Urteil des BVerfG vom 07.12.2010

BVerfG: verfassungsbeschwerde, erlass, abschiebung, vollzug, zustand, trennung, aufenthalt, lebensgemeinschaft, stadt, presse

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2625/10 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau S ...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwältin Stephanie Weh,
Wildunger Straße 2, 60487 Frankfurt am Main -
gegen
a)
den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. November 2010 - 9
B 2110/10 -,
b)
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 28. September 2010
- 8 L 2563/10.F -
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Di Fabio,
Gerhardt
und die Richterin Hermanns
am 7. Dezember 2010 einstimmig beschlossen:
Der Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt am Main wird einstweilen bis zur Entscheidung über die
Verfassungsbeschwerde untersagt, die in ihrer Verfügung vom 25. August 2010 angedrohte Abschiebung der
Beschwerdeführerin nach Bosnien-Herzegowina zu vollziehen.
Gründe:
1
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
2
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige
Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum
gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen
Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde
erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des
Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine
einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen
abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der
Erfolg aber zu versagen wäre (BVerfGE 88, 25 <35>; 89, 109 <110 f.>; stRspr).
3
2. Nach vorläufiger Prüfung kann nicht festgestellt werden, dass die von der Beschwerdeführerin erhobene
Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist.
4
Die Beschwerdeführerin rügt, den Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde genügend, dass
bei Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG Bedeutung und Tragweite des Art. 6 Abs. 1 GG
verkannt worden seien, weil ihr Ehemann wegen seiner Erkrankung ihres persönlichen Beistands bedürfe. Es bedarf
insoweit weiterer Klärung, ob die verwaltungsgerichtliche Würdigung, der Ehemann der Beschwerdeführerin sei nicht
auf ihre ununterbrochene Anwesenheit angewiesen, verfassungsgerichtlicher Überprüfung standhält.
5
Die danach gebotene Abwägung führt zum Erlass der einstweiligen Anordnung. Der Beschwerdeführerin droht durch
den Vollzug der Abschiebung angesichts der Trennung der ehelichen Lebensgemeinschaft ein schwerer und nicht
ohne Weiteres wieder gutzumachender Nachteil. Demgegenüber wiegen etwaige Nachteile, die durch den auf
überschaubare Zeit verlängerten Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Deutschland entstehen, weniger schwer.
Di Fabio
Gerhardt
Hermanns