Urteil des BVerwG vom 05.05.2015

Verwertung, Aufwand, Plangenehmigung, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 1.15
OVG 20 A 2013/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Mai 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller
beschlossen:
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwal-
tungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
24. September 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerde-
verfahren auf 60 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen
Erfolg.
1. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision greift für den - hier
gegebenen - Fall, dass das Urteil der Vorinstanz in je selbstständig tragender
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Weise mehrfach begründet ist, nur dann durch, wenn im Hinblick auf jeden der
tragenden Begründungsteile ein Zulassungsgrund geltend gemacht worden ist
und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1. Februar 1990 - 7 B
19.90 - Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 22 S. 2 und vom 19. August 1997 - 7 B
261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 15). Letzteres ist hier je-
denfalls zu verneinen, soweit das Oberverwaltungsgericht die von ihm ange-
nommene Rechtswidrigkeit der angefochtenen Plangenehmigung damit be-
gründet hat, dass es an dem für das Vorhaben der Beigeladenen nach § 36
Abs. 1 Satz 1 und 2 BauGB erforderlichen Einvernehmen der klagenden Ge-
meinde fehlt und dieses Einvernehmen auch nicht nach § 38 Satz 1 BauGB
entbehrlich ist, weil über das Vorhaben der Klägerin nicht in einem Verfahren
mit den Rechtswirkungen der Planfeststellung zu entscheiden war. Diese Be-
gründung trägt, was die Beschwerde nicht in Zweifel zieht, das angefochtene
Urteil selbstständig.
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO), die ihr die Beigeladene beimisst.
Die von der Beschwerde formulierten Grundsatzfragen führen nicht zur Zulas-
sung der Revision, da sie ausgelaufenes Recht zum Gegenstand haben. Sie
betreffen sämtlich § 4 Abs. 3 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirt-
schaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreis-
laufwirtschafts- und Abfallgesetz - KrW-/AbfG) vom 27. September 1994
(BGBl. I S. 2705), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 17. August
2012 (BGBl. I S. 1726). Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz wurde je-
doch durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Gesetzes zur Neuordnung des Kreis-
laufwirtschafts- und Abfallrechts vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212) mit Wir-
kung vom 1. Juni 2012 aufgehoben.
Entsprechend dem Zweck der Grundsatzrevision, eine für die Zukunft rich-
tungsweisende Klärung des geltenden Rechts herbeizuführen, rechtfertigen
Rechtsfragen zu ausgelaufenem und auslaufendem Recht regelmäßig - und so
auch hier - nicht die Zulassung einer Grundsatzrevision (stRspr, vgl. BVerwG,
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Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 1 B 3.09 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2
VwGO Nr. 18).
Die Beschwerde legt Gründe für die Zulassung einer Ausnahme von der Regel,
dass Fragen des ausgelaufenen Rechts die Revisionszulassung nicht rechtfer-
tigen, nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genü-
genden Weise dar. Eine Sache bleibt zwar trotz auslaufenden oder ausgelaufe-
nen Rechts dann grundsätzlich klärungsbedürftig, wenn sich bei der gesetzli-
chen Bestimmung, die der außer Kraft getretenen Vorschrift nachgefolgt ist, die
streitigen Fragen in gleicher Weise stellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom
20. Dezember 1995 - 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9
S. 12 f.). Dies muss jedoch offensichtlich sein, weil es nicht Aufgabe des Nicht-
zulassungsbeschwerdeverfahrens ist, in diesem Zusammenhang mehr oder
weniger komplexe Fragen des jetzt geltenden Rechts zu klären und die frühere
mit der geltenden Rechtslage zu vergleichen (BVerwG, Beschluss vom 5. Juni
2013 - 5 B 7.13 - juris Rn. 7). An dieser Offensichtlichkeit fehlt es hier.
§ 4 Abs. 3 KrW-/AbfG wurde durch § 3 Abs. 23 des Gesetzes zur Förderung der
Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von
Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz - KrWG) vom 24. Februar 2012 (BGBl. I
S. 212), zuletzt geändert durch § 44 Abs. 4 des Gesetzes vom 22. Mai 2013
(BGBl. I S. 1324) ersetzt. § 3 Abs. 23 KrWG weicht in seinem Wortlaut erheb-
lich von der Vorgängervorschrift ab. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 KrW-/AbfG
beinhaltet die stoffliche Verwertung die Substitution von Rohstoffen durch das
Gewinnen von Stoffen aus Abfällen (sekundäre Rohstoffe) oder die Nutzung der
stofflichen Eigenschaften der Abfälle für den ursprünglichen Zweck oder für an-
dere Zwecke mit Ausnahme der unmittelbaren Energierückgewinnung; eine
stoffliche Verwertung liegt vor, wenn nach einer wirtschaftlichen Betrachtungs-
weise, unter Berücksichtigung der im einzelnen Abfall bestehenden Verunreini-
gungen, der Hauptzweck der Maßnahme in der Nutzung des Abfalls und nicht
in der Beseitigung des Schadstoffpotenzials liegt. Demgegenüber ist nach § 3
Abs. 23 Satz 1 KrWG Verwertung im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes
jedes Verfahren, als dessen Hauptergebnis die Abfälle innerhalb der Anlage
oder in der weiteren Wirtschaft einem sinnvollen Zweck zugeführt werden, in-
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dem sie entweder andere Materialien ersetzen, die sonst zur Erfüllung einer
bestimmten Funktion verwendet worden wären, oder indem die Abfälle so vor-
bereitet werden, dass sie diese Funktion erfüllen. Der Gesetzgeber verfolgte mit
§ 3 Abs. 23 KrWG das Ziel, eine neue Bestimmung für den Begriff der Verwer-
tung einzuführen, die die bisherigen Begriffsbestimmungen in § 4 Abs. 3 und 4
KrW-/AbfG ablösen sollte (vgl. BT-Drs. 17/6052 S. 74). So wurde auch die
frühere gesetzliche Unterscheidung zwischen stofflicher und energetischer
Verwertung (§ 4 Abs. 3 und 4 KrW-/AbfG) aufgegeben. Daher setzt die Auffas-
sung der Beschwerde, die von ihr aufgeworfenen Grundsatzfragen stellten sich
auch im Hinblick auf § 3 Abs. 23 KrWG, eine umfassende Interpretation dieser
Vorschrift und einen daran anschließenden Vergleich mit § 4 Abs. 3 KrW-/AbfG
voraus, die nicht im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens erfol-
gen können.
3. Die von der Beschwerde geltend gemachte Abweichung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
14. April 2005 - 7 C 26.03 - (BVerwGE 123, 247) liegt nicht vor. Dabei bedarf es
keines Eingehens auf die Frage, ob hier der Zulässigkeit der Divergenzbe-
schwerde schon der Umstand entgegensteht, dass die behauptete Abweichung
mit § 4 Abs. 3 Satz 1 KrW-/AbfG eine Vorschrift betrifft, die nicht mehr in Kraft
ist (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 1 B 3.09 - Buchholz
310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 18 Rn. 9).
Das Oberverwaltungsgericht hat weder ausdrücklich noch der Sache nach
einen Rechtssatz des Inhalts gebildet, dass die Verfüllung einer Abgrabung mit
hierzu geeigneten Abfällen im Falle einer Verfüllpflicht des Abgrabungsunter-
nehmers stets (und nicht nur im Regelfall) als Maßnahme der Verwertung ein-
zuordnen sei. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Beantwortung der Frage, ob
es bei dem Vorhaben der Beigeladenen um eine Beseitigung oder um eine
Verwertung von Abfällen geht, im Einklang mit der Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteile vom 26. Mai 1994 - 7 C 14.93 -
BVerwGE 96, 80 <85> und vom 14. April 2005 - 7 C 26.03 - BVerwGE 123, 247
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schauung unter Berücksichtigung der Vorstellungen desjenigen ausgeht, der
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die Maßnahme durchführt. Dabei ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass der
Hauptzweck des Vorhabens in einer Verwertung der Abfälle bestehe. Der Bei-
geladenen gehe es in erster Linie darum, von der Pflicht befreit zu werden, die
Verfüllung mit unbelastetem Bodenaushub vorzunehmen. Die an dessen Stelle
tretenden Abfälle ersetzten Rohstoffe und erfüllten damit einen sinnvollen
Zweck. Dies sei auch aus wirtschaftlicher Sicht für die Beigeladene vorteilhaft.
Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass es der Beigeladenen in erster Linie
um die Beseitigung des Schadstoffpotenzials der Abfälle gehe, bestünden nicht.
Denn sie nutze bei der Verfüllung der Abfälle deren stoffliche Eigenschaften,
während die Beseitigung des Schadstoffpotenzials allenfalls ein Nebenzweck
sei. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Beigeladene wegen des
Schadstoffgehalts der Abfälle Geld für deren Annahme zur Ablagerung verlan-
gen könne, da sie zunächst nicht Abfallbesitzerin sei. Im Übrigen stehe der
Schadstoffgehalt von Abfällen im Allgemeinen der Annahme einer Verwer-
tungsmaßnahme nicht entgegen. Auch die sonstigen von dem Beklagten und
der Beigeladenen angeführten Gesichtspunkte reichten im Hinblick auf die Ver-
füllpflicht und den sich daraus bei objektiver Betrachtung ergebenden sinnvollen
Einsatz der Abfälle nicht aus, um eine im Hauptzweck auf die Beseitigung des
Schadstoffpotenzials der Abfälle gerichtete Maßnahme anzunehmen. Das
Oberverwaltungsgericht hat damit die von der Beschwerde vermisste, am
Hauptzweck des Vorhabens orientierte Würdigung des Sachverhalts und kei-
neswegs - wie die Beschwerde meint - eine "verschleierte" Reduktion eines
vom Bundesverwaltungsgericht gebildeten Rechtssatzes vorgenommen. Dass
die Beigeladene der Verfüllung einen anderen Hauptzweck beimisst als das
Berufungsgericht, begründet keine zur Zulassung der Revision führende Abwei-
chung.
4. Schließlich leidet das Berufungsurteil auch an keinem zur Zulassung der Re-
vision führenden Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Ein solcher liegt
nach Auffassung der Beschwerde der Feststellung des Oberverwaltungsge-
richts zugrunde, dass die Beigeladene durch die angefochtene Plangenehmi-
gung von der Pflicht befreit werde, sich mit finanziellem Aufwand unbelasteten
Boden für die Verfüllung besorgen zu müssen.
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a) Mit dieser Rüge wird ein Fehler in der Sachverhaltswürdigung angesprochen,
der einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätz-
lich nicht begründen kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Oktober 2001
- 9 BN 2.01 - Buchholz 401.65 Hundesteuer Nr. 7 S. 10 f. und vom 2. November
1995 - 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f.). Ein solcher ist
nur ausnahmsweise in den Fällen einer sogenannten Aktenwidrigkeit oder einer
gegen die Denk- oder Naturgesetze verstoßenden oder sonst von Willkür ge-
prägten Sachverhaltswürdigung in Betracht zu nehmen (stRspr, vgl. BVerwG,
Beschluss vom 21. September 2011 - 5 B 11.11 - juris Rn. 9).
Eine Aktenwidrigkeit der tatsächlichen Feststellungen liegt vor, wenn zwischen
den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen Annahmen und dem inso-
weit unumstrittenen Akteninhalt ein Widerspruch besteht. Dieser Widerspruch
muss offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klä-
rung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf; der Widerspruch muss also "zwei-
felsfrei" sein (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. April 2009 - 6 B 73.08 -
Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 60 Rn. 4 und vom 10. Mai 2011 - 8 B
12.11 - juris Rn. 15).
b) Nach dem Wortlaut der angegriffenen Feststellung entfällt durch die Plange-
nehmigung die Pflicht der Beigeladenen, sich mit finanziellem Aufwand unbe-
lasteten Boden besorgen zu müssen. Insoweit zeigt die Beschwerde allerdings
auf, dass die Beschaffung von unbelastetem Bodenaushub als solche nach
dem unumstrittenen Akteninhalt jedenfalls bislang nicht zu finanziellem Verlust
seitens der Beigeladenen geführt hat, da stets eine hinreichende Menge an un-
belastetem Bodenaushub zur Verfügung stand und die Beigeladene auch für
dessen Annahme und Verfüllung ein Entgelt verlangen konnte. Dass dieser
Umstand der Annahme widerspricht, das Besorgen unbelasteten Bodens sei
mit finanziellem Aufwand verbunden, erscheint aber jedenfalls nicht zweifelsfrei.
Finanzieller Aufwand kann der Beigeladenen zum Beispiel dadurch entstehen,
dass die vom Oberverwaltungsgericht in Bezug genommene Genehmigung des
Regierungspräsidenten K. vom 11. November 1993 eine Nebenbestimmung
enthält, nach der die Unbedenklichkeit des Bodenaushubs nachzuweisen ist.
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c) Jedenfalls lässt sich nicht feststellen, dass die Entscheidung auf der genann-
ten Feststellung beruhen kann. Diese dient dem Oberverwaltungsgericht zur
Begründung seiner Bewertung, dass die durch die angefochtene Plangenehmi-
gung zugelassene Verfüllung bestimmter Abfälle für die Beigeladene wirtschaft-
lich vorteilhaft sei. Diese Schlussfolgerung trifft indessen auch nach dem Vor-
bringen der Beschwerde unabhängig davon zu, ob die Beschaffung von unbe-
lastetem Bodenaushub finanziellen Aufwand verursacht. Die Beigeladene hat
im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nach ihrem in der Beschwerde wieder-
gegebenen Vorbringen selbst betont, dass die von ihr beantragte Nutzung ihres
Grundstücks als Abfalldeponie zu einer erheblichen Ertragssteigerung führen
werde. Im Übrigen macht die Beschwerde zwar geltend, dass die entschei-
dungstragende Ansicht des Oberverwaltungsgerichts, der Hauptzweck der Ver-
füllung sei auf die Verwertung und nicht auf die Beseitigung der Abfälle gerich-
tet, sich ohne die angegriffene Feststellung nicht aufrecht erhalten lasse, be-
gründet dies aber nicht und legt daher nicht in einer den Anforderungen des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar, dass die Entscheidung auf
dem Verfahrensmangel beruht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Nolte Dr. Philipp Dr. Keller
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