Urteil des BSG vom 30.06.2009

BSG: behandlung im ausland, versorgung, voraussetzung des leistungsanspruchs, wirtschaftlichkeit der behandlung, eugh, tschechische republik, europarechtskonforme auslegung, zahnärztliche behandlung

Bundessozialgericht
Urteil vom 30.06.2009
Sozialgericht Karlsruhe S 5 KR 3930/06
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 4 KR 5472/07
Bundessozialgericht B 1 KR 19/08 R
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. September 2008
wird zurückgewiesen. Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer in der Tschechischen Republik durchgeführten
zahnprothetischen Versorgung.
2
Die beklagte Krankenkasse (KK) genehmigte der 1963 geborenen, bei ihr versicherten Klägerin am 15.7.2004 eine
zahnprothetische Versorgung gemäß Heil- und Kostenplan (HKP) des Zahnarztes I ( ). Diese Versorgung ließ die
Klägerin in der Folgezeit jedoch nicht durchführen, sondern beschaffte sich am 25.3.2006 Zahnersatz von dem
Zahnarzt Dr. H F in (Tschechische Republik) gegen eine Vergütung von 1.810 Euro. Am 6.4.2006 erhielt die Beklagte
die mit "Kostenvoranschlag/Rechnung" überschriebene Rechnung des Dr. H vom 11.3.2006 in Höhe von 1.810 Euro.
Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung ab, weil die Behandlung nicht zuvor genehmigt worden sei (Bescheid vom
31.5.2006; Widerspruchsbescheid vom 21.7.2006).
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin ua vorgebracht, entsprechend einer ihr telefonisch erteilten Auskunft der Beklagten
habe sie dieser den Kostenvoranschlag vor der Behandlung vorgelegt, sei aber von der Beklagten nicht darauf
hingewiesen worden, dass auch die Genehmigung vor der Behandlung erteilt werden müsse. Das Sozialgericht (SG)
hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 11.10.2007). Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht
(LSG) zurückgewiesen: Ihr stehe kein Erstattungsanspruch nach § 13 Abs 4 SGB V in Höhe der Festzuschüsse nach
§ 55 SGB V zu. Wie sich aus § 55, § 87 Abs 1a SGB V und den Bestimmungen des Bundesmantelvertrages-
Zahnärzte (BMV-Z) entnehmen lasse, sei eine auf dem HKP basierende vorherige Genehmigung der KK zwingende
Voraussetzung für einen Anspruch auf Festzuschüsse für eine zahnprothetische Versorgung. Dies gelte auch bei
einer Auslandsbehandlung. Eine diskriminierende Beeinträchtigung der europäischen Dienstleistungsfreiheit ergebe
sich daraus nicht. Der HKP müsse nicht auf den hierfür vorgesehenen inländischen Formularen, die einem
ausländischen Arzt ggf nicht zur Verfügung stünden, erstellt werden; es genüge ein "Kostenvoranschlag", aus dem
sich die Befunde und die beabsichtigte zahnprothetische Versorgung ergäben. Es könne nicht festgestellt werden,
dass die Klägerin der Beklagten den Kostenvoranschlag des tschechischen Zahnarztes vor der Behandlung am
25.3.2006 zugeleitet habe; zumindest habe die Klägerin nicht den Ausgang des Genehmigungsverfahrens abgewartet.
Der von der Klägerin behauptete Beratungsfehler könne einen Erstattungsanspruch nach § 13 Abs 4 SGB V ebenfalls
nicht begründen (Urteil vom 17.9.2008).
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Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des materiellen Bundesrechts und des europäischen Rechts. Der
BMV-Z gelte nur für inländische Vertragsärzte. Der Genehmigungsvorbehalt betreffe daher nicht ausländische Ärzte
und dürfe einem Versicherten nicht entgegengehalten werden. Zudem stelle das Genehmigungsverfahren eine nicht
gerechtfertigte Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, da es dem ausländischen Arzt unbekannt sei, von
ihm nicht beeinflusst werden könne und ihn von der Behandlung der Versicherten deutscher KKn abhalte. Auch wenn
das Genehmigungserfordernis den inländischen Arzt ebenso betreffe wie den ausländischen Arzt, diskriminiere es
doch den Zahnarzt im Ausland zumindest mittelbar.
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Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. September 2008 und den
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Oktober 2007 aufzuheben sowie die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 31. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2006 zu
verurteilen, ihr 1.810 Euro zu erstatten.
6
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
7
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
8
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG ihre Berufung gegen den
klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen, denn sie hat gegen die beklagte KK keinen Anspruch
auf Kostenerstattung für die im Jahr 2006 in Tschechien durchgeführte Versorgung mit Zahnersatz.
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Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus der allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 13 Abs 4 Satz 1
SGB V (in der ab 1.1.2004 bis 31.12.2006 geltenden Fassung des Art 1 Nr 4 Buchst b Gesetz vom 14.11.2003, BGBl
I 2190). Nach dieser Vorschrift sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in anderen Staaten, in denen die
Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf
Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl L 149, 2; hier anzuwenden
in der konsolidierten Fassung vom 30.1.1997, ABl L 28, 1 zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch die
Verordnung (EG) Nr 647/2005 vom 13.4.2005, ABl L 117, 1), in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden ist,
anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn,
Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten
oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Die Voraussetzungen dieser
Vorschrift sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin keinen Primärleistungsanspruch auf die entsprechende
Naturalleistung in Deutschland hat. Der Primärleistungsanspruch setzt die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens
voraus: die Prüfung des HKP und Genehmigung des Festzuschusses nach § 55, § 87 Abs 1a Satz 2 ff SGB V durch
die KK vor einer zahnprothetischen Behandlung (dazu 1.). Dieses Verfahren hat die Klägerin nicht eingehalten (dazu
2.). Das Erfordernis, vor der Behandlung der KK einen HKP vorzulegen, verstößt entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht gegen Europarecht (dazu 3.).
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1. Wie sich aus der Formulierung "anstelle der Sach- oder Dienstleistung" in § 13 Abs 4 Satz 1 SGB V ergibt, setzt
die Vorschrift einen Anspruch auf die entsprechende Naturalleistung nach dem SGB V voraus. Dies gilt nicht nur für
den Regelfall eines Sach- und Dienstleistungsanspruchs, sondern auch für den Fall, dass nach dem Recht des SGB
V an dessen Stelle eine Geldleistung getreten ist. In beiden Fällen hängt ein Anspruch aus § 13 Abs 4 Satz 1 SGB V
grundsätzlich davon ab, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem SGB V vorliegen. Dahingestellt
bleiben kann demnach, ob der Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer Versorgung mit Zahnersatz
nach § 55 SGB V eine Sachleistung darstellt (so für die Zeit bis 1998: Bundessozialgericht - BSG - (1.Senat) SozR 4-
2500 § 28 Nr 2 RdNr 4; ferner: Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Juni 2009, K § 55 RdNr 35; Wagner in:
Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand November 2008, § 55 SGB V RdNr 5) oder eine
Geldleistung (so etwa Höfler in: Kassler Komm, Stand April 2009, § 55 SGB V RdNr 64; Zuck in: Quaas/Zuck,
Medizinrecht, 2. Aufl 2008, § 30 RdNr 14). Jedenfalls sind die betreffenden Leistungen bei einer Versorgung im Inland
nach wie vor dem öffentlich-rechtlich ausgestalteten Leistungssystem des SGB V und der vertragszahnärztlichen
Versorgung zuzuordnen (vgl schon BSG SozR 3-5555 § 12 Nr 3 S 15 ff; BSG SozR 4-5555 § 12 Nr 1 S 2 ff). Danach
hat ein Anspruch auf die Festzuschüsse nach §§ 55, 87 Abs 1a Satz 2 ff SGB V (§ 55 in der ab 1.1.2005 geltenden
Fassung des Art 1 Nr 36 Gesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190, dieser in der Fassung des Art 1 Nr 1 Buchst a Gesetz
vom 15.12.2004, BGBl I 3445 und des Art 4a Gesetz vom 30.7.2004, BGBl I 2014; § 87 in der ab 1.10.2005 geltenden
Fassung des Art 6 Nr 9 Gesetz vom 9.12.2004, BGBl I 3242) ua auch die Prüfung der beabsichtigten Versorgung und
deren vorherige Genehmigung durch die KK zur Voraussetzung.
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Nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 2a SGB V umfasst die Krankenbehandlung die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich
Zahnkronen und Suprakonstruktionen. (Hier nicht bedeutsame) Einzelheiten zum Anspruch auf zahnärztliche
Behandlung sind in § 28 Abs 2 SGB V geregelt. Nach § 55 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte nach den
Vorgaben in den Sätzen 2 bis 7 Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch notwendigen
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische
Leistungen) in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung einer
Methode entspricht, die gemäß § 135 Abs 1 SGB V anerkannt ist. § 87 Abs 1a Satz 2 ff SGB V in der hier
maßgeblichen, ab 1.1.2005 (bis 30.6.2008) geltenden Fassung (Abs 1a eingefügt durch Art 1 Nr 66 Buchst b Gesetz
vom 14.11.2003, BGBl I 2190) bestimmt, dass im BMV-Z folgende Regelungen zu treffen sind: Der Vertragszahnarzt
hat vor Beginn der Behandlung einen kostenfreien HKP zu erstellen, der den Befund, die Regelversorgung und die
tatsächlich geplante Versorgung auch in den Fällen des § 55 Abs 4 und 5 SGB V nach Art, Umfang und Kosten
beinhaltet (Satz 2). Im HKP sind Angaben zum Herstellungsort des Zahnersatzes zu machen (Satz 3). Der HKP ist
von der KK vor Beginn der Behandlung zu prüfen (Satz 4). Die KK kann den Befund, die Versorgungsnotwendigkeit
und die geplante Versorgung begutachten lassen (Satz 5). Bei bestehender Versorgungsnotwendigkeit bewilligt die KK
die Festzuschüsse gemäß § 55 Abs 1 oder 2 SGB V entsprechend dem im HKP ausgewiesenen Befund (Satz 6).
Nach Abschluss der Behandlung rechnet der Vertragszahnarzt die von der KK bewilligten Festzuschüsse mit
Ausnahme der Fälle des § 55 Abs 5 SGB V mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ab (Satz 7). Die Umsetzung
dieser Vorgaben findet sich in der Anlage 3 zum BMV-Z (in der Fassung vom 13.11.1985, geändert durch
Vereinbarung vom 18.8.1993, derzeitiger Stand: 1.2.2008).
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Nach dem dargestellten Regelungskomplex ist die Genehmigung der zahnprothetischen Versorgung vor ihrer
Durchführung und nach Prüfung des entsprechenden HKP (dazu aa) Voraussetzung des Leistungsanspruchs nach §
55 Abs 1 SGB V (dazu bb).
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aa) Zwar fordert § 87 Abs 1a Satz 6 SGB V nicht ausdrücklich, dass die Bewilligung des Festzuschusses vor der
Behandlung zu erfolgen hat. Jedoch ergibt sich dies aus der Entstehungsgeschichte, dem Sinn und Zweck sowie dem
systematischen Zusammenhang der Regelung (vgl in diesem Sinne: Engelhard, aaO, K § 55 RdNr 162; Höfler, aaO, §
55 SGB V RdNr 53, 57).
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§ 55 SGB V ersetzte mit Wirkung vom 1.1.2005 § 30 SGB V in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung (Art 1 Nr 3
Gesetz vom 19.12.1998, BGBl I 3853). § 30 Abs 4 Satz 3 SGB V regelte in der ab dem 1.1.1999 geltenden Fassung,
dass die im HKP vorgesehene Versorgung mit Zahnersatz vor Beginn der Behandlung der Genehmigung bedurfte. Mit
der Einführung der befundbezogenen Festzuschüsse in § 55 SGB V (durch Art 1 Nr 36 Gesetz vom 14.11.2003, BGBl
I 2190) wurden die Regelungen zum HKP in den neu geschaffenen Abs 1a des § 87 SGB V aufgenommen. Eine
Änderung der Rechtslage sollte damit aber nicht verbunden sein. Vielmehr enthält die Gesetzesbegründung neben den
Erläuterungen zu den Neuregelungen den Hinweis, die Regelungen übernähmen ansonsten im Wesentlichen das
geltende Recht (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD; CDU/CSU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN zum GKV-
Modernisierungsgesetz, BT-Drucks 15/1525 S 104, zu Nr 66 Buchst b des Entwurfs; vgl auch Engelhard, aaO, K § 87
RdNr 526).
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Zu § 30 Abs 4 Satz 3 SGB V (in der ab 1.1.1999 bis 31.12.2004 geltenden Fassung) hatte der 1. Senat des BSG
ausgeführt, das abweichend vom Regelfall der Krankenbehandlung bestehende Genehmigungserfordernis rechtfertige
sich daraus, dass einerseits die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Zahnersatzversorgung anhand von
Röntgenaufnahmen und Voruntersuchungen (Vitalitätsprüfung, Parodontosezustand usw) gut vorab beurteilt werden
könne, andererseits eine nachträgliche Prüfung nach Eingliederung des fertigen Zahnersatzes auf besondere
Schwierigkeiten stoße. Der mit der Vorlage des Behandlungsplans und dem Genehmigungserfordernis verfolgte
Zweck entfalle, wenn die Zahnersatzversorgung bereits durchgeführt worden sei. Eine nachträgliche Genehmigung
durch die KK ergäbe dann keinen Sinn mehr (vgl BSG SozR 4-1500 § 55 Nr 1 RdNr 10 f). Diese Aussagen gelten
gleichermaßen für die hier maßgebliche Rechtslage.
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Wie sich aus dem Regelungszusammenhang des § 87 Abs 1a Satz 2 bis 7 SGB V ableiten lässt, unterscheidet der
Gesetzgeber zwischen Maßnahmen, die vor und die nach der Behandlung erfolgen müssen. Nach Satz 4 der
Bestimmung erfolgt die Prüfung des HKP vor der Behandlung, während nach Satz 7 die Abrechnung der
Festzuschüsse nach der Behandlung zu geschehen hat. Systematisch stellt sich die Bewilligung des
Festzuschusses als Endpunkt und damit als Teil der Prüfung des HKP dar. Sie hat daher in Anknüpfung an § 87 Abs
1a Satz 4 SGB V vor der Behandlung zu erfolgen. Wie der Senat schon zu der Vorgängerregelung ausgeführt hat,
kann auch nur auf diese Art und Weise der mit dem HKP verfolgte Zweck erreicht werden.
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bb) Die im 4. Kapitel des SGB V angesiedelten Vorschriften zum Genehmigungserfordernis regeln nicht nur die
Beziehungen zwischen KKn und Leistungserbringern, sondern gestalten auch das Leistungsrecht. Dies folgt zunächst
aus der Entstehungsgeschichte der Normen. Mit der Einführung der befundbezogenen Festzuschüsse in § 55 SGB V
(durch Art 1 Nr 36 Gesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190) wurden die Regelungen zum HKP nicht mehr - wie zuvor in §
30 SGB V - in die Vorschrift über den Leistungsanspruch, sondern in den neu geschaffenen Abs 1a des § 87 SGB V
aufgenommen. Die Rechtslage sollte damit - wie bereits dargelegt - insoweit aber nicht geändert werden, der
Gesetzgeber wollte vielmehr im Wesentlichen das geltende Recht übernehmen (Gesetzesbegründung, aaO, BT-
Drucks 15/1525 zu Nr 66 Buchst b; vgl auch Engelhard, aaO, K § 87 RdNr 526).
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Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen für ihre Auswirkung auf das Leistungsrecht. Zweck der Aufstellung des
HKP und des Genehmigungserfordernisses ist die Einhaltung der Grundsätze der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und
Wirtschaftlichkeit bei der in der Regel kostenaufwändigen zahnprothetischen Behandlung. Der KK soll - anders als bei
der ärztlichen Behandlung im Übrigen - Gelegenheit gegeben werden, die vorgesehene Versorgung mit Zahnersatz
vorab zu überprüfen und gegebenenfalls begutachten zu lassen, um auf diesem Wege die Inanspruchnahme der in
aller Regel mit hohen Kosten verbundenen Zahnersatzleistungen - auch im Interesse des Versicherten - steuern zu
können (vgl zur Rechtslage vor dem 1.1.2005: BSG SozR 4-1500 § 55 Nr 1 RdNr 10). Dieser Zweck würde
unterlaufen, wenn nicht auch der Leistungsanspruch des Versicherten von der Genehmigung der Behandlung abhängig
wäre.
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2. Die Klägerin hat für die am 25.3.2006 in Tschechien durchgeführte Behandlung nicht das vorgeschriebene
Genehmigungsverfahren durchgeführt.
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Der Kostenvoranschlag des tschechischen Zahnarztes ging nach den nicht mit der Revision angegriffenen und daher
für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG erst am 6.4.2006 bei der Beklagten ein. Eine Prüfung
und Genehmigung dieses HKP war demnach vor der Behandlung unmöglich. Da also schon der HKP der Beklagten zu
spät vorgelegt worden ist, ist unerheblich, ob die Beklagte die Klägerin - wie diese vorträgt - im Rahmen eines
Telefonats nicht darauf hingewiesen hat, dass auch die Genehmigung vor der Behandlung hätte erteilt werden
müssen.
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Anzuknüpfen ist nicht etwa an den am 15.7.2004 von der Beklagten genehmigten HKP des Zahnarztes Ihssen
(Ötigheim) vom 13.7.2004. Dahingestellt bleiben kann, ob überhaupt und ggf unter welchen Bedingungen die
Genehmigung des HKP eines anderen als die Behandlung durchführenden Zahnarztes herangezogen werden kann.
Denn die Genehmigung des HKP vom 15.7.2004 verlor jedenfalls durch Zeitablauf ihre rechtliche Wirkung. Eine enge
zeitliche Anbindung der Behandlung an die Prüfung und Genehmigung des HKP ergibt sich aus der Sache selbst:
Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlung lassen sich nur bezogen auf einen konkreten
Gesundheitszustand, der sich schon durch bloßen Zeitablauf oder wegen inzwischen durchgeführter Maßnahmen
geändert haben kann, bestimmen. Dementsprechend ist nach der Anlage 3 zum BMV-Z in der damals geltenden
Fassung (vgl unter "III. Zuschussfestsetzung" der Anlage 3 des BMV-Z in der Fassung vom 13.11.1985, geändert
durch Vereinbarung vom 18.8.1993, Stand: 7.4.2004) für die Wirksamkeit der Genehmigung des Festzuschusses
erforderlich, dass die Behandlung innerhalb von sechs Monaten nach Genehmigung erfolgt. Dies war hier nicht der
Fall; zwischen der Genehmigung im Juli 2004 und der Durchführung der Behandlung im März 2006 liegen mehr als 1
½ Jahre.
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3. Das für eine inländische Behandlung zwingend zu durchlaufende Genehmigungsverfahren ist auch bei einer
Behandlung in einem anderen EG-Mitgliedstaat grundsätzlich einzuhalten (dazu a). Eine europarechtliche
Diskriminierung geht damit bei europarechtskonformer Anpassung des Verfahrens nicht einher (dazu b).
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a) Die Regelung des zum 1.1.2004 durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom
14.11.2003 (BGBl I 2190) eingefügten § 13 Abs 4 SGB V setzt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) zur (passiven) Dienstleistungs- und Warenfreiheit im Bereich des Gesundheitswesens um und passt damit
das deutsche Krankenversicherungsrecht an die europarechtlichen Vorgaben an (vgl dazu BSGE 93, 94 = SozR 4-
2500 § 13 Nr 4, jeweils RdNr 8 ff). Da die Leistungserbringer im Ausland typischerweise nicht in das deutsche
Leistungserbringungssystem eingegliedert sind, wird Kostenerstattung gewährt. Wie sich schon aus der Formulierung
"anstelle der Sach- oder Dienstleistung" in § 13 Abs 4 Satz 1 SGB V ergibt, setzt dieser Umstand jedoch - ähnlich wie
in den weiteren Fällen der Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 und 3 SGB V (stRspr zu § 13 Abs 3 SGB V, vgl zuletzt
BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 19 RdNr 12 ff) - nicht das SGB V im Übrigen
außer Kraft, sondern belässt es bei seinem Leistungsrahmen.
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Das aufgezeigte Regelungskonzept des § 13 Abs 4 SGB V entspricht europäischem Recht: Es nimmt hin, dass
Leistungsvoraussetzungen und Begrenzungen des Leistungsumfangs, die im nationalen Recht angelegt sind,
uneingeschränkt gelten, wenn und solange sie für die Betroffenen nicht in europarechtswidriger Weise diskriminierend
wirken (vgl EuGHE I 2003, 4509, RdNr 97 ff, 106 ff = SozR 4-6030 Art 59 Nr 1 RdNr 127 ff, 137 ff - Müller-Fauré/van
Riet; EuGHE I 2004, 2641 RdNr 48 ff - Leichtle; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 11; BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 §
13 Nr 4, jeweils RdNr 10). Daher kann die Übernahme von Kosten für eine Krankenbehandlung im Ausland innerhalb
der EU von dem in Betracht kommenden inländischen Leistungsträger - hier der beklagten KK - nur insoweit verlangt
werden, als das Krankenversicherungssystem des Staates der Versicherungszugehörigkeit eine Deckung garantiert
(stRspr, vgl EuGHE I 2003, 4509, RdNr 106 = SozR 4-6030 Art 59 Nr 1 RdNr 137 - Müller-Fauré/van Riet). So hat der
EuGH etwa auch das Erfordernis, vor dem Facharzt zunächst einen Allgemeinarzt zu konsultieren, ausdrücklich als
zulässig angesehen (vgl EuGHE I 2003, 4509, RdNr 106 = SozR 4-6030 Art 59 Nr 1 RdNr 137 - Müller-Fauré/van
Riet). Dementsprechend gilt der Arztvorbehalt des § 15 SGB V für den Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln
und Laboruntersuchungen als Teil der Krankenbehandlung auch bei einer Behandlung im Ausland innerhalb der EU
(vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 13 ff).
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b) Das Erfordernis der Vorlage eines HKP zur Genehmigung auch bei einer Behandlung im Ausland innerhalb der EU
steht nicht im Widerspruch zu der durch Art 49 EG gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit. Denn es bewirkt nicht,
dass die in Deutschland zugelassenen Leistungserbringer gegenüber Anbietern von medizinischen Sach- und
Dienstleistungen, die in anderen Mitgliedstaaten der EU ansässig sind, ungerechtfertigt privilegiert werden.
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Das dargestellte Verfahren der Vorlage und Prüfung des HKP durch die KK vor der zahnprothetischen Behandlung gilt
unterschiedslos für den Fall der Versorgung mit Zahnersatz im Inland wie im Ausland. Nach der Rechtsprechung des
EuGH geht mit Anforderungen, die sowohl für Leistungen im Inland als auch im Ausland Geltung beanspruchen,
grundsätzlich keine Beeinträchtigung der europarechtlichen (passiven) Dienstleistungsfreiheit einher; dies gilt
insbesondere auch für die Durchführung eines Anerkennungs- bzw Genehmigungsverfahrens (vgl EuGHE I 2004,
2641, RdNr 37, 40 mwN - Leichtle; vgl zB auch Becker/Walser, NZS 2005, 449, 455 f).
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Eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit kann sich entgegen der Ansicht der Klägerin nicht daraus ergeben,
dass dem in einem anderen EG-Mitgliedstaat ansässigen Arzt das Erfordernis eines solchen Verfahrens für die
Bewilligung des Festzuschusses möglicherweise unbekannt ist und von ihm daher nicht beeinflusst werden kann.
Würde man - worauf die Argumentation der Klägerin hinaus läuft - nur solche Voraussetzungen und Anforderungen des
inländischen Rechtes im Falle einer Auslandsbehandlung für anwendbar erklären, von denen der nicht in Deutschland
niedergelassene Arzt Kenntnis hat, so würde dies zu einer willkürlichen und unvorhersehbaren Nichtanwendung
inländischen Rechts führen, welche die Leistungsgrenzen des nationalen Rechts obsolet werden ließe, obwohl das
europäische Recht hierzu keine Handhabe bietet: Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH lässt das
Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit
unberührt (EuGHE 1984, 523, juris RdNr 16 - Duphar ua; EuGHE I 1997, 3395, juris RdNr 27- Sodemare ua; EuGHE I
1998, 1831, juris RdNr 21 = SozR 3-6030 Art 30 Nr 1 S 5 - Decker; EuGHE I 1998, 1931, juris RdNr 17 = SozR 3-6030
Art 59 Nr 5 S 8 - Kohll; EuGH, Urteil vom 10.3.2009, C-169/09, zur Veröffentlichung vorgesehen in EuGHE, juris RdNr
29 - Hartlauer). In Ermangelung einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene bestimmt deshalb das Recht eines
jeden Mitgliedstaats, unter welchen Voraussetzungen ua ein Anspruch auf Leistung besteht (EuGHE I 1997, 511, juris
RdNr 36 - Stöber und Piosa Pereira; EuGHE I 1998, 1831, juris RdNr 22 = SozR 3-6030 Art 30 Nr 1 S 5 - Decker;
EuGHE I 1998, 1931, juris RdNr 18 = SozR 3-6030 Art 59 Nr 5 S 8 - Kohll).
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Anhaltspunkte für eine derartige, die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten missachtende Handhabung der inländischen
Anspruchsvoraussetzungen lassen sich auch der Rechtsprechung des EuGH nicht entnehmen. Vielmehr begründet -
wie dargelegt - die europäische Dienstleistungsfreiheit für den ausländischen Leistungserbringer gerade kein Recht,
ausländische Patienten nur zu den ihm bekannten, ausländischen Bedingungen zu behandeln (vgl ferner zB Kingreen,
Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, 540).
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Soweit die Regelungen des § 87 Abs 1a SGB V und des BMV-Z auf im Inland zugelassene Vertragszahnärzte
zugeschnitten sind, ist der Anwendungsbereich des § 87 Abs 1a SGB V und des BMV-Z allerdings in
europarechtskonformer Auslegung auf Behandlungen im Ausland innerhalb der EU zu erweitern. Diese
europarechtskonforme Auslegung kann bewirken, dass - wie auch das LSG zutreffend ausgeführt hat - der Arzt im
Ausland den HKP nicht zwingend auf den hierfür im Inland zur Verfügung stehenden Formularen erstellen muss,
sondern die für die Prüfung der KK notwendigen Informationen in formloser Art und Weise zusammenstellen kann.
Unklarheiten oder Zweifel können dabei unproblematisch durch Nachfragen der KK oder des Arztes behoben werden.
Wie gerade der vorliegende Fall zeigt, sind diesbezüglich keine durchgreifenden Bedenken gerechtfertigt; denn die
Beklagte hat der Klägerin das Fehlen der inländischen Formulare zum HKP nicht entgegengehalten.
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4. Nach den vorstehenden Ausführungen scheidet die Einleitung eines Vorlageverfahrens an den EuGH nach Art 234
EG aus. Durch die unter 3 a) dargestellte EuGH-Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass Leistungsvoraussetzungen
des nationalen Rechts auch bei der grenzüberschreitenden Inanspruchnahme von Krankenbehandlung
uneingeschränkt gelten, solange sie - wie hier - in gleicher Weise für eine Behandlung im Inland gelten. Es bestehen
daher keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung von Europarecht im hier betroffenen Bereich mehr (vgl hierzu
allgemein zB EuGHE 1982, 3415, 3430 - C.I.L.F.I.T.).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.