Urteil des BVerwG vom 14.08.2012

Rechtliches Gehör, Bestimmtheit, Begründungspflicht, Bekanntmachung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 18.12
VGH 8 B 11.2934
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. August 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Buchberger und Dr. Bick
beschlossen:
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 28. Februar 2012 wird zurückge-
wiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 7 500 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde, die sich auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Be-
deutung der Rechtssache und des Verfahrensmangels stützt, bleibt ohne Er-
folg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Im Sinne dieser Vorschrift ist eine
Rechtssache nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn für die angefochtene
1
2
- 3 -
Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang un-
geklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung
im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint.
Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Vor-
aussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
Die Beschwerde will geklärt wissen:
Ist die Eintragung eines Weges unbestimmt und nichtig,
wenn diese ohne Angabe der betroffenen Flurstück-
Nummern erfolgt und der vermeintlich gewidmete Weg
räumlich und funktional mit einem nicht gewidmeten Weg
verbunden ist?
Ist ein Verwaltungsakt noch hinreichend bestimmt (und
nicht nichtig), der eine Regelung trifft, die mehreren ge-
setzlichen Tatbeständen und Rechtsfolgen zugeordnet
werden kann?
Diese Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Sie betreffen im
Ausgangspunkt irrevisibles Landesrecht, nämlich die Anforderungen, die Art. 67
Abs. 4 BayStrWG an die Eintragung in das Bestandsverzeichnis als den für die
Erlangung der Eigenschaft einer öffentlichen Straße maßgeblichen Verwal-
tungsakt stellt. Gesetzliche Regelungen des revisiblen Rechts, an denen die
Bestimmtheit der hier umstrittenen Eintragung („Ortsstraße F. Kapelle - G-tor
120 m“) in das Bestandsverzeichnis der damaligen Gemeinde S. gemessen
werden könnte, bestanden in dem dafür maßgeblichen Zeitpunkt der öffentli-
chen Bekanntmachung am 30. Januar 1969 nicht. Insbesondere galten damals
noch nicht die - durch § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO für revisibel erklärten - Vor-
schriften des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes über die Bestimmt-
heit des Verwaltungsaktes (Art. 37 Abs. 1) und dessen Nichtigkeit im Falle ei-
nes offensichtlich besonders schwerwiegenden Fehlers (Art. 44 Abs. 1). Da die
diesbezüglich schon damals anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze dem
nicht revisiblen Landesrecht zuzuordnen waren, soweit sie zu dessen Ergän-
zung herangezogen wurden (vgl. Urteil vom 16. Mai 2000 - BVerwG 4 C 4.99 -
BVerwGE 111, 162 <172> = Buchholz 316 § 56 VwVfG Nr. 13 S. 10), ist von
Bundesrechts wegen hier allenfalls fraglich, welche Anforderungen das allge-
3
4
- 4 -
meine Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) an die Bestimmtheit des umstrit-
tenen Verwaltungsaktes stellt.
Die damit zusammenhängenden Fragen sind indessen im Grundsatz geklärt;
insbesondere steht fest, dass die Annahme der Nichtigkeit eines Verwaltungs-
aktes wegen Unbestimmtheit ausscheidet, wenn die (vorrangige) Auslegung
des Verwaltungsaktes etwaige Zweifel an seiner Bestimmtheit beseitigt (stRspr,
s. nur Beschluss vom 25. März 1996 - BVerwG 8 B 48.96 - Buchholz 401.84
Benutzungsgebühren Nr. 79 S. 53). Davon ist auch das Berufungsgericht aus-
gegangen. Es hat eine Auslegung der öffentlichen Bekanntmachung vom
30. Januar 1969 und des ihr zu Grunde liegenden Gemeinderatsbeschlusses
vom 12. Dezember 1967 als möglich und geboten erachtet, wonach die abge-
markten Wegegrundstücke, die jetzt die Flurstück-Nummern 8/10 und 8/12 tra-
gen, als öffentlicher Weg in das Bestandsverzeichnis eingetragen werden soll-
ten. Ob diese Würdigung des Sachverhalts richtig und das Ergebnis überzeu-
gend ist, betrifft nur den Einzelfall und hat keine darüber hinausgehende grund-
sätzliche Bedeutung.
2. Die Beschwerdebegründung führt auch nicht auf Verfahrensmängel (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO), die die Zulassung der Revision rechtfertigen.
a) Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe den Vortrag der Beigela-
denen übergangen, wonach das Wegeflurstück 8/12 und das in ihrem Privatei-
gentum stehende Flurstück 8/9 „letztlich eine Einheit“ bildeten, weshalb - im
Hinblick auf eine mögliche Sperrung ihres eigenen Grundstücks - schon die Zu-
lässigkeit der Feststellungsklage fraglich sei, jedenfalls aber der Sache nach
Zweifel bestünden, „ob das vermeintlich gewidmete Flurstück auf Privateigen-
tum hinausgreift“. Insoweit moniert sie Verstöße gegen den Amtsermittlungs-
grundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO), das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs
(Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) sowie die Begründungspflicht (§ 108
Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Damit dringt die Beschwerde nicht durch. Die an eine Aufklärungsrüge zu stel-
lenden Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 2 VwGO) verfehlt sie
5
6
7
8
- 5 -
schon deshalb, weil sie weder angibt, welche Beweismittel mit welchem vor-
aussichtlichen Ergebnis für eine weitere Sachverhaltsermittlung zur Verfügung
gestanden hätten, noch, inwiefern sich die unterbliebene Beweisaufnahme dem
Gericht hätte aufdrängen müssen. Was die Begründungspflicht angeht, wird
nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine aus-
drückliche Auseinandersetzung mit jedem vorgetragenen Gesichtspunkt ver-
langt, sondern eine ausgewogene, der jeweiligen Sache angemessene Ge-
samtwürdigung. Erst wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vorbrin-
gens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Be-
deutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, verletzt dies regelmä-
ßig die Begründungspflicht und zugleich den Anspruch auf Gewährung rechtli-
chen Gehörs (s. etwa Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - Buch-
holz 11 Art. 12 GG Nr. 264 Rn. 28 ff.; Beschluss vom 28. Januar 2010
- BVerwG 6 B 50.09 - Buchholz 442.066 § 135 TKG Nr. 1, jeweils m.w.N.).
An einem solchen Mangel leidet das angefochtene Urteil nicht. Im Hinblick auf
das Feststellungsinteresse des Klägers hat das Berufungsgericht - insoweit
durch Verweisung auf das erstinstanzliche Urteil - den maßgeblichen Anknüp-
fungspunkt darin gesehen, dass ansonsten die Sperrung (nicht nur des Flur-
stücks 8/9, sondern auch und gerade) des Wegeflurstücks 8/12 durch die Bei-
geladene zu erwarten wäre, die den Kläger von der Teilhabe am Gemein-
gebrauch an einer öffentlichen Straße wie auch vom Anliegergebrauch aus-
schlösse. In der Sache selbst hat es den maßgeblichen Grund für die etwaige
Nichtigkeitsfolge der mangelnden Bestimmtheit einer Eintragung in das Be-
standsverzeichnis darin erblickt, dass bei unklarem Verlauf des Wegegrund-
stücks ein Hinausgreifen der Widmung auf nicht gewidmetes, also unbelastetes
Privateigentum verhindert werden müsse. Dafür, dass dies hier nicht zu besor-
gen sei, hat es darauf abgehoben, dass das Wegegrundstück auf den heutigen
Flurstücken 8/10 und 8/12 (und zwar schon bezogen auf den Zeitpunkt der hier
umstrittenen Eintragung) abgemarkt und im Übrigen im Bestand unstrittig sei.
Inwieweit vor diesem Hintergrund eine weitere Begründung zur Abgrenzbarkeit
des öffentlichen Weges von der Nachbarparzelle 8/9 geboten gewesen sein
soll, wird von der Beschwerde nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich.
9
- 6 -
b) Auch in Bezug auf die in dem umstrittenen Bekanntmachungstext genannte
Längenangabe von 120 m leidet das angefochtene Urteil an keinem Verfah-
rensfehler, insbesondere nicht an einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die
Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe seine Überzeugung in Bezug auf
das angebliche Längenmaß auf der Grundlage eines satellitengestützten Pro-
gramms der Bayerischen Vermessungsverwaltung („GeodatenOnline“) gebildet,
ohne diese Daten zuvor in das Verfahren eingeführt zu haben. Dem ist nicht zu
folgen. Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich dann unter Verletzung des An-
spruchs auf rechtliches Gehör als „Überraschungsurteil“ dar, wenn das Gericht
einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt
zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine
Wendung gibt, mit der der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf
des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (vgl. Beschluss vom 25. Mai 2001
- BVerwG 4 B 81.00 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34 S. 20 f. m.w.N.).
So ist es hier nicht. Denn das Berufungsgericht hat seine Entscheidung darauf
gestützt, dass sich die Längenangabe von 120 m ohne Weiteres aus den amtli-
chen Lageplänen herausmessen lasse, und die Längenbestimmung anhand der
genannten „Geodaten“ lediglich bestätigend angeführt.
Ein Begründungsmangel liegt in diesem Zusammenhang auch nicht darin, dass
sich das Berufungsgericht nicht weitergehend mit dem Vorbringen der Beigela-
denen auseinandergesetzt hat, der sogenannte „Kapellenweg“ könne südlich
des (heutigen) Flurstücks 158 statt auf dem Flurstück 8/12 auch auf dem Flur-
stück 8/13 seine Fortsetzung gefunden haben, zumal das seinerzeit als End-
punkt erwähnte „G-tor“ auch dort gelegen haben könnte. Der Verwaltungsge-
richtshof hat (nur) in Bezug auf den südlichen Endpunkt des heute mit der Flur-
stück-Nr. 8/12 versehenen Wegegrundstücks festgestellt, dass diese Örtlichkeit
in den Akten der Beklagten als „G-tor“ bezeichnet wurde bzw. wird (Berufungs-
urteil Rn. 50). Angesichts dieser Feststellung, gegen die die Beschwerde den
Einwand einer etwaigen Aktenwidrigkeit nicht erhebt, wie auch der Längenan-
gabe „120 m“, die unter Einbeziehung des Flurstücks 8/13 erkennbar unrichtig
wäre, bedurfte es vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus keiner weiteren
Begründungserwägungen, um die vorgenannte Mutmaßung der Beigeladenen
zu widerlegen.
10
11
- 7 -
Schließlich wurde der Anspruch der Beigeladenen auf rechtliches Gehör auch
nicht im Zusammenhang mit der Feststellung des Berufungsgerichts verletzt,
die Längenbestimmung des sogenannten Kapellenweges von 120 m verstehe
sich ohne das „Versatzstück“ auf der Straßenparzelle 158, das den Weg unter-
breche. Schon im Hinblick auf das Klagevorbringen, der hier umstrittene Weg
umfasse (nur) den Straßenverlauf auf den jetzigen Flurstücken 8/10 und 8/12,
war die betreffende tatsächliche Würdigung des Berufungsgerichts nicht über-
raschend. Sie bedurfte auch angesichts des Umstandes, dass in dem maßgeb-
lichen Zeitpunkt der hier umstrittenen Bekanntmachung sämtliche Gemeinde-
straßen noch ein einheitliches Flurstück bildeten, keiner weiteren Begründung.
Denn die Feststellung, der hier in Rede stehende Wegeverlauf werde durch das
oben erwähnte „Versatzstück“ unterbrochen, bezog sich erkennbar nicht auf die
- damals noch gar nicht vorhandenen - Flurstücksgrenzen, sondern auf die in
der Örtlichkeit vorhandenen tatsächlichen Verhältnisse.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Bier
Buchberger
Dr. Bick
12
13