Urteil des BVerwG vom 31.03.2004

BVerwG: vollversammlung, industrie, entlastung, handelskammer, satzung, ermessen, einsichtnahme, rechnungslegung, rechtsgrundlage, jahresrechnung

Rechtsquellen:
GG Art. 28 Abs. 2
IHKG § 3 Abs. 1, §§ 4, 5 Abs. 1, §§ 6, 7, 11
Stichworte:
Recht auf Einsicht in einen Bericht; Entlastung; Rechnungsprüfung; Funktionale Selbst-
verwaltung; Kommunale Selbstverwaltung; Industrie- und Handelskammer; Mitglied der
Vollversammlung; Vollversammlung.
Leitsätze:
Ein Mitglied der Vollversammlung einer Industrie- und Handelskammer hat allein nach
dem Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern
kein Recht auf Einsichtnahme in Vorgänge im Zusammenhang mit einer Rechnungsprü-
fung.
Urteil des 6. Senats vom 31. März 2004 - BVerwG 6 C 25.03
I. VG Düsseldorf vom 27.08.2002 - Az.: VG 3 K 3073/02 -
II. OVG Münster vom 12.06.2003 - Az.: OVG 8 A 4282/02 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 25.03
Verkündet
OVG 8 A 4282/02
am 31. März 2004
Bech
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
- 3 -
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 31. März 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. B a r d e n h e w e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. H a h n , Dr. G r a u l i c h ,
V o r m e i e r und Prof. Dr. R e n n e r t
für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen vom 12. Juni 2003 wird aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
Düsseldorf vom 27. August 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfah-
rens.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger wurde im Herbst 2001 zum ordentlichen Mitglied der Vollversammlung der Nie-
derrheinischen Industrie- und Handelskammer Duisburg-Wesel-Kleve zu Duisburg für die
am 1. Januar 2002 beginnende Wahlperiode gewählt.
In der Sitzung der Vollversammlung am 11. Dezember 2001 erstatteten die beiden ge-
wählten Rechnungsprüfer im Rahmen der Rechnungslegung für das Haushaltsjahr 2000
und der Entlastung von Präsidium und Hauptgeschäftsführer ihren Bericht über die Prü-
fung der Haushaltsrechnung 2000. Ihrer Kassenprüfung lag der Bericht der Rechnungs-
prüfungsstelle für die Industrie- und Handelskammern vom 15. Oktober 2001 über die re-
gelmäßig stattfindende außerordentliche (unvermutete) Kassenprüfung zum 1. Oktober
2001 zugrunde.
Der Kläger bat den Beklagten mit Schreiben vom 12. Dezember 2001 und vom 9. und
31. Januar 2002 um Übersendung des "Berichtes der Sonderprüfungsstelle der Industrie-
und Handelskammern" und führte aus, er wolle sich als Mitglied der Vollversammlung da-
von überzeugen, dass zahlreiche Behauptungen von dort angeblich protokollierten Unre-
- 4 -
gelmäßigkeiten im Verhalten des Hauptgeschäftsführers der Kammer bezüglich der Stif-
tung "Wilhelm Lehmbruck Museum" unzutreffend seien.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 20. Dezember 2001 und 12. Februar
2002 mit der Begründung ab, der Bericht der Rechnungsprüfungsstelle sei vertraulich und
nicht zur Bekanntgabe an Außenstehende bestimmt. Der Prüfungsbericht sei nach Maß-
gabe der Haushalts-, Kassen- und Rechnungslegungsordnung der Kammer (HKRO) in
vier Ausfertigungen zu erstellen, von denen eine bei der Rechnungsprüfungsstelle verblei-
be und je eine dem Präsidenten und dem Hauptgeschäftsführer der Kammer sowie dem
Ministerium als Aufsichtsbehörde übermittelt würden. Die Einsicht des Berichts durch den
Präsidenten und die Prüfung durch die ehrenamtlichen, von der Vollversammlung legiti-
mierten Rechnungsprüfer gewährleisteten hinreichend die Kontrolle etwaiger Unregelmä-
ßigkeiten. Vor ihrer Entscheidung über die Entlastung werde der Vollversammlung umfas-
send berichtet; deren Mitglieder könnten Fragen zum Bericht stellen. Im Übrigen sei im
Bericht ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk protokolliert.
Hiergegen legt der Kläger Widerspruch ein, den der Beklagte mit Bescheid vom 5. Juli
2001 zurückwies.
Der Kläger hatte bereits am 11. Mai 2002 Klage mit dem Ziel der Aufhebung der Beschei-
de des Beklagten und dessen Verpflichtung zur Gewährung von Einsicht in den Bericht
der Rechnungsprüfungsstelle erhoben, die das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil
vom 27. August 2002 abgewiesen hat.
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 12. Juni
2003 (NVwZ 2003, 1526 = NWVBl. 2004, 25) der Berufung des Klägers stattgegeben und
den Beklagten zur Gewährung von Einsicht verurteilt.
Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der Klageabweisung. Der Kläger tritt der
Revision entgegen.
- 5 -
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des § 4
des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern
vom 18. Dezember 1956 (BGBl. I S. 920 ) - IHKG -, geändert durch Art. 6 des Neunten
Euro-Einführungsgesetzes vom 10. November 2001 (BGBl. I S. 2992), nunmehr in der
durch Art. 95 der Verordnung vom 25. November 2003 (BGBl. I S. 2304 <2314>) beste-
henden Fassung. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig
dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einsicht in den Bericht der
Rechungsprüfungsstelle.
1. Das geltend gemachte Recht auf Einsicht in den bezeichneten Bericht lässt sich entge-
gen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht aus dem Gesetz zur vorläufigen
Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern ableiten.
a) Eine ausdrückliche Anspruchsgrundlage ist in diesem Gesetz, wie das Oberverwal-
tungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht enthalten.
b) Das Berufungsgericht hat die Grundlage für den nachgesuchten Anspruch aus der
Rechtsstellung des Klägers als Mitglied der Vollversammlung, namentlich aus der bundes-
rechtlich bestimmten Stellung der Vollversammlung als demokratisch legitimiertem Haupt-
organ (§ 4 IHKG) und den gesetzlichen Kontrollbefugnissen der Vollversammlung (§ 4
Satz 2 Nr. 5 IHKG), und damit aus revisiblem Recht abgeleitet. Diese Auffassung des
Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht.
aa) Industrie- und Handelskammern gehören zum Bereich der nicht kommunalen Selbst-
verwaltung (funktionale Selbstverwaltung). Das demokratische Prinzip des Art. 20 Abs. 2
GG erlaubt es, durch Gesetz für abgegrenzte Bereiche der Erledigung öffentlicher Aufga-
ben besondere Organisationsformen der Selbstverwaltung zu schaffen. Die Auswahl der
auf Organisationseinheiten der funktionalen Selbstverwaltung zu übertragenden Aufgaben
und die Regelung der Strukturen und Entscheidungsprozesse, in denen diese bewältigt
werden, stehen weitgehend im Ermessen des Gesetzgebers (BVerfG, Beschluss vom
5. Dezember 2002 - 2 BvL 5/98, 2 BvL 6/98 - BVerfGE 107, 59 = GewArch 2003, 290
= DVBl. 2003, 923).
- 6 -
bb) Gemäß § 3 Abs. 1 IHKG ist die Industrie- und Handelskammer Körperschaft des öf-
fentlichen Rechts. Danach handelt es sich um auf dem (Pflicht-)Mitgliedschaftsprinzip be-
ruhende, rechtsfähige juristische Personen des öffentlichen Rechts ohne Gebietshoheit,
die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfüllen (vgl. Tettinger, Kammerrecht, 1997,
S. 104). Für die innere Struktur folgt daraus in Ermangelung darauf bezogener allgemeiner
Vorschriften für Körperschaften des öffentlichen Rechts keine bestimmte Festlegung.
cc) Die Vollversammlung ist das von den Kammerzugehörigen gewählte (§ 5 Abs. 1 IHKG)
Organ. Die wesentlichen Entscheidungen der Kammer sind der Vollversammlung vorbe-
halten (§ 4 IHKG). Sie hat insbesondere die Satzungskompetenz (§ 4 Satz 2 Nr. 1 IHKG)
und das Recht zur Feststellung des Haushaltsplans (§ 4 Satz 2 Nr. 3 IHKG) sowie der Ent-
lastung (§ 4 Satz 2 Nr. 5 IHKG). Ferner obliegen ihr die Wahl des Präsidenten und des
Präsidiums (§ 6 IHKG) und die Bestellung des Hauptgeschäftsführers (§ 7 IHKG). Das
Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern enthält
ferner Vorschriften über die Wahl der Mitglieder der Vollversammlung (§ 5 Abs. 2 IHKG).
Aus § 4 Satz 2 Nr. 1 IHKG folgt, dass die Kammer (mindestens) eine Satzung erlässt. Ein-
zelheiten der inneren Struktur der Organe sowie der Willensbildung innerhalb der Organe
sind nicht gesetzlich geregelt. Das institutionelle Regelwerk des Gesetzes zur vorläufigen
Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern bestimmt danach die Organe
der Kammern, überantwortet deren innere Ordnung aber näherer Normierung durch die
Träger der funktionalen Selbstverwaltung.
dd) Die Vollversammlung ist das demokratisch legitimierte höchste Entscheidungsgremi-
um der Kammer mit den sich aus dem Gesetz ergebenden Mindestaufgaben und - befug-
nissen. Zu den der ausschließlichen Beschlussfassung durch die Vollversammlung unter-
liegenden Gegenständen gehört gemäß § 4 Satz 2 Nr. 5 IHKG die Erteilung der Entlas-
tung. Sie erfolgt, wie der Gesetzeswortlaut ergibt, durch Beschluss der Vollversammlung.
Die näheren Einzelheiten über die Vorbereitung der Beschlussfassung, insbesondere die
Informationsbeschaffung, regelt das Gesetz nicht. Auch den Materialien lässt sich dazu
nichts entnehmen (vgl. den Antrag aus der Mitte des deutschen Bundestages BTDrucks
2/1964, den schriftlichen Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik BTDrucks 2/ zu
2380 sowie den Zustimmungsbeschluss des deutschen Bundesrates BRDrucks 435/56).
Die Entlastung stellt fest, ob die Durchführung des Haushaltsplans der Feststellung des
- 7 -
Haushaltsplans durch die Vollversammlung (§ 4 Satz 2 Nr. 3 IHKG) entspricht und ob das
Finanzgebaren den Satzungs- und Haushaltsvorschriften entsprochen hat. Die Prüfung
und Entscheidung dieser Fragenkreise erfordert eine Information über die einschlägigen
Vorgänge. Ist für die Beschlussfassung die Vollversammlung als Organ der Kammer zu-
ständig, so muss bei Fehlen abweichender Vorschriften im Grundsatz davon ausgegangen
werden, dass auch die zugehörigen Informationen der Vollversammlung als Organ zu er-
teilen sind.
Die Vollversammlung kann ihre Aufgaben und Befugnisse allerdings nur durch ihre Mit-
glieder wahrnehmen. Diese leiten ihre Rechtsstellung nicht lediglich von derjenigen der
Vollversammlung ab; vielmehr stehen ihnen aufgrund ihres durch Wahlakt erteilten Man-
dats auch eigene organschaftliche Rechte zu. Wie bereits erwähnt, ist die Industrie- und
Handelskammer eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 3 Abs. 1 IHKG) und wird als
solche von ihren Mitgliedern getragen. Das bestätigen § 2 IHKG, der den Kreis der Mit-
glieder bestimmt, sowie § 5 Abs. 1 IHKG, demzufolge die Mitglieder der Vollversammlung
von den Kammerzugehörigen gewählt werden. Darüber hinaus folgt aus § 5 Abs. 3 Satz 2
IHKG, dass sich die Repräsentation in der Versammlung nach gruppenpluralen Gesichts-
punkten vollzieht. Die Vollversammlung ist mithin ein pluralistisch besetztes repräsentati-
ves Organ, in dem jedem Mitglied eine eigene Repräsentationsaufgabe zukommt.
Den Mitgliedern der Versammlung stehen daher bei Beratung und Entscheidung in allen in
die Zuständigkeit der Vollversammlung fallenden Angelegenheiten umfassende Mit-
wirkungsrechte zu (Tettinger, a.a.O., S. 114). Diese schließen die Rechte auf Teilnahme
und Rede, Antrag und Abstimmung sowie auf ausreichende Information ein. Wie die not-
wendige Information der Vollversammlungsmitglieder bewirkt wird, lässt sich dem Gesetz
zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern nicht entneh-
men. Aus dem Recht jedes einzelnen Mitglieds zur Mitentscheidung folgt indessen, dass
in seiner Person die dazu notwendigen Voraussetzungen gegeben sein müssen, zu denen
auch die notwendigen Informationen gehören. Bundesrechtlich ist somit auch eine Min-
destinformation der Vollversammlungsmitglieder geboten, die es ihnen ermöglicht, über
den jeweiligen Beschlussgegenstand zu entscheiden. Weitergehende Informationsrechte
der Vollversammlungsmitglieder, insbesondere das Recht auf Einsicht in bestimmte Vor-
gänge, lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen. Solche Rechte sind vielmehr nur nach
Maßgabe des dem Landesrecht angehörenden Satzungsrechts der jeweiligen Kammer
- 8 -
gegeben, bei dessen Festlegung der Satzungsgeber Gelegenheit hat, das Interesse des
einzelnen Versammlungsmitglieds oder von Minderheiten der Versammlung an einer mög-
lichst weitgehenden Unterrichtung mit dem Interesse des Gesamtorgans an effektivem Ar-
beiten in geeigneter Weise abzuwägen. Ein Recht eines jeden Mitglieds der Vollversamm-
lung auf Einsichtnahme in die Kammerunterlagen brauchte auch nicht, wie der Kläger
meint, zur Gewährleistung einer rechtmäßigen Kammertätigkeit bundesrechtlich vorge-
schrieben zu werden. Wenn ein Mitglied Rechtsverstöße vermutet, steht es ihm frei, auf
einen der Klärung des Sachverhalts dienenden Beschluss der Vollversammlung hinzuwir-
ken, der auch die Einsichtnahme in bestimmte Akten zum Gegenstand haben kann. Über-
dies sieht das Gesetz im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Kammertätigkeit einen insti-
tutionalisierten Kontrollmechanismus vor. In § 11 Abs. 1 IHKG ist bestimmt, dass die In-
dustrie- und Handelskammern der Aufsicht des Landes darüber unterliegen, dass sie sich
bei Ausübung ihrer Tätigkeit im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften ein-
schließlich der Satzung, der Wahl-, Beitrags-, Sonderbeitrags- und Gebührenordnung hal-
ten. Damit unterliegt die Wahrnehmung der Aufgaben und Befugnisse der Kammern der
Aufsicht demokratisch legitimierter Amtswalter. Außerdem mag berücksichtigt werden,
dass die Kammerzugehörigen unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsschutz gegen
Aufgabenüberschreitungen der Kammern erlangen können (Urteile vom 21. Juli 1998
- BVerwG 1 C 32.97 - BVerwGE 107, 169 <174> = Buchholz 451.09 IHKG Nr. 11
= GewArch 1998, 410 und vom 19. September 2000 - BVerwG 1 C 29.99 - BVerwGE 112,
69 = Buchholz 451.09 IHKG Nr. 15 = GewArch 2001, 161).
ee) Die danach notwendige Information der Vollversammlungsmitglieder wird regelmäßig
bereits dadurch bewirkt, dass das Mitglied zur Sitzung geladen wird und dabei eine Ta-
gesordnung erhält, in der die einzelnen Angelegenheiten hinreichend konkret beschrieben
sind. Die Übersendung schriftlicher Unterlagen steht bei fehlender gesetzlicher oder orga-
nisationsinterner Regelung im Ermessen des Vorsitzenden, hier gemäß § 6 Abs. 2 IHKG
des Präsidenten (vgl. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, Tübingen
1999, S. 287). Im Zusammenhang mit der Entlastungsentscheidung ist zu berücksichtigen,
dass gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 7 IHKG durch Landesrecht ergänzende Vorschriften über die
Grundsätze über die Rechnungslegung und die Prüfung der Jahresrechnung erlassen
werden können. Die Kammersatzung enthält, wie den Ausführungen des Berufungsge-
richts zu entnehmen ist, mit der Vorschrift über die Prüfung der Jahresrechnung durch die
Rechnungsprüfungsstelle und die Prüfung durch zwei ehrenamtliche Prüfer aus der Mitte
- 9 -
der Vollversammlung ein eigenes Kontrollsystem. Die Entscheidung über die Entlastung
erfolgt auf der Grundlage des Berichts der Rechnungsprüfer. Der Bericht der Rechnungs-
prüfungsstelle dient der Vorbereitung dieses Berichts. Die Kammermitglieder können bei
entsprechendem Bedarf insoweit bei den gewählten Rechnungsprüfern Nachfrage halten.
Aus den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ergibt sich, dass der Bericht der
Rechnungsprüfungsstelle für die Industrie- und Handelskammern über die außerordentli-
che Kassenprüfung dem Bericht der Kassenprüfer zugrunde gelegen hat. Der vom Beru-
fungsgericht in Bezug genommene Bericht der Rechnungsprüfer vom 5. November 2001
befasst sich ausdrücklich mit den Vorgängen im Zusammenhang mit der Stiftung "Wilhelm
Lehmbruck Museum". Damit war die bundesrechtlich gebotene Mindestinformation der zur
Entlastungsentscheidung berufenen Mitglieder der Vollversammlung erteilt worden. Dass
der Kläger erst nachfolgend Mitglied der Vollversammlung geworden ist, kann diesen Be-
fund nicht erschüttern.
c) Das Oberverwaltungsgericht hat für seine weitergehende Ansicht auch auf das Kom-
munalrecht hingewiesen. Diesen Erwägungen kann schon wegen der grundsätzlichen Un-
terschiede zwischen kommunaler und funktionaler Selbstverwaltung nicht gefolgt werden.
Die Gemeinde regelt als Gebietskörperschaft gemäß der kommunalen Selbstverwaltungs-
garantie des Art. 28 Abs. 2 GG grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemein-
schaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung. Über Verfassungsbeschwerden
der Gemeinden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Art. 28 GG
durch ein Gesetz entscheidet gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG das Bundesverfassungs-
gericht. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG muss das Volk, wenn nicht gemäß Art. 28 Abs. 1
Satz 4 GG eine Gemeindeversammlung besteht, in den Gemeinden eine Vertretung ha-
ben. Demgegenüber wird der Begriff der funktionalen Selbstverwaltung im Grundgesetz
nicht verwandt, und Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts werden nur in
wenigen Artikeln erwähnt, ohne eine den Gemeinden vergleichbare grundgesetzliche Re-
gelung zu erfahren. Der Industrie- und Handelskammer stehen nur die ihr gesetzlich zu-
gewiesenen Aufgaben und Befugnisse zu. Die Stellung des Gemeinderates und seiner
Mitglieder ist daher von Grundgesetzes wegen eine andere als diejenige der Vollversamm-
lung und seiner Mitglieder, die ihre Rechtsstellung ausschließlich aus dem einfachen Ge-
setzesrecht ableiten. Ihre Rechtsstellung wird daher geprägt von der gesetzlich zugewie-
senen Funktion. Bereits dieser Umstand steht einer Übertragung der Grundsätze des
Kommunalverfassungsstreitverfahrens und der Rechtsstellung der Gemeinderatsmitglie-
- 10 -
der auf die Industrie- und Handelskammern als Träger der funktionalen Selbstverwaltung
entgegen. Außerdem ist das Kommunalrecht als Landesrecht grundsätzlich nicht geeignet,
als Hilfsmittel zur Auslegung des bundesrechtlichen Gesetzes zur vorläufigen Regelung
der Industrie- und Handelskammern herangezogen zu werden. Ob ein Ratsmitglied von
dem Bürgermeister Einsicht in bestimmte Vorgänge verlangen kann, kann nur nach dem
jeweils einschlägigen Landesrecht beantwortet werden (vgl. Beschluss vom 14. Dezember
1989 - BVerwG 7 B 173.89 - Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 75 = NVwZ-RR 1990, 208).
2. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Das
Oberverwaltungsgericht hat seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt, dass das Landes-
recht einen Anspruch auf Einräumung der Einsicht in den Bericht der Rechnungsprüfungs-
stelle gewährt. Im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtsgrundlagen für den geltend
gemachten Anspruch hat es ausgeführt, dass die Mitwirkungsrechte der Mitglieder der
Vollversammlung in den Grundzügen in der Satzung der Kammer geregelt seien. Es hat
das Recht zur Teilnahme an den Sitzungen sowie das Antrags- und Abstimmungsrecht
angeführt. In Bezug auf einen Informationsanspruch im Zusammenhang mit der Entlas-
tungsentscheidung hat es auf § 8 Abs. 3 der Satzung hingewiesen, dem zufolge wegen
des Informationsanspruchs der Mitglieder Präsident und Hauptgeschäftsführer der Voll-
versammlung vor der Beschlussfassung Rechnung zu legen haben und die Rechnungs-
prüfer der Vollversammlung über das Ergebnis der Prüfung berichten. Ein weitergehen-
des, die Einsicht in den Bericht der Rechnungsprüfungsstelle einschließendes Recht hat
es dem Satzungsrecht nicht entnommen. Die weiteren Erwägungen des Berufungsgerichts
betreffen die Frage, ob dem nach dem Gesagten zu Unrecht "aus dem Gesetz" (UA S. 16)
abgeleiteten Einsichtsrecht entgegenstehe, dass § 53 Abs. 3 der Haushalts-, Kassen- und
Rechnungslegungsordnung der Kammer (HRKO) eine "Vertraulichkeitsvorschrift" sei.
Wenn es in diesem Zusammenhang in den Entscheidungsgründen heißt, dass die Beurtei-
lung, ob die Entlastung erteilt werden kann, die Kenntnis aller notwendigen Einzelheiten
des Haushalts- und Wirtschaftsgebarens voraussetze, wozu auch der Inhalt des Prü-
fungsberichts gehöre, so lässt diese Wendung nicht deutlich werden, dass das Berufungs-
gericht dem Landesrecht eine Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Einsichtnahme in
den Prüfungsbericht entnommen hat.
3. Falls die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils dahin verstanden werden
müssten, dass das Oberverwaltungsgericht von seiner Auffassung eines gesetzlich beste-
- 11 -
henden Einsichtsrechts ausgehend das Satzungsrecht der Kammer nicht auf das Beste-
hen einer Anspruchsgrundlage hin überprüft hätte, so läge es gemäß § 173 VwGO, § 563
Abs. 4 ZPO im Ermessen des erkennenden Senats, die dann fehlende Prüfung nachzuho-
len. Im Hinblick auf die vom Berufungsgericht bereits - wenn auch nur im Zusammenhang
mit der Frage, ob Landesrecht dem von ihm angenommenen Anspruch entgegenstehen
könnte - vorgenommene umfassende Prüfung des Satzungsrechts wäre dann von dem
Ermessen dahin Gebrauch zu machen, dass das Revisionsgericht die Prüfung vornimmt.
Sie ergäbe wegen des eindeutigen Fehlens einer das Einsichtsrecht begründenden Vor-
schrift der Satzungen (insbesondere §§ 4, 8 Abs. 3 der Satzung, §§ 53, 54 HRKO), dass
das Satzungsrecht der Kammer keine Rechtsgrundlage für den erhobenen Anspruch bie-
tet.
4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
Bardenhewer
Hahn Graulich
Vormeier
Rennert
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
Bardenhewer
Hahn Graulich