Urteil des BVerwG vom 30.06.2015

Unternehmen, Entschädigung, Kapitalwert, Vergleich

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 5.14
VG 29 K 100.11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juni 2015
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Christ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem im Wege schriftlicher Entscheidung
ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom
24. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Berechtigung an einem Grund-
stück wegen des verfolgungsbedingten Vermögensverlustes einer Beteiligung
an einem Unternehmen; ihren Anspruch hat sie auf Entschädigung beschränkt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausge-
führt, der der Klägerin grundsätzlich zustehende Anspruch auf ergänzende Sin-
gularrestitution bzw. Entschädigung nach § 1 des NS-Verfolgtenentschädi-
gungsgesetzes (NS-VEntschG) i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 4 Vermögensgesetz
(VermG) sei nach § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG ausgeschlossen. Es hat die
Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen.
2. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die von ihr formulierten
Rechtsfragen erfüllen die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht
und können deshalb die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeu-
tung der Rechtssache nicht rechtfertigen. Eine Rechtssache ist nur dann grund-
sätzlich bedeutsam, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung
einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den zugrun-
de liegenden Einzelfall hinausgehenden entscheidungserheblichen Frage des
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revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr; z.B. BVerwG, Beschluss vom
19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14).
Die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Rechtsfrage muss sich mithin in
dem angestrebten Revisionsverfahren stellen und klärungsbedürftig sein. Das
ist nicht der Fall, wenn sie sich unschwer aus dem Gesetz beantworten lässt
oder bereits durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt
ist (BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2010 - 8 B 106.09 - juris Rn. 2).
a) Die Klägerin möchte geklärt wissen,
ob dieselben Umstände, die einerseits einen Anspruch auf ergänzende Singu-
larrestitution oder -entschädigung nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG erst begrün-
den - namentlich das Ausscheiden eines im Osten belegenen Grundstücks aus
dem unmittelbaren oder mittelbaren Vermögen eines Westunternehmens durch
nach der Unternehmens- oder Anteilsentziehung erfolgten freihändigen Verkauf
und Rückgabe dieses Unternehmens nach dem Krieg aufgrund alliierten Rück-
erstattungsrechts - zugleich den Ausschluss dieser Ansprüche wegen bereits
erhaltener rückerstattungsrechtlicher Leistungen nach § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-
VEntschG begründen können,
und
ob ein Anspruch auf ergänzende Singularentschädigung nach § 3 Abs. 1 Satz 4
VermG ausgeschlossen ist, wenn der Kaufpreis oder die sonstige Gegenleis-
tung für das Grundstück im Zeitpunkt der Unternehmensrückgabe nach alliier-
tem Rückerstattungsrecht (noch) im zurückgegebenen Unternehmen vorhanden
war.
Diese Fragen bedürfen keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Die Vor-
schrift des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG gibt dem Berechtigten in Höhe seiner
früheren Unternehmensbeteiligung einen Anspruch auf Einräumung von Bruch-
teilseigentum an solchen Vermögensgegenständen, die mit einem nach § 1
Abs. 6 i.V.m. § 6 VermG zurückzugebenden oder einem bereits zurückgegebe-
nen Unternehmen entzogen oder von ihm später angeschafft worden sind und
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nicht mehr zum Vermögen dieses Unternehmens gehören. In der Rechtspre-
chung ist geklärt, dass der Gesetzgeber damit beabsichtigte, die Restitutionslü-
cke zu schließen, die dadurch entstehen kann, dass es in der sowjetischen Be-
satzungszone und in der DDR keine Wiedergutmachungsgesetze gab, die den
im Westen Deutschlands geltenden gleichwertig waren. Deshalb sollen nicht
nur die zwischen dem 30. Januar 1933 und 8. Mai 1945 geschädigten Unter-
nehmen selbst nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes zurückverlangt
werden können, sondern im Wege der Einzelrestitution auch die Vermögensge-
genstände, die nach der Schädigung des Unternehmens aus dessen Vermögen
ausgeschieden sind. Die vom Gesetzgeber angestrebte Gleichstellung mit den
rückerstattungsrechtlichen Vorschriften wird mithin dadurch erreicht, dass § 3
Abs. 1 Satz 4 VermG den Durchgriff - und im Fall einer mittelbaren Unterneh-
mensbeteiligung auch den "doppelten Durchgriff" - des Berechtigten auf sog.
"weggeschwommene" Gegenstände des Unternehmensvermögens zulässt. Die
Wiedergutmachungslücke, die das Gesetz schließen will, ist dabei nicht auf die
Unternehmen mit Sitz im späteren Beitrittsgebiet beschränkt, sie kann vielmehr
auch dann auftreten, wenn ein „Westunternehmen“ betroffen war, dem Vermö-
gensgegenstände im Beitrittsgebiet gehörten (BVerwG, Urteil vom 26. Juni
1997 - 7 C 53.96 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 18 S. 16).
Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt,
dass der Ausschluss von NS-Verfolgtenentschädigung nach § 1 Abs. 2 Satz 2
NS-VEntschG voraussetzt, dass hinsichtlich desselben Vermögensverlustes
eine rückerstattungsrechtliche Wiedergutmachung bereits tatsächlich erfolgt ist
(BVerwG, Urteil vom 17. März 2015 - 8 C 5.14 - juris). Danach kann ein auf § 3
Abs. 1 Satz 4 VermG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG gestützter An-
spruch auf Entschädigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG ausge-
schlossen sein, wenn sich die im Rückerstattungsverfahren seinerzeit vorge-
nommene Wiedergutmachung auch auf denjenigen Vermögensgegenstand er-
streckt, dessen Entschädigung nunmehr begehrt wird. Sind die Leistungen im
Rückerstattungsverfahren auch für die im Beitrittsgebiet gelegenen Vermö-
genswerte erbracht worden, besteht keine vermögensrechtlich zu schließende
Restitutionslücke. Denn es wäre in der Vergangenheit bereits das geschehen,
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was § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG nachzuholen bezweckt (BVerwG, Urteil vom
26. Juni 1997 - 7 C 53.96 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 18 S. 19).
Entgegen der Auffassung der Beschwerde trifft es danach nicht zu, dass in na-
hezu allen Fällen von "West-Unternehmen mit Ost-Grundstücken" eine Singula-
rentschädigung nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG über den "Kunstgriff" § 1 Abs. 2
Satz 2 NS-VEntschG ausgeschlossen wäre. Vielmehr kommt es entscheidend
darauf an, ob die im Rückerstattungsverfahren erbrachten Leistungen auch die
im Beitrittsgebiet gelegenen Vermögenswerte erfasst haben, eine Wiedergut-
machungslücke mithin nicht besteht. Dementsprechend hat das Verwaltungsge-
richt in dem angegriffenen Urteil maßgeblich auf die konkreten Umstände des
Einzelfalles abgestellt. Es ist unter eingehender Würdigung des im Jahr 1951
von der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Rückerstattungsverfahren ge-
schlossenen Vergleichs zu dem Ergebnis gelangt, dass durch den Vergleich der
geltend gemachte Vermögensverlust in Höhe des entzogenen Aktienpakets der
V. AG mit Wirkung vom 17. August 1938 (Zeitpunkt des verfolgungsbedingten
Zwangsverkaufs) vollständig wieder ausgeglichen worden sei und dass eine
Identität zwischen den geschädigten und dem wiedergutgemachten Vermö-
genswert vorliege. Durchgreifende Verfahrensrügen sind gegen die dem zu-
grunde liegenden Tatsachenfeststellungen nicht erhoben worden. Daran ändere
auch nichts, dass sich die Brauerei als Eigentümerin des Grundstücks bereits
seit 1921 in Liquidation befunden habe und unmittelbar nach Verkauf des
Grundstücks als letzten Vermögenswert im Handelsregister gelöscht worden
sei. Es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der Liquidationsüberschuss
im Verhältnis ihrer Beteiligung nicht auch der V. AG zugeflossen und im Kapi-
talwert der AG enthalten sei (UA S. 9). Insgesamt gelangt das Verwaltungsge-
richt unter Würdigung des Inhalts des gerichtlichen Vergleichs von 1951 zu dem
Ergebnis, dass Bezugspunkt dieses Vergleichs die Beteiligung an der V. AG
und damit mittelbar an der Aktienbrauerei war, wie sie zum Zeitpunkt des Ver-
mögensverlustes am 17. August 1938 bestanden hatte. Dieser Vermögensver-
lust habe in vollem Umfang wiedergutgemacht werden sollen. Zu dem genann-
ten Zeitpunkt habe das Grundstück in N. noch zum Betriebsvermögen der Akti-
enbrauerei gehört. Folglich seien rückerstattungsrechtliche Leistungen auch für
die durch das Aktienpaket vermittelte vermögensrechtliche Beteiligung an die-
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sem Grundstück erbracht worden. Der Umstand, dass die Klägerin diese Wür-
digung des Verwaltungsgerichts nicht teilt, verleiht der Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung.
Eine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der ersten beiden aufgeworfenen
Rechtsfragen ergibt sich auch nicht aus dem Einwand der Klägerin, das Verwal-
tungsgericht habe sich in dem angegriffenen Urteil von seiner eigenen früheren
Rechtsprechung auf befremdliche Weise abgekehrt. Das von der Klägerin in
diesem Zusammenhang in Bezug genommene Urteil des Verwaltungsgerichts
Berlin vom 24. Mai 2012 - 29 K 422.10 - (juris) betrifft einen anderen Sachver-
halt, in dem das Gericht bei der gebotenen Würdigung des konkreten Einzelfalls
die Frage, ob bereits im Rückerstattungsverfahren eine Wiedergutmachung des
nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG beanspruchten Vermögensgegenstands geleis-
tet worden war, verneint hat (VG Berlin, Urteil vom 24. Mai 2012 - 29 K 422.10 -
juris Rn. 25). Es hat darin die Annahme, der Gegenwert eines Grundstücksver-
kaufs von 1940 sei im Zeitpunkt der Rückgabe der Unternehmensanteile im
Jahr 1969 noch im Kontoguthaben der Gesellschaft enthalten gewesen, im
konkreten Fall für spekulativ gehalten und einer solchen generellen Annahme
eine Absage erteilt.
b) Die weiteren Fragen der Klägerin (wer trägt die Darlegungs- und Beweislast
dafür, dass bzw. ob die aus dem Grundstücksverkauf erlangte Gegenleistung
noch im Unternehmen vorhanden war; wie ist im Falle eines "non liquet" zu ver-
fahren; kann im Fall eines "non liquet" der Anspruch mit der Begründung abge-
lehnt werden, es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der Grundstücks-
erlös nicht dem Unternehmen zugeflossen und im Kapitalwert der zurückgege-
benen Gesellschaft enthalten gewesen sei, sowie nach welchen Kriterien wäre
Letzteres zu beurteilen) rechtfertigen eine Zulassung der Revision wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ebenfalls nicht. Die aufgeworfenen
Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren so nicht stellen. Das Verwal-
tungsgericht ist in dem angegriffenen Urteil - wie ausgeführt - davon ausgegan-
gen, dass der Vermögensverlust der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Wie-
dergutmachungsverfahren durch den 1951 geschlossenen Vergleich vollständig
ausgeglichen wurde und auch das in Rede stehende Grundstück in N. dem
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Vergleich unterfiel (UA S. 9 f.). Zweifel daran, dass der Liquidationsüberschuss
im Kapitalwert der V. AG enthalten war, bestanden nicht. Für eine "non liquet"-
Situation, deren rechtliche Behandlung die Klägerin mit den von ihr für grund-
sätzlich gehaltenen Fragen geklärt wissen möchte, fehlt es damit an einer
Grundlage.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Dr. Christ
Dr. Deiseroth
Hoock
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