Urteil des BVerwG vom 06.10.2010

Stadt, Treu Und Glauben, Zusage, Schwerverkehr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 9 A 12.09
Verkündet
am 6. Oktober 2010
Schmidt
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte, Domgörgen, Dr. Christ
und Prof. Dr. Korbmacher
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten
für den Neubau der Ortsumgehung B 247n Worbis-Wintzingerode.
Die B 247 führt in Nord-Süd-Richtung vom Raum Northeim im südlichen Nie-
dersachsen bis in den Thüringer Wald. Namentlich für den Verkehr aus dem
Raum Mühlhausen und dem Eichsfeldkreis dient sie als Zubringer zur A 38. Die
Ortsdurchfahrten, mit denen die bestehende B 247 die Ortsteile Worbis und
Wintzingerode der Stadt Leinefelde-Worbis quert, sind gekennzeichnet durch
enge Querschnitte, hohe Verkehrsbelastung und teilweise fehlende Gehwege.
In die Ortsdurchfahrt Worbis mündet die von Norden aus dem Raum Bischoffe-
rode/Herzberg heranführende L 1012 ein.
Mit der geplanten Straße soll der Verkehr westlich um Worbis und Wintzingero-
de herumgeführt werden. Sie beginnt südwestlich von Worbis, wo sie an die
Ortsumgehung Leinefelde der B 247 anbindet, umfährt die beiden Ortsteile und
geht im Norden auf die bestehende B 247 in Richtung Duderstadt über. Das
Vorhaben umfasst zusätzlich den Bau eines Zubringers zwischen der Ortslage
Worbis und der B 247n; es ist geplant, ihn in einem Kreisverkehrsplatz mit der
Bahnhofstraße zu verknüpfen, die Teil der bisherigen Ortsdurchfahrt der B 247
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ist. Sowohl der Zubringer als auch der sich nach Osten anschließende Ab-
schnitt der Bahnhofstraße sollen künftig Bestandteile der L 1012 werden. Der
Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen weist das Vorhaben als vordringlichen
Bedarf aus.
Die Klägerin ist Eigentümerin der einander gegenüberliegenden, durch die
Bahnhofstraße voneinander getrennten Grundstücke Neue Straße 2 - 4 und
Bahnhofstraße 32 in Worbis. Auf dem Grundstück Neue Straße 2 - 4 hat sie ein
Wohn- und Geschäftshaus errichtet, in dem ein Einkaufsmarkt betrieben wird;
auf dem Grundstück Bahnhofstraße 32 befindet sich ein vom Betreiber des
Einkaufsmarktes als Getränkemarkt genutztes Hallengebäude. Im Zusammen-
wirken mit der Stadt Leinefelde-Worbis hat die Klägerin ein Verkehrskonzept
entwickelt, das den Rückbau des zwischen ihren Grundstücken verlaufenden
Abschnitts der Bahnhofstraße und dessen Verlegung auf den Teil einer stillge-
legten Bahnstrecke parallel zur jetzigen Straßenführung vorsieht.
Im Rahmen des auf Antrag des Vorhabenträgers vom 19. Dezember 2005 ein-
geleiteten Planfeststellungsverfahrens lagen die Planunterlagen bei der Stadt-
verwaltung Leinefelde-Worbis in der Zeit vom 31. März bis 5. Mai 2006 zur Ein-
sichtnahme aus, nachdem die Stadt die Planauslegung zuvor ortsüblich be-
kanntgemacht und dabei auf die Möglichkeit, fristgebunden Einwendungen zu
erheben, sowie die Rechtsfolgen verspäteter Einwendungen hingewiesen hatte.
Mit fristgerecht bei der Stadt eingegangenem Schreiben vom 3. Mai 2006 erhob
die Klägerin Einwendungen gegen das Vorhaben: Die Planung ändere nichts an
der Zerschneidung ihrer beiden Grundstücke, sondern schreibe diese für immer
fest. Damit verstoße sie gegen das gemeinsam mit der Stadt entwickelte
Verkehrskonzept, das die Verlegung der vorhandenen B 247 auf die andere
Seite des Getränkemarktes vorsehe. Die städtische Zusage, dieses Konzept zu
realisieren, sei Grundlage ihrer eigenen Investitionen auf den Grundstücken
geworden. In dem am 16./17. Januar 2007 durchgeführten Erörterungstermin
erhielt die Klägerin ihre Einwendungen aufrecht.
Mit Beschluss vom 20. März 2009 stellte der Beklagte den Plan für das Vorha-
ben fest. Zur Rechtfertigung der Planung im Bereich Worbis berief er sich auf
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die Entlastungswirkung der Umgehungsstraße für die Ortslage. Während die
Ortsdurchfahrt Worbis der B 247 ohne Ortsumgehung im Jahr 2015 mit 17 700
bis 18 500 Kfz/d belastet wäre, sei für den genannten Prognosehorizont mit
Ortsumgehung eine Belastung von 8 700 bis 9 500 Kfz/d berechnet worden. Die
Einwendungen der Klägerin wies der Planfeststellungsbeschluss zurück: Die
Planung entspreche den verfolgten Zielen, eine Ortsumgehung zu schaffen und
die bestehenden Straßenzüge mit der neuen Trasse zu verknüpfen. Inner-
städtische Änderungen der Verkehrsführung bzw. die Realisierung von Ver-
kehrskonzepten der Stadt könnten hingegen nicht Inhalt der Planung sein. Au-
ßerdem sei der Kreisverkehrsplatz, der den geplanten Zubringer mit dem inner-
städtischen Straßennetz verknüpfen solle, bewusst so konzipiert worden, dass
er die Anbindung einer weiteren Straße erlaube und damit der Stadt die Mög-
lichkeit belasse, entsprechend ihrer Verkehrskonzeption die Bahnhofstraße zu
verlegen.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 16. April 2009 zugestellten Planfeststel-
lungsbeschluss am 15. Mai 2009 Klage erhoben und zur Begründung ausge-
führt: Die Verkehrsuntersuchung, auf die der Planfeststellungsbeschluss sich
stütze, sei nicht Bestandteil der Planfeststellungsunterlagen. Darin liege ein
rechtlicher Mangel, da die Planbetroffenen sich nicht über diese Untersuchung
hätten informieren und dazu äußern können. Darüber hinaus leide der Be-
schluss an einem Aufklärungsdefizit. Da die L 1012 künftig über den Zubringer
auf kurzer Strecke an die B 247 und über diese an die A 38 angebunden sein
werde, müsse damit gerechnet werden, dass die Landesstraße zusätzlichen
Verkehr anziehe, der dann zwischen den Grundstücken der Klägerin hindurch-
fließe. Das sei im Planfeststellungsverfahren nicht ausreichend untersucht wor-
den. Darüber hinaus verstoße die Planung gegen den Grundsatz der Problem-
bewältigung. Infolge der gesteigerten Attraktivität der L 1012 insbesondere für
den Schwerlastverkehr von der A 7 zur A 38 werde sich die Zerschneidungs-
wirkung der Bahnhofstraße für die Grundstücke deutlich verschärfen. Dieses
Problem lasse der Beschluss ungelöst. Zu dem Verkehrskonzept, das eine Ver-
legung der zwischen den Grundstücken verlaufenden Straße vorsehe, habe es
im Vorfeld der Planfeststellung Zusagen nicht nur seitens der früheren Stadt
Worbis, sondern auch seitens des Vorhabenträgers gegeben. Dass der Beklag-
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te im Planfeststellungsbeschluss den Standpunkt eingenommen habe, für die
Verlegung der Bahnhofstraße nicht zuständig zu sein, stehe im Widerspruch zu
seiner früheren Haltung und verstoße gegen Treu und Glauben.
Die Klägerin beantragt,
den Planfeststellungsbeschluss vom 20. März 2009 auf-
zuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er erwidert: Es sei nicht erkennbar, in welchen geschützten Rechten das Vor-
haben die Klägerin verletzen könnte. Deren Ziel, die Einziehung und den Rück-
bau der B 247 alt zu erreichen, werde durch die Planung nicht behindert. Inso-
weit handle es sich um eine städtebauliche Angelegenheit, die nicht - auch nicht
als notwendige Folgemaßnahme - zum Bestandteil des fernstraßenrechtlichen
Vorhabens gemacht werden könne. Im Übrigen scheide ein Abwägungsmangel
zu Lasten der Klägerin auch deshalb aus, weil deren Vorstellungen mit der pla-
nerischen Ausgestaltung des Kreisverkehrsplatzes Rechnung getragen worden
sei. Die Ausführungen der Klägerin zu den Auswirkungen des Vorhabens auf
die Belastung der L 1012 mit Schwerverkehr seien nicht nachvollziehbar. Dem
Schwerverkehr, der von der A 7 aus die A 38 erreichen wolle, stünden wesent-
lich attraktivere Verbindungen zur Verfügung.
II
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Planfeststellungs-
beschluss leidet an keinem Rechtsfehler, der die Klägerin in ihren Rechten ver-
letzt und die - vollständige oder teilweise - Aufhebung des Planfeststellungsbe-
schlusses bzw. Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit
rechtfertigt. Da der Beschluss der Klägerin gegenüber keine enteignende Vor-
wirkung entfaltet, ist er nur einer beschränkten Überprüfung darauf zu unterzie-
hen, ob ihrem Schutz dienende formellrechtliche Vorschriften beachtet sind, ob
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eine Planrechtfertigung für das Vorhaben gegeben ist, ob dem Vorhaben keine
unüberwindbaren Abwehrrechte der Klägerin entgegenstehen und ob ihre Be-
lange in der Abwägung fehlerfrei berücksichtigt worden sind. Unter keinem die-
ser Aspekte begegnet der Planfeststellungsbeschluss durchgreifenden Beden-
ken.
1. Ein Verstoß gegen dem Schutz der Klägerin dienende formellrechtliche Vor-
schriften, der sich auf die Sachentscheidung ausgewirkt haben kann, ist zu ver-
neinen. Namentlich ist nicht zu beanstanden, dass die Anhörungsbehörde dar-
auf verzichtet hat, die der Planung zugrunde liegende Verkehrsuntersuchung
mit auszulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
müssen nicht alle Unterlagen ausgelegt werden, die möglicherweise zur umfas-
senden Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Planung nötig sind, sondern nur
solche, die - aus der Sicht der potentiell Betroffenen - erforderlich sind, um den
Betroffenen das Interesse an der Erhebung von Einwendungen bewusst zu
machen. Ob Gutachten dazugehören, beurteilt sich nach den Gegebenheiten
des Einzelfalls. Anlass, sie auszulegen, besteht nur, wenn die Behörde erkennt
oder erkennen muss, dass ohne diese Unterlagen Betroffenheiten nicht oder
nicht vollständig geltend gemacht werden können (vgl. Urteil vom 8. Juni 1995
- BVerwG 4 C 4.94 - BVerwGE 98, 339 <344 f.>). Für die Verkehrsuntersu-
chung trifft dies nicht zu. Die Querschnittsbelastung der B 247 alt im Bereich
der Ortslage Worbis ließ sich bezogen auf den Prognosehorizont 2015 sowohl
für den Nullfall als auch für den Planfall dem ausgelegten Erläuterungsbericht
entnehmen. Der Erläuterungsbericht wies darüber hinaus für den Planfall den
Lkw-Anteil an der Gesamtbelastung dieser Straße aus. Die Klägerin konnte
somit auch ohne Einsichtnahme in die Verkehrsuntersuchung erkennen, wel-
ches Verkehrsaufkommen für die Bahnhofstraße im Bereich zwischen ihren
Grundstücken nach Verwirklichung des Vorhabens prognostiziert war. Soweit
sie die Prognosewerte aufgrund der Angaben im Erläuterungsbericht nicht
nachzuvollziehen vermochte, stellt dies nicht eine hinreichende Anstoßwirkung
der ausgelegten Planunterlagen in Frage, sondern gab vielmehr Anlass, eine
entsprechende Einwendung zu erheben.
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2. Die Einwände der Klägerin zeigen auch keine entscheidungserheblichen ma-
teriellrechtlichen Mängel des Planfeststellungsbeschlusses auf.
a) Der Klägerin stehen gegenüber dem Planvorhaben, dessen Planrechtferti-
gung schon wegen seiner Aufnahme in den gesetzlichen Bedarfsplan für die
Bundesfernstraßen keinen Bedenken unterliegt und von ihr auch nicht in Frage
gestellt wird, keine abwägungsfesten Abwehrrechte zu. Namentlich kann sie
sich nicht auf eine Zusicherung berufen, im Planfeststellungsbeschluss die Ver-
legung des zwischen ihren Grundstücken verlaufenden Teils der Bahnhofstraße
mitzuregeln. Eine wirksame Zusicherung dieses Inhalts würde voraussetzen,
dass eine entsprechende Erklärung von der Planfeststellungsbehörde in schrift-
licher Form abgegeben worden wäre (§ 72 Abs. 1 i.V.m. § 38 Abs. 1 Satz 1
ThürVwVfG; zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Zusicherung von Planungs-
entscheidungen vgl. Urteil vom 17. Januar 2007 - BVerwG 10 C 1.06 -
BVerwGE 128, 87). Dass dies geschehen sei, hat die Klägerin selbst nicht vor-
getragen, sondern sich nur auf eine Zusage des für den Erlass des Planfest-
stellungsbeschlusses nicht zuständigen Vorhabenträgers berufen, worauf im
Rahmen der Abwägungskontrolle zurückzukommen sein wird.
b) Der Planfeststellungsbeschluss verstößt nicht in einer seine Aufhebung oder
die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit rechtfertigen-
den Weise gegen das fachplanungsrechtliche Abwägungsgebot (§ 17 Satz 2
FStrG). Er leidet an keinem zu Lasten der Klägerin gehenden Abwägungsman-
gel, der offensichtlich, auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen und
nicht durch Planergänzung behebbar ist (§ 17e Abs. 6 FStrG). Die Planfeststel-
lungsbehörde hat die Bedeutung des wirtschaftlichen Interesses der Klägerin,
von einer Vertiefung der mit dem bisherigen Verlauf der Bahnhofstraße ver-
bundenen Trennung ihrer Grundstücke verschont zu bleiben und darüber hin-
aus die Beseitigung dieser Trennung zu erreichen, weder verkannt noch im
Verhältnis zu entgegenstehenden anderen Belangen objektiv fehlgewichtet.
aa) Mit ihren Einwänden, die Planung beruhe auf einer defizitären Verkehrs-
prognose und widerspreche dem Gebot der Problembewältigung, vermag die
Klägerin nicht durchzudringen. Sie rügt insoweit, die Verkehrsuntersuchung
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habe es versäumt, der Frage nachzugehen, wie sich das Planvorhaben auf die
Belastung der L 1012 einschließlich der Bahnhofstraße namentlich mit Schwer-
verkehr zwischen der A 7 und A 38 auswirke, und macht vorhabenbedingte Er-
schwernisse für die Querpassierbarkeit der Bahnhofstraße zwischen ihren
Grundstücken geltend, die in der Planung nicht bewältigt worden seien. Diese
Einwände sind präkludiert (§ 17a Nr. 7 Satz 1 FStrG), greifen aber auch in der
Sache nicht durch.
Die Klägerin hat in ihrem Einwendungsschreiben weder ausdrücklich noch
sinngemäß geltend gemacht, die der Planung zugrunde liegende Verkehrs-
prognose sei defizitär, weil darin nicht ermittelt worden sei, ob die durch das
Vorhaben bewirkte günstigere Verbindung zwischen der L 1012 und der A 38
zu einer verstärkten Belastung der Bahnhofstraße namentlich mit Schwerver-
kehr führe. Ebenso wenig ist dem Schreiben zu entnehmen, dass von einer
durch stärkere Verkehrsbelastung erschwerten Querpassierbarkeit der Bahn-
hofstraße auszugehen sei, also gerade durch das Vorhaben ein bewältigungs-
bedürftiger Konflikt geschaffen werde. Diesbezüglicher Vortrag konnte von der
Klägerin bereits innerhalb der Einwendungsfrist erwartet werden, weil die aus-
gelegten Planunterlagen auch hinsichtlich dieser Einwände eine hinreichende
Anstoßwirkung entfalteten. Den Angaben im Erläuterungsbericht zur Verkehrs-
belastung der B 247 alt im Null- und im Planfall 2015 zufolge war - wie bereits
erwähnt - eine vorhabenbedingte Halbierung des Verkehrs auf der zwischen
den Grundstücken der Klägerin verlaufenden Bahnhofstraße ermittelt worden.
Aus dem Erläuterungsbericht ging weiter hervor, welche Verkehrsbelastung die
Verkehrsuntersuchung für die L 1012 außerhalb der Ortslage prognostiziert
hatte (7 200 Kfz/d) und dass der Anteil des Schwerverkehrs an dieser Belas-
tung mit 3 % sehr gering war. Diese Angaben ließen nur den Schluss zu, dass
die Untersuchung weder in nennenswertem Umfang die L 1012 belastenden
Schwerverkehr zwischen der A 7 und der A 38 noch eine im Planfall verstärkte
Verkehrsbelastung der Bahnhofstraße in Rechnung gestellt hatte. Ausgehend
von ihrer Einschätzung, aufgrund der verbesserten Anbindung der Landesstra-
ße an die B 247n werde eine attraktive Fernverkehrsverbindung von der A 7 zur
A 38 geschaffen, hätten der Klägerin diese Angaben Anlass geben müssen, die
behördlicherseits zugrunde gelegte Prognose schon im Anhörungsverfahren
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anzugreifen. Da die Klägerin in der ortsüblichen Bekanntmachung der Planaus-
legung auf die Möglichkeit, Einwendungen zu erheben, die Einwendungsfrist
und die Folgen verspäteter Einwendungen hingewiesen worden ist, liegen auch
die formellen Präklusionsvoraussetzungen vor.
Die Verkehrsprognose leidet im Übrigen nicht an den von der Klägerin geltend
gemachten Fehlern. Das für die Verkehrsuntersuchung verwandte, vom Be-
klagten im Klageverfahren näher erläuterte Prognoseverfahren entspricht aner-
kannten Regeln der Prognosetechnik; das zu erwartende Verkehrsaufkommen
ist auf der Basis aussagekräftiger Strukturdaten ermittelt und auf das Straßen-
netz umgelegt worden. Umstände, die die Plausibilität der auf diese Weise ge-
wonnenen Prognosewerte der Verkehrsbelastung der Bahnhofstraße in Frage
stellen würden, sind weder von der Klägerin substantiiert dargetan noch sonst
ersichtlich. Der Bau der Umgehungsstraße einschließlich des Zubringers von
Worbis schafft für den Verkehr auf der L 1012 zwar eine deutlich leistungsfähi-
gere Verbindung zur A 38, als sie über die bisherige B 247 bestand. Bei einer
Gesamtbetrachtung des Straßennetzes kommt diesem Vorteil aber kein maß-
gebliches Gewicht zu. Dem Fernverkehr auf der A 7 aus Richtung Norden ste-
hen, wie der Beklagte in seiner Klageerwiderung überzeugend ausgeführt hat,
gleich mehrere leistungsfähige Strecken zur Verfügung, um die A 38 zu errei-
chen. Dies gilt zum einen für die unmittelbare Verknüpfung der beiden Auto-
bahnen bei Dramfeld, zum zweiten für die Verbindung ab Seesen über die
B 243 nach Nordhausen und zum dritten für die Verbindung ab Northeim über
die B 241 und die B 247 nach Leinefelde-Worbis. Demgegenüber weist die
L 1012 den unwidersprochenen Darlegungen des Beklagten zufolge zum Teil
enge Ortsdurchfahrten auf und bindet nach Norden hin nicht einmal unmittelbar
an eine Bundesstraße an. Unter diesen Umständen überzeugt die Einschätzung
des Beklagten, dass die Annahme realitätsfremd sei, eine singuläre Situations-
verbesserung auf der durch die L 1012 vermittelten Verbindung könnte in
nennenswertem Umfang Fernverkehr auf sich ziehen. Erst recht spricht nichts
dafür, dass eine Mehrbelastung der Bahnhofstraße mit Verkehr der L 1012 die
nachvollziehbare gravierende Entlastung durch die B 247n überkompensieren
und damit ein im Rahmen der Planfeststellung zu bewältigendes Problem
schaffen würde. Angesichts dessen sind weder die der Planfeststellung
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zugrunde liegenden Ermittlungen defizitär, noch bleibt ein durch die Planung
hervorgerufener Konflikt ungelöst.
bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat der Beklagte ihrem Interesse an
der Beseitigung der Trennung ihrer Grundstücke in der planerischen Abwägung
angemessen Rechnung getragen. Dies belegt die Ausgestaltung des Kreisver-
kehrsplatzes am Anfang des Zubringers zur Umgehungsstraße. Mit der gewähl-
ten Lösung wird die Verlegung der Bahnhofstraße gemäß dem von der Klägerin
und der Stadt entwickelten Verkehrskonzept nicht endgültig verbaut, sondern im
Gegenteil gezielt offengehalten. Der Kreisel ist nämlich so konzipiert, dass sich
die Straße auch auf entsprechend verlegter Trasse ohne Weiteres anschließen
lässt. Eine auf die Realisierung des Verkehrskonzepts gerichtete städtische
Planung wird durch das streitige Planvorhaben mithin nicht be- oder gar verhin-
dert.
Dass der Beklagte von einer weitergehenden, die Verlegung der Bahnhofstraße
in die fernstraßenrechtliche Planfeststellung einbeziehenden Regelung abge-
sehen hat, ist nicht abwägungsfehlerhaft; denn zu einer solchen Regelung wäre
er rechtlich gar nicht befugt gewesen. Da die Bahnhofstraße nach dem Bau der
Ortsumgehung nur noch die Funktion einer Landesstraße wahrnehmen soll,
würden mit einem auf die Verlegung dieser Straße gerichteten Vorhaben keine
fernstraßenrechtlichen Zielsetzungen verfolgt. Deshalb würde es sich nicht um
ein Vorhaben handeln, das Gegenstand der fernstraßenrechtlichen Planfest-
stellung sein kann (vgl. Beschluss vom 13. Juli 2010 - BVerwG 9 B 104.09 -
juris Rn. 5 f. ). Über das eigentli-
che fernstraßenrechtliche Vorhaben hätte die Planfeststellung nur ausnahms-
weise hinausgreifen dürfen, wenn ein Anwendungsfall des § 75 Abs. 1 Satz 1
ThürVwVfG oder des § 78 Abs. 1 ThürVwVfG vorläge. Beides trifft jedoch nicht
zu.
Bei der Verlegung der Bahnhofstraße würde es sich nicht um eine notwendige
Folgemaßnahme im Sinne des § 75 Abs. 1 Satz 1 ThürVwVfG handeln. Folge-
maßnahmen sind zu treffen, um die Probleme zu lösen, die durch das Vorha-
ben für die Funktionsfähigkeit anderer Anlagen entstehen. Sie dürfen daher
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über Anschluss und Anpassung nicht wesentlich hinausgehen (Beschluss vom
13. Juli 2010 - BVerwG 9 B 103.09 - NVwZ 2010, 1244 Rn. 4 m.w.N.). Die Ver-
legung der Bahnhofstraße würde hingegen nicht dazu dienen, durch Anschluss-
und Anpassungsmaßnahmen an das vorhandene Straßennetz von Worbis die
durch den Bau der Umgehungsstraße einschließlich des Zubringers für dieses
Netz entstehenden Probleme zu lösen, sondern sich darauf richten, bei Gele-
genheit der fernstraßenrechtlichen Planung selbstständige städtebauliche Pla-
nungsaufgaben mitzuerledigen, die über den Verknüpfungsbereich zwischen
dem fernstraßenrechtlichen Vorhaben und dem übrigen Straßennetz weit hin-
ausreichen. Die Kompetenz für eine solche Planung lässt sich aus § 75 Abs. 1
Satz 1 ThürVwVfG nicht ableiten.
Eine Einbeziehung der Verlegung der Bahnhofstraße in die Planfeststellung
kam auch nicht nach § 78 ThürVwVfG in Betracht. Diese Regelung führt zur
Konzentration auf ein Planfeststellungsverfahren, wenn mehrere selbstständige
Vorhaben, für deren Durchführung jeweils Planfeststellungsverfahren vorge-
schrieben sind, derart zusammentreffen, dass für sie nur eine einheitliche Ent-
scheidung möglich ist, und wenn mindestens eines der an sich durchzuführen-
den Planfeststellungsverfahren bundesrechtlich geregelt ist.
Diese Voraussetzungen sind nicht vollständig erfüllt. § 38 Abs. 1 Satz 1
ThürStrG schreibt für Landesstraßen ebenso wie § 17 Satz 1 FStrG für Bun-
desfernstraßen die Planfeststellungsbedürftigkeit ihres Baus bzw. ihrer Ände-
rung vor. Ungeachtet der Möglichkeit, die Planfeststellung für Landesstraßen
durch einen Bebauungsplan nach § 9 BauGB zu ersetzen (§ 38 Abs. 4 Satz 1
ThürStrG; ebenso für Bundesfernstraßen § 17b Abs. 2 Satz 1 FStrG), kann § 78
ThürVwVfG deshalb auf das Zusammentreffen planfestzustellender Bau- oder
Änderungsvorhaben für Bundes- und Thüringer Landesstraßen zur Anwendung
kommen. Hier fehlt es aber an den weiteren Voraussetzungen für die in der
Vorschrift vorgesehene Verfahrenskonzentration. Zum einen bestünde keine
Notwendigkeit, über das Vorhaben der Ortsumgehung und das der Verlegung
der Bahnhofstraße einheitlich zu entscheiden. Die Ausgestaltung des
Kreisverkehrsplatzes, die die Möglichkeit einer späteren Verlegung der Bahn-
hofstraße offenhält, verdeutlicht nämlich, dass eine sachgerechte Verwirkli-
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chung beider Planungskonzepte nicht auf eine einheitliche Zulassungsent-
scheidung angewiesen wäre (vgl. Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 11 A
86.95 - BVerwGE 101, 73 <78>). Zum anderen fehlt es auch an dem in § 78
Abs. 1 ThürVwVfG vorausgesetzten zeitlichen Zusammentreffen der Vorhaben.
Für die Verlegung der Bahnhofstraße gibt es kein ausgearbeitetes eigenes Pla-
nungskonzept des Beklagten als Vorhabenträger, das zum Gegenstand eines
einheitlichen Planfeststellungsverfahrens hätte gemacht werden können. Im
Gegenteil sieht der Beklagte gar keinen Anlass, ein solches Konzept selbst zu
erarbeiten oder sich zu eigen zu machen, da für die Verlegung der Bahnhof-
straße kein verkehrlicher Bedarf erkennbar ist, sondern nur städtebauliche Ziel-
setzungen sprechen können. Sie aufzugreifen und planerisch zu verfolgen, wä-
re Sache der Stadt Leinefelde-Worbis, der dafür die Bauleitplanung als Hand-
lungsinstrument zur Verfügung steht (§ 38 Abs. 4 Satz 1 ThürStrG i.V.m. § 9
BauGB).
Der Vortrag der Klägerin, nicht nur die Stadt, sondern auch das Straßenbauamt
des Beklagten als Vorhabenträger der fernstraßenrechtlichen Planung habe die
Realisierung des von ihr gemeinsam mit der Stadt entwickelten Verkehrskon-
zepts zugesagt, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung der behördlichen
Entscheidung, die Verlegung der Bahnhofstraße nicht in die Planfeststellung
einzubeziehen.
Das folgt schon daraus, dass die Klägerin mit diesem Vortrag präkludiert ist
(§ 17a Nr. 7 Satz 1 FStrG). In ihrem Einwendungsschreiben vom 3. Mai 2006
hat sie nur eine „Zusage der Stadt Worbis“ behauptet, „die derzeitige B 247
oberhalb des Getränkemarktes zu verlegen“, nicht jedoch eine entsprechende
Zusage des Vorhabenträgers der Fernstraßenplanung. Im beigefügten Schrei-
ben des Bürgermeisters der Stadt vom 15. Juli 1999 wird zwar auf eine „ent-
scheidende Abstimmung mit der Leitung des Thüringer Straßenbauamtes Lei-
nefelde“ vom 3. Dezember 1998 hingewiesen und weiter mitgeteilt, das Stra-
ßenbauamt habe zugesagt, die Maßnahme entsprechend einzutakten. Das mag
die Bereitschaft zur Koordinierung beider Vorhaben zum Ausdruck bringen,
besagt aber nicht, das Straßenbauamt habe mit Bindungswirkung erklärt, es
werde eine entsprechende Planung als eigene betreiben. Erst recht ist dem
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Schreiben nichts dafür zu entnehmen, dass das Straßenbauamt eine verbindli-
che Erklärung gegenüber der Klägerin abgegeben hat. Die Klägerin hat in ihrem
Einwendungsschreiben selbst keine Schlüsse dieses Inhalts aus dem
Schreiben des Bürgermeisters gezogen.
Eine verbindliche Zusage des Vorhabenträgers gegenüber der Klägerin, die
Bahnhofstraße im Zuge des Baus der B 247n zu verlegen, ist außerdem sach-
lich zu verneinen. Die Klägerin hat eine solche Zusage im Klageverfahren nur
pauschal behauptet. Umstände, die eine verbindliche Verpflichtungserklärung
des Vorhabenträgers gegenüber der Klägerin belegen würden, sind hingegen
weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung substantiiert darge-
legt worden.
Unabhängig davon hätte eine Zusage des Vorhabenträgers, die Verlegung der
Bahnhofstraße zum Gegenstand eigener Planung im Zusammenhang mit dem
Vorhaben der B 247n zu machen, eine Einbeziehung dieses Regelungsgegen-
standes in das dem angefochtenen Planfeststellungsbeschluss vorangegange-
ne Planfeststellungsverfahren nicht rechtfertigen können. Die engen Voraus-
setzungen des § 78 ThürVwVfG für die Durchführung eines einheitlichen Plan-
feststellungsverfahrens für mehrere Vorhaben sind nicht disponibel; die Plan-
feststellungsbehörde darf sich über sie nicht unter Berufung auf abweichende
Zusagen eines Vorhabenträgers hinwegsetzen. Angesichts der Möglichkeit,
beide Vorhaben unabhängig voneinander zu verwirklichen, könnte der behaup-
teten Zusage ohnehin in einem gesonderten Verfahren entsprochen werden.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dr. Storost
Dr. Nolte
Domgörgen
Dr. Christ
Prof. Dr. Korbmacher
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 60 000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1,
§ 63 Abs. 2 GKG).
Dr. Storost
Dr. Nolte
Domgörgen
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Wegerecht
Fachpresse:
ja
Recht des Verkehrswesens
Rechtsquellen:
FStrG
§§ 17, 17a Nr. 7 Satz 1
ThürVwVfG § 38 Abs. 1 Satz 1, § 72 Abs. 1, § 75 Abs. 1 Satz 1, § 78 Abs. 1
ThürStrG
§ 38 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1
Stichworte:
Planfeststellung; öffentliche Auslegung von Gutachten; Einwendungsaus-
schluss; Präklusion; Anstoßwirkung; Zusicherung; Abwägungsgebot; notwendi-
ge Folgemaßnahme; Zusammentreffen selbstständiger Vorhaben; fernstraßen-
rechtliche Zielsetzung; städtebauliche Zielsetzung; Zusage des Vorhabenträ-
gers.
Leitsatz:
Die für fernstraßenrechtliche Planfeststellungen zuständigen Behörden haben
nicht die Kompetenz, bei Gelegenheit der fernstraßenrechtlichen Planung
selbstständige städtebauliche Planungsaufgaben, die über den Verknüpfungs-
bereich zwischen dem fernstraßenrechtlichen Vorhaben und dem übrigen Stra-
ßennetz weit hinausreichen, als notwendige Folgemaßnahme mitzuerledigen.
Urteil des 9. Senats vom 6. Oktober 2010 - BVerwG 9 A 12.09