Urteil des BVerfG vom 08.12.2010

BVerfG: rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, kontrolle, rechtsschutz, effektivität, entlastung, rechtsstaatsprinzip, festschrift, gewährleistung, zugang

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1382/10 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der M... GmbH & Co. KG,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Deubner & Kirchberg,
Mozartstraße 13, 76133 Karlsruhe -
gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. April 2010 - VIII ZR 319/08 -,
b)
den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 23. Februar 2010 - VIII ZR 319/08 -,
c)
das Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17. November 2008 - 4 U 34/07 -,
d)
das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 8. Februar 2007 - 12 O 2921/04 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof
und die Richter Eichberger,
Masing
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 8. Dezember 2010 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die dem Bundesgerichtshof nach § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO
eingeräumte Möglichkeit, einen Beschluss über die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht näher zu
begründen, und die Anwendung dieser Vorschrift auf die Entscheidung über eine nachfolgende Anhörungsrüge nach
§ 321a ZPO.
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1. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren verurteilt, mehr als 2
Millionen Euro an den Kläger zu zahlen, der als Insolvenzverwalter Zahlung für eine Insolvenzschuldnerin aus einem
mit der Beschwerdeführerin geschlossenen Unternehmenskaufvertrag begehrt hat.
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2. Der Bundesgerichtshof hat die vorrangig auf Verletzungen von Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG gestützte
Nichtzulassungsbeschwerde mit der an den Wortlaut der § 544 Abs. 4 Satz 2, § 543 Abs. 2 ZPO angelehnten,
formelhaften Begründung zurückgewiesen, die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung und weder die
Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderten eine Entscheidung des
Revisionsgerichts. Die von der Beschwerdeführerin erhobene Anhörungsrüge hat der Bundesgerichtshof ebenfalls
zurückgewiesen. Der Senat habe das von der Anhörungsrüge als übergangen gerügte Vorbringen geprüft, aber nicht
für durchgreifend erachtet. Von einer weiterreichenden Begründung werde in entsprechender Anwendung des § 544
Abs. 4 Satz 2 ZPO abgesehen.
II.
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Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Rechts auf Justizgewährung und effektiven Rechtsschutz aus
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1
GG.
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1. Die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde, soweit diese auf eine Gehörsverletzung durch das
Berufungsgericht gestützt werde, müsse mit Rücksicht auf eine im Anschluss daran in Frage kommende
Anhörungsrüge nach § 321a ZPO unter Reduzierung des durch § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO eingeräumten
Ermessens in einer Weise begründet werden, die eine inhaltliche Auseinandersetzung ermögliche; andernfalls werde
die Durchsetzung der Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG in
unzumutbarer Weise erschwert.
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Die Effektivität des Rechtsschutzes werde in unzumutbarer Weise beeinträchtigt und das Anhörungsrügeverfahren
ungeachtet der damit auch verfolgten Zielsetzung, das Bundesverfassungsgericht zu entlasten, zu einem bloßen
„Durchlauferhitzer“, wenn Anhörungsrügen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof von
diesem lediglich formal beschieden würden und ein Beschwerdeführer keinen Aufschluss darüber erhalte, mit welcher
Begründung die von ihm erhobenen Gehörsrügen vom Bundesgerichtshof für nicht durchgreifend erachtet worden
seien. Die diesbezügliche Praxis des Bundesgerichtshofs könne nicht mit einem Hinweis auf § 544 Abs. 4 Satz 2
Halbs. 2 ZPO begründet werden.
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2. Wenn der Beschluss über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde auch bei einer Rüge der Verletzung
rechtlichen Gehörs nicht begründet werde, müsse der Beschwerdeführer das Bundesverfassungsgericht mit den
gleichen Gehörsrügen konfrontieren, die er bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und gegebenenfalls im
Anhörungsrügeverfahren erhoben habe; bei Anrufung des Bundesverfassungsgerichts stehe der Beschwerdeführer
„mit leeren Händen dar“.
III.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des
§ 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche
verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte
angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig (1.) und hat im Übrigen keinen Erfolg (2.).
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1. Mangels einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Begründung unzulässig ist
die Verfassungsbeschwerde, soweit die Beschwerdeführerin sich nach ihrem Antrag auch gegen die Entscheidungen
der Instanzgerichte wendet. Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts durch das angegriffene Urteil des
Landgerichts behauptet die Beschwerdeführerin nicht. Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin zwar ausgeführt, dass
sie mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gerügt habe. Der
Verfassungsbeschwerdeschrift lässt sich eine hinreichende Darstellung einer Verletzung ihres Rechts auf rechtliches
Gehör durch das Oberlandesgericht jedoch nicht entnehmen. Die Beschwerdeführerin hat hierzu auch nicht
ausdrücklich auf die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung verwiesen. Selbst wenn man ihr Vorbringen aber in
diesem Sinne auslegte, genügte dies den Anforderungen an eine substantiierte Begründung nicht, weil es nicht
Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, aufgrund eines undifferenzierten Hinweises auf Schriftsätze im
Ausgangsverfahren den dortigen Vortrag auf verfassungsrechtlich relevante Lebenssachverhalte hin zu untersuchen
(vgl. BVerfGE 80, 257 <263>; 83, 216 <228>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. Januar
2010 - 1 BvR 2973/06 -, juris, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2008 - 1 BvR
2722/06 -, NVwZ 2008, S. 780 <781 f.>).
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2. Dass der Bundesgerichtshof die angegriffenen Beschlüsse nicht näher begründet hat, verletzt weder den
Anspruch der Beschwerdeführerin auf Justizgewährung und effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip noch ihr Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
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a) Der Bundesgerichtshof ist auch in Ansehung dieser grundgesetzlichen Gewährleistungen nicht gehalten gewesen,
seine Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde über einen formelhaften Hinweis auf die Voraussetzungen
des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO hinaus näher zu begründen. § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO räumt diese Möglichkeit
ausdrücklich ein.
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aa) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass eine mit ordentlichen Rechtsmitteln
nicht mehr anfechtbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung von Verfassungs wegen regelmäßig keiner
Begründung bedarf (vgl. BVerfGE 50, 287 <289 f.>; 65, 293 <295>; 71, 122 <135 f.>; 81, 97 <106>; 86, 133 <146>;
94, 166 <210>; 104, 1 <7 f.>; 118, 212 <238>; BVerfGK 2, 213 <220>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten
Senats vom 6. September 1996 - 1 BvR 1485/89 -, NJW 1997, S. 1693). Dies gilt auch für Entscheidungen des
Bundesgerichtshofs, mit denen - wie hier - eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nach § 544 Abs.
4 ZPO zurückgewiesen wird (vgl. BVerfGK 2, 213 <220>).
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bb) Ausnahmsweise ist eine Begründung geboten, wenn von dem eindeutigen Wortlaut einer Norm abgewichen
werden soll und der Grund hierfür nicht ohne weiteres erkennbar ist (vgl. BVerfGE 71, 122 <136>) oder ein im
Zeitpunkt der Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde bestehender Zulassungsgrund vor der Entscheidung über die
Nichtzulassungsbeschwerde wegfällt und deswegen eine Prüfung der Erfolgsaussichten auf der Grundlage anderer als
der von der Vorinstanz für tragend erachteten Gründe erforderlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des
Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 25 f.). Eine solche Ausnahme ist jedoch weder
dargetan noch anderweitig ersichtlich.
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cc) An diesen Grundsätzen zur Begründung letztinstanzlicher Entscheidungen ändert sich auch dann nichts, wenn
mit der Nichtzulassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Vorinstanz
gerügt wird. Dass die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 Abs. 2 ZPO mit einer
Anhörungsrüge nach § 321a ZPO angefochten werden kann, wenn mit dieser eine nicht nur sekundäre, sondern neue
und eigenständige Gehörsverletzung gerügt wird (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats
vom 5. Mai 2008 - 1 BvR 562/08 -, NJW 2008, S. 2635), bleibt ohne Einfluss auf die Begründungserleichterungen bei
Beschlüssen über die Nichtzulassungsbeschwerde.
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(1) In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass der für Zivilverfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch auf Justizgewährung die Möglichkeit einer einmaligen
Kontrolle einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör garantiert, auch wenn diese erstmals in einem
Rechtsmittelverfahren geschieht (vgl. BVerfGE 107, 395 <406 f., 410 f.>). Die Prüfung einer behaupteten Verletzung
von Art. 103 Abs. 1 GG kann im allgemeinen Rechtsmittelsystem oder im Rahmen eines Sonderrechtsbehelfs ohne
Anrufung einer weiteren Instanz erfolgen (vgl. BVerfGE 107, 395 <411 f.>). Dem Gesetzgeber steht bei der näheren
Ausgestaltung ein Spielraum offen, bei dessen Ausfüllung auch die Interessen der anderen Verfahrensbeteiligten und
Anforderungen an die Funktionsfähigkeit der Gerichte zu beachten sind (vgl. BVerfGE 107, 395 <412>).
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Der Anspruch auf Justizgewährung garantiert neben dem Recht auf Zugang zu den Gerichten effektiven
Rechtsschutz durch eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands sowie
eine verbindliche richterliche Entscheidung (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>; 107, 395 <401>; 108, 341 <347>). Die
gebotene wirksame gerichtliche Kontrolle darf nicht in einer für den Rechtsschutzsuchenden unzumutbaren, aus
Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 88, 118 <123 f.>; 101, 397
<408>; 107, 395 <413>). Ein in der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel darf das Gericht nicht
ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer „leerlaufen“ lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>).
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(2) Mit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 Abs. 1 ZPO kann eine Verletzung rechtlichen Gehörs seitens
des Berufungsgerichts mit Erfolg gerügt werden, weil bei einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten die Revision
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen ist (vgl. nur
BGHZ 154, 288 <295 f.>); nach § 544 Abs. 7 ZPO kann das Revisionsgericht im Falle einer begründeten Gehörsrüge
auch schon im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache an das
Berufungsgericht zurückverweisen. Die Nichtzulassungsbeschwerde eröffnet auf diese Weise die
verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit zur einmaligen Kontrolle einer Gehörsverletzung.
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Die Effektivität dieser Kontrolle der Entscheidung des Berufungsgerichts auf eine Gehörsverletzung wird jedoch
nicht davon beeinflusst, ob der Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde näher begründet wird. Da die
Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde als letztinstanzliche Entscheidung nicht mehr mit einem
ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden kann, ist eine nähere Begründung dieser Entscheidung auch nicht
geeignet, die Wirksamkeit des Rechtsschutzes im fachgerichtlichen Rechtsmittelzug weiter zu beeinflussen. Eine
Begründung mag daher zwar aus Gründen der Nachvollziehbarkeit für die Parteien wünschenswert sein
(vgl. Sangmeister, NJW 2007, S. 2363 <2365>), der aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG
abgeleitete Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gebietet eine solche jedoch nicht (vgl. BVerfGE 50, 287 <289 f.>);
ebensowenig folgt aus der Gewährleistung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG ein Anspruch der Beteiligten
auf eine mit Gründen versehene letztinstanzliche Entscheidung (vgl. BVerfGE 104, 1 <7 f.>).
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(3) Eine ausführlichere Begründung der Entscheidung über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde ist
auch nicht deswegen geboten, weil gegen sie - im Übrigen unabhängig davon, ob die Beschwerde auf eine Verletzung
des Rechts auf rechtliches Gehör gestützt wurde - eine Anhörungsrüge nach § 321a ZPO erhoben werden kann, wenn
damit eine nicht nur sekundäre, sondern neue und eigenständige Gehörsverletzung durch den Bundesgerichtshof
gerügt wird (vgl. BVerfGK 13, 496 <499>; BGH, Beschluss vom 20. November 2007 - VI ZR 38/07 -, NJW 2008,
S. 923).
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(a) Die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt eine letztinstanzliche, mit ordentlichen
Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare Entscheidung, weil die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO als außerordentlicher
Rechtsbehelf keine weitere Instanz eröffnet.
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(b) Zwar wird es einem Beschwerdeführer durch das Fehlen einer näheren Begründung zu den
Zulassungsvoraussetzungen erschwert, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf eine neue und eigenständige
Gehörsverletzung zu überprüfen (vgl. Kirchberg, in: Festschrift für Krämer, 2009, S. 43 <56 f.>; Zuck, NJW 2008, S.
479). Eine solche Erschwerung lässt die von Verfassungs wegen zu gewährleistende einmalige fachgerichtliche
Kontrolle auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG weder „leerlaufen“ noch ist
diese unzumutbar. Mit der Begründungserleichterung in § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO hält sich der Gesetzgeber
vielmehr innerhalb seines weiten Spielraums bei der Ausgestaltung der Kontrolle (vgl. BVerfGE 107, 395 <411>),
wobei er auch die Anforderungen an die Funktionsfähigkeit der Gerichte zu beachten hat (vgl. BVerfGE 107, 395
<412>). Die dem Bundesgerichtshof eingeräumte Arbeitserleichterung, von einer näheren Begründung nach § 544
Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abzusehen, ist mit Blick auf die besonderen Aufgaben eines obersten Gerichts des
Bundes sachgerecht, dient der Erhaltung seiner Funktionsfähigkeit und damit der Effektivität der Rechtsverfolgung im
Interesse aller Rechtsschutzsuchenden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6.
September 1996 - 1 BvR 1485/89 -, NJW 1997, S. 1693, zu § 115 Abs. 5 FGO a.F.; vgl. auch BTDrucks V/2849, S.
3, zum Entwurf des späteren Gesetzes zur Entlastung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen vom 15. August 1969,
BGBl I S. 1141). Von Verfassungs wegen geboten ist lediglich eine einmalige Kontrolle gerichtlichen
Verfahrenshandelns auf eine Gehörsverletzung, nicht aber eine Begründung der hierauf ergehenden Entscheidung
(vgl. BVerfGE 107, 395 <411>; BVerfGK 2, 213 <217, 220>).
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(4) Die Verfassungsbeschwerde selbst ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf außerhalb des fachgerichtlichen
Verfahrens, der der Abwehr von Eingriffen der öffentlichen Gewalt und der Durchsetzung von Grundrechten und
grundrechtsgleichen Rechten dient (vgl. BVerfGE 107, 395 <413 f.>). Der Anspruch auf Justizgewährung und
effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verlangt deswegen nicht, dass das
Verfassungsbeschwerdeverfahren durch eine ausführliche Darlegung der fachgerichtlichen Auffassung zu einer
möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG für die Beschwerdeführerin
gleichsam vorbereitet und erleichtert wird, auch wenn es zunächst den Fachgerichten obliegt, die Grundrechte zu
wahren und durchzusetzen (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>), denn Letzteres geschieht unabhängig von einer
Begründung der fachgerichtlichen Entscheidungen.
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Die mit der Einführung der Anhörungsrüge bezweckte Entlastung des Bundesverfassungsgerichts durch Eröffnung
der Möglichkeit einer Selbstkorrektur auch bei Gehörsverstößen des Bundesgerichtshofs wird dadurch hinreichend
gewahrt, dass die Anhörungsrüge, wenn trotz der Begründungserleichterung genügend Anhaltspunkte für einen
eigenständigen Gehörsverstoß durch den Bundesgerichtshof vorliegen, eröffnet bleibt, so dass der Bundesgerichtshof
die angegriffene Entscheidung auf einen solchen überprüfen und gegebenenfalls korrigieren kann. Ohne solche
Anhaltspunkte und bei einer nur „sekundären Gehörsrüge“ besteht hingegen keine Veranlassung für eine
Anhörungsrüge gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs und kann sofort Verfassungsbeschwerde erhoben
werden (vgl. BVerfGK 13, 496 <499>; BGH, Beschluss vom 20. November 2007 - VI ZR 38/07 -, NJW 2008, S. 923).
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b) Die Auslegung und Anwendung des § 321a Abs. 4 Satz 5 ZPO durch den Bundesgerichtshof, nach der auf eine
Begründung der Entscheidung über die Anhörungsrüge in entsprechender Anwendung des § 544 Abs. 4 Satz 2
Halbs. 2 ZPO verzichtet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 - III ZR 443/04 -, NJW-RR 2006, S. 63;
BTDrucks 15/3706, S. 16), ist vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich hinzunehmen. Sie steht im Einklang mit
den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen effektiven Rechtsschutzes und rechtlichen Gehörs, da die
vorgenannten Gründe für die Begründungserleichterung bei der Entscheidung über die Anhörungsrüge erst recht
gelten.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Kirchhof
Eichberger
Masing