Urteil des BVerfG vom 16.10.2013

BVerfG: verfassungsbeschwerde, zwangsvollstreckung, republik, hauptsache, arbeitsgericht, staat, gerechtigkeit, autonomie, waffengleichheit, gewalt

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 736/13 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Republik G…,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. Konstantin Androulakis,
Bauerstraße 20, 80796 München -
gegen
a)
den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Februar 2013 - 3
AZB 5/12 -,
b)
die Erteilung einer Vollstreckungsklausel zum Teilversäumnisurteil
des Arbeitsgerichts München vom 25. Mai 2011 - 35 Ca 17879/09 -
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Voßkuhle
und die Richter Gerhardt,
Huber
am 16. Oktober 2013 einstimmig beschlossen:
Die Zwangsvollstreckung aus dem Teilversäumnisurteil des Arbeitsgerichts München vom 25.
Mai 2011 - 35 Ca 17879/09 - wird einstweilen bis zur Entscheidung über die
Verfassungsbeschwerde, längstens auf die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt.
Gründe:
I.
1
1. Die Beschwerdeführerin ist die Republik G., die vor dem Arbeitsgericht München von einem
griechischen Staatsangehörigen auf Rückzahlung eines über das griechische Generalkonsulat
München vom monatlichen Bruttoeinkommen einbehaltenen Betrags in Anspruch genommen
wird. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin handelt es sich bei dem einbehaltenen Betrag
um eine Steuer auf das Einkommen, das der Kläger als bei der Republik G. angestellter Lehrer
an der Privaten Volksschule der Republik G. in München und im Landkreis Dachau erzielt hat.
Da die Beschwerdeführerin im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht München nicht erschienen
war, verkündete das Arbeitsgericht München am 25. Mai 2011 ein Teilversäumnisurteil, gegen
das die Beschwerdeführerin Einspruch eingelegt hat. Am 16. Juni 2011 wurde dem Kläger eine
vollstreckbare Ausfertigung des Teilversäumnisurteils erteilt.
2
Am 28. September 2011 erhob die Beschwerdeführerin Erinnerung gegen die Erteilung der
Vollstreckungsklausel für das Teilversäumnisurteil. Die Erinnerung wurde durch Beschluss des
Arbeitsgerichts München vom 2. November 2011 zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete
sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin änderte das Landesarbeitsgericht München mit
Beschluss vom 20. Dezember 2011 die Entscheidung des Arbeitsgerichts München
dahingehend ab, dass die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung zu Unrecht erfolgt und die
Zwangsvollstreckung hieraus insgesamt unzulässig sei. Dagegen erhob der Kläger
Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht.
3
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 14. Februar 2013 die Entscheidung des
Landesarbeitsgerichts München aufgehoben und die Beschwerde der Beschwerdeführerin
gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München zurückgewiesen.
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2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 101
Abs. 1 Satz 2 GG. Zur Begründung führt sie aus, dass das Bundesarbeitsgericht die steuerliche
Maßnahme des griechischen Staates als hoheitliche Maßnahme der Beschwerdeführerin hätte
erkennen und die Rechtsbeschwerde daher zurückweisen müssen. Zu diesen Fragen habe
bereits Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wie auch des Bundesverfassungsgerichts
vorgelegen. Soweit das Bundesarbeitsgericht hiervon habe abweichen oder einen Fall
hoheitlichen Handelns habe verneinen wollen, hätte es die Sache entweder dem Großen Senat
nach § 45 Abs. 2 ArbGG oder dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 2 GG zur
Entscheidung vorlegen müssen. Dies sei willkürlich unterblieben.
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Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt die Beschwerdeführerin,
Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt die Beschwerdeführerin,
die Zwangsvollstreckung aus dem Teilversäumnisurteil des Arbeitsgerichts München vom 25.
Mai 2011 einstweilen einzustellen.
II.
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Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor. Der zulässige
Antrag ist begründet.
7
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch
einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur
Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl
dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG
gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig
ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104,
23 <27>; 106, 51 <58>). Dieser wird noch weiter verschärft, wenn eine Maßnahme mit
völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen in Rede steht (vgl. BVerfGE 35, 193
<196 f.>; 83, 162 <171 f.>; 88, 173 <179>; 89, 38 <43>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>; 125, 385
<393>; 126, 158 <167>; 129, 284 <298>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 12. September
2012 - 2 BvE 6/12 u.a. -, NJW 2012, S. 3145 <3146, Rn. 190>).
8
Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die
Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer
Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der
Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich
unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 <44>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Erweist sich der
Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, so hat das Bundesverfassungsgericht
grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die
einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in
der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte
einstweilige Anordnung erlassen würde, ihr der Erfolg in der Hauptsache aber zu versagen wäre
(vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158
<168>; 129, 284 <298>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 12. September 2012 - 2 BvE
6/12 u.a. -, NJW 2012, S. 3145 <3146, Rn. 191>; stRspr).
9
2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich
unbegründet. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ist eine Verletzung des
grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedenfalls nicht von vornherein
ausgeschlossen. Da es bei diesem Recht weniger um die Sicherung individueller Autonomie
denn um Mindestanforderungen an prozedurale Gerechtigkeit und Waffengleichheit als
Voraussetzung einer richtigen Entscheidung geht (vgl. BVerfGE 9, 89 <95>), muss es für jedes
gerichtliche Verfahren gelten und daher auch jedem zugutekommen, der nach den
einschlägigen Verfahrensnormen parteifähig ist oder von dem Verfahren betroffen wird (vgl.
BVerfGE 21, 362 <373>; stRspr). Auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG können sich daher nicht nur
inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts (vgl. BVerfGE 61, 82 <104>; 75, 192
<200>), sondern auch ausländische juristische Personen des privaten (vgl. BVerfGE 18, 441
<447>; 21, 207 <208>; 23, 229 <236>; 64, 1 <11>) wie des öffentlichen Rechts berufen, und
damit auch ausländische Staaten (vgl. BVerfGK 1, 32 <37 f.>; 9, 211 <213>).
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Sowohl die unterbliebene Vorlage gemäß § 45 Abs. 2 ArbGG an den Großen Senat als auch die
unterbliebene Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 2 GG können eine Verletzung des Rechts aus
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begründen, sofern das Bundesarbeitsgericht eine gebotene Vorlage
nicht nur rechtsfehlerhaft, sondern willkürlich unterlassen hat (vgl. BVerfGE 3, 359 <363 f.>; 9,
213 <215 f.>; 13, 132 <143>; 19, 38 <42 f.>; 64, 1 <21>; 96, 68 <77 f.>). Ob dies dargetan ist,
erscheint angesichts der Komplexität der Rechtslage als offen. Dem Beschwerdevortrag dürfte
sich auch noch hinreichend deutlich entnehmen lassen, welche Fragen jeweils hätten vorgelegt
werden sollen (vgl. zu diesem Erfordernis mit Blick auf Art. 100 Abs. 2 GG zuletzt BVerfG,
Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 2984/09 u.a. -,
NJW 2012, S. 293 <294>).
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3. Die nach § 32 BVerfGG gebotene Abwägung fällt zugunsten der Beschwerdeführerin aus.
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a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, stellte sich die Verfassungsbeschwerde
später aber als unbegründet heraus, hätte sich die Zwangsvollstreckung aus dem nicht
rechtskräftigen Teilversäumnisurteil des Arbeitsgerichts München für den Kläger lediglich
verzögert. Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger bereits dadurch unwiederbringliche
Rechtsnachteile erlitte, zumal es sich bei den streitbefangenen Beträgen lediglich um 5 % seines
Gehalts handelt. Die Beträge sind überdies bereits ab dem Jahr 2002 vom jeweiligen
Bruttogehalt einbehalten worden.
13
b) Unterbliebe der Erlass einer einstweiligen Anordnung, stellte sich die
Verfassungsbeschwerde aber später als begründet heraus, wäre dies mit erheblichen
Nachteilen verbunden.
14
Zwar ist die Vollstreckung gegen einen ausländischen Staat nach den allgemeinen Regelungen
des Völkerrechts nicht generell unzulässig (vgl. BVerfGE 46, 342 <388 f., 392>; 64, 1 <23 f.>;
117, 141 <154>). Für Ansprüche aus hoheitlichem Handeln ist die Immunität jedoch anerkannt
(vgl. BVerfGE 46, 342 <364, 392>; 64, 1 <40>; 117, 141 <154>). Auch stellt der Zugriff auf
Vermögenswerte eines ausländischen Staates in jedem Fall einen besonders schweren Eingriff
in dessen Souveränität dar (vgl. BVerfGE 117, 141 <154>).
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Eine unzulässige Zwangsvollstreckung gegen einen ausländischen Staat - die Republik G. -
wäre zudem mit der Gefahr schwerer außenpolitischer Nachteile für die Bundesrepublik
Deutschland verbunden. Dies muss bei der Gesamtabwägung besonders ins Gewicht fallen (vgl.
BVerfGE 83, 162 <173 f.>; 88, 173 <180 ff.>; 89, 38 <43>), weil bei anderen
Völkerrechtssubjekten Zweifel an der Völkerrechtstreue der Bundesrepublik Deutschland und
ihrer Bereitschaft, sich zukünftig an das Völkergewohnheitsrecht halten zu wollen, entstehen
könnten, und dies zu außenpolitischen Nachteilen führen kann.
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c) Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegen die für die Bundesrepublik
Deutschland aus einer vorläufigen Gestattung der Zwangsvollstreckung drohenden
außenpolitischen Nachteile. Auf Seiten des Klägers führt der Erlass der einstweiligen
Anordnung lediglich zu einer Verzögerung der Befriedigung von teilweise mehr als zehn Jahre
alten Ansprüchen, ohne dass über die konkrete Befriedigung hinausgehende Belange,
namentlich irreparable Nachteile oder eine Existenzgefährdung, erkennbar wären.
Voßkuhle
Gerhardt
Huber