Urteil des BVerwG vom 20.01.2015

Schutzzone, Brunnen, Trinkwasserversorgung, Gemeinde

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 BN 2.14
VGH 3 S 280/10
In der Normenkontrollsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Januar 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulas-
sung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 24. März 2014 wird zurückge-
wiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 60 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Antragstellerin, eine im Vorderen Wiesental gelegene Gemeinde, wendet
sich gegen eine Rechtsverordnung des Landratsamtes Lörrach zum Schutz des
Grundwassers im Einzugsgebiet der Trinkwasserbrunnen I bis III im Wasser-
schutzgebiet „Wilde Brunnen“.
Die Stadt Lörrach gewinnt ihr gesamtes Trinkwasser aus dem Grundwasserlei-
ter des Tals der Wiese. Im Gewann „Wilde Brunnen“, das vorwiegend auf der
Gemarkung der Antragstellerin liegt, wurden in den 70er Jahren drei Brunnen
errichtet; zum Schutz des Grundwasservorkommens wurde 1977 ein Wasser-
schutzgebiet festgesetzt.
Nach Überprüfung der hydrogeologischen Verhältnisse im Wiesental stellte das
vormalige Geologische Landesamt Baden-Württemberg (GLA) in einem Ab-
schlussgutachten von Oktober 1989 fest, dass die Schutzzonen der öffentlichen
Trinkwasserbrunnen insgesamt zu gering bemessen seien. Die Stadt Lörrach
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beantragte daraufhin Ende November 2003 die Erweiterung des Wasser-
schutzgebietes „Wilde Brunnen“.
Im März 2006 beschloss die Antragstellerin eine Fortschreibung ihres Flächen-
nutzungsplans, die u.a. im westlich an den Ortsrand von S. anschließenden
Bereich Wohnnutzung sowie südlich davon ein Mischgebiet vorsieht. Hinsicht-
lich dieser Flächen wurde die Fortschreibung vom Landratsamt Lörrach nicht
genehmigt, weil sie in dem als Schutzzone II vorgesehenen Gebiet liegen.
Die am 10. November 2009 erlassene Verordnung sieht für die Schutzzone II,
die gegenüber der Verordnung von 1977 von ca. 37 ha auf ca. 90 ha erweitert
wird, umfangreiche Bau- und Nutzungsverbote vor. Die Schutzzone III wird von
102 ha auf ca. 388 ha ausgedehnt. Der westlich des Ortsteils S. an die Bebau-
ung anschließenden bisher nahezu unbebauten Flächen im Talgrund der Wiese
liegen nunmehr im Bereich der Schutzzone II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag abgelehnt und zur
Begründung ausgeführt: Das Wohl der Allgemeinheit erfordere die Erweiterung
der Schutzzonen. Das Wasservorkommen der Brunnen I bis III sei trotz der pe-
riodisch vorkommenden Überschreitungen der Grenzwerte für coliforme Bakte-
rien im Brunnen III schutzwürdig. Der Schutzwürdigkeit stehe nicht entgegen,
dass die Schutzzone II nicht nach der 50-Tage-Linie bemessen sei. Die
50-Tage-Linie verlaufe teilweise innerhalb der Bebauung im Westen des Ge-
meindegebietes der Antragstellerin. Die Erweiterung der Zone II bis an den
westlichen Bebauungsrand stelle daher unter Berücksichtigung der vorhande-
nen Gegebenheiten den größtmöglichen Schutz dar. Die Ermittlung des Ein-
zugsgebietes beruhe auf tragfähigen wasserwirtschaftlichen und hydrogeologi-
schen Erkenntnissen. Der Erstellung eines numerischen Grundwassermodells
habe es nicht bedurft. Die Antragstellerin werde durch die Verordnung nicht un-
verhältnismäßig in ihrer Planungshoheit betroffen. Selbst wenn für die von der
Festsetzung der Schutzzone II betroffenen Gebiete von einer verfestigten und
konkretisierten Planung auszugehen wäre, müsste dieser Belang gegenüber
den konkreten Bedürfnissen der Trinkwasserversorgung zurücktreten.
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Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelas-
sen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist weder wegen eines Verfah-
rensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO noch wegen grundsätzlicher Be-
deutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
1. Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86
Abs. 1 VwGO nicht verletzt.
a) Die Notwendigkeit, ein von der Antragstellerin weder unbedingt noch hilfs-
weise beantragtes Sachverständigengutachten zur „Diskrepanz der der Was-
serschutzverordnung zugrunde liegenden fachlichen Ergebnisse“ (Ziffer 3.3 der
Beschwerdebegründung) einzuholen, musste sich dem Verwaltungsgerichtshof
nicht aufdrängen.
Die - unstreitige - Diskrepanz zwischen den berechneten und den mit dem Mar-
kierungsversuch gemessenen Fließgeschwindigkeiten des Grundwassers im
Schutzgebiet „Wilde Brunnen“ beruht nach der vom Verwaltungsgerichtshof auf
Seite 19 der Entscheidungsgründe wiedergegebenen Stellungnahme des Lan-
desamtes für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg (LGRB)
vom 26. September 2006 auf dem inhomogenen Aufbau der Talfüllung des
Wiesentals. Danach sind geringmächtige, besonders durchlässige Gerölllagen
verantwortlich für sehr schnelle Fließwege. Bei den aus Pumpversuchen ermit-
telten kf-Werten, die für die Berechnung der Zone II angesetzt werden, wird
über gut und gering durchlässige Schichten des Aquifers gemittelt (S. 7). Die
Inhomogenitäten werden bei den aus hydraulischen Kennwerten ermittelten
Fließgeschwindigkeiten nicht berücksichtigt (S. 5). Angesichts dieser von der
Antragstellerin nicht substantiiert angegriffenen sachverständigen Stellungnah-
me hatte der Verwaltungsgerichtshof keinen Anlass, ein Sachverständigengut-
achten einzuholen.
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Abweichendes folgt nicht daraus, dass der Markierungsversuch bereits im Jahr
1970 stattgefunden hat. Er ist ausweislich weiterer sachverständiger Stellung-
nahmen des LGRB, die der Verwaltungsgerichtshof in den Entscheidungsgrün-
den auf Seite 22 aufgeführt und auf Seite 24 inhaltlich ausgewertet hat, nach
den auch heute noch gültigen Regeln von Wissenschaft und Technik durch-
geführt und gut dokumentiert worden (LGRB, Stellungnahme vom 24. Oktober
2007, S. 2). Die hydrogeologischen Verhältnisse haben sich seit dem Jahr 1970
nicht verändert, so dass die Färbversuchsergebnisse noch heute ihre Gültigkeit
haben (LGRB, Stellungnahme vom 21. September 2006, S. 2). Nach den auf
eine Stellungnahme des LGRB vom 24. September 2004 gestützten Feststel-
lungen des Verwaltungsgerichtshofs hatten weder die Änderung der Be-
bauungssituation noch die Erhöhung des Versiegelungsgrades zur Folge, dass
sich die unterirdischen Fließverhältnisse geändert haben. Die Grundwasser-
neubildung aus Niederschlag ist für das Grundwasserdargebot im Wiesental nur
von untergeordneter Bedeutung (UA S. 23 f.).
Der Verwaltungsgerichtshof musste daher auch kein aktuelles numerisches
Grundwassermodell einholen. Abgesehen davon hätte nach der fachlichen Ein-
schätzung des LGRB in der Stellungnahme vom 24. Oktober 2007 ein numeri-
sches Grundwassermodell keine neuen Erkenntnisse oder eine Änderung der
flächenhaften Ausdehnung der Schutzzone II erbracht, weil ein Grundwasser-
modell die beobachteten und gemessenen Grundwasserfließverhältnisse, also
auch die mittels Markierungsversuch ermittelte modale Abstandsgeschwindig-
keit widerspiegeln muss (S. 2; UA S. 24).
b) Der Verwaltungsgerichtshof war nicht gehalten, ein Sachverständigengutach-
ten dazu einzuholen, „ob eine Verringerung der Schutzzone II um weitere 200
bis 250 m bzw. die Herausnahme des seitens der Gemeinde zur Wohn- und
Mischbebauung vorgesehenen Gebietes überhaupt eine relevante Erhöhung
des Risikopotenzials für das Grundwasservorkommen bedeutet hätte und ob
sich eine derartige Erhöhung unter Beachtung strenger Schutzanforderungen
für bauliche Anlagen ergeben hätte“ (Ziffer 3.1 der Beschwerdebegründung).
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Die Notwendigkeit eines solchen Sachverständigengutachtens musste sich dem
Verwaltungsgerichtshof schon deshalb nicht aufdrängen, weil nach seiner maß-
geblichen Rechtsauffassung der Nachweis eines drohenden Schadenseintritts
im Einzelfall nicht erforderlich ist, sondern es ausreicht, typischerweise gefähr-
lichen Situationen zu begegnen (UA S. 14 und 26).
Nach dem vom Verwaltungsgerichtshof insoweit in Bezug genommenen Ar-
beitsblatt W 101 der Richtlinien für Trinkwasserschutzgebiete des Deutschen
Vereins des Gas- und Wasserfachs (DVGW) von Juni 2006 (abgedruckt in: von
Lersner/Berendes, Handbuch des Deutschen Wasserrechts, Bd. 2, D 30) stel-
len u.a. die Ausweisung neuer Baugebiete, der Bau und Betrieb von Abwasser-
kanälen und der Neubau von Straßen für die Zone II regelmäßig ein sehr hohes
Gefährdungspotenzial dar (Tabelle 1, Nr. 2.2, 4.1 und 4.7). Gemäß Nr. 7 Satz 2
des Arbeitsblattes sind solche Maßnahmen in der Zone II in der Regel nicht
tragbar. Gegen eine allgemeine Orientierung an den Vorgaben des als „antizi-
piertes Sachverständigengutachten“ herangezogenen DVGW-Arbeitsblattes ist
nichts zu erinnern. Besondere Umstände, aufgrund derer es fachlich vertretbar
sein könnte, von der Regelvermutung des DVGW-Arbeitsblattes abzuweichen
und die Schutzzone II um die von der Antragstellerin für eine Wohn- und Misch-
bebauung vorgesehenen Flächen zu reduzieren, hat der Verwaltungsgerichts-
hof nicht festgestellt (UA S. 19 ff.).
Sie ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass die vorhandene Bebauung in
der Vergangenheit zu keinen Problemen für das Trinkwasservorkommen ge-
führt und der dem westlichen Bebauungsrand am nächsten gelegene Brunnen I
bisher keine bakteriologischen Belastungen aufgewiesen hat. Die von der An-
tragstellerin für eine Wohn- und Mischnutzung vorgesehenen Flächen schließen
westlich an die bereits vorhandene Bebauung an und liegen damit näher an den
Brunnen I bis III als die vorhandene Bebauung. Vor diesem Hintergrund ist die
Annahme der Antragstellerin, das Trinkwasservorkommen sei auch dann aus-
reichend geschützt, wenn man nicht nur die bereits bebauten, sondern auch die
für eine Bebauung vorgesehenen Flächen aus der Schutzzone II herausnähme,
fernliegend.
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Nicht weiter nachgehen musste der Verwaltungsgerichtshof zudem der Frage,
ob der Schutz des Trinkwasservorkommens im Gebiet „Wilde Brunnen“ ohne
Erweiterung der Schutzzone II durch strenge Schutzauflagen bei der Bauzulas-
sung gewährleistet werden könnte. Das mit den o.a. Baumaßnahmen in der
Schutzzone II regelmäßig verbundene sehr hohe Gefährdungspotenzial geht
nach den im angegriffenen Urteil auf Seite 20 wiedergegebenen Einlassungen
des Mitarbeiters Dr. S. vom LGRB in der mündlichen Verhandlung selbst bei
erhöhten Anforderungen an Material und Dichtigkeit vor allem von der Vermin-
derung von Deckschichten, den Bauphasen und den Kanalisationsanlagen aus.
c) Der Verwaltungsgerichtshof hat schließlich nicht deshalb gegen seine Aufklä-
rungspflicht verstoßen, weil er kein Sachverständigengutachten dazu eingeholt
hat, „welche städtebaulichen Notwendigkeiten sich aus der gegenwärtigen Lage
der Antragstellerin ergeben und inwieweit die Ausweisung des von ihr geplan-
ten und durch die Wasserschutzgebietsverordnung verhinderten Gebietes not-
wendig war“ (Ziffer 3.2 der Beschwerdebegründung).
Nach dem rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichtshofs führt die von der
Antragstellerin befürchtete Einschränkung ihrer Entwicklungschancen nicht zu
einem unverhältnismäßigen Eingriff in die kommunale Planungshoheit, weil die-
ser Belang gegenüber dem Interesse an einer gesicherten Trinkwasserversor-
gung zurücktreten müsse. Die Antragstellerin unterliege einer besonderen Situ-
ationsgebundenheit, weil die Stadt Lörrach zur Sicherstellung ihrer Trinkwas-
serversorgung auf das Grundwasservorkommen im Wiesental angewiesen sei.
Die Pläne zur Erweiterung des Wasserschutzgebietes hätten einen zeitlichen
Vorrang vor den während des Verwaltungsverfahrens beschlossenen Änderun-
gen des Flächennutzungsplans. Die Antragstellerin habe zudem nicht darge-
legt, dass sie für ihre gemeindliche Entwicklung zwingend gerade auf die Flä-
chen in der Schutzzone II angewiesen sei (UA S. 27 bis 29).
In der Beschwerdebegründung ist schon nicht dargetan, inwieweit die „städte-
baulichen Notwendigkeiten“ einem Sachverständigenbeweis zugänglich sind.
Zudem kann ihr nicht entnommen werden, warum sich dem Verwaltungsge-
richtshof die Einholung eines Sachverständigengutachtens aufdrängen musste,
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obwohl die Antragstellerin selbst darauf weder durch einen unbedingten Be-
weisantrag noch einen Hilfsbeweisantrag hingewirkt hat.
Aus der Bezugnahme der Antragstellerin auf ihre Ausführungen unter Ziffer
3.2.1.1 der Antragsbegründung vom 18. Mai 2010 sowie unter Ziffer 2 ihres
Schriftsatzes vom 27. Februar 2014 folgt nichts anderes. Die Ausführungen un-
ter Ziffer 3.2.1.1 der Antragsbegründung erschöpfen sich im Wesentlichen in
der Behauptung, bei den von der Ausweitung der Schutzzone II betroffenen
Flächen handele es sich um „die einzige Möglichkeit einer großflächigen Sied-
lungsentwicklung“. Dem als Beleg dafür zitierten Auszug aus einer Stellung-
nahme des Landschaftsarchitekten D. vom 10. Mai 2005 kann aber lediglich
entnommen werden, dass die Flächen, die aufgrund der naturräumlichen Be-
grenzungen des Wiesentals und damit der Orte S. und H. hier für eine weitere
Siedlungsentwicklung zur Verfügung stünden, relativ gering seien und in dem
Zusammenhang dem Gebiet um die Gewanne „Lange Neumatt/Niedere
Neumatt“ besondere Bedeutung für die Siedlungsentwicklung zukomme, weil
dieser Bereich aus landschaftsplanerischer Sicht eine vergleichsweise geringe
Konfliktdichte aufweise. Abgesehen davon, dass der Konflikt zwischen Trink-
wasservorkommen und baulicher Nutzung damit ausgeblendet wird, ergibt sich
daraus nicht, dass im gesamten Gemeindegebiet der Antragstellerin keine an-
deren geeigneten Flächen für eine städtebauliche Entwicklung zur Verfügung
stehen.
Die geltend gemachte „topographische Zwangslage“ der Antragstellerin wird
auch unter Ziffer 2 des Schriftsatzes vom 27. Februar 2014 nicht substantiiert
dargelegt. Dafür reicht die bloße Behauptung, die topographischen Verhältnisse
im Gemeindegebiet verhinderten eine Bebauung anderer Bereiche, ebenso we-
nig aus wie das mit einer Beweisanregung verknüpfte Vorbringen, eine andere
Siedlungsentwicklung könne zu einer Verschlechterung des örtlichen Klimas
und damit schlimmstenfalls zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Ein-
wohner der Antragstellerin führen.
2. Die Rechtssache hat nicht die von der Antragstellerin geltend gemachte
grundsätzliche Bedeutung.
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a) Die zu den Anforderungen an die fachlichen Grundlagen einer Wasser-
schutzgebietsverordnung unter Ziffer 2.2 der Beschwerdebegründung aufge-
worfenen Fragen,
Können zwischenzeitliche Entwicklungen trotz der langen
Zeit tatsächlich nur jeweils im Einzelfall berücksichtigt
werden oder gebietet ein auch in „wasserfachlicher“ Hin-
sicht langer Zeitraum die Durchführung neuer Versuche?
Gebietet eine derartige Diskrepanz aufgrund der mit der
Festsetzung des Wasserschutzgebietes verbundenen
Eingriffe in die Rechte Dritter vor dem Erlass der Wasser-
schutzgebietsverordnung die Ermittlung neuester Daten
und gegebenenfalls die Durchführung neuer Versuche?
könnten in einem Revisionsverfahren nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise
geklärt werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Erforderlich-
keit der Ausweisung eines Wasserschutzgebietes gerichtlich voll überprüfbar
(Urteil vom 2. August 2012 - 7 CN 1.11 - Buchholz 445.4 § 51 WHG Nr. 1
Rn. 20). Die Erforderlichkeit setzt auch der räumlichen Ausdehnung des Was-
serschutzgebietes Grenzen. Der Verordnungsgeber muss sich bei der Abgren-
zung des Wasserschutzgebietes - soweit möglich - an den hydrogeologisch-
hydraulisch ermittelten Grenzen des Wassereinzugsgebietes orientieren (Urteil
vom 2. August 2012 - 7 CN 1.11 - Buchholz 445.4 § 51 WHG Nr. 1 Rn. 21 f.).
Wesentliche Grundlage für die Festsetzung eines Wasserschutzgebietes und
die Grenzen der Schutzzonen ist daher die konzeptionelle Beschreibung der
hydrologischen, geohydraulischen und hydrochemischen Verhältnisse (vgl.
DVGW, Arbeitsblatt W 101, Nr. 4.1 und 5). Ob die dafür verwendete Datenlage
hinreichend aktuell und aussagekräftig ist, lässt sich nur anhand der Umstände
des Einzelfalles beurteilen. Namentlich kann wegen der je nach Örtlichkeit un-
terschiedlichen hydrogeologischen Verhältnisse und Grundwasserleitertypen
keine generelle Aussage dazu getroffen werden, wann Untersuchungsergeb-
nisse veraltet sind oder welche fachliche Methode zur Ermittlung der Abstands-
geschwindigkeit des Grundwassers (geohydraulisches Berechnungsverfahren
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oder Markierungsversuch; siehe DVGW-Arbeitsblatt
W 101, Nr. 4.3.1, 2. Abs.) vorzugswürdig ist.
b) Die unter Ziffer 2.3 und 2.4 der Beschwerdebegründung formulierten Fragen
zur Schutzwürdigkeit, Schutzbedürftigkeit und zur so genannten Schutzfähigkeit
eines Grundwasservorkommens,
Ist ein Grundwasservorkommen schutzwürdig, wenn sich
innerhalb seiner 50-Tage-Linie, die sich wenigstens über
einige Kilometer Entfernung von den Quellen bzw. Brun-
nen erstrecken soll, eine ausgedehnte Bebauung ein-
schließlich Industriegebieten befindet und somit andau-
ernd die abstrakte Gefahr einer Grundwasserverunreini-
gung gegeben ist?
Ist ein derartiges Wasservorkommen auch schutzbedürf-
tig?
Darf die nach der 50-Tage-Linie zu bemessende Abgren-
zung der Engeren Schutzzone II verkürzt werden, wenn
dies bedeutet, dass typischerweise zu erwartende beson-
dere Risiken für das Grundwasser aufgrund von Industrie-
und Gewerbebebauung sich verwirklichen können, ohne
dass eine Anhebung des Schutzniveaus, z.B. durch Aufla-
gen für bestehende Betriebe, erreicht wird?
Führt die Vorbelastung durch ein unmittelbares Neben-
einander von Wasserschutz und baulicher, insbesondere
gewerblicher Nutzung und insbesondere bei einer Verkür-
zung der Engeren Schutzzone II um eine wesentliche
Strecke gegenüber der 50-Tage-Linie dazu, dass die
Schutzwürdigkeit des Grundwasservorkommens nur ein-
geschränkt ist und bei der Abwägung im Rahmen der
Schutzfähigkeit anderen Belangen als dem Wasserschutz
deshalb ein höheres Gewicht zukommen darf?
Reicht jede Erhöhung des Gefährdungspotenzials für ein
Grundwasservorkommen aus, um ein absolutes Bauver-
bot innerhalb einer verkürzten, nicht an der 50-Tage-Linie
bemessenen Engeren Schutzzone II zu rechtfertigen,
wenn das Grundwasser ohnehin so schnell fließt, dass die
50-Tage-Linie weite Bereiche bebauten Gebietes einbe-
zieht und das Wasser somit über längere Strecken durch
dieses Gebiet geflossen ist, bis es die Quelle erreicht?
Oder muss die Erhöhung des Gefährdungspotenzials in
diesen Fällen einen wissenschaftlich nachweisbaren, sig-
nifikanten Grad haben, um derartig schwerwiegende Ein-
griffe in die Rechte Dritter zu rechtfertigen?
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rechtfertigen die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung
ebenfalls nicht.
Die Fragen gehen davon aus, dass sich innerhalb der 50-Tage-Linie eine aus-
gedehnte Bebauung einschließlich Industrie- und Gewerbebebauung befindet.
Dies hat der Verwaltungsgerichtshof weder festgestellt noch wird die Darstel-
lung der Antragstellerin durch das vorliegende Kartenmaterial bestätigt. Aus-
weislich der Anlage 1 zur Stellungnahme des LGRB vom 24. September 2004
liegt die 50-Tage-Linie der Brunnen II und III auf nahezu unbebautem Gebiet,
die 50-Tage-Linie des Brunnens I reicht zu einem geringen Teil in die angren-
zende Wohnbebauung hinein.
Ungeachtet dessen führen die von der Antragstellerin formulierten Fragen nicht
auf einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf.
Ein Wasservorkommen ist schutzbedürftig, wenn ohne die Unterschutzstellung
eine nicht unwesentliche Beeinträchtigung des Wasservorkommens nach seiner
chemischen Beschaffenheit oder seiner hygienischen oder geschmacklichen
Eignung für Trinkwasserzwecke befürchtet werden müsste. Schutzwürdig ist es
dann, wenn es nach seiner Quantität und Qualität für die öffentliche Trinkwas-
serversorgung geeignet ist. Umgekehrt fehlt es an der Schutzwürdigkeit, wenn
trotz Schutzanordnungen z.B. aus hydrologischen oder geologischen Gründen
eine nicht unwesentliche Beeinträchtigung des Wasservorkommens zu befürch-
ten ist und eine Trinkwassernutzung daher ausscheidet (Czychowski/Reinhardt,
WHG, 11. Aufl. 2014, § 51 Rn. 19).
Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann nur anhand der Umstände des
Einzelfalles beurteilt werden. Ein Rechtssatz des Inhalts, dass ein Wasservor-
kommen, dessen 50-Tage-Linie teilweise auch auf bebautem Gebiet liegt, ge-
nerell nicht oder weniger schutzwürdig/-bedürftig ist, lässt sich nicht aufstellen.
Auch von einer Zone II, deren räumliche Ausdehnung nur in geringem Maße
hinter der 50-Tage-Linie zurückbleibt, wird regelmäßig noch eine Schutzwirkung
für das Wasservorkommen ausgehen. Laut DVGW-Arbeitsblatt W 101 kann die
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Engere Schutzzone in der Praxis häufig nicht nach der 50-Tage-Linie bemes-
sen werden, wenn sie eine Reichweite von deutlich über 1 000 m erreicht oder
sogar das gesamte Einzugsgebiet umfassen würde. In diesen Fällen muss die
Zone II mindestens den Bereich einschließen, von dem erhöhte Gefahren für
das Grundwasser ausgehen können (Nr. 4.3.2). Als Mindestschutzzone in
diesem Sinne hat der Verordnungsgeber vorliegend den Bereich bis hin an den
westlichen Bebauungsrand der Antragstellerin festgesetzt (LGRB, Stellung-
nahme vom 24. Oktober 2007, S. 2). Im Übrigen muss die hygienische Reinheit
durch entsprechende Überwachung und Aufbereitung im Wasserwerk gewähr-
leistet werden (LGRB, Stellungnahme vom 26. September 2006, S. 7).
Ob die Festsetzung eines Schutzgebietes für ein schutzwürdiges und -bedürf-
tiges Grundwasservorkommen wegen unverhältnismäßiger Beeinträchtigungen
gegenläufiger Interessen scheitert bzw. einzuschränken ist, lässt sich nur an-
hand der jeweiligen Umstände des konkreten Falles beurteilen. Generalisieren-
de Aussagen sind insoweit auch dann nicht möglich, wenn die 50-Tage-Linie
über die Schutzzone II hinausreicht.
c) Die Revision ist schließlich auch nicht zur Klärung der unter Ziffer 2.5, 2.6
und 2.7 der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Fragen,
Ist die Planung einer Gemeinde, die aufgrund einer feh-
lenden Genehmigung nicht im aktuell gültigen Flächennut-
zungsplan ausgewiesen ist, bei der die Gemeinde aber
bereits Plangebiete und Nutzungsarten festgelegt hatte,
an der sie mittels Gemeinderatsbeschlüssen ausdrücklich
festhält und die durch eine Ergänzung des Flächennut-
zungsplans noch Wirksamkeit erlangen kann, konkret ge-
nug, um durch ein Wasserschutzgebiet „nachhaltig ge-
stört“ zu werden?
Gehen die Bedürfnisse der Trinkwasserversorgung der
kommunalen Planungshoheit vor, wenn die Gemeinde
aufgrund topographischer Gegebenheiten hinsichtlich ihrer
weiteren städtebaulichen Entwicklung ebenfalls situati-
onsbedingten Zwängen unterliegt?
Ist ein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung durch
ein absolutes Bauverbot im Rahmen der Festsetzung
eines Wasserschutzgebietes gerechtfertigt, wenn gerade
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Flächen betroffen werden, die für die städtebauliche Ent-
wicklung notwendig oder besonders sinnvoll sind?
zuzulassen.
Die Beschwerdebegründung legt hier einmal mehr Tatsachen zugrunde, die der
Verwaltungsgerichtshof (verfahrensfehlerfrei) nicht festgestellt hat, bzw. Rechts-
standpunkte, zu denen er ausdrücklich gegenteilige Positionen eingenommen
hat. Ersteres betrifft etwa die geltend gemachten städtebaulichen Zwänge, letz-
teres die Möglichkeit, den Flächennutzungsplan zu ergänzen. Hierzu hat der
Verwaltungsgerichtshof auf Seite 28 der Entscheidungsgründe festgestellt, dass
die Verfügung des Landratsamtes Lörrach vom 29. Mai 2006, mit der die Ge-
nehmigung des geänderten Flächennutzungsplans für die in der Schutzzone II
gelegenen Flächen versagt worden ist, bestandskräftig geworden ist, weil die
Antragstellerin keinen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen hat.
Abgesehen davon könnten auch diese Fragen in einem Revisionsverfahren
nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise geklärt werden. Sie betreffen die so
genannte Schutzfähigkeit, d.h. die Frage, ob das Wasservorkommen ohne un-
verhältnismäßige Beschränkung der Rechte Dritter geschützt werden kann. Da-
für muss u.a. geprüft werden, welche Betroffenheiten die Ausweisung des Was-
serschutzgebietes auslöst und welche zumutbaren Alternativen zur Trinkwas-
serversorgung abseits der Nutzung des in Rede stehenden Wasservorkom-
mens bestehen. Dies hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Ein-
zelfalles ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Nolte Schipper Brandt
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