Urteil des BVerfG vom 24.06.2014

BVerfG: schutz der familie, eltern, wohl des kindes, elterliche sorge, schutz des familienlebens, verfassungsbeschwerde, trennung, jugendamt, enkelkind, verwandter

Leitsätze
zum Beschluss des Ersten Senats vom 24. Juni 2014
- 1 BvR 2926/13 -
1. Der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG schließt familiäre Bindungen zwischen
nahen Verwandten ein, insbesondere zwischen Großeltern und ihrem Enkelkind.
2. Der grundrechtliche Schutz umfasst das Recht naher Verwandter, bei der Entscheidung
über die Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers in Betracht gezogen zu
werden. Ihnen kommt der Vorrang gegenüber nicht verwandten Personen zu, sofern nicht
im Einzelfall konkrete Erkenntnisse darüber bestehen, dass dem Wohl des Kindes durch
die Auswahl einer dritten Person besser gedient ist.
3. Das Bundesverfassungsgericht überprüft die Auswahlentscheidung nach § 1779 BGB
entsprechend allgemeinen Grundsätzen darauf, ob sie Auslegungsfehler erkennen lässt,
die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung des Grundrechts
naher Verwandter beruhen.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2926/13 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau B…,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwältin Gabi Pathe,
Oppenhoffallee 29, 52066 Aachen -
gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 19. September
a)
2013 - 10 UF 16/13 -,
b)
den Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 3. Januar 2013 - 229 F
74/11 -
und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
und Beiordnung eines Rechtsanwalts
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Kirchhof,
Gaier,
Eichberger,
Schluckebier,
Masing,
Paulus,
Baer,
Britz
am 24. Juni 2014 beschlossen:
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts
wird abgelehnt.
2. Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
A.
1
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Frage, inwieweit Großeltern in ihrem Interesse
geschützt sind, zum Vormund beziehungsweise Ergänzungspfleger ihres Enkelkindes bestellt zu
werden.
I.
2
Die Beschwerdeführerin wendet sich als Großmutter ihrer im Jahr 2008 geborenen zweiten
Enkelin dagegen, vom Familiengericht nicht nach § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB als deren Vormund
ausgewählt worden zu sein.
3
1. Eine erste Enkeltochter der Beschwerdeführerin kam 2001 zur Welt. Das Kind wurde von
seiner Mutter, der Tochter der Beschwerdeführerin, nach der Geburt in die Obhut der
Beschwerdeführerin gegeben. Als die Enkeltochter etwa ein Jahr alt war, kehrte auch die Mutter
in den Haushalt der Beschwerdeführerin zurück. Im Jahr 2008 kam die zweite Enkeltochter zur
Welt. Die Mutter verblieb mit beiden Kindern bis 2011 im Haushalt der Beschwerdeführerin. Im
August 2011 zog die Mutter zu einem Freund und nahm das jüngere Kind mit sich. Nach zwei
Wochen trennte sie sich von diesem Mann und zog mit dem Kind zu einem neuen Freund. Die
ältere Enkeltochter war auf eigenen Wunsch bei der Beschwerdeführerin geblieben. Die
Beschwerdeführerin hielt das Verhalten der Mutter für kindeswohlgefährdend, weshalb sie sich
an das Jugendamt wandte. Im September 2011 wurde das jüngere Kind, also die zweite
Enkeltochter der Beschwerdeführerin, mit Zustimmung der Kindesmutter zunächst in einer
Bereitschaftspflegefamilie untergebracht.
4
2. Im Wege der einstweiligen Anordnung entzog das Familiengericht der Mutter im Herbst 2011
die elterliche Sorge für beide Kinder und setzte zunächst das Jugendamt als Vormund ein. Im
Dezember 2011 wechselte die jüngere, damals knapp vier Jahre alte zweite Enkeltochter in eine
Pflegefamilie in Norddeutschland, wo sie bis heute lebt.
5
3. Im Hauptsacheverfahren beantragte die Beschwerdeführerin, ihr die Vormundschaft für beide
Kinder zu übertragen. Die Sachverständige empfahl, die jüngere Enkeltochter in der
Pflegefamilie zu belassen. Auch die Mutter sprach sich während des gerichtlichen Verfahrens für
einen Verbleib ihrer jüngeren Tochter in der Pflegefamilie aus. Die Verfahrensbeiständin und
das Jugendamt befürworteten wegen der Verwurzelung des Kindes ebenfalls einen Verbleib in
der Pflegefamilie. Mit angegriffenem Beschluss vom 3. Januar 2013 entzog das Familiengericht
der Mutter die elterliche Sorge für beide Töchter. Es bestellte die Beschwerdeführerin nach
§ 1779 BGB zum Vormund für die ältere Tochter. Für die jüngere Tochter bestellte es hingegen
das Jugendamt zum Vormund. Zur - hier allein angegriffenen - Übertragung der Vormundschaft
für die jüngere Enkelin auf das Jugendamt führte das Familiengericht aus, dass die Bestellung
der Beschwerdeführerin als Vormund nicht dem Kindeswohl entspreche.
6
4. Die Beschwerdeführerin legte gegen den Beschluss des Familiengerichts Beschwerde ein,
die das Oberlandesgericht als unzulässig verwarf. Die Beschwerdeführerin sei nicht
beschwerdeberechtigt im Sinne des § 59 FamFG. Zwar müssten Großeltern nach § 1779 Abs. 2
Satz 2 BGB und aus verfassungsrechtlichen Gründen bei der Auswahl des Vormunds
berücksichtigt werden. Daraus folge aber nach dem unmissverständlichen Willen des
Gesetzgebers keine zur Beschwerde berechtigende Rechtsposition (Verweis auf BGH,
Beschluss vom 26. Juni 2013 - XII ZB 31/13 -, juris, Rn. 12-16; Beschluss vom 2. Februar 2011 -
XII ZB 214/09 -, juris, Rn. 9 ff.).
II.
7
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen rügt die
Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit
Art. 8 EMRK, weil ihre nahe Verwandtenstellung nicht berücksichtigt worden sei. Sie ist der
Ansicht, die Vormundschaft hätte ihr nur dann verweigert werden dürfen, wenn das Kindeswohl
bei einer Herausnahme des Mädchens aus der Pflegefamilie gefährdet gewesen wäre. Zudem
habe das Oberlandesgericht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, weil es die
Beschwerdeführerin nicht für beschwerdeberechtigt gehalten und sich mit der
Verfassungsmäßigkeit von § 59 FamFG nicht hinreichend befasst habe.
III.
8
Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Senat vorgelegen. Dem Land Nordrhein-
Westfalen, der Verfahrensbeiständin des Kindes aus dem Ausgangsverfahren, der Mutter und
dem Vater sowie dem zum Vormund bestellten Jugendamt wurde Gelegenheit zur Äußerung
gegeben. Das Jugendamt hat sich gegen eine Rückführung des Kindes in den Haushalt der
Beschwerdeführerin ausgesprochen.
B.
9
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet.
I.
10
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin
beschwerdebefugt. Als Großmutter kann sie mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen,
das Familiengericht habe ihre durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte nahe verwandtschaftliche
Beziehung bei der Auswahl des Vormunds für ihre Enkeltochter nicht hinreichend berücksichtigt.
II.
11
Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
12
1. Die Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in durch Art. 6 GG geschützten
Grundrechten.
13
a) Die Beschwerdeführerin hat ein grundrechtlich geschütztes Recht darauf, als Großmutter bei
der Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers für ihr von der Kindesmutter getrenntes
Enkelkind berücksichtigt zu werden.
14
aa) Auf das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kann sich die Beschwerdeführerin
allerdings nicht selbst berufen
.
eines Kindes zu. Da die Beschwerdeführerin hier nicht als Vormund ausgewählt wurde, sondern
diese Stellung erst anstrebt, ist ihre Situation auch nicht mit der von Großeltern vergleichbar, die
bereits zu Vormündern bestellt sind und ihr Enkelkind anstelle der Eltern pflegen und erziehen
(dazu BVerfGE 34, 165 <200>).
15
bb) Die Beschwerdeführerin kann sich als Großmutter auch nicht darauf berufen, dass Eltern (1)
und Kind (2) im Fall der Trennung des Kindes von den Eltern einen grundrechtlich gesicherten
Anspruch darauf haben, dass bei der Auswahl von Vormündern oder Ergänzungspflegern nahe
Verwandte berücksichtigt werden.
16
(1) Zwar kann die bevorzugte Berücksichtigung von Großeltern durch das von Art. 6 Abs. 2 Satz
1 und Abs. 3 GG geschützte Grundrecht der Eltern verfassungsrechtlich geboten sein. Das
Elterngrundrecht stellt hohe Anforderungen an die Trennung eines Kindes von den Eltern
(stRspr; vgl. zuletzt im Einzelnen BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom
24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 27 ff.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der
unter anderem zur Auswahl des mildesten unter gleich geeigneten Mitteln verpflichtet
(Erforderlichkeit), gebietet in diesem Zusammenhang insbesondere, nahe Verwandte, die zur
Verantwortungsübernahme geeignet sind, als Vormünder oder Ergänzungspfleger in Betracht zu
ziehen (stRspr; vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 8. März
2012 - 1 BvR 206/12 -, FamRZ 2012, S. 938 <939 f.>).
17
Wenn die Eltern die Bestellung von Verwandten zum Vormund oder Ergänzungspfleger und die
Aufnahme des Kindes in deren Haushalt wünschen, stellt dies aus elterlicher Sicht ein milderes
Mittel gegenüber der Übertragung der rechtlichen Verantwortung und tatsächlichen Betreuung
des Kindes auf familienfremde Personen dar. Der Verbleib des Kindes im größeren
Familienverband schafft unter diesen Umständen regelmäßig günstigere Voraussetzungen für
die fortgesetzte elterliche Hinwendung zum Kind, welche auch nach der Trennung durch das
elterliche Recht auf Pflege und Erziehung (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) geschützt ist. Wird die
elterliche Hinwendung aufrechterhalten, kann dies zudem eine spätere Rückkehr des Kindes zu
seinen Eltern begünstigen. Verwandte bei der Auswahl eines Vormunds oder
Ergänzungspflegers zu berücksichtigen, trägt daher auch der Verpflichtung des Staates
Rechnung, die Rückführung des Kindes aus dem grundsätzlich auf Zeit angelegten
Pflegeverhältnis zu den Ursprungseltern zu fördern (vgl. BVerfGE 75, 201 <219>; 79, 51 <60>).
18
(2) Auch das Grundrecht des Kindes auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung (Art. 2
Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG; vgl. BVerfGE 133, 59 <73 ff.>) gebietet, bei der Auswahl
eines Vormunds oder Ergänzungspflegers nahe Verwandte zu berücksichtigen, wenn dies die
Aufrechterhaltung der Verbindung zu den Eltern begünstigt und diese im Interesse des Kindes
ist.
19
(3) Ein eigenes Grundrecht der Großeltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, auf das die
Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde stützen könnte, folgt daraus jedoch nicht.
Zwar resultieren aus den genannten Rechten der Eltern und des Kindes in der Praxis
regelmäßig gute Chancen für Großeltern, auf Wunsch der Eltern und des Kindes zum Vormund
oder Ergänzungspfleger des Enkelkindes bestellt zu werden. Dabei handelt es sich aber um
bloße Rechtsreflexe des Eltern- und des Kindesgrundrechts, die keinen eigenen
grundrechtlichen Schutz der subjektiven Interessen der Großeltern begründen.
20
cc) Der Beschwerdeführerin steht indessen als Großmutter ein eigenes Recht aus Art. 6 Abs. 1
GG darauf zu, bei der Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers in Betracht gezogen
zu werden.
21
(1) Der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG umfasst familiäre Bindungen zwischen
Großeltern und ihrem Enkelkind.
22
Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie zunächst als tatsächliche Lebens- und
Erziehungsgemeinschaft der Kinder und ihrer Eltern. Im Zusammenleben der Eltern mit ihren
heranwachsenden Kindern entfaltet die familiäre Gemeinschaft besondere Bedeutung, weil die
leibliche und seelische Entwicklung der prinzipiell schutzbedürftigen Kinder in der Familie und
der elterlichen Erziehung eine wesentliche Grundlage findet (vgl. BVerfGE 80, 81 <90>; 133, 59
<82>). Der Schutz des Familiengrundrechts reicht indessen über den Zweck hinaus, einen
besonderen personellen Raum kindlicher Entfaltungsmöglichkeiten zu sichern. Er zielt generell
auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen (vgl. BVerfGE 133, 59 <82 f.> m.w.N.), wie sie
auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern (vgl. BVerfGE 80, 81 <91> m.w.N.) und auch -
wenngleich regelmäßig weniger ausgeprägt - über mehrere Generationen hinweg zwischen den
Mitgliedern einer Großfamilie bestehen können. Familiäre Bindungen sind im Selbstverständnis
des Individuums regelmäßig von hoher Bedeutung und haben im Lebensalltag der
Familienmitglieder häufig besondere praktische Relevanz. Sie zeichnen sich durch
schicksalhafte Gegebenheit aus und können von besonderer Nähe und Zuneigung, von
Verantwortungsbewusstsein und Beistandsbereitschaft geprägt sein (vgl. BVerfGE 57, 170
<178>; 112, 332 <352>). Nicht zuletzt wegen dieses eigenen Stellenwerts, der familiären
Bindungen bei der Entfaltung der Persönlichkeit regelmäßig zukommt, hat das durch Art. 2 Abs.
1 GG verbürgte Gebot der Achtung der Entfaltungsfreiheit im privaten Lebensbereich durch die
Verfassungsgarantie der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) eine besondere Verstärkung erfahren (vgl.
BVerfGE 57, 170 <178> m.w.N.), die das Familienleben schützt und dem Individuum damit
Chancen eröffnet, ein seinen familiären Bindungen gemäßes Leben zu führen.
23
Intensive Familienbindungen treten nicht nur im Verhältnis zwischen heranwachsenden Kindern
und Eltern auf, sondern sind auch zwischen Mitgliedern der Generationen-Großfamilie möglich.
Besondere Zuneigung und Nähe, familiäre Verantwortlichkeit füreinander, Rücksichtnahme- und
Beistandsbereitschaft können insbesondere im Verhältnis zwischen Enkeln und Großeltern, aber
auch zwischen nahen Verwandten in der Seitenlinie zum Tragen kommen. Bestehen zwischen
nahen Verwandten tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte engere Bindungen, sind
diese vom Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst (vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl. 2012,
Art. 6 Rn. 10; Kingreen, in: Jura 1997, S. 401 <402>; Pirson, in: Bonner Kommentar, Bd. 2, Art. 6
Abs. 1, Rn. 21 ; Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010,
Art. 6 Abs. 1, Rn. 88 m.w.N.; Uhle, in: Epping/Hillgruber, GG, 2. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 14; ebenso
EGMR, Urteil vom 13. Juni 1979 - Marckx - NJW 1979, S. 2449, Rn. 45 zum Schutz des
„Familienlebens” im Sinne des Art. 8 EMRK. A.A. Burgi, in:
Friauf/Höfling, GG, Bd. 1, Art. 6 Rn. 20 ; von Coelln, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011,
Art. 6 Rn. 17. Soweit aus der Entscheidung des Senats vom 31. Mai 1978
[339]> etwas anderes gefolgert werden mag, hält der Senat daran nicht fest.). Es spricht nichts
dafür, dass Art. 6 Abs. 1 GG die Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkind aus dem
Schutz der Familie ausnehmen wollte. Vielmehr deutet der Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 GG, der
ausdrücklich vor der Trennung des Kindes von der „Familie“ schützt, darauf hin, dass der
Verfassungsgeber unter Familie mehr verstanden hat als die Gemeinschaft des Kindes mit
seinen Eltern. Einer abnehmenden verwandtschaftlichen Nähe der Familienmitglieder
zueinander ist bei der Bestimmung der Schutzintensität und der Konkretisierung der
Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen (vgl. Robbers, a.a.O., Rn. 89; Uhle,
a.a.O., Rn. 14; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 112).
24
(2) Der grundrechtliche Schutz familiärer Beziehungen zwischen nahen Verwandten jenseits des
Eltern-Kind-Verhältnisses umfasst deren Recht, bei der Entscheidung über die Auswahl eines
Vormunds oder Ergänzungspflegers berücksichtigt zu werden, sofern tatsächlich eine engere
familiäre Bindung zum Kind besteht. Die Vormundschaft oder Ergänzungspflegschaft ermöglicht
es den Verwandten, das Kind zu sich zu nehmen und in eigener Verantwortung zu betreuen und
zu erziehen. Auf diese Weise können sie ihre familiäre Bindung zum Kind fortführen und
verwandtschaftlicher Verantwortung gerecht werden. Großeltern und sonstigen nahen
Verwandten kommt daher bei der Auswahl des Vormunds oder Ergänzungspflegers der Vorrang
gegenüber nicht verwandten Personen zu, sofern nicht im Einzelfall konkrete Erkenntnisse
darüber bestehen, dass dem Wohl des Kindes, das für die Auswahl bestimmend ist (vgl.
BVerfGE 75, 201 <218>; 68, 176 <188> zum Verhältnis der Kindesinteressen zu den
Elterninteressen), durch die Auswahl einer dritten Person besser gedient ist.
25
b) Die angegriffenen Entscheidungen genügen den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG an die
Berücksichtigung naher Verwandter bei der Auswahl eines Vormunds.
26
aa) Auf das von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Recht naher Verwandter, bei der Entscheidung über
die Auswahl eines Vormunds berücksichtigt zu werden, kann sich die Beschwerdeführerin hier
berufen, weil davon auszugehen ist, dass tatsächlich eine engere familiäre Bindung zu ihrer
Enkelin besteht oder jedenfalls vor dem Wechsel des Kindes in die Pflegefamilie bestanden hat.
Sie hat mit ihrer Enkeltochter während der ersten Lebensjahre des Kindes in einem
gemeinsamen Haushalt gelebt.
27
bb) Das Bundesverfassungsgericht überprüft die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung
des einfachen Rechts hier nach allgemeinen Grundsätzen. Danach sind die Gestaltung des
Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und
Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit
der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht
entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung
Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der
Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE
72, 122 <138>; stRspr).
28
Anderes gilt zwar, wenn ein Kind von seinen Eltern gegen deren Willen getrennt wird. Bei
gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern zum Zweck der Trennung des Kindes von den Eltern
das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht wegen des sachlichen Gewichts der
Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kindern Anlass, über den grundsätzlichen
Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Vor allem prüft das
Bundesverfassungsgericht dann, ob das Familiengericht in nachvollziehbarer Weise
angenommen hat, es bestehe eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls und diese sei nur
durch die Trennung des Kindes von den Eltern, nicht aber durch weniger eingreifende
Maßnahmen abwendbar. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des
besonderen Eingriffsgewichts ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl.
BVerfGE 60, 79 <91>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des
Sachverhalts erstrecken.
29
Diese strenge verfassungsgerichtliche Kontrolle betrifft jedoch die Wahrung der Grundrechte der
Eltern und des Kindes
,
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG (Kind) im Fall der Trennung
besonderer verfassungsrechtlicher Schutz zuteilwird (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>; 79, 51 <60>).
Bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung der gerichtlichen Auswahl des Vormunds oder
Ergänzungspflegers auf deren Vereinbarkeit mit den Grundrechten naher Verwandter besteht
hingegen kein Anlass zu dieser strengen verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Verwandte haben
in ihrem Wunsch, als Vormund des von den Eltern getrennten Kindes eingesetzt zu werden,
nicht an dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Eltern-Kind-Beziehung teil. Die
Eingriffsintensität einer gegen Verwandte ausfallenden Auswahlentscheidung im Rahmen von
§ 1779 BGB bleibt regelmäßig hinter der einer Trennung des Kindes von den Eltern zurück.
30
cc) Die angegriffenen Entscheidungen haben die Tragweite der durch Art. 6 Abs. 1 GG
geschützten Belange der Beschwerdeführerin nicht verkannt. Das Familiengericht ist von einer
besonderen Stellung der Beschwerdeführerin bei der Auswahl des Vormunds ausgegangen und
hat deren Bestellung nicht von überzogenen Anforderungen abhängig gemacht. Es hat
insbesondere nicht angenommen, dass die Beschwerdeführerin erst dann auszuwählen wäre,
wenn dem Kindeswohl damit im Vergleich zum Verbleib in der Pflegefamilie besser gedient
wäre. Das Familiengericht ist vielmehr mit ohne Weiteres nachvollziehbaren Erwägungen zu
dem Ergebnis gelangt, dass dem Kindeswohl bei einem Verbleib in der Pflegefamilie besser
gedient sei als bei einem Wechsel zur Beschwerdeführerin.
31
2. Die Beschwerdeführerin ist nicht dadurch in Grundrechten verletzt, dass ihr die Möglichkeit der
Beschwerde nach § 59 FamFG versagt blieb.
32
a) Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen weder durch den Justizgewährungsanspruch
noch durch Art. 101 Abs. 1 GG gezwungen, nahen Verwandten gegen die durch das Gericht
getroffene Auswahl des Vormunds einen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen. Wird die
Entscheidung nach § 1779 BGB - wie im hier zu beurteilenden Fall - nicht nach § 3 Nr. 2a, § 14
RPflG durch den Rechtspfleger, sondern nach § 6, § 8 Abs. 1 RPflG durch den Familienrichter
getroffen, besteht kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Eröffnung einer weiteren
,
gerichtlichen Instanz. Das Grundgesetz sichert im Bereich des Art. 19 Abs. 4 GG wie auch in
dem des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs die Eröffnung des Rechtswegs. Die Garantie
einer gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen behauptete Rechtsverletzungen
gewährleistet jedoch keinen Rechtsweg über mehrere Instanzen hinweg. Das
Rechtsstaatsprinzip fordert, dass jeder Rechtsstreit um der Rechtssicherheit und des
Rechtsfriedens willen irgendwann ein Ende findet. Wann dies der Fall ist, entscheidet das
Gesetz. Insofern reicht es grundsätzlich aus, dass die Rechtsordnung eine einmalige Möglichkeit
zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung eröffnet. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter
Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei
einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen
Voraussetzungen sie angerufen werden können (vgl.
BVerfGE 107, 395 <401 f.>; stRspr).
33
b) Auch die Auslegung des § 59 Abs. 1 FamFG durch das Oberlandesgericht, wonach § 59
FamFG der Beschwerdeführerin als Großmutter hier keine Beschwerdeberechtigung einräumt,
verletzt die Beschwerdeführerin nicht in der Rechtsschutzgarantie oder in ihrem
grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter.
34
Mit dem für den Bereich des Zivilprozesses durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gewährleisteten Gebot effektiven Rechtsschutzes (vgl.
BVerfGE 93, 99 <107>) ist eine Auslegung und Anwendung der Zulassungsvoraussetzungen für
ein Rechtsmittel dann unvereinbar, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als
objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl.
BVerfGE 125, 104 <137>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16. Juli 2013 - 1 BvR
3057/11 -, NJW 2013, S. 3506 <3508>; stRspr). Die Entscheidung eines Gerichts, ein
Rechtsmittel nicht zuzulassen, verstößt auch gegen die Gewährleistung des gesetzlichen
Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn dem eine willkürliche Auslegung oder Anwendung
des Prozessrechts zugrunde liegt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom
21.?März 2012 - 1 BvR 2365/11 -, NJW 2012, S. 1715 m.w.N.).
35
Dass das Oberlandesgericht die Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 FamFG willkürlich ausgelegt
hätte, ist hier weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Nach § 59 Abs. 1 FamFG steht die
Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Zwar
berührt die Auswahlentscheidung nach § 1779 BGB das Grundrecht der Beschwerdeführerin als
Großmutter aus Art. 6 Abs. 1 GG. Auch mit Blick darauf war sie nach § 1779 Abs. 3 Satz 1 BGB
bei der Auswahl des Vormunds vom Familiengericht grundsätzlich anzuhören. Das
Oberlandesgericht hat sich jedoch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angeschlossen,
der in Fortführung seiner früheren Rechtsprechung zu § 20 Abs. 1, § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG
annimmt, dass auch § 59 Abs. 1 FamFG Großeltern in Verfahren, die die Bestellung eines
Vormunds oder Ergänzungspflegers für ihr Enkelkind zum Gegenstand haben, grundsätzlich
keine Beschwerdebefugnis einräumt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Februar 2011 - XII ZB 214/09 -
, juris; Beschluss vom 26. Juni 2013 - XII ZB 31/13 -, juris). Diese Interpretation von § 59 Abs. 1
FamFG ist nicht willkürlich. Sie beruht auf nachvollziehbarer systematischer Auslegung (vgl.
BGH, Beschluss vom 26. Juni 2013 - XII ZB 31/13 -, juris, Rn. 16) und trägt dem legitimen Ziel
des Gesetzgebers Rechnung, den Kreis der Beschwerdeberechtigten überschaubar zu halten,
um eine zügige Beendigung des gerichtlichen Verfahrens zu ermöglichen, was in
sorgerechtlichen Verfahren von besonderem Gewicht ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni
2013 - XII ZB 31/13 -, juris, Rn. 14; Beschluss vom 2. Februar 2011 - XII ZB 214/09 -, juris,
Rn. 10).
III.
36
Mangels Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde war der Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts in entsprechender Anwendung des
§ 114 ZPO (vgl. BVerfGE 1, 109 <110 ff.>) abzulehnen.
IV.
37
Diese Entscheidung ist in Punkt II.2. im Verhältnis 7:1, im Übrigen einstimmig ergangen.
Kirchhof
Gaier
Eichberger
Schluckebier
Masing
Paulus
Baer
Britz