Urteil des BVerfG vom 13.10.2009

hinzurechnung, leistungsfähigkeit, verordnung, entlastung

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvL 3/05 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
zur verfassungsrechtlichen Prüfung
der Frage, ob § 31 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes und § 36 Absatz 2 Satz 1
des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 2001 maßgeblichen Fassung
insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar sind, als danach bei Steuerpflichtigen, deren
Einkommen gemäß § 31 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes um die Freibeträge
des § 32 Absatz 6 des Einkommensteuergesetzes gemindert wurde, die tarifliche
Einkommensteuer auch in den Fällen um die Hälfte des gezahlten Kindergeldes zu
erhöhen ist, in denen eine Anrechnung des Kindergeldes auf den Barunterhalt nach
§ 1612b Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur
Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts
vom 2. November 2000 (BGBl I S. 1479) mit der Folge ganz oder teilweise
unterblieben ist, dass im wirtschaftlichen Ergebnis nicht einmal die tatsächlichen - die
Freibeträge des § 32 Absatz 6 des Einkommensteuergesetzes unterschreitenden -
Unterhaltszahlungen des Steuerpflichtigen in vollem Umfang von der
Einkommensteuer freigestellt worden sind,
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs vom 30. November
2004 - VIII R 51/03, nunmehr III R 94/03 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der
Richterinnen und Richter
Vizepräsident Voßkuhle,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau
am 13. Oktober 2009 beschlossen:
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§ 31 Satz 5 und § 36 Absatz 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der
Fassung des Gesetzes zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl I
S. 2552) sind mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit danach bei Steuerpflichtigen,
deren Einkommen gemäß § 31 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes um die
Freibeträge des § 32 Absatz 6 des Einkommensteuergesetzes gemindert wurde, die
tarifliche Einkommensteuer auch in den Fällen um die Hälfte des gezahlten
Kindergeldes zu erhöhen ist, in denen eine Anrechnung des Kindergeldes auf den
Unterhalt nach § 1612b Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung des
Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des
Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000 (BGBl I S. 1479) ganz oder teilweise
unterblieben ist.
Gründe:
A.
Die Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG betrifft die Frage der
Verfassungsmäßigkeit der Erhöhung der tariflichen Einkommensteuer des
barunterhaltspflichtigen Elternteils um die Hälfte des gezahlten Kindergeldes im
Veranlagungszeitraum 2001 in Fällen, in denen eine Anrechnung des Kindergeldes
auf den Kindesunterhalt nach § 1612b Abs. 5 BGB in der Fassung des Gesetzes zur
Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts
vom 2. November 2000 (BGBl I S. 1479) ganz oder teilweise unterblieben ist, weil es
vorrangig zur Auffüllung des Kindesunterhalts zu verwenden war (sog. Mangelfälle).
I.
1. Die mit dem Unterhalt und der Betreuung von Kindern verbundenen Belastungen
der Eltern werden durch steuerliche Freibeträge und durch die Zahlung von
Kindergeld ausgeglichen (zur Rechtsentwicklung vgl. BVerfGE 108, 52 <53 f.> ). Für
den hier zu betrachtenden Veranlagungszeitraum 2001 maßgeblich sind die
Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur
Familienförderung vom 22. Dezember 1999 ( BGBl I S. 2552 ). Danach wird die
steuerliche Freistellung in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich
des Betreuungsbedarfs durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das
monatlich als Steuervergütung gezahlte Kindergeld bewirkt. Soweit das Kindergeld
dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie. Die Freibeträge
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werden nur dann vom Einkommen des Steuerpflichtigen abgezogen, wenn die
gebotene steuerliche Freistellung nicht bereits durch das monatlich gezahlte
Kindergeld bewirkt wird („Günstigerprüfung“). Sind bei der Veranlagung die
Freibeträge
abzuziehen,
wird
das gezahlte Kindergeld der tariflichen
Einkommensteuer hinzugerechnet. Nicht steuerlich zusammenveranlagten Eltern
stehen die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG jeweils zur Hälfte zu. Da das
Kindergeld nur einem Berechtigten - wie im Ausgangsverfahren meist dem
betreuungsunterhaltspflichtigen Elternteil - ausgezahlt wird (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1
EStG),
steht für
die
steuerliche
Hinzurechnung
ein
zivilrechtlicher
Ausgleichsanspruch dem Erhalt von Kindergeld gleich (§ 31 Satz 5 EStG).
Die
für
die
Vorlagefrage
bedeutsamen Bestimmungen
des
Einkommensteuergesetzes haben folgenden Wortlaut:
§ 31 Familienleistungsausgleich
Die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des
Existenzminimums
eines
Kindes einschließlich
des
Betreuungsbedarfs wird durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 oder
durch Kindergeld nach dem X. Abschnitt bewirkt. Soweit das
Kindergeld dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der
Familie. Im laufenden Kalenderjahr wird Kindergeld als
Steuervergütung monatlich gezahlt. Wird die gebotene steuerliche
Freistellung durch das Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt,
sind bei der Veranlagung zur Einkommensteuer die Freibeträge
nach § 32 Abs. 6 abzuziehen. In diesen Fällen sind das Kindergeld
oder vergleichbare Leistungen nach § 36 Abs. 2 zu verrechnen,
a u c h soweit sie dem Steuerpflichtigen im Wege eines
zivilrechtlichen Ausgleichs zustehen. ...
§ 36 Entstehung und Tilgung der Einkommensteuer
...
Wurde das Einkommen in den Fällen des § 31 um einen Freibetrag
nach § 32 Abs. 6 vermindert, so wird im entsprechenden Umfang
das gezahlte Kindergeld der Einkommensteuer hinzugerechnet; …
Soweit § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG eine § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG entsprechende
Regelung enthält, kommt ihr selbständige Bedeutung nicht zu.
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2. Gemäß § 1612a Abs. 1 BGB in der bis zum 1. Januar 2008 geltenden
Ausgestaltung des Unterhaltsrechts kann ein minderjähriges Kind von einem
Elternteil, mit dem es nicht in einem Haushalt lebt, Barunterhalt in Höhe eines
Prozentsatzes des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung verlangen (vgl.
dazu auch BVerfGE 108, 52 <56, 73 ff.>). Das auf das Kind entfallende Kindergeld ist
zur Hälfte anzurechnen, wenn es nicht an den barunterhaltspflichtigen Elternteil
ausgezahlt wird, weil ein anderer vorrangig berechtigt ist (§ 1612b Abs. 1 BGB).
Damit trägt das Unterhaltsrecht dem Umstand Rechnung, dass das Kindergeld
grundsätzlich dem Elternteil gezahlt wird, der das Kind in seinen Haushalt
aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Diese Regelung galt bereits vor Inkrafttreten der die Vorlage des Bundesfinanzhofs
auslösenden Änderung des Unterhaltsrechts nicht ausnahmslos. Gemäß § 1612b
Abs. 5 BGB a. F. unterblieb die Anrechnung des Kindergeldes, soweit der
Unterhaltspflichtige außerstande war, Unterhalt in Höhe des Regelbetrages nach der
Regelbetrag-Verordnung zu zahlen. Hierdurch sollte sichergestellt werden, dass der
betreuende Elternteil mindestens über den Regelbetrag und seinen eigenen
Kindergeldanteil verfügen kann, um den Lebensunterhalt des Kindes zu sichern. Der
ausgleichsberechtigte Barunterhaltspflichtige sollte steuerrechtlich so behandelt
werden, als habe er seinen halben Kindergeldanteil nach Absatz 1 zwar erhalten,
aber ganz oder teilweise zur Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtung eingesetzt (vgl.
BTDrucks 13/7338, S. 30). Mit der Begründung, dass die Regelbeträge nach der
Regelbetrag-Verordnung hinter dem Existenzminimum von Kindern zurückblieben,
wurde darauf verzichtet, den Regelbetrag als im Regelfall bedarfsgerechten Unterhalt
zu definieren (vgl. BTDrucks 13/9596, S. 31).
Durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des
Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000 (BGBl I S. 1479) wurde § 1612b
Abs. 5 BGB mit Wirkung zum 1. Januar 2001 dahin geändert, dass eine Anrechnung
des Kindergeldes unterbleibt, soweit der Unterhaltspflichtige außerstande ist,
Unterhalt in Höhe von 135 Prozent des Regelbetrages nach der Regelbetrag-
Verordnung zu leisten. Die Regelung geht auf eine Empfehlung des
Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zurück (BTDrucks 14/3781, S. 4):
In Ergänzung der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs durch das Gesetz
zur Familienförderung seien die Alleinerziehenden auch unterhaltsrechtlich zu
entlasten. Erst durch eine solche unterhaltsrechtliche Neuregelung könne
sichergestellt
werden, dass das Existenzminimum des Kindes nicht nur
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steuerrechtlich freigestellt werde, sondern auch Anknüpfungspunkt für die Verteilung
und Verwendung des Kindergeldes werde. Eine Anrechnung des Kindergeldes habe
zu unterbleiben, soweit der für den Unterhalt des Kindes zur Verfügung stehende
Betrag, also der tatsächlich geschuldete Unterhalt, hinter dem Barexistenzminimum
des Kindes zurückbleibe. Der halbe Kindergeldanteil werde künftig nur angerechnet,
soweit
er zusammen mit dem tatsächlich geschuldeten Unterhalt das
Barexistenzminimum übersteige. Diese Regelung erscheine im Interesse des Kindes
sachgerecht. Der neue § 1612b Abs. 5 BGB führe auf diese Weise zu einer
g e ä n d e r t e n Verwendung
des
Kindergeldes
unter
Übernahme
des
Barexistenzminimums als maßgeblicher Grenze, ohne dass von der in § 1612b
Abs. 1 BGB angeordneten Halbteilung des Kindergeldes abgewichen werde. Der
Barunterhalt Leistende werde jedoch solange verpflichtet, die ihm zustehende Hälfte
des Kindergeldes für den Unterhalt des Kindes zu verwenden, bis das
Barexistenzminimum des Kindes gesichert sei. Unberührt bleibe hiervon das
Erfordernis,
in
Mangelfällen auch den notwendigen Selbstbehalt des
Barunterhaltsverpflichteten zu wahren. Der Entwurf verzichte darauf, das
Barexistenzminimum des Kindes autonom zu definieren. Ein eingehender Abgleich
der Entwicklung der Beträge des Existenzminimums einerseits sowie der
Regelbeträge andererseits habe ergeben, dass die ohnehin beizubehaltenden
Regelbeträge eine treffsichere Rechengrundlage abgäben und dass sich hiernach
d a s Existenzminimum mit 135 Prozent des jeweiligen, nach Altersgruppen
gestaffelten Regelbetrages darstellen lasse (vgl. BTDrucks 14/3781, S. 7 f.).
Im Jahr 2001 galt § 1612b BGB mit folgendem Wortlaut:
(1) Das auf das Kind entfallende Kindergeld ist zur Hälfte
anzurechnen, wenn an den barunterhaltspflichtigen Elternteil
Kindergeld nicht ausgezahlt wird, weil ein anderer vorrangig
berechtigt ist.
(2) bis (4) ...
(5) Eine Anrechnung des Kindergeldes unterbleibt, soweit der
Unterhaltspflichtige außerstande ist, Unterhalt in Höhe von 135
Prozent des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu
leisten.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss des Ersten Senats vom 9. April
2003 - 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 - ( BVerfGE 108, 52 ) die Vereinbarkeit von
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§ 1612b Abs. 5 BGB mit dem Grundgesetz bestätigt.
II.
1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist seit Dezember 2000 geschieden. Aus der
geschiedenen Ehe sind zwei 1993 und 1997 geborene Kinder hervorgegangen, die
im Haushalt der Mutter leben. Der Kläger hat sich in der Scheidungsvereinbarung
verpflichtet, monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von jeweils 128 Prozent des
jeweiligen Regelsatzes der Düsseldorfer Tabelle (nach Einkommensgruppe 5)
abzüglich 50 Prozent des gesetzlichen Kindergeldes zu zahlen. Während er noch im
Januar 2001 Unterhalt in Höhe von insgesamt 737 DM unter Berücksichtigung von
135 DM Kindergeld für jedes Kind zahlte, erbrachte er im weiteren Jahresverlauf
erhöhte Zahlungen, weil das Kindergeld gemäß § 1612b Abs. 5 BGB in geringerem
Umfang angerechnet wurde. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr
2001 gab der Kläger die Höhe des zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs mit jeweils
1.317 DM (insgesamt 2.634 DM) an. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer
2001 bei einem zu versteuernden Einkommen von 64.553 DM (nach Abzug von zwei
Kinderfreibeträgen und zwei Betreuungsfreibeträgen) gemäß der Grundtabelle auf
14.640 DM und unter Hinzurechnung der Hälfte des gesetzlichen Kindergeldes
(insgesamt 3.240 DM) auf 17.880 DM fest.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage, mit der er im
Wesentlichen geltend machte, als „gezahltes Kindergeld“ im Sinne des § 36 Abs. 2
EStG dürften nur die unter Berücksichtigung des § 1612b Abs. 5 BGB noch
anrechenbaren Kindergeldbeträge in Höhe von insgesamt 2.635 DM angesetzt
werden. Das Finanzgericht Münster verurteilte das Finanzamt zur Abänderung des
Einkommensteuerbescheides zugunsten des Klägers (Urteil vom 21. Mai 2003 - 10 K
38/03 E - EFG 2003, S. 1249): Gemäß § 31 Satz 5, § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG sei nicht
die Hälfte des gesetzlichen Kindergeldes, sondern nur Kindergeld in Höhe des
bestehenden zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs zu verrechnen. Nach dem
eindeutigen Wortlaut des § 31 Satz 5 EStG sei das Bestehen eines zivilrechtlichen
Ausgleichsanspruchs in jedem Fall Voraussetzung für die Hinzurechnung des halben
Kindergeldes, wenn dieses - wie im Streitfall - nicht an den Steuerpflichtigen, sondern
an den anderen Elternteil ausgezahlt worden sei. Dem Kläger habe im Streitfall nur
ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch in Höhe von insgesamt 2.635 DM
zugestanden. Nach § 1612b Abs. 5 BGB n.F. unterbleibe eine Anrechnung des
Kindergeldes auf den Kindesunterhalt, soweit der Unterhaltspflichtige außerstande
sei, 135 Prozent des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten.
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Der Kläger sei nur zur Zahlung von 128 Prozent des Regelbetrages verpflichtet. Da
nach dem Wortlaut des § 31 Satz 5 EStG („zustehen“) aber nur ein bestehender
Ausgleichsanspruch dem Kindergeld gleichgestellt sei, habe die Hinzurechnung des
Kindergeldes zwingend zu unterbleiben, soweit der Unterhaltsanspruch des Kindes
nicht um das anteilige Kindergeld gekürzt werden dürfe.
2. Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs hat das Verfahren über die vom Finanzamt
eingelegte Revision ausgesetzt und die Sache gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem
Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Vereinbarkeit von § 31 Satz 5
und § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 6 GG, mit
dem Grundsatz der Steuerfreiheit des Existenzminimums aus Art. 1 in Verbindung mit
dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG sowie mit dem Gleichheitssatz (Art. 3
Abs. 1 GG) vorgelegt (Beschluss vom 30. November 2004 - VIII R 51/03 -, BStBl II
2008, S. 795 = BFHE 207, 471).
Der Senat müsse nach Maßgabe der einfachrechtlichen Bestimmungen das
angefochtene Urteil aufheben und die Klage abweisen. Der Abzug der Freibeträge
gemäß § 32 Abs. 6 EStG bewirke für den Kläger eine höhere steuerliche Entlastung
als das halbe Kindergeld. Die dem Kläger zurechenbare Hälfte des gemäß § 64 EStG
a n die Mutter gezahlten Kindergeldes (3.240 DM) sei gemäß § 31 Satz 5 in
Verbindung mit § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG seiner tariflichen Einkommensteuer
hinzuzurechnen. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger wegen § 1612b Abs. 5
BGB nur einen Teil des ihm zurechenbaren Kindergeldes (2.635 DM) auf den
Unterhaltsanspruch seiner Kinder habe anrechnen können. Auch soweit eine
Anrechnung gemäß § 1612b Abs. 5 BGB ausgeschlossen sei, ändere das nichts
daran, dass gemäß § 1612b Abs. 1 BGB dem barunterhaltspflichtigen Elternteil ein
Ausgleichsanspruch in Höhe des halben Kindergeldes zustehe. § 1612b Abs. 5 BGB
stelle den zum Barunterhalt Verpflichteten so, als habe er das halbe Kindergeld zwar
erhalten, aber ganz oder teilweise zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht eingesetzt.
Eine einschränkende Auslegung von § 31 Satz 5 und § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG
dahingehend, dass das Kindergeld nur in Höhe des tatsächlich auf den
Kindesunterhalt
angerechneten
Betrages
der tariflichen Einkommensteuer
hinzuzurechnen sei, komme nicht in Betracht. Dem stünden der Wille des
Gesetzgebers und der eindeutige Wortlaut des § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG entgegen,
wonach sich der Umfang der Hinzurechnung des Kindergeldes nach der
Inanspruchnahme
des
Kinderfreibetrages richte. Dies entspreche dem
Halbteilungsgrundsatz, wonach die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG wie auch das
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Kindergeld beiden Elternteilen, auch wenn sie nicht gemeinsam veranlagt werden,
zugute kommen müsse. Eine reduzierte Hinzurechnung, wie sie das Finanzgericht
befürworte, führe - bezogen auf beide Elternteile - zu einer kumulativen
Begünstigung, die mit § 31 Satz 5 und § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG gerade
ausgeschlossen werden solle. Sie hätte in den Fällen des § 1612b Abs. 5 BGB zur
Folge, dass bei nicht zusammenveranlagten Eltern im Ergebnis ein „höheres
Existenzminimum“
von
der
Besteuerung freigestellt
würde
als
bei
zusammenveranlagten Eltern.
§ 31 Satz 5 in Verbindung mit § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG verstoße aber insoweit
gegen das Grundgesetz, als bei der Veranlagung eines Steuerpflichtigen, dessen
Einkommen um die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG zu mindern ist, der
Ausgleichsanspruch in Höhe des halben Kindergeldes auch dann der
Einkommensteuer hinzuzurechnen ist, wenn der Steuerpflichtige seine Verpflichtung
zur Zahlung von Kindesunterhalt nicht in vollem Umfang mit dem Ausgleichsanspruch
(§ 1612b Abs. 1 BGB) verrechnen dürfe, weil er nicht in der Lage ist, Unterhalt in
Höhe von 135 Prozent des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu
zahlen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Hinzurechnung des halben
Kindergeldes zur tariflichen Einkommensteuer bewirke, dass im wirtschaftlichen
Ergebnis nicht einmal die tatsächlichen - die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG
unterschreitenden
- Unterhaltszahlungen des Steuerpflichtigen von der
Einkommensteuer freigestellt seien.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 99, 246
<259>)
fordere
das Grundgesetz, dass existenznotwendiger Aufwand in
angemessener, realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freigestellt werde.
Aus Art. 6 Abs. 1 GG folge, dass bei der Besteuerung einer Familie das
Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben müsse. Art. 3
Abs. 1 GG gebiete in seiner Ausprägung als „horizontale Steuergleichheit“,
Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern.
Zwar wäre das subjektive Nettoprinzip bei einem Elternteil, dessen
Unterhaltsleistungen gegenüber dem Kind sich in den gerichtlich oder vertraglich
festgelegten laufenden Unterhaltszahlungen erschöpften, wohl auch durch eine
Regelung gewahrt, die eine Minderung der Bemessungsgrundlage nicht in Höhe der
Freibeträge,
sondern nur in Höhe der (niedrigeren) tatsächlich geleisteten
Unterhaltszahlungen vorsehe, es widerspreche aber dem Gebot der Folgerichtigkeit,
einem zum Barunterhalt verpflichteten Steuerpflichtigen, dem die Freibeträge des
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§ 32 Abs. 6 EStG zustünden, die dadurch bewirkte steuerliche Entlastung seines
Einkommens ganz oder teilweise wieder zu nehmen, indem seine tarifliche
Einkommensteuer gemäß § 31 Satz 5 EStG um den Ausgleichsanspruch des
§ 1612b Abs. 1 BGB erhöht werde, obwohl ihm dieser Anspruch nicht oder nur
teilweise zugute gekommen sei. Zumindest müsse durch den einkommensteuerlichen
Familienleistungsausgleich sichergestellt sein, dass die tatsächlichen Aufwendungen
des Steuerpflichtigen für den Unterhalt seines Kindes, auch wenn sie die Freibeträge
d e s § 32 Abs. 6 EStG unterschritten, im Ergebnis von der Einkommensteuer
freigestellt seien. Dem werde die Regelung des § 31 Satz 5 EStG seit dem
Inkrafttreten des § 1612b Abs. 5 BGB bei einer erheblichen Anzahl von Fällen nicht
mehr gerecht. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, dass die steuerliche Entlastung
durch die Freibeträge in den Fällen des § 1612b Abs. 5 BGB durch die in § 31 Satz 5,
§ 36 Abs. 2 EStG angeordnete Erhöhung der tariflichen Einkommensteuer um das
halbe Kindergeld teilweise wieder genommen werde. Das Einkommen des
Unterhaltsverpflichteten erhöhe sich nicht dadurch, dass § 1612b Abs. 5 BGB die
Verwendung des Ausgleichsanspruchs aus § 1612b Abs. 1 BGB zur Auffüllung des
Kinderunterhaltes anordne. Die zivilrechtliche Zurechnung eines Anspruchs, über
den der Steuerpflichtige zu keinem Zeitpunkt wirtschaftlich verfügen könne, sei einem
a u f den Kindesunterhalt angerechneten Ausgleichsanspruch oder der Entlastung
durch die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG nicht gleichwertig.
Die Hinzurechnung des halben Kindergeldes könne auch nicht mit der Erwägung
gerechtfertigt werden, der Ausgleichsanspruch diene nur insoweit der steuerlichen
Freistellung des Einkommens in Höhe des Existenzminimums des Kindes, als der
Steuerpflichtige mit seinen laufenden Unterhaltszahlungen den vollen existentiellen
Bedarf des Kindes abdecke; soweit dieser Bedarf nicht abgedeckt werde, sei das
Kindergeld Sozialleistung. Ob und in welcher Höhe das Kindergeld der Freistellung
des Einkommens in Höhe des Existenzminimums diene, bestimme sich allein nach
der Höhe des Einkommens. Ergebe sich aus der Günstigerprüfung wie im Streitfall
eine höhere Entlastung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG als durch das
Kindergeld, so stehe fest, dass das anteilige Kindergeld in vollem Umfang als
Steuervergütung gezahlt worden und daher vollumfänglich dem Steuerrecht und nicht
dem Sozialrecht zuzuordnen sei. Der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 108,
52 <70>) formulierte Einwand, ein Steuerpflichtiger bedürfe keiner steuerlichen
Entlastung, soweit er den existenznotwendigen Bedarf des Kindes mit seinen
Unterhaltszahlungen nicht abdecke, greife nicht durch. Der Anspruch auf die
Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG sei nicht von der Höhe der im konkreten Einzelfall
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geleisteten Unterhaltszahlungen abhängig. Bei Einkommensteuerpflichtigen mit
einem Kind sei bereits ab einem Einkommen von 55.000 DM und einem
Grenzsteuersatz von etwa 34 Prozent der Abzug der Freibeträge günstiger als das
Kindergeld. Es könne davon ausgegangen werden, dass ein erheblicher Anteil aller
Unterhaltspflichtigen nicht in der Lage sei, Kindesunterhalt von 135 Prozent des
Regelbetrages zu zahlen.
Die in § 31 Satz 5 EStG angeordnete Hinzurechnung des halben Kindergeldes auf
die tarifliche Einkommensteuer unabhängig davon, ob ihnen das Kindergeld durch
Zahlung, durch volle Anrechnung auf den Kindesunterhalt oder in Mangelfällen des
§ 1612b Abs. 5 BGB nur teilweise oder gar nicht zugute gekommen sei, benachteilige
die Unterhaltspflichtigen mit geringerer Leistungsfähigkeit. Dies möge im
Unterhaltsrecht sachgerecht sein, führe im Einkommensteuerrecht aber zu einer
s a c h w i d ri g e n Gleichbehandlung
von
ungleichen
Sachverhalten.
Die
unterschiedslose Hinzurechnung des halben Kindergeldes zur tariflichen
Einkommensteuer führe bei Steuerpflichtigen, denen nach § 1612b Abs. 5 BGB die
Anrechnung des Ausgleichsanspruchs auf den Kindesunterhalt ganz oder teilweise
versagt sei, dazu, dass ihre durch die Unterhaltsverpflichtung geminderte
Leistungsfähigkeit bei der Besteuerung nicht ausreichend berücksichtigt werde. Die
Regelung führe in zahlreichen Fällen dazu, dass nicht einmal ihre tatsächlichen, die
Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG unterschreitenden, Leistungen für den
Kindesunterhalt in vollem Umfang von der Einkommensteuer freigestellt seien. Die
Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte sei nicht unter dem Gesichtspunkt der
Verwaltungsvereinfachung und Typisierung zu rechtfertigen.
3. Die Bundesregierung hält die Hinzurechnung des Kindergeldanteils auf die
Einkommensteuer gemäß § 31 Satz 5 EStG auch in den Mangelfällen für
verfassungsgemäß.
§ 1612b Abs. 5 BGB stelle nicht den Halbteilungsgrundsatz des Kindergeldes in
Frage,
sondern verpflichte den barunterhaltspflichtigen Elternteil, seinen
Kindergeldanteil zweckgebunden für den Unterhalt des Kindes zu verwenden;
lediglich der Zahlungsweg werde abgekürzt. Die endgültige Unterhaltsleistung
bestehe nunmehr aus seiner Zahlung zuzüglich seines Kindergeldanteils. Es mache
keinen Unterschied, ob der Gesetzgeber den Unterhaltsverpflichteten verpflichtet
hätte, zumindest Unterhalt in Höhe des Existenzminimums zu zahlen, oder mit
demselben wirtschaftlichen Ergebnis für den Betroffenen die Unterhaltsverpflichtung
niedriger ansetze, dafür aber eine Anrechnung seines Kindergeldanteils auf diese
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Verpflichtung nicht zulasse.
Die in § 31 Satz 5 EStG unterschiedslos angeordnete Hinzurechnung des halben
Kindergeldes auf die Einkommensteuer bei Steuerpflichtigen, denen das Kindergeld
in voller Höhe auf den Kindesunterhalt angerechnet wird, und denjenigen, die nicht in
der Lage sind, 135 Prozent des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu
zahlen und denen deswegen die Anrechnung des Ausgleichsanspruchs auf den
Kindesunterhalt ganz oder teilweise versagt ist, verletze den Gleichheitssatz nicht.
Wirtschaftlich gesehen müssten in beiden Fallgruppen jeweils die Aufwendungen zur
Sicherung des Existenzminimums geleistet werden, bei beiden Fallgruppen würden
entsprechend die Freibeträge gewährt. Zur Vermeidung einer Doppelbegünstigung
werde die Kindergeldzahlung angerechnet. In den Mangelfällen bestehe nur die
Besonderheit, dass die Verwendung des Kindergeldes zivilrechtlich zum Wohle des
Kindes festgeschrieben sei. Die Unterhaltsverpflichtung sei in diesen Fällen zwar
niedriger, faktisch sei aber in beiden Fallgruppen der für das Existenzminimum des
Kindes erforderliche Betrag zu leisten.
B.
Die zur Prüfung gestellten Bestimmungen der § 31 Satz 5 und § 36 Abs. 2 Satz 1
EStG sind mit dem Grundgesetz vereinbar, auch soweit Steuerpflichtige von der
Regelung des § 1612b Abs. 5 BGB betroffen sind.
I.
1. Die verfassungsrechtliche Beurteilung hat in erster Linie auszugehen von dem
aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG
abzuleitenden Gebot der steuerlichen Verschonung des Existenzminimums des
Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie. Danach hat der Staat das
Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung
der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine
Familie benötigt (vgl. BVerfGE 107, 27 <48>; 120, 125 <154 f.>; siehe auch BVerfGE
99, 216 <232 ff.> ; stRspr).
Die von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Aufwendungen zur Sicherung
des Existenzminimums sind vom Steuergesetzgeber nach dem tatsächlichen Bedarf
realitätsgerecht zu bemessen (vgl. BVerfGE 66, 214 <223>; 112, 268 <281>; stRspr).
In einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis hierzu steht die Befugnis des
Gesetzgebers, bei der Ordnung der steuerrechtlichen Massenverfahren die Vielzahl
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d e r Einzelfälle in einem Gesamtbild zu erfassen und auf dieser Grundlage
typisierende Regelungen zu treffen. Im Bereich der Steuerfreiheit des
Existenzminimums hat er dabei allerdings Sorge zu tragen, dass typisierende
Regelungen in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdecken (vgl.
BVerfGE 87, 153 <172>; 120, 125 <155>; stRspr).
2. Der Gesetzgeber ist außerdem an den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1
GG), insbesondere in dessen Ausprägungen im Bereich des Steuerrechts, gebunden.
Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu
bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als
rechtlich gleich qualifiziert, wird im Steuerrecht, insbesondere im Bereich des
Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien
begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der
Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im
Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf
abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch
zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die
Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer
Einkommen angemessen ausgestaltet werden muss. Bei der Ausgestaltung des
steuerrechtlichen
Ausgangstatbestands
muss
die
einmal getroffene
Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt
werden; Ausnahmen bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (zum Ganzen
vgl. BVerfGE 116, 164 <180 f.> ; BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07,
2/07, 1/08, 2/08 -, NJW 2009, S. 48 <49>; stRspr).
II.
Mit diesen Anforderungen ist vereinbar, dass die nach Verminderung des
Einkommens um die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG ermittelte Einkommensteuer
gemäß § 31 Satz 5, § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG auch bei denjenigen Steuerpflichtigen
um die Hälfte des gezahlten Kindergeldes erhöht wird, die außerstande sind,
Unterhalt in Höhe von 135 Prozent des Regelbetrages nach der Regelbetrag-
Verordnung zu leisten, und deshalb nach § 1612b Abs. 5 BGB im entsprechenden
Umfang die in § 1612b Abs. 1 BGB vorgesehene Anrechnung auf den gemäß
§ 1612a Abs. 1 BGB zu leistenden Barunterhalt nicht beanspruchen können.
1. a) Die verfassungsrechtlich gebotene Verschonung des kindbedingten
Existenzminimums (vgl. dazu BVerfGE 99, 216 <233 f.> ) wird in - hier allein zu
betrachtenden - Fällen wie dem des Ausgangsverfahrens dadurch bewirkt, dass das
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Einkommen des Steuerpflichtigen um die Freibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG
vermindert
wird. Der Gesetzgeber hat sich damit im Einklang mit den
verfassungsrechtlichen
Anforderungen
für
eine generalisierende Regelung
entschieden,
mit
der
die existenznotwendigen Mindestaufwendungen für
Kindesunterhalt bei allen Steuerpflichtigen in gleicher Weise in der steuerlichen
Bemessungsgrundlage berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 99, 246 <263 ff.> ). Eine
individuelle Würdigung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen und ihrer
Minderung durch die zur Befriedigung der Bedürfnisse des Kindes zwangsläufig
einzusetzenden Mittel findet nicht statt. Das dem Steuerpflichtigen als monatlich
gezahlte Steuervergütung (§ 31 Satz 3 EStG) zugeflossene Kindergeld ist zur
Vermeidung
doppelter
Berücksichtigung
des Kindesexistenzminimums
zurückzugewähren, indem es zur tariflichen Einkommensteuer hinzugerechnet wird
(§ 31 Satz 5 EStG); eigenständige Bedeutung für den Familienleistungsausgleich hat
das Kindergeld in diesem Fall nicht.
Dem einkommensteuerrechtlichen Prinzip der Besteuerung nach individueller
Leistungsfähigkeit folgend wird nach § 31 Satz 5, § 36 Abs. 2 EStG gezahltes
Kindergeld der Einkommensteuer nur dann hinzugerechnet, wenn es dem
Steuerpflichtigen zugeflossen ist. Dies ist nach § 31 Satz 5 EStG auch dann der Fall,
wenn dem Steuerpflichtigen das Kindergeld im Wege eines zivilrechtlichen
Ausgleichs zusteht. Das Steuerrecht knüpft, wenn auch terminologisch nicht
übereinstimmend, an § 1612b Abs. 1 BGB an, wonach das auf das Kind entfallende
Kindergeld zur Hälfte auf den gemäß § 1612a Abs. 1 BGB zu leistenden Barunterhalt
anzurechnen ist, wenn an den barunterhaltspflichtigen Elternteil Kindergeld nicht
ausgezahlt wird, weil ein anderer vorrangig berechtigt ist. Damit orientiert sich die
steuerrechtliche Regelung an einer Familienkonstellation, in der das Kind getrennt
lebender Eltern mit einem Elternteil in einem Haushalt lebt und diesem das
Kindergeld gezahlt wird (§ 64 Abs. 1, 2 Satz 1 EStG). Dem barunterhaltspflichtigen
anderen Elternteil fließt das ihm zur Hälfte zustehende Kindergeld dadurch zu, dass
die zu leistende Unterhaltszahlung um den entsprechenden Betrag gekürzt wird.
b) Entsprechend dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers fließt das Kindergeld
d e m barunterhaltspflichtigen Elternteil auch in den Fällen zu, in denen eine
Anrechnung des Kindergeldes auf den Barunterhalt nach § 1612b Abs. 5 BGB ganz
oder teilweise unterblieben ist, weil es vorrangig zur Auffüllung des Kindesunterhalts
zu verwenden war (sog. Mangelfall).
Bereits mit der Regelung des § 1612b Abs. 5 BGB a.F. war beabsichtigt, den
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Barunterhaltspflichtigen auch im Mangelfall steuerrechtlich so zu behandeln, als habe
er seinen halben Kindergeldanteil nach § 1612b Abs. 1 BGB zwar erhalten, aber
ganz oder teilweise zur Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtung eingesetzt (vgl.
BTDrucks 13/7338, S. 30). Der Begründung des Rechtsausschusses des Deutschen
Bundestages für die Neufassung des § 1612b Abs. 5 BGB ist zu entnehmen, dass die
Vorschrift zu einer geänderten Verwendung des Kindergeldes unter Übernahme des
Barexistenzminimums als maßgeblicher Grenze führe, ohne dass von der in § 1612b
Abs. 1 BGB angeordneten Halbteilung des Kindergeldes abgewichen werde; der den
Barunterhalt Leistende werde jedoch solange verpflichtet, die ihm zustehende Hälfte
d e s Kindergeldes für den Unterhalt des Kindes zu verwenden, bis das
Barexistenzminimum des Kindes gesichert sei (BTDrucks 14/3781, S. 7 f.).
Der Wille des Gesetzgebers hat in § 1612b BGB nur insofern Niederschlag
gefunden, als der Grundregel des Absatzes 1 eine Regel für bestimmte Unterfälle in
Absatz 5 folgt, die von der Grundregel nicht grundsätzlich abweicht. Dem Wortlaut
des § 1612b Abs. 5 BGB, demzufolge „eine Anrechnung des Kindergeldes
unterbleibt“, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Die Norm bezweckt
unterhaltsrechtliche Wirkungen, ohne das bestehende System des steuerlichen
Familienleistungsausgleichs in Frage zu stellen. Der Gesetzgeber hat mit dem - in
rechtssystematischer Sicht unspezifischen und auch deshalb steuerrechtlich nach
seinem wirtschaftlichen Gehalt interpretierbaren - Instrument der Anrechnung eine
möglichst praktikable, die Interessen der Alleinerziehenden wahrende Gestaltung
gewählt; danach ist das in den Materialien zum Ausdruck gebrachte Regelungsziel
dem Verständnis der Norm zugrunde zu legen.
Der Ansicht des Bundesfinanzhofs, es stehe mit dem verfassungsrechtlichen Gebot,
die kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen steuerlich
angemessen - in voller Höhe der Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG - zu
berücksichtigen, nicht in Einklang, dass der Steuerpflichtige über Kindergeld, das ihm
für ein Kind zusteht, nicht frei verfügen könne, sondern es ganz oder teilweise für den
Unterhalt des Kindes einsetzen müsse, ist nicht zu folgen. Ein gemäß § 31 Satz 5
EStG auszugleichender Zufluss des Kindesgeldes ist nicht nur dann anzunehmen,
wenn der Steuerpflichtige über das Kindergeld, das ihm für ein Kind zusteht, beliebig
verfügen kann. Da den Eltern Kindergeld vor allem zugunsten des Kindes für dessen
sächliches Existenzminimum sowie für seinen Betreuungs- und Erziehungs- oder
Ausbildungsbedarf gezahlt wird, trifft die Regelung des § 1612b Abs. 5 BGB eine
Zweckbestimmung für die Verwendung des Kindergeldes. Hinter dieser
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Ausgestaltung steht die materielle Verpflichtung des Barunterhaltspflichtigen, im
Mangelfall den gemäß § 1612a Abs. 1, § 1612b Abs. 1 BGB geschuldeten Unterhalt
auf das Barexistenzminimum (135 Prozent des Regelsatzes nach der Regelsatz-
Verordnung) aufzustocken. Insofern stellt sich die Regelung wirtschaftlich als
Erhöhung der Unterhaltsverpflichtung des Barunterhaltspflichtigen dar. Änderungen
der individuellen Unterhaltslast berühren indes das System der steuerlichen
Entlastung des Unterhaltspflichtigen im Wege generalisierter Freibeträge nicht,
solange diese das Kindesexistenzminimum angemessen abdecken, was im
vorliegenden Verfahren nicht in Zweifel gezogen worden ist.
Es ist dem Gesetzgeber auch nicht verwehrt, bei der steuerlichen Berücksichtigung
v o n Unterhaltsleistungen auf Wertungen des Familienrechts zurückzugreifen. Im
Grundansatz
vergleichbar
etwa
der grundsätzlichen
Zuordnung
von
Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden
Ehegatten zu den Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 ESG) kann die Entscheidung
des Steuergesetzgebers, die den Barunterhaltspflichtigen gemäß § 1612b Abs. 5
B G B treffende Last nicht gesondert zu erfassen, als Nachvollzug der
familienrechtlichen
Entscheidung
verstanden
werden,
im Interesse der
Existenzsicherung des Kindes dem Barunterhaltspflichtigen in Mangelfällen
aufzugeben, den dem halben Kindergeld entsprechenden Betrag zur Aufstockung
des Unterhalts einzusetzen. Weder gegenläufige steuersystematische Erwägungen
noch
hypothetische Lastenberechnungen sind geeignet, durchgreifende
verfassungsrechtliche Einwände gegen die gesetzliche Regelung zu begründen.
2. Ein Verstoß gegen die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grenzen gesetzlicher
Regelungsbefugnis lässt sich nicht feststellen. Die steuerliche Entlastung
kindesbedingter Minderung der Leistungsfähigkeit der von § 1612b Abs. 5 BGB
betroffenen Steuerpflichtigen erfolgt nach denselben Bestimmungen wie diejenige
anderer Unterhaltspflichtigen. Die durch diese Vorschrift bewirkten finanziellen
Einschränkungen Betroffener sind Konsequenz ihrer geringeren Leistungsfähigkeit
(vgl. BVerfGE 108, 52 <69>). Nicht ersichtlich ist, inwiefern daraus eine Verpflichtung
des Gesetzgebers folgen könnte, für diesen Personenkreis zur Wahrung des
Gleichheitssatzes
besondere,
von
den allgemeinen Bestimmungen des
Familienleistungsausgleichs abweichende Regelungen zu schaffen.
C.
45
Die Entscheidung ist mit 7:1 Stimmen ergangen.
Voßkuhle
Broß
Osterloh
Di Fabio
Mellinghoff
Lübbe-Wolff
Gerhardt
Landau