gestaltungsspielraum im Einzelfall zutreffend Gebrauch
gemacht hat, insbesondere ob eine sachliche Rechtfertigung für die unter-
schiedliche Besteuerung der verschiedenen Arten der Prostitutionsausübung
nach § 1 Nr. 6 und § 1 Nr. 7 VStS besteht. Dass der auf die einrichtungsgebun-
dene Prostitution (§ 1 Nr. 6 VStS) bezogene Flächenmaßstab für die Beklagte
zur Verwaltungsvereinfachung führt, wird auch vom Kläger nicht bestritten. Ob
ein anderer Maßstab, insbesondere der für die Besteuerung der Einzelprostitu-
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tion nach § 1 Nr. 7 VStS vorgesehene, auch für Bordelle geeignet wäre und ob
er möglicherweise im Sinne der Rechtsprechung sachnäher wäre, ist keine
Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Dasselbe gilt für die Frage, ob die ge-
wählten unterschiedlichen Maßstäbe zu Ungleichheiten führen, die durch die
Verwaltungsvereinfachung nicht mehr zu rechtfertigen sind, also ein einleuch-
tender Grund für die Ungleichbehandlung fehlt und diese daher willkürlich wäre
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2009 - 1 BvL 8/05 - BVerfGE 123, 1
<20>). Diese Frage ist unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen ei-
nem Bordell auf der einen Seite, das für den Kunden zu festgelegten Öffnungs-
zeiten ein Angebot an verschiedenen Prostituierten bereit hält und der Einzel-
prostitution, bei der keine zusätzliche „Infrastruktur“ geboten wird, auf der ande-
ren Seite anhand der oben dargestellten Maßstäbe zu beurteilen; ein darüber
hinausgehender allgemeiner Klärungsbedarf ist nicht erkennbar.
b) Die Frage, ob auch die Besteuerung der Flure mit dem Aufwandsbegriff nach
Art. 105 Abs. 2a GG vereinbar ist, bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles
ebenfalls keiner grundsätzlichen Klärung. Denn auch der Aufwandsbegriff im
Zusammenhang mit einer Vergnügungsteuer ist in der Rechtsprechung hinrei-
chend geklärt. Eigentliches Steuergut ist der Vergnügungsaufwand des Einzel-
nen, weil die Vergnügungsteuer darauf abzielt, die mit der Einkommensverwen-
dung für das Vergnügen zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfä-
higkeit zu belasten. Damit ist der individuelle, wirkliche Vergnügungsaufwand
der sachgerechteste Maßstab für eine derartige Steuer. Der Gesetzgeber ist
indessen von Verfassungs wegen nicht auf einen derartigen Wirklichkeitsmaß-
stab beschränkt. Wählt er im Vergnügungsteuerrecht statt des Wirklichkeits-
maßstabs einen anderen (Ersatz- oder Wahrscheinlichkeits-)Maßstab, so ist er
allerdings auf einen solchen beschränkt, der einen bestimmten Vergnügungs-
aufwand wenigstens wahrscheinlich macht. Dabei muss der gewählte Maßstab
einen zumindest lockeren Bezug zu dem Vergnügungsaufwand aufweisen (vgl.
nur BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2009 a.a.O. S. 16 ff. und BVerwG, Urteil
vom 10. Dezember 2009 - BVerwG 9 C 12.08 - BVerwGE 135, 367 Rn. 22 je-
weils zur Spielgerätesteuer).
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Diesen zumindest lockeren Bezug stellt der Flächenmaßstab bei der Vergnü-
gungsteuer grundsätzlich her, da bei pauschalierender und typisierender Be-
trachtung davon ausgegangen werden kann, dass der Umfang des Vergnü-
gungsaufwands mit der Größe eines Betriebes wächst (vgl. Urteil vom 3. März
2004 - BVerwG 9 C 3.03 - BVerwGE 120, 175 <185 f.>; vgl. außerdem Be-
schluss vom 25. April 2012 - BVerwG 9 B 10.12 - Buchholz 401.68 Vergnü-
gungssteuer Nr. 55 Rn. 7
na> sowie VGH Mannheim, Urteil vom 23. Februar 2011 - 2 S 196/10 - juris
Rn. 57 ff. , nachgehend BVerwG, Beschluss vom
1. März 2012 - BVerwG 9 B 57.11 - juris). Aus denselben Erwägungen der Pau-
schalierung und Typisierung dürfen auch für das Publikum zugängliche Flächen
grundsätzlich als zu besteuernde Veranstaltungsfläche angesehen werden, wie
es hier § 4 Abs. 1 Satz 2 VStS vorsieht, ohne dass es einer satzungsrechtlichen
Unterscheidung zwischen solchen Flächen mit und ohne Aufenthaltsfunktion
bedarf.
c) Die Beschwerde zeigt auch keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf, so-
weit sie den „erforderlichen lockeren Bezug zu dem Benutzungsaufwand der
Konsumenten“ mit dem Argument in Frage stellt, zwischen Steuerschuldner
(Bordellbetreiber) und Konsument (Freier) bestehe keinerlei Vertragsbeziehung
und die Ausgestaltung der Veranstaltung obliege allein einer dritten Person
(hier: der Prostituierten).
Insoweit ist zunächst klarzustellen, dass es hierbei entgegen der Annahme der
Beschwerde nicht um das unter b) dargestellte Erfordernis des zumindest lo-
ckeren Bezugs zwischen dem gewählten Steuermaßstab - hier Flächenmaß-
stab - zu dem Vergnügungsaufwand geht, sondern um ein hiervon zu unter-
scheidendes weiteres Erfordernis der Vergnügungsteuer, deren Abwälzbarkeit
vom Steuerschuldner auf den Steuerträger, sofern die Steuer - wie hier - indi-
rekt, also beim Veranstalter der Vergnügung erhoben wird. Auch die hiermit
verbundenen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt: Danach genügt die Möglich-
keit einer kalkulatorischen Überwälzung in dem Sinne, dass der Steuerschuld-
ner den von ihm gezahlten Betrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einset-
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zen und hiernach die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit seines Unter-
nehmens geeigneten Maßnahmen - etwa Umsatzsteigerung oder Senkung der
sonstigen Kosten - treffen kann. Es reicht aus, wenn die Steuer auf eine Über-
wälzung der Steuerlast vom Steuerschuldner auf den Steuerträger angelegt ist,
auch wenn die Überwälzung nicht in jedem Einzelfall gelingt (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 4. Februar 2009 a.a.O. S. 22 f.; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember
2009 a.a.O. Rn. 28; Beschluss vom 24. Februar 2012 - BVerwG 9 B 80.11 -
Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 54 Rn. 7).
Die Beschwerde zeigt auch insoweit keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf in
Bezug auf den bundesrechtlichen Maßstab für das Landesrecht auf. Vielmehr
kritisiert sie lediglich die Annahme des Berufungsgerichts, ein Bordellbetreiber
könne die Steuer in den Mietpreis der den Prostituierten zur Verfügung gestell-
ten Zimmer einkalkulieren, wobei die Prostituierten ihrerseits den erhöhten
Zimmerpreis auf ihre Kunden abwälzen könnten oder der Bordellbetreiber kön-
ne die Steuer unmittelbar abwälzen, indem er einen Eintrittspreis für den Bor-
dellbesuch verlange.
2. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel geltend
gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Soweit die Beschwerde eine Verletzung ihres Rechts auf Gewährung rechtli-
chen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend macht, fehlt es schon an einer hin-
reichenden Darlegung, inwiefern eine Berücksichtigung des Vorbringens auf der
Grundlage der materiellen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts eine güns-
tigere Entscheidung hätte herbeiführen können (vgl. zu diesem Erfordernis Be-
schluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 15 m.w.N.).
aa) Auf den klägerischen Vortrag, es habe an einem Schätzungsanlass gefehlt,
kam es schon deshalb nicht an, weil dieser Vortrag erkennbar auf unzutreffen-
den Angaben beruhte.
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Der Kläger hatte seine Rechtsauffassung gegenüber dem Oberverwaltungsge-
richt wie folgt begründet: Die Beklagte habe ihn im Aufforderungsschreiben vom
6. Juli 2012 lediglich gebeten, die Veranstaltungsfläche und die Öffnungszeiten
mitzuteilen. Da er nicht zur Angabe sämtlicher Besteuerungsgrundlagen aufge-
fordert worden sei, habe die Behörde diese nicht - wie geschehen - schätzen
dürfen. Mit der Beschwerde trägt der Kläger nun vor, das Berufungsgericht ha-
be diesen Vortrag verfahrensfehlerhaft übergangen. Ein Eingehen darauf sei
auch nicht dadurch entbehrlich geworden, dass der geänderte Bescheid die
nachgereichten Angaben des Klägers zu der Fläche der Zimmer, die kalender-
täglich von den Prostituierten in dem vom Bescheid erfassten Zeitraum belegt
waren, berücksichtigt habe. Denn die sonstigen, nicht vom Kläger mitgeteilten
Flächen seien weiterhin geschätzt worden.
Entgegen der Darstellung der Beschwerde enthält das Schreiben vom 6. Juli
2012 jedoch offenkundig die Aufforderung an den Kläger, Besteue-
rungsgrundlagen anzugeben. Schon dem Wortlaut zufolge („…bitte ich Sie, mir
die für die Vergnügungssteuerveranlagung notwendigen Angaben zur Größe
der am jeweiligen Veranstaltungstag zur Verfügung stehenden Veranstaltungs-
fläche und der Öffnungszeiten der ab dem 03.08.2010 durchgeführten Veran-
staltungen, mitzuteilen“ - Hervorh. im Original) sollte der Kläger der Beklagten
nicht nur die Veranstaltungsfläche und die allgemeinen Öffnungszeiten der Ein-
richtung, sondern auch die Belegung der einzelnen Zimmer an den verschiede-
nen Daten in dem genannten Zeitraum mitteilen. Diese Auslegung ergibt sich
erst recht, wenn man den weiteren Text des Schreibens hinzunimmt, in dem
ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass am Veranstaltungstag nicht vermie-
tete Flächen (Zimmer) und so genannte Freizimmer nicht zur Veranstaltungsflä-
che zählen. Des Weiteren wird in dem Schreiben - ebenfalls unter optischer
Hervorhebung - mitgeteilt, dass zu den Veranstaltungsflächen nach § 4 Abs. 1
Satz 2 VStS alle dem Gast frei zugänglichen Flächen zählen; nicht zugängliche
Flächen seien beispielsweise Toiletten und Garderobenräume sowie aus-
schließlich den Prostituierten oder dem Personal vorbehaltene Zimmer wie Kü-
chen oder Fitnessräume. Da der Kläger der Aufforderung unstreitig nicht fristge-
recht nachgekommen war, musste sich das Berufungsgericht zu dem Schät-
zungsanlass nicht näher äußern.
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bb) Auch auf die Ausführungen, die der Kläger im gerichtlichen Verfahren zum
Problem der Rückwirkung gemacht hat, musste das Berufungsgericht nicht ein-
gehen.
Der Kläger hatte mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung vorgetragen,
erst durch das Aufforderungsschreiben vom 6. Juli 2012 habe die Beklagte
erstmals für zurückliegende Zeiträume bestimmte Erklärungen von ihm ver-
langt, nachdem sie die Steuerpflicht zuvor auf eine andere Rechtsgrundlage
(§ 1 Nr. 7 VStS) gestützt habe. Auch aus der Satzung selbst ergebe sich keine
Erklärungspflicht. Rückwirkend habe die Beklagte damit etwas rechtlich Unmög-
liches von ihm verlangt. In der Beschwerdebegründung hat der Kläger ergän-
zend vorgetragen, er habe keine Aufzeichnungen über die Belegungsquoten
der einzelnen Zimmer seit Geltung der Satzung (3. August 2010); eine Pflicht zu
solchen Aufzeichnungen ergebe sich weder aus der Satzung selbst, noch aus
einer frühzeitigen Aufforderung der Beklagten. Deshalb habe die Beklagte ihn
frühestens ab Zugang des Schreibens vom 6. Juli 2012 zu einer Vergnügung-
steuer heranziehen dürfen.
Das Berufungsgericht, das auf das Problem der Rückwirkung weder im Tatbe-
stand noch in den Entscheidungsgründen des Urteils eingeht, hat hierdurch
keinen Verfahrensfehler begangen, denn der diesbezügliche Vortrag des Klä-
gers war von vornherein unplausibel und ist es weiterhin. Zum einen hatte der
Kläger durchaus Unterlagen zu vergangenen Zeiträumen, wie sich an dem in-
zwischen geänderten Bescheid zeigt; die Änderung wurde gerade aufgrund
seiner nachträglichen Angaben zu dem zurückliegenden Zeitraum vorgenom-
men. Zum anderen hat der Kläger selbst wiederholt darauf hingewiesen, dass
er an dem „Düsseldorfer Modell“ teilnehme und deshalb eine Besteuerung nach
§ 1 Nr. 7 VStS, also nach der Anzahl der für ihn tätigen Prostituierten, praktika-
bel sei. Auch hiervon unabhängig musste der Kläger sich auf eine Veranlagung
nach Veranstaltungstagen in jedem Fall einstellen, denn die Satzung stellt so-
wohl für Veranstaltungen nach § 1 Nr. 6 als auch für solche nach § 1 Nr. 7 auf
Veranstaltungstage ab (s. § 4 Abs. 2 Nr. 3, § 8 VStS).
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b) Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht darin, dass - wie die Beschwerde gel-
tend macht - das Berufungsgericht bei der Auslegung der Vergnügungsteuer-
satzung anerkannte Auslegungsmethoden von Verfassungsrang bzw. die
Grundsätze über das Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 GG) unbeachtet ge-
lassen hat. Die Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen im Rahmen der
Sachprüfung gehören zum Kern materieller Rechtsfindung. Sie berühren nicht
den Verfahrensablauf und die ihn regelnden Vorschriften des Verfahrensrechts.
Unterlaufen dem Richter Fehler bei der Auslegung und Anwendung materiellen
Rechts, so handelt es sich nicht, auch nicht ausnahmsweise im Fall objektiver
Willkür, um Verfahrensfehler (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 16. Februar 2012
- BVerwG 9 B 71.11 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 42 Rn. 8 m.w.N.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
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