Urteil des BSG vom 20.05.2014

BSG: einkommen aus erwerbstätigkeit, china, einkünfte, mittelpunkt der lebensinteressen, aufenthalt im ausland, verwaltungsakt, echte rückwirkung, besondere härte, geburt, bemessungsgrundlage

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 20.5.2014, B 10 EG 2/14 R
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27.
November 2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in allen Rechtszügen.
Tatbestand
1 Streitig ist die Höhe des Elterngelds nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz
(BEEG).
2 Die zuvor im deutschen Schuldienst als beamtete Lehrerin tätige Klägerin wurde vom
August 2007 bis zum 31.7.2010 beurlaubt, um an der Deutschen Schule in Shanghai zu
unterrichten. Dort bezog die Klägerin ein monatliches Gehalt in Höhe von 3637,46 Euro,
das sie in China versteuerte. Das Beschäftigungsverhältnis an der deutschen Schule war
zunächst unbefristet. Ab August 2010 lebte die Klägerin wieder in Deutschland und
arbeitete auf einer Teilzeitstelle bei einem Monatsgehalt von ca 2320 Euro. Am 26.11.2010
kam ihre Tochter zur Welt.
3 Die Klägerin beantragte Elterngeld, worauf der beklagte Landkreis zwei unterschiedliche
Bescheide erteilte, die er der Klägerin mit gleicher Post übersandte (Bescheide vom
5.1.2011). Der erste Bescheid setzte ihr Elterngeld - unter Anrechnung fortgezahlter
Dienstbezüge - auf 232,26 Euro für den zweiten Lebensmonat und auf den Höchstbetrag
von 1800 Euro für den dritten bis zwölften Lebensmonat fest, weil er das von der Klägerin in
China bezogene und versteuerte Gehalt zugrunde legte. Der Bescheid wies allerdings
darauf hin, wegen der zum Jahreswechsel in Kraft getretenen Änderung des § 2 BEEG
erhalte die Klägerin zeitgleich mit diesem ursprünglichen Bewilligungsbescheid einen
Änderungsbescheid mit Wirkung ab dem dritten Lebensmonat des Kindes, der ihre
ausländischen Einkünfte nicht mehr berücksichtige. Dieser der Ankündigung gemäß
beigefügte weitere Bescheid hob den ursprünglichen Bewilligungsbescheid nach § 48 SGB
X sofort wieder auf. Er senkte das Elterngeld der Klägerin auf der Grundlage der
Neufassung des § 2 Abs 1 S 2 BEEG durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 für den
dritten bis zwölften Lebensmonat auf 499,78 Euro ab, weil er der Elterngeldbemessung nur
noch die in Deutschland erzielten Einkünfte der Klägerin zugrunde legte.
4 Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 21.3.2011) erhob die Klägerin
Klage zum SG Lüneburg. Während des Klageverfahrens hob der Beklagte die
Elterngeldbewilligung vom 5.1.2011 mit Wirkung vom 26.7.2011 teilweise auf und senkte
das Elterngeld für den neunten bis zwölften Monat auf den Mindestbetrag von 300 Euro ab,
weil die Klägerin während dieser Zeit Einkommen aus Erwerbstätigkeit bezogen habe. Der
überzahlte Betrag von 199,78 Euro sei nach § 50 SGB X zu erstatten (Bescheid vom
12.8.2011).
5 Klage (Urteil des SG Lüneburg vom 12.1.2012) und Berufung (Urteil des LSG
Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2013) der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben. Das
LSG hat ausgeführt, nach der eindeutigen, ab dem 1.1.2011 geltenden Gesetzeslage seien
bei der Bemessung des Elterngelds lediglich im Inland versteuerte Einkünfte zugrunde zu
legen. Die gesetzliche Neuregelung verstoße weder gegen das verfassungsrechtliche
Rückwirkungsverbot noch sei sie - trotz einiger Ungereimtheiten - gleichheitswidrig.
6 Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter, Elterngeld auf
der Grundlage ihres in China erzielten Einkommens zu erhalten. Nur wegen einer Vorschrift
des deutschen Einkommensteuergesetzes steuerfreie Einkünfte seien beim Elterngeld nicht
zu berücksichtigen. Die zum 1.1.2011 erfolgte Änderung durch das Haushaltsbegleitgesetz
habe zudem echte Rückwirkung, die verfassungswidrig sei. Schließlich verstoße die
Nichtberücksichtigung ihrer in China erzielten Einkünfte gegen den Gleichheitsgrundsatz.
7 Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2013 und des SG Lüneburg vom
12.1.2012 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 5.1.2011 in der Fassung
des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 und des Änderungsbescheids vom 12.8.2011
zu ändern und den Beklagten zur Neuberechnung des Elterngeldanspruchs für den
Bezugszeitraum vom 26.1. bis 25.7.2011 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu
verpflichten.
8 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9 Er verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils, das er für zutreffend hält.
Entscheidungsgründe
10 Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat für den streitbefangenen
Zeitraum vom dritten bis zum achten Lebensmonat des Kindes keinen Anspruch auf
höheres Elterngeld; die angefochtenen Bescheide verletzen sie auch nicht aus anderen
Gründen in ihren Rechten.
11 Streitgegenstand ist der Änderungsbescheid des Beklagten vom 5.1.2011 (idF des
Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 und des Änderungsbescheids vom 12.8.2011), mit
dem der Beklagte seinen Bemessungsbescheid abgeändert hat, der ebenfalls vom
5.1.2011 datierte (1.). Zwar hat der Beklagte dabei den Änderungsbescheid vom 5.1.2011
zu Unrecht auf § 48 SGB X gestützt, weil der Ausgangsbescheid vom selben Datum von
Anfang an rechtswidrig war. Denn der Beklagte hat in diesem Bescheid das Elterngeld der
Klägerin zu Unrecht unter Berücksichtigung ihres in China erzielten und versteuerten
Einkommens berechnet (2.). Der angefochtene Änderungsbescheid hat aber im Wege der
Umdeutung als Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X Bestand und setzt das Elterngeld
für den streitbefangenen Zeitraum in der zutreffenden Höhe fest (3.).
12 1. Anders als vom LSG angenommen hat der Beklagte unter dem 5.1.2011 aus der
maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers nicht nur eine, sondern zwei separate
Regelungen getroffen, einen Bemessungs- und einen Änderungsbescheid. Dies ergibt
sich schon aus der äußeren Form der beiden Bescheide vom 5.1.2011, die beide jeweils
in einen längeren Verfügungsteil, eine Begründung und die anschließende
Rechtsbehelfsbelehrung gegliedert sind. Zudem bezeichnet sich der ursprüngliche
Bescheid ausdrücklich als "Bewilligungsbescheid" und kündigt den Erlass des
nachfolgenden "Änderungsbescheids" an. Letzterer wiederum nimmt unmissverständlich
Bezug auf die vorangegangene Bewilligung des Elterngelds, die er seinerseits aufhebt.
13 Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid ist der Klägerin auch nach § 37 SGB X wirksam
bekannt gegeben worden. Der Beklagte hat ihn nach den Feststellungen des LSG mit
derselben Post wie den darauf aufbauenden Änderungsbescheid übersandt, § 37 Abs 2 S
1 SGB X. § 130 Abs 1 S 2 BGB steht einer wirksamen Bekanntgabe nicht entgegen. Zwar
kann nach dieser - auf die Bekanntgabe von Verwaltungsakten analog anwendbaren -
Vorschrift (vgl Pattar in: jurisPK-SGB X, Stand 12/2012, § 37 SGB X RdNr 21 mwN) der
gleichzeitige Zugang eines Widerrufs die wirksame Bekanntgabe eines Verwaltungsakts
verhindern. Einen solchen Widerruf des Bewilligungsbescheids enthält der
Änderungsbescheid des Beklagten indes nicht. Der Änderungsbescheid zielt nicht darauf
ab, das Wirksamwerden des Bewilligungsbescheids von vornherein zu verhindern, wie es
ein Widerruf im Sinne des § 130 Abs 1 S 2 BGB bezwecken würde. Vielmehr setzt er nach
seinem beschriebenen Inhalt die Wirksamkeit des Bewilligungsbescheids umgekehrt
gerade voraus, um diesem - wenn auch nur für eine logische Sekunde - wirksam
gewordenen Bewilligungsbescheid anschließend mit einem weiteren, separaten
Verwaltungsakt wieder die Rechtswirksamkeit zu nehmen. Der Beklagte konnte demnach
den wirksam bekannt gegebenen Bewilligungsbescheid, wie er auch selber zutreffend
angenommen hat, nur nach den Voraussetzungen der §§ 45 ff SGB X wieder beseitigen.
14 2. Bei dieser Aufhebung des Bewilligungsbescheids hat sich der Beklagte aber zu Unrecht
auf die Vorschrift des § 48 SGB X gestützt, deren Voraussetzungen nicht vorlagen. Nach §
48 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben,
eine wesentliche Änderung eintritt. Danach hat sich der Beklagte zu Unrecht auf § 48 SGB
X gestützt. Sein Ausgangsbescheid vom 5.1.2011 ist nicht erst rechtswidrig geworden,
sondern war von Anfang an wegen der Wahl einer falschen Bemessungsgrundlage
rechtswidrig. Der Beklagte hat darin zu Unrecht das in China erzielte und versteuerte
Einkommen der Klägerin in die Bemessungsgrundlage des Elterngelds einbezogen.
15 a) Zwar hatte die Klägerin dem Grunde nach Anspruch auf Elterngeld. Nach den für den
Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG erfüllte sie im Anspruchszeitraum
die Grundvoraussetzungen des § 1 Abs 1 BEEG, weil sie ihren Wohnsitz wieder in
Deutschland hatte, mit ihrer Tochter in einem Haushalt lebte, diese selbst betreute und
erzog und keine Erwerbstätigkeit ausübte.
16 b) Der Bemessungszeitraum für das Elterngeld umfasste nach § 2 Abs 1 S 1 BEEG die
zwölf Kalendermonate vor dem Monat der Geburt der Tochter der Klägerin im November
2010; der Bemessungszeitraum reichte danach von November 2009 bis Oktober 2010.
Gesetzliche Verschiebungstatbestände für den Bemessungszeitraum nach § 2 Abs 7 S 5
bis 7 BEEG erfüllte die Klägerin nicht.
17 c) Bemessungsgrundlage für das Elterngeld bildeten nach § 2 Abs 1 S 2 BEEG in der für
den streitbefangenen Zeitraum einschlägigen Fassung vom 1.1.2011
(Haushaltsbegleitgesetz 2011 vom 9.12.2010, BGBl I 1885) nur im Inland versteuerte
Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und
nichtselbstständiger Arbeit nach § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes
(EStG). Deshalb durfte der Beklagte das von der Klägerin in China erzielte Entgelt,
welches sie nach den Feststellungen des LSG auch nur dort versteuert hat, der
Elterngeldberechnung nicht zugrunde legen.
18 aa) Entgegen der Ansicht der Klägerin verstößt die Regelung des § 2 Abs 1 S 2 BEEG
nicht gegen die rechtsstaatlichen Gebote der Rechtssicherheit und des
Vertrauensschutzes (Art 20 Abs 3 GG iVm Art 2 Abs 1 GG). In Bezug auf die Klägerin fehlt
es schon deshalb an jeder Rückwirkung, selbst in Form der tatbestandlichen
Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung), weil bereits nach der bis zum 31.12.2010
geltenden Fassung des § 2 Abs 1 S 2 BEEG nur nach dem EStG in Deutschland zu
versteuerndes Einkommen in die Elterngeldberechnung einzubeziehen war, obwohl diese
Fassung noch nicht den klarstellenden Zusatz "im Inland zu versteuernden" enthielt. Nach
§ 2 Abs 1 S 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten
vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens
aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich gezahlt. Nach
Satz 2 der Vorschrift in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung ist als Einkommen aus
Erwerbstätigkeit die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft,
Gewerbebetrieb, selbstständiger und nicht selbstständiger Arbeit im Sinne von § 2 Abs 1 S
1 Nr 1 bis 4 EStG nach Maßgabe von § 2 Abs 7 bis 9 BEEG zu berücksichtigen. Wie der
Senat in seinem Urteil vom heutigen Tag (20.5.2014) in der Sache B 10 EG 9/13 R (RdNr
15) ausgeführt hat, auf das er im einzelnen Bezug nimmt, verweist die von § 2 Abs 1 S 2
BEEG verwendete Formulierung "Einkünfte … im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4
Einkommensteuergesetz" seit jeher nicht ausschließlich auf die dort genannten
Einkunftsarten, sondern umfassend auf die nach steuerrechtlichen Bestimmungen
ermittelten Einkünfte (vgl BSG SozR 4-7837 § 2 Nr 16 RdNr 15 mwN; vgl BT-Drucks
16/2785, S 37). Von einem fremden Hoheitsträger besteuerte, nicht der deutschen
Einkommensteuer unterliegende Einnahmen hatten daher für die Elterngeldbemessung
nach Wortlaut, Systematik und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift immer schon
außer Betracht zu bleiben. Dies gilt auch für die von der Klägerin in China erzielten und
versteuerten Einkünfte, die nach den Feststellungen des LSG gemäß dem
Doppelbesteuerungsabkommen mit der Volksrepublik China (DBA China, vom 10.6.1985,
BGBl II 1986, 447) nicht der deutschen Einkommensteuer unterlagen. Nach Art 15 Abs 1
iVm Abs 2 a des DBA China können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine
in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbstständiger Arbeit bezieht, nur in
diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat
ausgeübt. In einem Vertragsstaat ansässig ist nach Art 4 Abs 1 DBA China eine Person,
die nach dem Recht dieses Staates dort unter anderem aufgrund ihres Wohnsitzes oder
ihres ständigen Aufenthalts steuerpflichtig ist. Ist nach diesen Vorgaben eine natürliche
Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt sie in dem Staat als ansässig, in dem
sie über eine ständige Wohnstätte verfügt; verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige
Wohnstätte, so gilt sie als in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen
und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen, Art 4 Abs 2 a
DBA China). Nach den Feststellungen des LSG ist die Klägerin während ihrer Tätigkeit in
China mit ihrem Ehemann und ihrer älteren Tochter nach China gezogen, wo sie daher im
Sinne des DBA China über einen Wohnsitz verfügte und ständig gewohnt hat bzw wo
zumindest der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen lag.
19 bb) Der dadurch bewirkte Ausschluss steuerfreier Einkünfte aus der
Bemessungsgrundlage des Elterngelds aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens
verstößt jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG,
sondern ist unter Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers
im Bereich des Sozialrechts (vgl im Einzelnen Urteil des Senats vom heutigen Tag -
20.5.2014 - in der Sache B 10 EG 9/13 R, RdNr 29) durch hinreichende sachliche Gründe
gerechtfertigt. Die Umstände, die die Steuerfreiheit der Klägerin in Deutschland
begründeten, rechtfertigen es gleichzeitig, ihre nicht in Deutschland versteuerten Einkünfte
nicht beim Elterngeld zu berücksichtigen. Aufgrund der Umstände, die eine Besteuerung
durch einen fremden Hoheitsträger auslösten, lebte die Klägerin mit ihrer Familie zugleich
dauerhaft in einer Wirtschafts- und Sozialordnung, die wesentlich anders als diejenige in
Deutschland ausgestaltet ist. Da die Klägerin im zeitlichen Zusammenhang mit der Geburt
ihres Kindes zum Bezug von Elterngeld nach Deutschland zurückgekehrt ist, erscheint es
jedenfalls nicht willkürlich, wenn das BEEG nicht ihren grundsätzlich anders gearteten und
geprägten Lebensstandard im Ausland unter den Rahmenbedingungen des deutschen
Sozialrechts im Inland ausgleicht.
20 Das BEEG unterscheidet beim Ausfall von Erwerbseinkommen auch in anderen
Zusammenhängen in wertender Betrachtung danach, ob gerade dieses spezifische
Ausfallrisiko nach Sinn und Zweck des Elterngelds durch eine Elterngeldzahlung
ausgeglichen werden soll. Mit dem Elterngeld stellt der Staat eine einkommensorientierte
Zuwendung in Aussicht, mit der diejenigen individuellen Einbußen an Erwerbseinkommen
ganz oder teilweise kompensiert werden sollen, die einem sachlichen Zusammenhang mit
dem zum Ausgleich berechtigenden Ereignis - der Geburt des Kindes - stehen. Realisiert
sich in der Zeit vor der Geburt des Kindes bereits ein anderes Erwerbsrisiko, wie etwa
Krankheit, Streik oder Insolvenz, so sind die damit einhergehenden Einkommensausfälle
grundsätzlich nicht vom Sinn und Zweck der Zuwendung umfasst (BSG SozR 4-7837 § 2
Nr 8 RdNr 64 mwN). Der Wechsel von einer außereuropäischen Wirtschaft- und
Sozialordnung zurück nach Deutschland und die damit verbundenen wesentlichen
Veränderungen der familiären Lebenssituation (vgl BSG SozR 4-7837 § 2 Nr 18 RdNr 71),
in der das Einkommen vor der Geburt erzielt wurde, liegen außerhalb des Schutzbereichs
und des Förderungszwecks des Elterngelds. Das Elterngeld dient nicht dazu, eine unter
den ganz anders gearteten Bedingungen im außereuropäischen Ausland erarbeitete
familiäre Lebenssituation nach der Rückkehr nach Deutschland aufrechtzuerhalten.
Insoweit trägt der Elterngeldbezieher grundsätzlich selber das Risiko, seinen durch den
dauerhaften beruflichen Aufenthalt im Ausland begründeten, in der Regel höheren und
durch seinen Arbeitgeber besser abgesicherten Lebensstandard in Deutschland eventuell
auch durch rechtzeitige finanzielle Vorsorge aufrechtzuerhalten, wenn er seine
Erwerbstätigkeit außerhalb von Deutschland zugunsten der Kindererziehung unterbricht
oder beendet und nach Deutschland zurückkehrt.
21 Wie sich zudem bereits aus der Kollisionsregel des § 1 Abs 1 Nr 1 BEEG ergibt, hat nur
Anspruch auf Elterngeld, wer seinen Wohnsitz oder jedenfalls einen gewöhnlichen
Aufenthalt in Deutschland hat. Die Gewährung von Elterngeld zielt also darauf ab, die
Änderung der Lebenssituation infolge der Elternschaft unter den spezifischen
wirtschaftlichen Verhältnissen in Deutschland auszugleichen. Das Elterngeldrecht enthält
dagegen keine Äquivalenzregel, die während des Bemessungszeitraums im Ausland
erzielte und versteuerte mit inländischen Einkünften gleichsetzt.
22 Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es das BVerfG als legitimes Ziel anerkannt
hat, Erziehungs- und Elterngeld nur solchen ausländischen Eltern zu gewähren, die
voraussichtlich dauerhaft in Deutschland bleiben, soweit der Gesetzgeber mit diesen
Leistungen eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung in Deutschland fördern will, weil
dieses Ziel bei Gewährung an Personen, die das Bundesgebiet bald wieder verlassen,
verfehlt würde (BVerfGE 132, 72, RdNr 26). Auch bei deutschen Staatsbürgern kann aber
zweifelhaft sein, ob sie mit ihren Kindern auf Dauer in Deutschland bleiben, wenn sie
länger im Ausland beschäftigt sind und sich mit der Zeit immer weiter in die dortige Sozial-
und Wirtschaftsordnung integrieren, während sie im selben Maße ihre Bindung zum
deutschen System lockern oder ganz aufgeben. Dies vermag ebenfalls dazu beizutragen,
den Ausschluss steuerfreier, im Ausland erzielter Einkünfte von der
Bemessungsgrundlage des Elterngelds zu rechtfertigen. Die Klägerin war nach den
Feststellungen des LSG aus dem deutschen Schuldienst für zunächst drei Jahre
beurlaubt; ihre Beschäftigung und damit ihr Aufenthalt in China waren anfangs nicht
befristet. Eine Rückkehr und ein dauerhafter Verbleib der Klägerin nach Deutschland
waren daher zunächst nicht absehbar.
23 Insgesamt war daher eine vollständige Gleichstellung mit Eltern, die Deutschland im
Bemessungszeitraum vor der Geburt des Kindes nicht verlassen haben, vor dem
Hintergrund des geschilderten Gesetzeszwecks von Verfassungs wegen insgesamt nicht
zwingend geboten.
24 Erweist sich somit der Ausschluss aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens
steuerfreier Einnahmen von der Bemessungsgrundlage des Elterngelds durch § 2 Abs 1 S
2 BEEG als rechtmäßig und insbesondere verfassungsrechtlich unbedenklich, so war der
ursprüngliche Elterngeldbescheid des Beklagten vom 5.1.2011 wegen der unzutreffenden
Berücksichtigung steuerfreier Einkünfte bereits bei seinem Erlass rechtswidrig; der
Beklagte konnte die Aufhebung deshalb nicht auf § 48 SGB X stützen.
25 3. Der angefochtene Bescheid vom 5.1.2011 hat aber im Wege der Umdeutung gemäß §
43 SGB X als Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X Bestand, da das
Rücknahmeermessen des Beklagten insoweit ausnahmsweise auf null reduziert war. Aus
diesem Grund steht auch § 43 Abs 3 SGB X einer Umdeutung nicht entgegen.
26 Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen
Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der
erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte
erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
Unabhängig davon, ob § 43 SGB X auch im Gerichtsverfahren unmittelbar Anwendung
finden kann (vgl dazu BSG SozR 3-3660 § 1 Nr 1; BSG SozR 1300 § 43 Nr 1 und § 48 Nr
25; BVerwGE 48, 81 ff; 82, 235, 242; offengelassen in BSG Urteil vom 19.3.1998 - B 7 AL
86/96 R - SozR 3-4100 § 112 Nr 29), ist das Gericht jedenfalls gehalten, entsprechend §
43 SGB X zu prüfen, ob ein angefochtener Verwaltungsakt unter Heranziehung einer
anderen Rechtsgrundlage gehalten werden kann.
27 Vorliegend hat der Änderungsbescheid des Beklagten nach diesen Vorgaben als
Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X Bestand, weil der angefochtene
Änderungsbescheid nach dieser Rechtsgrundlage gehalten werden kann. § 45 SGB X
regelt, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil
begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist,
auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4
ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. Der die Klägerin begünstigende
ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 5.1.2011 war, wie ausgeführt, bereits zum
Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig, wie es § 45 Abs 1 SGB X voraussetzt. Die
Rücknahmefrist des § 45 Abs 3 S 1 SGB X hat der Beklagte eingehalten, als er den
Ausgangsbescheid sofort wieder zurückgenommen hat. Die Rücknahme war auch nicht
nach § 45 Abs 2 S 1 SGB X wegen überwiegenden schutzwürdigen Vertrauens der
Klägerin ausgeschlossen. Vielmehr kannte die Klägerin von Anfang an die
Rechtswidrigkeit des Bescheids und kann sich deshalb nach § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X
auf schutzwürdiges Vertrauen von vornherein nicht berufen. Denn bereits der
Ausgangsbescheid hatte in seinen Gründen auf seine unmittelbar bevorstehende
Aufhebung sowie die (zumindest) seit dem 1.1.2011 bestehende Rechtslage hingewiesen,
die eine Berücksichtigung der von der Klägerin in China erzielten Einkünfte bei der
Elterngeldbemessung ausschloss.
28 Die erforderliche Anhörung hat der Beklagte der Sache nach im Widerspruchsverfahren
nachgeholt, § 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X.
29 Zwar hat der Beklagte sein von § 45 Abs 1 SGB X eröffnetes Rücknahmeermessen nicht
ausgeübt, weil er von einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 SGB X
ausgegangen ist. Eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung in § 45 Abs 1 SGB X
setzt demgegenüber eine umfassende Abwägung zwischen dem Individualinteresse des
Begünstigten und dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung gesetzmäßiger
Zustände voraus, in die sämtlich relevanten Verhältnisse des Einzelfalls einfließen
müssen (BSG vom 14.11.1985 - 7 RAr 123/84 = BSGE 59, 157 = SozR 1300 § 45 Nr 19;
BSG vom 17.10.1990 - 11 RAr 3/88 = SozR 3-1300 § 45 Nr 5). Gleichwohl führt ein
Ermessensausfall, wie er hier vorliegt, ausnahmsweise dann nicht zur Aufhebung eines
angefochtenen Verwaltungsakts, wenn auch bei Ausübung von Ermessen jeder
Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (vgl BVerwG
Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr 54). Eine solche Ermessensreduzierung auf null kann nur
dann in Betracht gezogen werden, wenn ermessensrelevante Gesichtspunkte weder vom
Kläger geltend gemacht noch sonst wie ersichtlich sind (vgl BSG Urteil vom 9.9.1998 - B
13 RJ 41/97 R - Juris sowie BSG Urteil vom 30.10.1997 - 4 RA 71/96).
30 So liegt es hier. Es sind keinerlei Gesichtspunkte geltend gemacht oder denkbar, die dafür
sprechen könnten, die überhöhte anfänglich rechtswidrige Elterngeldbewilligung ganz
oder teilweise bestehen zu lassen. Sie ist lediglich für eine logische Sekunde aus - zumal
nicht nachzuvollziehenden - verwaltungsinternen Gründen für einen in der Zukunft
liegenden Zahlungszeitraum erteilt und danach sogleich wieder aufgehoben worden, ohne
je durch Auszahlungen ins Werk gesetzt worden zu sein. Es ist insbesondere nicht
ersichtlich, warum die Aufhebung für die Klägerin eine besondere Härte begründen
könnte, weil sie auf der Grundlage des aufgehobenen Verwaltungsakts nie Elterngeld
bezogen hat und auf seinen Bestand nie für eine relevante Zeitspanne vertrauen konnte
(vgl BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 16 und Meyer, Festschrift für Krasney, 1997, S 330 ff). Der
rechtswidrige Bescheid ist für sie insgesamt folgenlos geblieben. Der Senat kann
offenlassen, ob der Beklagte seinen eigenen, durch die angreifbare Bescheidpraxis
verursachten Verwaltungsfehler bei der Betätigung des Rücknahmeermessen überhaupt
als relevanten Belang in die Interessenabwägung hätte einstellen müssen (vgl BSG SozR
3-1300 § 45 Nr 2). Jedenfalls kann es allein dieser Fehler nach keiner Betrachtungsweise
rechtfertigen, die offensichtlich und auch nach eigener Einschätzung der Verwaltung von
Anfang an rechtswidrige, nur für eine logische Sekunde erlassene Regelung dauerhaft
bestehen zu lassen.
31 Da somit das Rücknahmeermessen des Beklagten ausnahmsweise auf null reduziert war,
steht § 43 Abs 3 SBG X einer Umdeutung ebenfalls nicht entgegen.
32 Im Übrigen, soweit der Bescheid vom 5.1.2011 das Elterngeld der Klägerin für den
streitbefangenen Zeitraum auf der richtigen Bemessungsgrundlage ihres nach ihrer
Rückkehr in Deutschland erzielten und versteuerten Einkommens in der im Einzelnen
tenorierten Höhe festgesetzt hat, sind Bedenken gegen den vom Beklagten zugrunde
gelegten Bemessungssatz und die danach errechneten Beträge der monatlichen
Zahlungsansprüche nicht vorgebracht oder ersichtlich, wie das LSG im Einzelnen
zutreffend dargelegt hat.
33 4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Sie trägt dem Unterliegen der
Klägerin und gleichzeitig dem Umstand Rechnung, dass der Beklagte durch seine
sehenden Auges rechtswidrige Verwaltungspraxis in normativer Betrachtung jedenfalls zu
einem erheblichen Teil Anlass für das vorliegende Verfahren gegeben hat.