Urteil des BVerfG vom 03.03.2014

BVerfG: veröffentlichung, verfassungsbeschwerde, innere medizin, persönlichkeitsrecht, öffentlichkeit, sanktion, grundrecht, berufsfreiheit, internet, privatperson

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1128/13 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn Dr. K…
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Redeker, Sellner, Dahs,
Willy-Brandt-Allee 11, 53113 Bonn -
1. unmittelbar gegen
a) das Urteil des Landesberufsgerichts für Heilberufe beim
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Februar
2013 - 6t A 1843/10.T -,
b) das Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Köln
vom 14. Juni 2010 - 37 K 7762/09.T -,
2. mittelbar gegen
§ 60 des Heilberufsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 9. Mai 2000 (GV
NRW 2000, S. 403 ff.)
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Masing
und die Richterin Baer
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.
August 1993 (BGBl I S. 1473) am 3. März 2014 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
I.
1
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen Urteile des
Berufsgerichts für Heilberufe sowie des Landesberufsgerichts für Heilberufe. Gerügt wird die
Verletzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG durch die in den angegriffenen Urteilen verhängten Sanktionen.
Weiterhin greift der Beschwerdeführer mittelbar die Vorschrift des § 60 HeilBerG NRW wegen
Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG an. Die Verfassungsbeschwerde betrifft im Schwerpunkt die
Frage, ob es mit den Grundrechten des Beschwerdeführers im Einklang steht, wenn eine
letztinstanzliche Entscheidung eines Landesberufsgerichts für Heilberufe kraft richterlicher
Anordnung nichtanonymisiert in einem Ärzteblatt veröffentlicht wird (vgl. § 60 Abs. 3 HeilBerG
NRW).
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1. Der Beschwerdeführer ist niedergelassener Facharzt für Innere Medizin in einer
Gemeinschaftspraxis. Er ist Kreisvorsitzender des gesundheitspolitischen Arbeitskreises einer n.
Partei, Mitglied einer Ärztevereinigung sowie Mitglied des Vorstandes einer Kreisstelle der
Kassenärztlichen Vereinigung N. Bis zu dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen
Verfahren war der Beschwerdeführer berufsrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
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2. Gegenstand des angegriffenen berufsgerichtlichen Verfahrens ist der Vorwurf der
Antragstellerin des Ausgangsverfahrens - einer Ärztekammer -, wonach der Beschwerdeführer
gegenüber Privatpatienten Rechnungen erstellt haben soll, die mit den Vorschriften der
Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) nicht in Einklang stünden. Konkret wird dem
Beschwerdeführer zur Last gelegt, dass er den Begriff der „Sitzung“ im Sinne der GOÄ zu seinem
Vorteil dahingehend ausgelegt habe, dass Sitzungen auch an Tagen stattgefunden hätten, an
denen die Patienten nicht in der Praxis waren. Die Stellung nicht angemessener Rechnungen
stelle einen Verstoß gegen das Berufsrecht dar. Die Antragstellerin hat insoweit vier Fälle
aufgegriffen, in denen der Beschwerdeführer einen Praxisbesuch als mehrere Sitzungen
abgerechnet und dabei seine Abrechnungsmethoden bewusst verschleiert haben soll.
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3. Nach § 71 Abs. 1 HeilBerG NRW kann die zuständige Kammer oder die Aufsichtsbehörde bei
dem zuständigen Berufsgericht für Heilberufe einen Antrag auf Eröffnung eines
berufsgerichtlichen Verfahrens stellen. Nach entsprechendem Beschluss in der
Vorstandssitzung vom 2. September 2009 hat die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens am
20. November 2009 beantragt, das berufsgerichtliche Verfahren zu eröffnen. Mit Beschluss vom
4. Januar 2010 hat das Berufsgericht das Verfahren eröffnet.
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4. Das Berufsgericht für Heilberufe stellte mit Urteil vom 14. Juni 2010 fest, dass der
Beschwerdeführer in allen vier zur Verhandlung stehenden Fällen gegen seine Berufspflichten
verstoßen habe, und erkannte deswegen auf die Entziehung des passiven Berufswahlrechts
sowie eine Geldbuße in Höhe von 25.000 Euro. Es ordnete zudem an, dass die Antragstellerin
des Ausgangsverfahrens berechtigt sei, das Urteil nach Rechtskraft im R. Ärzteblatt zu
veröffentlichen. Es läge ein besonderer Fall im Sinne des § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW vor. Die
Bedeutung der Angelegenheit resultiere aus der negativen Vorbildwirkung, die von einem
Verhalten im Abrechnungswesen ausgehe, wie es der Beschwerdeführer in seiner Praxis
praktizieren würde. Diese Handhabung könne - werde über entsprechende Entscheidungen des
Berufsgerichts nicht ausreichend berichtet - anderen Praxen als negatives Vorbild dienen. Das
Gewicht der Angelegenheit sehe die Kammer trotz des relativ geringen Schadens, wie er
anhand dieser vier Fälle habe festgestellt werden könne, in der großen Schadensgeneigtheit
eines Abrechnungssystems wie es seitens des Beschwerdeführers praktiziert werde.
6
5. Auf die Berufung des Beschwerdeführers änderte das Landesberufsgericht für Heilberufe mit
Urteil vom 6. Februar 2013 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen die Entscheidung des
Heilberufsgerichts lediglich dahingehend ab, dass die Geldstrafe auf 20.000 Euro reduziert
wurde. Die anderen Sanktionen wurden bestätigt.
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Es sei auf die Veröffentlichung der Entscheidung nach § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW zu erkennen
gewesen. Das Berufsvergehen wiege besonders schwer, weil mit ihm in systematischer Weise
ein den Vorschriften der Gebührenordnung widersprechendes Abrechnungssystem verfolgt
worden sei, dem eine hohe Schadensneigung zu Lasten der Vermögensinteressen der
betroffenen Patienten beziehungsweise der Allgemeinheit in Form der Krankenkassenträger,
Beihilfeträger oder ähnlichen zukomme, wobei es im vorliegenden Fall auf den konkreten
Schadenseintritt nicht ankomme. Das vom Beschwerdeführer mit erheblicher Hartnäckigkeit
verfolgte und verteidigte, gleichzeitig aber verschleierte Abrechnungssystem sei Ausdruck einer
berufsrechtsfeindlichen Einstellung, die der Zielsetzung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 HeilBerG
NRW diametral zuwiderlaufe. Daher sei über die verhängten Maßnahmen hinaus zur
individuellen Disziplinierung des Beschwerdeführers auf die Veröffentlichung der Entscheidung
zu erkennen. Der Beschwerdeführer habe wissentlich ein Abrechnungssystem implementiert,
welches quer zu den Abrechnungsgrundlagen der GOÄ liege.
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In einer restriktiven tatbestandlichen Auslegung - nach der eine Veröffentlichung unter den
Vorbehalt einer sorgfältigen Abwägung zu stellen sei und nur in solchen Fällen zulässig sei, in
denen ein besonderes Bedürfnis der Urteilsveröffentlichung bestehe, die mit den
Regelmaßnahmen nach § 60 Abs. 1 HeilBerG NRW nicht erreicht werden könne - genüge § 60
Abs. 3 HeilBerG NRW den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Im Rahmen der
Verhältnismäßigkeit sei die von der Veröffentlichung ausgehende und - auch bezweckte -
Prangerwirkung zu beachten. Maßgeblich für die Abwägung war, dass in diesem Einzelfall kein
schutzwürdiger Grund ersichtlich sei, welcher geeignet sei, die regelmäßig zulässige Äußerung
einer wahren Tatsache aus der Sozialsphäre im konkreten Fall zu untersagen. In die Abwägung
sei einzustellen, dass es eine Rolle spiele, ob die Privatsphäre des Betroffenen oder sein
öffentliches Wirken mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung sei
und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von der Äußerung
ausgehen könnten. Die Veröffentlichung mit Namensnennung sei im Ergebnis verhältnismäßig.
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6. Die Verfassungsbeschwerde rügt die Verletzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG durch die in den
angegriffenen Urteilen verhängten Sanktionen. Die Ermächtigungsgrundlage des § 60 HeilBerG
NRW verstoße in Zusammenschau mit § 29 Abs. 1 HeilBerG NRW in Tatbestand und
Rechtsfolge gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Die verhängten Sanktionen
seien zudem unverhältnismäßig. Insbesondere die nichtanonymisierte Veröffentlichung der
Entscheidung des Landesberufsgerichts sei verfassungsrechtlich zu beanstanden. Sie führe -
zumal angesichts der heutigen Informationsmöglichkeiten im Internet - zu einer irreversiblen
Rufschädigung wie auch zur Vernichtung der beruflichen und wirtschaftlichen Existenz des
Beschwerdeführers. In einer nachträglichen Stellungnahme der neuen Prozessbevollmächtigten
des Beschwerdeführers wurde der Vortrag zu den gebührenrechtlichen Fragen vertieft. Die
Auslegung des Sitzungsbegriffes durch die angegriffenen Entscheidungen sei fehlerhaft und
könne keine berufsgerichtliche Verurteilung tragen.
II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Der
Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (vgl.
§ 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG) und eine Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG
genannten Rechte (vgl. § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG) ist nicht angezeigt. Die
Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den
Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten.
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1. Die der berufsgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Vorschriften des
Heilberufsgesetzes Nordrhein-Westfalen stehen mit Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang. Sie sind
hinreichend bestimmt.
12
a) Das spezifische Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG dient dem doppelten Zweck,
sicherzustellen, dass von einer Sanktionsnorm Adressierte vorhersehen können, welches
Verhalten verboten und mit einer Sanktion bedroht ist und dass der Gesetzgeber über die
Voraussetzungen der Verhängung einer Sanktion selbst entscheidet (vgl. BVerfGE 78, 374
<382>; 126, 170 <194>; BVerfGK 11, 337 <349>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten
Senats vom 15. September 2011 - 1 BvR 519/10 -, juris, Rn. 35). Dieses Gebot gilt auch
hinsichtlich der Rechtsfolgen (vgl. BVerfGE 105, 135 <153 f.>). Der Gesetzgeber hat eine Norm
umso präziser zu fassen, je belastender deren Wirkungen sind (vgl. BVerfGE 117, 71 <111>
m.w.N.).
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Art. 103 Abs. 2 GG findet nicht nur Anwendung auf Normen des Strafrechts, sondern - mit
gewissen Einschränkungen, die sich aus der Natur des Rechtsgebiets ergeben - auch auf
berufsrechtliche Normen (vgl. BVerfGE 26, 186 <203 f.>; 60, 215 <233 f.>). Anders als im
allgemeinen Strafrecht ist jedoch im Berufsrecht eine Einzelnormierung bestimmter missbilligter
Verhaltensweisen in der Regel nicht notwendig; es genügt die Normierung von Generalklauseln,
da eine vollständige Aufzählung von mit einem Beruf verbundenen Pflichten nicht möglich ist
und es sich um Normen handelt, die nur den Kreis der Berufsangehörigen betreffen, sich aus der
ihnen gestellten Aufgabe ergeben und daher für sie im Allgemeinen leicht zu erkennen sind (vgl.
BVerfGE 26, 186 <204>).
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b) Die die berufsgerichtliche Verurteilung tragenden Rechtsgrundlagen sind nach diesen
Maßstäben verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Die pflichtenbegründenden Normen hat der Gesetzgeber auf der Ebene des
Parlamentsgesetzes der §§ 29 ff. HeilBerG NRW und mit entsprechenden
Ermächtigungsnormen zur Ausgestaltung einzelner Pflichten in einer Berufsordnung, die
wiederum auf die amtliche Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) Bezug nimmt, selbst geschaffen.
Diese Normen sind auch hinreichend konkret gefasst, so dass es dem Berufsangehörigen
möglich ist, für ihn relevante Pflichten und damit auch das pflichtwidrige Verhalten und etwaige
Sanktionen vorherzusehen. Aus der Tatsache, dass zu dem hier relevanten, in der GOÄ
Verwendung findenden Tatbestandsmerkmal der „Sitzung“ unterschiedliche Auffassungen
vertreten werden, kann nicht gefolgert werden, dass deshalb die der berufsrechtlichen Sanktion
zugrundeliegenden Regelungen nicht bestimmt genug seien, um eine berufsgerichtliche
Verurteilung zu rechtfertigen. Für den Beschwerdeführer war jedenfalls schon angesichts der
Alltagsbedeutung des Begriffs hinreichend deutlich erkennbar, dass die von ihm vertretene,
davon abweichende Auffassung mit einem Sanktionsrisiko belegt ist.
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bb) Die Sanktionsnorm des § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW zu diesen pflichtenbegründenden
Normen verstößt ebenfalls nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG, denn das Tatbestandsmerkmal des
„besonderen Falles“ für solche berufsgerichtlichen Sanktionen ist hinreichend bestimmt. Von
einem solchen besonderen Fall ist schon nach dem Wortlaut der Norm auszugehen, wenn der
zur Beurteilung stehende Fall sich von den typischen Berufsgerichtsverfahren unterscheidet und
deswegen von einem besonderen Informationsinteresse ausgegangen werden kann (vgl. auch
BVerfGK 14, 177 <181 f.> zum Begriff des „besonders schweren Falles“ im Sinne des
Strafgesetzbuches). In der Auslegung des Landesberufsgerichts für Heilberufe liegt ein
besonderer Fall nach § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW regelmäßig dann vor, wenn für ein besonders
schwerwiegendes Berufsvergehen eine Maßnahme nach § 60 Abs. 1 HeilBerG NRW zu
verhängen ist, eine Kombination der Maßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 2 HeilBerG NRW nicht
ausreicht und der Fall besondere Bedeutung für die Allgemeinheit oder für die in der Kammer
zusammengeschlossenen Berufsangehörigen hat.
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2. Die angegriffenen Entscheidungen stehen zudem mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG in Einklang. § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW bietet insoweit eine verfassungskonforme
Rechtsgrundlage für die Urteilsveröffentlichung und wurde auch im Einzelfall nach
verfassungsrechtlichen Maßstäben zutreffend angewendet.
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a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ist
vorliegend eigenständiger Prüfungsmaßstab. Zwar steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei
einer berufsgerichtlichen Verurteilung in Konkurrenz zur Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG; es
wird im Hinblick auf die Veröffentlichung einer berufsgerichtlichen Verurteilung hierdurch jedoch
nicht verdrängt. Denn eine solche Veröffentlichung betrifft den Beschwerdeführer nicht nur als
Berufsträger, sondern mit eigenem Gewicht auch in seiner Eigenschaft als Privatperson. Auch
wenn die Verurteilung selbst an ein berufsrechtliches und schuldhaftes Fehlverhalten anknüpft,
stellt die Veröffentlichung einer solchen Entscheidung gerade auch die individuelle Schuld der
Privatperson bei ihrer Berufsausübung in den Vordergrund und macht sie publik.
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b) Die angegriffenen Entscheidungen greifen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des
Beschwerdeführers ein. Dieses Grundrecht schützt die soziale Anerkennung des
Grundrechtsträgers (vgl. BVerfGE 99, 185 <193 f.>). Es vermittelt ihm aber keinen Anspruch
darauf, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist (vgl. BVerfGE
99, 185 <194>). Namentlich umfasst es den Schutz vor Äußerungen, die - ohne im engeren Sinn
ehrverletzend zu sein - geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen des Einzelnen in der
Öffentlichkeit auszuwirken (vgl. BVerfGE 99, 185 <193 f.>; 114, 339 <346>).
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Die Veröffentlichung einer berufsgerichtlichen Verurteilung unter voller Namensnennung setzt
den Beschwerdeführer in der Öffentlichkeit herab und betrifft seine soziale Stellung in negativer
Weise. Auch wenn die Veröffentlichung durch die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens in
neutraler Form zu verwirklichen sein wird und lediglich das letztinstanzliche Urteil des
Landesberufsgerichts für Heilberufe im R. Ärzteblatt abgedruckt werden soll, liegt in dieser
Veröffentlichung eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts. Denn die Mitteilung einer berufsgerichtlichen Verurteilung beinhaltet
zugleich die Mitteilung eines rechtlich missbilligten Fehlverhaltens. Die Veröffentlichung dieser
Verurteilung hat eine rechtfertigungsbedürftige Auswirkung auf das Ansehen des
Beschwerdeführers in der Öffentlichkeit.
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c) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist jedoch nicht vorbehaltlos gewährleistet. Es unterliegt
der Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 99, 185 <195>; 120, 180 <201>) und
kann damit durch Gesetz unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränkt
werden (vgl. BVerfGE 65, 1 <44>).
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aa) Eine Regelung, die zu Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ermächtigt, ist
jedoch nur dann zulässig, wenn sie zum Schutz eines gewichtigen Gemeinschaftsgutes
geeignet und erforderlich ist und der Schutzzweck hinreichend schwer wiegt, so dass er die
Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts in ihrem Ausmaß rechtfertigt (vgl. BVerfGE 96, 171
<182>).
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§ 60 Abs. 3 HeilBerG NRW genügt diesen Anforderungen. Die Regelung ist insbesondere
verhältnismäßig. Sie betrifft Angehörige der Heilberufe, denen ein besonderes, schützenswertes
Vertrauen entgegengebracht wird. Dieses Vertrauen und die Ordnungsgemäßheit des Handelns
der Berufsträger werden seitens des Staates durch das Heilberufsrecht geschützt (vgl. § 29 Abs.
1 HeilBerG NRW). Das Berufsrecht kann Fehlverhalten, das dieses Vertrauen erschüttert oder zu
erschüttern geeignet ist, mit geeigneten Maßnahmen sanktionieren. Der Staat darf insbesondere
Verhaltensweisen entgegenwirken, die den Eindruck vermitteln können, der Arzt stelle die
Gewinnerzielung über das Wohl des Patienten und dessen ordnungsgemäße
Gesundheitsversorgung (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 1. Juni
2011 - 1 BvR 233/10 u. a. -, juris, Rn. 58). Patientinnen und Patienten sollen darauf vertrauen
können, dass sich ein Arzt nicht von kommerziellen Interessen leiten lässt (vgl. BVerfGE 71, 162
<174>; 94, 372 <391>).
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Nach dem naheliegenden, jedenfalls verfassungsrechtlich vertretbaren Verständnis der
angegriffenen Entscheidungen sieht die Vorschrift des § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW vor, dass eine
rechtskräftige berufsgerichtliche Verurteilung nichtanonymisiert veröffentlicht wird. Eine solche
Maßnahme findet ihre Rechtfertigung in einem berechtigten Interesse an einer Information der
Allgemeinheit, insbesondere der Gemeinschaft der Versicherten, wie auch der
Kammerangehörigen, die sodann ihr Verhalten nach Kenntnis einer solchen Verfehlung steuern
können. Neben dieser informationellen und im Grundsatz generalpräventiven Wirkung dient die
Veröffentlichung auch der weiteren Sanktionierung eines individuellen Fehlverhaltens, das auch
die Gefahr einer höheren Kostenlast für die Gemeinschaft der Versicherten in sich trägt.
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Eine Ermächtigung zur Veröffentlichung eines nicht anonymisierten, berufsgerichtlichen Urteils
ist jedenfalls dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn es sich wie hier nach der Regelung
des § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW um vereinzelte, herausgehobene Fälle handelt. Zudem ist die
Verhältnismäßigkeit hier gewahrt, insofern die Veröffentlichung nur in einem berufsrechtlichen
Medium und einmalig erfolgt. Daran ändert es nichts, dass diese Veröffentlichung auch im
Internet zu finden sein wird, denn dies verändert nicht den begrenzten und eindeutigen Bezug
derselben auf die berufsrechtliche Verfehlung.
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bb) Auch gegen die Anwendung der Vorschrift im Einzelfall ist verfassungsrechtlich nichts
einzuwenden. Die einfachrechtlichen Subsumtionsvorgänge sind so lange der Nachprüfung im
Verfahren der Verfassungsbeschwerde entzogen, als nicht Auslegungsfehler sichtbar werden,
die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts,
insbesondere vom Schutzumfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen
Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>;
stRspr). Nach der Auslegung des Landesberufsgerichts für Heilberufe liegt ein besonderer Fall
nach § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW regelmäßig dann vor, wenn für ein besonders
schwerwiegendes Berufsvergehen eine Maßnahme nach § 60 Abs. 1 HeilBerG NRW zu
verhängen ist, eine Kombination der Maßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 2 HeilBerG NRW nicht
ausreicht und der Fall besondere Bedeutung für die Allgemeinheit oder für die in der Kammer
zusammengeschlossenen Berufsangehörigen hat. Diese Auslegung ist verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden; sie beachtet hinreichend die Grundrechte des Beschwerdeführers. Die
Anwendung der Sanktion bedarf danach einer Abwägung im Einzelfall; eine solche Abwägung
haben die Berufsgerichte vorgenommen. Es ist verfassungsrechtlich insbesondere nicht zu
beanstanden, dass die Berufsgerichte das dem Beschwerdeführer vorgeworfene
Berufsvergehen als besonders schwerwiegend eingeordnet haben, weil in einer systematischen
Vorgehensweise mit dem Ziel eines den Vorschriften der Gebührenordnung widersprechenden
Abrechnungssystems eine hohe Schadensneigung begründet liegt.
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d) Aus dem vom Beschwerdeführer weiterhin gerügten Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12
Abs. 1 GG folgt insoweit kein weitergehender Schutz. Auf das nähere Verhältnis zwischen dem
Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG zu dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG kommt es damit nicht weiter an.
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3. Hinsichtlich der weiteren Sanktionen sind keine Verstöße gegen das Verfassungsrecht
erkennbar, die dahingehenden Rügen des Beschwerdeführers betreffen lediglich Verstöße
gegen das einfache Recht.
29
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Kirchhof
Masing
Baer