Urteil des BVerwG vom 19.08.2013

BVerwG: rechtliches gehör, schuldfähigkeit, minderung, beamtenverhältnis, krankheit, erheblichkeit, erkenntnis, zwangslage, ausnahmezustand, beweisantrag

BVerwG 2 B 18.13
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 18.13
VG Münster - 22.06.2010 - AZ: VG 13 K 2535/09.O
OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 14.11.2012 - AZ: OVG 3d A 1605/10.O
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. August 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Kenntner
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. November
2012 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie des
Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO, § 67 Satz 1 LDG NRW) gestützte
Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist unbegründet.
2 1. Der 1955 geborene Beklagte steht als Justizobersekretär im Dienst des Klägers und war bis
zu seiner Suspendierung im Rahmen des Disziplinarverfahrens bei einer Staatsanwaltschaft
tätig. Im November 2008 wurde er wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und wegen
Verwahrungsbruchs rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Beklagte hatte die seine
Trunkenheitsfahrt betreffende Akte der Staatsanwaltschaft dem dortigen Dienstbetrieb durch
Manipulationen vorübergehend entzogen. Gegenstand der Disziplinarklage ist neben diesen
beiden strafgerichtlich abgeurteilten Taten der Vorwurf, im Zeitraum vom August 2000 bis Ende
2008 bei einem Sicherheitsdienst in erheblichem Umfang eine Nebenbeschäftigung gegen
Vergütung ausgeübt zu haben, ohne im Besitz der erforderlichen Genehmigung gewesen zu
sein, wobei der Beklagte bis April 2005 die Tätigkeit vollständig und anschließend deren
Umfang verschwiegen habe. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem
Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten
zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
3 Durch die fahrlässige Trunkenheitsfahrt habe der Beklagte keine außerdienstliche
Dienstpflichtverletzung begangen. Der Beklagte habe insoweit nicht gegen seine Pflicht zu
achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des Dienstes verstoßen. In Bezug auf
den Verwahrungsbruch und die Ausübung einer unerlaubten Nebentätigkeit sei von einem
einheitlich zu bewertenden, schweren innerdienstlichen Dienstvergehen auszugehen. Bei der
Gesamtwürdigung aller für und gegen den Beklagten sprechenden Umstände und seines
Persönlichkeitsbildes sei es erforderlich, ihn aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Er habe
das Vertrauen seines Dienstherrn und auch der Allgemeinheit unwiederbringlich verloren. Der
Beklagte habe sich weder in einer psychischen Ausnahmesituation befunden noch sei seine
Schuldfähigkeit im Tatzeitraum im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen.
4 2. Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
5 Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 67 Satz 1 LDG NRW) hat eine
Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende -
grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse
der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts
revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts
erheblich sein wird (stRspr, u.a. Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE
13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.
6 a) Als rechtsgrundsätzlich benennt die Beschwerde zunächst die Frage,
„ob die Entscheidung, ob die Erheblichkeitsschwelle im Sinne des § 21 StGB erreicht wird,
beantwortet werden kann, wenn Art, Intensität, Umfang und Qualität eines Eingangsmerkmales
des § 20 StGB nicht durch eine fachkundige externe Untersuchung ermittelt wurden, sondern nur
im Sinne einer juristischen Hypothese unterstellt werden“.
7 Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache nicht, weil sie sich im angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen würde.
8 Die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht habe das Vorliegen eines hochgradig
affektiven Ausnahmezustandes und damit eines Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20 und 21
StGB unterstellt, ohne die Umstände, die Intensität und die Qualität dieses Ausnahmezustandes
festzustellen, habe aber die Erheblichkeit der Minderung der Schuldfähigkeit des Beamten bei
der Tat verneint. Eine solche Vorgehensweise, die den Anforderungen an die Aufklärung der
Voraussetzungen der erheblich verminderten Schuldfähigkeit des betroffenen Beamten zum
Tatzeitpunkt nicht entspräche (Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 - BVerwG 2 B 61.10 - juris Rn.
9 und vom 11. Januar 2012 - BVerwG 2 B 78.11 - juris Rn. 5 f.), kann dem
Oberverwaltungsgericht aber nicht angelastet werden. Die Beschwerde bezieht sich insoweit auf
Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts, die das Oberverwaltungsgericht im Tatbestand
seines Urteils lediglich wiedergegeben hat (UA S. 19, erster Absatz).
9 Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr geprüft, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der
Beklagte zum Zeitpunkt des Verwahrungsbruchs an einer Krankheit gelitten hat, die seine
Fähigkeit, das Unrecht dieser Tat einzusehen oder nach dieser Erkenntnis zu handeln,
vermindert hat. Solche tatsächlichen Anhaltspunkte hat das Oberverwaltungsgericht nicht
festgestellt. Dabei hat es auch den vom Beklagten vorgelegten fachärztlichen Bericht der
Psychotherapeutin Dr. L.-W. vom November 2009 gewürdigt.
10 b) Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - wohl - auch in
Bezug auf den anerkannten Milderungsgrund der schockartig ausgelösten psychischen
Ausnahmesituation.
11 Insoweit genügt die Beschwerdebegründung aber nicht den Darlegungsanforderungen des §
133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde vermischt die Ausführungen zum Milderungsgrund
der schockartig ausgelösten psychischen Ausnahmesituation mit Überlegungen zur
Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB. Darüber
hinaus würde sich die Frage, ob einer schockartig ausgelösten psychischen Zwangslage ein nur
geringes oder überhaupt kein milderndes Gewicht zukommt, wenn der Beamte die Problemlage
selbst verursacht oder verschuldet hat, in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen.
Denn das Oberverwaltungsgericht hat diesen Milderungsgrund - selbstständig tragend - als nicht
gegeben angesehen, weil im Hinblick auf den Verwahrungsbruch keine hinreichenden
tatsächlichen Anhaltspunkte für eine durch Schock hervorgerufene psychische
Ausnahmesituation gegeben seien. Der Beklagte sei bei dem zu seinem Vorteil begangenen
Verwahrungsbruch über einen längeren Zeitraum hinweg planvoll, überlegt, umsichtig und
zielgerichtet vorgegangen. Auch insoweit knüpft die Beschwerdebegründung nicht an
Formulierungen des Oberverwaltungsgerichts, sondern des verwaltungsgerichtlichen Urteils an,
die das Oberverwaltungsgericht im Tatbestand seines Urteils lediglich wiedergegeben hat (UA
S. 19, erster Absatz).
12 3. Die Revision ist auch nicht wegen der vom Beklagten geltend gemachten
Verfahrensmängel zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 67 Satz 1 LDG NRW).
13 Das Recht des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) hat
das Oberverwaltungsgericht nicht verletzt. Denn es hat das Vorbringen des Beklagten, zum
Zeitpunkt des Verwahrungsbruchs sei seine Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich
gemindert gewesen, zur Kenntnis genommen und auch gewürdigt.
14 Das Oberverwaltungsgericht hat aber auch die ihm obliegende Pflicht zur Erforschung des
Sachverhalts von Amts wegen (§ 57 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz
1 VwGO) nicht verletzt. Da der Beklagte in der mündlichen Verhandlung keinen unbedingten
Beweisantrag im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO gestellt hat, kann eine Verletzung der
Amtsaufklärungspflicht nur angenommen werden, wenn sich dem Oberverwaltungsgericht vom
Standpunkt seiner Rechtsauffassung aus eine weitere Klärung der Schuldfähigkeit des
Beklagten durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen. Dies
hat die Beschwerde nicht aufgezeigt.
15 Die Disziplinargerichte, die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 und § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 86
Abs. 1 Satz 1 VwGO die erforderlichen Beweise erheben, haben der Frage der erheblichen
Minderung der Schuldfähigkeit des Beklagten zum Zeitpunkt der Tat nachzugehen, wenn hierfür
greifbare Anhaltspunkte bestehen (Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 a.a.O. Rn. 9, vom 11.
Januar 2012 a.a.O. Rn. 8 und vom 23. Februar 2012 - BVerwG 2 B 143.11 - juris Rn. 18). Das
Oberverwaltungsgericht hat aber verfahrensfehlerfrei festgestellt, dass tatsächliche
Anhaltspunkte für einen hochgradigen affektiven Ausnahmezustand des Beklagten zum
Zeitpunkt des Verwahrungsbruchs nicht vorlagen. Dagegen spricht die genaue Erinnerung des
Beklagten an die Vorgänge und sein planvolles und zielgerichtetes Vorgehen. Auch dem vom
Beklagten vorgelegten fachärztlichen Bericht der Psychotherapeutin Dr. L.-W. vom November
2009 können solche Hinweise nicht entnommen werden.
16 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts
bedarf es nicht, weil die Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG
NRW erhoben werden.
Domgörgen
Dr. Hartung
Dr. Kenntner