Urteil des BVerfG vom 04.02.2010

BVerfG: verfassungsbeschwerde, eingriff, europäische kommission, europäische union, berufsfreiheit, ausschreibung, altersgrenze, befristung, bezirk, marktöffnung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2918/09 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. des Herrn B...,
2. des Herrn B...,
3. des Herrn D...,
4. des Herrn H...,
5. des Herrn J...,
6. des Herrn R...,
7. des Herrn S...,
8. des Herrn S...,
9. des Herrn S...,
10. des Herrn V...
- Bevollmächtigte:
Kuhbier Rechtsanwälte,
Johannes-Brahms-Platz 9, 20355 Hamburg -
gegen das Gesetz über das Berufsrecht und die Versorgung im Schornsteinfegerhandwerk
(SchfHwG) vom 26. November 2008 (BGBl I S. 2242)
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hohmann-Dennhardt
und die Richter Gaier,
Kirchhof
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 4. Februar 2010 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Befristung ihrer Bestellungen zu bevollmächtigten
Bezirksschornsteinfegern durch § 48 Satz 2 des Gesetzes über das Berufsrecht und die Versorgung im
Schornsteinfegerhandwerk (Schornsteinfeger-Handwerksgesetz - SchfHwG).
2
1. Durch das Gesetz zur Neuregelung des Schornsteinfegerwesens vom 26. November 2008 (BGBl I S. 2242) wird
das Berufsrecht der Schornsteinfeger grundlegend geändert und das bisherige Kehr- und Überprüfungsmonopol der
Bezirksschornsteinfegermeister erheblich reduziert. Anlass für die Reform war ein Vertragsverletzungsverfahren, das
die Europäische Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet und in dem sie insbesondere
Verstöße gegen die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit durch die Ausgestaltung dieses Kehr- und
Überprüfungsmonopols beanstandet hatte. Artikel 1 des Gesetzes enthält das neu geschaffene Schornsteinfeger-
Handwerksgesetz, das an die Stelle des bisherigen Gesetzes über das Schornsteinfegerwesen
(Schornsteinfegergesetz - SchfG) treten soll. Während eines Übergangszeitraums bis Ende 2012 gelten Vorschriften
des neuen Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes und solche des durch Artikel 2 des Reformgesetzes geänderten
Schornsteinfegergesetzes nebeneinander. Mit Ablauf des Jahres 2012 tritt das Schornsteinfegergesetz außer Kraft
und das Schornsteinfeger-Handwerksgesetz vollständig in Kraft.
3
Nach § 8 SchfG erlischt eine Bestellung zum Bezirksschornsteinfegermeister nur durch Rücknahme oder Widerruf,
Aufhebung der Bestellung, Versetzung in den Ruhestand, Erreichen der Altersgrenze oder Tod. Die Altersgrenze
beträgt 65 Jahre (§ 9 SchfG). Eine Versetzung in den Ruhestand ist für den Fall vorgesehen, dass ein
Bezirksschornsteinfegermeister aus gesundheitlichen Gründen unfähig wird, die Arbeiten der Gesellen und Lehrlinge
zu überwachen (§ 10 Abs. 1 SchfG). Ein Widerruf kommt unter anderem dann in Betracht, wenn die Einteilung der
Kehrbezirke geändert wird (§ 11 Abs. 3 SchfG). Nach § 10 SchfHwG wird die Bestellung zum bevollmächtigten
Bezirksschornsteinfeger, der ab 2013 an die Stelle des bisherigen Bezirksschornsteinfegermeisters tritt, künftig auf
sieben Jahre befristet (§ 10 Abs. 1 Satz 1 SchfHwG). Der Bestellung geht eine Ausschreibung voraus (§ 9 Abs. 1
SchfHwG); die Auswahl zwischen den Bewerbern hat nach deren Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu
erfolgen (§ 9 Abs. 4 SchfHwG). Wiederbestellungen sind nach erneuter Ausschreibung zulässig (§ 10 Abs. 1 Satz 4
SchfHwG). Der Umfang der Tätigkeiten, die den bevollmächtigten Bezirksschornsteinfegern vorbehalten sind (vgl.
§§
13
ff.
SchfHwG),
ist
gegenüber
dem
bisherigen
Kehr-
und
Überprüfungsmonopol
der
Bezirksschornsteinfegermeister reduziert. Ein Teil der bisher vorbehaltenen Tätigkeiten wird für den Wettbewerb
freigegeben, an dem sich die bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger beteiligen können (vgl. § 2 Abs. 1 SchfHwG
sowie die Übergangsregelung in § 2 Abs. 2 SchfHwG).
4
Als Übergangsregelung sieht § 48 SchfHwG vor:
5
Bestellungen zum Bezirksschornsteinfegermeister wandeln sich unbeschadet der §§ 8 bis 11 des
Schornsteinfegergesetzes mit Ablauf des 31. Dezember 2012 in Bestellungen zum bevollmächtigten
Bezirksschornsteinfeger für ihren bisherigen Bezirk um. Ist die Bestellung vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
erfolgt, ist sie bis zum 31. Dezember 2014 befristet. Erfolgt die Bestellung im Zeitraum vom Inkrafttreten dieses
Gesetzes bis zum 31. Dezember 2009, ist sie auf sieben Jahre befristet.
6
2. Die Beschwerdeführer sind Bezirksschornsteinfegermeister. Sie sind zwischen 41 und 53 Jahre alt. Ihre
Meisterprüfung haben sie zwischen 1983 und 1992 abgelegt. Zu Bezirksschornsteinfegermeistern wurden sie
zwischen 1988 und 2002 bestellt. Bei allen war die Berufswahl nach eigenem Bekunden bestimmt vom Wunsch nach
Krisen- und Planungssicherheit.
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3. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG durch
§ 48 Satz 2 SchfHwG.
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a) Der Entzug der Bestellung zum Bezirksschornsteinfegermeister stelle einen nicht gerechtfertigten Eingriff in ihre
Berufswahlfreiheit dar. Der Beruf des Bezirksschornsteinfegermeisters nach altem Recht werde gekennzeichnet durch
die Erfüllung öffentlicher Aufgaben und die Ausübung hoheitlicher Gewalt sowie durch die Aufgabenerfüllung in einem
mit der Bestellung zugewiesenen Kehrbezirk, durch den ein bestimmtes gebührenfinanziertes Einkommen gesichert
worden sei. Wegen der Besonderheiten des Berufsbildes sei es gerechtfertigt, unter dem Gesichtspunkt des
Vertrauensschutzes auf den beamtenrechtlichen Grundsatz der Ämterstabilität zurückzugreifen. Schon die
Abschaffung des Berufsbildes des bisherigen Bezirksschornsteinfegermeisters zugunsten des bevollmächtigten
Bezirksschornsteinfegers stelle sich für die Beschwerdeführer als Eingriff in die Freiheit der Berufswahl dar. Künftig
hänge die Zuweisung eines Kehrbezirks vom Zuschlag in einem Ausschreibungsverfahren ab. Diese objektive
Berufszugangsregelung diene nicht der Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein
überragend wichtiges Gemeinschaftsgut. Es sei nicht erkennbar, dass der Staat oder seine europarechtskonforme
Einbindung in die Europäische Union gefährdet würden, wenn die bisherigen Bezirksschornsteinfegermeister ihre
bisherigen Kehrbezirke auch ohne vorherige Ausschreibung weiter verwalten würden. Auch hätte es ein milderes Mittel
dargestellt, den bereits bestellten Bezirksschornsteinfegermeistern bis zum Erreichen der Altersgrenze ihre
Kehrbezirke zu belassen und die auf diese Weise frei werdenden Kehrbezirke sukzessive nachzubesetzen.
Schließlich sei der Eingriff auch unangemessen. Mit der Neuordnung zum 1. Januar 2015 werde den Betroffenen die
Entscheidung über die Fortsetzung ihres Berufs aus der Hand genommen. Zu berücksichtigen sei zudem, dass einige
der Beschwerdeführer ein Alter erreicht hätten, in dem der Verlust der Berufs- und Erwerbstätigkeit besonders schwer
wiege.
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b) § 48 SchfHwG sei auch deshalb verfassungswidrig, weil die Vorschrift unzulässig bestandskräftige Bestellungen
widerrufe, ohne dass ein Widerrufsgrund vorläge. Dadurch werde der in Art. 19 Abs. 4 GG garantierte effektive
Rechtsschutz in unzulässiger Weise verkürzt. Wenn man davon ausgehe, dass es für eine Aufhebung der
Bestellungen durch Gesetz keines Widerrufsgrundes bedürfe, seien die für Legalenteignungen geltenden Maßstäbe
anzuwenden. Die sich aus Art. 14 Abs. 3 GG ergebenden Voraussetzungen lägen aber nicht vor.
II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2
BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine Fragen von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher
Bedeutung auf. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte der
Beschwerdeführer angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.
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1. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG rügen, ist die Verfassungsbeschwerde
mangels hinreichend substantiierter Begründung unzulässig (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Die
Beschwerdeführer gehen in keiner Weise auf den Gewährleistungsgehalt dieser Vorschrift ein.
12
2. Für eine Verletzung der Berufsfreiheit der Beschwerdeführer ist nichts ersichtlich. Die angegriffene Regelung greift
zwar in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG ein. Dieser Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
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a) Die Kammer hat allerdings Zweifel, ob das Schornsteinfeger-Handwerksgesetz auf der Grundlage des Art. 74
Abs. 1 Nr. 11 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG als Bundesgesetz ergehen konnte. Denn der Schornsteinfeger
übt ein Gewerbe aus, das in der Regel lokale oder regionale Arbeitsbereiche bildet, so dass - anders als bei Berufen,
welche landesüberschreitende Aufgaben in bundesweiten Infrastrukturen wahrnehmen - nicht die Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit erforderlich ist und somit
Regelungen von jedem Land getroffen werden können. Auch die Notwendigkeit einer Umsetzung europäischen Rechts
allein verlangt keine Regelung durch den Bund; die Länder können jeweils eigenständig einer Verpflichtung zur
Herstellung eines gleichen Mindestniveaus in den Regelungen nachkommen. Die Verfassungsbeschwerde gibt
indessen trotz dieser Bedenken keinen Anlass zur Prüfung der Zuständigkeitsfrage, weil die Beschwerdeführer ihre
Verfassungsbeschwerde insoweit nicht begründet haben. Es hätte zwar neben der Behauptung eines Verstoßes
gegen Art. 12 Abs. 1 GG keiner ausdrücklichen Rüge hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1
Nr. 11 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG bedurft, weil sie unter dem Aspekt der formellen Verfassungsmäßigkeit
eines staatlichen Eingriffsakts ohnedies vom Gericht geprüft werden kann; die Beschwerdeführer haben aber keinerlei
Tatsachen zur Begründung der Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG vorgetragen, die eine
abschließende Beurteilung erlauben, ob eine Regelung durch den Bund erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG
gewesen ist.
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b) Ein Eingriff in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer liegt darin, dass diese aufgrund der in § 48 Satz 2
SchfHwG ausgesprochenen Befristung ihrer Bestellungen ab dem 1. Januar 2015 die Tätigkeiten, die dann den
bevollmächtigten Bezirksschornsteinfegern vorbehalten sind, nicht mehr ausüben dürfen, falls sie nicht nach
erfolgreicher Teilnahme an einer Ausschreibung wieder bestellt werden. Dagegen liegt kein Eingriff in die Berufsfreiheit
vor, soweit Tätigkeiten, die bisher den Bezirksschornsteinfegermeistern vorbehalten waren, in den Wettbewerb
entlassen werden, der auch den Beschwerdeführern offen steht. Denn dagegen, dass den Beschwerdeführern durch
die Neuregelung in ihrem bisherigen Berufsfeld Konkurrenz erwächst, gewährt Art. 12 Abs. 1 GG, der auf eine
möglichst unreglementierte berufliche Betätigung abzielt, keinen Schutz, ebenso wenig, wie es nach der freiheitlichen
Ordnung des Grundgesetzes ein subjektives verfassungskräftiges Recht auf Erhaltung des Geschäftsumfangs und
die Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten gibt (vgl. BVerfGE 34, 252 <256>).
15
c) Der Eingriff stellt für die Beschwerdeführer eine objektive Berufszugangsregelung dar. Solche sind in der Regel
nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut
zulässig (vgl. BVerfGE 7, 377 <408>; stRspr). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
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aa) Auch die Beschwerdeführer ziehen nicht in Zweifel, dass das Fortbestehen eines - wenngleich in seinem Umfang
reduzierten - Katalogs von Tätigkeiten, die einem für den jeweiligen Bezirk bestellten Bezirksschornsteinfeger
vorbehalten sind, aus Gründen der Betriebs- und Brandsicherheit, des Umwelt- und Klimaschutzes sowie der
Energieeinsparung gerechtfertigt ist (vgl. BTDrucks 16/9237, S. 22). Damit ist aber nicht zugleich der Eingriff in die
Grundrechte der Beschwerdeführer legitimiert. Deren spezifische Beeinträchtigung, nämlich der künftige Wegfall ihrer
ursprünglich unbefristeten Bestellung und das damit einhergehende Erfordernis, sich in Konkurrenz mit anderen
Schornsteinfegern um eine neue Bestellung zu bewerben, dient nicht den genannten Zwecken, sondern der
europarechtlich motivierten Marktöffnung zum Zwecke des Wettbewerbs. Die Befristung der Bestellungen gemäß § 10
Abs. 1 Satz 1 und § 48 Satz 2 und 3 SchfHwG führt dazu, dass eine größere Zahl von Schornsteinfegern eine Chance
auf Zugang zu der begehrten Tätigkeit hat als dies nach dem bisherigen Recht der Fall war. Damit dient die Befristung
der Verwirklichung der Berufsfreiheit der bislang nicht berücksichtigten Prätendenten. Diese vergrößerte
Berufsausübungsfreiheit für alle Personen, die künftig eine Chance auf Zugang zu der begehrten Tätigkeit erhalten,
stellt einen Gemeinwohlbelang dar, der einen Eingriff in die Berufsfreiheit der bisherigen Monopolinhaber rechtfertigen
kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. August 2002 - 1 BvR 1444/02 -, NJW 2002,
S. 3460 <3461>). Da Wettbewerb notwendige Folge der Berufsfreiheit ist (vgl. BVerfGE 87, 363 <388>) und
Konkurrenzschutz deshalb selbst als Nebenwirkung einer Berufsregelung so weit wie möglich vermieden werden muss
(v gl. BVerfGE 11, 168 <188 f.>), kann das Ziel der Marktöffnung auch objektive Berufszugangsregelungen
rechtfertigen, die ihrerseits objektive Berufszugangshindernisse für eine Vielzahl anderer Prätendenten abmildern.
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bb) Der Verlust der Bestellung zum Bezirksschornsteinfeger nach Maßgabe der Übergangsregelung des § 48 Satz 2
SchfHwG zugunsten derjenigen, die die zulassungsbeschränkte Tätigkeit bislang in erlaubter Weise ausgeübt haben,
genügt vor diesem Hintergrund nicht nur dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern auch dem Gebot des
Vertrauensschutzes (vgl. dazu BVerfGE 68, 272 <284>; 75, 246 <279>; 98, 265 <309>).
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Die nähere Ausgestaltung einer Übergangsregelung ist dem Gesetzgeber überlassen (vgl. BVerfGE 21, 173 <183>;
68, 272 <287>; 98, 265 <309 f.>). Für die Überleitung bestehender Rechtslagen, Berechtigungen und
Rechtsverhältnisse bleibt dem Gesetzgeber ein breiter Gestaltungsspielraum. Zwischen der sofortigen
übergangslosen Inkraftsetzung des neuen Rechts und dem ungeschmälerten Fortbestand begründeter subjektiver
Rechtspositionen sind vielfache Abstufungen denkbar. Der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht
unterliegt nur, ob der Gesetzgeber bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht
und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe unter Berücksichtigung aller Umstände die Grenze der
Zumutbarkeit überschritten hat (vgl. BVerfGE 43, 242 <288 f.>). Erforderlich ist eine Abwägung der Einzelinteressen
der Betroffenen mit der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens (vgl. BVerfGE 64, 72 <84>).
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Angesichts dieses Maßstabs begegnet die Übergangsregelung in § 48 Satz 2 SchfHwG keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken. Zugunsten der Beschwerdeführer ist zu berücksichtigen, dass sie überwiegend
schon seit langer Zeit, im Einzelfall schon mehr als 20 Jahre, der Tätigkeit als Bezirksschornsteinfegermeister
nachgehen. Zum Zeitpunkt ihrer Berufswahl hatten sie jedenfalls ganz überwiegend keinen Anlass, damit zu rechnen,
dass sie ihre Tätigkeit nicht bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze würden ausüben können. Zwar hätte ihre
Bestellung gemäß § 11 Abs. 3 SchfG auch dann widerrufen werden können, wenn sich die Kehrbezirkseinteilung
geändert hätte. Allerdings hätten sie in einem solchen Fall begründet darauf hoffen können, bald darauf für einen
anderen Bezirk neu bestellt zu werden (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 2 SchfG a.F.; Musielak/Schira/Manke,
Schornsteinfegergesetz, 6. Aufl. 2003, § 11 Rn. 17). Der von ihnen gewählte Beruf war dadurch gekennzeichnet, dass
er dauerhaft ein erhebliches Maß an wirtschaftlicher Sicherheit bot.
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Gleichwohl war der Gesetzgeber nicht verpflichtet, die in der Vergangenheit erfolgten Bestellungen hinsichtlich ihrer
Dauer unangetastet zu lassen. Eine solche Verpflichtung würde seine Gestaltungsmöglichkeiten über Gebühr
einschränken. Denn dann könnte er sein hinreichend legitimes Ziel, die von der Kommission als europarechtswidrig
gerügten Beschränkungen des Zugangs zum Beruf des Bezirksschornsteinfegermeisters zu lockern und möglichst
vielen Prätendenten die Chance einer Bestellung zu eröffnen, nur mit erheblicher Verzögerung und erst in Jahrzehnten
vollständig erreichen.
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Die vom Gesetzgeber gewählte Übergangszeit von mehr als sechs Jahren trägt den Interessen der
Beschwerdeführer in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise Rechnung. Aufgrund des bereits im Jahr
2001 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens und der dadurch ausgelösten Diskussion um die
Europarechtskonformität des deutschen Kehr- und Überprüfungsmonopols bestand bereits einige Jahre vor der
gesetzlichen Neuregelung Anlass, nicht uneingeschränkt auf den Fortbestand des hergebrachten Systems zu
vertrauen. Nach Ablauf der Übergangsfrist des § 48 Satz 2 SchfHwG können sich die bisherigen
Bezirksschornsteinfegermeister zudem um eine erneute Bestellung bewerben. Da die Auswahl zwischen den
Bewerbern nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu erfolgen hat (§ 9 Abs. 4 SchfHwG), werden
„Altbewerber“ in vielen Fällen realistische Aussichten haben, bei der Ausschreibung von Bezirken berücksichtigt zu
werden (vgl. dazu Schira/Schwarz, Schornsteinfeger-Handwerksgesetz/Schornsteinfegergesetz, 2009, § 9 SchfHwG
Rn. 31 f.). Aber auch wenn sie nicht wieder bestellt würden, stünde ihnen unabhängig davon auch nach dem
31. Dezember 2014 die Möglichkeit offen, einen nennenswerten Teil der Tätigkeiten auszuüben, die ihnen bisher
ausschließlich vorbehalten waren (vgl. § 2 Abs. 1 SchfHwG). Dass sie dabei dem Wettbewerb mit anderen Anbietern
ausgesetzt sein werden, ist vor Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden, sondern entspricht gerade dem Leitbild
dieses Grundrechts.
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Hinzu kommt, dass § 2 Abs. 2 SchfHwG den Beschwerdeführern für eine Übergangszeit von mehr als vier Jahren
den nahezu ausschließlichen Zugriff auf die Tätigkeiten sichert, die ab 2013 in den Wettbewerb entlassen werden und
dann allen Schornsteinfegerbetrieben offen stehen. Außerdem sind sie seit Inkrafttreten des Gesetzes zur
Neuregelung des Schornsteinfegerwesens vom bisherigen Nebentätigkeitsverbot nach § 14 SchfG a.F. befreit,
wenngleich mit gewissen Einschränkungen (vgl. § 12 Abs. 2 SchfG). Das eröffnet ihnen für die Übergangszeit ein
größeres Maß an Freiheit, als ihnen bisher zustand. Zugleich ermöglicht es ihnen, sich neue Tätigkeitsfelder zu
erschließen, die ihnen unabhängig von einer etwaigen Neubestellung offen stehen können.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hohmann-Dennhardt
Gaier
Kirchhof