Urteil des BVerwG vom 20.02.2015

Rechtliches Gehör, Rüge, Bodensee, Einfluss

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 13.14
VGH 3 S 619/12
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
- 3 -
hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Februar 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 10. Dezember 2013 wird zurückgewie-
sen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich
der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen
die Kläger zu 3, 4, 10, 13, 16 und 17 jeweils 1/11, die Klä-
ger zu 1 und 2, zu 5 und 6, zu 11 und 12 und zu 14 und 15
jeweils 1/11 als Gesamtschuldner und die Kläger zu 7, 8
und 9 als Gesamtschuldner 1/11.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 275 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Die Kläger wenden sich gegen einen wasserrechtlichen Planfeststellungsbe-
schluss vom 7. Dezember 2001 zur Renaturierung des Bodenseeufers vor K.
Der Beschluss betrifft den Uferabschnitt zwischen dem Gemeindehafen von K.
und der bayerischen Landesgrenze mit einer Länge von ca. 725 m. Er sieht in
zwei Bauabschnitten die Umgestaltung des Ufers durch eine Vorschüttung aus
Mineralboden und Kies, die Anlage eines Uferwegs, den Abbruch von Privathä-
fen und Grundstücksmauern sowie die Beseitigung von Stegen, Slippanlagen,
Bootsanlegestellen und sonstigen Verbauungen vor.
1
2
- 4 -
Die Kläger 1 bis 6 und 8 bis 17 sind oder waren zum Zeitpunkt der Klageerhe-
bung Eigentümer oder Miteigentümer von Ufergrundstücken im Planbereich,
der Klägerin zu 7 steht ein Nießbrauch an einem dieser Ufergrundstücke zu. Sie
machen u.a. Mängel der Umweltverträglichkeitsuntersuchung und -prüfung so-
wie erhebliche Beeinträchtigungen des Groppenvorkommens im bei Erlass des
Planfeststellungsbeschlusses gemeldeten, aber noch nicht gelisteten FFH-Ge-
biet "Eriskircher Ried und Argenmündung" geltend.
Während des im Januar 2002 anhängig gewordenen Klageverfahrens vor dem
Verwaltungsgericht hat das Landratsamt weitere Ermittlungen zu den Auswir-
kungen des Vorhabens auf das Groppenvorkommen in der K. Bucht vorge-
nommen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. März 2010 abgewie-
sen; der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Kläger mit Urteil vom
10. Dezember 2013 zurückgewiesen: Der Planfeststellungsbeschluss leide an
keinem erheblichen Rechtsfehler, der seine vollständige oder teilweise Aufhe-
bung oder zumindest die Feststellung seiner teilweisen Rechtswidrigkeit und
Nichtvollziehbarkeit erfordere. Das Vorhaben stehe im Einklang mit den natur-
schutzrechtlichen Vorgaben der FFH-Richtlinie. Der günstige Erhaltungszu-
stand der Groppe bleibe gewahrt. Erhebliche Abwägungsmängel lägen nicht
vor. Das hinsichtlich des Groppenvorkommens anzunehmende Abwägungsde-
fizit sei ohne Einfluss auf das Abwägungsergebnis.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelas-
sen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kläger.
II
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO zuzulassen.
3
4
5
6
7
8
- 5 -
a) Die Rüge des Klägers zu 3, der Verwaltungsgerichtshof habe einen Gehörs-
verstoß begangen, weil er auf sein Vorbringen, die Planfeststellungsbehörde
und/oder die Beigeladene hätten mit dem Verfasser der Umweltverträglichkeits-
untersuchung kollusiv zusammengewirkt, nicht eingegangen sei, greift nicht
durch.
Der Grundsatz rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, das gesamte
Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen wiederzugeben und zu
jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen. Es darf sich vielmehr auf
die Gründe beschränken, die für seine Entscheidung leitend gewesen sind. Der
Schluss von der Nichtbehandlung eines Vorbringens in den Entscheidungs-
gründen auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur
unter der Voraussetzung zulässig, dass das betreffende Vorbringen nach dem
Rechtsstandpunkt des Gerichts entscheidungserheblich und nicht offensichtlich
unsubstanziiert war (BVerwG, Beschluss vom 25. November 2014 - 4 B 37.14 -
Rn. 14).
Dies ist vorliegend nicht dargetan. Der Beschwerdebegründung des Klägers
zu 3 vom 26. März 2014 kann - von allem anderen abgesehen - schon nicht
entnommen werden, dass die von ihm in seinem Antrag auf Zulassung der Be-
rufung vom 11. Oktober 2010 aufgestellte Behauptung, die Umweltverträglich-
keitsstudie sei "bestellt" und deren Verfasser befangen, überhaupt Gegenstand
des Berufungsverfahrens geworden ist. Der Verwaltungsgerichtshof hatte inso-
weit auch keinen Anlass zu etwaigen Nachfragen oder Hinweisen an den Klä-
ger zu 3.
b) Die ohne Benennung der vermeintlich verletzten Rechtsnorm erhobene Rü-
ge, der Verwaltungsgerichtshof habe den entscheidungserheblichen Sachver-
halt "aktenwidrig" festgestellt (S. 10 f. der Beschwerdebegründung vom
31. März 2014), greift ebenfalls nicht durch.
Der Vorwurf, das Gericht sei von aktenwidrigen Feststellungen ausgegangen,
kann auf eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nach § 108 Abs. 1
Satz 1 VwGO führen, wenn zwischen den in der angegriffenen Entscheidung
9
10
11
12
13
- 6 -
getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Aktenin-
halt ein offensichtlicher, keiner weiteren Beweiserhebung bedürftiger, zweifels-
freier Widerspruch vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 11. September 2014 - 9 B
21.14 - juris Rn. 5).
Das zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf. Die Kläger machen geltend,
aus dem Bericht der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bo-
densee (IGKB) Nr. 35 von 1987 "Zur Bedeutung der Flachwasserzone des Bo-
densees" könne entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht
abgeleitet werden, dass der Verlust sublitoraler Lebensräume keine nachteili-
gen Wirkungen für die Flachwasserzone hat. Eine Feststellung mit diesem In-
halt hat der Verwaltungsgerichtshof nicht getroffen. Er hat im Gegenteil unter
Ziffer 2.2.5 auf Seite 58 der Entscheidungsgründe ausdrücklich ausgeführt,
dass die mit dem Vorhaben verbundene Reduktion des Flachwasserbereichs
mit einer Wassertiefe bis zu 2 m für die Selbstreinigungsfunktion der Flachwas-
serzone eher nachteilig sei. Die Reduktion betreffe aber nur einen schmalen
Geländestreifen und der dadurch entstehende Nachteil für die Selbstreinigungs-
funktion werde ohne Weiteres aufgewogen durch die positiven Auswirkungen
der geplanten Maßnahme, die sich aus dem vorgesehenen Abbruch der Ufer-
bebauungen ergäben.
Sollte die Rüge der Aktenwidrigkeit darauf zielen, dass die auf Seite 19 f. des
Planfeststellungsbeschlusses wörtlich zitierte Passage aus dem IGKB-Bericht
Nr. 35 (S. 36) die Bedeutung der obersten Flachwasserzone einschließlich des
Wasserwechselbereichs für die Selbstreinigungsfunktion gerade nicht belege,
sondern sich im Gegenteil auf den vollständig mit Wasser bedeckten Bereich
beziehe und daher die Auffassung der Kläger stütze, missverstehen die Kläger
die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs unter Ziffer 2.3.2.5 auf Seite 69
der Entscheidungsgründe. Dort verweist der Verwaltungsgerichtshof zunächst
erkennbar auf eine andere Passage auf Seite 19 des Planfeststellungsbe-
schlusses, um der Auffassung der Kläger entgegenzutreten, die Maßnahme
ziele nur oder vor allem auf eine Verbesserung der Selbstreinigungsfunktion
und die Verminderung der trophischen Belastung. Im Anschluss verhält er sich
dazu, welchen Flächen (Eulitoral, Sublitoral) größere Bedeutung für die Selbst-
14
15
- 7 -
reinigungsfunktion zukommt. In diesem Zusammenhang nimmt er Bezug auf
den IGKB-Bericht Nr. 35 (S. 25 ff.), der die Bedeutung der obersten Flachwas-
serzone einschließlich des Wasserwechselbereichs für die Selbstreinigungs-
funktion betone. Von aktenwidrigen Feststellungen kann insoweit keine Rede
sein. Auf Seite 29 des IGKB-Berichts findet sich die zusammenfassende Fest-
stellung, dass die oberste Flachwasserzone (d.h. der Bereich mit Wassertiefen
von 0 bis 2 m) mit ihrem Wasserwechselbereich im Sinne der dargestellten Kri-
terien die biologisch wertvollste Zone sei.
c) Es liegt auch kein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO vor.
aa) Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Aufklärungspflicht nicht dadurch ver-
letzt, dass er dem in der mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2013 ge-
stellten Hilfsbeweisantrag zur Wiederbesiedlung des Aufschüttungsbereichs
bzw. zur Wiederbesiedlung anderer Renaturierungsbereiche durch Groppen
nicht nachgegangen ist.
Mit der Frage der Wiederbesiedlung der Flachwasserzonen im Renaturierungs-
bereich nach Abschluss des Vorhabens hat sich der Verwaltungsgerichtshof
unter Ziffer 2.2.2 auf Seite 44 ff. der Entscheidungsgründe ausführlich und unter
Auswertung der von den Beteiligten vorgelegten schriftlichen Gutachten sowie
gutachterlichen Äußerungen in der mündlichen Verhandlung beschäftigt. Nach
den vom Verwaltungsgerichtshof auf Seite 53 der Entscheidungsgründe unter
2.2.2.8 getroffenen Feststellungen hat selbst der Sachverständige der Kläger,
Dr. K., in der mündlichen Verhandlung die Prognose einer Wiederbesiedlung
nicht ernstlich in Frage gestellt, sondern den Standpunkt vertreten, dass die
Wiederbesiedlung durchaus fünf Jahre in Anspruch nehmen könne und das
Vorkommen nicht mehr das Ausmaß der heutigen Population erreichen werde.
Die Wiederbesiedlung als solche war danach unstreitig, auf weitere sachver-
ständige Äußerungen zur Wahrscheinlichkeit einer Wiederbesiedlung in Auf-
schüttungsbereichen im Allgemeinen und im Besonderen vor K. kam es folglich
für den Verwaltungsgerichtshof nicht an.
16
17
18
- 8 -
Soweit die Kläger geltend machen, der Verwaltungsgerichtshof sei zu Unrecht
der Frage nicht nachgegangen, in welchem Zeitraum mit einer Wiederbesied-
lung der renaturierten Bereiche gerechnet werden kann, ist diese Rüge erst
nach Ablauf der Begründungsfrist am 3. April 2014 mit Schriftsatz vom 16. Juli
2014 erhoben worden. Abgesehen davon trifft nicht zu, dass der Verwaltungs-
gerichtshof die Einschätzung des Sachverständigen Dr. K., wonach eine Wie-
derbesiedlungszeit von durchaus fünf Jahren anzunehmen sei, ohne Begrün-
dung als "nicht überzeugend" bewertet hat. Ausweislich der Ausführungen des
Verwaltungsgerichtshofs unter Ziffer 2.2.2.8 (S. 53 der Entscheidungsgründe)
hat Dr. K. seine Einschätzung darauf gestützt, dass eine Vielzahl von Faktoren
verändert werden solle, deren Kombination zu einer erhöhten Sterblichkeit der
Groppen in der K. Bucht führen werde. Dieser Einschätzung ist der Verwal-
tungsgerichtshof nicht gefolgt, weil nach seinen näher begründeten Feststellun-
gen keiner der von Dr. K. genannten Faktoren in einer für die Groppen negati-
ven Richtung verändert werden soll.
bb) Dem Verwaltungsgerichtshof ist auch kein Verfahrensfehler unterlaufen,
weil er keine weiteren Ermittlungen zur voraussichtlichen Bauzeit angestellt hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert
die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht unter anderem
die substanziierte Darlegung, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachenge-
richt, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der
Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt
worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeich-
neten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müs-
sen. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfah-
rensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung
von Beweisanträgen, zu kompensieren (BVerwG, Beschluss vom 8. Januar
2015 - 7 B 25.13 - juris Rn. 19).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung vom 31. März 2014
nicht gerecht. Die Kläger legen nicht dar, warum sich dem Verwaltungsge-
richtshof im Nachgang zu den Erörterungen über die Bauzeit in der mündlichen
19
20
21
22
- 9 -
Verhandlung weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen, obwohl sie selbst
darauf weder durch einen unbedingten Beweisantrag noch durch einen Hilfs-
beweisantrag hingewirkt haben.
Es kann dahinstehen, ob - was in der Erwiderung des Beklagten vom 6. Juni
2014 (S. 10 unten) in Frage gestellt wird - zwischen den Beteiligten hinsichtlich
der Bauzeit tatsächlich eine Divergenz besteht oder ob die vom Vertreter des
Regierungspräsidiums prognostizierte Bauzeit von ca. zwei Monaten sich auf
eine parallele Bauausführung in den zwei Bauabschnitten in der Niedrigwasser-
zeit am Bodensee (Januar bis März) bezieht.
Der Verwaltungsgerichtshof stützt seine Annahme einer höchstens zweimonati-
gen Bauzeit auf die sachkundigen Angaben des Vertreters des Regierungsprä-
sidiums in der mündlichen Verhandlung (UA S. 44 unter Ziffer 2.2.1.4). Worauf
die Sachkunde dieses Vertreters beruht, ist in den Entscheidungsgründen zwar
nicht näher ausgeführt; sie begegnet aber im Hinblick auf dessen Eigenschaft
als Technischer Leiter des Landesbetriebes Gewässer im Regierungspräsidium
Tübingen sowie Leiter des Referats 53.2 "Gewässer erster Ordnung Neckar-
Bodensee" (S. 10 der Beschwerdeerwiderung) keinen Bedenken. Soweit die
Kläger darauf verweisen, dass die von ihnen beigezogenen Sachverständigen
eine Bauzeit von vier Monaten veranschlagt hätten, ist nicht dargetan, um wel-
che Sachverständigen es sich dabei handelt und woher diese die zur Beurtei-
lung der voraussichtlichen Bauzeit erforderliche Sachkunde beziehen; der Be-
klagte hat in seiner Beschwerdeerwiderung zutreffend darauf hingewiesen,
dass den in der Berufungsverhandlung auf Seiten der Kläger aufgetretenen
Gutachtern als Biologen nicht ohne Weiteres die insoweit erforderliche wasser-
bauliche Sachkunde zuerkannt werden kann.
Weitere Ermittlungen zur Bauzeit mussten sich dem Verwaltungsgerichtshof
schließlich auch nicht im Hinblick auf das - von den Klägern erst im nachge-
reichten Schriftsatz vom 16. Juli 2014 und damit nach Ablauf der Beschwer-
debegründungsfrist angesprochene - Schreiben der Gewässerdirektion Do-
nau/Bodensee vom 23. November 2004 aufdrängen. In diesem Schreiben wird
zu verschiedenen, vom Landratsamt in Erwägung gezogenen nachträglichen
23
24
25
- 10 -
Auflagen zum Planfeststellungsbeschluss Stellung genommen, darunter auch
zu einer Auflage mit dem Inhalt, dass die Maßnahme, soweit vom Wasserstand
des Bodensees her möglich, vor der Laichzeit der Groppe (Februar bis Mai)
begonnen werden solle. Hierzu heißt es, ein Baubeginn bis spätestens Ende
Januar 2005 könne vorbehaltlich entsprechender Bodensee-Wasserstände zu-
gesagt werden (Fertigstellung bis ca. Ende April/Mai). Es ist nicht erkennbar,
dass mit diesen vagen Angaben eine verbindliche Aussage zur notwendigen
Bauzeit getroffen werden sollte.
2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klä-
rung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der
Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden entscheidungser-
heblichen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137
Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
a) Die als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage
Ist es mit den Anforderungen des Unionsrechts vereinbar,
das Defizit einer Umweltverträglichkeitsprüfung auch dann
im Hinblick auf fehlende Ergebnisrelevanz als unerheblich
anzusehen, wenn dies dazu führt, dass im konkreten Fall
die Auswirkungen des Vorhabens auf ein gemeldetes
FFH-Gebiet unberücksichtigt bleiben?
unterstellt zu Unrecht, dass die Auswirkungen auf das gemeldete FFH-Gebiet
unberücksichtigt geblieben sind, weil Umweltverträglichkeitsuntersuchung und
-prüfung sich nicht zum Groppenvorkommen verhalten. Die Auswirkungen auf
das Groppenvorkommen sind im Klage- und Berufungsverfahren im Rahmen
der Prüfung, ob die geplanten Maßnahmen mit den Vorgaben der FFH-Richt-
linie (Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der na-
türlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen - ABl. L 206
26
27
28
- 11 -
S. 7) vereinbar sind, ausführlich behandelt worden, und zwar mit dem Ergebnis,
dass die Vorgaben eingehalten werden.
Zudem wird in der Beschwerdebegründung nicht näher dargelegt, mit welchen
konkreten Regelungen bzw. "Anforderungen" des Unionsrechts es unvereinbar
sein soll, dass der Verwaltungsgerichtshof das Abwägungsdefizit hinsichtlich
des Groppenvorkommens (UA S. 75) unter Bezugnahme auf die sog. Kausali-
tätsrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als unerheblich im Sinne
von § 75 Abs. 1a LVwVfG BW 1997 betrachtet hat. Soweit im Urteil des Ge-
richtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 7. November 2013 in der Rs.
C-72/12 (Altrip) Bedenken anklingen (Rn. 42 ff.), beziehen diese sich nicht auf
die Kausalitätsrechtsprechung als solche, sondern auf Fragen der Beweislast-
verteilung. Zudem betrifft das Urteil des EuGH - wie der Verwaltungsgerichtshof
zutreffend ausgeführt hat (UA S. 21) - den erst nach Erlass des streitgegen-
ständlichen Planfeststellungsbeschlusses mit der Richtlinie 2003/35/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 (ABl. L 156 S. 17)
eingefügten Art. 10a der UVP-Richtlinie (Richtlinie 2011/92/EU des Europäi-
schen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 - ABl. L 26 S. 1).
Hiermit setzt die Beschwerdebegründung sich nicht auseinander. Daran ändern
die ergänzenden Ausführungen in dem erst nach Ablauf der Beschwerdebe-
gründungsfrist vorgelegten Schriftsatz vom 16. Juli 2014 nichts. Auch dort ist
nicht dargelegt, angesichts welcher unionsrechtlichen Regelungen die Anwen-
dung der Kausalitätsrechtsprechung auf Mängel einer seinerzeit gemeinschafts-
rechtlich noch nicht gebotenen und vor Einfügung des Art. 10a UVP-Richtlinie
vorgenommenen Umweltverträglichkeitsprüfung Bedenken begegnet. Dafür
reicht der bloße Hinweis, das Verfahren beziehe sich auf einen unionsrechtlich
geregelten Sachverhalt, weil ein gemeldetes FFH-Gebiet betroffen sei, nicht
aus. Dies gilt umso mehr für eine Fallgestaltung wie die vorliegende, in der die
gerichtliche Prüfung ergeben hat, dass die habitatrechtlichen Anforderungen
gewahrt sind und deshalb nicht nur die konkrete Möglichkeit einer anderen Sa-
chentscheidung fehlt, sondern eine andere Sachentscheidung nachweislich
auszuschließen ist.
b) Für die weiter aufgeworfenen Fragen
29
30
- 12 -
Ist bei der Ermittlung der Erheblichkeit eines Flächenver-
lustes in Bezug auf ein gemeldetes FFH-Gebiet auch die
Fläche eines vom betroffenen Gebietsteil räumlich abge-
trennten Gebiets zu berücksichtigen, das von der Maß-
nahme in keiner Weise betroffen wird?
Scheidet die (Mit-)Berücksichtigung eines nicht betroffe-
nen Gebietsteils jedenfalls dann aus, wenn es für die Fra-
ge der Erheblichkeit auf die Möglichkeit der Wiederbesied-
lung eines betroffenen Gebiets ankommt und diese Frage
nur im Hinblick auf den unmittelbar von der Maßnahme
betroffenen Gebietsteil relevant ist?
fehlt es ebenfalls an substanziierten Darlegungen zur grundsätzlichen Klä-
rungsbedürftigkeit und -fähigkeit. Der Sache nach beschränkt sich die Be-
schwerdebegründung darauf, die rechtliche Würdigung des Verwaltungsge-
richtshofs, wonach keine ernsthafte Beeinträchtigung der ökologischen Merk-
male des gemeldeten FFH-Gebiets droht, als fehlerhaft anzugreifen.
Die erste Frage zielt offenbar auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts-
hofs zur Möglichkeit einer ernsthaften Beeinträchtigung der ökologischen Merk-
male eines gemeldeten FFH-Gebiets durch eine wesentliche Verringerung der
Fläche (UA S. 33 bis 35 oben). Warum diese auf gemeldete FFH-Gebiete be-
zogene Frage heute noch grundsätzlicher Klärung bedarf, namentlich für eine
Reihe anderer Fälle relevant sein soll, kann der Beschwerdebegründung nicht
entnommen werden. Vor allem aber ist nichts dafür dargetan oder sonst ersicht-
lich, warum die vom Verwaltungsgerichtshof vertretene Auffassung, der Flä-
chenverlust sei in Relation zur Fläche des Gesamtgebiets zu setzen, selbst un-
ter den im Berufungsurteil zugrunde gelegten Voraussetzungen, dass die Ge-
bietsteile in engem räumlichen Zusammenhang stehen und gleichen Erhal-
tungszielen dienen (UA S. 34), unionsrechtlich begründeten Zweifeln ausge-
setzt sein sollte.
Die zweite Frage betrifft die Maßstäbe für die Bewertung von Flächenverlusten
bei Betroffenheit geschützter Arten. Diese sind, soweit dies in verallgemeine-
rungsfähiger Weise möglich ist, in der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts bereits geklärt.
31
32
- 13 -
Danach kann anders als für den Verlust von Lebensraumtyp(LRT)-Flächen für
den Verlust von Habitatflächen geschützter Arten nicht die Grundannahme zum
Tragen kommen, im Regelfall sei jeder Flächenverlust (der nicht nur Bagatell-
charakter hat) erheblich. Während die Definition eines günstigen Erhaltungszu-
standes in Art. 1 FFH-Richtlinie für einen natürlichen Lebensraum u.a. darauf
abstellt, ob die Flächen, die er im natürlichen Verbreitungsgebiet einnimmt,
mindestens beständig sind (Buchst. e), kommt es für den günstigen Erhaltungs-
zustand einer Art nicht auf die Beständigkeit der Habitatfläche, sondern auf die
Beständigkeit der Art an (Buchst. i). Verluste von Habitatflächen führen daher
nicht ohne Weiteres zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes der
geschützten Art. Entscheidendes Kriterium ist vielmehr das der Stabilität, das
die Fähigkeit umschreibt, nach einer Störung wieder zum ursprünglichen
Gleichgewicht zurückzukehren. Ist eine Population dazu in der Lage, sei es,
dass sie für ihren dauerhaften Bestand in der bisherigen Qualität und Quantität
auf die verlorengehende Fläche nicht angewiesen ist, sei es, dass sie auf ande-
re Flächen ohne Qualitäts- und Quantitätseinbußen ausweichen kann, so bleibt
ein günstiger Erhaltungszustand erhalten und ist demgemäß eine erhebliche
Beeinträchtigung zu verneinen (BVerwG, Urteil vom 12. März 2008 - 9 A 3.06 -
BVerwGE 130, 299 Rn. 132). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist anhand
der jeweiligen Einzelfallumstände zu beurteilen.
c) Die Frage
Können eigentumsbetroffene Kläger im Rahmen ihrer An-
fechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss
dessen objektive Rechtswidrigkeit im Hinblick darauf rü-
gen, dass notwendige Maßnahmen zur Vermeidung
ernsthafter Beeinträchtigungen der ökologischen Merkma-
le eines gemeldeten FFH-Gebiets nicht durch Auflagen
zum Planfeststellungsbeschluss rechtlich abgesichert
werden?
rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung eben-
falls nicht. Der Umfang des Vollüberprüfungsanspruchs enteignungsbetroffener
Kläger im Rahmen von Anfechtungsklagen ist in der Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts bereits geklärt.
33
34
- 14 -
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unterliegt
der Anspruch des von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung Betroffenen auf
gerichtliche Überprüfung des Plans auf seine objektive Rechtmäßigkeit (sog.
Vollüberprüfungsanspruch) Einschränkungen. Danach führt nicht jeder objektiv-
rechtliche Fehler, der einer Planung anhaftet, zur (vollständigen oder teilweisen)
Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder zur Feststellung seiner
Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit. Diese Rechtsfolge scheidet vielmehr
aus, wenn der geltend gemachte Rechtsfehler für die Eigentumsbetroffenheit
des Klägers aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erheblich, insbe-
sondere nicht kausal ist. Das ist etwa dann der Fall, wenn ein als verletzt gel-
tend gemachter öffentlicher Belang nur von örtlicher Bedeutung ist und auch die
fehlerfreie Beachtung dieses Belangs nicht zu einer Veränderung der Planung
im Bereich des klägerischen Grundstücks führen würde. Auch ein Verstoß ge-
gen die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung kann der Anfechtungsklage ei-
nes Enteignungsbetroffenen nur dann zum Erfolg verhelfen, wenn dieser Ver-
stoß gerade kausal für seine Eigentumsinanspruchnahme ist. Schließlich kön-
nen Verstöße gegen zwingende Vorschriften des nationalen oder gemein-
schaftsrechtlichen Naturschutzrechts, namentlich der Habitat- und Vogelschutz-
richtlinie, dann nicht zu einem Erfolg eines Anfechtungsbegehrens führen, wenn
die Planung lediglich an Mängeln leidet, die für die Sachentscheidung nicht von
Einfluss gewesen sind oder durch eine schlichte Planergänzung zu beheben
sind (BVerwG, Urteil vom 12. August 2009 - 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308
Rn. 24 m.w.N.). Ob eine dieser Fallgruppen vorliegt, betrifft die Rechtsanwen-
dung im Einzelfall.
d) Die Frage
Ist eine Maßnahme noch von der naturschutzfachlichen
Einschätzungsprärogative der Planfeststellungsbehörde
gedeckt, wenn diese Bewertung maßgeblich auf einer
Fehlinterpretation einer fachlichen Einschätzung beruht?
35
36
- 15 -
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Die Kläger unterstellen
die "Fehlinterpretation einer fachlichen Einschätzung", für die hier nichts ersicht-
lich ist (s.o. unter 1. b).
e) Die Frage
Ist es von der naturschutzfachlichen Einschätzungs-
prärogative gedeckt, wenn die Verneinung erheblicher
Auswirkungen auf ein gemeldetes FFH-Gebiet nur bei der
Zugrundelegung eines "best case Szenario" möglich ist
und nicht bei der Zugrundelegung einer "konservativen"
Betrachtungsweise, also eines "worst case Szenario"?
unterstellt zu Unrecht, dass der Verwaltungsgerichtshof der Planfeststellungs-
behörde für die Beurteilung der Frage erheblicher Auswirkungen auf ein gemel-
detes FFH-Gebiet eine Einschätzungsprärogative zugebilligt habe; auch diese
Frage würde sich deshalb in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Die betref-
fenden Ausführungen im Berufungsurteil (UA S. 39 ff.) gehen für die insoweit
vorzunehmende gerichtliche Überprüfung von den Grundsätzen aus, die für die
Kontrolle von Verträglichkeitsprüfungen hinsichtlich bereits gelisteter Gebiete
gelten; sie betonen, aus wissenschaftlicher Sicht dürfe "kein vernünftiger Zwei-
fel" bestehen, dass ein günstiger Erhaltungszustand gewahrt bleibe (UA S. 35).
An diesen Maßstäben, die eine gerichtliche Vollkontrolle erfordern, hat der Ver-
waltungsgerichtshof seine gesamte nachfolgende Überprüfung in habitatrechtli-
cher Hinsicht ausgerichtet und dementsprechend, soweit er sich auf fachliche
Einschätzungen der Beklagten bzw. ihrer Gutachter bezogen hat, nicht auf de-
ren Vertretbarkeit, sondern auf das Fehlen ernstlicher Zweifel an ihrer Tragfä-
higkeit abgestellt.
f) Für die Fragen
Kommt eine Präklusion in einem wasserrechtlichen Plan-
feststellungsverfahren dann in Betracht, wenn der nicht
rechtzeitig geltend gemachte Belang erst nach Ablauf des
für die Präklusion maßgeblichen Zeitraums eine rechtlich
neue Bedeutung erlangt hat (hier Meldung eines Gebiets
als potentielles FFH-Gebiet)?
37
38
- 16 -
Kann in einer derartigen Konstellation eine gespaltene
bzw. teilweise Präklusion angenommen werden? Und
zwar in der Form, dass die Präklusion einerseits verneint
wird, soweit es um die Einhaltung der Vorgaben in der
FFH-Richtlinie geht, andererseits aber bejaht wird, soweit
es um das Vorliegen eines erheblichen Abwägungsfehlers
geht?
ist in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt, dass diese in einem Revisi-
onsverfahren entscheidungserheblich wären. Zwar trifft zu, dass der Verwal-
tungsgerichtshof auf Seite 75 f. der Entscheidungsgründe die Auffassung ver-
treten hat, die Kläger seien mit ihrem auf das Groppenvorkommen bezogenen
Einwand nicht im Hinblick auf die Einhaltung der Vorgaben der FFH-Richtlinie,
aber im Rahmen der (fachplanerischen) Abwägung präkludiert. Die Annahme
einer "Teilpräklusion" ist aber nicht allein entscheidungstragend. Der Verwal-
tungsgerichtshof hat vielmehr selbstständig tragend auch darauf abgestellt,
dass das hinsichtlich des Groppenvorkommens anzunehmende Abwägungsde-
fizit ohne Einfluss auf das Abwägungsergebnis im Sinne von § 75 Abs. 1a
LVwVfG BW sei (UA S. 75 unter ee)). Dabei hat er sich die Erwägungen des
Verwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen erheblicher Abwägungsmängel, die
sich auch zum Groppenvorkommen verhalten (UA S. 32 f. unter II.3.a), auf Sei-
te 71 der Entscheidungsgründe ausdrücklich zu eigen gemacht, seine Ausfüh-
rungen auf Seite 71 ff. der Entscheidungsgründe sollen diese lediglich ergän-
zen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 und 2, § 162
Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52
Abs. 1 und § 39 Abs. 1 GKG.
Dr. Nolte
Schipper
Brandt
39