Urteil des BVerwG vom 23.05.2012

DDR, Eigentumserwerb, Oberstes Gericht, Berechtigung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 8 C 25.11
VG 1 K 658/08
Verkündet
am 23. Mai 2012
Hardtmann
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt
für Recht erkannt:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Revisionsverfah-
rens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Bei-
geladenen.
G r ü n d e :
I
Die Klägerinnen wenden sich gegen die Feststellung der Beklagten, den Beige-
ladenen stehe ein Anspruch auf Auskehr des Erlöses aus der Veräußerung des
früheren Flurstücks … (später: Flurstücke …/1 und …/2 mit insgesamt 3828 m
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)
der Flur … der Gemarkung G. gegen sie zu. Die Fläche war Teil eines Gelän-
des, das Herrn Gustaf S. gehörte. 1937 ging sie in das Eigentum seiner Witwe
Freda S. als befreiter Vorerbin über. Diese galt nach den NS-Rassengesetzen
als „Mischling ersten Grades“. 1940/41 veräußerte der Testamentsvollstrecker
das Gelände an die Deutsche Arbeitsfront. Nach Kriegsende wurde es im Zuge
der Bodenreform in der Provinz Mark Brandenburg dem Bodenfonds zugeführt
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und parzelliert. Die verfahrensgegenständliche Fläche wurde aufgrund eines
am 19. Juli 1946 durch die Kreiskommission bestätigten Aufteilungsprotokolls
der Gemeindekommission in G. als Bodenreformland an die Landwirtin Elvira
M. verteilt. Eigentumswechsel und Bodenreformvermerk wurden am
14. September 1946 im Grundbuch eingetragen. Seit 1959 wurde das Grund-
stück als Flurstück … geführt.
Frau Freda S. verstarb 1945. Sie wurde beerbt von Frau Gabriele E. und Herrn
Heinrich Gustaf S., den die Beigeladene zu 1 beerbte. Frau Gabriele E. trat ihre
Rückübertragungsansprüche 1998 an den Beigeladenen zu 2 ab.
Frau M. verstarb 1971. Ihre Erbinnen, die Klägerinnen, waren weder am
15. März 1990 noch zuvor in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft
tätig. Das Flurstück … wurde weder den Klägerinnen noch einem Dritten zuge-
teilt und auch nicht in den Bodenfonds zurückgeführt, sondern bis Mai 1993
durch die P. e. G. genutzt, die es mit zwei Hallen bebaute.
Im März 1991 beantragte die Erbengemeinschaft nach Freda S. die Rücküber-
tragung des Flurstücks ... .
Mit notariellem Kaufvertrag vom 5. Mai 1993 veräußerten die Klägerinnen mit
notarieller Zustimmung ihrer Ehegatten das Flurstück … zum Preis von
498 000 DM an die M. GmbH. Dazu erteilte der Landkreis Potsdam-Mittelmark
unter dem 26. Januar 1994 eine Grundstücksverkehrsgenehmigung.
Am 14. März 1994 erhob das Grundstücks- und Vermögensamt Potsdam vor-
sorglich Widerspruch gegen die Eintragung einer Auflassungsvormerkung zu
Gunsten der Erwerberin und gegen die Eintragung einer Grundschuld in Höhe
des Kaufpreises.Am 19. April 1994 wurden die Klägerinnen aufgrund des Erb-
scheins des Kreisgerichts P. - … - unter Hinweis auf Art. 233 § 11 Abs. 2
EGBGB als Eigentümerinnen des Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Zu-
gleich wurde eine Auflassungsvormerkung für das Land Brandenburg wegen
des Widerspruchs des Fiskus eingetragen. Nachdem dieser von der gewerbli-
chen Nutzung des Flurstücks … erfahren hatte, verzichtete er auf die Durchset-
zung eines etwaigen Auflassungsanspruchs und nahm am 8. Juni 1994 seinen
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Widerspruch zurück. Zum Ausgleich erklärten die Klägerinnen sich bereit, ande-
re Flurstücke an das Land Brandenburg aufzulassen. Am 1. Juli 1994 wurde die
Auflassungsvormerkung für das Land Brandenburg gelöscht. Am 26. Juni 1996
wurde das Flurstück … auf die M. GmbH umgeschrieben. 1998 wurde das
Grundstück in die Flurstücke …/1 mit 273 m
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und …/2 mit 3555 m
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geteilt.
Das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Brandenburg stellte mit
1. Teilbescheid vom 8. Januar 2003 die vermögensrechtliche Berechtigung der
Beigeladenen in Erbengemeinschaft nach Freda S. unter anderem in Bezug auf
die Flurstücke …/1 und …/2 nach § 1 Abs. 6, § 2 Abs. 1 VermG fest.
Nach Anhörung der Beteiligten lehnte die Beklagte mit dem 33. Teilbescheid
vom 5. März 2008 die Rückübertragung der Flurstücke an die Beigeladenen ab
und stellte fest, diesen stehe gegen die Klägerinnen ein Anspruch auf Auskehr
des Erlöses aus dem Grundstücksverkauf vom 5. Mai 1993 zu. Wegen der
Besserberechtigung des Landes Brandenburg nach Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB
könnten sich die Klägerinnen nicht auf § 4 Abs. 2 VermG berufen.
Mit ihrer Klage haben die Klägerinnen begehrt, den Bescheid vom 5. März 2008
aufzuheben. Sie seien als Erbinnen der Frau M. in deren Rechtsstellung einge-
treten. Auf die Besserberechtigung des Landes Brandenburg komme es wegen
dessen Verzichts auf den Auflassungsanspruch nicht an.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 27. Oktober 2011 abge-
wiesen. Dem Erlösauskehranspruch der Beigeladenen stehe nicht der Restitu-
tionsausschlussgrund des redlichen Erwerbs nach § 4 Abs. 2 VermG entgegen.
Erben von Bodenreformeigentümern könnten sich auf den redlichen Erwerb des
Erblassers nur berufen, wenn sie bei Ablauf des 15. März 1990 zuteilungsfähig
gewesen seien und kein Besserberechtigter nach Art. 233 § 12 EGBGB vor-
handen sei. Die Klägerinnen seien mangels landwirtschaftlicher Tätigkeit oder
Wohnnutzung des Flurstücks nicht zuteilungsfähig gewesen. Außerdem sei das
Land Brandenburg Besserberechtigter gemäß Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2
Buchst. c EGBGB. Auf die Geltendmachung des aus der Besserberechtigung
folgenden Auflassungsanspruchs, seine Verjährung oder den vergleichsweise
erklärten Anspruchsverzicht des Landes komme es nicht an. Andernfalls werde
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der Schutz des § 4 Abs. 2 VermG zweckwidrig auf Fälle erstreckt, in denen
nach der Rechtsordnung der DDR gerade kein schutzwürdiges Vertrauen auf
den Fortbestand der erworbenen Rechtsposition bestanden habe. Außerdem
entstünden Wertungswidersprüche, wenn der Redlichkeitsschutz sich zu Guns-
ten des besserberechtigten Fiskus auswirke, obwohl dieser sich nicht auf Red-
lichkeit berufen könne.
Mit ihrer Revision machen die Klägerinnen geltend, das angegriffene Urteil ver-
letze § 4 Abs. 2 VermG. Die pauschalierende Nachzeichnung der Besitzwech-
selregelungen der DDR in Art. 233 § 12 EGBGB diene nur dem Schutz des
Landes. Mit dessen Anspruchsverzicht hätten sie unabhängig von ihrer Zutei-
lungsfähigkeit endgültig Eigentum erworben.
Die Klägerinnen beantragen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom
27. Oktober 2011 zu ändern und den 33. Teilbescheid des
Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögens-
fragen vom 5. März 2008 in Ziffer 2 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus, das maßgebliche
Kriterium der Zuteilungsfähigkeit der Erben werde durch den Verzicht des Bes-
serberechtigten nicht beeinflusst. Die Vorschriften des Vermögensrechts blie-
ben nach Art. 233 § 16 EGBGB unberührt. Im Übrigen stelle der Verzicht auf
den Auflassungsanspruch einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter dar.
Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie meinen, das Verhalten des Besserberechtigten könne den vorrangigen Res-
titutionsanspruch nicht beeinflussen.
II
Die Revision ist unbegründet. Das angegriffene Urteil verletzt kein revisibles
Recht. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass den Beigela-
denen nach § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG ein Anspruch auf Auskehr des Erlöses
zusteht, den die Klägerinnen durch die Veräußerung des Flurstücks … mit nota-
riellem Vertrag vom 5. Mai 1993 erzielt haben.
Der Erlösauskehranspruch besteht, wenn der Verfügungsberechtigte einen an-
meldebelasteten Vermögenswert wirksam veräußert hat, dessen Rückübertra-
gung der Berechtigte im Zeitpunkt der Veräußerung (noch) verlangen konnte.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerinnen haben als Verfü-
gungsberechtigte das anmeldebelastete Flurstück … wirksam an die M. GmbH
veräußert. Zu diesem Zeitpunkt stand den Beigeladenen als Berechtigten ein
Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks zu. Diesem Anspruch können
die Klägerinnen nicht den Restitutionsausschlussgrund redlichen Erwerbs nach
§ 4 Abs. 2 VermG entgegenhalten.
1. Die Beigeladenen sind vermögensrechtlich Berechtigte hinsichtlich des ver-
fahrensgegenständlichen Grundstücks. Wie der 1. Teilbescheid des Landesam-
tes zur Regelung offener Vermögensfragen Brandenburg vom 8. Januar 2003
feststellt, sind sie Rechtsnachfolger der Frau Freda S., die das Grundstücks-
eigentum 1940/41 verfolgungsbedingt durch einen Zwangsverkauf im Sinne des
§ 1 Abs. 6 VermG verloren hatte. Der Rückübertragungsanspruch wurde 1991
wirksam angemeldet (§ 30 Abs. 1 VermG).
Bei der Veräußerung des anmeldebelasteten Grundstücks im Mai 1993 waren
die Klägerinnen Verfügungsberechtigte gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 VermG. Sie
hatten das Grundstückseigentum spätestens mit Inkrafttreten des Art. 233 § 11
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 EGBGB zum 22. Juli 1992 erworben, da sie Erbinnen
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der bei Ablauf des 15. März 1990 bereits verstorbenen, aber noch im Grund-
buch als Bodenreformeigentümerin eingetragenen Frau Elvira M. sind.
Der von den Klägerinnen geschlossene Kaufvertrag wurde mit der Erteilung der
Grundstücksverkehrsgenehmigung vom 26. Januar 1994 wirksam. Dies gilt un-
abhängig vom ehelichen Güterstand der Klägerinnen. Auch auf ein mögliches
Miteigentum eines Ehegatten nach Art. 233 § 11 Abs. 5 EGBGB und auf die
Frage, ob die Klägerinnen über ihr Vermögen im Ganzen verfügten, kommt es
nicht an. Soweit aus einem dieser Gründe die Einwilligung des Ehegatten zur
Veräußerung erforderlich war (vgl. § 1365 Abs. 1, §§ 1423, 1450 Abs. 1 Satz 1
BGB), genügt die Zustimmungserklärung beider Ehegatten in Ziffer XIV des
notariellen Kaufvertrages.
2. Im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Veräußerung war der Rückübertra-
gungsanspruch der Beigeladenen nicht wegen redlichen Erwerbs des Grund-
stücks nach § 4 Abs. 2 VermG ausgeschlossen. Die Klägerinnen können sich
weder auf eigenen redlichen Erwerb des Grundstückseigentums (a) noch auf
einen redlichen Erwerb ihrer Rechtsvorgängerin, der Neubäuerin Elvira M. (b),
berufen.
a) Der Eigentumserwerb der Klägerinnen fällt nicht unter § 4 Abs. 2 VermG. Die
Vorschrift ist nur auf einen Erwerbsvorgang anzuwenden, der seiner Art nach
die Prüfung der Redlichkeit des Erwerbers zulässt. Das trifft auf einen rechtsge-
schäftlichen Erwerb (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG) und einen Erwerb durch
mitwirkungsbedürftigen Hoheitsakt zu. Dabei kann jeweils die Redlichkeit des
Erwerbers bei Abschluss des Rechtsgeschäfts oder bei der Mitwirkung an der
hoheitlichen Rechtsübertragung geprüft werden (Urteile vom 17. Mai 2000
- BVerwG 8 C 16.99 - BVerwGE 111, 182 <186> = Buchholz 428 § 1 Abs. 7
VermG Nr. 4 S. 16 f. und vom 19. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 91.99 - Buchholz
428 § 2 VermG Nr. 49 S. 16, jew. m.w.N.).
Dagegen ist ein Rechtserwerb ohne Mitwirkung des Erwerbers, etwa durch Erb-
gang oder (sonst) kraft Gesetzes, keiner Redlichkeitsprüfung zugänglich. Die
Klägerinnen haben das Grundstückseigentum ohne eigene Mitwirkung erwor-
ben, da das Flurstück … keiner von ihnen zugeteilt wurde.
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b) Auf einen redlichen Erwerb der Erblasserin, Frau M., können die Klägerinnen
sich nicht berufen. Zwar kann bei einem Eigentumserwerb durch Erbgang nach
§ 4 Abs. 2 VermG auf die Redlichkeit des Erwerbs des Erblassers abgestellt
werden (Urteil vom 17. Mai 2000 a.a.O. S. 188). Für Erben von Bodenreform-
eigentümern gilt dies jedoch nur, wenn sie bei der Aufhebung der bodenreform-
rechtlichen Beschränkungen mit Ablauf des 15. März 1990 nach Art. 233 § 12
Abs. 3 EGBGB zuteilungsfähig waren und kein Besserberechtigter nach Art.
233 § 12 Abs. 2 EGBGB vorhanden ist. Andernfalls sind sie nicht in einer dem
Eigentumserwerb durch Erbgang gleichstehenden Weise in die geschützte
Rechtsstellung des verstorbenen Bodenreformeigentümers eingetreten (Urteil
vom 19. Oktober 2000 a.a.O.).
aa) Mit dem Erbfall im Januar 1971 haben die Klägerinnen noch kein Bodenre-
formeigentum am Grundstück erworben. Wegen der damals geltenden öffent-
lich-rechtlichen Beschränkungen des Bodenreformeigentums vollzog der Eigen-
tumserwerb sich nicht allein nach den Vorschriften des bürgerlichen Erbrechts.
Vielmehr überlagerten die bodenreformrechtlichen Vorschriften über den Be-
sitzwechsel die zivilrechtlichen Bestimmungen und machten den Erwerb des
Bodenreformeigentums auch im Erbfall von einer staatlichen Zuweisungsent-
scheidung abhängig. Sie übertrug das Bodenreformgrundstück auf einen von
der Erbengemeinschaft ausgewählten, zur Fortführung der Bodenreformwirt-
schaft bereiten und fähigen Miterben oder stimmte dem Rechtserwerb eines
entsprechend qualifizierten Alleinerben zu. So gewährleistete das Zuweisungs-
erfordernis die zweckentsprechende Nutzung des Bodenreformeigentums im
Sinne landwirtschaftlichen Arbeitseigentums (Urteile vom 19. Oktober 2000
a.a.O. S. 14 und vom 23. Februar 2006 - BVerwG 7 C 7.05 - Buchholz 428 § 4
Abs. 2 VermG Nr. 29 Rn. 17; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1998 - V ZR
200/97 - BGHZ 140, 223 <228 ff.>; vgl. § 1 Abs. 1 und 3, § 13 der Verordnung
über die Auseinandersetzung bei Besitzwechsel von Bauernwirtschaften aus
der Bodenreform vom 21. Juni 1951 - GBl DDR 1951 S. 629 - in der Fassung
der Verordnung vom 23. August 1956 - GBl DDR 1956 S. 685
verordnung 1951/56>; Oberstes Gericht der DDR, Urteil vom 12. März 1953
- 2 Zz 3/53 - NJ 1953, 498 <499>). Ob es eine öffentlich-rechtliche Belastung
der ererbten Rechtsposition darstellte oder als öffentlich-rechtlicher, die Wirk-
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samkeit des Eigentumserwerbs aufschiebender Zustimmungsvorbehalt zu deu-
ten ist, kann dahinstehen. Jedenfalls reduzierte es die Rechtsstellung des Er-
ben bis zur staatlichen Zuweisung auf die bloß tatsächliche Aussicht, dem Erb-
lasser in seine Rechtsposition als Bodenreformeigentümer nachzufolgen. Erst
die letzte Fassung der Besitzwechselverordnungen begründete für Kleinstflä-
chen - bestenfalls - einen Anspruch der Erben auf Übertragung des Bodenre-
formeigentums (vgl. § 4 der Zweiten Verordnung über die Durchführung des Be-
sitzwechsels bei Bodenreformgrundstücken vom 7. Januar 1988, GBl DDR
1988 S. 25; Urteile vom 25. Februar 1994 - BVerwG 7 C 32.92 - BVerwGE 95,
170 <174> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 17 S. 12, vom 29. August 1996
- BVerwG 7 C 43.95 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 23 S. 33 und vom
19. Oktober 2000 a.a.O. S. 14; Beschluss vom 18. Oktober 2004 - 7 PKH 5.04
<7 B 137.04> - juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1998 a.a.O.
S. 227 ff., 231). Danach fiel den Klägerinnen mit dem Versterben der Erblasse-
rin 1971 nur eine tatsächliche Aussicht auf den Erwerb des Bodenreformeigen-
tums zu, die sich mangels Zuteilung des Grundstücks nicht realisierte.
bb) Mit der Aufhebung der öffentlich-rechtlichen Beschränkungen des Bodenre-
formeigentums durch das Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grund-
stücken vom 6. März 1990 (GBl DDR 1990 S. 134) ist den Klägerinnen kein
Eigentum am Grundstück zugewachsen. Das Gesetz begünstigte nur die be-
reits im Grundbuch eingetragenen Bodenreformeigentümer und ließ deren bis-
lang bodenreformrechtlich beschränktes Grundstückseigentum zum Volleigen-
tum erstarken (Beschluss vom 7. November 2000 - BVerwG 7 B 142.00 - juris
Rn. 4). Es vollendete jedoch keinen bis dahin noch nicht wirksam gewordenen
Eigentumserwerb. War der Besitzwechsel - wie hier - mangels Zuweisung nicht
vollzogen oder noch nicht im Grundbuch eingetragen worden, griff das Gesetz
nicht ein (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2000 - V ZR 194/99 - VIZ 2001, 103
<104>; ohne diese Differenzierung noch BGH, Urteil vom 4. Februar 2000 - V
ZR 260/98 - BGHZ 143, 373 <377>).
cc) Nach Art. 233 §§ 11 f. EGBGB sind die Klägerinnen ebenfalls nicht in die
nach § 4 Abs. 2 VermG geschützte Rechtsstellung der verstorbenen Bodenre-
formeigentümerin, Frau M., eingetreten. Zwar sind sie nach Art. 233 § 11 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 Fall 1 EGBGB Eigentümerinnen des ehemaligen Bodenreform-
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grundstücks geworden. Ihr Rechtserwerb sollte nach dem Gesetz jedoch man-
gels eigener Zuteilungsfähigkeit (Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 3
EGBGB) und wegen der daraus folgenden Besserberechtigung des Fiskus
(Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EGBGB) nur vorläufig sein. Der vorläufige
Rechtserwerb steht einem beständigen Erwerb durch Erbgang nicht gleich und
lässt, anders als dieser, keine Berufung auf einen redlichen Erwerb des
Rechtsvorgängers zu (unten <1>). Daran ändert auch ein Verzicht des Besser-
berechtigten auf seinen Auflassungsanspruch oder auf dessen Durchsetzung
nichts (sodann <2>).
(1) Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 EGBGB weist das Eigentum an
Grundstücken eines bei Ablauf des 15. März 1990 bereits verstorbenen, aber
noch im Grundbuch eingetragenen Bodenreformeigentümers dessen Erben zu.
Diese Zuweisung ist nach § 11 Abs. 3 der Vorschrift allerdings mit der Verpflich-
tung verbunden, das Grundstück unentgeltlich an einen nach Art. 233 § 12
Abs. 2 EGBGB Besserberechtigten aufzulassen. Der Eigentumserwerb der Er-
ben nach Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 EGBGB soll also nur von
Dauer sein, wenn ihnen das Eigentum nach Art. 233 § 12 Abs. 2 EGBGB auch
endgültig zusteht, weil kein Besserberechtigter nach dieser Vorschrift vorhan-
den ist (Urteil vom 19. Oktober 2000 a.a.O. S. 15 f. unter c).
Art. 233 § 12 Abs. 2 EGBGB regelt die bessere Berechtigung, indem er die bis
zum 15. März 1990 geltenden Besitzwechselregelungen pauschalierend nach-
zeichnet (vgl. die amtliche Begründung, BTDrucks 12/2480 S. 84 ff.). Hier ist
Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB einschlägig, da das Flurstück … zum Stich-
tag nicht zu den Hausgrundstücken im Sinne der Nr. 1 der Vorschrift gehörte,
sondern ausweislich des Grundbuchs als Ackergrundstück für den Obstanbau
vorgesehen war. Seine gewerbliche Umnutzung und seine Bebauung mit zwei
Lagerhallen schließen die Anwendung des Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB
nicht aus. Aus dem Tatbestandsmerkmal der land- oder forstwirtschaftlichen
Nutzung ergibt sich nicht, dass die gewerbliche Zweckentfremdung landwirt-
schaftlicher Bodenreformgrundstücke zur Unanwendbarkeit der Vorschrift füh-
ren würde. Die land- oder forstwirtschaftliche Nutzung des Grundstücks ist
vielmehr Voraussetzung der Berechtigung desjenigen, dem es nach den Be-
sitzwechselvorschriften der DDR förmlich zugewiesen oder übergeben wurde
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(§ 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EGBGB) oder dem es als zuteilungsfähigem Erben
hätte zugewiesen werden können (§ 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. Abs. 3
EGBGB). Die subsidiäre Berechtigung des Fiskus nach § 12 Abs. 2 Nr. 2
Buchst. c EGBGB setzt keine land- oder forstwirtschaftliche Nutzung voraus.
Sie erfasst als Auffangtatbestand vielmehr sämtliche nicht zu den Hausgrund-
stücken nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB zählenden Grundstücke aus der Bo-
denreform, für die weder Zuweisungs- oder Übergabeempfänger noch zutei-
lungsfähige Erben vorhanden sind (BGH, stRspr, vgl. Urteile vom 16. Februar
1996 - V ZR 208/94 - BGHZ 132, 71 <77>, vom 20. September 1996 - V ZR
119/95 - VIZ 1997, 48 f.; vom 7. Februar 1997 - V ZR 107/96 - VIZ 1997, 296 f.
und vom 4. Februar 2000 a.a.O. S. 378 vor b).
Der Gesetzeszweck bestätigt diese Auslegung. Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB soll
die in der DDR nur unvollständig vollzogenen Besitzwechsel zum Abschluss
bringen. Dazu knüpft er an die Grundbuchposition als einzig verlässlichen Aus-
gangspunkt an und regelt die dauerhafte Berechtigung in Anlehnung an die
Grundsätze des Besitzwechselrechts, damit der Eigentumserwerb nicht von der
Zufälligkeit eines mehr oder weniger konsequenten Vollzugs dieser Vorschriften
durch die örtlichen DDR-Behörden abhängt. Der Auflassungsanspruch des Fis-
kus nach Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB dient dazu, die unterbliebene Rückfüh-
rung nicht zugeteilter und nicht zuzuteilender Grundstücke in den Bodenfonds
abzuwickeln (vgl. BTDrucks 12/2480 S. 84, 86, 89; BGH, Urteil vom 16. Februar
1996 a.a.O. S. 76 f.).
Für das Flurstück … ergibt sich die Besserberechtigung des Fiskus nach
Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EGBGB daraus, dass keine vorrangige Be-
rechtigung der Klägerinnen nach Buchstabe a oder b der Vorschrift besteht.
Beiden war das Flurstück … nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO für das Re-
visionsgericht bindenden, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachen-
feststellungen der Vorinstanz nicht förmlich zugewiesen oder übergeben wor-
den. Zu einer Berechtigung als Erbinnen der zuletzt im Grundbuch eingetrage-
nen Frau M. fehlte ihnen die in Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EGBGB vo-
rausgesetzte Zuteilungsfähigkeit nach § 12 Abs. 3 der Vorschrift. Beide Kläge-
rinnen waren weder bei Ablauf des 15. März 1990 noch während eines vor dem
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Stichtag liegenden zehnjährigen Zeitraums im Beitrittsgebiet in der Land-, Forst-
oder Nahrungsgüterwirtschaft tätig.
(2) Schon die objektive Besserberechtigung des Fiskus schließt eine Rechts-
nachfolge der Klägerinnen in die durch § 4 Abs. 2 VermG geschützte Eigen-
tumsposition ihrer Erblasserin aus. Auf den von der Vorinstanz angenommenen
Verzicht des Fiskus auf seinen Auflassungsanspruch kommt es weder nach den
einschlägigen zivilrechtlichen noch nach den vermögensrechtlichen Vorschriften
an. Bedenken gegen seine Wirksamkeit müssen daher nicht geklärt werden.
Nach dem systematischen Zusammenhang und dem Regelungszweck des
Art. 233 § 11 Abs. 2 und 3, § 12 Abs. 2 EGBGB entscheidet allein die Rangfol-
ge der Berechtigung nach § 12 Abs. 2 der Vorschrift darüber, ob die Erben kraft
Gesetzes dauerhaft in die Rechtsstellung des verstorbenen Bodenreformeigen-
tümers eintreten. Ist ein Besserberechtigter nach § 12 Abs. 2 EGBGB vorhan-
den, erweist sich der Eigentumserwerb der Erben nach Art. 233 § 11 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 Fall 1 EGBGB als vorläufig und unsicher, da der Besserberechtigte
seinen Anspruch auf unentgeltliche Auflassung nach Art. 233 § 11 Abs. 3
EGBGB jederzeit durchsetzen kann. Selbst wenn der Anspruch nach Art. 233
§ 14 EGBGB verjährt, können die Erben seine Durchsetzung nur durch Erhe-
ben der entsprechenden Einrede verhindern, ihn aber nicht zum Erlöschen
bringen. Gleiches gilt bei einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Verzicht
auf die gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs. Verzichtet der Besserberech-
tigte auf den Auflassungsanspruch selbst, führt dies zwar zu dessen Erlöschen
und zu einer Verfestigung des bis dahin nur vorläufigen Eigentumserwerbs der
Erben. Die Komplettierung ihres Eigentumserwerbs steht aber nicht einem Er-
werb durch Erbgang gleich, weil sie nicht durch gesetzliche Zuweisung bestän-
digen Eigentums in Anknüpfung an die Erbenstellung (vgl. Art. 233 § 12 Abs. 2
Nr. 2 Buchst. b EGBGB) zustande gekommen ist, sondern auf einer rechtsge-
schäftlichen Erklärung des Besserberechtigten beruht. Ein solcher Erwerb er-
möglicht es den Erben daher nicht, sich ebenso wie bei einem Eigentums-
erwerb durch Erbgang auf die Redlichkeit der verstorbenen Bodenreformeigen-
tümerin nach § 4 Abs. 2 VermG zu berufen.
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Aus dem systematischen Verhältnis der zivilrechtlichen Regelungen zu den ver-
mögensrechtlichen Vorschriften ergibt sich nichts anderes. Da Letztere durch
Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB nicht berührt werden (Art. 233 § 16 EGBGB), regelt
Art. 233 §§ 11 f. EGBGB nur das Rechtsverhältnis zwischen den Eigentümern
und einem etwa vorhandenen Besserberechtigten. Setzt dieser seinen An-
spruch auf unentgeltliche Auflassung durch, wird er zum Verfügungsberechtig-
ten nach § 2 Abs. 3 VermG und ist seinerseits gegebenenfalls zur Rückgabe
des Grundstücks an den Rückübertragungsberechtigten nach § 2 Abs. 1
VermG verpflichtet. Verzichtet er auf den Auflassungsanspruch, führt dies nur
dazu, dass das Grundstück nicht mehr an ihn übereignet werden muss. Den
Rückübertragungsanspruch des Berechtigten gegen den bisherigen Eigentü-
mer, der nun nach § 2 Abs. 3 VermG Verfügungsberechtigter bleibt, kann der
Verzicht des Besserberechtigten nicht zum Erlöschen bringen.
Der Regelungszweck des § 4 Abs. 2 VermG lässt ebenfalls nicht zu, die mit
dem Anspruchsverzicht einhergehende Verfestigung der vorläufigen Eigentü-
merstellung einem beständigen Rechtserwerb durch Erbgang gleichzustellen,
der die Berufung auf einen redlichen Erwerb der Rechtsvorgängerin ermöglicht.
§ 4 Abs. 2 VermG soll das Vertrauen in den Fortbestand einer in der DDR red-
lich erworbenen Rechtsposition schützen. Schutzwürdiges Vertrauen fehlt je-
doch, wenn der Erwerber nach der Rechtsordnung der DDR gerade nicht mit
dem Fortbestehen des Rechts rechnen konnte. Ist ein Besserberechtigter vor-
handen, weil die Erben nicht zuteilungsfähig waren, ist deren Vertrauen auf die
Beständigkeit ihres Eigentums nicht schutzwürdig (vgl. Urteil vom 19. Oktober
2000 a.a.O. S. 15). Die Regelung der Zuteilungsfähigkeit in Art. 233 § 12 Abs. 2
Nr. 2 Buchst. b, Abs. 3 EGBGB zeichnet, wie oben bereits dargelegt, pauscha-
lierend die subjektiven Voraussetzungen eines Eigentumserwerbs im Rahmen
des Besitzwechsels nach und konkretisiert die Bedingungen, unter denen ein
Erbe günstigstenfalls erwarten durfte, das Bodenreformeigentum des Erblas-
sers nach den Vorschriften der DDR zugewiesen zu erhalten. Erfüllte er diese
Bedingungen nicht, musste er mit der Rückführung des Grundstücks in den Bo-
denfonds rechnen. Sein Vertrauen, das Grundstück behalten zu dürfen, ist in
diesem Fall nicht schutzwürdig (Urteil vom 19. Oktober 2000 a.a.O.). Der Ver-
zicht des Besserberechtigten ändert nichts daran, dass dem Erben die Zutei-
lungsfähigkeit und damit auch die Schutzwürdigkeit seines Vertrauens auf den
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Fortbestand des Eigentums fehlt. Aus dem von den Klägerinnen angeführten
Zeitablauf allein lässt sich kein schutzwürdiges Vertrauen in einen Erwerb ohne
Zuteilungsfähigkeit herleiten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. von Heimburg
Dr. Deiseroth
Dr. Held-Daab
Brandt
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisions-
verfahren auf 254 623,36 € festgesetzt.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. von Heimburg
Dr. Deiseroth
Dr. Held-Daab
Brandt
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
offene Vermögensfrage
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
VermG
§ 1 Abs. 6; § 2 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1; § 3 Abs. 1, Abs. 4
Satz 3; § 4 Abs. 2
EGBGB
Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, Abs. 5; Art. 233 § 12
Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a, b, d, Abs. 3; Art. 233 § 16
Stichworte:
Auflassungsanspruch; Besserberechtigter; Bodenreform; Bodenreformeigentümer;
Bodenreformerbe; Bodenreformgrundstück; bodenreformrechtliche Beschränkun-
gen; Erbe; Erblasser; Genehmigung; Miterben; Rechtsvorgänger; Redlichkeit;
Verzicht; Volleigentum; Zuteilung; Zuweisung.
Leitsätze:
1. Erben eines Bodenreformeigentümers, die nach Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 Fall 1 EGBGB Eigentümer des ehemaligen Bodenreformgrundstücks gewor-
den sind, können einem vermögensrechtlichen Rückübertragungsanspruch den
redlichen Erwerb ihres Rechtsvorgängers nach § 4 Abs. 2 VermG entgegenhalten,
wenn sie nach Art. 233 § 12 Abs. 3 EGBGB zuteilungsfähig sind und kein Besser-
berechtigter im Sinne des Art. 233 § 12 Abs. 2 EGBGB vorhanden ist (wie Urteil
vom 19. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 91.99 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 49).
2. Die Besserberechtigung eines anderen steht einem Schutz der Erben durch § 4
Abs. 2 VermG auch dann entgegen, wenn der Besserberechtigte auf seinen Auf-
lassungsanspruch nach Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB oder auf dessen Durchset-
zung verzichtet hat.
Urteil des 8. Senats vom 23. Mai 2012 - BVerwG 8 C 25.11
I. VG Potsdam, Urteil vom 27.10.2011 - VG 1 K 658/08 -