Urteil des BVerwG vom 20.06.2013

BVerwG: nationale sicherheit, staatssicherheit, ddr, anerkennung, republik, angehöriger, überführung, verwaltung, daten, begriff

BVerwG 2 B 71.12
Rechtsquellen:
StUG § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 9, § 19 Abs. 1 und § 20 Abs. 1 Nr. 9
BeamtVG §§ 12a und 55 Abs. 2
BBesG § 30
Stichworte:
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes; Verwendung; Anerkennung von
Beschäftigungszeiten; ehemalige Angehörige des Staatssicherheitsdienstes; inoffizielle
Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes; ruhegehaltfähige Zeiten; Tätigkeit für das Ministerium
für Staatssicherheit.
Leitsatz:
Auch frühere inoffizielle Mitarbeiter sind ehemalige Angehörige des Staatssicherheitsdienstes im
Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG.
Der Begriff der Tätigkeit „für“ das Ministerium für Staatssicherheit im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz
1 BBesG setzt eine bewusste und finale Unterstützung der Arbeit dieser Organisation voraus.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 71.12
VG Halle - 23.02.2011 - AZ: VG 5 A 320/08 HAL
OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 19.07.2012 - AZ: OVG 1 L 70/11
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Juni 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Kenntner
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 19. Juli 2012 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 39 276,96 €
festgesetzt.
Gründe
1 Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde des Klägers ist
unbegründet (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
2 1. Der 1943 geborene Kläger stand als Kriminaloberkommissar im Dienst des Landes
Sachsen-Anhalt. Mit Ablauf des Monats Juli 2003 trat er in den Ruhestand. Seit Mai 1969 war
der Kläger in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) als Volkspolizist tätig
gewesen, zuletzt im Rang eines Hauptmanns. Unter Berufung darauf, dass der Kläger in der Zeit
vom 16. Oktober 1986 bis 24. November 1989 als inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für
Staatssicherheit zur Sicherung der Konspiration/Sonstiges erfasst war, ließ die Beklagte bei der
Berechnung der fiktiven ruhegehaltfähigen Dienstzeit im Rahmen der Bestimmung der
Höchstgrenze nach § 55 Abs. 2 BeamtVG diesen Zeitraum sowie sämtliche davor liegende
Zeiten unberücksichtigt. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte vor dem
Verwaltungsgericht Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das
Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt:
3 Die maßgeblichen Vorschriften ließen es unverändert zu, dass die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR durch öffentliche Stellen für die Anerkennung
von Beschäftigungszeiten sowie für die Zahlung und Überführung der Renten ehemaliger
Angehöriger des Staatssicherheitsdienstes verwendet werden. Nach den verwertbaren
Unterlagen sei der Kläger in der Zeit vom Oktober 1986 bis November 1989 als inoffizieller
Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig gewesen. Damit seien dieser
Zeitraum und sämtliche davor liegenden Zeiten bei der Berechnung der fiktiven
ruhegehaltfähigen Dienstzeit im Rahmen der Bestimmung der Höchstgrenze nach § 55
BeamtVG nicht zu berücksichtigen.
4 2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache liegen nicht vor.
5 Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn
sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich
nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung
oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die
Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, u.a. Beschluss vom 2. Oktober
1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18).
6 Die Beschwerde bezeichnet ausdrücklich folgende Fragen als rechtsgrundsätzlich:
„Können die Daten und Unterlagen aus dem Bestand des Bundesbeauftragten für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
noch heute für die Anerkennung von Beschäftigungszeiten und die Berechnung
ruhegehaltfähiger Dienstzeiten angefordert werden?
Wenn nein, können Behörden und Dienststellen die Daten und Unterlagen des
Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
Deutschen Demokratischen Republik verwenden, die sich aus früheren Anfragen noch in ihrem
Besitz befinden oder unterliegen diese einem Vorhalte- und Verwertungsverbot?
Unterliegen tatsächlich sämtliche Zeiten einer Tätigkeit eines Beschäftigten für den früheren
Staatssicherheitsdienst und die davor liegenden Dienstzeiten ohne jedwedes
Differenzierungskriterium den besoldungs- und versorgungsrechtlichen Bestimmungen der § 55
BeamtVG, § 30 BBesG und § 12a BeamtVG und führen zur Verringerung der ruhegehaltfähigen
Dienstzeit?“
7 a) Die erste Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung
der Rechtssache nicht, weil sie sich nach den tatsächlichen Feststellungen des
Oberverwaltungsgerichts in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde.
8 Das „Anfordern“ von Daten und Unterlagen aus dem Bestand des Bundesbeauftragten für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR setzt voraus, dass sich die für
die Festsetzung der Versorgungsbezüge zuständige öffentliche Stelle an den
Bundesbeauftragten wendet und diesen um Mitteilung oder um die Herausgabe von dort
vorhandenen Unterlagen ersucht. Hier hat sich die Beklagte aber nicht an den
Bundesbeauftragten gewandt, sondern hat beim Land Sachsen-Anhalt vorhandene Unterlagen
aus dem Verfahren zur Überprüfung der weiteren Beschäftigung des Klägers im öffentlichen
Dienst verwendet. Diese Unterlagen hat die Beklagte dem Gericht zum Nachweis der
Rechtmäßigkeit ihrer Bescheide vorgelegt.
9 Im Übrigen lässt sich die aufgeworfene Frage auch ohne Durchführung eines
Revisionsverfahrens unmittelbar anhand des Gesetzeswortlauts bejahen.
10 Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vom 20. Dezember 1991 (- StUG -, BGBl I S.
2272), zuletzt geändert durch das Achte Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3106), haben öffentliche Stellen nur Zugang zu den
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes und dürfen sie nur verwenden, soweit dieses Gesetz
es erlaubt oder anordnet. Nach § 6 Abs. 9 Satz 1 StUG umfasst die Verwendung von Unterlagen
neben der Weitergabe von Unterlagen die Übermittlung von Informationen aus den Unterlagen
sowie die sonstige Verarbeitung und die Nutzung von Informationen. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1
StUG macht der Bundesbeauftragte Mitteilungen an öffentliche Stellen, gewährt ihnen Einsicht in
Unterlagen und gibt ihnen Unterlagen heraus, soweit deren Verwendung nach den §§ 20 bis 23,
25 und 26 StUG zulässig ist. § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG bestimmt ausdrücklich, dass Unterlagen,
soweit sie, wie hier, keine personenbezogenen Informationen über Betroffene oder Dritte
enthalten, durch öffentliche Stellen für die Anerkennung von Beschäftigungszeiten, Zahlung und
Überführung der Renten ehemaliger Angehöriger des Staatssicherheitsdienstes verwendet
werden dürfen. § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG unterliegt nicht der Stichtagsregelung des § 20 Abs. 3
StUG.
11 b) Damit stellt sich die zweite Frage, die ausdrücklich nur für den Fall der Verneinung der
ersten Frage aufgeworfen worden ist, nicht.
12 c) Die Beschwerdebegründung lässt aber erkennen, dass der Kläger die rechtsgrundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache - auch - in der Frage sieht, ob unter „Angehörige des
Staatssicherheitsdienstes“ im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG ausschließlich dessen
hauptamtliche Mitarbeiter zu verstehen oder auch inoffizielle Mitarbeiter des
Staatssicherheitsdienstes erfasst sind. Wird zu Gunsten des Klägers angenommen, dass die
rechtsgrundsätzliche Bedeutung auch dieser Frage in der Beschwerdebegründung den
Anforderungen des § 133 Abs. 3 VwGO entsprechend dargelegt ist, so rechtfertigt sie dennoch
nicht die Zulassung der Revision. Denn sie kann aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der
üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen
Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden.
13 Bereits der Wortlaut des Gesetzes und seine Systematik sprechen gegen die vom Kläger
vertretene Auffassung, unter „Angehöriger“ im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG seien lediglich
die hauptamtlichen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes zu verstehen, d.h. Personen, die in
einem offiziellen Arbeits- oder Dienstverhältnis des Staatssicherheitsdienstes gestanden haben
und Offiziere des Staatssicherheitsdienstes im besonderen Einsatz. Denn dann hätte der
Gesetzgeber in § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG diesen in § 6 Abs. 4 Nr. 1 StUG gesetzlich definierten
Begriff des hauptamtlichen Mitarbeiters verwendet.
14 Auch der erkennbare Gesetzeszweck spricht dagegen, § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG auf
hauptamtliche Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes zu beschränken und bereits den Kreis
der inoffiziellen Mitarbeiter auszuschließen, dem der Kläger nach den tatsächlichen
Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zuzurechnen ist.
15 § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG gestattet die Verwendung von Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes, die, wie hier, keine personenbezogenen Informationen über
Betroffene oder Dritte enthalten, für die Anerkennung von Beschäftigungszeiten sowie für die
Zahlung und Überführung der Renten ehemaliger Angehöriger des Staatssicherheitsdienstes.
Bezogen auf Beamte geht es dabei um den Vollzug von Vorschriften, die, wie etwa § 12a
BeamtVG, vorsehen, dass Zeiten nach § 30 des Bundesbesoldungsgesetzes nicht
ruhegehaltfähig sind. § 30 Abs. 1 BBesG bestimmt, dass die Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1
BBesG über die berücksichtigungsfähigen Zeiten nicht gilt für Zeiten einer Tätigkeit für das
Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für Nationale Sicherheit sowie für die vor einer
solchen Tätigkeit zurückgelegte Zeiten. Auch § 26 des Gesetzes zur Neuregelung des
Besoldungsrechts des Landes Sachsen-Anhalt vom 8. Februar 2011 (GVBl LSA, S. 68) trifft eine
vergleichbare Regelung.
16 Für das nach diesen Normen entscheidende Merkmal einer Tätigkeit für das MfS oder das
Amt für Nationale Sicherheit kommt es nach Wortlaut und Systematik der Norm nicht darauf an,
in welcher Stellung die Tätigkeit ausgeübt wurde. § 30 Abs. 1 BBesG findet auch auf Beamte
Anwendung, die in der ehemaligen DDR für das MfS als inoffizielle Mitarbeiter tätig gewesen
sind (BVerfG, Beschluss vom 4. April 2001 - 2 BvL 7/98 - BVerfGE 103, 310 <312>; vgl.
Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bundesbesoldungs- und –
versorgungsanpassungsgesetz 1992, BTDrucks 12/3629, S. 27 zu Nr. 1).
17 Dies lässt sich auch den Materialien der Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
entnehmen. Ursprünglich regelte § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG in der Fassung des Gesetzes vom 20.
Dezember 1991 lediglich die Verwendung der Unterlagen für die „Anerkennung
ruhegehaltfähiger Zeiten“. Diese Regelung hatte der Gesetzgeber als Auffangregelung für die
Mitteilung auch für „inoffizielle Tätigkeiten für das MfS“ konzipiert. Sie erschien dem Gesetzgeber
jedoch als zu eng gefasst, weil sie wegen des Begriffs der ruhegehaltfähigen Zeiten nur auf
Beamte anwendbar war. Öffentliche wie nichtöffentliche Stellen sollten in die Lage versetzt
werden, aufgrund der Mitteilungen auch zu inoffiziellen Tätigkeiten für das MfS Entscheidungen
über die Festsetzung von Beschäftigungszeiten von sonstigen Arbeitnehmern treffen zu können
(Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BTDrucks 13/5816, S. 9 zu Nr. 4a
und 4b). Dementsprechend wurden durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-
Gesetzes vom 20. Dezember 1996 (BGBl I S. 2026) die Worte „ruhegehaltfähiger Zeiten“ durch
die Worte „von Beschäftigungszeiten“ ersetzt.
18 d) Bei der letzten Frage geht es dem Kläger nach der Beschwerdebegründung um die
Klärung, ob die Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 BBesG vom Umfang der Tätigkeit des
Betreffenden für das MfS oder das Amt für Nationale Sicherheit, vom Ausmaß der Schädigung
Dritter durch diese Tätigkeit oder von der Möglichkeit des Betroffenen abhängt, sich einer
solchen Mitarbeit zu entziehen. Auch diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht,
weil sich die rechtsgrundsätzliche Bedeutung des Begriffs der „Tätigkeit für das MfS oder das
Amt für Nationale Sicherheit“ im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 1 BBesG ohne Durchführung eines
Revisionsverfahrens auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts klären lässt.
19 Grundgedanke des § 12a BeamtVG i.V.m. § 30 Abs. 1 BBesG ist es, Zeiten im öffentlichen
Dienst der DDR, die durch eine in verschiedener Weise herausgehobene Nähe zum
Herrschaftssystem des Landes gekennzeichnet waren, von der Anerkennung als ruhegehaltfähig
auszunehmen. Die Regelung geht davon aus, dass solche Dienstzeiten, während derer der
Beamte außerhalb des Rahmens einer rechtsstaatlichen Verwaltung handelte, nicht mit
Tätigkeiten in der rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten öffentlichen Verwaltung der
Bundesrepublik Deutschland gleichgestellt und deshalb nicht als ruhegehaltfähig anerkannt
werden dürfen. Vor dem Hintergrund seines weiten Gestaltungsspielraums kann sich der
Gesetzgeber für diese Differenzierung auf vernünftige, nachvollziehbare Gründe von
hinreichendem Gewicht berufen. Die Tätigkeit des Beamten für das MfS begründet Zweifel an
seiner persönlichen Eignung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG. Diese Zweifel sind zwar nach der
Einschätzung des Dienstherrn aufgrund der vorzunehmenden Einzelfallprüfung nicht so
schwerwiegend, dass sie zu einer Entlassung z.B. nach dem Sonderkündigungstatbestand des
Absatzes 5 Nr. 2 der Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 1 des
Einigungsvertrages geführt haben. Sie schließen jedoch eine Honorierung solcher Dienstzeiten
durch eine Gleichstellung mit Zeiten einer Tätigkeit in einer rechtsstaatlichen Verwaltung aus.
Dadurch, dass diese Zeiten nicht berücksichtigt werden, kommt zum Ausdruck, dass sie sich im
Gesamtgefüge der nach Dienstdauer abgestuften Höhe der Versorgung nicht auch noch positiv
auswirken sollen. Dieser Überlegung liegt letztlich - ähnlich wie den
Sonderkündigungstatbeständen nach dem Einigungsvertrag - die Einschätzung zugrunde, dass
ein Beamter, der für das MfS tätig war, jedenfalls für die Dauer dieser Tätigkeit in der Regel nicht
die Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 2 GG für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst der
Bundesrepublik Deutschland erfüllt hat (BVerfG, Beschluss vom 4. April 2001 a.a.O. S. 324 bis
327).
20 Diese Gleichgerichtetheit der Sonderkündigungstatbestände nach dem Einigungsvertrag mit
den Vorschriften über nicht zu berücksichtigende Arbeits- oder Dienstzeiten wird auch in der
Entstehungsgeschichte des § 30 Abs. 1 Satz 1 BBesG deutlich. § 30 BBesG wurde durch das
Bundesbesoldungs- und –versorgungsanpassungsgesetz 1992 vom 23. März 1993 (BGBl I S.
342) eingefügt. Hintergrund war die Tarifabrede vom September 1991, nach der von ehemaligen
Angehörigen des öffentlichen Dienstes in der DDR zurückgelegte Arbeitszeiten nur
eingeschränkt anrechenbar sein sollten (Bekanntmachung des Bundesministeriums des Innern
vom 18. Dezember 1991, GMBl 1992, S. 90 f.). Die Regelung des § 30 BBesG war in einen
systematischen Zusammenhang mit inhaltsgleichen Rechtsnormen, wie § 2 Abs. 2 und 3 der 2.
BesÜV (Art. 8 des Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 1992),
eingebunden. In der Gesetzesbegründung (Entwurf der Bundesregierung, BTDrucks 12/3629, S.
27) wird durch die Bezugnahme auf die Bekanntmachung des BMI vom 18. Dezember 1991
(GMBl 1992, S. 91 f. unter B.I.3.d) der Zusammenhang zwischen den Kündigungstatbeständen
nach den Übergangsvorschriften des Einigungsvertrages und den Regelungen über die
Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten hervorgehoben. Übe der Arbeitgeber das ihm
zustehende Recht zur außerordentlichen Kündigung nicht aus, so seien die Zeiten einer
entsprechenden Tätigkeit und die vorher zurückgelegten Zeiten nicht als Beschäftigungszeit
anzuerkennen.
21 Danach ist der Begriff der „Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit“ in § 30 Abs. 1
Satz 1 BBesG ebenso auszulegen wie das entsprechende Merkmal der
Sonderkündigungstatbestände nach dem Einigungsvertrag. Es sollen diejenigen Angehörigen
des öffentlichen Dienstes erfasst werden, die in die Machen-schaften des MfS verstrickt waren
(Urteil vom 3. Dezember 1998 - BVerwG 2 C 26.97 - BVerwGE 108, 64 <67> = Buchholz 111 Art.
20 EV Nr. 4). Zu den Sonderkündigungstatbeständen ist in der Rechtsprechung geklärt, dass
nicht nur die Tätigkeit von hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern des MfS im Sinne des § 6
Abs. 4 StUG erfasst werden. Auch die Zuarbeit aufgrund dienstlicher Verpflichtung erfüllt dieses
Tatbestandsmerkmal ohne Rücksicht darauf, ob sie im Einzelfall oder allgemein angeordnet war,
ob sie routinemäßig vorgenommen wurde oder ob sie für das Ministerium wichtig und
erforderlich war (Urteil vom 27. April 1999 - BVerwG 2 C 26.98 - BVerwGE 109, 59 <66> =
Buchholz 111 Art. 20 EV Nr. 5). „Für“ das Ministerium für Staatssicherheit war jemand tätig, wenn
er dieses bewusst und final unterstützt hat. In objektiver Hinsicht ist hierfür erforderlich, dass der
Beamte Beiträge im Interesse des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR geleistet hat.
Durch die Verwendung der Präposition „für“ wird in den gesetzlichen Tatbestand jegliche
Tätigkeit einbezogen, die einen finalen Bezug zur Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit
und seiner Nachfolgeorganisation hatte. In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass der spätere
Beamte wissentlich und willentlich für das Ministerium tätig geworden ist (Urteile vom 3.
Dezember 1998 a.a.O. S. 67, vom 27. April 1999 a.a.O., vom 6. April 2000 - BVerwG 2 C 2.99 -
Buchholz 111 Art. 20 EV Nr. 9 S. 20 f. und vom 13. Juli 2000 - BVerwG 2 C 26.99 - Buchholz 111
Art. 20 EV Nr. 10 S. 23; Beschluss vom 28. Januar 1998 - BVerwG 6 P 2.97 - BVerwGE 106, 153
<158 f.> = Buchholz 250 § 47 Nr. 9; BAG, Urteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74,
120).
22 Ist danach der Tatbestand einer Tätigkeit für das MfS gegeben, ist nach Wortlaut und
Systematik der Vorschrift kein Raum mehr für eine Prüfung der Umstände des konkreten
Einzelfalls, wie etwa das Ausmaß oder die Dauer der früheren Tätigkeit des Beamten für das
MfS oder die damit für Dritte verbundenen nachteiligen Folgen. Bei Bestimmungen des
Besoldungs- und Versorgungsrechts steht dem Gesetzgeber ein verhältnismäßig weiter
Gestaltungsspielraum zu. Dabei darf der Gesetzgeber generalisieren und typisieren. Die sich
daraus ergebenden Unebenheiten, Friktionen und Mängel sowie gewisse Benachteiligungen in
besonders gelagerten Einzelfällen müssen hingenommen werden, sofern sich für die
Gesamtregelung, wie hier, ein vernünftiger Grund anführen lässt. Die Typisierungsbefugnis des
Gesetzgebers ist hier umso größer als der Gesetzgeber gezwungen ist, in der Vergangenheit
liegende Vorgänge, die durch ein von der Bundesrepublik Deutschland verschiedenes
Herrschafts- und Gesellschaftssystem vollkommen andersartig geprägt waren, für die
Überleitung in das andere Rechtssystem der Bundesrepublik normativ zu erfassen und zu
bewerten. Zudem geht es dem Gesetzgeber zulässigerweise darum, durch die pauschale
Regelung der Rechtssicherheit abträgliche Abgrenzungsprobleme zu vermeiden (BVerfG,
Beschluss vom 4. April 2001 a.a.O. S. 324 f.).
23 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 52
Abs. 1 und 3 GKG.
Domgörgen
Dr. Hartung
Dr. Kenntner