Urteil des BVerwG vom 12.04.2013

BVerwG: gegen die guten sitten, unerlaubte handlung, öffentlich, verbindlichkeit, bier, vorfrage, steuerhinterziehung, abgabenordnung, ausnahme, verwaltungsakt

BVerwG 9 B 37.12
Rechtsquellen:
VwGO § 40 Abs. 1
GVG § 13, § 17a Abs. 4
InsO § 185, § 302 Nr. 1
AO § 69
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Stichworte:
Rechtsweg; Verwaltungsrechtsweg; Zivilrechtsweg; Gewerbesteuer; Gewerbesteuerhaftung;
Restschuldbefreiung; Rechtsgrundfeststellung; Delikt; unerlaubte Handlung.
Leitsatz:
Der im Verfahren nach §§ 179 ff. InsO isoliert auszutragende Feststellungsstreit um die
rechtliche Einordnung einer zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderung auf
Gewerbesteuerhaftung (§ 69 AO) als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter
Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO ist im Zivilrechtsweg zu führen (im Anschluss an BGH,
Beschluss vom 2. Dezember 2010 - IX ZB 271/09 - WM 2011, 142).
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 37.12
VG Freiburg i. Br. - 20.03.2012 - AZ: VG 5 K 513/12
VGH Baden-Württemberg - 20.08.2012 - AZ: VGH 2 S 788/12
In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. April 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Korbmacher
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 20. August 2012 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 €
festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Parteien streiten um die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs. Die Klägerin nahm den
Beklagten in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer einer GmbH mit Haftungsbescheid aus dem
Jahr 2005 für Gewerbesteuerschulden der GmbH in Anspruch. Nachdem der (jetzige) Beklagte
gegen den Haftungsbescheid nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage erhoben hatte,
wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete ihre
Forderung gegen den Beklagten zur Insolvenztabelle an und teilte der Insolvenzverwalterin mit,
dass die Forderung auch auf eine unerlaubte Handlung des Beklagten gestützt werde. Die
Forderung der Klägerin aus dem Haftungsbescheid wurde nachträglich von der
Insolvenzverwalterin anerkannt. Der Beklagte widersprach dem Rechtsgrund der vorsätzlich
begangenen unerlaubten Handlung.
2 Die Klägerin hat das durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochene
Klageverfahren wieder aufgenommen und die Feststellung beantragt, dass es sich bei der im
Insolvenzverfahren angemeldeten Haftungsschuld um eine Verbindlichkeit des Beklagten aus
einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung handele. Nach der Abtrennung des diesen
Antrag betreffenden Teils des Verfahrens von der ursprünglich erhobenen Anfechtungsklage hat
das Verwaltungsgericht in dem abgetrennten Verfahren mit Beschluss vom 20. März 2012 den
Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das
Landgericht Freiburg verwiesen.
3 Mit Beschluss vom 20. August 2012 hat der Verwaltungsgerichtshof die gegen den Beschluss
des Verwaltungsgerichts gerichtete Beschwerde zurückgewiesen und die Beschwerde an das
Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
II
4 1. Die nach § 152 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zulässige weitere Beschwerde
ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben den Verwaltungsrechtsweg zu Recht für unzulässig
erklärt, weil es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt (§ 40 Abs. 1 Satz 1
VwGO); vielmehr liegt eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vor (§ 13 GVG).
5 Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass es sich bei der im Insolvenzverfahren
angemeldeten Haftungsschuld um eine Verbindlichkeit des Beklagten aus einer vorsätzlich
begangenen unerlaubten Handlung gem. § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB handelt mit dem
Ziel, diesen Zahlungsanspruch von der Restschuldbefreiung nach § 302 Nr. 1 InsO
auszunehmen.
6 Die Art einer Streitigkeit - öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich - bestimmt sich, wenn wie hier
eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des
Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (Gemeinsamer Senat der
Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 4. Juni 1974 - GmS-OGB 2/73 - NJW 1974,
2087; BVerwG, Urteile vom 6. November 1986 - BVerwG 3 C 72.84 - BVerwGE 75, 109 <112>
und vom 19. Mai 1994 - BVerwG 5 C 33.91 - BVerwGE 96, 71 <73> = Buchholz 436.0 § 12
BSHG Nr. 24 S. 2 f.; Beschlüsse vom 30. Mai 2006 - BVerwG 3 B 78.05 - NJW 2006, 2568 und
vom 2. Mai 2007 - BVerwG 6 B 10.07 - BVerwGE 129, 9 = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 298,
jeweils Rn. 4; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 - XI ZB 7/99 - NJW 2000, 1042). Es
kommt darauf an, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm
hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des Zivil- oder des öffentlichen Rechts geprägt wird,
ob die an der Streitigkeit Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und
Unterordnung stehen und ob sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen, ihm
zugeordneten Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient oder ob er sich den für jedermann
geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterstellt (Gemeinsamer Senat der Obersten
Gerichtshöfe des Bundes, Beschlüsse vom 10. April 1986 - GmS-OGB 1/85 - BGHZ 97, 312
<314> und vom 29. Oktober 1987 - GmS-OGB 1/86 - BGHZ 102, 280 <283>; BVerwG, Beschluss
vom 30. Mai 2006 a.a.O.). Die in dieser Weise vorzunehmende Abgrenzung weist das
Streitverhältnis in diejenige Verfahrensordnung, die ihm nach der gesetzgeberischen Wertung in
der Sache am besten entspricht, und bewirkt zugleich, dass regelmäßig diejenigen Gerichte
anzurufen sind, die durch ihre Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den in Frage
stehenden Anspruch besonders geeignet sind (BGH, Urteile vom 10. Januar 1984 - VI ZR
297/81 - BGHZ 89, 250 <252> und vom 23. Februar 1988 - VI ZR 212/87 - BGHZ 103, 255
<257>).
7 Danach liegt hier eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vor. Denn die Frage, ob derjenige
schadensersatzpflichtig ist, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem
anderen vorsätzlich Schaden zufügt (§ 826 BGB), ist in gleicher Weise nach Maßgabe des
Zivilrechts zu beurteilen wie die Frage, ob derjenige zum Schadensersatz verpflichtet ist, der
gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt (§ 823 Abs. 2 Satz 1 BGB).
An dieser Beurteilung ändert sich nichts dadurch, dass die Klägerin, wie sie in der
Beschwerdebegründung hervorhebt, keinen Zahlungsanspruch aus unerlaubter Handlung
erheben, sondern - wie in § 302 Nr. 1 InsO vorgesehen - den deliktischen Rechtsgrund ihres mit
Haftungsbescheid festgesetzten und zur Insolvenztabelle angemeldeten steuerrechtlichen
Haftungsanspruchs aus § 69 AO geltend machen will. Der Senat schließt sich der Auffassung
des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 2. Dezember 2010 - IX ZB 271/09 - WM 2011, 142 =
juris Rn. 5) an, wonach der im Verfahren nach §§ 179 ff. InsO isoliert auszutragende Streit um die
rechtliche Einordnung der angemeldeten Forderung als Forderung (auch) aus vorsätzlich
begangener unerlaubter Handlung zivilrechtlicher Natur und daher vor den Zivilgerichten zu
führen ist. Denn die für die Feststellung einer Ausnahme von der Restschuldbefreiung nach §
302 Nr. 1 InsO maßgeblichen Bestimmungen (§ 823 Abs. 1, § 826 BGB) sind zivilrechtlicher Art
und berühren das öffentlich-rechtlich geprägte Grundverhältnis der Beteiligten zueinander nicht
(in diesem Sinne auch BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2010 a.a.O. unter Hinweis auf VG
Schleswig, Beschluss vom 25. Mai 2009 - 15 A 56/09 - NZI 2009, 699 = juris Rn. 3 und LG
Verden, Beschluss vom 16. September 2009 - 6 T 146/09 - NZI 2009, 775 = juris Rn. 7).
8 Unerheblich ist für die Bestimmung des Rechtswegs, ob die Regelungen des öffentlichen
Rechts über den Haftungsanspruch (§ 69 AO) die ergänzende Anwendung der §§ 823 ff. BGB
zulassen (verneinend: BFH, Urteil vom 19. August 2008 - VII R 6/07 - BFHE 222, 199 <201 f.>,
wonach Steuer- und Haftungsansprüche eigenständige öffentlich-rechtliche Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis und keine Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung sind;
vgl. auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. September 1991 - 2 K 141/85 - NVwZ-RR
1993, 61 <62 f.>; dem folgend Loose, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Stand November 2012,
§ 69 Rn. 2; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Stand Dezember 2012, § 69 Rn. 8). Ob
Gründe des öffentlichen Rechts den deliktischen Anspruch ausschließen, ist eine Vorfrage, die
die Qualifizierung des Rechtsstreits als zivilrechtlich nicht berührt (vgl. BGH, Beschluss vom 2.
Dezember 2010 a.a.O.). Gleiches gilt für die Frage, ob der Verstoß gegen steuerrechtliche
Pflichten, insbesondere die Steuerhinterziehung, überhaupt in den Schutzbereich des § 823
Abs. 2 BGB fällt (zur fehlenden Schutzgesetzeigenschaft der
Steuerhinterziehungsstraftatbestände BFH, Urteile vom 24. Oktober 1996 - VII R 113/94 - BFHE
181, 552 <557 ff.> und vom 19. August 2008 a.a.O.).
9 Die Klägerin kann die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs für den vorliegenden
Rechtsstreit auch nicht daraus herleiten, dass mit der Rechtsgrundfeststellungsklage eine
Auseinandersetzung vorweggenommen wird, die sonst im Rahmen der Vollstreckung
stattzufinden hätte und ihrerseits im Verwaltungsrechtsweg auszutragen wäre. Der Umstand,
dass die deliktische Qualität der geltend gemachten Verbindlichkeit in einem anderen
Rechtsbehelfsverfahren den Charakter einer zivilrechtlichen Vorfrage haben könnte, ändert
nichts daran, dass sie in der hier gegebenen Konstellation die Natur des Rechtsverhältnisses
und damit den Rechtsweg bestimmt.
10 Die Zuordnung zum öffentlichen Recht folgt entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht aus
§ 185 Satz 1 InsO. Danach ist die Feststellung einer Forderung, wenn für sie der Rechtsweg zum
ordentlichen Gericht nicht gegeben ist, bei dem zuständigen anderen Gericht zu betreiben oder
von der zuständigen Verwaltungsbehörde vorzunehmen. Unter diese Sondervorschrift fällt die
Feststellung der Delikteigenschaft einer Forderung nicht. Zwar ist die Verwaltungsbehörde nach
§ 185 Satz 1 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO berechtigt, einen im Insolvenzverfahren als
Insolvenzforderung geltend gemachten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis durch
Verwaltungsakt festzustellen. Das Steuerschuldverhältnis betrifft nach § 37 AO den
Steueranspruch, den Steuervergütungsanspruch, den Haftungsanspruch, den Anspruch auf eine
steuerliche Nebenleistung, den Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO sowie die in den
Steuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche. Die Befugnis zum Erlass des
Verwaltungsaktes beschränkt sich aber auf die Anspruchsfeststellung als solche; die
Feststellung des (auch) deliktischen Rechtsgrundes eines Anspruchs aus dem
Steuerschuldverhältnis wird von § 251 Abs. 3 AO nicht gedeckt (Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, 13.
Aufl. 2010, § 185 Rn. 5; wohl auch BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - IX ZR 124/08 - NJW
2009, 1280, der ansonsten die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses hätte abweisen
müssen; ebenso für Ansprüche auf Sozialversicherungsbeiträge LG Freiburg (Breisgau),
Beschluss vom 13. April 2011 - 3 T 23/11 - juris Rn. 14; a.A. für einen Anspruch auf Zahlung von
Sozialversicherungsbeiträgen LG Itzehoe, Beschluss vom 18. Juli 2008 - 9 T 27/08 - juris Rn. 14
f.).
11 Zu einer anderen Entscheidung veranlasst entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht
die Begründung des Gesetzentwurfs zur Änderung der Insolvenzordnung vom 28. März 2001
(BTDrucks 14/5680 S. 27). Dort ist das Gläubigerprivileg bei Vorliegen des Schuldgrunds der
unerlaubten Handlung nur verfahrenstechnisch mit der Behandlung eines Konkursvorrechts
nach altem Recht verglichen worden. Der Gläubiger sowohl der Insolvenzordnung wie auch der
Konkursordnung nach altem Recht sollte ein beanspruchtes Vorrecht unter Angabe der
Tatsachen, auf die sich gestützt wird, mit anmelden müssen, um bei der Feststellung der
Forderung berücksichtigt zu werden. Eine Aussage zum Rechtsweg im Falle eines Streits um
die Feststellung der unerlaubten Handlung lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen
(so zutreffend LG Freiburg, Beschluss vom 13. April 2011 a.a.O. Rn. 15).
12 2. Die Entscheidung über die Kosten folgt § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Kostenentscheidung ist
hier nicht gemäß § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG entbehrlich. Denn die Kosten im „Verfahren vor dem
angegangenen Gericht“ sind nur die Kosten des erstinstanzlichen Gerichts. Das
Beschwerdegericht hat daher über die Kosten eines Beschwerdeverfahrens nach § 17a Abs. 4
Satz 3 und 4 GVG selbst eine Kostenentscheidung zu treffen (vgl. Beschlüsse vom 15. Oktober
1993 - BVerwG 1 DB 34.92 - BVerwGE 103, 26 <32> und vom 2. Mai 2007 - BVerwG 6 B 10.07 -
Rn. 18 ; Zimmermann, in: Münchener
Kommentar ZPO, 3. Aufl. 2008, Bd. 3, § 17b GVG Rn. 10; a.A. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 13.
Aufl. 2010, § 41 <§§ 17 - 17b GVG> Rn. 45).
13 3. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2
GKG.
Dr. Bier
Buchberger
Prof. Dr. Korbmacher