Urteil des BSG vom 11.02.2015

Arbeitslosengeld II - Mehrbedarf bei Alleinerziehung - keine anteilige Zuerkennung des Mehrbedarfs für die Elternteile bei nicht hälftiger Teilung der Kinderbetreuung und -erziehung

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 11.2.2015, B 4 AS 26/14 R
Arbeitslosengeld II - Mehrbedarf bei Alleinerziehung - keine anteilige
Zuerkennung des Mehrbedarfs für die Elternteile bei nicht hälftiger Teilung
der Kinderbetreuung und -erziehung
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts vom 17. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen
Kosten zu erstatten.
Tatbestand
1 Streitgegenstand sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter
Berücksichtigung eines anteiligen Mehrbedarfs für Alleinerziehende im Zeitraum von
November 2005 bis April 2006.
2 Der auf der Insel F. lebende Kläger ist der Vater der 2003 geborenen K. W., die im streitigen
Zeitraum überwiegend bei ihrer Mutter in B. lebte. Die Eltern üben die elterliche Sorge
gemeinsam aus. Die Mutter erhielt Kindergeld und Unterhaltsvorschussleistungen, jedoch
keine Leistungen nach dem SGB II. Von November 2005 bis April 2006 wurde die Tochter in
der Zeit vom 18.12.2005 bis 31.12.2005, vom 1.1.2006 bis 7.1.2006, vom 29.1.2006 bis
31.1.2006, vom 1.2.2006 bis 11.2.2006, vom 19.3.2006 bis 25.3.2006 und vom 9.4.2006 bis
22.4.2006 (insgesamt 56 Tage, rund 31 % des Leistungszeitraums von 181 Tagen) von dem
Kläger an seinem Wohnort betreut.
3 Der Beklagte bewilligte dem Kläger für den streitigen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 790 Euro monatlich (Regelleistung in Höhe
von 345 Euro sowie Kosten für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung eines Zwei-
Personen-Haushalts in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen von 445 Euro), zunächst ohne
anteiliges Sozialgeld für die Tochter (Bescheid vom 30.11.2005; Widerspruchsbescheid vom
9.5.2006). Im sozialgerichtlichen Verfahren hat der Beklagte weitere Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts in Höhe von 5 Euro monatlich für die Kosten der
Warmwasserzubereitung anerkannt. Auf die Klagen von Vater (Kläger zu 1) und Tochter hat
das SG den Beklagten "unter Abänderung des Bescheides vom 30.11.2005 in der Fassung
des Widerspruchsbescheids vom 09.05.2006 verurteilt, an den Kläger zu 1) für den Zeitraum
01.11.2005 bis 30.04.2006 monatlich weitere 70,68 Euro (12 Tage a 5,89 Euro) zu zahlen"
und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 4.2.2009). Zur Begründung seiner
Entscheidung hat es ausgeführt, dem Kläger seien zusätzliche Leistungen für die
Wahrnehmung seines Umgangsrechts in analoger Anwendung von § 21 SGB II zu zahlen.
Die Höhe des Anspruchs hat das SG unter Berücksichtigung des Sozialgeldes für die Tochter
nach teilweisem Abzug von Aufwendungen bei den Bedarfen der Bekleidung, der
Gesundheitspflege sowie anderer Waren und Dienstleistungen ermittelt. Ein Mehrbedarf
wegen Alleinerziehung stehe dem Kläger nicht zu, weil ein solcher Ausgleich nur
gerechtfertigt sei, wenn die zeitliche, materielle und ideelle Belastung des Erziehenden
deutlich über diejenige hinausgehe, die auch bei zusammenlebenden Elternteilen anzutreffen
sei. Ein solches Maß sei hier nicht erreicht.
4 Auf die Berufungen des Klägers, seiner Tochter sowie des Beklagten hat das LSG das SG-
Urteil abgeändert und den Tenor neu gefasst. Es hat den Beklagten unter Abänderung des
Bescheides vom 30.11.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2006
verurteilt, der Tochter des Klägers für die Zeiten vom 18.12.2005 bis zum 31.12.2005, vom
1.1.2006 bis zum 7.1.2006, vom 29.1.2006 bis zum 31.1.2006, vom 1.2.2006 bis zum
11.2.2006, vom 19.3.2006 bis zum 25.3.2006 und vom 9.4.2006 bis zum 22.4.2006 Sozialgeld
in Höhe von 6,90 Euro pro Tag zu zahlen. "Im Übrigen" hat es die Klage ebenso wie die
"weitergehenden Berufungen der Kläger sowie des Beklagten" zurückgewiesen (Urteil vom
17.1.2014). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, eine
anspruchsmindernde Berücksichtigung des Kindergeldes oder der Leistungen nach dem
Unterhaltsvorschussgesetz bei der Berechnung des Sozialgeldes der Tochter für die Dauer
ihrer zeitweisen Aufenthalte bei dem Kläger scheide aus. Derartige Abschläge widersprächen
dem Gedanken der Pauschalierung des Regelbedarfs. Der Kläger habe keinen Anspruch auf
höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Einbeziehung eines
Mehrbedarfs für Alleinerziehende. Nur eine nachhaltige Entlastung in Form eines praktizierten
paritätischen Wechselmodells rechtfertige - in Abweichung vom "Alles-oder-Nichts-Prinzip" -
einen hälftigen Mehrbedarf für Alleinerziehende. Vor dem Hintergrund des Monatsprinzips
könne eine nachhaltige Entlastung des betreuenden Elternteils nur angenommen und eine
Teilung dieses Mehrbedarfs erfolgen, wenn bei monatlicher Betrachtung der andere Elternteil
die Betreuung des Kindes mindestens für die Hälfte des Monats und in größeren, mindestens
eine Woche umfassenden Intervallen sicherstelle.
5 Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 21 Abs 3 SGB
II. Nach der Rechtsprechung des BSG liege die Anspruchsvoraussetzung einer "alleinigen
Sorge für deren Pflege und Erziehung" iS des § 21 Abs 3 SGB II vor, wenn es an einer
nachhaltigen Entlastung des hilfebedürftigen Elternteils während der Betreuungszeit fehle.
Allerdings habe das BSG auch betont, dass die Wertung des Familienrechts, die gemeinsame
elterliche Sorge zu fördern, zu berücksichtigen sei. Eine Aufteilung des Mehrbedarfs nach
Betreuungsanteilen müsse daher auch möglich sein, wenn keine hälftige Aufteilung der
elterlichen Pflege und Erziehung gegeben sei. Der Schutz des Art 6 GG für die Beziehung des
Elternteils zum Kind in häuslicher Gemeinschaft gelte auch bei einem kürzeren
Zusammenleben. Er sei zT "alleinerziehend in einem zeitlichen Umfang, der wöchentliche
Phasen überschreite".
6 Der Kläger beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. Januar 2014 und des
Sozialgerichts Schleswig vom 4. Februar 2009 zu ändern sowie den Beklagten unter
Änderung seines Bescheides vom 30. November 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2006 und des Teilanerkenntnisses vom 4. Februar 2009
zu verurteilen, an ihn für den Leistungszeitraum von November 2005 bis April 2006 höhere
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für
Alleinerziehende in Höhe der Hälfte von 36 vH seiner im streitgegenständlichen Zeitraum
maßgeblichen Regelleistung (345 Euro), also weitere 62,10 Euro, hilfsweise in Höhe von 40
vH des Anteils von 36 vH seiner im streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen
Regelleistung (345 Euro), also weitere 49,68 Euro, monatlich zu zahlen.
7 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Er bezieht sich auf die Entscheidung des LSG.
Entscheidungsgründe
9 Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das LSG hat
den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen eines
Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung liegen nicht vor.
10 Gegenstand des Revisionsverfahrens ist - nach der Rücknahme der Revision der Tochter
des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG - nur noch der Anspruch des
Klägers auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, als sie der Beklagte mit
seinem Bescheid vom 30.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2006
und des Teilanerkenntnisses vom 4.2.2009 verfügt und damit zugleich die Anerkennung
eines Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung abgelehnt hat. Streitig sind auch nur (noch) die
Regelleistungen einschließlich der Mehrbedarfe für den Kläger. Leistungen für Unterkunft
und Heizung, die im Übrigen einen abtrennbaren Streitgegenstand darstellen (vgl BSG Urteil
vom 18.11.2014 - B 4 AS 4/14 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 19, zur Veröffentlichung auch in
BSGE vorgesehen; BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78;
BSG Urteil vom 6.8.2014 - B 4 AS 55/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 38, zur Veröffentlichung
auch in BSGE vorgesehen) und die der Beklagte bezogen auf einen Zwei-Personen-
Haushalt bewilligt hat, macht der Kläger nicht geltend. Leistungen für Mehrbedarfe sind
hingegen Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (BSG Urteil vom
2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2, RdNr 11; BSG Urteil
vom 18.2.2010 - B 4 AS 29/09 R - BSGE 105, 279 = SozR 4-1100 Art 1 Nr 7, RdNr 11; BSG
Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 9 ff) und können
daher nicht isoliert geltend gemacht werden. Zwar hat sich der Kläger für die von ihm
beanspruchten höheren Leistungen allein auf den Mehrbedarf für Alleinerziehung bezogen;
dies beinhaltet aber nur ein Begründungselement für sein Begehren auf höhere Leistungen,
das er zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgt (§ 54
Abs 1 S 1 Alt 1 SGG iVm § 54 Abs 4 SGG).
11 Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger im streitigen Zeitraum keinen
Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hat. Nach den für den
Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts erfüllte er zwar die
Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nach § 19 S 1 SGB II iVm § 7 Abs 1 S 1 SGB
II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003,
BGBl I 2954). Danach erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15.
Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und
hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland
haben. Als Regelleistung ist zutreffend ein Betrag in Höhe von 345 Euro bewilligt worden.
Ein Mehrbedarf für Alleinerziehende iS des § 21 Abs 3 SGB II ist jedoch nicht zu
berücksichtigen. Für Personen, die mit einem oder mehreren Kindern zusammenleben und
allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf in Höhe von 36 vH der nach
§ 20 Abs 2 SGB II maßgebenden Regelleistung anzuerkennen, wenn sie mit einem Kind
unter sieben Jahren zusammenleben (§ 21 Abs 3 Nr 1 Variante 1 SGB II idF des Vierten
Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Der
Mehrbedarf für Alleinerziehende ist ein über die Regelleistung hinausgehender Bestandteil
des Alg II, der unabhängig von der konkreten Höhe des Bedarfs gewährt wird, wenn bei
einem Leistungsberechtigten die besondere Bedarfssituation der Alleinerziehung vorliegt.
Das Gesetz geht insofern von besonderen Lebensumständen aus, bei denen typischerweise
ein zusätzlicher Bedarf zu bejahen ist (BSG Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R - BSGE
102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 15; BSG Urteil vom 23.8.2012 - B 4 AS 167/11 R -
RdNr 14). Diese sind hier jedoch nicht gegeben.
12 Nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende
zuständigen Senate des Bundessozialgerichts ist für die Frage, ob eine Alleinerziehung iS
des § 21 Abs 3 SGB II vorliegt, auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Eine
Alleinerziehung im gesetzlichen Sinne ist nicht erst zu bejahen, wenn eine Person das Kind
nach den tatsächlichen Gegebenheiten ausschließlich erzieht und pflegt. Vielmehr ist der
Mehrbedarf bereits dann in voller Höhe zu berücksichtigen, wenn der leistungsberechtigte
Elternteil während der Betreuungszeit von dem anderen Elternteil, Partner oder einer
anderen Person nicht in einem Umfang unterstützt wird, der es rechtfertigt, von einer
nachhaltigen Entlastung auszugehen (BSG Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R - BSGE
102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5; BSG Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104,
48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2; BSG Urteil vom 23.8.2012 - B 4 AS 167/11 R - RdNr 15).
Darüber hinaus hat das BSG bereits entschieden, dass eine Alleinerziehung iS des § 21 Abs
3 SGB II ebenfalls vorliegen kann, wenn sich geschiedene und getrennt wohnende Eltern
bei der Pflege und Erziehung des gemeinsamen Kindes in größeren, mindestens eine
Woche umfassenden Intervallen abwechseln und sich die anfallenden Kosten in etwa hälftig
teilen (Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R - BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5,
RdNr 16; BSG Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 ff = SozR 4-1500 § 71
Nr 2, RdNr 16). In dieser Konstellation ist es weder angemessen, Berechtigten den
Mehrbedarf wegen Alleinerziehung gänzlich zu versagen noch erscheint es sachgerecht,
ihnen den vollen Mehrbedarf zuzubilligen. Der erkennende Senat hat deshalb für diese
Gestaltung der hälftigen Aufteilung der Pflege und Erziehung die Rechtsfolgen des § 21 Abs
3 SGB II teleologisch reduziert und den Mehrbedarf auf die Hälfte der ausdrücklich
geregelten Leistung begrenzt (Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R - BSGE 102, 290 =
SozR 4-4200 § 21 Nr 5). Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163
SGG) war bereits in zeitlicher Hinsicht eine Konstellation der hälftigen Pflege und Erziehung
im streitigen Zeitraum vom 1.11.2005 bis 30.4.2006 nicht gegeben. Die Tochter des Klägers
hat sich an 56 Tagen des Bewilligungszeitraums bei ihm aufgehalten. Sie wurde somit nicht
- wie von der Revision vorgebracht - zu 40 % des Leistungszeitraumes, sondern zu rund 30
% des Leistungszeitraums vom Kläger betreut. Dabei betrug die längste
zusammenhängende Betreuungszeit im Leistungszeitraum einmalig 21 Tage (im
Zusammenhang mit den Weihnachtsfeiertagen und dem Jahreswechsel) und ging im
Übrigen über 14 Tage (29.1. bis 11.2. und 9.4. bis 22.4.2006) nicht hinaus.
13 Entgegen der Ansicht der Revision können die vom Senat entwickelten Grundsätze zur
hälftigen Zuerkennung des Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung nicht auf andere
Gestaltungen, bei denen tatsächlich ein abweichender Anteil der Pflege- und
Erziehungsaufgaben praktiziert wird, übertragen werden. Übernimmt ein Elternteil in
geringerem als annähernd hälftigem zeitlichen Umfang diese Betreuung des gemeinsamen
Kindes, so steht die Mehrbedarfsleistung allein dem anderen Elternteil zu (BSG Urteil vom
3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R - BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 16, 22; vgl auch
BSG Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2, RdNr
16). Der Revision ist nicht darin zu folgen, dass zumindest ein anteiliger Mehrbedarf auch
dann zu erbringen ist, wenn die Pflege und Erziehung eines minderjährigen Kindes durch
den umgangsberechtigten Leistungsempfänger - wie in dem hier streitigen
Bewilligungszeitraum - weniger als hälftig, aber in längeren zeitlichen Abschnitten
wahrgenommen wird. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 21 Abs 3 SGB II, der
Gesetzessystematik sowie dem Sinn und Zweck der Mehrbedarfsleistung für
Alleinerziehende.
14 Mit dem pauschalierten Mehrbedarf für Alleinerziehende sollen - in gleicher Weise wie bei
weiteren von § 21 SGB II erfassten Bedarfslagen (bei werdenden Müttern, erwerbsfähigen
behinderten Leistungsberechtigten) - typisierend besondere Bedarfe für eine bestimmte
Gruppe von Leistungsberechtigten abgedeckt werden. Dabei verknüpft der Gesetzgeber den
Anspruch auf einen Mehrbedarf für Alleinerziehende bereits nach dem Wortlaut der Norm mit
einer besonderen Familienkonstellation ("allein für deren Pflege und Erziehung sorgen") und
verbindet damit zugleich regelhaft die Annahme, dass das Schwergewicht der Betreuung
und Erziehung nur bei einem Elternteil liegt. Bereits hieraus folgt, dass diese
Mehrbedarfsleistung nicht zwischen einem "Hauptverantwortlichen" für die Pflege und
Erziehung und dem anderen Elternteil mit einem geringeren Anteil an Pflege- und
Erziehungsleistungen aufzuteilen ist. Eine gleichgewichtige Verteilung der Pflege und
Erziehung, die ggf eine Zuerkennung des hälftigen Mehrbedarfs rechtfertigen kann, ist nur
bei einem sogenannten "Wechselmodell" anzunehmen. Ein solches liegt vor, wenn die
Hauptverantwortung und das deutliche Schwergewicht der Betreuungsleistung nicht mehr
bei einem Elternteil liegt, sondern die Eltern sich in der Betreuung des Kindes abwechseln,
sodass jeder von ihnen etwa die Hälfte der Versorgungs- und Erziehungsaufgabe
wahrnimmt (BGH Urteil vom 5.11.2014 - XII ZB 599/13 - NJW 2015, 331 ff, 333 zur
Betreuungs- und Barunterhaltspflicht beim Wechselmodell). Dabei kommt der zeitlichen
Komponente in etwa gleich langer zeitlicher Betreuungsphasen eine wesentliche
Indizwirkung zu (so zum Familienrecht auch BGH Beschluss vom 12.3.2014 - XII ZB 234/13 -
FamRZ 2014, 917 ff).
15 Auch die Erbringung der Mehrbedarfsleistung in Form einer Pauschale spricht gegen die
Aufteilung nach Betreuungsanteilen. Es ist wesentliches Merkmal des Mehrbedarfs für
Alleinerziehende, dass der Gesetzgeber - pauschalierend für die "typische Situation" von
Alleinerziehenden - besondere, die Sicherung des Existenzminimums betreffende Bedarfe in
einer bestimmten Höhe bei diesen Haushalten annimmt. Insofern wird bei dieser
Pauschalierung der Sache nach auch einbezogen, dass besondere Bedarfe von in
Familienhaushalten lebenden Erwachsenen durch die Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe, die der Bemessung der Regelleistungen zugrunde liegt, bisher nicht
erhoben werden konnten (BVerfG Beschluss vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua - NJW 2014,
3425 ff, 3430 zur künftig erforderlichen Prüfung des Gesetzgebers, ob der Gesamtbedarf in
Familienhaushalten auch tatsächlich gedeckt ist; Lenze in: LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 4
RBEG RdNr 3; vgl hierzu auch Urteil des Senats vom 28.3.2013 - B 4 AS 12/12 R - SozR 4-
4200 § 20 Nr 18 RdNr 26 ff). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber bei der Bestimmung der
Leistungshöhe durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des
Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453) Haushalte von
Alleinerziehenden bei der Ermittlung der Regelbedarfe von Kindern ausgeklammert, weil
diese Haushalte "im Vergleich zu Paaren ein vergleichsweise niedriges Einkommens- und
Konsumniveau" hätten (BT-Drucks 17/3404 S 65; vgl auch Bericht über die
Weiterentwicklung der für die Ermittlung von Regelbedarfen anzuwendenden Methodik -
Unterrichtung durch die Bundesregierung vom 26.6.2013 - BT-Drucks 17/14282 S 32). Vor
dem Hintergrund dieser auch wirtschaftlich begründeten pauschalierten
Leistungsgewährung kommt - anders als bei den konkret ermittelten Regelbedarfen für
Kinder - eine "Aufsplittung" des Mehrbedarfs nach Tagen der Anwesenheit des Kindes in
dem Haushalt des jeweiligen Elternteils nicht in Betracht. Hiermit wäre ferner zugleich eine
nur anteilige Berücksichtigung des Mehrbedarfs für Alleinerziehende bei dem die
Hauptverantwortung für das Kind tragenden Elternteil verbunden. Diesem Elternteil
verbleiben jedoch auch während der Abwesenheit des Kindes zahlreiche Aufgaben,
Belastungen und Kosten, die damit zusammenhängen, dass das Kind seinen
Lebensmittelpunkt dort hat (vgl zum Gesichtspunkt der Kostentragung bei der Gestaltung
einer hälftigen Aufteilung der Pflege und Erziehung bereits Urteil des Senats vom 3.3.2009 -
B 4 AS 50/07 R - BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5 RdNr 16).
16 Dieses Ergebnis wird durch die Betrachtung der Gesetzesentwicklung bestätigt. Unter
Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation der Alleinerziehenden hat der Gesetzgeber
die Regelung zum Mehrbedarf für Alleinerziehende inhaltlich unverändert vom BSHG in das
SGB II übernommen und hierbei auf die bisherigen Regelungen im BSHG Bezug genommen
(BT-Drucks 15/1514 S 60; BT-Drucks 15/1516 S 57). Die besonderen Lebensumstände sind
schon unter Geltung des BSHG, wenn auch nur exemplarisch ("vor allem") darin gesehen
worden, dass Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre Kinder typischerweise weniger Zeit
hätten, preisbewusst einzukaufen und zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege
sowie zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssten bzw externen Rat in
Betreuungs-, Gesundheits- und Erziehungsfragen benötigten (vgl den Gesetzentwurf des
Bundesrates vom 26.3.1985 ). Auch im SGB II soll der besondere
Aufwand von Alleinerziehenden für die Pflege und Erziehung der Kinder, etwa wegen
geringerer Beweglichkeit und zusätzlicher Aufwendungen für die Kontaktpflege oder
Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter, durch den Mehrbedarf ausgeglichen werden
(BSG Urteil vom 23.8.2012 - B 4 AS 167/11 R - RdNr 14 ff; BSG Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS
50/07 R - BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 8). Darüber hinaus war
beabsichtigt, ebenfalls die Situation des Kindes in der besonderen Konstellation der
Alleinerziehung zu verbessern. Denn dessen Lebensbedingungen werden entscheidend
durch die finanzielle Situation des Elternteils, bei dem es hauptsächlich lebt, geprägt (vgl zur
Aufteilung des Kindergeldes auf den barunterhaltspflichtigen und den betreuenden Elternteil
sowie zur wirtschaftlichen Situation Alleinerziehender auch BVerfG vom 9.4.2003 - 1 BvL
1/01, 1 BvR 1749/01 - BVerfGE 108, 52 ff, 80). Dies berücksichtigend ist die Leistungshöhe
des Mehrbedarfs für Alleinerziehende mit dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom
27.7.1992 (BGBl I 1398) im Zusammenhang mit den Neuregelungen zum Schutz des
vorgeburtlichen Lebens deutlich erhöht worden, um zu gewährleisten, dass
"sozialhilfeberechtigte Familien mit Kindern ein höheres Haushaltseinkommen erhalten, das
sie für die Bildung, Erziehung und Betreuung ihrer Kinder verwenden können" (BT-Drucks
12/2605, S 21).
17 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese auch sozialpolitisch motivierte Zuordnung des
Mehrbedarfs für Alleinerziehende an den oder die für die Pflege und Erziehung
Hauptverantwortlichen bestehen nicht (vgl zu den Grenzen sozialpolitischer
Gestaltungsfreiheit BSG Urteil vom 23.8.2012 - B 4 AS 167/11 R - RdNr 16).
18 Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger aus sonstigen Gründen von den
Regelbedarfen einschließlich der Mehrbedarfe nicht erfasste, weitere Bedarfe hat, die eine
entsprechende atypische Bedarfslage begründen könnten. Mit seinem Vorbringen, es fielen
Kosten für die Ernährung der Tochter, für gemeinsame Freizeitveranstaltungen, für die
vermehrte Nutzung der Waschmaschine, für erhöhten Strom- und Wasserverbrauch und
Haushaltskosten einschließlich Geschirrschäden sowie für den Erwerb von Kleidung an,
macht er nur Ausgaben geltend, die unabhängig von der Anzahl der Betreuungspersonen
entstehen und bereits durch das vom Beklagten anteilig anerkannte Sozialgeld für die
Tochter bzw die tatsächliche Übernahme der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für
zwei Personen abgegolten sind (vgl auch zur notwendigen Konkretisierung eines
Härtemehrbedarfsanspruchs BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 29/09 R - BSGE 105, 279 -
SozR 4-1100 Art 1 Nr 7, RdNr 32).
19 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 SGG.