Urteil des BVerwG vom 08.11.2012

BVerwG: ddr, auslieferung, überstellung, eigentum, verwaltungsverfahren, anwendungsbereich, enteignung, eingriff, tod, faschismus

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 22.12
VG 11 K 210/07
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. November 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Pots-
dam vom 17. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt als Enkel und Erbeserbe der Frau M. deren verwaltungs-
rechtliche Rehabilitierung wegen der Wegnahme eines Pensionsbetriebes in
Brandenburg.
Die im Jahr 1971 verstorbene Frau M. wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als
Opfer des Faschismus anerkannt und erhielt als solche im Juli 1946 eine Neu-
siedlerstelle in P. (Mark Brandenburg) zugewiesen. Ihr wurde ferner genehmigt,
ein Wochenendheim für Opfer des Faschismus und Kulturschaffende zu bewirt-
schaften. Wegen Spionageverdachts wurde sie im April 1951 im Auftrag der
Sowjetischen Kontrollkommission (SKK) von der deutschen Volkspolizei festge-
nommen und der SKK übergeben. Die UdSSR verurteilte sie im Dezember
1951 wegen Sabotage zu 15 Jahren Freiheitsentzug. Zur Verbüßung wurde sie
im Januar 1952 nach Sibirien verbracht, wo sie bis zur Entlassung in die Bun-
desrepublik im Jahre 1955 blieb. Nach der Verbringung in die UdSSR bezeich-
nete sie die Volkspolizei als republikflüchtig. Aufgrund eines Beschlusses der
Landesbodenkommission vom 11. März 1952 wurde Frau M. als Eigentümerin
der Neusiedlerstelle aus dem Grundbuch gelöscht. Die Grundstücke wurden als
Eigentum des Volkes eingetragen, in Parzellen aufgeteilt und Neubauern zuge-
wiesen.
Wegen ihrer strafrechtlichen Verurteilung wurde Frau M. im Jahr 2000 von der
Russischen Föderation rehabilitiert. Verwaltungsverfahren auf Rückübertragung
der Grundstücke nach dem Vermögensgesetz, die von ihrer Tochter eingeleitet
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und nach deren Tod teilweise vom Kläger, ihrem sie allein beerbenden Sohn,
weiterverfolgt wurden, blieben zu erheblichen Teilen erfolglos. Ohne Erfolg blieb
auch der beim Beklagten bereits 1999 angebrachte streitgegenständliche An-
trag, alle Verwaltungsentscheidungen aufzuheben, die zum Eigentumsverlust
an der Neusiedlerstelle in P. geführt hatten, hilfsweise festzustellen, dass diese
Maßnahmen rechtsstaatswidrig waren, und die entzogenen Grundstücke und
Vermögenswerte zurückzuübertragen, zurückzugeben oder zu entschädigen.
Das Verwaltungsgericht hat diese Klage, nach der Einholung verschiedener
Auskünfte, abgewiesen und ausgeführt, es könne offen bleiben, ob das Verwal-
tungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) durch das Vermögensge-
setz verdrängt werde; denn jedenfalls lägen die übrigen Voraussetzungen für
eine Rehabilitierung nicht vor. Als Maßnahme, die zum Verlust der Neusiedler-
stelle geführt habe, komme nur der Beschluss der Landesbodenkommission in
Betracht. Er sei aber lediglich Folge der Rechtslage nach der Besitzwechsel-
verordnung gewesen. Danach sei es zwingend gewesen, Neubauernwirtschaf-
ten neu zu vergeben, wenn sie vom Eigentümer nicht mehr ordnungsgemäß
bewirtschaftet worden seien; nach den Gründen sei nicht differenziert worden.
Der Beschluss der Landesbodenkommission habe auch weder der politischen
Verfolgung gedient noch sei er ein Willkürakt gewesen. Andere Verfolgungs-
maßnahmen deutscher behördlicher Stellen, die einen Vermögensverlust der
Neusiedlerstelle unmittelbar bewirkt haben könnten, seien nicht ersichtlich. Ein
von deutschen Stellen im Sinne einer eigenen Maßnahme gelenkter Vermö-
gensentzug lasse sich wegen der eigenständigen Verfolgung der Frau M. durch
die SKK und deren faktisch unanfechtbaren Machtstellung in der gerade neu
gegründeten DDR auch bei einer Gesamtschau nicht feststellen.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwal-
tungsgerichts ist nicht begründet. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche
Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch liegt eine Diver-
genz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vor (2.).
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1. Die Beschwerde hält die Fragen für klärungsbedürftig:
(1) Ist die Auslieferung eines Bürgers der DDR unter Ver-
stoß gegen Art. 10 Abs. 1 der Verfassung der DDR vom 7.
Oktober 1949 und außerhalb eines geregelten rechtlichen
Verfahrens an die Strafverfolgungsbehörden eines ande-
ren Staates mit den tragenden Grundsätzen eines
Rechtsstaates schlechthin unvereinbar im Sinne des § 1
Abs. 1 VwRehaG?
(2) Ist die hoheitliche Maßnahme einer behördlichen Stel-
le zur Regelung eines Einzelfalls im Beitrittsgebiet, die zu
einer gesundheitlichen Schädigung, einer beruflichen Be-
nachteiligung oder (hier) einem Eingriff in Vermögenswer-
te geführt hat, auch dann mit tragenden Grundsätzen ei-
nes Rechtsstaats unvereinbar und auf Antrag aufzuheben,
wenn
− sie der früheren Rechtslage im Beitrittsgebiet entsprach
und eine (mögliche) gesetzliche Folge der politischen
Verfolgung war und/oder
− nicht nachgewiesen werden kann, dass diese Maß-
nahme selbst zum Zwecke der politischen Verfolgung
durchgeführt wurde,
sie jedoch unmittelbare, von den Verfolgern gewollte oder
zumindest gebilligte Folge der politischen Verfolgung war?
Die erste Frage sei eine entscheidungserhebliche Vorfrage für die verwaltungs-
rechtliche Rehabilitierung. Die Mitwirkung deutscher Stellen an der Überstellung
der Großmutter des Klägers an die sowjetische Besatzungsmacht sei mit tra-
genden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechthin unvereinbar gewesen. Es
sei zu klären, ob Folgeentscheidungen solcher rechtsstaatswidrigen Maßnah-
men, wie die Enteignung der Großmutter des Klägers, in den Anwendungsbe-
reich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes fallen, wenn sie zu
einer Benachteiligung des Betroffenen geführt hätten. Die zweite Frage betreffe
unmittelbar die tragenden Erwägungen des angefochtenen Urteils. Es sei zu
klären, ob behördliche Entscheidungen, die zu Vermögensverlusten führten, in
den Anwendungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
fielen, wenn sie zwar nicht selbst und unmittelbar der politischen Verfolgung
gedient hätten oder eine solche Zielrichtung, wie im vorliegenden Fall, nicht
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mehr nachgewiesen werden könne, sie aber doch unmittelbares Ergebnis einer
politischen Verfolgung gewesen seien.
a) Den aufgeworfenen Fragen fehlt nicht deshalb die Entscheidungserheblich-
keit, weil der Kläger nicht antragsberechtigt wäre. Nach § 9 Abs. 1 VwRehaG
kann der Antrag nach § 1 VwRehaG von einer natürlichen Person, die durch die
Maßnahme unmittelbar in ihren Rechten betroffen ist und nach deren Tod von
demjenigen, der ein rechtliches Interesse an der Rehabilitierung des unmittelbar
Betroffenen hat, gestellt werden. Ein rechtliches Interesse ist nur bei denkbaren
eigenen Folgeansprüchen anzuerkennen (vgl. Beschluss vom 21. März 2011 -
BVerwG 3 B 70.10 - ZOV 2011, 130 <131>). Allerdings sind Folgeansprüche
nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz -
VermG) hier nicht offensichtlich ausgeschlossen, was für die Antragsberechti-
gung nach § 9 VwRehaG genügt. Es ist auch mit Blick auf die abgeschlossenen
Verwaltungsverfahren nach dem Vermögensgesetz möglich, dass die streitigen
Grundstücke der Neusiedlerstelle auf der Grundlage einer Bescheinigung nach
§ 7 VwRehaG nach § 1 Abs. 7 VermG im Wege des Wiederaufgreifens von
Verfahren durchgesetzt werden können (zur Rückübertragung der enteigneten
Bodenreformwirtschaft eines Neubauern vgl. auch Urteil vom 28. Juni 1996 -
BVerwG 7 C 8.95 - BVerwGE 101, 287 <288 f.>).
b) Die Frage 1 müsste jedoch aus einem anderen Grund in einem Revisionsver-
fahren nicht beantwortet werden; denn die auf die Übergabe der Großmutter an
die SKK gerichtete Fragestellung geht bereits daran vorbei, dass diese vom
Kläger - fern der Rechtswirklichkeit - als „Auslieferung“ bezeichnete Maßnahme
angesichts der allgemeinkundigen, aber auch vom Verwaltungsgericht bindend
festgestellten Machtposition der Sowjets allein deren Tatherrschaft unterlag und
daher von vornherein keine eigenständige hoheitliche Maßnahme der Volks-
polizei war, die - wie ebenfalls vom Verwaltungsgericht festgestellt worden ist -
im ausdrücklichen Auftrag der SKK handelte.
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Abgesehen davon wird diese Überstellung an die Sowjets nicht vom Streit-
gegenstand des Verfahrens erfasst. Dieser wird durch den Klageantrag be-
grenzt, den Beschluss der Landesbodenkommission vom 11. März 1952 aufzu-
heben „sowie alle sonstigen verwaltungsrechtlichen Entscheidungen, mit denen
das [näher bezeichnete] Vermögen der Frau M. [...] enteignet worden ist“. Zu
diesen Entscheidungen gehört die Überstellung an die SKK ebenso wenig wie
die damit unmittelbar zusammenhängenden Vorgänge, was die Beschwerde mit
ihrer Frage zu 2 sinngemäß auch zugesteht. Dies ergibt sich aus der seinerzei-
tigen Rechtslage.
Die Entziehung der Neubauernwirtschaft wurde durch Beschluss der Landes-
bodenkommission vom 11. März 1952 angeordnet. Damit wurde eine Rechts-
folge vollzogen, die nach der Annahme des Verwaltungsgerichts in der Verord-
nung über die Auseinandersetzung bei Besitzwechsel von Bauernwirtschaften
aus der Bodenreform vom 21. Juni 1951 (Besitzwechselverordnung - GBl DDR
S. 629) vorgesehen war. Schon nach den Bodenreformverordnungen vom Sep-
tember 1945 wie später in den Besitzwechselverordnungen der Jahre 1951/56
und 1975/88 war das Bodenreformeigentum als persönliches Arbeitseigentum
des Neubauern ausgestaltet und unterlag entsprechend dem Ziel der Bodenre-
form, den „feudal-junkerlichen Großgrundbesitz“ zu beseitigen und durch Schaf-
fung neuer Bauernwirtschaften den Übergang zu einer sozialistischen Boden-
wirtschaft einzuleiten, vielfältigen Verfügungsbeschränkungen und personenbe-
zogenen Bindungen (s. hierzu näher Urteile vom 25. Februar 1994 - BVerwG 7
C 32.92 - BVerwGE 95, 170 <172 f.> und vom 28. Juni 1996 a.a.O. S. 289 f.).
Zu diesen gehörte die Pflicht, das Bodenreformeigentum entsprechend den
Grundsätzen der sozialistischen Bodenpolitik zu nutzen. Bei einem Verstoß ge-
gen diese Bewirtschaftungspflicht konnte das Bodenreformeigentum entschädi-
gungslos entzogen werden. Die Gründe dafür, warum das Bodenreformeigen-
tum nicht bewirtschaftet wurde, waren unerheblich (§ 9 der Besitzwechselver-
ordnung, vgl. Urteile vom 28. Juni 1996 a.a.O. S. 290 und vom 19. Mai 2005 -
BVerwG 7 C 18.04 - Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 15 S. 59). Vor diesem
Hintergrund hat die Überstellung der Großmutter des Klägers an die SKK zwar
letztlich zur Folge gehabt, dass sie ihre Neubauernstelle nicht bewirtschaften
konnte und damit die tatsächlichen Voraussetzungen eintraten, unter denen das
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Eigentum entzogen werden durfte, sie war jedoch nicht die Maßnahme, durch
die oder auf deren Grundlage der vom Kläger als rehabilitierungswürdig be-
zeichnete Vermögenszugriff vorgenommen wurde.
c) Mit der zweiten Frage will die Beschwerde - bei sachgerechtem Verständnis
der Fragestellung - geklärt wissen, ob eine Enteignung rehabilitierungsfähig ist,
wenn sie zwar selbst nicht rechtsstaatswidrig war, aber unmittelbare Folge einer
rechtsstaatswidrigen Maßnahme (hier der „Auslieferung“). Auch hier gilt zu-
nächst, dass diese Maßnahme angesichts der Machtverhältnisse eine solche
der Sowjets war, in deren Auftrag die Volkspolizei tätig wurde. Sieht man davon
ab, lässt sich die Frage auf der Grundlage des Gesetzes ohne Weiteres beja-
hen. § 1 VwRehaG setzt die Rechtsstaatswidrigkeit einer Verwaltungsentschei-
dung (Abs. 1 Satz 1) oder einer sonstigen hoheitlichen Maßnahme einer deut-
schen behördlichen Stelle (Abs. 5) voraus, nicht aber, dass die Folgen dieser
Maßnahme - eine gesundheitliche Schädigung, ein Eingriff in Vermögenswerte
oder eine berufliche Benachteiligung - ihrerseits rechtsstaatswidrig sind.
d) Soweit die Beschwerde auf Fragen der Kausalität abzielt, sind diese nach
dem bereits Ausgeführten schon deswegen nicht klärungsfähig, weil Frau M.
auch im Hinblick auf die vermeintliche Auslieferung einer Verfolgung durch so-
wjetische Stellen ausgesetzt war, in deren Gefolge sich die Tatsachen ergaben,
sie den Zugriff der deutschen Behörden auf das Bodenreformland rechtfertig-
ten. Dass die SKK durch deutsche behördliche Stellen manipuliert wurde, um
einen diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum der Frau M. zu erhalten, hat
das Verwaltungsgericht aufgrund einer eingehenden Würdigung der Umstände
nicht festgestellt. Gegen diese Würdigung ist revisionsrechtlich nichts Durch-
greifendes vorgebracht.
2. Das angefochtene Urteil weicht nicht vom Urteil des Bundesverwaltungsge-
richts vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 C 18.06 - (Buchholz 428.6 § 1
VwRehaG Nr. 9 = ZOV 2007, 67) ab.
Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn sich das
vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem
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seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz in Widerspruch gesetzt
hat zu einem ebensolchen Rechtssatz, der in einer Entscheidung eines diver-
genzfähigen Gerichts aufgestellt worden ist, und wenn das Urteil auf dieser Ab-
weichung beruht (stRspr, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B
261.97- NJW 1997, 3328 = Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14;
Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 29 ff.). Den sich daraus
ergebenden Darlegungsanforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Die
im Urteil vom 28. Februar 2007 behandelten Rechtsfragen waren für das Ver-
waltungsgericht nicht entscheidungserheblich. Die Entscheidung befasst sich
mit der Frage, unter welchen Umständen Ansprüche auf verwaltungsrechtliche
Rehabilitierung wegen eines Eingriffs in Vermögenswerte durch § 1 Abs. 1 Satz
2 VwRehaG ausgeschlossen sind, weil die eingreifende Maßnahme, derentwe-
gen Rehabilitierung verlangt wird, vom Vermögensgesetz erfasst wird. Das
Verwaltungsgericht hat aber gerade offen gelassen, ob das Verwaltungsrechtli-
che Rehabilitierungsgesetz nach § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG nicht anwendbar
ist (UA S. 13).
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133
Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Kley
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
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