Urteil des BSG vom 18.12.2012

BSG: Krankenversicherung, Krankenhaus, planbar iS der gesetzlichen Mindestmengenregelung, Festsetzung der Mindestmenge in Perinatalzentren der obersten Kategorie

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 18.12.2012, B 1 KR 34/12 R
Krankenversicherung - Krankenhaus - planbar iS der gesetzlichen Mindestmengenregelung -
Festsetzung der Mindestmenge in Perinatalzentren der obersten Kategorie
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom
21. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für alle Rechtszüge wird auf 2 500 000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
1 Die klagende Krankenhausträgerin und der beklagte Gemeinsame Bundesausschuss
(GBA) streiten über die Erhöhung der Mindestmenge jährlich in Perinatalzentren der
obersten Kategorie zu behandelnder sehr geringgewichtiger Früh- und Neugeborener von
14 auf 30 ab 1.1.2011.
2 Der Gesetzgeber übertrug 2004 dem Beklagten die Kompetenz, für zugelassene
Krankenhäuser einen Katalog planbarer Leistungen zu beschließen, bei denen die Qualität
des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten
Leistungen abhängig ist, sowie Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder
Krankenhaus und Ausnahmetatbestände (§ 137 SGB V idF durch das Gesetz zur
Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz
vom 14.11.2003, BGBl I 2190; geändert durch Art 1 Nr 110 Gesetz zur Stärkung des
Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz
vom 26.3.2007, BGBl I 378; zuvor abweichende Zuständigkeit, vgl § 137 SGB
V idF durch Art 1 Nr 5 Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten
Fallpauschalensystems für Krankenhäuser vom 23.4.2002, BGBl I 1412 mit Wirkung
vom 30.4.2002). Die Spitzenverbände der Krankenkassen (KKn) beantragten deshalb
(7.5.2004), eine Mindestmenge von 40 Geburten für die Behandlung von Neugeborenen mit
sehr niedrigem Geburtsgewicht festzusetzen (<1500 g; very-low-birth-weight infants, im
Folgenden: VLBW-Geburten). Sehr geringgewichtige Früh- und Neugeborene sind
besonders gefährdet und bedürfen intensiver Behandlung, um gesund zu überleben. Der
Beklagte nahm sehr geringgewichtige Früh- und Neugeborene zunächst nicht in die
Mindestmengenvereinbarung (MMV) auf (vgl ua MMV vom 20.12.2005, geändert mit
Beschluss vom 21.3.2006, BAnz Nr 143 S 5389 vom 2.8.2006; seit 1.1.2012: "Regelungen
des" GBA "gemäß § 137 Abs 3 Satz 1 N 2 SGB V für nach § 108 SGB V zugelassene
Krankenhäuser" , Beschluss vom 24.11.2011, BAnz
Nr 192 vom 21.12.2011 S 4509). Er beschloss lediglich die "Vereinbarung über
Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen"
( vom 20.9.2005, BAnz Nr 143 vom 28.10.2005 S 15684). Sie regelt
ua ein vierstufiges Versorgungskonzept. Danach versorgen Perinatalzentren der obersten
Kategorie - Level 1 - Früh- und Neugeborene mit einem Gewicht <1250 g und/oder <29+0
Schwangerschaftswoche (SSW; im Folgenden: Level-1-Geburten), Perinatalzentren Level 2
Frühgeborene mit einem Gewicht von 1250 - 1499 g und/oder 29+0 bis 32+0 SSW (im
Folgenden: Level-2-Geburten), Perinatale Schwerpunkte Kinder mit einem Geburtsgewicht
von mindestens 1500 g bei absehbarer postnataler Therapie und Geburtskliniken reife
Neugeborene ohne bestehendes Risiko. Das hiermit beauftragte Institut für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) kam in einem Literaturevidenzbericht zum
Ergebnis, es gebe Hinweise auf einen statistischen Zusammenhang, der sich bei
steigender Leistungsmenge als Trend zur Risikoreduktion darstelle (14.8.2008). Der
Beklagte legte daraufhin fest, dass bei Perinatalzentren Level 1 das Zeitintervall zwischen
den Aufnahmen von Level-1-Geburten in den letzten zwölf Monaten durchschnittlich
weniger als 30 Tage zu betragen habe (Änderung der NICU-Vereinbarung, Beschluss vom
18.12.2008, BAnz Nr 65 vom 30.4.2009 S 1574). Der Beklagte ersetzte ab 1.1.2010 die
Zeitintervallregelung durch eine Mindestmengenregelung (Änderung der NICU-
Vereinbarung und der MMV, Beschluss vom 20.8.2009, BAnz Nr 195 vom 24.12.2009 S
4450). Er bestimmte für Perinatalzentren Level 1 und 2 jeweils Mindestmengen von 14
Geburten. Der Beklagte erhöhte mit Wirkung zum 1.1.2011 die Mindestmenge der Level-1-
Geburten auf 30 und hob die Mindestmengenregelung für Perinatalzentren Level 2
ersatzlos auf (hier in seinem ersten Teil streitiger, insoweit vorläufig außer Vollzug gesetzter
Beschluss vom 17.6.2010, BAnz Nr 123 vom 18.8.2010 S 2840).
3 Das nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhaus der Klägerin verfügt über eine
neonatologische Intensivstation. Dort behandelt es Level-1-Geburten (2006: 8; 2007: 14;
2008: 13; 2009: 16; 2010: 16; 2011: 12; bis einschließlich 11/2012: 19). Das LSG hat auf die
unmittelbar gegen die Erhöhung der Mindestmenge auf 30 Level-1-Geburten gerichtete
Klage festgestellt, diese Regelung sei nichtig: Es gebe keine durch kontrollierte Studien
gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass die Qualität des
Behandlungsergebnisses in Form der Reduzierung der Mortalität in besonderem Maße von
der Menge der erbrachten Leistungen von Level-1-Geburten abhänge. Eine besondere
Kausalität könne dem IQWiG-Bericht nicht entnommen werden. Er beschreibe lediglich eine
statistische Assoziation zwischen Ergebnisqualität und Menge (Urteil vom 21.12.2011).
4 Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung des Art 19 Abs 4 GG, des § 55 SGG
und des § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V. Die Klage sei schon unzulässig, weil anderweitiger
Rechtsschutz im Rahmen von Entscheidungen nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz
(KHG) und nach § 109 Abs 1 S 5 SGB V zumutbar sei. Die Klage sei auch unbegründet.
Die angegriffene Mindestmengenregelung sei als Maßnahme der vorsorglichen
Risikominimierung durch § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V gedeckt.
5 Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. Dezember 2011
aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. Dezember 2011
aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht
zurückzuverweisen.
6 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
8 Die zulässige Revision des beklagten GBA ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Der
erkennende, für Angelegenheiten der Krankenversicherung zuständige Senat ist zur
Entscheidung in der Sache berufen, die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt (dazu 1.).
Das LSG hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die Erhöhung der Mindestmenge für
Perinatalzentren der obersten Kategorie (Level 1) mit Wirkung vom 1.1.2011 von 14 auf 30
Fälle pro Jahr und Einrichtung nichtig ist (dazu 2. - 7.).
9 1. a) Der erkennende 1. Senat des BSG ist geschäftsplanmäßig zuständig, den
Rechtsstreit zu entscheiden. Die Sache betrifft eine Angelegenheit der Sozialversicherung
(§ 10 Abs 1, § 12 Abs 2 S 1, § 31 Abs 1 S 1, § 40 S 1 SGG), nämlich der
Krankenversicherung, und nicht eine solche des Vertragsarztrechts (§ 10 Abs 2, § 12 Abs
2, § 31 Abs 2, § 40 S 2 SGG). Entgegen der Auffassung des LSG erfasst § 10 Abs 1 SGG
auch Klagen, die sich unmittelbar gegen Entscheidungen des Beklagten richten, wenn sie
die Regelung von Mindestmengen nach § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V betreffen. Der
Gesetzgeber hat die hier einschlägige Gruppe der Klagen gegen Entscheidungen und
Richtlinien (RL) des GBA lediglich in den Ausnahmefällen dem Vertragsarztrecht
zugeordnet, in denen diese ausschließlich die vertragsärztliche Versorgung betreffen,
nicht aber zumindest auch die stationäre Versorgung (vgl § 10 Abs 2 S 2 Nr 1 SGG idF
durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer
Gesetze vom 22.12.2011, BGBl I 3057, und hierzu BT-Drucks 17/6764 S 26, entsprechend
der bereits zuvor vertretenen Rechtsauffassung des erkennenden 1. und des 3. Senats,
BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 12; BSG SozR 4-1500 § 10 Nr 3 RdNr 9 f,
abweichend von der damaligen Rechtsauffassung des 6. Senats, vgl BSGE 103, 106 =
SozR 4-2500 § 94 Nr 2, RdNr 19 ff; BSGE 105, 243 = SozR 4-2500 § 116b Nr 2, RdNr 15
ff; zur inzwischen übereinstimmenden Auslegung vgl zusammenfassender Standpunkt des
1., 3. und 6. Senats des BSG zu § 10 Abs 2 SGG unter B.II.1. Buchst b Nr 3, abgedruckt in
SGb 2012, 495 ff).
10 b) Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden
Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Die unmittelbar gegen die Erhöhung der
Mindestmenge (Beschluss des Beklagten vom 17.6.2010, BAnz Nr 123 vom 18.8.2010 S
2840) erhobene Normenfeststellungsklage ist statthaft (dazu aa) und auch im Übrigen
zulässig (dazu bb).
11 aa) Die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG gebietet es, die Feststellungsklage
gegen untergesetzliche Rechtsnormen als statthaft zuzulassen, wenn die Normbetroffenen
ansonsten keinen effektiven Rechtsschutz erreichen können, etwa weil ihnen nicht
zuzumuten ist, Vollzugsakte zur Umsetzung der untergesetzlichen Norm abzuwarten oder
die Wirkung der Norm ohne anfechtbare Vollzugsakte eintritt (stRspr zur Überprüfung von
Rechtsnormen des Beklagten und des Bundesausschusses der Ärzte und KKn: vgl BSGE
96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 27; BSG SozR 4-2500 § 132a Nr 3 RdNr 14;
BSGE 105, 243 = SozR 4-2500 § 116b Nr 2, RdNr 22; BVerfGE 115, 81, 92 f und S 95 f =
SozR 4-1500 § 55 Nr 3 RdNr 42 und 49 ff; vgl dazu BSGE 110, 20 = SozR 4-2500 § 92 Nr
13, RdNr 20 f).
12 Die Mindestmengenbestimmungen des Beklagten sind untergesetzliche Rechtsnormen im
genannten Sinne. Der Beklagte regelt hierdurch nach abstrakt-generellem Maßstab,
welche zugelassenen Krankenhäuser gegenüber den KKn welche planbaren Leistungen
erbringen dürfen. Denn der Beklagte bestimmt für zugelassene Krankenhäuser
grundsätzlich einheitlich für alle Patienten einen Katalog planbarer Leistungen nach den
§§ 17 und 17b KHG, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses in besonderem
Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist sowie Mindestmengen für
die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Krankenhaus und Ausnahmetatbestände (§ 137
Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V).
13 Die Regelungen über die planbaren Leistungen und die ihnen zugeordneten
Mindestmengen sind auch außenwirksam. Sie ergehen als Beschluss (§ 137 Abs 3 S 1 Nr
2 SGB V idF durch Art 3 Nr 7a Buchst b Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der
Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 - Krankenhausfinanzierungsreformgesetz -
vom 17.3.2009, BGBl I 534). Die Beschlüsse des Beklagten sind für seine
Träger, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die
Leistungserbringer verbindlich (vgl § 91 Abs 6 SGB V idF durch Art 2 Nr 14 GKV-WSG
vom 26.3.2007, BGBl I 378 mit Wirkung vom 1.7.2008; zur Anwendbarkeit vgl Roters,
KasselerKomm, Stand 1.10.2012, § 137 SGB V RdNr 27; vgl dementsprechend zur
Rechtsnormqualität der RL des Beklagten als untergesetzliche Rechtsnormen zB BSGE
105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 33; BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5,
RdNr 21; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 32; vgl auch Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum Entwurf eines GKV-WSG - BT-Drucks 16/3100 S
180 zu Nr 14 <§ 91 SGB V> Abs 6).
14 § 137 Abs 3 S 6 SGB V (idF durch Art 1 Nr 110 GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378; bis
30.6.2008: § 137 Abs 2 S 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 54 GKV-Gesundheitsreformgesetz
2000, BGBl I 1999, 2626) schließt die umfassende Bindungswirkung iS von § 91 Abs 6
SGB V nicht aus, indem er die unmittelbare Verbindlichkeit der
Mindestmengenbeschlüsse des Beklagten ausdrücklich nur für Krankenhäuser anordnet.
Die Regelung galt - mit dem Ziel umfassender Bindungswirkung der genannten
Beschlüsse - in der Sache bereits vor Einführung der allgemeinen Vorschrift über die
Verbindlichkeit von Beschlüssen des Beklagten in das SGB V (vgl bis 30.6.2008 § 91 Abs
9 SGB V idF durch Art 1 Nr 70 GMG vom 14.11.2003, BGBl I 2190, anknüpfend an bereits
zuvor ergangene Rechtsprechung des BSG, zB BSGE 78, 70, 75 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6
S 30; BSGE 81, 73, 81 ff = SozR 3-2500 § 92 Nr 7 S 56 ff; BSGE 85, 36, 44 f = SozR 3-
2500 § 27 Nr 11 S 45; BSGE 87, 105, 110 = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 7). Der
Gesetzgeber sah lediglich von einer redaktionellen Klarstellung des § 137 Abs 3 S 6 SGB
V ab.
15 bb) Die Klägerin ist klagebefugt für die begehrte Feststellung, dass die Erhöhung der
Mindestmenge auf 30 Level-1-Geburten nichtig ist (§ 55 Abs 1 Halbs 1 Nr 1 iVm § 54 Abs
1 S 2 SGG; dazu (1)). Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an dieser baldigen
Feststellung (§ 55 Abs 1 Halbs 2 SGG; dazu (2)).
16 (1) Zur Vermeidung einer Popularklage ist auch bei der Feststellungsklage der
Rechtsgedanke des § 54 Abs 1 S 2 SGG heranzuziehen, nach dem bei einer zulässigen
Rechtsverfolgung "eigene" Rechte betroffen sein müssen (vgl BSGE 105, 1 = SozR 4-
2500 § 125 Nr 5, RdNr 14 mwN; siehe auch BSGE 105, 243 = SozR 4-2500 § 116b Nr 2,
RdNr 25). Hierfür genügt es, dass eine Rechtsverletzung der Klägerin möglich ist (vgl
BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 14 mwN). Die Klägerin ist in diesem Sinne
klagebefugt, weil nicht ausgeschlossen ist, dass die Mindestmengenregelung eigene
Rechte der Klägerin verletzt. Die begehrte Feststellung ist auf ein Rechtsverhältnis
gerichtet (§ 55 Abs 1 Halbs 1 Nr 1 SGG), in dem die Klägerin eigene, grundrechtlich (Art 3
Abs 1, Art 12 Abs 1 GG) und einfachrechtlich (§ 108 iVm § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V)
geschützte Belange geltend machen kann. Die Klägerin kann als nach § 108 SGB V
zugelassenes Krankenhaus durch die Erhöhung der Mindestmenge beschwert sein. Die
Prognose ist aufgrund ihrer bislang erbrachten Leistungen negativ, dass sie
voraussichtlich die Mindestmenge von 30 Level-1-Geburten erreichen bzw überschreiten
wird. Nach § 137 Abs 3 S 2 SGB V darf sie dann - unabweisbare Notfälle ausgenommen -
weder zulasten der KKn noch gegenüber sonstigen Kostenträgern und Selbstzahlern bei
Level-1-Geburten Leistungen erbringen (vgl zum Grund für die Anknüpfung an den
"Patienten" die Begründung zu Art 1 Nr 5 Buchst a im Entwurf eines Gesetzes zur
Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser, BT-
Drucks 14/6893 S 30, und die Begründung zu Art 3 Nr 7a der Beschlussempfehlung zum
Entwurf eines Gesetzes zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung
ab dem Jahr 2009, BT-Drucks 16/11429 S 47).
17 Die Beschwer entfällt auch nicht deswegen, weil der Beklagte die Erhöhung der
Mindestmenge bis zu einer weiteren Entscheidung außer Vollzug gesetzt hat. Insoweit
handelt es sich nur um eine vorläufige Außervollzugsetzung, weil der Beklagte sich
zugleich vorbehalten hat, nach der Entscheidung des BSG erneut zu entscheiden, ob und
in welcher Höhe eine Mindestmenge festgelegt bleibt. Hieraus erwächst der Klägerin
weder eine gesicherte Rechtsposition noch ist damit geklärt, ob der Beklagte eine höhere
Mindestmenge als 14 Level-1-Geburten festsetzen darf.
18 Auch sind ansonsten keine Gründe ersichtlich, die das Feststellungsinteresse der Klägerin
entfallen lassen. Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem
Feststellungsinteresse nicht entgegen, dass das LSG offengelassen hat, dass die Klägerin
die Voraussetzungen der Anlage 1 der NICU-Vereinbarung (idF des Beschlusses vom
20.8.2009 BAnz Nr 195 vom 24.12.2009 S 4450) erfüllt. Insoweit genügt es, dass die
Klägerin tatsächlich Level-1-Geburten versorgt, die KKn bislang die Leistungen vergüten
und es jedenfalls nicht ausgeschlossen ist, dass die Klägerin die
Qualitätssicherungsanforderungen erfüllt. Die Klägerin ist schließlich auch nicht aufgrund
eines Bescheides der zuständigen Landesbehörde nach § 137 Abs 3 S 3 SGB V zur
Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung berechtigt, trotz
(voraussichtlichen) Nichterreichens der Mindestmenge gleichwohl Level-1-Geburten zu
behandeln.
19 (2) Die Klägerin kann - entgegen der Auffassung des Beklagten - nur durch eine Klage auf
Feststellung der Nichtigkeit der Erhöhung der Mindestmenge effektiven Rechtsschutz
erlangen. Hieraus erwächst ihr berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung. Die
Erhöhung der Mindestmenge auf der Grundlage des § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V, die
grundsätzlich einheitlich für alle Patienten gilt (vgl dazu BT-Drucks 14/6893 S 30 und BT-
Drucks 16/11429 S 47), ist für die Klägerin nach § 137 Abs 3 S 6 SGB V in der oben
dargelegten Weise "unmittelbar verbindlich". Das normativ angeordnete Verbot, bei Level-
1-Geburten keine Leistungen zu erbringen (§ 137 Abs 3 S 1 Nr 2, S 2 und S 6 SGB V iVm
dem Erhöhungsbeschluss), bedarf keines Vollzugsaktes. Dies folgt schon aus der klaren
Binnensystematik des § 137 Abs 3 SGB V. Einem Krankenhaus kann aber nicht
zugemutet werden, vorzuleisten und erst im Rahmen eines Abrechnungsstreits die
Nichtigkeit der erhöhten Mindestmengenregelung einzuwenden. Dies gilt namentlich bei
einem Krankenhaus, das - wie hier der Klägerin - deutlich unterhalb der Mindestmenge
von 30 Level-1-Geburten liegt.
20 2. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht die Nichtigkeit der Erhöhung der Mindestmenge
festgestellt. Die Rechtmäßigkeit der Heraufsetzung der jährlichen Mindestmenge für Level-
1-Geburten von 14 auf 30 Behandlungsfälle je Krankenhaus mit ausgewiesenem Level 1
ist nicht isoliert, sondern - als deren untrennbarer Teil - zusammen mit der vollständigen
Mindestmengenregelung für Level-1-Geburten zwecks Vermeidung einer unzulässigen
Elementenfeststellungsklage zu überprüfen (zu den Grenzen vgl BSGE 105, 1 = SozR 4-
2500 § 125 Nr 5, RdNr 35 f; zutreffend deshalb das Vorgehen des LSG). Der Prüfmaßstab
des Gerichts hat der Funktion des Beklagten als untergesetzlicher Normgeber Rechnung
zu tragen (dazu 3.). Der Beklagte entschied formal korrekt über die streitige
Mindestmengenregelung (dazu 4.). Er machte rechtmäßig zunächst 14 Level-1-Geburten
pro Krankenhauseinheit und nicht pro Arzt zum Gegenstand des
mindestmengenabhängigen Katalogtatbestands (dazu 5.). Dies verletzt die Klägerin nicht
in ihren Grundrechten (dazu 6.). Hingegen ist die Heraufsetzung der jährlichen
Mindestmenge für Level-1-Geburten auf 30 Behandlungsfälle nichtig, weil der Beklagte
seinen Gestaltungsspielraum überschritt. Denn die Studienlage rechtfertigt nicht
uneingeschränkt die Einschätzung, dass die Güte der Versorgung Frühgeborener durch
eine Erhöhung der Mindestmenge in relevanter Weise zusätzlich gefördert werden kann
(dazu 7.).
21 3. Die Rechtmäßigkeit der Erhöhung der Mindestmenge ist unter Berücksichtigung der
Funktion des Beklagten als Normgeber an der Mindestmengenregelung des § 137 Abs 3
S 1 Nr 2 SGB V iVm mit dem vorgreiflichen, rechtmäßig gesetzten untergesetzlichen Recht
zu messen. Die im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden Beschlüsse
des Beklagten sind hierbei gerichtlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der
Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa
einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte (BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12,
RdNr 14 - LITT; BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 26; Schlegel, MedR 2008,
30, 32; Hauck, NZS 2010, 600, 611 f). § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V gibt dem Beklagten ein
rechtlich voll überprüfbares Programm vor: In tatsächlicher Hinsicht ist die Ermittlung
planbarer Leistungen, die Feststellung, dass die Qualität des Behandlungsergebnisses
einer planbaren Leistung in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen
abhängig ist und die konkrete Eignung von festgesetzten Mindestmengen zur
Verbesserung der Qualität der Behandlungsergebnisse sowie in rechtlicher Hinsicht die
zutreffende Erfassung der Tatbestandsmerkmale durch den Beklagten vom Gericht
uneingeschränkt zu überprüfen. Der Gesetzgeber belässt dem Beklagten bei der
Auslegung dieser Regelungselemente des § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V keinen
Gestaltungsspielraum. Das gilt auch für die Vollständigkeit der vom Beklagten zu
berücksichtigenden Studienlage. Erst bei Erfüllung dieser Voraussetzungen ist er befugt,
als Normgeber zu entscheiden. Soweit diese letztere Kompetenz reicht, darf allerdings die
sozialgerichtliche Kontrolle ständiger Rechtsprechung des BSG zufolge ihre eigenen
Wertungen nicht an die Stelle der vom Beklagten getroffenen Wertungen setzen. Vielmehr
beschränkt sich die gerichtliche Prüfung in diesen Segmenten darauf, ob die
Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben
nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den
Gestaltungsspielraum auszufüllen (stRspr, vgl zB BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr
4, RdNr 38; BSGE 110, 183 = SozR 4-2500 § 34 Nr 9, RdNr 25, beide mwN). Die
Entscheidungen über die Auswahl und den Zuschnitt der Leistungen für den Katalog
planbarer Leistungen sowie die genaue Festlegung der Mindestmenge innerhalb der
Bandbreite geeigneter Mengen unterliegen in diesem Sinne dem normativen
Gestaltungsspielraum des Beklagten. Der Beklagte kann dabei in einem zeitlich
gestreckten Verfahren vorgehen, um den Katalog planbarer Leistungen allmählich zu
entwickeln, um insbesondere weitere Erkenntnisse zu sammeln und zu bewerten und um
Mindestmengen je nach Erkenntnisfortschritt neu zu justieren.
22 Der Beklagte ist zur Konkretisierung des sich aus § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V
ergebenden Regelungsprogramms ermächtigt, außenwirksame Normen im Range
untergesetzlichen Rechts zu erlassen. Das BSG zieht die Verfassungsmäßigkeit dieser Art
der Rechtsetzung nicht mehr grundlegend in Zweifel (dazu und insbesondere zur
hinreichenden demokratischen Legitimation des Bundesausschusses vgl BSGE 96, 261 =
SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 57 ff mit ausführlicher Darstellung der Rspr des BVerfG;
BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 14; BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139
Nr 4, RdNr 18; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 33; Neumann, NZS 2010,
593 ff; Hauck, NZS 2010, 600 ff; aA Vießmann, Die demokratische Legitimation des
Gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach § 135 Abs 1 S 1 SGB V,
2009, S 127 ff).
23 4. Der Beklagte beachtete die formellen Voraussetzungen für den Erlass der
untergesetzlichen Normen. Wie auch das LSG nicht in Zweifel zieht, wahrte er die im
Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Betroffenenpartizipation
durch Gesetz und seine eigenen Verfahrensvorgaben ausgestalteten und abgesicherten
Beteiligungsrechte. Dieses Vorgehen stellt sicher, dass alle sachnahen Betroffenen selbst
oder durch Repräsentanten auch über eine unmittelbare Betroffenheit in eigenen Rechten
hinaus Gelegenheit zur Stellungnahme haben, wenn ihnen nicht nur marginale Bedeutung
zukommt (vgl dazu BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 34 mwN; Hauck, NZS
2010, 600, 604). Der dokumentierte Ablauf der Beratungen, die Einbeziehung des IQWiG,
die Diskussion der Auswirkungen unterschiedlicher Mindestmengen-Schwellenwerte für
die Versorgung sowie die Einholung von Stellungnahmen bei betroffenen Fachverbänden
belegen anschaulich das formal korrekte Vorgehen. Es bedurfte verfahrensrechtlich - über
das Dokumentierte und die tatsächlich erfolgte Veröffentlichung der tragenden Gründe
entsprechend § 7 Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses (VerfO idF
vom 18.12.2008, BAnz Nr 84a vom 10.6.2009 , in Kraft getreten am 1.4.2009,
geändert am 17.12.2009, BAnz Nr 38 vom 10.3.2010 S 968, in Kraft getreten am
12.2.2010) hinaus - keiner gesonderten Begründung. Für Normgeber besteht
grundsätzlich keine Begründungspflicht (stRspr, vgl zB BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72
Nr 2, RdNr 44; BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23, RdNr 29 mwN).
24 Eine Ausnahme im Sinne einer materiell-rechtlichen Begründungspflicht besteht nach der
Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5,
RdNr 82) insofern, als der Gesetzgeber darauf abzielt, durch Einbindung des IQWiG in die
Zuarbeit für den GBA den dynamischen Prozess der Fortentwicklung der medizinischen
und pflegerischen Leistungen zu sichern und die kontinuierliche Einbeziehung neuer
wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine qualitativ gesicherte Leistungserbringung zu
gewährleisten (BT-Drucks 15/1525 S 127). Das IQWiG leitet deshalb seine
Arbeitsergebnisse dem GBA als Empfehlungen zu (vgl § 139b Abs 4 S 1 SGB V). Dieser
hat die Empfehlungen im Rahmen seiner Aufgabenstellung "zu berücksichtigen", wird also
nur mit besonderer Begründung davon abweichen (vgl Hauck, NZS 2007, 461, 464).
Insbesondere hat er zu prüfen, ob das IQWiG seine Feststellungen ausgehend von einem
zutreffenden Rechtsverständnis der zugrunde gelegten Begriffe auf der Basis einer
umfassenden Einbeziehung der relevanten Studien nachvollziehbar und widerspruchsfrei
getroffen hat. Für die Umsetzung von Handlungsempfehlungen des IQWiG - hier etwa die
Durchführung einer Begleitevaluation - verbleibt ihm indes grundsätzlich sein
gesetzgeberisches Ermessen.
25 Es hielt sich auch im Rahmen des - wie aufgezeigt - grundsätzlich zulässigen
schrittweisen Vorgehens, dass der Beklagte zunächst die "NICU-Vereinbarung" ohne
Mindestmengen beschloss (20.9.2005) und später - nach Einführung einer
"Regelmäßigkeitszahl" (vgl II.3 Buchst k des Beschlusses über eine Änderung der NICU-
Vereinbarung vom 18.12.2008, BAnz Nr 65 vom 30.4.2009 S 1574, in Kraft getreten am
1.4.2009) - diese durch eine Mindestmenge ersetzte (vgl II. des Beschlusses zur
Versorgung von Früh- und Neugeborenen vom 20.8.2009, BAnz Nr 195 vom 24.12.2009 S
4450).
26 Unerheblich ist schließlich, dass in der streitigen Mindestmengenregelung keine Angabe
von OPS-Ziffern enthalten ist. Denn die Regelung ist einerseits inhaltlich klar. Der OPS-
Katalog umfasst andererseits keine spezifischen, eindeutigen Ziffern für diese
Behandlung. Für eine Verletzung formeller Voraussetzungen (vgl dazu auch § 3 MMV; zur
materiellen Reichweite s sogleich, unter 5.b), die die Nichtigkeit der zu prüfenden
Mindestmengenregelung (s - wie dargelegt - Beschluss über eine Änderung der Anlage 1
der MMV: Mindestmengen bei Früh- und Neugeborenen, vom 17.6.2010, BAnz Nr 123
vom 18.8.2010 S 2840, und Beschluss vom 20.8.2009, BAnz Nr 195 vom 24.12.2009 S
4450) begründen könnte, ist insgesamt nichts ersichtlich.
27 5. Der Beklagte machte rechtmäßig zunächst 14 Level-1-Geburten pro
Krankenhauseinheit und nicht pro Arzt zum Gegenstand des mindestmengenabhängigen
Katalogtatbestands. Er bejahte ausgehend von einem zutreffenden Verständnis der
gesetzlichen Vorgaben einer planbaren Leistung (dazu a), deren Ergebnisqualität in
besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist (dazu b),
rechtmäßig für die Gruppe der Level-1-Geburten die tatbestandlichen Voraussetzungen
des § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V (dazu c). Der Beklagte durfte auch eine Mindestmenge
von jährlich 14 Level-1-Geburten in Krankenhäusern mit ausgewiesenem Level 1
festsetzen, ohne Ausnahmen hiervon vorzusehen (dazu d).
28 a) Eine "planbare" Krankenhausleistung iS von § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V ist eine
Leistung, welche die dafür vorgesehenen Krankenhaus-Zentren in der Regel medizinisch
sinnvoll und für die Patienten zumutbar erbringen können. Erforderlich ist, dass die
Aufnahme und Durchführung gebotener stationärer Behandlung in einem Zentrum - trotz
ggf längerer Anfahrt - unter Berücksichtigung zu überwindender räumlicher und zeitlicher
Distanzen ohne unzumutbares Risiko für die Patienten erfolgen kann. Dies folgt aus
Regelungssystem und Normzweck in Einklang mit der Entstehungsgeschichte, ohne dass
der Wortlaut entgegensteht.
29 Der Wortlaut "planbare Leistungen" lässt es zu, den Begriff im aufgezeigten Sinne im
Interesse der angestrebten Versorgungsqualität zu verstehen. Entstehungsgeschichtlich
harmoniert hiermit, dass der Gesetzgeber die Fixierung von zu erbringenden
"Mindestfallmengen" als Teil einer Vielzahl von Qualitätssicherungsinstrumenten vorsah,
um ein Gegengewicht gegen Fehlanreize eines festen Preissystems bei Einführung von
Fallpauschalen zu schaffen, etwa gegen den Anreiz der Versorgungsqualitätsminderung
in Form von medizinisch nicht indizierter "Fallvermehrung" sowie der verfrühten
Entlassung (vgl Bericht des Ausschusses für Gesundheit <14. Ausschuss> zu dem
Gesetzentwurf eines FPG, BT-Drucks 14/7862 S 3). Diese Zielrichtung gilt erst recht für
eine Tätigkeitsausdehnung der Krankenhäuser auf Felder unzureichender
Qualitätskompetenz.
30 Nach dem Regelungssystem ergänzt die Festlegung von Mindestmengen die anderen,
weiteren Maßnahmen des Gesetzgebers zur Qualitätssicherung wie verpflichtende durch
die Kliniken vorzulegende Qualitätsberichte, bundeseinheitliche Kriterien für die
Prüfdienste, sowie eine stetige Begleitforschung. Vor allem entspricht das
Auslegungsergebnis dem Normzweck, die Ergebnisqualität zu verbessern (vgl dazu
Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines FPG, BT-
Drucks 14/6893 S 31 zu Nr 5 Buchst b). Der Regelungsgehalt des Begriffs der Planbarkeit
erschließt sich insbesondere auch aus den von den Mindestmengen ausgelösten
Verteilungswirkungen. Die Einführung von Mindestmengen hat die Umverteilung von
Behandlungsfällen und in Abhängigkeit von den absoluten Fallzahlen eine damit
einhergehende Regionalisierung oder gar Zentralisierung der für die planbaren
Leistungen noch zur Verfügung stehenden Krankenhäuser zur Folge. Dies bewirkt jedoch
nur insoweit eine Verbesserung der Ergebnisqualität im stationären Bereich, als die
Patienten den Zugewinn an Qualität im stationären Bereich nicht durch Transport- und
Verlegungsrisiken wieder einbüßen. Zur Verbesserung der Ergebnisqualität ist es vor
diesem Hintergrund erforderlich, die Transport- und Zentralisierungsrisiken zu ermitteln.
Wollte man dagegen unter "planbare" "vorhersehbare" Krankenhausleistungen verstehen,
wäre der Begriff sinnentleert. Ähnlich zweckwidrig wäre es, ihn auf elektive Leistungen zu
reduzieren.
31 b) Die Qualität des Behandlungsergebnisses der planbaren Leistungen ist jedenfalls
bereits dann in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig,
wenn eine Studienlage besteht, die nach wissenschaftlichen Maßstäben einen
Zusammenhang zwischen Behandlungsmenge und -qualität wahrscheinlich macht.
Hierbei ist nicht die Struktur- oder Prozessqualität, sondern allein die Qualität des
Behandlungsergebnisses maßgeblich. Regelmäßig wird es um hochkomplexe
medizinische Leistungen gehen, bei denen die mit wissenschaftlichen Belegen
untermauerte Erwartung berechtigt ist, dass die Güte der Leistungserbringung in
besonderem Maße auch von der Erfahrung und Routine des mit der jeweiligen
Versorgung betrauten Behandlers - Krankenhauseinheit und/oder Arzt - beeinflusst ist.
32 Schon der Wortlaut des § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V verdeutlicht, dass die vom Beklagten
zu treffende Mindestmengenregelung nicht darauf ausgerichtet ist, umfassend
sektorenübergreifend für alle vertragsärztlichen und stationären Leistungen zusätzliche
Qualitätsanforderungen aufzustellen. Vielmehr fasst der Beklagte danach lediglich für
einen Teilbereich, für zugelassene Krankenhäuser - grundsätzlich einheitlich für alle
Patienten - auch Beschlüsse über einen "Katalog" planbarer Leistungen nach §§ 17 und
17b KHG. Das Gesetz schränkt diesen Teilausschnitt aus dem Gesamtbereich der
Leistungen nach §§ 17 und 17b KHG weiter spezifisch ein: Es muss um planbare
Leistungen nach den §§ 17 und 17b KHG gehen, bei denen die Qualität des
Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen
abhängig ist.
33 Der erkennende Senat vermag dem LSG allerdings nicht zu folgen, soweit es hierfür den
wissenschaftlichen Beleg einer "besonderen" Kausalität zwischen Leistungsmenge und
Ergebnisqualität fordert. Vielmehr genügt ein nach wissenschaftlichen Maßstäben
wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen Behandlungsmenge und -qualität. Dafür
spricht nicht nur der aufgezeigte Wortlaut. Auch die Entstehungsgeschichte belegt, dass
es um einen durch Studien untermauerten wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen
der Häufigkeit durchgeführter Leistungen und der Qualität des Behandlungsergebnisses
geht (vgl dazu Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines
FPG, BT-Drucks 14/6893 S 31 zu Nr 5 Buchst b). Die in den Gesetzesmaterialien
angesprochenen "Studien" sind in aller Regel nicht im naturwissenschaftlichen Sinne für
einen Kausalzusammenhang zwischen Behandlungsmenge und -qualität voll beweisend,
sondern darauf hinweisend. Andernfalls könnte die Regelung kaum ihren Zweck erfüllen,
der "herausgehobene(n) Bedeutung" einer "gute(n) Ergebnisqualität" Rechnung zu tragen,
wie es im Rahmen der "bisher eingeführten Qualitätssicherungsmaßnahmen" … "noch zu
wenig" erfolgte (vgl ebenda, BT-Drucks 14/6893 S 31 zu Nr 5 Buchst b). Hierfür genügt
nicht schon die landläufige Erfahrung, dass routinierte Praxis im Allgemeinen eine
bessere Ergebnisqualität sichert als deren Fehlen.
34 Das Auslegungsergebnis entspricht auch dem Regelungssystem. Die in § 137 Abs 3 S 1
Nr 2 SGB V angesprochenen "Leistungen nach den §§ 17 und 17b KHG" müssen nach
der Rechtsprechung des erkennenden Senats grundsätzlich bereits dem Qualitätsgebot (§
2 Abs 1 S 3 SGB V) genügen, um überhaupt zulasten der GKV abrechenbar zu sein (vgl
grundlegend BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 52 f unter Aufgabe von
BSGE 90, 289 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1, auch zur Berücksichtigung
grundrechtskonformer Auslegung; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 23; aA Felix, SGb
2009, 367 und öfter, zB NZS 2012, 1, 7 mwN in Fn 91). Die Anforderungen integrieren in
wesentlichem Maße das Krankenhausplanungs- und das ärztliche Weiterbildungsrecht.
Diese Regelungskomplexe erfordern bereits ein ausreichendes Maß an Erfahrung und
Routine als Voraussetzung von Facharztqualifikationen, an die wiederum die
Strukturvorgaben in der stationären Versorgung anknüpfen (vgl zutreffend Bohle, GesR
2010, 587). Der Mindestmengenkatalog (§ 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V) stellt
demgegenüber zusätzliche Qualitätsanforderungen auf im Interesse einer weiteren
Risikominimierung.
35 Die Rechtsordnung begnügt sich auch in vergleichbaren Regelungsbereichen mit einer
durch wissenschaftliche Belege untermauerten Annahme eines Zusammenhangs. So ist
für die Aufnahme in die Liste der Berufskrankheiten ( § 9 Abs 1 S 2 SGB VII) ein
ursächlicher Zusammenhang zwischen besonderen Einwirkungen, denen bestimmte
Personengruppen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung bei versicherter
Tätigkeit ausgesetzt sind, und der Erkrankung erforderlich. Der generelle
Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der Krankheit bei der Prüfung
der Voraussetzungen einer BK-Bezeichnung unterscheidet sich aufgrund der allgemeinen
und abstrakten Prüfungsebene von dem Ursachenzusammenhang bei der Prüfung der
haftungsbegründenden Kausalität beim einzelnen Arbeitsunfall oder der Listen-BK im
Einzelfall. Dennoch gilt auch insofern die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl BSG
SozR 4-2700 § 9 Nr 18 RdNr 29). Jedenfalls für den Parallelbereich einer Entschädigung
wie eine Berufskrankheit (§ 9 Abs 2 SGB VII) kann die erforderliche gruppenspezifische
Risikoerhöhung im Ausnahmefall eines seltenen Leidens ohne - wie üblich - gesicherte
epidemiologische Erkenntnisse auf der Grundlage der im Allgemeinen notwendigen
langfristigen zeitlichen Überwachung betroffener Krankheitsbilder zum Nachweis einer
Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen bejaht werden, wenn infolge der
Seltenheit des Leidens medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse durch statistisch
abgesicherte Zahlen nicht erbracht werden können. In einem solchen Ausnahmefall kann
die "generelle Geeignetheit" der Einwirkungen für die Entstehung der betroffenen
Krankheit aus Einzelfallstudien, Erkenntnissen und Anerkennungen in ausländischen
Prüfverfahren und Ähnlichem abgeleitet werden (vgl BSGE 79, 250, 252 = SozR 3-2200 §
551 Nr 9 S 21). Es würde die Anforderungen regelmäßig überspannen, den
wissenschaftlich geführten Vollbeweis eines ursächlichen Zusammenhangs auf der
Grundlage epidemiologischer Studien zu fordern.
36 Das Auslegungsergebnis trägt insbesondere auch dem Regelungszweck und -anlass für
die Einführung von Mindestmengen Rechnung: Es fehlt teilweise an einer ausreichenden
Menge zu erbringender Leistungen für die betroffenen Behandler, um eine Routine und
Erfahrung zu erlangen und aufrechtzuerhalten, die zu dem rechtlich geforderten Standard
der Ergebnisqualität führt. Nur der Umstand, dass zu geringe Fallzahlen keine qualitativ
hinreichende Behandlungspraxis für bestimmte Leistungen in allen Krankenhäusern
gewährleisten, die nach ihrer personellen und sächlichen Ausstattung zur
Leistungserbringung grundsätzlich in der Lage sind, rechtfertigt die Festsetzung von
Mindestmengen. Denn gäbe es hinsichtlich sämtlicher planbarer Leistungen jeweils
ausreichende Fallmengen, könnten Mindestmengen keine Anhebung der Ergebnisqualität
erreichen. Die Regelung soll in ihrem Kern im Interesse gebotener Ergebnisqualität einen
Fallzahlenmangel steuern.
37 Der Regelungszweck steht ebenfalls - wie das -system - einem Normverständnis
entgegen, das Mindestmengen auf bloße (fach-)ärztliche Grundfertigkeiten oder eine
Grundversorgung im Krankenhausbereich erstreckt. Festsetzungen von Mindestmengen
sind ebenfalls kein Instrument, um Behandler von der Versorgung auszuschließen, die
trotz ausreichender Fallzahl nur eine durchschnittliche oder gar eine
unterdurchschnittliche Ergebnisqualität oberhalb einer berufs-, gewerbe- oder
schadensersatzrechtlichen Interventionsschwelle erreichen. Die Regelung betrifft dagegen
- unter Berücksichtigung des aufgezeigten Auslegungsergebnisses - insbesondere
Krankheitsbilder, deren Behandlung mehr als bloße (fach-)ärztliche Grundfertigkeiten
erfordert. Hierbei wird es regelmäßig um hoch komplexe Leistungen gehen, die
standardisierbar und unter Berücksichtigung des Verhältnisses von erforderlicher Fallzahl
zu Ergebnisqualität relativ selten sind.
38 Regelungszweck und -system sprechen schließlich dafür, eine bloße, nach
wissenschaftlichen Maßstäben belegte Wahrscheinlichkeit für den Zusammenhang
zwischen Ergebnisqualität und Leistungsmenge genügen zu lassen. Dies entspricht dem
mit § 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V verfolgten Zweck der Risikominimierung in einem
nennenswerten Bereich. Anforderungen nach Art eines statistisch sauber geführten
vollständigen Kausalitätsbeweises würden den Anwendungsbereich der Norm auf ein
vernachlässigbares Minimum reduzieren. Der erforderliche Zusammenhang zwischen
Steigerung der Ergebnisqualität und Festsetzung einer Mindestmenge besteht zwar
unproblematisch, wenn er statistisch bewiesen ist. Das wird aber nur in höchst seltenen
Ausnahmefällen möglich sein. Vergleichende Studien mit unterschiedlichen
Mengenansätzen sind regelmäßig aus praktischen oder ethischen Gründen schon im
Ansatz undurchführbar, ganz abgesehen davon, dass etwa unter Berücksichtigung der
international unterschiedlichen Versorgungssituationen kaum eine statistisch hinreichende
Fallzahl zur Verfügung stehen wird. Die Probleme potenzieren sich, wenn ein Beleg für
die Mengenabhängigkeit der Ergebnisqualität bei Kombination mehrerer
ergebnisqualitätsbezogener Parameter zu erbringen ist, wie das Gutachten des IQWiG
zeigt. Es würde die Anforderungen überspitzen, für den Nachweis des genannten
Zusammenhangs mehr zu verlangen, als dass auf der Grundlage einer umfassend
ermittelten, mittels statistisch anerkannter Methoden metaanalytisch überprüften und
zutreffend ausgewerteten Studienlage mehr für eine Verbesserung der
Behandlungsergebnisse durch Einführung einer Mindestmenge spricht als dagegen.
39 Ist der genannte Zusammenhang allerdings - wie regelmäßig der Fall - nicht statistisch
bewiesen, ist er anhand medizinischer Erfahrungssätze ergänzend zu untermauern. Mit
statistischen Methoden ermittelte und risikoadjustiert bewertete Korrelationen allein
reichen nämlich beim Fehlen eines statistischen Kausalitätsbeweises nicht aus, um einen
Fallzahlenmangel als Ursache schlechterer Behandlungsergebnisse zu identifizieren (vgl
rechtsähnlich stRspr zur Wirtschaftlichkeitsprüfung im Vertragsarztrecht, zB BSG Urteil
vom 9.3.1994 - 6 RKa 16/92 - Juris RdNr 22 = USK 94131; BSG Urteil vom 21.3.2012 - B 6
KA 18/11 R - Juris RdNr 23 mwN, zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 106 Nr 34
vorgesehen).
40 Entgegen der Auffassung des LSG ist der Maßstab dagegen nicht sinngemäß nach einem
"Goldstandard" der evidenzbasierten Medizin abzuleiten. Dies widerspräche dem mit §
137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V verfolgten Zweck der Risikominimierung. Ist eine
Verschlechterung der Ergebnisqualität durch die Einführung einer Mindestmenge nicht zu
erwarten, sondern besteht die Wahrscheinlichkeit einer Ergebnisqualitätsverbesserung,
könnte das Erfordernis der Beachtung eines evidenzbasierten "Goldstandards" für den
Nachweis des Zusammenhangs zwischen der Steigerung der Ergebnisqualität und einer
Mindestmenge den Patienten möglicherweise dauerhaft Versorgungsstandards
vorenthalten, die - jeweils nach dem Stand der aktuellen Erkenntnis - geeignet sind, zu
einer relevanten Reduzierung von Versorgungsrisiken beizutragen. In diesem Sinne
fordert auch § 3 Abs 2 Nr 1 MMV mit einem "evidenzbasierten Verfahren" nur eine
praktisch verfügbare, den dargelegten Maßstäben genügende Evidenz.
41 c) Der Beklagte bejahte - ausgehend von der dargelegten Auslegung - rechtmäßig für die
Gruppe der Level-1-Geburten (dazu aa) die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 137
Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V (dazu bb - cc).
42 aa) Der Beklagte durfte rechtmäßig für die Mindestmengenbestimmung von der Gruppe
der Level-1-Geburten ausgehen. Er knüpfte hierbei an die rechtswirksamen
Bestimmungen der NICU-Vereinbarung über ein vierstufiges Versorgungskonzept an. Das
SGB V gibt dem Beklagten auf, ua Mindestanforderungen an die Struktur-, Prozess- und
Ergebnisqualität für zugelassene Krankenhäuser grundsätzlich einheitlich für alle
Patienten festzulegen (vgl § 137 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB V). Der Beklagte ist dieser Pflicht
durch den Beschluss der NICU-Vereinbarung nachgekommen. Entgegen der Auffassung
der Vorinstanz war es nicht willkürlich, sondern im Gegenteil sachgerecht, die
Mindestmengenbestimmung mit Blick auf das vierstufige Versorgungskonzept der NICU-
Vereinbarung zu treffen. Die Verwendung gegriffener metrischer Größen bei
internationalen Vergleichsstudien, die teilweise fehlende und zum Teil von der NICU-
Vereinbarung abweichende nationale Versorgungskonzepte zu berücksichtigen haben,
steht dem nicht entgegen.
43 bb) Der Beklagte durfte die erfasste Gruppe der Level-1-Geburten als - im dargelegten
Rechtssinne - "planbare Leistungen" ansehen. Die dafür vorgesehenen Perinatalzentren
der obersten Kategorie können Level-1-Geburten nach den allgemein anerkannten
medizinischen Erkenntnissen in der Regel medizinisch sinnvoll und zumutbar versorgen.
Die gebotene stationäre Behandlung in einem Zentrum kann trotz ggf längerer Anfahrt
ohne unzumutbares Risiko für die Patienten erfolgen. Das belegen sowohl die
internationalen Studien etwa über Australien und Neuseeland (vgl Cust et al, Outcomes for
high risk New Zealand newborn infants in 1998-1999, Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed
2003 [88<1>], F15-F22; Lui et al, Improved Outcomes of Extremly Premature Outborn
Infants, Pediatrics 2006 [118<5>], 2076-2083) als auch nationale Publikationen (vgl zB
Heller, Krankenhaus-Report 2008/2009, S 183 ff; Pohlandt et al, Regionalisierung bei
Frühgeburtsbestrebungen im ländlichen Raum? Yes we can!, Zeitschrift für Geburtshilfe
und Neonatologie 2009 [213], 135-137). In diesem Sinne äußert sich auch der Bericht des
IQWiG (Abschlussbericht des IQWiG "Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und
Ergebnis bei der Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit sehr geringem
Geburtsgewicht", Stand 14.8.2008; im Folgenden: Abschlussbericht). Frühgeborene
werden danach in der Regel nicht notfallmäßig, sondern erst nach abgeschlossener,
medikamentös bewirkter Lungenreife geboren (vgl Abschlussbericht S 2 f). Die
Versorgung Frühgeborener - die schon im pränatalen Stadium beginnt - scheint umso
weniger risikobehaftet zu sein, je eher die werdende Mutter sich bei nahendem
Geburtstermin in ein Perinatalzentrum Level 1 begibt (vgl Abschlussbericht S 53 zum in-
utero-Transfer; zu Portugal vgl auch Abschlussbericht S 52). Diese Schlussfolgerung ist
plausibel, weil auftretende Komplikationen dort besser und schneller behandelt werden
können, als dies während eines Transports oder bei Aufnahme in eine Einrichtung
niedrigerer Versorgungsstufe der Fall sein dürfte. Der ambulante und der stationäre Sektor
müssen und können hierzu effektiv miteinander verzahnt sein, um Fehlplatzierungen zu
vermeiden und das relativ enge antenatale Zeitfenster zum Transport in ein
Perinatalzentrum Level 1 zu nutzen. Die genannte Literatur zeigt, dass dies in
Deutschland ebenso wie in vielen ausländischen Staaten möglich ist.
44 Der Senat sieht keine Gründe, die gegen die Verwertbarkeit des Abschlussberichts des
IQWiG sprechen. Denn das IQWiG ist als fachlich unabhängiges, rechtsfähiges
wissenschaftliches Institut, dessen Träger der Beklagte ist (§ 139a Abs 1 S 1 SGB V),
nach § 139a Abs 3 Nr 1 SGB V von Gesetzes wegen ausdrücklich zur Recherche,
Darstellung und Bewertung des aktuellen medizinischen Wissensstandes zu
diagnostischen und therapeutischen Verfahren bei ausgewählten Krankheiten berufen. Es
stellt ein Expertengremium dar, das in seiner persönlichen und fachlichen Integrität und
Qualität durch Transparenz und Unabhängigkeit gesetzlich und institutionell abgesichert
ist (vgl zum Ganzen BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 76 ff; BSGE 107, 287
= SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 74 ff). Es gibt keine Hinweise darauf, dass das IQWiG
nicht alle zum damaligen Zeitpunkt verfügbaren relevanten Studien ausgewertet haben
könnte. Die Auswertung selbst ist sorgfältig. Die darauf gestützten Folgerungen sind in
ihren vorsichtig formulierten Aussagen wohlabgewogen.
45 cc) Der Beklagte konnte auch rechtmäßig davon ausgehen, dass die Qualität des
Behandlungsergebnisses der Level-1-Geburten, hier insbesondere mit Blick auf die
Mortalität, in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist.
Denn es besteht - im dargelegten Sinne - eine Studienlage, die nach wissenschaftlichen
Maßstäben einen Zusammenhang zwischen Behandlungsmenge und Qualität des
Behandlungsergebnisses wahrscheinlich macht.
46 Der Beklagte durfte - ausgehend von der Studienlage (vgl dazu Abschlussbericht S V) -
die Qualität des Behandlungsergebnisses als Ausgangspunkt an der zu erwartenden
Reduzierung des Mortalitätsrisikos messen. Er musste nicht alle Morbiditätsvariablen
einbeziehen, zumal die hierfür verfügbaren Daten spärlich sind (vgl dazu Abschlussbericht
S V). Das Vorgehen ist vertretbar, da die Zusammenhänge zwischen Leistungsmenge und
Mortalitätsrisiko am besten untersucht sind und andererseits eine gleiche Tendenz wie
beim Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Morbiditätsrisiko aufweisen.
47 Ein Zusammenhang zwischen der Erhöhung der Leistungsmenge und der Reduzierung
des Mortalitätsrisikos ist auch wahrscheinlich. Davon ist der Senat - der dies als generelle
Tatsache selbst zu bewerten hat (vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 31; s ferner
Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 163 RdNr 7 mwN) -
aufgrund der zur Beurteilung vorliegenden wissenschaftlichen Studien und Aussagen
überzeugt. Er folgt den Erkenntnissen des IQWiG, das in nicht zu beanstandender Weise
zu folgender Einschätzung gelangt ist: "Die Ergebnisse der eingeschlossenen
Publikationen weisen bezüglich eines statistischen Zusammenhangs zwischen der
Leistungsmenge und der Ergebnisqualität bei der Versorgung von Frühgeborenen mit sehr
geringem Geburtsgewicht kein völlig einheitliches und eindeutiges Bild auf. Allerdings
geben die Daten der Gesamtschau bezüglich der primären Zielgröße "Mortalität" unter
Berücksichtigung der Studien- und Publikationsqualität sowie ihres Populationsbezugs
deutliche Hinweise auf einen statistischen Zusammenhang, der sich als Trend einer
Risikoreduktion mit steigender Leistungsmenge darstellt" (Abschlussbericht S 59).
48 Dem steht nicht entgegen, dass das IQWiG aus den zwölf Beobachtungsstudien,
insbesondere auch aus den vier Studien mit einem geringen Verzerrungspotential, zwei
davon zur Behandlungssituation in Deutschland, keine expliziten Schwellenwerte für
Mindestmengen ableiten konnte (vgl Abschlussbericht S 59). Eine Ergebnisverbesserung
ist durch Festsetzung einer Mindestmenge wahrscheinlich, die typischerweise
Behandlungskontinuität ermöglicht. Hierfür streitet maßgeblich der Erfahrungssatz, dass
eine laufende Befassung eines Level-1-Zentrums mit der Behandlung sehr
geringgewichtiger Früh- und Neugeborener durch das ganze Jahr hindurch notwendig ist,
um eine Festigung der Behandlungsabläufe als Teamleistung zu gewährleisten. Es ist
hingegen nicht plausibel, dass bloß zeitweilige Behandlungsepisoden das
Qualitätsniveau der Versorgung in gleicher Weise zu sichern vermögen.
49 d) Der Beklagte überschritt nicht den ihm eingeräumten gesetzgeberischen
Gestaltungsspielraum, indem er vertretbar eine Mindestmenge von jährlich 14 Level-1-
Geburten für Krankenhäuser festsetzte, ohne weitere Ausnahmen vorzusehen. Diese
festgesetzte Mindestmenge ist regelmäßig geeignet, die Behandlungskontinuität als eine
(Mindest-)Voraussetzung für ein gutes Behandlungsergebnis zu gewährleisten.
50 Die ausgewählte Versorgung von Level-1-Geburten in Krankenhäusern mit
ausgewiesenem Level 1 betrifft kategorial eine Versorgung, die einen hoch komplexen,
relativ seltenen Behandlungsaufwand auslöst. Die Versorgung von Level-1-Geburten stellt
ganz erheblich über dem Durchschnitt liegende Anforderungen an Können und Erfahrung
des behandelnden ärztlichen und nichtärztlichen Personals, um als Team über einen
längeren Zeitraum je Behandlungsfall eine bestmögliche Versorgung zu erbringen. Dies
folgt aus dem in der Unreife dieser Kinder begründeten, ausgeprägten multifaktoriellen
Mortalitätsrisiko (vgl Abschlussbericht S 1 f) und der Notwendigkeit intensivmedizinischer
Maßnahmen über einen längeren Zeitraum unter Einsatz eines ständig verfügbaren, in
herausgehobener Weise spezialisierten Behandlungsteams. Letzteres belegt schon die in
der Anlage 1 der NICU-Vereinbarung an ein Perinatalzentrum Level 1 gestellten
Anforderungen. Bei diesen Vorgaben verbietet es sich von selbst, eine Mindestmenge an
die Behandlungstätigkeit eines einzelnen Arztes anzuknüpfen.
51 Die Mindestmenge von 14 Level-1-Geburten gefährdet nach der vertretbaren
Einschätzung des Beklagten nicht die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung
der Bevölkerung. Nach den ermittelten Daten verblieben bei einer Mindestmenge von 14
Level-1-Geburten in den Jahren 2005 und 2006 bundesweit zwischen rund 130 und 150
Krankenhäuser, die zur Versorgung zur Verfügung standen (Krankenhäuser mit 20 und
mehr VLBW-Geburten, 2005: 151; 2006: 153, wobei Level-1-Geburten etwa 2/3 aller
VLBW-Geburten ausmachen). Dies deckt sich mit den Angaben des Spitzenverbandes
Bund der KKn, wonach ab 2010 mehr als 128 Krankenhäuser die Mindestmenge für Level-
1-Geburten erreichen dürften (Präsentation am 17.6.2010 in der Plenumssitzung des
Beklagten mit Übersichtskarte zur räumlichen Verteilung). Im Übrigen kann jeweils die für
die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde, um einer danach etwa noch
verbleibenden regionalen Unterversorgung zu begegnen, Ausnahmegenehmigungen
erteilen (§ 137 Abs 3 S 3 SGB V).
52 Der Beklagte musste unter Berücksichtigung der Datenlage auch keine weiteren
sachlichen Ausnahmebestimmungen von der Mindestmenge 14 vorsehen, um
Sonderfällen Rechnung zu tragen. Anlage 2 Nr 3 und 4 MMV räumen beim Aufbau neuer
Leistungsbereiche Übergangszeiträume von 36 Monaten und bei personeller
Neuausrichtung bestehender Leistungsbereiche Übergangszeiträume von maximal 24
Monaten ein. Konflikte, die aus dem Leistungsverbot erwachsen, wenn die erforderliche
Mindestmenge voraussichtlich nicht erreicht wird (§ 137 Abs 3 S 2 SGB V), bedürfen
keiner weiteren Regelung in der MMV. Die Regelung verbietet nicht bei punktuellen
Unterschreitungen der erforderlichen Mindestmenge, dass die Betroffenen künftig
Leistungen erbringen. Die geforderte Prognose, dass die erforderliche Mindestmenge
voraussichtlich nicht erreicht wird, greift erst ein, wenn eine valide Einschätzung auf der
Grundlage eines hinreichend langen Zeitraums möglich ist.
53 6. Sowohl die gesetzliche Regelung des § 137 Abs 3 S 2 iVm § 137 Abs 3 S 1 SGB V als
auch die untergesetzliche Bestimmung der Nr 8 Anlage 1 MMV (idF des Beschlusses des
Beklagten vom 20.8.2009) verletzen die Klägerin nicht in ihrem Grundrecht der
Berufsfreiheit aus Art 12 Abs 1 GG. Die Klägerin ist Trägerin dieses Grundrechts. Es
erstreckt sich nach Art 19 Abs 3 GG auch auf juristische inländische Personen, zu denen
die Klägerin zählt (vgl nur Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 12 RdNr 13
mwN).
54 Art 12 Abs 1 S 1 GG schützt - neben der Freiheit der Berufswahl - die Freiheit der
Berufsausübung. Zu den Rahmenbedingungen der Berufsausübung gehört für
Krankenhäuser auch, dass sie bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllen müssen, um
einzelne Operationen und Prozeduren, aber auch um eine aus einer Vielheit von
Einzelmaßnahmen bestehende Behandlung eines bestimmten Krankheitsbildes erbringen
zu dürfen. Von einer bloßen Berufsausübungsregelung ist dann auszugehen, wenn sie nur
einen Ausschnitt aus einer fachärztlichen Tätigkeit betrifft (vgl zu § 135 SGB V iVm
untergesetzlichen Vorschriften als Berufsausübungsregelungen: BVerfG SozR
4-2500 § 135 Nr 2 RdNr 22; BVerfGK 17, 381, 385 f = SozR 4-2500 § 135 Nr 16 RdNr 13 f;
vgl auch BVerfGE 33, 125, 161, das offen lässt, ob der Facharzt iS von Art 12 Abs 1 GG
ein eigener Beruf oder nur eine Form der Berufsausübung ist). Die Geburtshilfe durch
Gynäkologen und die Behandlung von Level-1-Geburten durch Fachärzte für Kinder- und
Jugendmedizin mit dem Schwerpunkt Neonatologie stellt jeweils nur einen kleineren Teil
der jeweiligen gesamten fachärztlichen Tätigkeit dar. Nichts anders gilt für die
Schwerpunktbezeichnungen Kinderchirurgie, Kinderkardiologie, Kinderradiologie und
Neuropädiatrie sowie auf nichtärztlicher Seite für die Hebammen, Kinderschwestern und
Kinderkrankenpfleger. Insoweit macht es keinen Unterschied, wenn ein einer
Qualitätssicherungsregelung unterworfener Teil einer fachärztlichen Tätigkeit nicht
ambulant erbracht wird, sondern der zentrale Teil einer umfassenderen
Versorgungsleistung eines Krankenhauses ist. Dies gilt umso mehr, als die
Ermächtigungsgrundlage für die Qualitätssicherungsregelung (§ 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB
V) erlaubt, an die Versorgung entweder vom Krankenhaus oder vom Arzt anzuknüpfen.
Sie ist letztlich aber auch bei der Anknüpfung an das Krankenhaus darauf ausgerichtet,
bloß einen begrenzten Teil der gesamten Tätigkeit der ärztlichen, aber auch der
nichtärztlichen Therapeuten in ihrem Verbund als Gemeinschaftsleistung zu regeln.
55 § 137 Abs 3 S 1 SGB V und Nr 8 Anlage 1 Mindestmengenvereinbarung greifen in die
Berufsausübung ein. Werden ihre Voraussetzungen nicht erfüllt, darf die Leistung
gegenüber keinem Patienten erbracht werden. Die Regelung erfüllt das Erfordernis, dass
ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Art 12 Abs 1 S 2 GG einer gesetzlichen
Grundlage bedarf, die ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen an
grundrechtseinschränkende Gesetze genügen muss (stRspr, vgl BVerfGE 94, 372, 389 f;
BVerfGE 111, 366, 373). Gesetzliche Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung sind nur
dann mit Art 12 Abs 1 GG vereinbar, wenn sie durch hinreichende Gründe des
Gemeinwohls gerechtfertigt sind (vgl nur BVerfGE 106, 181, 192 = SozR 3-2500 § 95 Nr
35 S 172). Die aus Gründen des Gemeinwohls unumgänglichen Beschränkungen des
Grundrechts stehen unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit (vgl BVerfGE 19, 330, 336 f;
54, 301, 313). Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen deshalb nicht weitergehen, als es die
sie rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern (vgl BVerfGE 101, 331, 347). Eine
sowohl den Freiheitsanspruch des Berufstätigen wie die Schutzbedürftigkeit der
Gemeinschaft berücksichtigende Lösung kann nur in Abwägung der Bedeutung der
einander gegenüberstehenden und möglicherweise einander widerstreitenden Interessen
gefunden werden (vgl BVerfGE 7, 377, 404 f).
56 Die Abwägung der Bedeutung des Interesses der Kinderkliniken, uneingeschränkt Kinder
von Level-1-Geburten zu versorgen, mit dem Interesse an einer besseren
Versorgungsqualität für Frühgeborene ergibt einen Vorrang der Qualitätssicherung
zugunsten der hiervon betroffenen Individual- und Gemeinwohlbelange. Die
Mindestmenge von jährlich 14 Level-1-Geburten sichert eine (Mindest-)Erfahrung des
Behandlungsteams, die mit Wahrscheinlichkeit nach der aufgezeigten Studienlage die
besonders hohe Mortalität bei Level-1-Geburten reduzieren kann. Die Studienlage belegt,
wie dringlich solche Qualitätssicherung ist. So betrug zB im Jahr 2011 in Deutschland der
Anteil der VLBW-Geburten an allen Lebendgeburten 1,233 %, ihr Anteil an den
Todesfällen der lebend geborenen Kinder im ersten Lebensjahr dagegen 41,32 % (Quelle:
Statistisches Bundesamt). Die Mortalität von Level-1-Geburten war bezogen auf die Jahre
2004 bis 2008 im Vergleich zu Level-2-Geburten sogar um den Faktor 10,12 höher
(Angabe nach Ausführungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft in der
Plenumssitzung am 17.6.2010 unter Auswertung von aufgrund der NICU-Vereinbarung
erhobenen Ergebnisdaten).
57 7. Die Heraufsetzung der jährlichen Mindestmenge für Level-1-Geburten von 14 auf 30
Behandlungsfälle je Krankenhaus mit ausgewiesenem Level 1 (Beschluss vom 17.6.2010)
ist indes nichtig. Der Beklagte ermittelte den zugrunde liegenden Sachverhalt
unzureichend, als er die jährliche Mindestmenge für Level-1-Geburten erhöhte. Er
gelangte dadurch fehlerhaft zur Überzeugung, dass die neue höhere Mindestmenge die
Mortalität bei der Behandlung von Level-1-Geburten bundesweit einheitlich stärker
reduzieren könne.
58 Der Beklagte ist - wie dargelegt - grundsätzlich nicht gehindert, im Rahmen eines
gestuften Verfahrens eine zunächst niedriger festgesetzte Mindestmenge anzuheben,
wenn die Studienlage eine Bandbreite von gleichermaßen geeigneten Mindestmengen
aufzeigt. Der Beklagte konnte von einer solchen Datenlage für die Erhöhung der
Mindestmenge nicht ohne Weiteres ausgehen. So sah sich das IQWiG in seinem
Abschlussbericht nachvollziehbar außerstande, Schwellenwerte, eine bestimmte
Mindestmenge oder auch nur einen Mindestmengenkorridor vorzuschlagen. Während für
die Mindestmenge von jährlich 14 Level-1-Geburten wie dargelegt ergänzend zu den
statistischen Grundlagen der Erfahrungssatz streitet, dass eine kontinuierliche Befassung
eines Level-1-Zentrums mit der Behandlung sehr geringgewichtiger Früh- und
Neugeborener durch das ganze Jahr hindurch notwendig ist, konnte der Beklagte hierauf
für die Erhöhung der Mindestmenge auf 30 Level-1-Geburten nicht zurückgreifen.
59 Der Rechtsgedanke einer Beweiserleichterung (vgl dazu allgemein zB BSG SozR 4-1500
§ 128 Nr 5 RdNr 15; BSG SozR 3-1750 § 444 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 11 S
17 ff mwN; Hauck in Hennig, SGG, Stand Dezember 2012, § 103 RdNr 75 ff) kommt schon
im Ansatz zu Gunsten des Beklagten nicht (mehr) in Betracht. Er verfügt nämlich zur
Beschaffung und Auswertung der hierfür erforderlichen Daten inzwischen über ein
umfassendes Rechtsinstrumentarium (§§ 137a, 299 SGB V, § 21 Abs 3a
Krankenhausentgeltgesetz). Er muss das ihm verfügbare Instrumentarium indes auch
nutzen, um sich nach Einführung von Mindestmengen bei einer Datenlage wie der
vorliegenden bessere Erkenntnisse zu verschaffen (vgl zur Beobachtungspflicht bei RL
BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 74 ff mwN). Der Beklagte strebt zu Recht
in diesem Sinne grundsätzlich selbst eine wissenschaftliche Begleitung der Auswirkungen
von Mindestmengen an (vgl § 3 Abs 3 Mm-R). In diesem Sinne empfahl auch das IQWiG,
im Falle der Festsetzung einer Mindestmenge deren Auswirkungen anhand einer
differenzierten Begleitevaluation auszuwerten (vgl Abschlussbericht S 56 ff).
60 Der Beklagte setzte eine solche Begleitevaluation seit Festsetzung einer Mindestmenge
von jährlich 14 Level-1-Geburten nicht ins Werk. Auch sonst konnte sich der Beklagte nicht
auf neuere Studien stützen, die geeignet gewesen wären, die Anhebung der letztlich auf
Plausibilitätserwägungen gestützten Mindestmenge auf jährlich 30 Level-1-Geburten in
der erforderlichen Qualität zu begründen. Die im Abschlussbericht des IQWiG als "Trend
zur Risikoreduktion" bezeichnete statistische Korrelation zwischen Mengenzunahme und
Mortalitätsabnahme, welchen auch zwischenzeitlich erschienene Studien belegen, genügt
allein hierfür nicht. Sie müsste ergänzend durch weitere medizinische Erfahrungssätze
untermauert sein, an denen es aber fehlt. Im Gegenteil kommt bei der umstrittenen
Erhöhung der Mindestmenge in Betracht, dass in einzelnen Regionen Deutschlands durch
den Ausschluss von Abteilungen mit überdurchschnittlicher Qualität die
Behandlungsqualität insgesamt mit der Folge sinkt, dass den in einer Region zusätzlich
überlebenden Kindern, solche in nennenswerter Zahl gegenüberstehen, die in einer
anderen Region zusätzlich sterben.
61 Bereits der mit Daten unterlegte Vortrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft
(17.6.2010) deutete an, dass sich jenseits der Mindestmenge 14 eine
mengenunabhängige erhebliche Variabilität der Behandlungsergebnisse ergibt. Dies
deckt sich mit der auch im Abschlussbericht des IQWiG als valide angesehenen Studie
von Rogowski et al (JAMA 2004 <291>, 202, 208) und der dort dargestellten Auffassung,
dass eine Steuerung über die beobachtete Mortalität deutlich effektiver sein kann als eine
Steuerung über die Menge. Die inzwischen veröffentlichte Studie von Kutschmann et al
(DÄBl 2012 <109>, 519) bestätigt den Befund eines hohen Prozentsatzes falschpositiver
Ergebnisse bei Krankenhäuser mit Fallzahlen von ≥ 30 Level-1-Geburten und
falschnegativer Ergebnisse bei Krankenhäusern mit Fallzahlen von 14 bis 29 Level-1-
Geburten. Die Autoren der Studie werteten den vollständigen Datensatz der
Neonatalerhebungen 2007 bis 2009 der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen,
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen aus. Sie kamen wie auch schon andere Studien,
die zum Teil im Abschlussbericht des IQWiG ausgewertet sind, zum Teil aber auch
neueren Datums sind (Trotter/Pohlandt, Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie 2010
<214>, 55; Chung et al, Med Care 2010 <48>, 635), zwar zum Ergebnis, dass die
risikoadjustierte Mortalität in der Gruppe der Abteilungen mit höheren Fallzahlen (hier von
mindestens 30) signifikant niedriger ist als in der Gruppe kleinerer Abteilungen
(Kutschmann et al, aaO, S 525). Zugleich konstatierten sie aber, dass die Mortalitätsrate
bei Level-1-Geburten nicht linear mit steigender Zahl behandelter Kinder sank. Vielmehr
behandelten mit überdurchschnittlicher Qualität unter Berücksichtigung risikoadjustierter
Mortalität 56 % der Abteilungen mit einer Fallzahl von jährlich mindestens 30
Frühgeborenen, aber auch immerhin 44 % der Abteilungen mit einer Fallzahl von 14 bis
29 Frühgeborenen (Kutschmann et al, aaO, S 525). Auch Trotter/Pohlandt (aaO S 58)
kommen zu vergleichbaren Schlüssen.
62 Der Beklagte schuf anlässlich der angegriffenen Erhöhung der Mindestmenge auch keine
Ausnahmetatbestände, die die drohenden Folgen einer regionalen Qualitätsminderung bei
einer Erhöhung der Mindestmenge auf 30 verhindern. Ein solches Vorgehen auf der Basis
einer validen Begleitevaluation könnte eine Erhöhung der Mindestmenge rechtmäßig
machen. Der Beklagte kann auf der Grundlage spezifischerer Erkenntnisse eine
Veränderung der Mindestmengenregelung beschließen, die eine Qualitätsverbesserung
ohne Gefahr regionaler Qualitätsminderung erwarten lässt. Hierbei muss er auch
berücksichtigen, dass eine Regelung, die ein überdurchschnittlich leistungsfähiges
Krankenhaus von der Leistungserbringung durch eine Mindestmenge ausschließt, als
erheblicher Eingriff in die durch Art 12 Abs 1 S 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit
nur dann - wie dargelegt - gerechtfertigt ist, wenn dieser Eingriff in die Berufsfreiheit nicht
weiter geht, als es die sie rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern.
63 8. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2
VwGO, diejenige über den Streitwert aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S
1 und Abs 3 S 1, § 52 Abs 1 und 4 sowie § 47 Abs 1 und Abs 2 S 1 GKG.