Urteil des BVerfG vom 11.12.2013

BVerfG: allein erziehende mutter, persönlichkeitsrecht, verfassungsbeschwerde, meinungsfreiheit, post, staatsanwalt, unterlassen, beitrag, erhaltung, werturteil

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 194/13 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau Dr. P…
- Bevollmächtigte:
Kanzlei Dr. Rehbock,
Gabriele-Münter-Straße 3, 82110 Germering -
gegen das Endurteil des Oberlandesgerichts München vom 23. Oktober
2012 - 18 U 2334/12 Pre -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Masing
und die Richterin Baer
am 11. Dezember 2013 einstimmig beschlossen:
Das Endurteil des Oberlandesgerichts München vom 23. Oktober 2012 - 18 U 2334/12 Pre -
verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit
Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit das Oberlandesgericht die Klage der
Beschwerdeführerin auf Unterlassung der Äußerung, die Beschwerdeführerin sei eine
„durchgeknallte Frau“, abwies.
Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht
zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ein Drittel ihrer notwendigen Auslagen zu
erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren
wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein Berufungsurteil, das der Beschwerdeführerin
einen Anspruch auf Unterlassung bestimmter Äußerungen versagt. Die Beschwerdeführerin rügt
eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG).
2
1. Die Beschwerdeführerin ist ehemalige Landrätin von F. und war bis September 2013 Mitglied
des Bayerischen Landtages. Im Jahre 2006 forderte sie den Rücktritt des damaligen bayerischen
Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Ende 2006 posierte sie für das Gesellschaftsmagazin „P.
A.“, das die Fotostrecke in ihrer Ausgabe 1/2007 veröffentlichte. Dies nahm die B. GmbH & Co.
KG, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, zum Anlass, unter ihrer Rubrik „Post von …“ auf der
Internetseite „www. …“ am 3. April 2007 folgenden Text zu veröffentlichen:
3
Post von …
Liebe Latex-Landrätin,
im goldenen Minikleid (ohne Höschen, weil es unfotogen durchdrückt) „begraben Sie Ihre
Karriere in der P. A.“, schrieb die …. Auf sechs Doppelseiten der Zeitschrift „P. A.“ lassen Sie
sich in Domina-Posen - mit Latex-Handschuhen und gespreizten Beinen - fotografieren. Die
Fotos sind klassische Pornografie. Der pornografische Voyeur lebt in der Qual, Ihnen die Kleider
vom Leib zu reißen. Kein Foto löst in mir den Impuls aus, Sie zu lieben bzw. zärtliche Worte mit
Ihnen zu flüstern. Kein Mann liebt eine Frau in einem Pornofilm.
Auf all diesen Fotos sind Sie angezogen, nichts Nacktes. Sie sind die Frau dazwischen. Warum
machen Sie das? Warum sind Sie nach Ihrem Stoiber-Triumph nicht die brave, allein erziehende
Mutter geblieben? Warum lassen Sie sich so fotografieren?
Ich sage es Ihnen: Sie sind die frustrierteste Frau, die ich kenne. Ihre Hormone sind dermaßen
durcheinander, dass Sie nicht mehr wissen, was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus,
Feminismus, Vernunft.
Sie sind eine durchgeknallte Frau, aber schieben Sie Ihren Zustand nicht auf uns Männer.
Herzlichst
Ihr F.J. W.
4
Die Beschwerdeführerin behauptet, von dieser Veröffentlichung erst im Herbst 2011 Kenntnis
erlangt zu haben. Sie behauptet weiter, die Bilder seien in der P. A. in dieser Weise nicht
freigegeben worden. Sie sieht sich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und
begehrte von der Beklagten,
5
es zu unterlassen zu behaupten, zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen
a) Frau Dr. P. ist eine durchgeknallte Frau,
b) die Fotos von Frau Dr. P., die in der P. A. erschienen sind, sind klassische Pornografie,
c) im Zusammenhang mit den Fotos von Frau Dr. P., die in der P. A. erschienen sind, von
„Domina-Posen“, „einem Pornofilm“ und „pornografischen Inhalten“ zu sprechen.
6
Des Weiteren begehrte sie eine angemessene Geldentschädigung in Höhe von mindestens
5.000 €.
7
2. Das Landgericht T. verurteilte die Beklagte mit nicht angegriffenem Urteil zur begehrten
Unterlassung, wies die Klage aber bezüglich der Geldentschädigung ab.
8
3. Gegen das Urteil legten beide Parteien Berufung ein. Mit angegriffenem Urteil wies das
Oberlandesgericht die Berufung der Beschwerdeführerin zurück und änderte das Urteil des
Landgerichts auf die Berufung der Beklagten dahingehend ab, dass es die Klage insgesamt
abwies. Es ordnete die drei streitgegenständlichen Äußerungen als Werturteil ein und ließ in der
Abwägung die Meinungsfreiheit der Beklagten überwiegen.
9
4. In ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres
allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der Beitrag lasse jegliche sachliche Auseinandersetzung
vermissen. Vielmehr zeichne er sich dadurch aus, dass er die Beschwerdeführerin auf ganz
privater Ebene unter Bezugnahme auf ihre inneren Gedankengänge und ihr Gefühlsleben
angreife und herabwürdige.
10
5. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hat sich zu der Verfassungsbeschwerde nicht
geäußert. Die Bayerische Staatsregierung hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten
des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
II.
11
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG teilweise zur
Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der
Beschwerdeführerin angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende
Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe
b BVerfGG).
12
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG teilweise
offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in
ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG,
soweit sie die Äußerung lit. a zulässt, die Beschwerdeführerin sei eine „durchgeknallte Frau“.
13
1. Die Entscheidung berührt den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der
Beschwerdeführerin.
14
Das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine
Persönlichkeitsrecht ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und gewährleistet
die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen (vgl. BVerfGE
54, 148 <153>). Hierzu gehört der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf
das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken (vgl. BVerfGE
114, 339 <346> m.w.N.).
15
Die inkriminierten Äußerungen lit. a - c sind geeignet, das soziale und politische Ansehen der
Beschwerdeführerin herabzusetzen, wie das Oberlandesgericht selbst zutreffend herausstellt.
16
2. Durch das Urteil des Oberlandesgerichts wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht der
Beschwerdeführerin teilweise verletzt. Soweit das Oberlandesgericht die Äußerung lit. a, die
Beschwerdeführerin sei eine „durchgeknallte Frau“, nicht beanstandet, hält sich dies nicht mehr
im fachgerichtlichen Wertungsrahmen.
17
a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt nicht vorbehaltlos. Es findet seine Schranken gemäß
Art. 2 Abs. 1 GG in der verfassungsmäßigen Ordnung einschließlich der Rechte anderer. Zu
diesen Rechten gehört auch die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
18
Aber auch die Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern findet ihrerseits
gemäß Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Zivilrechtliche Grundlage
zur Durchsetzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Wege eines
Unterlassungsanspruches ist hier § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit § 823
BGB. Die Anwendung dieser verfassungsrechtlich unbedenklichen Vorschriften ist Sache der
hierfür zuständigen Zivilgerichte. Doch müssen diese die betroffenen Grundrechte
interpretationsleitend berücksichtigen und ihrer Bedeutung und Tragweite Rechnung tragen,
damit der wertsetzende Gehalt der Grundrechte auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt
bleibt (vgl. BVerfGE 114, 339 <348> m.w.N.; stRspr).
19
Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus Sicht
eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Dabei ist stets vom Wortlaut der
Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr
auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und von den
erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt. Die isolierte Betrachtung eines
umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine tragfähige Sinnermittlung
regelmäßig nicht gerecht (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai
2009 - 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016 m.w.N.).
20
Die Gerichte haben die betroffenen unterschiedlichen Interessen und das Ausmaß ihrer
Beeinträchtigung zu erfassen. Die sich gegenüberstehenden Positionen sind in Ansehung der
konkreten Umstände des Einzelfalls in ein Verhältnis zu bringen, das ihnen jeweils angemessen
Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 120, 180 <209> m.w.N.).
21
b) Gemessen an diesen Maßstäben hat das Oberlandesgericht die drei streitigen Äußerungen
zunächst beanstandungsfrei als Meinungsäußerungen und nicht als Tatsachenbehauptungen
oder Schmähkritik eingeordnet.
22
aa) Hinsichtlich der Äußerungen lit. b und c hält sich die daran anschließende Abwägung
zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin und der
Meinungsfreiheit der Beklagten im fachgerichtlichen Wertungsrahmen und wird die
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer weiteren Begründung
wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
23
bb) Zu beanstanden ist demgegenüber die Abwägung hinsichtlich der Äußerung lit. a, weil das
Oberlandesgericht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin ein zu
schwaches Gewicht beimisst.
24
Wenn die Beschwerdeführerin von der Beklagten die Unterlassung der Äußerung „Frau Dr. P. ist
eine durchgeknallte Frau“ beantragt, so wendet sie sich gegen diese Äußerung als
Zusammenfassung des vorangegangenen Absatzes, in dem es heißt: „Sie sind die frustrierteste
Frau, die ich kenne. Ihre Hormone sind dermaßen durcheinander, dass Sie nicht mehr wissen,
was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus, Feminismus, Vernunft.“ Durch das Wort
„durchgeknallt“ wird dieser Absatz zusammengefasst. Das Wort „durchgeknallt“ hat hier somit
eine grundlegend andere Bedeutung als in dem von dem Bundesverfassungsgericht
entschiedenen Fall „durchgeknallter Staatsanwalt“ (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des
Ersten Senats vom 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016). Eine schlichte
Übertragung der verfassungsrechtlichen Beurteilung jenes Falls auf den vorliegenden Fall durch
den formalen Verweis auf die in beiden Fällen gefallene Bezeichnung einer Person als
„durchgeknallt“ scheidet so von vorneherein aus.
25
Das Oberlandesgericht übersieht die persönliche Ehre als in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich
genannte Schranke, die auf zivilrechtlichem Gebiet durch die §§ 823 ff. BGB gesetzlich normiert
ist (vgl. BVerfGE 33, 1 <17>). Die Beklagte verschiebt mit ihrem Text die öffentliche
Auseinandersetzung um die Person der Beschwerdeführerin in dem inkriminierten Absatz hin zu
rein spekulativen Behauptungen über den Kern ihrer Persönlichkeit als Privatperson. Sie stützt
diese auf Beurteilungen, die thematisch den innersten Intimbereich betreffen, ohne dass diese
Spekulationen irgendeinen Tatsachenkern hätten. Sie knüpfen zwar an das Verhalten der
Beschwerdeführerin an, die für ein Gesellschaftsmagazin posierte und eine Serie von Fotos von
sich fertigen ließ, weswegen sich die Beschwerdeführerin eine Auseinandersetzung hiermit
auch gefallen lassen muss. Die von der Beklagten hieraus gezogenen Folgerungen, die sie mit
den Worten „durchgeknallte Frau“ zusammenfasst, haben jedoch als solche keinerlei
Anknüpfungspunkt in dem Verhalten der Beschwerdeführerin. Die Beklagte zielt hier vielmehr
bewusst darauf, die Beschwerdeführerin nicht nur als öffentliche Person und wegen ihres
Verhaltens zu diskreditieren, sondern ihr provokativ und absichtlich verletzend jeden
Achtungsanspruch gerade schon als private Person abzusprechen.
26
Angesichts dessen kann sich die Meinungsfreiheit nicht durchsetzen. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass es sich vorliegend um einen bewusst geschriebenen und als Verletzung
gewollten Text handelt, der nicht Ausdruck einer spontanen Äußerung im Zusammenhang einer
emotionalen Auseinandersetzung ist, wie es in dem von dem Bundesverfassungsgericht
entschiedenen Fall „durchgeknallter Staatsanwalt“ der Fall war (BVerfG, Beschluss der 1.
Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016), in dem es
außerdem um eine strafrechtliche Verurteilung und nicht - wie hier - um einen zivilrechtlichen
Unterlassungsanspruch ging. Auch bleibt es der Beklagten unbenommen, sich - auch zugespitzt
und polemisch - zu dem Verhalten der Beschwerdeführerin zu äußern. Die in den Intimbereich
übergreifende Verächtlichmachung der Beschwerdeführerin durch die Beschreibung als
„frustrierteste Frau“, die nicht mehr wisse „was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus,
Feminismus, Vernunft“ und ihre Bezeichnung als in diesem Sinne „durchgeknallt“ ist
demgegenüber mit dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin
nicht mehr vereinbar.
27
Das Oberlandesgericht hat insoweit das Ausmaß der Beeinträchtigung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin nicht hinreichend erfasst und die sich
gegenüberstehenden Positionen in Ansehung der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht in
ein Verhältnis gebracht, das dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin
angemessen Rechnung trägt.
28
3. Die Entscheidung beruht auf dem aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehler und ist insoweit
aufzuheben. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei erneuter Befassung zu
einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.
29
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin
beruht auf § 34a Abs. 2, 3 BVerfGG.
30
5. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für das
Verfassungsbeschwerdeverfahren folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1
RVG. Das Bundesverfassungsgericht orientiert sich unter anderem auch an dem im
Ausgangsverfahren festgesetzten Streitwert.
Kirchhof
Masing
Baer