Urteil des BVerwG vom 17.01.2013

Verteilung der Beweislast, Umkehr der Beweislast, Beteiligter, Nachlass

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 54.12
VG 8 K 1664/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Januar 2013
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frank-
furt (Oder) vom 15. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 105 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin begehrt die Rückübertragung von Vermögensgegenständen
(hauptsächlich Gemälde) aus dem Nachlass ihrer Tante, die als Malerin und
Grafikerin tätig und mit dem Maler Wilhelm K. verheiratet war. Der Beklagte
lehnte den Restitutionsantrag der Klägerin mit Bescheid vom 9. Oktober 1997
ab. Der Widerspruch blieb ebenso wie die Klage vor dem Verwaltungsgericht
erfolglos.
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Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfah-
rensmangels gestützte Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
1. Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzli-
chen Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist hinsichtlich der von ihr auf-
geworfenen Fragen nicht gegeben.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung nur zu, wenn die Be-
schwerde eine abstrakte Rechtsfrage aufwirft, die einer revisionsgerichtlichen
Klärung bedarf und von fallübergreifendem Gewicht ist. Daran fehlt es bezüglich
der Frage,
ob sämtliche Handlungen der K. A. GmbH grundsätzlich
als unlautere Machenschaften im Sinne von § 1 Abs. 3
VermG einzustufen sind.
Es handelt sich nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts
um einen von den Umständen des Einzelfalles geprägte, nicht jedoch um eine
abstrakte Rechtsfrage von fallübergreifendem Gewicht. Zum Verkauf der Nach-
lassgegenstände an die K. A. GmbH hat das Verwaltungsgericht festgestellt,
dass dieser dem Willen des anwaltlich vertretenen Erben Dr. F. und den dama-
ligen Vorschriften der DDR entsprach. Die Erbschaftssteuerschulden des Erben
waren nicht fingiert und sollten aus dem Nachlass bedient werden. Dass die
Klägerin diese Einschätzung und die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts
nicht teilt, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung. Mit ihren Einwänden, die Sammlungen seien zur Begleichung der
„Steuerschuld“ eingezogen worden und es sei für jedermann bei solchen Ge-
schäften erkennbar gewesen, dass es sich um eine staatlich geförderte „Kunst-
schieberei“ gehandelt habe, wendet sich die Klägerin gegen die richterliche
Überzeugungsbildung, legt aber keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dar.
Soweit die Klägerin geklärt wissen will, ob die zahlreichen Betrugsfälle durch
die K. A. GmbH die Umkehr der Beweislast rechtfertigen, ist die Durchführung
eines Revisionsverfahrens nicht erforderlich. Nach der Rechtsprechung des
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Bundesverwaltungsgerichts geht auch bei Anwendung des § 1 VermG die Un-
erweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen
herleiten will, grundsätzlich zu ihren Lasten, es sei denn, das Gesetz selbst trifft
- wie im Fall des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG - eine besondere Regelung. Eine
solche Regelung, die Anlass für eine andere Verteilung der Beweislast sein
könnte, enthält § 1 Abs. 3 VermG nicht. Demzufolge trägt derjenige, der die
Rückübertragung eines Vermögenswertes wegen einer Schädigungsmaßnah-
me nach § 1 Abs. 3 VermG beansprucht, die Beweislast dafür, dass der seiner-
zeitige Rechtsverlust auf eine unlautere Machenschaft zurückzuführen ist
(stRspr, z.B. Urteil vom 26. September 1996 - BVerwG 7 C 14.95 - Buchholz
428 § 1 VermG Nr. 88; Beschluss vom 27. Mai 2003 - BVerwG 7 B 46.02 -
RüBAROF 2004, Nr. 1).
2. Die Klägerin bemängelt ohne Erfolg, dass das Verwaltungsgericht eine über-
raschende Entscheidung getroffen hat und so ihren Anspruch auf Gewährung
rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt habe.
Ein Urteil stellt sich als Überraschungsurteil dar, wenn das Gericht einen bis
dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grund-
lage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung
gibt, mit der die Beteiligten nicht zu rechnen brauchten (stRspr, vgl. Beschluss
vom 25. Mai 2001 - BVerwG 4 B 81.00 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr.
34). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.
Die Anordnung der Nachlassverwaltung und die Veräußerung der Kunstgegen-
stände an die K. A. GmbH und die rechtliche Einstufung war bereits Gegen-
stand des streitgegenständlichen Bescheides vom 9. Oktober 1997 und des
Widerspruchsverfahrens. Im Klageverfahren haben die Beteiligten ihre unter-
schiedlichen Standpunkte zur Steuerschuld und zur Rolle der K. A. GmbH bei
dem Verkauf durch den Nachlassverwalter dargelegt. Die Klägerin konnte daher
nicht überrascht sein, dass das Verwaltungsgericht diesen Vortrag auch in sei-
ne Überlegungen mit einbezieht. Im Übrigen kann ein Beteiligter nicht erwarten,
dass das Gericht „Andeutungen“ zur Rechtslage und zur Einschätzung des
Sachverhalts macht. Ist ein Beteiligter anwaltlich vertreten, darf das Gericht da-
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von ausgehen, dass sich der Prozessbevollmächtigte mit der maßgeblichen
Sach- und Rechtslage hinreichend vertraut gemacht hat (Beschluss vom 25.
April 2001 - BVerwG 4 B 31.01 - Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 47). Ein Ge-
richt ist auch nicht verpflichtet, seine Schlussfolgerung aus den ihm vorliegen-
den Tatsachen mit den Beteiligten zu erörtern, zumal diese Würdigung letztlich
erst in der abschließenden Beratung vorgenommen werden kann (Beschluss
vom 31. August 1979 - BVerwG 2 B 18.77 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr.
109). Eine Aufklärungspflicht des Gerichts dahingehend, in welche Richtung
seine Entscheidung geht, besteht nicht. Im Übrigen legt die Klägerin nicht dar,
was sie noch vorgetragen hätte, wäre die vermisste Aufklärung erfolgt.
Das Verwaltungsgericht hat auch den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1
VwGO) nicht verletzt. Das Gericht hat im Rahmen der ihm obliegenden Sach-
verhalts- und Beweiswürdigung schlüssig ausgeführt, weshalb es davon aus-
geht, dass der Verkauf der Kunstgegenstände durch den Nachlassverwalter
keine schädigende Maßnahme gemäß § 1 Abs. 3 VermG darstellt. Hierbei hat
es berücksichtigt, ob die Steuerschulden evtl. vorgeschoben wurden, um die
Kunstgegenstände in staatliches Eigentum überführen zu können, und es hat
auch die Rolle der K. A. GmbH durchaus kritisch gesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52
Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Hauser
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