Urteil des BVerfG vom 05.02.2004

BVerfG: sicherungsverwahrung, unterbringung, freiheitsentziehung, gefahr, rückwirkungsverbot, fortdauer, verkündung, verfassungsbeschwerde, menschenwürde, ex tunc

Entscheidungen
L e i t s ä t z e
zum Urteil des Zweiten Senats vom 5. Februar 2004
- 2 BvR 2029/01 -
1. a) Die Menschenwürde wird auch durch eine langdauernde Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht
verletzt, wenn diese wegen fortdauernder Gefährlichkeit des Untergebrachten notwendig ist. Erforderlich ist
aber auch in diesen Fällen, die Eigenständigkeit des Untergebrachten zu wahren, seine Würde zu achten und
zu schützen. Daher muss die Sicherungsverwahrung ebenso wie der Strafvollzug darauf ausgerichtet sein, die
Voraussetzungen für ein verantwortliches Leben in Freiheit zu schaffen.
b) Für das Institut der Sicherungsverwahrung folgt aus Art. 1 Abs. 1 GG kein verfassungsrechtliches Gebot,
schon bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung oder in einem späteren Überprüfungszeitpunkt eine
Höchstfrist des Vollzugs festzusetzen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass eine
verbindliche Entscheidung über den voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt beim Sicherungsverwahrten nicht
im Vorhinein getroffen wird.
2. a) Je länger die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen
für ihre Fortdauer.
b) Die Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB trägt der verstärkten Geltung des Freiheitsanspruchs nach
zehnjähriger Verwahrdauer Rechnung, indem sie erhöhte Anforderungen an das bedrohte Rechtsgut und den
Nachweis der Gefährlichkeit des Verwahrten stellt und nur ausnahmsweise die Fortsetzung der Vollstreckung
gestattet.
c) Wegen der besonderen Bedeutung der Vollzugslockerungen für die Prognosebasis darf sich das
Vollstreckungsgericht nicht damit abfinden, dass die Vollzugsbehörde ohne hinreichenden Grund
Vollzugslockerungen versagt, welche die Erledigung der Maßregel vorbereiten können.
d) Die Landesjustizverwaltungen haben dafür Sorge zu tragen, dass Möglichkeiten der Besserstellung im
Vollzug der Sicherungsverwahrung soweit ausgeschöpft werden, wie sich dies mit den Belangen der
Justizvollzugsanstalten verträgt.
3. Der Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 2 GG ist auf staatliche Maßnahmen beschränkt, die eine
missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses
Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient.
4. Der Wegfall der Höchstfrist für eine erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung und die Anwendbarkeit auf
Straftäter, bei denen die Sicherungsverwahrung vor Verkündung und Inkrafttreten der Novelle angeordnet und
noch nicht erledigt war, steht im Einklang mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot (Art. 2 Abs. 2 GG
in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG).
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2029/01 -
Verkündet
am 5. Februar 2004
Herr
Regierungsangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn M...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Bernhard Schroer,
Universitätsstraße 27, 35037 Marburg -
gegen
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 26. Oktober 2001 - 3
Ws 543 und 544/01 -,
b)
den Beschluss des Landgerichts Marburg vom 10. April 2001 - 7 StVK 50/01 und 7
StVK 51/01 -,
c)
mittelbar § 67d StGB in Verbindung mit Art. 1a Abs. 3 EGStGB in der Fassung des
Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten
vom 26. Januar 1998 (BGBl I S. 160)
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Hassemer,
Jentsch,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2003 durch
U r t e i l
für Recht erkannt:
1. Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
2. § 67d Absatz 3 des Strafgesetzbuchs und Artikel 1a Absatz 3 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch
in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom
26. Januar 1998 (Bundesgesetzblatt I 1998 Seite 160) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
Gründe:
A.
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen strafgerichtliche Beschlüsse, mit denen der Antrag des
Beschwerdeführers abgelehnt wurde, die erstmalig gegen ihn angeordnete Sicherungsverwahrung nach Ablauf von
zehn Jahren für erledigt zu erklären. Mittelbar stellt sie die Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung in ihrer
gegenwärtigen Ausgestaltung in Frage.
I.
2
1. Jede gesellschaftliche Ordnung ist darauf angewiesen, sich vor gefährlichen Straftätern zu schützen. Als Mittel
der Prävention kamen seit dem Mittelalter neben der Unterbringung auf unbestimmte Zeit die Todesstrafe,
Galeerensklaverei oder Deportation zur Anwendung. Mit dem Aufkommen der Gefängnisstrafen wurden rückfällige
Straftäter zu langen Haftstrafen und Zwangsarbeit verurteilt. Auch das Allgemeine Landrecht für die preußischen
Staaten von 1794 eröffnete darüber hinaus in der Vorschrift des § 5 II 20 die Möglichkeit, Hangtäter über die Dauer der
Freiheitsstrafe hinaus in Haft zu behalten.
3
Ende des 19. Jahrhunderts vertrat eine "moderne" Strafrechtsschule die Idee von Strafe als täterbezogenem Mittel
der Abschreckung, Besserung und Sicherung und entwickelte ein dualistisches Sanktionensystem. Danach muss die
Strafe zwar an der Schuld orientiert bleiben, ist aber durch ergänzende Maßnahmen zu vervollständigen, soweit sie
Präventionsbedürfnisse nicht hinreichend befriedigen kann. In Deutschland wurde das zweispurige Sanktionensystem
- wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung - in alle Entwürfe zu einem neuen Strafgesetzbuch zu Beginn des
20. Jahrhunderts und in der Weimarer Republik aufgenommen.
4
Eingang in das Strafgesetzbuch fand schließlich das zweispurige Sanktionensystem mit dem Gesetz gegen
gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl
I S. 995 - Gewohnheitsverbrechergesetz). Dieses sah für "gefährliche Gewohnheitsverbrecher" in § 20a RStGB eine
Strafschärfung und in § 42e RStGB die obligatorische Anordnung der Sicherungsverwahrung vor. Nach § 42f RStGB
war die Unterbringung nicht befristet und hatte so lange fortzudauern, als ihr Zweck - Schutz der öffentlichen
Sicherheit - es erforderte. Das Gericht hatte gemäß § 42f Abs. 3 RStGB im Abstand von drei Jahren zu prüfen, ob der
Zweck der Maßregel erreicht war. Zur zeitlichen Geltung bestimmte § 2a RStGB, dass über Maßregeln der Sicherung
und Besserung nach dem Gesetz zu entscheiden war, das bei der Entscheidung galt. Darüber hinaus sah das Gesetz
in einer Übergangsvorschrift eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung für bereits inhaftierte Straftäter
vor (vgl. Art. 5 Gewohnheitsverbrechergesetz).
5
2. Nach 1945 blieb das Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933 im Wesentlichen unangetastet. Die Regelungen
über die Sicherungsverwahrung wurden ebenso in das Strafgesetzbuch von 1953 übernommen wie § 2a RStGB. Erst
im Jahre 1969 gestaltete das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts (BGBl 1969 I S. 645) das Recht der
Sicherungsverwahrung tief greifend um. Mit Wirkung vom 1. April 1970 entfiel § 20a StGB; ferner wurden die formellen
und materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung in § 42e StGB verschärft. So hob das Gesetz das
geforderte Strafmaß der Anlasstat an, stellte höhere Anforderungen hinsichtlich der Vorstrafen und forderte eine
Vorverbüßung für die obligatorische Sicherungsverwahrung. Eine Höchstdauer der Unterbringung war nicht
vorgesehen, jedoch wurden die Fristen für die gerichtliche Überprüfung der Unterbringungsvoraussetzungen auf zwei
Jahre verkürzt (§ 42f StGB).
6
Mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (BGBl I 1969 S. 717) am 1. Januar 1975 wurde
§ 42e Abs. 1 und 2 StGB inhaltlich unverändert zum heutigen § 66 Abs. 1 und 2 StGB. Das Gesetz behielt die Fristen
für die gerichtliche Überprüfung der Sicherungsverwahrung bei und brachte sie in die heutige Fassung der §§ 67c und
67e StGB. Jedoch begrenzte der Gesetzgeber die Dauer der erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung gemäß
§ 67d Abs. 1 StGB auf zehn Jahre und ersetzte dadurch die frühere Regelung des § 42f StGB. Die Vorschriften
lauteten nunmehr:
7
§ 67d StGB (Dauer der Unterbringung)
8
(1) Es dürfen nicht übersteigen
9
...
10
die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zehn Jahre.
11
Die Fristen laufen vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine
daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die
Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzuges der Maßregel auf
die Strafe angerechnet wird.
12
(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das
Vollstreckungsgericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, sobald
verantwortet werden kann zu erproben, ob der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs
keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.
13
(3) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist
damit erledigt.
14
Die Einführung der Zehnjahresgrenze war zunächst gefordert worden, um die Scheu des Richters vor der absolut
unbestimmten Sanktion zu beseitigen. Viele Gerichte sähen in der Praxis die Sicherungsverwahrung als einen
lebenslänglichen Freiheitsentzug an und schreckten deshalb vor ihrer Anordnung zurück. Man wollte mit der neuen
Regelung erreichen, dass die Gerichte diese Bedenken überwänden und von der Möglichkeit, die
Sicherungsverwahrung anzuordnen, im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit künftig häufiger Gebrauch machten
(vgl. Prot. des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 5. Wahlp., 3. Sitzung, S. 14). Im Laufe der weiteren
Diskussion verwies man auch auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den Bestimmtheitsgrundsatz (vgl. BTDrucks
7/2222, S. 2 f.). Einen weiteren Grund für die Befristung sah man in der Unzulänglichkeit prognostischer Methoden
(vgl. Prot. des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 7. Wahlp., 17. Sitzung, S. 742; Prot. des
Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 7. Wahlp., 33. Sitzung, S. 1694). Dagegen lehnte der Gesetzgeber es
ab, die Zehnjahresgrenze auch für die wiederholte Sicherungsverwahrung aufzunehmen. Den Rechten der Verwahrten
werde durch die regelmäßige Überprüfung der Maßregel gemäß § 67e StGB genügend Rechnung getragen (vgl. Prot.
des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 5. Wahlp., 116. Sitzung, S. 2307 ff.).
15
Den Grundsatz, wonach über Maßregeln der Besserung und Sicherung nach dem Recht des
Entscheidungszeitpunkts zu befinden ist, erweiterte das 2. Strafrechtsreformgesetz um den redaktionellen Zusatz
"wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist" zum heutigen § 2 Abs. 6 StGB.
16
3. a) Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998
(BGBl I S. 160) lockerte zum einen die formellen Anordnungsvoraussetzungen der Sicherungsverwahrung. Nach dem
neu eingefügten Absatz 3 des § 66 StGB kann das Gericht in schweren Fällen bereits nach der ersten einschlägigen
Wiederholungstat die Sicherungsverwahrung anordnen, unter den Voraussetzungen des Satzes 2 sogar ohne eine
frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung. Die Vorschrift über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
lautet nunmehr:
17
§ 66 StGB
18
(Unterbringung in der Sicherungsverwahrung)
19
(1) Wird jemand wegen einer vorsätzlichen Straftat zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei
Jahren verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
20
1. der Täter wegen vorsätzlicher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon
zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
21
2. er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens
zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel
der Besserung und Sicherung befunden hat und
22
3. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, daß er infolge eines Hanges zu
erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich
schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die
Allgemeinheit gefährlich ist.
23
(2) Hat jemand drei vorsätzliche Straftaten begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von
mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu
Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in
Absatz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch
ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Nr. 1 und 2) anordnen.
24
(3) Wird jemand wegen eines Verbrechens oder wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis
174c, 176, 179 Abs. 1 bis 3, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder nach § 323a, soweit die
im Rausch begangene Tat ein Verbrechen oder eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten
ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der
Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher
Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von
mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Nr. 2 und 3 genannten
Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art
begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und
wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren
verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzungen
neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder
Freiheitsentziehung (Absatz 1 Nr. 1 und 2) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
25
(4) ...
26
b) Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Änderung des § 67d StGB, mit der der Gesetzgeber die dort
geregelte Höchstdauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren aufgehoben hat.
Gleichzeitig änderte er den Absatz 2 von einer Erprobungs- in eine Erwartungsklausel. Im Gegenzug führte er für alle
Fälle der Sicherungsverwahrung, also auch für die wiederholt angeordnete, in Absatz 3 eine Pflicht zur Überprüfung
nach zehnjähriger Vollzugsdauer ein. Die Vorschrift lautet nunmehr:
27
§ 67d StGB (Dauer der Unterbringung)
28
(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist
läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben
angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um
die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe
angerechnet wird.
29
(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das
Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist,
daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr
begehen wird. Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.
30
(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so
erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der
Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die
Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Erledigung tritt
Führungsaufsicht ein.
31
(4) ...
32
(5) ...
33
Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks 13/8586) hatte eine Streichung der Höchstfrist
nicht vorgesehen. Demgegenüber hatte der Bundesrat vorgeschlagen, bei grundsätzlicher Beibehaltung der
Höchstfrist die Anordnung unbefristeter Sicherungsverwahrung vor Ablauf von zehn Jahren ausnahmsweise für den
Fall zu ermöglichen, dass der Schutz der Allgemeinheit dies erfordere. Es sei nicht länger tragbar, dass die erstmalige
Sicherungsverwahrung von Gesetzes wegen ausnahmslos auf zehn Jahre begrenzt sei. Das geltende Recht führe
dazu, dass ein Verurteilter, der auch nach Ablauf von zehn Jahren noch hochgradig gefährlich sei, zwingend in die
Freiheit entlassen werden müsse. Derartige Fälle gebe es zwar in der Praxis sehr selten. Es sei aber für jeden
Einzelfall nicht vermittelbar, dass das Gesetz dazu zwinge, die mit einer Entlassung hochgefährlicher Täter
verbundenen Risiken einzugehen und im Extremfall abwarten zu müssen, bis sich der Täter erneut in
schwerwiegender Weise vergangen habe (vgl. BTDrucks 13/7559, S. 11). In ihrer Gegenäußerung hatte die
Bundesregierung die Abschaffung der Höchstfrist für unnötig erklärt, da in keinem Fall, der die Öffentlichkeit bewegt
habe, der Täter ein zuvor - nach oder vor Ablauf der Höchstfrist - aus der Sicherungsverwahrung Entlassener gewesen
sei (vgl. BTDrucks 13/7559, S. 18).
34
Der schließlich verabschiedete Gesetzestext geht auf eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des
Bundestages zurück (vgl. BTDrucks 13/8989, S. 6). Der Rechtsausschuss berichtete dazu, die bisherige zwingende
Beschränkung der erstmaligen Sicherungsverwahrung sei mit den berechtigten Sicherheitsinteressen der Bevölkerung
nicht in Einklang zu bringen. Um die Verlängerung der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus auf die
unabweisbar notwendigen Fälle zu beschränken, sehe der Entwurf eine gesonderte Überprüfung vor. Nur wenn die
Gefahr bestehe, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges Straftaten begehen werde, durch welche die Opfer
seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden, könne die Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus
vollstreckt werden. Zur Durchführung dieser Überprüfung seien ein Sachverständiger anzuhören und dem
Untergebrachten ein Verteidiger zu bestellen (vgl. BTDrucks 13/9062, S. 10).
35
c) Zum zeitlichen Anwendungsbereich bestimmt der in Art. 1a EGStGB eingefügte Absatz 2, dass die erleichterten
Anordnungsvoraussetzungen der Maßregel nur in die Zukunft wirken. Mit der Verfassungsbeschwerde wird der
ebenfalls neu eingefügte Absatz 3 angegriffen, demzufolge der Wegfall der Zehnjahresgrenze auch Straftäter betrifft,
die ihre Tat vor Verkündung und Inkrafttreten der Novelle begangen haben und vor diesem Zeitpunkt verurteilt worden
sind:
36
Art. 1a EGStGB
37
(Anwendbarkeit der Vorschriften über
38
die Sicherungsverwahrung)
39
(1) ...
40
(2) § 66 Abs. 3 des Strafgesetzbuches findet nur Anwendung, wenn der Täter eine der
Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art nach dem
31. Januar 1998 begangen hat.
41
(3) § 67d des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von
Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160)
findet uneingeschränkt Anwendung.
42
Den in Art. 1a Abs. 2 EGStGB hinsichtlich des § 66 Abs. 3 StGB vorgesehenen Ausschluss einer Rückwirkung
begründete der Gesetzgeber mit dem Prinzip des Vertrauensschutzes. Dagegen trage die in Art. 1a Abs. 3 EGStGB
vorgesehene uneingeschränkte Rückwirkung des § 67d StGB dem Umstand Rechnung, dass die Neuregelung hier
nicht die Anordnung, sondern allein die Dauer der Sicherungsverwahrung betreffe. Deshalb seien "an den
Rückwirkungsschutz von Verfassungs wegen nicht dieselben hohen Anforderungen wie im Fall des § 66 Abs. 3 StGB-
E zu stellen" (BTDrucks 13/9062, S. 12).
43
d) Das Verfahrensrecht ist im Hinblick auf die Neuregelung ergänzt und angepasst worden. § 463 Abs. 3 StPO n.F.
schreibt für die gerichtliche Überprüfung nach § 67d Abs. 3 StGB und die nachfolgenden Entscheidungen nach § 67d
Abs. 2 StGB zwingend die Anhörung eines Sachverständigen sowie die Bestellung eines Verteidigers vor. Des
Weiteren normiert § 9 StVollzG n.F., ergänzt durch Regelungen in § 6 Abs. 2 Satz 2 und § 7 Abs. 4 StVollzG, eine
zwingende Verlegung behandlungsfähiger Sexualstraftäter in sozialtherapeutische Anstalten.
II.
44
Der 1957 geborene Beschwerdeführer befand sich seit seinem 15. Lebensjahr nur wenige Wochen in Freiheit. Ohne
die von ihm angegriffene Neuregelung wäre er am 18. August 2001 wegen Ablaufs der Zehnjahresfrist aus dem
Maßregelvollzug zu entlassen gewesen.
45
1. Nachdem er schon 1971 wegen Ladendiebstahls richterlich verwarnt werden musste, saß er rund ein Jahr später
wegen Diebstahls und Genussmittelentwendung erstmals fünf Tage lang im Jugendarrest ein. Einen knappen Monat
später brach er mit weiteren Jugendlichen unter anderem wiederholt Kraftfahrzeuge und Wohnwagen auf. Er wurde im
September 1972 wegen fortgesetzten schweren gemeinschaftlichen Diebstahls in drei Fällen unter anderem zu einer
Jugendstrafe von unbestimmter Dauer verurteilt. Das Höchstmaß von drei Jahren verbüßte er bis zum 5. Juli 1975.
Während der Strafvollstreckung entwich er insgesamt dreimal. Keine drei Wochen nach seiner Entlassung aus der
Jugendhaftanstalt machte er sich erneut wegen unter anderem mehrerer Pkw-Aufbrüche strafbar und wurde
schließlich im November 1975 zu einer Jugendstrafe von zehn Monaten verurteilt. Während der Haftzeit war er eine
Woche flüchtig. Die Strafe wurde bis Juli 1976 vollstreckt.
46
2. Eine Woche nach seiner Haftentlassung beging er einen gemeinschaftlichen Raub in Tateinheit mit
gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und räuberischer Erpressung, am folgenden Tag einen versuchten
Mord und einen weiteren Tag später einen gemeinschaftlichen Diebstahl in einem besonders schweren Fall.
47
Das Landgericht Kassel verurteilte den Beschwerdeführer wegen dieser Taten im Oktober 1977 zu einer
Jugendstrafe von sechs Jahren. Diese Strafe verbüßte er zunächst bis zum Juli 1980 zu zwei Dritteln, bevor die
Vollstreckung zugunsten der nachfolgenden beiden Verurteilungen unterbrochen und schließlich bis Oktober 1984
vollständig vollzogen wurde.
48
3. Im November 1977 wurde der Beschwerdeführer während seiner Inhaftierung erneut straffällig, indem er aus
nichtigem Anlass einen schweren Metallkasten nach einem Aufsichtsbeamten schleuderte und anschließend mit
einem Schraubenzieher auf ihn einstach. Deshalb verurteilte ihn das Landgericht Wiesbaden im März 1979 wegen
gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, ordnete gemäß §§ 63, 20,
21 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an und bestimmte, dass die Strafe vor der
Maßregel zu vollziehen sei. Der Beschwerdeführer leide unter einer Psychopathie, die eine schwere seelische
Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB darstelle und immer wiederkehrende schwerste Übergriffe auf seine
Mitmenschen in hohem Maße wahrscheinlich mache.
49
4. Schon vor dieser Verurteilung hatte ein Streit mit einem Mithäftling über ein geöffnetes Zellenfenster dazu geführt,
dass der aufgebrachte Beschwerdeführer mit voller Kraft nach dem Kopf des schwer behinderten und körperlich
unterlegenen Mithäftlings trat, sich auf ihn stürzte und ihn schlug und würgte. Das Landgericht Marburg verurteilte den
Beschwerdeführer deshalb wegen Körperverletzung unter Einbeziehung der unter 3. genannten Strafe zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Die Anordnung gemäß § 63 StGB blieb aufrecht erhalten.
50
5. Die Maßregel wurde seit Oktober 1984 in einer Klinik für gerichtliche Psychiatrie vollzogen. Der Beschwerdeführer
verhielt sich dort zunächst unauffällig und angepasst, entschloss sich aber dann im Juli 1985 zur Flucht. Im Rahmen
von Vollzugslockerungen absolvierte er einen mehrstündigen Ausgang mit einer ehrenamtlichen Vollzugshelferin, die
bereits seit 1980 Kontakt zu ihm pflegte. Die Vollzugshelferin lud den Beschwerdeführer zunächst zum Mittagessen
ein. Beim anschließenden Spaziergang brachte der Beschwerdeführer seine Begleiterin plötzlich zu Fall und würgte
sie, um sie zu töten. Erst als sich drei Jugendliche dem Tatort näherten, ließ er von der Vollzugshelferin ab und
flüchtete unter Mitnahme ihrer Handtasche. Wenige Tage später - nachdem ein geplanter Raubüberfall auf eine
Parkhausnutzerin unmittelbar vor der Ausführung fehlgeschlagen war - wurde er gefasst. Das Landgericht Marburg
verurteilte ihn im November 1986 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Raub zu einer Freiheitsstrafe von fünf
Jahren und ordnete seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Das Gericht ging nach sachverständiger
Beratung davon aus, dass der Beschwerdeführer für seine Tat voll verantwortlich gewesen sei. Er habe jedoch eine
eingewurzelte und intensive Neigung zu Rechtsbrüchen, durch welche die Opfer seelisch, vor allem aber körperlich
schwer geschädigt würden. Er neige zu kurzschlüssigen Aggressionsreaktionen, mit denen auch in Zukunft zu
rechnen sei. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Freiheit jeden Geldmangel zum Anlass nehmen
werde, Gewalttaten gegen Personen zu begehen, und dabei auch vor der Tötung seiner Opfer nicht zurückschrecken
werde.
51
Der Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde zur Vollstreckung der
Untersuchungshaft, der Strafhaft und der anschließenden Sicherungsverwahrung unterbrochen. Die
Sicherungsverwahrung wird seit dem 18. August 1991 vollzogen.
52
6. Während des Maßregelvollzugs nutzte der Beschwerdeführer im Oktober 1995 einen Tagesausgang zur Flucht,
stellte sich jedoch im November der Polizei. Im Juli 1996 brach er einem Mitgefangenen das Nasenbein, um einer
angeblichen Forderung über 100,- DM Nachdruck zu verleihen. 1998 berichtete die Justizvollzugsanstalt, dass der
Beschwerdeführer vermehrt impulsiv-aggressive Verhaltensweisen zeige. Er habe seine Rücksichtslosigkeit zum
Prinzip erhoben. Seit geraumer Zeit bekenne er sich zur Skinheadszene. Aus seiner Zelle seien SS-Zeichen,
Hakenkreuze sowie Bilder von Hitler und Goebbels entfernt worden. Er verweigere die Zusammenarbeit mit
ausländischen Gefangenen. Tiefer geworden sei auch sein Hass gegen den Anstaltsleiter, den er wegen eines
Rückenleidens als "unwertes Leben" bezeichnet habe, das "im Dritten Reich im KZ gelandet wäre".
53
7. Nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens lehnte es die Strafvollstreckungskammer mit
dem hier angegriffenen Beschluss erneut ab, die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung
auszusetzen und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt zu erklären. Über die
letztgenannte Maßregel sei erst zu entscheiden, wenn deren Vollstreckung anstehe. Beim Beschwerdeführer sei zwar
nicht mehr von einer psychiatrischen Erkrankung auszugehen. Er weise aber histrionische Persönlichkeitszüge auf,
die in eine ausgeprägte narzisstische Problematik eingebettet seien. Des Weiteren zeige sich ein hochgradiger
Empathiemangel. Zwar habe er gelernt, soziale Situationen kognitiv einzuschätzen, kenne aber keine emotionalen
Barrieren, die ihn hinderten, sich zum Schaden anderer durchzusetzen. Er habe sich isoliert und stehe in der Gefahr,
dass er mit seinem hohen narzisstischen Bedarf nach Wahrgenommenwerden und Aufmerksamkeit "auf der Strecke"
bleibe. Es sei zu erwarten, dass er neue "Lösungswege" einschlagen und in diesem Rahmen auch neue Straftaten
begehen werde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden.
54
Gegen die gesetzliche Neuregelung, die eine Fortdauer der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung über zehn
Jahre hinaus zulasse, bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
55
Auf seine sofortige Beschwerde, mit der er insbesondere die Verfassungswidrigkeit von § 67d Abs. 3 StGB n.F.
i.V.m. Art. 1a Abs. 3 EGStGB geltend machte, erklärte das Oberlandesgericht nach Einholung eines weiteren
Sachverständigengutachtens die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt,
verwarf die sofortige Beschwerde aber als unbegründet, soweit sie sich gegen die Fortdauer der
Sicherungsverwahrung richtete.
56
Der verbliebene Hang zu weiteren gefährlichen Straftaten liege in der Charakterpathologie, der fehlenden
Internalisierung sozialer Normen und dem fehlenden emotionalen Bezug zu anderen begründet. Dies stelle zwar beim
Beschwerdeführer keine "andere seelische Abartigkeit" im Sinne der §§ 21, 20 StGB dar. Die Gefährlichkeit des
Beschwerdeführers erfordere jedoch seine weitere Unterbringung in der Sicherungsverwahrung; diese sei angesichts
der Schwere der drohenden Straftaten auch verhältnismäßig.
57
Im Übrigen verletzten die durch das Gesetz vom 26. Januar 1998 eingeführten Vorschriften weder Art. 2 Abs. 2 GG
noch Art. 103 Abs. 2 GG oder das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot.
III.
58
Nach Auffassung des Beschwerdeführers verstößt die Neuregelung gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip
folgende allgemeine Rückwirkungsverbot. Es handele sich um einen Fall echter Rückwirkung, denn die Rechtsfolgen
der Tat mit der rechtskräftigen Verurteilung stünden fest, würden also durch das Gesetz nachträglich geändert. Mit
Rechtskraft der Verurteilung habe ein einheitlicher Lebenssachverhalt seinen Abschluss gefunden; die anschließende
Vollstreckung bilde einen neuen Lebenssachverhalt. Die echte Rückwirkung sei verfassungswidrig. Es fehle an einer
empirisch belegbaren Notwendigkeit für die angestrebte Verlängerung der Sicherungsverwahrung. Hinweise auf
schwerwiegende Taten von Personen, die nach Erreichen der Zehnjahresgrenze entlassen worden seien, gebe es
nicht. Deshalb rechtfertigten Erwägungen des Allgemeinwohls eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung selbst dann
nicht, wenn man lediglich einen Fall unechter Rückwirkung annähme.
59
Darüber hinaus verletze die gesetzliche Neuregelung das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG. Bei der
Sicherungsverwahrung handele es sich um eine "Strafe". Dies zeige bereits ein Vergleich mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG,
aus dem der Bundesgesetzgeber seine Kompetenz für das Recht der Sicherungsverwahrung ableite, obgleich die
Vorschrift nur das "Strafrecht", nicht aber das Maßregelrecht erwähne. Fasse man die Sicherungsverwahrung als rein
präventive Maßnahme auf, so seien die sie betreffenden Regelungen mangels Gesetzgebungskompetenz sogar
insgesamt verfassungswidrig. Ferner fordere auch die enge Verknüpfung von Strafe und Maßregel eine Anwendung
des Art. 103 Abs. 2 GG. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung setze eine vorsätzliche Straftat voraus, die mit
einer gewissen Mindeststrafe geahndet werden müsse; auch werde die Sicherungsverwahrung wie die Strafe in einer
Justizvollzugsanstalt vollstreckt.
60
Der nachträgliche Wegfall der Höchstgrenze verstoße mangels zeitlicher Limitierung der Sanktion auch gegen das
Bestimmtheitsgebot. Ferner stelle es eine Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) dar,
wenn der Gesetzgeber die ursprünglich angeordnete (befristete) Sicherungsverwahrung nachträglich in eine
unbefristete abändere. Darüber hinaus widerstreite die Neuregelung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die
vorausgehende Strafvollstreckung und die Sicherungsverwahrung dauerten zusammen in aller Regel 15 und mehr
Jahre. Die Gesamtdauer sei damit regelmäßig länger als diejenige, die der Gesetzgeber für das schwerste Verbrechen
- Mord - in § 57a StGB mit 15 Jahren festgesetzt habe. Schließlich sei zu befürchten, dass wegen der entfallenen
zeitlichen Begrenzung entlassungsvorbereitende Vollzugslockerungen noch restriktiver gehandhabt würden als bisher.
Damit würden die Sicherungsverwahrten erheblich schlechter gestellt als Täter, die zu einer zeitigen oder
lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden seien.
IV.
61
Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich das Bundesministerium der Justiz, die Vorsitzenden des 1., 3. und
5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, der Generalbundesanwalt, das Bayerische Staatsministerium der Justiz, die
Niedersächsische sowie die Hessische Staatskanzlei geäußert. Sie kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis,
dass die gesetzliche Neuregelung mit den Gewährleistungen des Grundgesetzes vereinbar ist und ihre Anwendung
durch die Fachgerichte im Ausgangsfall keinen durchgreifenden Bedenken begegnet.
V.
62
Der Senat hat den Landesregierungen einen Fragenkatalog übersandt, um Aufschluss über die vollstreckungs- und
vollzugsrechtliche Handhabung der Sicherungsverwahrung in den einzelnen Ländern zu gewinnen. Die Antworten
gingen im Zeitraum von März bis Juni 2002 ein; ihnen lässt sich entnehmen:
63
In den Ländern befanden sich im Untersuchungszeitraum insgesamt 284 Personen im Vollzug einer erstmals
angeordneten Sicherungsverwahrung; gegen 29 Verurteilte wurde die Maßregel auf Grund wiederholter Anordnung
vollstreckt. Mindestens 165 Untergebrachte (ohne Nordrhein-Westfalen) waren vom Wegfall der zeitlichen Begrenzung
gemäß § 67d StGB i.V.m. Art. 1a Abs. 3 StGB betroffen, weil bei ihnen die Maßregel vor dem 31. Januar 1998
angeordnet worden war. Die durchschnittliche Vollzugsdauer der erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung
benannten Baden-Württemberg mit sechs Jahren, Bayern mit sieben Jahren, Hessen sowie Nordrhein-Westfalen mit
vier Jahren und sieben Monaten und Schleswig-Holstein mit zwei Jahren und drei Monaten. Die wiederholte
Sicherungsverwahrung wurde in Bayern durchschnittlich 10,2 Jahre lang und in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich
sechs Jahre und drei Monate lang vollzogen.
64
Die Frage nach Besonderheiten im Vollzug der Sicherungsverwahrung beantworteten die Länder - bei erheblichen
Unterschieden im Einzelnen - mit Hinweisen auf Einzelunterbringung, Sonderausstattung des Haftraums, Benutzung
eigener Kleider und eigener Bettwäsche, Unterbringung in Wohngruppen und Erlaubnis zur Kleintierhaltung. Den
Sicherungsverwahrten stünden teilweise zusätzliche Freizeit-, Gemeinschafts-, Küchen- und Sporträume zur
Verfügung. Sie seien bezüglich Einkauf, Paketempfang, Taschengeld, Telefonaten, Besuchsmöglichkeiten und
Freigang sowie bezüglich der Aufschlusszeiten besser gestellt als Strafgefangene. Der Kontakt zu den
Strafgefangenen sei ebenso möglich wie die Teilnahme an den in der jeweiligen Vollzugsanstalt für alle Gefangenen
angebotenen Freizeitaktivitäten.
65
Der Anteil der Untergebrachten, die sich in psychiatrischer, psychologischer oder sozialtherapeutischer Behandlung
befinden, wird für Baden-Württemberg mit 22 v.H., für Berlin mit 38 v.H., für Hamburg mit 44 v.H., für Hessen mit 40
v.H., für Niedersachsen mit 29 v.H., für Nordrhein-Westfalen mit 69 v.H. und für Schleswig-Holstein mit 40 v.H.
angegeben. Einer Arbeit, arbeitstherapeutischen Beschäftigung, Ausbildung oder Weiterbildung gehen im
Länderdurchschnitt etwa 65 v.H. der Sicherungsverwahrten nach. Als Ursachen dafür, dass solche Therapie-,
Beschäftigungs- oder Ausbildungsmöglichkeiten von einem Teil der Untergebrachten nicht wahrgenommen werden,
benennen die Länder Alter, Krankheit, eine Verweigerungshaltung oder fehlende Motivation der Untergebrachten.
VI.
66
In mündlicher Verhandlung hat das Bundesverfassungsgericht sachverständige Auskunftspersonen zu ihren
Einschätzungen der Prognosesicherheit bei langjährig Untergebrachten sowie der Bedeutung und praktischen
Handhabung der Sicherungsverwahrung angehört. Zur Prognoseproblematik haben sich die als Auskunftspersonen
geladenen Prof. Dr. Dr. h.c. A. Marneros, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der
Universität Halle-Wittenberg, und Prof. Dr. N. Nedopil, Leiter der Abteilung Forensische Psychiatrie der Klinik und
Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München, geäußert. Zur Vollzugswirklichkeit haben
neben dem früheren Leiter der Abteilung für Sicherungsverwahrte in der Justizvollzugsanstalt Freiburg, Richter am
Amtsgericht T. Ullenbruch, Leiter verschiedener Justizvollzugsanstalten der Länder Stellung genommen. Der
Beschwerdeführer sowie Vertreter der beteiligten Länder und des Bundes haben darüber hinaus ihre schriftsätzlichen
Stellungnahmen vertieft.
B.
67
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Beschwerdeführer mittelbar die Verfassungswidrigkeit der
Neuregelung des § 67d Abs. 3 StGB rügt. Insofern legt er die Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte gemäß
§§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG substantiiert dar.
68
Dagegen macht der Beschwerdeführer keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die konkrete Anwendung der
Neuregelung in den angegriffenen Beschlüssen geltend. Die Auslegung des § 67d Abs. 3 StGB seitens der
Vollstreckungsgerichte greift er weder ausdrücklich noch der Sache nach an. Dies hätte der Beschwerdeführer jedoch
innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG tun müssen (vgl. BVerfGE 81, 208 <214 f.>; 88, 40 <44 f.>).
Infolgedessen hat sich der Senat auf die mittelbare Normenkontrolle zu beschränken, ohne die angegriffenen
Beschlüsse im Übrigen zu überprüfen.
C.
69
Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie unbegründet. § 67d Abs. 3 StGB und Art. 1a Abs. 3
EGStGB sind unter Berücksichtigung der nachfolgenden Ausführungen mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
70
Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ohne gesetzlich geregelte zeitliche Obergrenze verstößt nicht gegen
die in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Garantie der Menschenwürde.
71
1. a) Achtung und Schutz der Menschenwürde gehören zu den Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes (vgl.
BVerfGE 45, 187 <227>; 87, 209 <228>; 96, 375 <398>; 102, 370 <389>). Mit der Menschenwürde ist der soziale
Wert- und Achtungsanspruch des Menschen geschützt, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des
Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (vgl.
BVerfGE 27, 1 <6>; 45, 187 <228>). Menschenwürde in diesem Sinne ist auch dem eigen, der auf Grund seines
körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann. Selbst durch "unwürdiges" Verhalten geht sie nicht
verloren. Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr
ergibt (vgl. BVerfGE 87, 209 <228>).
72
b) Für die Strafrechtspflege bedeutet das Gebot zur Achtung der Menschenwürde insbesondere, dass grausame,
unmenschliche und erniedrigende Strafen verboten sind. Der Täter darf nicht zum bloßen Objekt der
Verbrechensbekämpfung unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und
Achtungsanspruchs gemacht werden (BVerfGE 45, 187 <228> m.w.N.). Die grundlegenden Voraussetzungen
individueller und sozialer Existenz des Menschen müssen auch dann erhalten bleiben, wenn der
Grundrechtsberechtigte seiner freiheitlichen Verantwortung nicht gerecht wird und die Gemeinschaft ihm wegen
begangener Straftaten die Freiheit entzieht. Aus Art. 1 Abs. 1 GG folgt die Verpflichtung des Staates, auch die
Freiheitsentziehung menschenwürdig auszugestalten. Mit der Garantie der Menschenwürde wäre es unvereinbar,
wenn der Staat für sich in Anspruch nehmen würde, den Menschen zwangsweise seiner Freiheit zu entkleiden, ohne
dass zumindest die Chance für ihn bestehen würde, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden (vgl. BVerfGE 45, 187
<229>).
73
Für die Androhung und Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe hat das Gericht entschieden, dass diese ihre
verfassungsrechtlich notwendige Ergänzung in einem sinnvollen Behandlungsvollzug findet. Die Vollzugsanstalten
sind im Blick auf die Grundrechte der eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßenden Gefangenen verpflichtet,
schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs, vor allem deformierenden Persönlichkeitsveränderungen, die die
Lebenstüchtigkeit ernsthaft in Frage stellen und es ausschließen, dass sich der Gefangene im Falle einer Entlassung
aus der Haft im normalen Leben noch zurechtzufinden vermag, im Rahmen des Möglichen zu begegnen (vgl.
BVerfGE 64, 261 <272 f.>). Schädlichen Wirkungen für die körperliche und geistige Verfassung des Gefangenen ist
im Rahmen des Möglichen entgegenzuwirken (vgl. BVerfGE 64, 261 <277>).
74
c) Diese Maßstäbe gelten auch für die Unterbringung von Straftätern in der Sicherungsverwahrung. Die
Menschenwürde wird auch durch eine langdauernde Unterbringung nicht verletzt, wenn diese wegen fortdauernder
Gefährlichkeit des Untergebrachten notwendig ist. Es ist der staatlichen Gemeinschaft nicht verwehrt, sich gegen
gefährliche Straftäter durch Freiheitsentzug zu sichern (vgl. BVerfGE 45, 187 <242>). Die vom Grundgesetz
vorgegebene Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums rechtfertigen es,
unabdingbare Maßnahmen zu ergreifen, um wesentliche Gemeinschaftsgüter vor Schaden zu bewahren.
75
Erforderlich ist aber auch in diesen Fällen, die Eigenständigkeit des Untergebrachten zu wahren, seine Würde zu
achten und zu schützen. Daher muss die Sicherungsverwahrung ebenso wie der Strafvollzug darauf ausgerichtet sein,
achten und zu schützen. Daher muss die Sicherungsverwahrung ebenso wie der Strafvollzug darauf ausgerichtet sein,
die Voraussetzungen für ein verantwortliches Leben in Freiheit zu schaffen.
76
Auch im Rahmen der Sicherungsverwahrung ist auf eine Resozialisierung des Untergebrachten hinzuwirken. Dies
mag angesichts verfestigter krimineller Neigungen der Betroffenen schwieriger sein als bei Strafgefangenen. Dennoch
fordert der Schutz der Menschenwürde gesetzliche Vorgaben sowie Vollzugskonzepte, die den Untergebrachten eine
reelle Chance auf Wiedergewinnung ihrer Freiheit einräumen.
77
2. Diesem Maßstab genügt die Sicherungsverwahrung in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung.
78
a) Die Sicherungsverwahrung wegen fortdauernder Gefährlichkeit verstößt mit Blick auf die
Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums nicht gegen das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG.
79
Das Grundgesetz hat die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und
Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten (vgl. BVerfGE 4, 7
<15 f.>). Vor diesem Menschenbild ist die Sicherungsverwahrung auch als Präventivmaßnahme zum Schutz der
Allgemeinheit mit dem Grundgesetz vereinbar. Hierdurch wird der Betroffene nicht zum Objekt staatlichen Handelns;
er wird nicht zu einem bloßen Mittel oder zu einer vertretbaren Sache herabgewürdigt.
80
b) Für das Institut der Sicherungsverwahrung folgt aus Art. 1 Abs. 1 GG kein verfassungsrechtliches Gebot, schon
bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung oder in einem späteren Überprüfungszeitpunkt eine Höchstfrist des
Vollzugs festzusetzen. Denn die Prognose einer Gefahr ist immer nur in der Gegenwart für die Zukunft möglich. Wie
lange diese Gefahr fortbestehen wird, hängt von zukünftigen Entwicklungen ab, die sich nicht sicher vorhersagen
lassen. Daher ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass eine verbindliche Entscheidung über
den voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt beim Sicherungsverwahrten nicht im Vorhinein getroffen wird.
81
aa) Das Gesetz stellt Überprüfungen in jedem Vollzugsstadium der Maßregel sicher, die zur Freilassung des
Betroffenen führen können: Gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB muss das Gericht vor dem Ende des Strafvollzugs
prüfen, ob von dem Verurteilten unter Berücksichtigung seiner Entwicklung im Strafvollzug nach Strafende noch eine
Gefahr ausgeht, die den Vollzug der Sicherungsverwahrung gebietet (vgl. BVerfGE 42, 1 <6 ff.>). Nach Beginn der
Unterbringung wird im Abstand von höchstens zwei Jahren (§ 67e Abs. 2 StGB) von Amts wegen untersucht, ob der
Maßregelvollzug gemäß § 67d Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Sind zehn Jahre der
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht gemäß § 67d Abs. 3 StGB die
Maßregel für erledigt, sofern nicht die qualifizierte Gefahr fortbesteht. Sollte eine Entlassung des Verwahrten dennoch
nicht möglich sein, ist anschließend jeweils spätestens vor dem Ablauf von zwei Jahren über die Notwendigkeit
weiterer Vollstreckung zu entscheiden (§ 67e StGB).
82
Dieses System wiederkehrender Überprüfungen von Aussetzungs- und Erledigungsreife gewährleistet dem
Betroffenen die angemessene prozedurale Rechtssicherheit. Der Sicherungsverwahrte kann bereits vor
Vollstreckungsbeginn voraussehen, zu welchen Zeitpunkten - Ende der Freiheitsstrafe, Zehnjahresfrist, im Übrigen
alle zwei Jahre - sich seine Chance auf Entlassung realisieren kann. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass nach
Ablauf von zehn Jahren nach dem Willen des Gesetzgebers die Erledigung der Sicherungsverwahrung die Regel und
eine Fortdauer nur ausnahmsweise gestattet ist (s. unten C. II. 2. b). Das genügt den Anforderungen des Art. 1 Abs. 1
GG.
83
bb) Die Angaben der Landesregierungen im vorliegenden Verfahren bestätigen die Wirksamkeit der normativen
Vorgaben. Auch wenn diesen Angaben nur partielle Erhebungen über einen begrenzten Zeitraum zugrunde liegen und
eine repräsentative Datenbasis nach einheitlichen Maßstäben bislang fehlt, lassen sie doch den Schluss zu, dass die
Sicherungsverwahrten eine konkrete und realisierbare Chance haben, aus der Sicherungsverwahrung entlassen zu
werden.
84
Allerdings wird die Sicherungsverwahrung nur selten vor Beginn des Maßregelvollzugs zur Bewährung ausgesetzt.
Dagegen führt die regelmäßige Überprüfung der Sicherungsverwahrung nach Vollstreckungsbeginn, wenn auch mit
regionalen Schwankungen, häufig zu Entscheidungen über die Aussetzung der Sicherungsverwahrung.
85
c) Die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Sicherungsverwahrung sind darauf ausgelegt, schädlichen Wirkungen
für die körperliche und geistige Verfassung des Gefangenen im Rahmen des Möglichen entgegenzuwirken.
86
aa) Die Sicherungsverwahrung verstößt nicht wegen möglicher Haftschäden gegen Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. für die
lebenslange Freiheitsstrafe BVerfGE 45, 187 <237 ff.>). Auch neuere Forschungen zu den Auswirkungen langjährigen
Freiheitsentzugs (vgl. zusammenfassend Weber, Die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe, 1. Aufl., S. 88 ff.)
belegen nicht, dass die Maßregel der Sicherungsverwahrung zwangsläufig zu irreparablen Schäden psychischer oder
physischer Art führt. Gesundheitliche Beeinträchtigungen auf Grund langjährigen Strafvollzugs sind zwar nicht
ausgeschlossen; Gesetz und Vollzugspraxis steuern solchen Schäden jedoch entgegen.
87
bb) Die unbefristete Sicherungsverwahrung findet ihre verfassungsrechtlich notwendige Ergänzung in einem
sinnvollen Behandlungsvollzug (vgl. BVerfGE 45, 187 <237 ff.>; 98, 169 <200 f.>).
88
Die Sicherungsverwahrung ist normativ wie tatsächlich am Resozialisierungsgedanken ausgerichtet. Das
Vollzugsziel der Resozialisierung (§ 2 Satz 1 StVollzG) gilt auch für Strafgefangene, gegen die anschließende
Sicherungsverwahrung angeordnet ist. Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken (§ 3 Abs. 2
StVollzG). Speziell für den Sicherungsverwahrten ordnet § 129 Satz 2 StVollzG an, ihm sei zu helfen, sich in das
Leben in Freiheit einzugliedern. Nach § 131 StVollzG sollen eine besondere Ausstattung der Hafträume und sonstige
privilegierte Haftbedingungen dazu beitragen, dass der Untergebrachte sein Leben in der Anstalt sinnvoll gestalten
kann und vor Schäden eines langen Freiheitsentzugs möglichst bewahrt wird. Spezielle Vergünstigungen normieren
§ 132 StVollzG (eigene Kleidung und Bettwäsche) sowie § 133 StVollzG (Recht auf Selbstbeschäftigung,
Mindesttaschengeld). Im Übrigen gelten die allgemeinen Hafterleichterungen der §§ 10, 11 und 13 StVollzG auch für
Sicherungsverwahrte. Das Gebot des Allgemeinschutzes schließt es nicht aus, Vollzugslockerungen und Urlaub
Sicherungsverwahrten unter denselben materiellen Bedingungen zu gewähren wie sonstigen Gefangenen.
89
Das Maßregelrecht des Strafgesetzbuchs sieht eine Therapie des Hangtäters nicht ausdrücklich vor. Jedoch
normiert § 67a Abs. 2 StGB die Möglichkeit, den Sicherungsverwahrten nachträglich in den Vollzug der Maßregeln
aus § 63 StGB oder § 64 StGB zu überweisen, wenn seine Resozialisierung dadurch besser gefördert werden kann.
Insoweit gibt das Gesetz der klinischen Behandlung des Hangtäters Vorrang vor seiner Verwahrung. Eine
strafvollzugsrechtliche Behandlungsform enthält § 9 StVollzG, der die - neuerdings obligatorische - Verlegung von
Sexualstraftätern in eine sozialtherapeutische Anstalt vorsieht.
90
cc) Die Angaben der Landesregierungen zur tatsächlichen Durchführung der Sicherungsverwahrung lassen ebenfalls
nicht den Schluss zu, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung um einen reinen Verwahrvollzug gefährlicher
Straftäter handelt. Im Rahmen des Möglichen werden dem in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten gegenüber
dem regulären Strafvollzug größere Freiheiten gewährt, um ihm die lange Dauer der Freiheitsentziehung erträglicher zu
machen. Daneben wird dem Resozialisierungsgedanken durch Therapie und Arbeitsangebote Rechnung getragen,
mögen auch diese Angebote nur einen Teil der Sicherungsverwahrten erreichen.
91
Der Anteil der in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten, die sich in psychiatrischer, psychologischer oder
sozialtherapeutischer Behandlung befinden, ist je nach Bundesland sehr unterschiedlich. Während in Baden-
Württemberg oder Niedersachsen nur etwa 28 v.H. entsprechend betreut werden, befinden sich z.B. in Nordrhein-
Westfalen 69 v.H. in Behandlung, davon allein 60 v.H. in psychologischer Behandlung. In Hamburg, Hessen und
Schleswig-Holstein liegt der Anteil bei über 40 v.H. Sehr viel höher ist demgegenüber der Anteil der in der
Sicherungsverwahrung Untergebrachten, die eine Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung, Ausbildung oder
Weiterbildung wahrnehmen. Dieser liegt häufig bei über 60 v.H. der Untergebrachten, teilweise sogar bei 76 v.H.
92
Als Gründe dafür, dass Therapie-, Beschäftigungs- oder Ausbildungsmöglichkeiten von einem Teil der
Sicherungsverwahrten nicht wahrgenommen werden, werden Alter, Krankheit, Verweigerung und fehlende Motivation
genannt. Darüber hinaus wird auf fehlende Eignung der Untergebrachten, Leugnen der Tat oder Sicherheitsgründe
hingewiesen.
93
dd) Die Anfrage bei den Landesregierungen zur vollstreckungs- und vollzugsrechtlichen Handhabung der
Sicherungsverwahrung hat ergeben, dass diese nicht über einheitliches statistisches Material verfügen. Grundsätzlich
erscheint es bedenklich, dass auch dann, wenn schwere Grundrechtseingriffe in Frage stehen, Unklarheiten in der
Bewertung von Tatsachen zu Lasten der Grundrechtsträger gehen (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>). Um
auszuschließen, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung um einen reinen Verwahrvollzug gefährlicher Straftäter
handelt oder diese Maßregel sich entgegen den gesetzlichen Vorgaben dazu entwickelt, bedarf es daher regelmäßiger
nachvollziehbarer Überprüfung, dass die in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten allgemein nicht nur rechtlich,
sondern auch tatsächlich eine konkrete und realisierbare Chance haben, die Freiheit wieder zu erlangen. Das schließt
Erhebungen darüber ein, ob den Sicherungsverwahrten hinreichende Resozialisierungsangebote, insbesondere
Behandlungs-, Therapie- oder Arbeitsmöglichkeiten, angeboten werden.
II.
94
Ein Verstoß gegen das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG liegt ebenfalls nicht vor. Die angegriffene
Regelung der Sicherungsverwahrung stellt unter Berücksichtigung der nachfolgenden Erwägungen eine
verfassungskonforme Grundrechtseinschränkung (Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG) dar.
95
1. Die Neuregelung des § 67d Abs. 3 StGB tastet das Freiheitsgrundrecht nicht in seinem Wesensgehalt an (Art. 19
Abs. 2 GG).
96
Der unantastbare Wesensgehalt eines Grundrechts muss für jedes Grundrecht aus seiner besonderen Bedeutung im
Gesamtsystem der Grundrechte ermittelt werden (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>). Selbst der lebenslange
Freiheitsentzug ist mit Art. 19 Abs. 2 GG nicht grundsätzlich unvereinbar (vgl. für die lebenslange Freiheitsstrafe
BVerfGE 45, 187 <270 f.>). Der schwerwiegende Grundrechtseingriff, den die möglicherweise lebenslange
Verwahrung bedeutet, verstößt nicht gegen die Wesensgehaltsgarantie, solange gewichtige Schutzinteressen Dritter
den Eingriff zu legitimieren vermögen und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist (vgl.
BVerfGE 22, 180 <219 f.>).
97
Diesem verfassungsrechtlichen Maßstab genügt die Neuregelung des § 67d Abs. 3 StGB. Die unbefristete
Sicherungsverwahrung war bei Entstehung des Grundgesetzes in das Strafgesetzbuch inkorporiert, ohne dass der
Verfassungsgesetzgeber - ähnlich wie für die lebenslange Freiheitsstrafe - einen Widerspruch zu Art. 19 Abs. 2 GG in
Erwägung gezogen hätte. Überdies erlaubt das Gesetz die Fortdauer des Maßregelvollzugs nach Ablauf von zehn
Jahren nur, wenn dadurch schwere Schäden an der seelischen oder körperlichen Integrität potentieller Opfer verhindert
werden können. Damit benennt das Gesetz Schutzgüter, die prinzipiell geeignet sind, auch weit reichende Eingriffe in
das Freiheitsrecht von Straftätern zu rechtfertigen, die diese Schutzgüter gefährden.
98
2. Die Freiheit der Person nimmt - als Grundlage und Voraussetzung der Entfaltungsmöglichkeiten des Bürgers -
einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sie als
"unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes
zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG die Einhaltung besonderer Verfahrensgarantien fordert (vgl. BVerfGE 35, 185
<190>). Eingriffe in dieses Rechtsgut sind im Allgemeinen nur zulässig, wenn der Schutz anderer oder der
Allgemeinheit dies unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert (vgl. BVerfGE 90, 145
<172>). Dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen ist der
Freiheitsanspruch des Untergebrachten als Korrektiv entgegenzuhalten; beide sind im Einzelfall abzuwägen.
99
a) Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der erstrebten Ziele
sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzung und Prognose der dem Einzelnen oder der
Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher vom
Bundesverfassungsgericht je nach der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein
hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang
überprüft werden kann (BVerfGE 90, 145 <173>). Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass der
Gesetzgeber die Streichung der Höchstfrist für die erstmalige Sicherungsverwahrung für geeignet und erforderlich
gehalten hat, um den Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu verbessern.
100
Ob die Verschärfung des Rechts der Sicherungsverwahrung durch einen objektiven Anstieg der Gewaltkriminalität
veranlasst war oder - wie manche Kritiker meinen - nur einem gesteigerten Bedrohungsgefühl der Allgemeinheit
Rechnung trug, ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zu bewerten. Denn es ist vornehmlich Sache des
Gesetzgebers, auf der Grundlage seiner kriminalpolitischen Vorstellungen und Ziele im Rahmen seiner
Einschätzungsprärogative zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will.
Verfassungsgerichtlicher Korrektur unterliegen insoweit nur offensichtlich fehlsame Entscheidungen des
Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 30, 292 <317>; 77, 84 <106>); davon kann hier nicht die Rede sein.
101
Die Unsicherheiten der Prognose, die Grundlage der Unterbringung ist (vgl. Dünkel/Kunkat, Neue Kriminalpolitik,
2001, S. 16 <17 f.>; Adams, StV 2003, S. 51 <53>; Kinzig, NJW 2001, S. 1455 <1458>; Ullenbruch, NStZ 2001,
S. 292 <295>; Nedopil, NStZ 2002, S. 344 <349>; Streng, in: Festschrift für Lampe, S. 611 <621 f.>), haben
Auswirkungen auf die Mindestanforderungen an Prognosegutachten und deren Bewertung im Zusammenhang mit dem
Übermaßverbot (dazu unten C. II. 2. b), beseitigen aber weder die Eignung noch die Erforderlichkeit des
Freiheitseingriffs. Prognoseentscheidungen bergen stets das Risiko der Fehlprognose, sind im Recht aber gleichwohl
unumgänglich. Die Prognose ist und bleibt als Grundlage jeder Gefahrenabwehr unverzichtbar, mag sie auch im
Einzelfall unzulänglich sein.
102
In der Praxis der forensischen Psychiatrie hat sich im Übrigen das Wissen um die Risikofaktoren in den letzten
Jahren erheblich verbessert, so dass über einen Teil der Delinquenten relativ gute und zuverlässige prognostische
Aussagen gemacht werden können (vgl. Nedopil, NStZ 2002, S. 344 <346>). Beide in der mündlichen Verhandlung
angehörten Sachverständigen haben übereinstimmend angegeben, ein bestimmter und bestimmbarer Anteil der
Probanden versammele eine derartige Häufung von Risikofaktoren auf sich, dass eine Gefahr sicher prognostiziert
werden könne. Auch wenn der Anteil relativ sicherer Prognosen von den sachverständigen Auskunftspersonen
unterschiedlich hoch angesehen wird, bildet die Prognose gerade für die seltenen Fälle hochgradiger Gefährlichkeit,
die § 67d Abs. 3 StGB im Auge hat, eine taugliche Entscheidungsgrundlage.
103
Gegen die Erforderlichkeit der Aufhebung der Höchstfrist für die Sicherungsverwahrung bestehen ungeachtet
möglicher Schutzalternativen von Verfassungs wegen keine Bedenken. Der Freiheitsentzug durch unbefristete
Sicherungsverwahrung bietet im Einzelfall offensichtlich einen höheren Schutz als jede denkbare
Behandlungsmaßnahme unter gelockerter Aufsicht.
104
b) Das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem
Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach
gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Je länger die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung andauert, umso
strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs. Die Grenzen der Zumutbarkeit
müssen gewahrt bleiben. Dabei gilt es, das Freiheitsgrundrecht der Betroffenen sowohl auf der Ebene des
Verfahrensrechts als auch materiell abzusichern (vgl. BVerfGE 70, 297 ff.).
105
aa) Materiell fordert das Übermaßverbot, die Sicherungsbelange und den Freiheitsanspruch des Untergebrachten im
106
Einzelfall abzuwägen (vgl. BVerfGE 70, 297 <311>). Der Richter hat im Rahmen der erforderlichen
Gesamtwürdigung die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs
ins Verhältnis zu setzen. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem
Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten
Rechtsgütern zukommt. Je länger die Unterbringung andauert, umso strenger sind die Anforderungen an die
Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs. Der Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs stößt jedoch
dort an Grenzen, wo es nach Art und Maß der von dem Untergebrachten drohenden Gefahren vor dem staatlichen
Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den Untergebrachten in
Freiheit zu entlassen (vgl. BVerfGE 70, 297 <315>).
107
Diesen Maßgaben trägt der Gesetzgeber in § 67d Abs. 3 StGB Rechnung, indem er die Fortdauer der
Sicherungsverwahrung nach Ablauf von zehn Jahren an deutlich engere Voraussetzungen knüpft als die
vorangegangenen Entscheidungen gemäß §§ 66, 67c und 67d Abs. 2 StGB. Insoweit werden auch die Grenzen der
Prognosesicherheit bei der Feststellung der Gefährlichkeit langjährig inhaftierter Straftäter berücksichtigt.
108
Die Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB trägt der verstärkten Geltung des Freiheitsanspruchs nach zehnjähriger
Verwahrdauer in mehrfacher Hinsicht Rechnung. Zum einen stellt die Regelung gegenüber § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB
erhöhte Anforderungen an das bedrohte Rechtsgut und die drohenden Straftaten. Zum anderen begründet § 67d
Abs. 3 StGB ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, indem er regelmäßig Erledigung anordnet und nur ausnahmsweise für
den Fall einer positiven Gefahrenprognose Fortsetzung der Vollstreckung gestattet.
109
(1) Voraussetzung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ein Hang des
Straftäters "zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer
geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird". Demgegenüber hängt nach § 67d Abs. 3
StGB die Fortdauer der Unterbringung nach zehn Jahren davon ab, ob eine hangbedingte Gefahr künftiger Straftaten
festgestellt wird, "durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden". Im Ergebnis bleibt die
Regelung so auf Sexual- und Gewalttäter beschränkt, die durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 2 GG geschützte
Rechtsgüter Dritter zu verletzen drohen. Bei gewaltfreien Vermögens- und Eigentumsdelikten ist die
Sicherungsverwahrung dagegen auf zehn Jahre begrenzt. Damit steht die Möglichkeit über zehnjähriger
Sicherungsverwahrung schon von Gesetzes wegen nur in Fällen zur Verfügung, in denen elementare
Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit sie zwingend rechtfertigen. Um diesem Ausnahmecharakter Rechnung zu
tragen, müssen die Gerichte die Tatbestandsmerkmale des § 67d Abs. 3 StGB mit Blick auf das Freiheitsgrundrecht
des Untergebrachten zudem restriktiv handhaben.
110
(2) Darüber hinaus berücksichtigt das Gesetz die mit der Verwahrdauer wachsende Bedeutung des Freiheitsrechts,
indem § 67d Abs. 3 StGB die Fortsetzung der Unterbringung als Ausnahme vom Regelfall der Erledigung normiert.
Während eine Maßregelaussetzung nach § 67d Abs. 2 StGB bei positiver Erwartung künftiger Ungefährlichkeit
zulässig ist, setzt die Fortdauerentscheidung gemäß § 67d Abs. 3 StGB die Überzeugung des Gerichts voraus, dass
der Verurteilte weiterhin gefährlich ist. Damit kehrt die Neuregelung das Regel-Ausnahmeverhältnis aus § 67d Abs. 2
StGB um. Die Erledigung der Maßregel wird nicht von einer positiven, sondern ihr Fortbestand von einer negativen
Prognose abhängig gemacht.
111
Das Gesetz geht davon aus, dass sich die Gefährlichkeit nach Ablauf von zehn Jahren regelmäßig erledigt hat (vgl.
Streng, in: Festschrift für Lampe, S. 611 <633> m.w.N.). Damit verbietet sich die schlichte Fortschreibung
unwiderlegter Gefährlichkeitshypothesen. Vielmehr müssen konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte dafür
festgestellt werden, dass die Gefährlichkeit entgegen der gesetzlichen Vermutung fortbesteht. Zweifelt das Gericht an
der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten, so ist zugunsten des Untergebrachten die Sicherungsverwahrung für
erledigt zu erklären. Eine Fortsetzung der Maßregel jenseits der Zehnjahresgrenze kommt nur bei demjenigen in
Betracht, dessen nunmehr vermutete Ungefährlichkeit widerlegt ist.
112
Es würde dem Gesetzeswortlaut und dem hohen Wert des Freiheitsgrundrechts widersprechen, eine Erledigung nur
bei festgestellter Ungefährlichkeit auszusprechen. Die Erledigung steht nach zehn Jahren stets an erster Stelle.
Dahinter rangiert die Aussetzung, die gegenüber der weiteren Vollstreckung das mildere Mittel darstellt. Erst an letzter
Stelle ist als ultima ratio die weitere Vollstreckung zulässig. Dies gilt nicht nur für die erstmals angeordnete, sondern
auch für die wiederholte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Insofern mildert die Reform das frühere Recht
sogar ab (vgl. § 67d Abs. 1 StGB a.F.).
113
(3) Hat das Vollstreckungsgericht unter den erläuterten strengen Voraussetzungen entschieden, dass die
Sicherungsverwahrung wegen fortbestehender qualifizierter Gefährlichkeit des Betroffenen über zehn Jahre hinaus
anzudauern hat, so verstößt die weitere Freiheitsentziehung grundsätzlich auch dann nicht gegen das Übermaßverbot,
wenn diese Entscheidung mangels Besserung des Betroffenen mehrfach wiederholt wird. Die Regelung des § 67d
Abs. 3 StGB erfasst auch den chronisch unverbesserlichen Hangtäter, der sich dauerhaft jeder Behandlung verweigert
und ungeachtet fortschreitenden Alters bis an sein Lebensende gefährlich bleibt. Im Interesse der Allgemeinheit
gestattet § 67d Abs. 3 StGB ohne Verfassungsverstoß seine möglicherweise über mehrere Jahrzehnte andauernde
Verwahrung. Dass in diesem Fall das Resozialisierungsziel des Strafvollzugs nicht mehr zum Tragen kommt, beruht
nicht auf der Anordnung der Sicherungsverwahrung, sondern auf dem Verhalten des Betroffenen, das eine erfolgreiche
Resozialisierung auf Dauer ausschließt (vgl. für die lebenslange Freiheitsstrafe BVerfGE 45, 187 <258>).
114
bb) Verfahrensrechtlich muss zunächst gewährleistet sein, dass der Strafvollstreckungsrichter die Notwendigkeit
weiterer Maßregelvollstreckung regelmäßig überprüft. Hinzu treten Anforderungen an die Wahrheitserforschung,
insbesondere an die der Unterbringung zugrunde liegenden Prognosegutachten. Es ist unverzichtbare Voraussetzung
rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf
ausreichender richterlicher Sachaufklärung beruhen. Dabei steigen die Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung
mit der Dauer des Maßregelvollzugs. Insbesondere bei länger dauernder Unterbringung besteht regelmäßig die Pflicht,
bei richterlichen Entscheidungen über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung einen besonders erfahrenen
Sachverständigen zu Rate zu ziehen, der die richterliche Prognose durch ein hinreichend substantiiertes und
zeitnahes Gutachten vorbereitet (vgl. BVerfGE 70, 297 <308>). Überdies ist dem Untergebrachten von Verfassungs
wegen jedenfalls dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn es nach der konkreten Fallgestaltung als evident
erscheint, dass er sich angesichts seiner Erkrankung nicht selbst verteidigen kann (vgl. BVerfGE 70, 297 <323>).
115
Diesen hohen verfahrensrechtlichen Anforderungen genügt die gegenwärtige Regelung der Sicherungsverwahrung in
§§ 66 ff. StGB. Der Gesetzgeber hat ein System regelmäßiger Überprüfung von Aussetzungs- oder Erledigungsreife
sowie die Voraussetzungen für eine sorgfältige Aufklärung der Prognosegrundlage geschaffen <(1) bis (3)>. Bei
Anwendung dieser Vorschriften muss der Richter jedoch bestimmten Sorgfaltsanforderungen genügen, um dem
Übermaßverbot zu entsprechen <(4)>.
116
(1) Als "letztes Mittel" wird die Sicherungsverwahrung nach der Freiheitsstrafe vollzogen. Gemäß § 67c Abs. 1 StGB
prüft das Gericht bereits vor dem Ende des Strafvollzugs, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch
erfordert oder ob die Maßregel ausgesetzt werden kann. Insoweit steht die dem Strafurteil zugrunde liegende
Gefährlichkeitsprognose unter der "auflösenden Bedingung" einer abweichenden Beurteilung durch das
Vollstreckungsgericht, dem die Möglichkeit eingeräumt ist, die bei Urteilsfällung gestellte Prognose auf Grund der
zwischenzeitlichen Entwicklung nachträglich zu revidieren (vgl. BVerfGE 42, 1 <8>). In diesem Verfahren ist der
Untergebrachte regelmäßig mündlich zu hören (§ 463 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 454 Abs. 1 StPO). Erwägt das Gericht
die Aussetzung der Maßregel, so holt es ein Gutachten über das Fortbestehen der Gefährlichkeit ein (§ 463 Abs. 3
Satz 3 i.V.m. § 454 Abs. 2 StPO) und hört den Sachverständigen ebenfalls mündlich an. Hierbei haben der
Untergebrachte und sein Verteidiger Gelegenheit, Fragen an den Sachverständigen zu stellen und Erklärungen
abzugeben (§ 463 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO).
117
(2) Nach Beginn der Unterbringung wird im Abstand von höchstens zwei Jahren von Amts wegen untersucht, ob der
Maßregelvollzug gemäß § 67d Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 67e StGB). Das Gericht kann
die Frist kürzen (§ 67e Abs. 3 Satz 1 StGB); der Untergebrachte kann jederzeit Aussetzung beantragen, falls das
Gericht keine Sperrfrist für die Überprüfung festgesetzt hat (§ 67e Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StGB). Für die
Überprüfung gelten gemäß § 463 Abs. 3 Satz 1 und 3 StPO die gleichen Verfahrensgarantien wie bei der
Erstüberprüfung nach § 67c Abs. 1 StGB.
118
(3) An die Vorbereitung der Entscheidung nach § 67d Abs. 3 StGB über Erledigung oder Fortdauer des
Maßregelvollzugs nach Ablauf von zehn Jahren stellt das Gesetz erhöhte verfahrensrechtliche Anforderungen: Das
Gericht hat in jedem Fall ein Prognosegutachten einzuholen und dem nicht verteidigten Untergebrachten einen
Pflichtverteidiger zu bestellen (§ 463 Abs. 3 Satz 4 und 5 StPO). Bei der obligatorischen mündlichen Anhörung des
Sachverständigen stehen dem Untergebrachten sowie seinem Verteidiger ein Frage- und Erklärungsrecht zu (§ 463
Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO). Hat das Gericht die Fortdauer des Maßregelvollzugs über zehn
Jahre hinaus beschlossen, so muss es weiterhin vor Ablauf von zwei Jahren über die Notwendigkeit weiterer
Vollstreckung entscheiden (§ 67e StGB). Hierbei gelten jeweils die erhöhten Verfahrensgarantien des § 463 Abs. 3
Satz 4 und 5 StPO.
119
(4) Die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 3 StGB hat sich auf ein
Sachverständigengutachten zu stützen, das der besonderen Tragweite und dem Ausnahmecharakter dieser
Entscheidung gerecht wird. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, dass das ärztliche Gutachten hinreichend
substantiiert ist und anerkannten wissenschaftlichen Standards genügt. Der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen
muss der Richter durch eine sorgfältige Auswahl des Gutachters entgegenwirken. So wird es - wenngleich dies § 463
Abs. 3 Satz 4 StPO nicht ausdrücklich vorsieht - regelmäßig geraten sein, einen externen Sachverständigen mit der
Begutachtung zu beauftragen, um auszuschließen, dass anstaltsinterne Belange oder die Beziehung zwischen
Therapeuten und Untergebrachtem das Gutachten beeinflussen (vgl. Horstkotte, in: LK, StGB, 10. Aufl., § 67c Rn. 64,
§ 67d Rn. 93). Des Weiteren kann es angezeigt sein, den Untergebrachten von einem Sachverständigen begutachten
zu lassen, der im Lauf des Vollstreckungsverfahrens noch nicht mit ihm befasst war. Schließlich gilt es
sicherzustellen, dass der Sachverständige ausreichend Zeit und Gelegenheit erhält, den Untergebrachten zu
untersuchen (vgl. BGH, NStZ 1994, S. 95 <96>) und das Tatsachenmaterial aufzubereiten, auf dessen Grundlage die
Prognose erstellt wird.
120
Nach sachverständiger Beratung hat der Richter eine eigenständige Prognoseentscheidung zu treffen, bei der er
dem ärztlichen Gutachten richterliche Kontrolle entgegenzusetzen hat (vgl. BVerfGE 58, 208 <223>; 70, 297 <310>;
Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 1991 - 2 BvR
1327/89 -, StV 1992, S. 25 <26>). Diese Kontrolle hat sich nicht nur auf das Prognoseergebnis, sondern auch auf die
Qualität der gesamten Prognosestellung zu beziehen. Dabei müssen die Gutachter die für die Begutachtung
maßgeblichen Einzelkriterien regelmäßig in einem sorgfältigen Verfahren erheben, das die Auswertung des
Aktenmaterials, die eingehende Untersuchung des Probanden und die schriftliche Aufzeichnung des Gesprächsinhalts
und des psychischen Befundes umfasst und dessen Ergebnisse von einem Facharzt mit psychiatrischer Ausbildung
und Erfahrung gewichtet und in einen Gesamtzusammenhang eingestellt werden (vgl. Kröber, NStZ 1999, S. 593
<594 ff.>; Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl., S. 247).
121
Bevor der Richter das Prognoseergebnis auf Grund eigener Wertung kritisch hinterfragen kann, hat er zu überprüfen,
ob das Gutachten bestimmten Mindeststandards genügt. So muss die Begutachtung insbesondere nachvollziehbar
und transparent sein (vgl. zum Aufbau des Prognosegutachtens aus der kriminologischen Literatur Kaiser,
Kriminologie: ein Lehrbuch, 3. Aufl., Rn. 1802 ff.). Der Gutachter muss Anknüpfungs- und Befundtatsachen klar und
vollständig darstellen, seine Untersuchungsmethoden erläutern und seine Hypothesen offen legen (vgl. im Einzelnen
BGHSt 45, 164 <178 f.>). Auf dieser Grundlage hat er eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das künftige
Legalverhalten des Verurteilten zu treffen, die das Gericht in die Lage versetzt, die Rechtsfrage des § 67d Abs. 3
StGB eigenverantwortlich zu beantworten.
122
Neben dem Gebot der Transparenz gilt für das psychiatrische Prognosegutachten das Gebot hinreichend breiter
Prognosebasis. Um dem Gericht eine Gesamtwürdigung von Tat und Täter (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) zu
ermöglichen, muss das Gutachten verschiedene Hauptbereiche aus dem Lebenslängs- und -querschnitt des
Verurteilten betrachten. Zu fordern ist insbesondere eine Auseinandersetzung mit dem Anlassdelikt, der
prädeliktischen Persönlichkeit, der postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung sowie dem sozialen Empfangsraum
des Täters (vgl. Müller-Metz, StV 2003, S. 42 <45>; Nedopil, in: Dölling , Die Täterindividualprognose, 1995,
S. 89). Darüber hinaus hat der Gutachter bei Vorbereitung der - nach langjährigem Freiheitsentzug zu treffenden -
Entscheidung gemäß § 67d Abs. 3 StGB besonderes Augenmerk auf die Frage zu richten, wie sich der Verurteilte bei
etwaigen Vollzugslockerungen verhält. Denn gerade das Verhalten anlässlich solcher Belastungserprobungen stellt
einen geeigneten Indikator für die künftige Legalbewährung des Verurteilten dar (vgl. Nedopil, NStZ 2002, S. 344
<348 f.>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 1997 - 2
BvR 1404/96 -, NJW 1998, S. 1133 <1134>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1998 - 2 BvR 77/97 -, NStZ 1998, S. 373 <374 f.>).
123
Wegen der besonderen Bedeutung der Vollzugslockerungen für die Prognosebasis darf sich das
Vollstreckungsgericht nicht damit abfinden, dass sich die Vollzugsbehörde ohne hinreichenden Grund - etwa auf der
Grundlage bloßer pauschaler Wertungen oder mit dem Hinweis auf eine abstrakte Flucht- oder Missbrauchsgefahr -
der Gewährung von Vollzugslockerungen versagt (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1998 - 2 BvR 77/97 -, NStZ 1998, S. 373 <374>), welche die Erledigung
der Maßregel vorbereiten können. Bereits bei der Entscheidung über Vollzugslockerungen hat das
Vollstreckungsgericht insbesondere die Wertung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, der nur unter den engen
Voraussetzungen des § 67d Abs. 3 StGB die Fortsetzung der Vollstreckung erlaubt.
124
c) Nach der Konzeption, die dem zweispurigen Sanktionensystem des Strafgesetzbuchs zugrunde liegt, dient der
Freiheitsentzug des Sicherungsverwahrten nicht der Vergeltung zurückliegender Rechtsgutverletzungen, sondern der
Verhinderung zukünftiger Straftaten, deren Eintritt sich zwar sorgfältig, aber regelmäßig nicht sicher prognostizieren
lässt. Dieser besondere Charakter der Sicherungsverwahrung tritt bei dauerhafter Unterbringung besonders augenfällig
zutage, weil hier der Besserungszweck der Maßregel hinter ihren Sicherungszweck zurücktritt.
125
Dem muss durch einen privilegierten Vollzug Rechnung getragen werden, wie ihn die §§ 131 bis 134 StVollzG
vorzeichnen. Dabei ist grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, dass die Sicherungsverwahrung gemäß § 130
StVollzG nach den Vorschriften für den allgemeinen Strafvollzug durchgeführt wird. Da Strafe wie Sicherung nur mit
dem Mittel der Freiheitsentziehung durchgeführt werden können, sind stichhaltige Gründe vorhanden, die eine partielle
Übereinstimmung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung mit dem der Strafe rechtfertigen (vgl. BVerfGE 2, 118
<119 f.>). Jedoch haben die Landesjustizverwaltungen dafür Sorge zu tragen, dass Möglichkeiten der Besserstellung
im Vollzug soweit ausgeschöpft werden, wie sich dies mit den Belangen der Justizvollzugsanstalten verträgt.
126
Es ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, insoweit konkrete Richtlinien vorzugeben. Im Ergebnis muss
jedoch sichergestellt sein, dass ein Abstand zwischen dem allgemeinen Strafvollzug und dem Vollzug der
Sicherungsverwahrung gewahrt bleibt, der den allein spezialpräventiven Charakter der Maßregel sowohl dem
Verwahrten als auch für die Allgemeinheit deutlich macht. Das Ausmaß der Besserstellung hat sich am Gebot der
Verhältnismäßigkeit zu orientieren. Bei besonders langer Unterbringung sind daher gegebenenfalls zusätzliche
Vergünstigungen zu erwägen, um dem hoffnungslos Verwahrten einen Rest an Lebensqualität zu gewährleisten.
III.
127
Die Neuregelung des § 67d Abs. 3 StGB in Verbindung mit Art. 1a Abs. 3 EGStGB verstößt nicht gegen Art. 103
Abs. 2 GG. Das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG umfasst die Maßregeln der Besserung und
Sicherung des Strafgesetzbuchs nicht.
128
1. Nach Art. 103 Abs. 2 GG darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor
die Tat begangen wurde.
129
Der Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 2 GG ist auf staatliche Maßnahmen beschränkt, die eine missbilligende
hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel
verhängen, das dem Schuldausgleich dient. Andere staatliche Eingriffsmaßnahmen werden von Art. 103 Abs. 2 GG
nicht erfasst. Es genügt nicht, dass eine Maßnahme an ein rechtswidriges Verhalten anknüpft. Daher fällt die rein
präventive Maßnahme der Sicherungsverwahrung nicht unter Art. 103 Abs. 2 GG, obwohl sie unmittelbar an eine
Anlasstat anknüpft.
130
a) Die Begriffe "Strafbarkeit" und "Bestrafen einer Tat" lassen verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zu. Die
strafrechtliche Rechtslage, die das Grundgesetz vorgefunden hat und in dem hier interessierenden Punkt auch nicht
ändern wollte, spricht jedoch dafür, dass sich die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 2 GG nur auf vergeltende
Sanktionen bezieht, bei denen die Übelszufügung mit einer öffentlichen Missbilligung im Sinne einer Feststellung der
defizitären Einstellung zur Norm im Rahmen eines Unwerturteils verbunden ist.
131
Staatliches Strafen wird herkömmlich als ein Übel verstanden, das als gerechter Ausgleich für eine rechtswidrige,
schuldhafte und vom Gesetz mit Strafe bedrohte Handlung auferlegt wird und die öffentliche Missbilligung der Tat zum
Ausdruck bringt (vgl. BVerfGE 105, 135 <153>; Jescheck, in: LK, StGB, 11. Aufl., Einl. Rn. 23 m.w.N.). Strafe gilt als
Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit und ist damit Reaktion auf ein normwidriges Verhalten.
132
Die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des Begriffs der Strafbarkeit weisen darauf hin, dass aus dem bloßen
Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG sein sachlicher Anwendungsbereich nicht eindeutig festgelegt werden kann.
133
b) Die Entstehungsgeschichte belegt, dass die Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht vom Schutzbereich
des Art. 103 Abs. 2 GG umfasst sind. Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG sollte nach dem Willen des
Grundgesetzgebers denselben Bedeutungsinhalt haben wie die fast wortgleiche Vorgängervorschrift in Art. 116 der
Weimarer Reichsverfassung – WRV -. Zur Weimarer Zeit unterfielen die Maßregeln der Besserung und Sicherung
jedoch anerkanntermaßen nicht dem absoluten Rückwirkungsverbot. Es gibt keinen Beleg dafür, dass der
herkömmliche Gewährleistungsumfang des Art. 116 WRV durch Einführung des Art. 103 Abs. 2 GG erweitert werden
sollte.
134
aa) Schon vor Einführung der Maßregeln der Besserung und Sicherung durch das Gesetz gegen gefährliche
Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl I S. 995)
normierte das Reichsstrafgesetzbuch vereinzelt Rechtsfolgen einer Straftat, die nicht als schuldvergeltende Strafen,
sondern als vorbeugende und sichernde Maßnahmen angesehen wurden (so die Polizeiaufsicht gemäß § 38 RStGB,
die Aberkennung der Eidesfähigkeit gemäß § 161 RStGB, die Einziehung von Sachen, die weder dem Täter noch dem
Teilnehmer gehörten, gemäß § 295 RStGB oder die Überweisung gemeinlästiger Täter an die Landespolizeibehörde
gemäß § 362 RStGB). Diesen "sicherungspolizeilichen" Eingriffen durfte der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung
des Reichsgerichts rückwirkende Kraft beilegen (vgl. RGSt 52, 225 <226 f.>; 53, 117 <118>; 67, 215 <216>; RGZ
107, 118 <119 f.>). Es gehöre zum Wesen solcher Maßnahmen, dass sie sich auf alle Fälle polizeiwidriger Zustände
erstreckten, die zur Zeit ihrer Geltung vorhanden seien (vgl. RGSt 67, 215 <216>).
135
Auch die Zulässigkeit rückwirkender gesetzlicher Regelungen in Bezug auf Maßregeln der Besserung und Sicherung
stand unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung im Wesentlichen außer Streit (vgl. Diefenbach, Die
verfassungsrechtliche Problematik des § 2 Abs. 4 StGB, S. 31 f.). Schon die Reformentwürfe zum Strafgesetzbuch
aus der Weimarer Zeit sahen Normen vor, wonach über Maßregeln nicht nach dem zur Tatzeit gültigen Gesetz,
sondern nach aktuell geltendem Recht zu entscheiden war. Bei den Maßregeln sollten die besseren Erkenntnisse, die
in einem neuen Gesetz zum Ausdruck kämen, sofort Anwendung finden. Unter Rückgriff auf diese Entwürfe
bestimmte der durch Art. 3 des Gewohnheitsverbrechergesetzes geschaffene § 2a StGB a.F., dass über Maßregeln
ausnahmslos nicht nach dem Recht der Tatzeit, sondern nach dem Recht des Entscheidungszeitpunkts zu urteilen
sei. Die Kommentarliteratur zu § 2a StGB a.F. sah hierin keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot (vgl. Lobe,
Leipziger Kommentar zum Reichs-Strafgesetzbuch, Nachtrag zu Band I, 1934, Art. 3 des Gesetzes gegen gefährliche
Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung, Anm. 3).
136
bb) Bei den Beratungen über das Grundgesetz fand der Verfassungsgeber das dualistische Sanktionensystem des
Strafrechts einschließlich der Vorschrift des § 2a StGB a.F. als Teil der Rechtsordnung vor. Hinweise darauf, dass die
Zweispurigkeit von Strafe und Maßregel eingeschränkt oder das Rückwirkungsverbot abweichend von der damaligen
Rechtsauffassung auf Maßregeln ausgedehnt werden sollte, lassen sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen
(vgl. Pieroth, JZ 2002, S. 922 <923>; Diefenbach, Die verfassungsrechtliche Problematik des § 2 Abs. 4 StGB,
S. 83 f.; Peglau, NJW 2000, S. 179 <180>; vgl. auch BVerfGE 25, 269 <287 ff.>). Obwohl mehrfach über den Begriff
der Strafbarkeit diskutiert und wiederholt eine Abweichung vom Wortlaut des Art. 116 WRV erwogen wurde (vgl.
Parlamentarischer Rat, Ausschuss für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, Steno-Prot. der 7. Sitzung vom
6. Dezember 1948, S. 150 ff.; Parlamentarischer Rat, Ausschuss für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege,
Steno-Prot. der 8. Sitzung vom 7. Dezember 1948, S. 32), knüpfte der Verfassungsgeber an die sprachliche Fassung
des Art. 116 WRV an und nahm damit den Bedeutungsgehalt dieser Vorschrift in seinen Willen auf (vgl. Bericht über
den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis zum 23. August 1948, o. J., S. 83).
137
c) Diese Auslegung steht nicht im Widerspruch zur kompetenzrechtlichen Bedeutung des Begriffs "Strafrecht" in
Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Im Gegensatz zu Art. 103 Abs. 2 GG umfasst der Kompetenztitel des "Strafrechts" aus
Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Maßregeln der Besserung und Sicherung als "zweite Spur" des Sanktionensystems.
Dieser Bedeutungsunterschied beruht auf den verschiedenen Zwecken beider Grundgesetzbestimmungen. Art. 103
Abs. 2 GG verbietet die rückwirkende Begründung und Verschärfung vergeltender strafrechtlicher Sanktionen und hat
damit freiheitsgewährleistende Funktion. Demgegenüber regelt die Kompetenzvorschrift des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG
kein subjektives Recht des Einzelnen, sondern die Aufteilung der Gesetzgebungsbefugnisse zwischen Bund und
Ländern (vgl. Urteil in den Verfahren 2 BvR 834/02 u.a.).
138
d) Weitere Überlegungen bestätigen, dass das absolute Rückwirkungsverbot als Spezifikum unter den Garantien der
Rechtsstaatlichkeit auf staatliche Maßnahmen beschränkt ist, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein
rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem
Schuldausgleich dient.
139
aa) Das absolute Rückwirkungsverbot ist in der Menschenwürdegarantie und im Schuldprinzip verankert. Art. 103
Abs. 2 GG geht von dem rechtsstaatlichen Grundsatz aus, dass Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 25, 269
<285>; 105, 135 <154>). Dieser Grundsatz wurzelt in der vom Grundgesetz vorausgesetzten und in Art. 1 Abs. 1 GG
und Art. 2 Abs. 1 GG verfassungskräftig geschützten Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen, die vom
Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung des Strafrechts zu achten sind (vgl. BVerfGE 25, 269 <285>). Die
unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, dass er als selbstverantwortliche Persönlichkeit
anerkannt bleibt. Jede Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Straftat und zum Verschulden des
Täters stehen; der Grundsatz "nulla poena sine culpa" hat insoweit den Rang eines Verfassungssatzes (vgl. BVerfGE
45, 187 <228>). Auch die Strafe als missbilligende hoheitliche Reaktion auf schuldhaftes Unrecht muss in einem vom
Schuldprinzip geprägten Straftatsystem durch eine hinreichend gesetzlich bestimmte Strafandrohung für den
Normadressaten vorhersehbar sein (vgl. BVerfGE 105, 135 <153 f.>).
140
Der strafrechtliche Schuldvorwurf setzt voraus, dass der Maßstab der Entscheidung von vorneherein eindeutig
gesetzlich festgelegt ist. Nur wer diesen Maßstab kennen und sich auf die Rechtsfolgen seines Tuns einstellen kann,
ist verantwortliches Subjekt. Gerade im Strafrecht, wo ein Unwerturteil über ein eigenverantwortliches Verhalten eines
Menschen gefällt wird, hat der Einzelne einen Anspruch auf Gewissheit über die Möglichkeit einer Sanktion (vgl.
Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, 1993, S. 264).
141
bb) Die traditionell aus dem nulla-poena-Prinzip abgeleiteten Gewährleistungen (Gesetzlichkeitsprinzip,
Bestimmtheitsgebot, Analogieverbot und Rückwirkungsverbot) haben eine gemeinsame Grundlage. Sie sollen dem
Einzelnen die Möglichkeit geben, im Bereich des Strafrechts sein Verhalten eigenverantwortlich so einzurichten, dass
eine Strafbarkeit vermieden werden kann (vgl. BVerfGE 95, 96 <131>). Zu diesem Zweck verstärken sie die
strukturähnlichen Garantieelemente des Rechtsstaatsprinzips. Anders als das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 20 Abs. 3 GG folgende allgemeine Vertrauensschutzgebot ist das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG
der Abwägung nicht zugänglich. Zugleich entlastet das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot die Gewährleistung
des Art. 103 Abs. 2 GG davon, den Schutz auch in Bezug auf Vorgänge zu erstrecken, die nicht unmittelbar
Gegenstand schuldangemessenen Strafens sind. Diese Vorgänge werden hinreichend durch die allgemeinen
rechtsstaatlichen Garantien abgesichert (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 167).
142
cc) Normzweck des Art. 103 Abs. 2 GG ist ein erhöhter rechtsstaatlicher Schutz gegenüber spezifisch
strafrechtlichen Maßnahmen, mit denen der Staat auf schuldhaftes Unrecht antwortet.
143
Die Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG soll verhindern, dass der Staat nachträglich ein Verhalten hoheitlich missbilligt,
indem er es mit einer Sanktion belegt und dem Betroffenen den Vorwurf rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens
macht. Sinn der Verfassungsnorm ist es, dem Bürger die Grenzen des straffreien Raumes klar vor Augen zu stellen,
damit er sein Verhalten daran orientieren kann (vgl. BVerfGE 32, 346 <362>). Wer sich gesetzestreu verhalten hat,
darf nicht durch eine rückwirkende Rechtsnorm nachträglich "ins Unrecht gesetzt" werden (vgl. Maurer, in:
Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, § 60 Rn. 41). Mithin schützt das Rückwirkungsverbot des
Art. 103 Abs. 2 GG den Bürger davor, dass der Staat die Bewertung des Unrechtsgehalts einer Tat nachträglich zum
Nachteil des Täters ändert (vgl. BVerfGE 46, 188 <193>; 95, 96 <131>), gleichgültig ob er vergangenes Verhalten neu
mit Strafe bedroht, eine bestehende Strafdrohung verschärft (vgl. BVerfGE 25, 269 <286>; 46, 188 <192>; 81, 132
<135>) oder auf sonstige Weise - etwa durch Streichung eines Rechtfertigungsgrundes (vgl. BVerfGE 95, 96
<131 f.>) - den Unrechtsgehalt neu bewertet.
144
2. Strafbarkeit im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG setzt danach voraus, dass das auferlegte materielle Übel mit der
Missbilligung vorwerfbaren Verhaltens verknüpft ist (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 103 II Rn. 165;
Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 II Rn. 10) und von seiner Zielrichtung her (zumindest auch) dem
Schuldausgleich dient. Dies trifft für die Maßregel der Sicherungsverwahrung nicht zu.
145
a) Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung verfolgen im Wesentlichen unterschiedliche Ziele.
146
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat sich wiederholt mit Sinn und Zweck des staatlichen Strafens befasst, ohne
zu den in der Wissenschaft vertretenen Straftheorien im Einzelnen Stellung zu nehmen. Es kann nicht seine Aufgabe
sein, den Theorienstreit in der Strafrechtswissenschaft von Verfassungs wegen zu entscheiden. Der Gesetzgeber hat
zu den Strafzwecken ebenfalls nicht abschließend Stellung genommen und sich mit einer begrenzt offenen Regelung
begnügt, die keiner der wissenschaftlich anerkannten Theorien die weitere Entwicklung versperrt (vgl. § 46 StGB).
Das Gesetz ist dabei weitgehend der so genannten Vereinigungstheorie gefolgt, die sämtliche Strafzwecke in ein
ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen versucht. Dies hält sich im Rahmen der dem Gesetzgeber von
Verfassungs wegen zukommenden Gestaltungsfreiheit. Demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht in seiner
Rechtsprechung nicht nur den Strafzweck des Schuldausgleichs betont, sondern auch andere Strafzwecke wie etwa
die Prävention oder die Resozialisierung des Täters anerkannt (vgl. BVerfGE 45, 187 <253 f.> m.w.N.; 91, 1 <31>).
147
Das Schuldprinzip kennzeichnet die Strafe in besonderer Weise. Die Strafe ist eine repressive Übelzufügung als
Reaktion auf schuldhaftes Verhalten, die dem Schuldausgleich dient (vgl. BVerfGE 7, 305 <319>; 9, 167 <169>; 20,
323 <331>; 25, 269 <285 f.>; 54, 100 <108>; 58, 159 <162>; 91, 1 <27>; 105, 135 <153>). An dieser zentralen
Funktion der Strafe hat sich nichts dadurch geändert, dass der Gesetzgeber im Jahre 1970 mit § 46 StGB
ausdrücklich spezialpräventive Strafzumessungsgründe in das Gesetz aufgenommen hat. Grundlage für die
Zumessung der Strafe ist nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB unverändert die Schuld des Täters. Das Maß der
individuellen Schuld bildet den Rahmen für die Strafzumessung. Innerhalb dieses Rahmens wird den anerkannten
Strafzwecken Raum gegeben, um das Strafmaß im konkreten Fall zu ermitteln (vgl. BVerfGE 91, 1 <31>).
148
bb) Die Maßregeln der Besserung und Sicherung sollen demgegenüber nach der Konzeption des Gesetzgebers
diejenigen Funktionen übernehmen, welche die Strafe wegen ihrer Bindung an die Schuld des Täters nicht
ausreichend erfüllen kann (vgl. BVerfGE 91, 1 <31 f.>). Maßregeln dienen insbesondere der Individualprävention, also
der Verhinderung zukünftiger Straftaten durch Einwirkung auf den Täter (vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des
Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., § 9 Absatz 1 Nr. 1, S. 83). Diese Einwirkung kann in Form fürsorgender oder
heilender Eingriffe (vgl. §§ 63, 64 StGB) geschehen, aber auch - wie im Fall der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) -
durch mit Behandlungsangeboten verbundene Verwahrung des Betroffenen, von dem Gefahren ausgehen. Anknüpfend
an die Gefährlichkeit des Täters ist allgemeiner Maßregelzweck die Verhütung künftiger Rechtsbrüche des Täters
unabhängig davon, ob seine Schuld für sich genommen einen solchen Eingriff rechtfertigen würde.
149
Die Sicherungsverwahrung dient im Gegensatz zur Strafe nicht dem Zweck, begangenes Unrecht zu sühnen,
sondern dazu, die Allgemeinheit vor dem Täter zu schützen (vgl. BVerfGE 2, 118 <120>). Nicht die Schuld, sondern
die in der Tat zutage getretene Gefährlichkeit ist bestimmend für die Anordnung, Ausgestaltung und zeitliche Dauer
der Maßregel. Die Maßregel ist eine Maßnahme, die Gefahren vorbeugt und in die Zukunft wirken soll.
150
b) Trotz dieser unterschiedlichen Zielsetzung weist die gesetzliche Ausgestaltung beider Institute zahlreiche
Gemeinsamkeiten auf. Diese Gemeinsamkeiten führen jedoch nicht zu einer Einordnung der Sicherungsverwahrung in
den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG. Die Parallelen zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung beruhen auf
der Überschneidung ihrer präventiven Zwecke. Dagegen ergeben sich Unterschiede daraus, dass der Maßregel im
Gegensatz zur Strafe eine repressive Funktion nicht zukommt.
151
aa) Die Sicherungsverwahrung wird in einem strafgerichtlichen Urteil zugleich mit der Strafe wegen der Anlasstat
verhängt. Sie knüpft ebenso wie die Freiheitsstrafe an eine rechtswidrige und schuldhafte Anlasstat an. Diese
Verknüpfung verleiht der Sicherungsverwahrung aber keinen Strafcharakter.
152
Strafe setzt - nur - eine rechtswidrige und schuldhafte Straftat voraus. Dagegen ist die rechtswidrige und schuldhafte
Straftat zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Sicherungsverwahrung. Deren Anordnung ist
nur dann zulässig, wenn neben vergangenheitsbezogenen Erfordernissen die zukunftsbezogenen Voraussetzungen
eines "Hangs zu erheblichen Straftaten" und hangbedingter "Gefährlichkeit" des Täters für die Allgemeinheit erfüllt
sind. Der Bezug zur Tat tritt zugunsten einer in die Zukunft gerichteten prognostischen Bewertung zukünftiger
Gefährlichkeit in den Hintergrund. Dementsprechend hat der Gesetzgeber die Anordnung und Durchführung der
Maßregeln in § 62 StGB ausdrücklich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfen und dabei sowohl auf die
Anlasstat als auch auf die zu erwartenden Taten und den Grad der vom Täter ausgehenden Gefahr als
Abwägungsfaktoren Bezug genommen. Die Tat liefert zwar den Anlass für die Anordnung der Sicherungsverwahrung.
Die Sicherungsverwahrung stellt aber keine Reaktion auf die in der Anlasstat verwirkte Schuld dar, sondern eine
Reaktion auf die sich in der Anlasstat manifestierende Gefährlichkeit des Täters.
153
bb) Die Schwere des Eingriffs in die Rechtsstellung des Bürgers bildet kein geeignetes Kriterium für die Bestimmung
des sachlichen Anwendungsbereichs des Art. 103 Abs. 2 GG. Dies ist kein Merkmal, das Strafe oder Bestrafung in
spezifischer Weise kennzeichnet.
154
Ein Vergleich mit anderen hoheitlichen Maßnahmen zeigt eine Reihe massiver Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 2
Abs. 2 Satz 2 GG, denen sicherlich kein Strafcharakter im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG zukommt.
155
Zu nennen ist hier zunächst die Untersuchungshaft gemäß §§ 112 ff. StPO. Sie ist keine Strafe (vgl. BVerfGE 19,
342 <347>), weil bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung gilt. Dennoch ist die Inhaftierung des
Verdächtigen zur Sicherung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs - unter den Voraussetzungen des § 112a
StPO darüber hinaus auch zur Sicherung vor bestimmten künftigen Wiederholungsstraftaten - zulässig (vgl. zur
möglichen Dauer der Untersuchungshaft BVerfGE 21, 220 <222>).
156
Auch das sonstige öffentliche Recht kennt schwerwiegende Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG
ohne Strafcharakter. Hauptbeispiel ist die landesrechtliche Unterbringung psychisch Kranker wegen Selbst- oder
Fremdgefährdung. Ebenso wie die Sicherungsverwahrung kann diese Maßnahme bei Fortbestehen der Gefährlichkeit
unbegrenzt verlängert werden (vgl. §§ 70f Abs. 1 Nr. 3, 70i FGG). Darüber hinaus können verwaltungsrechtliche
Maßnahmen im Anschluss an eine Bestrafung den Betroffenen im Einzelfall erheblich belasten, ohne dass diese
Maßnahmen Art. 103 Abs. 2 GG unterfielen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn einem wegen Betrugs verurteilten
Gewerbetreibenden in der Folge mangels Zuverlässigkeit die Gewerbeerlaubnis entzogen (§ 35 GewO), oder wenn ein
Ausländer nach Verurteilung ausgewiesen wird (§ 47 AuslG).
157
cc) Die Ähnlichkeiten in der Ausgestaltung des Vollzugs von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung (§§ 129 ff.
StVollzG; vgl. dazu BVerfGE 2, 118 <119 ff.>) rechtfertigen es nicht, die Sicherungsverwahrung in den Schutzbereich
des Art. 103 Abs. 2 GG einzubeziehen. Die Vollzugspraxis macht die Sicherungsverwahrung nicht zu einem Übel, das
ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten vergelten soll. Denn schon der Vollzug der Freiheitsstrafe ist nicht nach
repressiven, schuldausgleichenden Gesichtspunkten ausgestaltet. Erst recht gilt dies für den teilweise privilegierten
(§§ 131 bis 134 StVollzG) Vollzug der Sicherungsverwahrung.
158
Während die Schuld des Täters die Verhängung und Bemessung der Freiheitsstrafe bestimmt, hat der Gesetzgeber
davon abgesehen, die Schwere der Tatschuld, den Schuldausgleich, die Sühne oder die Verteidigung der
Rechtsordnung zu gesetzlichen Kriterien für den Vollzug der Freiheitsstrafe zu erheben (vgl. BTDrucks 7/3998, S. 6).
Gemäß § 2 StVollzG dient der Vollzug ausschließlich der Resozialisierung (§ 2 Satz 1 StVollzG) sowie dem Schutz
der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (§ 2 Satz 2 StVollzG). Mithin besteht nach den gesetzlichen Bestimmungen
keine Kongruenz zwischen materiellem Strafrecht und Strafvollzug: Das materielle Strafrecht koppelt zwar die
Entscheidung über den Status des Strafgefangenen an seine Schuld, gestaltet den Vollzug der Gefangenschaft aber
schuldunabhängig aus.
159
Gesichtspunkte der Vergeltung und des Schuldausgleichs haben auf die Ausgestaltung des Vollzugs keinen
Einfluss. Eine andere Praxis verstieße nicht nur gegen § 2 StVollzG, sondern auch gegen die im Strafgesetzbuch
normierte Konzeption der Einheitsstrafe. Der Gesetzgeber hat die nach dem Vergeltungsprinzip abgestuften, durch
unterschiedliche Schwere der Vollzugsbedingungen charakterisierten Haftarten Einschließung, Haft, Gefängnis und
Zuchthaus abgeschafft. Demzufolge finden Unrechtsgehalt der Tat und Schwere der Schuld nur in der Dauer der
Freiheitsstrafe Ausdruck. Nachdem der Richter über diese Dauer entschieden hat, ist es der Vollzugsbehörde
verwehrt, bei Ausgestaltung des Vollzugs eine nachträgliche vollzugseigene Strafzumessung zu betreiben.
160
dd) Die Funktionsüberschneidungen der vollzugs- und vollstreckungsrechtlichen Regelungen für Freiheitsstrafe und
Sicherungsverwahrung rechtfertigen es nicht, die Sicherungsverwahrung als Bestrafen einer Tat im Sinne des Art. 103
Abs. 2 GG zu charakterisieren.
161
(1) Im Rahmen der Strafvollstreckung ergeben sich Parallelen zwischen Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung,
weil die weitere Vollstreckung zeitiger Freiheitsstrafen nach Verbüßung von zwei Dritteln vor allem zum Schutz der
Allgemeinheit zulässig ist (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Gleiches gilt bei der lebenslangen Freiheitsstrafe nach
Verbüßung von mindestens 15 Jahren (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB). Insoweit nimmt die Strafe an der
ausschließlichen Präventivfunktion der Maßregel teil; die Nähe beider Institute beschränkt sich auf die Ebene der
Prävention, ohne die Ebene der Repression zu berühren. Der Umstand, dass ab einem gewissen Zeitpunkt die
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unter präventiven Gesichtspunkten fortgesetzt wird, wirkt sich nicht auf die Qualität
der Sicherungsverwahrung als eines reinen Sicherungsinstruments aus.
162
(2) Nach § 2 Satz 2 StVollzG dient der Vollzug der Freiheitsstrafe auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren
Straftaten. Damit spiegelt sich im Vollzug wider, was als Zweck auf der Anordnungsebene verfolgt werden kann: So
wie das Gericht im Rahmen der schuldangemessenen Strafzumessung den Strafzweck der Sicherung berücksichtigen
darf (vgl. BGHSt 20, 264 <267>), ist diese Sicherung auch Aufgabe des Vollzugs. Dass andererseits nach §§ 129
Satz 2, 134 StVollzG bei Sicherungsverwahrten Resozialisierungsaspekte zu berücksichtigen sind, stellt angesichts
der Werteordnung des Grundgesetzes und der Möglichkeit der Aussetzung der Maßregel zur Bewährung eine
Selbstverständlichkeit dar. Auf eine vergeltende oder schuldausgleichende Funktion der Sicherungsverwahrung kann
hieraus nicht geschlossen werden.
163
(3) Die Vorschrift des § 67 Abs. 4 Satz 1 StGB sieht bei den freiheitsentziehenden Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB
eine - wenn auch beschränkte - Anrechnung der (grundsätzlich) vorweg zu vollziehenden Unterbringung auf die
Freiheitsstrafe vor. Aus diesem vikariierenden System des § 67 StGB folgt ebenfalls nicht, dass die Maßregel der
Sicherungsverwahrung als Strafe zu qualifizieren wäre.
164
Freiheitsstrafe und Maßregel verfolgen verschiedene Zwecke. Sie können deshalb auch nebeneinander angeordnet
werden. Stehen Freiheitsstrafe und Maßregel nach rechtfertigendem Grund und Zielrichtung nebeneinander, so ist
vom Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG her jedenfalls eine volle zeitliche Anrechnung der Unterbringung auf die
Freiheitsstrafe nicht geboten. Der Gesetzgeber hat von Verfassungs wegen die Möglichkeit, in Ausübung seiner
Gestaltungsfreiheit eine nur teilweise Anrechnung der Zeit des Freiheitsentzugs im Maßregelvollzug auf die
Freiheitsstrafe vorzusehen. Allerdings müssen die Regelungen darauf Bedacht nehmen, dass bei der jeweils
vorgesehenen Art der Kumulierung die Freiheitsentziehung insgesamt nicht übermäßig wird und
Anrechnungsausschlüsse nicht ohne Beziehung zu Grund und Ziel der Unterbringungsmaßregel vorgenommen werden
(vgl. BVerfGE 91, 1 <31 f.>).
165
Diese Erwägungen zeigen, dass die in § 67 Abs. 4 StGB vorgesehene Anrechnung auf allgemeinen
Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten und nicht auf dem engeren Gesichtspunkt der Schuldkompensation beruht.
Maßgebend ist zum einen die Überlegung, dass der kumulative Vollzug von Freiheitsstrafe und freiheitsentziehender
Maßregel den Täter doppelt belastet, zum anderen der Gedanke, dass der Effekt therapeutischen Maßregelvollzugs
nicht durch anschließende langjährige Strafvollstreckung zunichte gemacht werden soll (vgl. Hanack, in: LK, StGB,
11. Aufl., § 67 Rn. 5, 6). Damit trägt die Anrechnungsregel des § 67 Abs. 4 Satz 1 StGB nur den Wirkungen der
Freiheitsentziehung Rechnung, ohne den in Bezug genommenen Maßregeln schuldausgleichende Funktion
beizulegen.
166
(4) Nach der Rechtsprechung der Strafgerichte kann sich die Verhängung von Sicherungsverwahrung bei der
Strafzumessung mildernd auswirken (vgl. BGH, NStZ-RR 2002, S. 38 f.; BGH, NJW 1999, S. 3723 <3725>; BGH,
NStZ-RR 1998, S. 206 <207>; BGH, NJW 1980, S. 1055 <1056>; BGH, NStE § 66 Nr. 9, Nr. 13; BGHR § 66 Abs. 1
StGB Gefährlichkeit 1; BGHR § 66 Abs. 1 StGB Hang 3 u. 5). Ferner eröffnet § 154 StPO die Möglichkeit, ein
Strafverfahren im Hinblick auf eine in einem anderen Verfahren verhängte oder zu erwartende Maßregelanordnung
einzustellen.
167
Diese Wechselwirkungen rechtfertigen es jedoch ebenfalls nicht, die Sicherungsverwahrung unter Art. 103 Abs. 2
GG zu subsumieren.
168
(a) Der Einfluss der Maßregelanordnung auf die Strafzumessung stellt das System der Zweispurigkeit nicht in Frage.
Vielmehr folgt aus der Pluralität der Strafzwecke nach § 46 StGB, dass präventive Gesichtspunkte bei der
Festsetzung des Strafmaßes mitberücksichtigt werden können. Die Strafe kann im Einzelfall aus spezialpräventiven
Gründen bis an die Grenze des noch Schuldangemessenen ausgeschöpft werden. Wird nunmehr zugleich mit der
Strafe eine präventive Maßregel angeordnet, dann entlastet dies die tatbezogene Strafe von ihrer spezialpräventiven
Funktion und reduziert ihren Zweck weitgehend auf den Schuldausgleich. Zu einer Funktionsüberschneidung zwischen
Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung kommt es mithin erneut nur auf der Präventionsebene.
169
(b) Nach § 154 StPO ist es möglich, ein Strafverfahren im Hinblick auf eine Maßregelanordnung in einem anderen
Verfahren einzustellen. Die Vorschrift bezweckt eine Konzentration des Verfahrensstoffs und eine Beschleunigung
des Verfahrens durch Teilverzicht auf Strafverfolgung (vgl. Plöd, in: KMR, StPO, § 154 Rn. 1). Sie begründet keinen
Strafcharakter der in Bezug genommenen Maßregel. Überdies setzt § 154 StPO nicht voraus, dass im
einzustellenden Verfahren Täterschaft und Schuld des Beschuldigten festgestellt worden sind (vgl. Beulke, in:
Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 154 Rn. 29). Der Verzicht auf Strafverfolgung nach § 154 StPO beruht demnach
nicht auf dem Gedanken des Schuldausgleichs.
IV.
170
Die Neuregelung steht auch im Einklang mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot (Art. 2 Abs. 2 GG in
Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG).
171
1. Das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte begrenzen die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen
vorzunehmen, die an Sachverhalte der Vergangenheit anknüpfen. Aus dem Umstand, dass Art. 103 Abs. 2 GG nur für
die Strafbarkeit ein ausdrückliches Rückwirkungsverbot aufstellt, kann nicht gefolgert werden, Rückwirkungen seien
im Übrigen unbedenklich (vgl. BVerfGE 72, 200 <257>). Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine
Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Der Staatsbürger muss die ihm gegenüber möglichen staatlichen
Eingriffe grundsätzlich voraussehen und sich dementsprechend einrichten können. Es bedarf deshalb einer
besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens
nachträglich belastend ändert. Der Bürger wird in seinem Vertrauen auf die Verlässlichkeit der Rechtsordnung
enttäuscht, wenn der Gesetzgeber an Tatbestände nachträglich ungünstigere Folgen knüpft als diejenigen, von denen
der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte (vgl. BVerfGE 105, 17 <36 f.>). Das Vertrauensschutzgebot
bewahrt den Bürger vor der Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens durch eine belastende Neuregelung (vgl.
BVerfGE 72, 200 <254>).
172
Jedoch geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht so weit, den Staatsbürger vor jeglicher Enttäuschung
seiner Erwartung in die Dauerhaftigkeit der Rechtslage zu sichern (vgl. BVerfGE 68, 287 <307>). Die schlichte
Erwartung, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt (vgl.
BVerfGE 38, 61 <83>; 68, 193 <222>; 105, 17 <40>).
173
a) Eine Rechtsnorm entfaltet dann Rückwirkung, wenn der Beginn ihrer zeitlichen Anwendung auf einen Zeitpunkt
festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, das heißt gültig geworden ist (vgl.
BVerfGE 63, 343 <353>; 72, 200 <241>; 97, 67 <78>). Der zeitliche Anwendungsbereich einer Norm bestimmt, in
welchem Zeitpunkt die Rechtsfolgen einer gesetzlichen Regelung eintreten sollen. Grundsätzlich erlaubt die
Verfassung nur ein belastendes Gesetz, dessen Rechtsfolgen frühestens mit Verkündung der Norm eintreten. Die
Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum
eintreten (Rückbewirkung von Rechtsfolgen, "echte" Rückwirkung), ist grundsätzlich unzulässig. Der Schutz des
Vertrauens in den Bestand der ursprünglich geltenden Rechtsfolgenlage findet seinen verfassungsrechtlichen Grund
vorrangig in den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere des Vertrauensschutzes und der
Rechtssicherheit (vgl. BVerfGE 72, 200 <242>; 97, 67 <78 f.>).
174
Demgegenüber betrifft die tatbestandliche Rückanknüpfung ("unechte" Rückwirkung) nicht den zeitlichen, sondern
den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach Verkündung der
Norm ein, ihr Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor der Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind
(vgl. BVerfGE 72, 200 <242>; 105, 17 <37 f.>). Tatbestände, die den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten
aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig machen, berühren vorrangig die Grundrechte und unterliegen weniger
strengen Beschränkungen als die Rückbewirkung von Rechtsfolgen (vgl. BVerfGE 72, 200 <242>; 92, 277 <344>; 97,
67 <79>).
175
b) Bei Gesetzen mit tatbestandlicher Rückanknüpfung wird den allgemeinen Grundsätzen des Vertrauensschutzes
und der Rechtssicherheit kein genereller Vorrang vor dem jeweils verfolgten gesetzgeberischen Anliegen eingeräumt.
Denn die Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den
dem Gemeinwohl verpflichteten demokratischen Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt
zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung in nicht mehr vertretbarer
Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (vgl. BVerfGE 105, 17 <40>). Es muss dem
Gesetzgeber daher möglich sein, Normen, die auch in erheblichem Umfang an in der Vergangenheit liegende
Tatbestände anknüpfen, zu erlassen und durch Änderung der künftigen Rechtsfolgen dieser Tatbestände auf
veränderte Gegebenheiten zu reagieren (vgl. BVerfGE 76, 256 <348>).
176
Die tatbestandliche Rückanknüpfung kann Grundrechte zum Schutz solcher Sachverhalte berühren, die mit der
Verwirklichung des jeweiligen Tatbestandsmerkmals vor Verkündung der Norm "ins Werk gesetzt" worden sind. An
diesen Grundrechten sind die betreffenden Gesetze zu messen. Die rechtsstaatlichen Grundsätze des
Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit wirken - beschränkt auf den Gesichtspunkt der
Vergangenheitsanknüpfung - auf die grundrechtliche Bewertung in der Weise ein, wie dies allgemein bei der Auslegung
und Anwendung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des materiellen Rechts geschieht (vgl. BVerfGE 72, 200
<242 f.>). Die Grenzen gesetzgeberischer Regelungsbefugnis ergeben sich dabei aus einer Abwägung zwischen dem
Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das
Gemeinwohl (vgl. BVerfGE 14, 288 <300>; 25, 142 <154>; 43, 242 <286>; 43, 291 <391>; 75, 246 <280>).
177
2. Nach diesem Maßstab enthält die Vorschrift des Art. 1a Abs. 3 EGStGB in Verbindung mit § 67d Abs. 3 StGB
keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, sondern eine tatbestandliche Rückanknüpfung.
178
a) Der Wegfall der Höchstfrist für eine erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung und die Anwendbarkeit auf
Straftäter, bei denen die Sicherungsverwahrung vor Verkündung und Inkrafttreten der Novelle angeordnet und noch
nicht erledigt war, stellt eine Rechtsfolge für Gegebenheiten aus der Zeit vor der Verkündung des Gesetzes dar. Die
Entscheidung über die Erledigung der Maßregel der Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 3 StGB i.V.m. Art. 1a
Abs. 3 EGStGB betrifft einen Sachverhalt, in dem die Sicherungsverwahrung auf eine Entscheidung vor der
Verkündung der Novelle gestützt wird. Der Vergangenheitsbezug ergibt sich aus dieser Anknüpfung an die frühere
Anordnung der Sicherungsverwahrung.
179
b) Der Wegfall der Zehnjahreshöchstfrist wirkt jedoch nicht auf einen Zeitpunkt vor dem Inkrafttreten der Reform
zurück.
180
Die Neuregelung ändert nicht nachträglich eine an die Anlasstat anknüpfende Rechtsfolge. Die Dauer der
Sicherungsverwahrung hing auch in der früheren Fassung des § 67 Abs. 1 StGB nicht von den Umständen zum
Zeitpunkt der Anlasstat ab. Ob neben den Voraussetzungen des § 66 StGB auch die materielle Voraussetzung
hangbedingter Gefährlichkeit vorliegt, hat das erkennende Gericht nach den Umständen im Urteilszeitpunkt zu
beurteilen (vgl. BVerfGE 42, 1 <7>); zwischenzeitliche Entwicklungen des Täters muss es dabei ebenso
berücksichtigen wie alle Gesetzesänderungen zwischen Tatbegehung und Urteil (vgl. § 2 Abs. 6 StGB). Die
Sicherungsverwahrung darf nicht angeordnet werden, wenn ihre materiellen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung nicht mehr vorliegen.
181
Ebenso wenig revidiert die Gesetzesänderung die im Straferkenntnis rechtskräftig festgesetzten Rechtsfolgen zum
Nachteil des Betroffenen. Denn die gesetzliche Höchstfrist des § 67d Abs. 1 StGB a.F. war nicht Bestandteil des
unter alter Rechtslage ergangenen Strafurteils, erwuchs also nicht in Rechtskraft. Der Urteilstenor lautete früher wie
heute lediglich auf "Unterbringung in der Sicherungsverwahrung". Die Unterbringung wurde auch nach früherer
Rechtslage nicht befristet angeordnet (vgl. Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., § 66 Rn. 67; Tröndle, StGB,
48. Aufl., § 66 Rn. 22; Hanack, in: LK, StGB, 11. Aufl., § 66 Rn. 183). Darauf, ob und wie lange (vgl. §§ 67c, 67d
Abs. 2 StGB) die angeordnete Sicherungsverwahrung nach Strafende tatsächlich vollzogen wird, hatte und hat das
Tatgericht keinen Einfluss. Insbesondere steht die Beantwortung der Frage, wie lange ihr Vollzug angesichts der
prognostizierten Gefährlichkeit als verhältnismäßig anzusehen ist, nicht in seiner Entscheidungskompetenz. Hierüber
befindet vielmehr allein die Strafvollstreckungskammer (§§ 67c, 67d StGB, § 463 Abs. 3, §§ 454, 462a Abs. 1 StPO).
Dem Tatgericht war und ist es selbst dann verwehrt, eine Sicherungsverwahrung mit einer bestimmten Höchstfrist
anzuordnen, wenn es einen länger dauernden Vollzug angesichts der Anlasstat oder sonstiger Umstände für
unverhältnismäßig hält.
182
Auch im Übrigen wirkt die Neuregelung nicht ex tunc auf einen vergangenen Zeitpunkt zurück. Für Untergebrachte,
bei denen sich die Maßregel wegen Fristablaufs oder erfolgreicher Bewährung (§ 67g Abs. 5 StGB) vor dem In-Kraft-
Treten der Reform erledigt hatte, zeitigt die Neuregelung keine Auswirkungen. Vielmehr betrifft sie ausschließlich
Personen, gegen welche die Maßregel zu diesem Zeitpunkt noch vollstreckt wurde. Bei diesen Personen bildet die in
der Vergangenheit angeordnete Sicherungsverwahrung nur eine von mehreren Tatbestandsvoraussetzungen. Darüber
hinaus hängt die neue Rechtsfolge - Fortdauer der Sicherungsverwahrung über die Zehnjahresgrenze des § 67d Abs. 1
Satz 1 StGB a.F. hinaus - insbesondere von einer Prognoseentscheidung ab. Bei dem Untergebrachten muss zum
Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung gemäß § 67d Abs. 3 StGB n.F. - also nach In-Kraft-Treten der
Gesetzesänderung - die hangbedingte Gefahr erheblicher Rückfalltaten bestehen. In diesem Zusammenhang hat der
Vollstreckungsrichter neue Tatsachen in Rechnung zu stellen, die das Erkenntnisgericht seinerzeit noch nicht
berücksichtigen konnte: So spielt bei der Erledigungsprognose des § 67d Abs. 3 StGB vor allem die Entwicklung des
Verurteilten im Laufe des Strafvollzugs eine wesentliche Rolle. Die Entscheidung über die Erledigung der
Sicherungsverwahrung basiert auf einem Sachverhalt, der weder zum Zeitpunkt der Tat noch zu dem des Urteils oder
des In-Kraft-Tretens der Neuregelung abgeschlossen war.
183
3. Auch wenn die Entscheidung darüber, ob die Maßregel der Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt wird, auf
einer Prognose beruht, ist der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hier zu berücksichtigen, weil die in § 67d
Abs. 1 und Abs. 3 StGB a.F. geregelte Höchstfrist bei Sicherungsverwahrten die Erwartung begründete, nach Ablauf
von zehn Jahren entlassen zu werden.
184
Die Regelung des § 67d Abs. 1 und 3 StGB a.F. bildete in den Fällen, in denen die Sicherungsverwahrung vor
Verkündung der Neuregelung des § 67d Abs. 3 StGB i.V.m. Art. 1a Abs. 3 EGStGB angeordnet worden war, eine
Erwartungsgrundlage. Die zeitliche Begrenzung der Maßregel diente insbesondere auch dem Individualinteresse des
Untergebrachten. Die Einführung der Höchstfrist hatte nach den gesetzgeberischen Motiven den Zweck, die "Sanktion
so bestimmt wie möglich zu gestalten und für den Verurteilten das Ende erkennbar zu machen" (BTDrucks 7/2222,
S. 3). Damit verschaffte die Befristung dem Untergebrachten eine Perspektive, die Freiheit zu einem bestimmten
Zeitpunkt wieder zu erlangen.
185
Dies gilt umso mehr, als der Untergebrachte die Sicherungsverwahrung subjektiv vielfach nicht als eine
schuldunabhängige Sicherungsmaßnahme, sondern auch im Hinblick auf ihren tatsächlichen Vollzug als der Strafe
vergleichbar empfinden dürfte. Der aus Anlass der Straftat angeordnete Eingriff in das Freiheitsrecht ist in der Sicht
des Betroffenen bei Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung vergleichbar. Gleiches gilt für das
Anordnungsverfahren und den Vollzug. Damit gewinnt die Erwartung des Untergebrachten, bei dem im Anschluss an
die Verbüßung der Strafe die Sicherungsverwahrung vollzogen wird, die Freiheit zu einem bestimmten Zeitpunkt
wieder zu erlangen, besondere Bedeutung.
186
Allerdings erfährt die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf den Fortbestand der Regelung des § 67d Abs. 1 StGB
a.F. durch § 2 Abs. 6 StGB eine Einschränkung. Nach dieser Vorschrift ist über Maßregeln der Besserung und
Sicherung, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der
Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB bezieht sich - ebenso wie § 2 Abs. 3 StGB (vgl. BGH, StV 1987, S. 350;
Gribbohm, in: LK, StGB, 11. Aufl., § 2 Rn. 17) - auf die Anordnung wie auch auf die Vollstreckung der Maßregeln.
Mithin stand die Zehnjahreshöchstfrist ebenso wie alle anderen Regelungen über Maßregeln der Besserung und
Sicherung von Anfang an unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Änderung.
187
4. Die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit überwiegt das Vertrauen der
betroffenen Gefangenen auf den Fortbestand der alten Zehnjahresfrist.
188
a) Das Vertrauen des Einzelnen auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung ist gegen die Bedeutung des
gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abzuwägen (vgl. BVerfGE 67, 1 <15>; 105, 17 <40>).
Gesetze, auf die ein schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen gegründet wird, dürfen nicht ohne besondere und
überwiegende Gründe des öffentlichen Interesses rückwirkend geändert werden; andererseits kann sich der Einzelne
nicht auf den Schutz seines Vertrauens berufen, wenn sein Vertrauen auf den Fortbestand einer ihm günstigen
Regelung eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen darf (vgl. BVerfGE 63, 152
<175>; 105, 17 <44>). Dem Gesetzgeber muss es grundsätzlich möglich sein, auch im Wege tatbestandlicher
Rückanknüpfungen auf veränderte soziale Gegebenheiten zu reagieren oder soziale Gegebenheiten ändernd zu
beeinflussen.
189
b) Der Staat hat die Aufgabe, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu
schützen. Diese Schutzpflicht des Staates ist umso intensiver, je mehr die Gefährdung sich konkretisiert und
individualisiert und je stärker sie die Gefährdung elementarer Lebensbereiche betrifft. Je existentieller die Grundrechte
für den Einzelnen sind, desto intensiver muss der staatliche Schutz vor Gefährdungen und Beeinträchtigungen sein
(vgl. Würtenberger/Sydow, NVwZ 2001, S. 1201 <1204>). Ob die Aufhebung der Zehnjahreshöchstfrist zum Schutz
der Grundrechte potentieller Opfer von Straftaten geboten war, ist hier nicht zu entscheiden. Jedenfalls begegnet die
der gesetzgeberischen Entscheidung zugrundeliegende Annahme, dass potentielle Opfer auf diese Weise vor
drohenden erheblichen Gefahren deutlich besser geschützt werden können, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
190
c) Hinter dieses öffentliche Interesse tritt das Freiheitsgrundrecht der von der tatbestandlichen Rückanknüpfung
betroffenen Gefangenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG trotz seines hohen Wertes zurück.
191
Es wurde bereits festgestellt, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 67d Abs. 3 StGB nicht gegen das
freiheitsschützende Übermaßverbot verstoßen hat. Die inhaltliche Konzeption als Regel-Ausnahmevorschrift sowie die
flankierenden verfahrensrechtlichen Garantien für die Betroffenen verschaffen deren Anspruch aus Art. 2 Abs. 2
Satz 2 GG hinreichend Geltung (oben C. II. 2.). Aus ähnlichen Erwägungen bestehen keine verfassungsrechtlichen
Bedenken gegen die Entscheidung des Gesetzgebers, auch diejenigen Untergebrachten in den Anwendungsbereich
des § 67d Abs. 3 StGB einzubeziehen, bei denen die Sicherungsverwahrung vor der Gesetzesänderung angeordnet
worden war.
192
Diesseits der Grenze des Übermaßverbots obliegt eine derartige Entscheidung gesetzgeberischem
Gestaltungsermessen. In diesem Rahmen hat der Gesetzgeber politisch über einen gerechten und vertretbaren
Ausgleich der kollidierenden Interessen politisch zu entscheiden (vgl. Würtenberger/Sydow, NVwZ 2001, S. 1201
<1205 f.>). Der Gesetzgeber hat seinen Gestaltungsspielraum vorliegend nicht überschritten. Die hohen
Anforderungen des § 67d Abs. 3 StGB tragen auch in Verbindung mit Art. 1a Abs. 3 EGStGB den betroffenen
Grundrechten Rechnung. Dass der Gesetzgeber nach seiner demokratisch zu verantwortenden Sicherheitspolitik die
Rückanknüpfung für geeignet und erforderlich zum Schutz von Leben, Gesundheit und sexueller Integrität der
Bürgerinnen und Bürger erachtet hat, fällt in seinen Beurteilungsspielraum.
193
d) Schließlich gebieten die Anforderungen der Übergangsgerechtigkeit (vgl. BVerfGE 31, 275 <284 ff.>; 43, 242
<288 ff.>; 51, 356 <368>; 68, 272 <284 ff.>; 71, 255 <275>) nicht, eine schonende Übergangsregelung für Altfälle zu
treffen. Ohne eine Einbeziehung der Altfälle hätte das gesetzgeberische Ziel, einen möglichst umfassenden Schutz
vor drohenden schwersten Rückfalltaten bereits als gefährlich bekannter, in der Sicherungsverwahrung
untergebrachter Gewalt- und Sexualstraftäter zu gewährleisten, nicht erreicht werden können.
V.
194
Auch die sonstigen Rügen des Beschwerdeführers greifen nicht durch.
195
1. a) Das Fehlen einer gesetzlichen Höchstgrenze für die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung verstößt nicht
gegen das Bestimmtheitsgebot. Art. 103 Abs. 2 GG greift nicht ein, weil die Maßregeln der Besserung und Sicherung
nicht in den Schutzbereich dieser Vorschrift fallen (oben C. III.).
196
Maßstab ist vielmehr Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, der den Gesetzgeber verpflichtet, die Fälle, in denen eine
Freiheitsentziehung zulässig sein soll, hinreichend klar zu bestimmen. Nur er soll nach Art. 2 Abs. 2 und Art. 104
Abs. 1 GG darüber entscheiden, in welchen Fällen Freiheitsentziehungen zulässig sein sollen. Freiheitsentziehungen
sind in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln (vgl. BVerfGE 29, 183 <196>). Insoweit
konkretisiert Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG für den Bereich der Freiheitsentziehung die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip
ergebenden Bestimmtheitsanforderungen (vgl. BVerfGE 76, 363 <387>).
197
Präventive Freiheitsentziehungen greifen ebenso stark in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ein wie
Freiheitsstrafen. Der Gesichtspunkt, dass die Vorgaben des Gesetzgebers umso genauer sein müssen, je intensiver
der Grundrechtseingriff ist und je schwerwiegender die Auswirkungen der Regelung sind (vgl. BVerfGE 86, 288 <311>;
93, 213 <238> jeweils m.w.N.), erhält daher besonderes Gewicht. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der
präventiven Freiheitsentziehung eine Prognose über die Gefahr, die von der Person ausgeht, zugrunde liegt und die
Abwehr dieser Gefahr Grundlage der Freiheitsentziehung ist. Bei der Sicherungsverwahrung handelt es sich nicht um
die Bewertung eines in einer Strafnorm vertypten Unrechts im Einzelfall, sondern um die Beherrschung einer
Gefährdungslage. Im Hinblick auf die Intensität des Grundrechtseingriffs bei der Freiheitsentziehung muss der
Gesetzgeber in diesen Fällen nicht nur bestimmen, unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen überhaupt die
freiheitsentziehende Maßregel der Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann, sondern darüber hinaus auch
sicherstellen, dass Entscheidungen über die Freiheitsentziehung auf Grund einer Prognose keine von vornherein
unbegrenzte Wirkung zukommen darf. Die Unsicherheit, die jeder Prognose innewohnt, erfordert bei einer präventiven
Freiheitsbeschränkung eine angemessene Entscheidung des Gesetzgebers darüber, welche zeitliche Wirkung der
Prognoseentscheidung zukommt und wann diese zu überprüfen ist.
198
b) Diesen Anforderungen genügen die gegenwärtigen Regelungen der Maßregel der Sicherungsverwahrung.
199
Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehalten, eine absolute zeitliche Höchstgrenze für die
Sicherungsverwahrung festzulegen. Die Gefahr, die von einem Sicherungsverwahrten ausgeht, lässt sich nicht
abstrakt-generell für die Zukunft bestimmen. Die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit entfällt nicht
notwendigerweise nach einer bestimmten Zeit.
200
Für die rechtzeitige Feststellung nachlassender Gefährlichkeit hat der Gesetzgeber Vorsorge getroffen, indem er
eine regelmäßige Überprüfung der Prognoseentscheidung in angemessener Zeit sicherstellt. Gemäß § 67e Abs. 1
Satz 2 i.V.m. Abs. 2 StGB hat das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung spätestens nach zwei
Jahren zu überprüfen. Damit ist gewährleistet, dass die einzelne Prognoseentscheidung die Freiheitsentziehung nur
für einen bestimmten Zeitraum trägt. Ob die Voraussetzungen für die Gefährlichkeit im Sinne des § 67d Abs. 3 Satz 1
StGB weiterhin vorliegen, muss dann erneut und mit der angemessenen Sorgfalt festgestellt werden. Damit hat der
Gesetzgeber dem Bestimmtheitsgebot Genüge getan. Für den Betroffenen ist klar erkennbar, wann er mit einer neuen
Überprüfung rechnen kann, und für das Gericht ergibt sich aus dieser Überprüfungsfrist der begrenzte Horizont der
Prognose.
201
2. Soweit der Beschwerdeführer rügt, die Neuregelung verstoße gegen Art. 101 Abs. 1 GG, weil der Gesetzgeber die
ursprünglich angeordnete (befristete) Sicherungsverwahrung nachträglich in eine unbefristete abgeändert habe, ist die
Verfassungsbeschwerde unbegründet. Der Schutzbereich des Art. 101 Abs. 1 GG (Garantie des gesetzlichen
Richters) ist hier nicht eröffnet. Die abstrakt-generelle Regelung des § 67d Abs. 3 StGB ersetzt weder eine gesetzlich
vorgesehene richterliche Entscheidung im Einzelfall noch bewirkt sie - was ebenfalls gegen Art. 101 Abs. 1 GG
verstoßen kann (vgl. dazu Degenhart, in: Sachs, GG, 3. Aufl., Art. 101 Rn. 10) - Unklarheiten in der Ordnung der
richterlichen Zuständigkeiten.
D.
202
Die Entscheidung ist mit 6 : 2 Stimmen ergangen, soweit sie auf den Gründen unter C. IV. (Rückwirkung) beruht.
Hassemer
Jentsch
Broß
Osterloh
Di Fabio
Mellinghoff
Lübbe-Wolff
Gerhardt