Urteil des BSG vom 22.08.2013

BSG: Grundsicherung für Arbeitsuchende, Eingliederungsleistung, Arbeitsgelegenheit, Rechtswidrigkeit der Zuweisung, keine zusätzliche Arbeit, öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 22.8.2013, B 14 AS 75/12 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Eingliederungsleistung - Arbeitsgelegenheit -
Rechtswidrigkeit der Zuweisung - keine zusätzliche Arbeit - öffentlich-rechtlicher
Erstattungsanspruch - kein Vorrang des Primärrechtsschutzes - Verletzung von Nebenpflichten
und Obliegenheiten
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
vom 5. September 2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Umstritten ist Wertersatz für geleistete Arbeit im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit gegen
Mehraufwandsentschädigung.
2 Die 1962 geborene, alleinstehende Klägerin bezog von dem Rechtsvorgänger des
beklagten Jobcenters laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Unter dem 31.10.2008 erstellte der Beklagte
eine Eingliederungsvereinbarung, die von der Klägerin am 7.11.2008 unterschrieben
wurde. Danach sollte sie zur Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt und zur
Auffrischung von Kenntnissen und Abbau von Defiziten eine Arbeitsgelegenheit mit
Mehraufwandsentschädigung wahrnehmen. Als Tätigkeit war "Organisationskraft"
vorgesehen, als Tätigkeitsort "Radio W" und als zeitlicher Umfang 35 Stunden pro Woche
mit einer täglichen Arbeitszeit von sieben Stunden "inklusive Qualifizierungsanteil". Die
Mehraufwandsentschädigung pro Stunde wurde auf 1,20 Euro festgesetzt. Ebenfalls vom
31.10.2008 datiert ein Schriftstück, das mit "Zuweisung in eine Beschäftigung nach § 16
Abs 3 SGB II U 65" überschrieben war. In diesem Schriftstück, das im Briefkopf eine
interne Abteilung des Beklagten auswies, waren ua neben dem Namen der Klägerin und
ihrem Geburtsdatum die Einsatzstelle (Radio W), die tägliche Beschäftigungszeit von
sieben Stunden (inklusive Qualifizierungsanteil) sowie die Mehraufwandspauschale von
1,20 Euro aufgenommen. Zusätzlich wurde festgeschrieben, dass die Zuweisung ab dem
3.11.2008 erfolge und voraussichtlich am 31.1.2009 enden werde. Darüber hinaus wurde
Erstattung der Kosten für die Anfahrt zur Maßnahme in Höhe einer Monatsfahrkarte von
43,50 Euro gewährt. Auf einer zweiten Seite wurden noch weitere Einzelheiten wie zB
Urlaubsanspruch oder Verhalten bei Erkrankung festgelegt und eine
Einverständniserklärung zur Datenübermittlung angefügt. Diese Seite trägt ebenfalls die
Unterschrift der Klägerin. Die Klägerin nahm am 3.11.2008 ihre Tätigkeit bei Radio W auf
und arbeitete dort bis zum Ende der Maßnahme am 31.1.2009. Der in der Zuweisung
ausgewiesene Qualifizierungsanteil wurde von dem Bildungsträger G-Schulen GmbH
übernommen.
3 Mit einem am 9.3.2009 bei dem Beklagten eingegangenen Schreiben legte die Klägerin
gegen die "Zuweisung vom 31.10.2008" Widerspruch ein. Die durchgeführte Förderung
habe keinen Bezug zu einer früheren oder möglichen zukünftigen Arbeit gehabt. Dies
habe sie leider zu spät bemerkt. Erkannt habe sie aber am Ende der Beschäftigung, dass
ihre Zuweisung zu Radio W ausschließlich dazu gedient habe, dieser Einrichtung zu einer
kostengünstigen bzw kostenfreien Arbeitskraft zu verhelfen. Mit Widerspruchsbescheid
vom 2.6.2009 verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig, da es sich bei der
Zuweisung nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt habe.
4 Mit ihrer Klage zum Sozialgericht (SG) hat die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur
Zahlung einer leistungsgerechten Arbeitsvergütung begehrt und den Gesamtbetrag für drei
Monate, ausgehend von dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst unter Abzug
erhaltener Sozialleistungen mit insgesamt 3717,76 Euro beziffert. Das SG hat mit Urteil
vom 23.2.2010 die Klage abgewiesen. Diese sei zwar als reine Leistungsklage statthaft,
sie sei aber unbegründet, weil die Voraussetzungen für den allein in Betracht kommenden
öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht gegeben seien.
5 Die dagegen eingelegte Berufung ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des
Landessozialgerichts vom 5.9.2012). Entgegen der Auffassung des SG sei die
vorliegende Klage nicht lediglich als Leistungsklage aufzufassen, sondern - soweit die
Rechtswidrigkeit der Zuweisung vom 31.10.2008 geltend gemacht werde - als
Anfechtungsklage. Zutreffend sei dagegen das Klagebegehren, einen Wertersatz im Wege
eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zu erhalten, im Wege der reinen
Leistungsklage geltend gemacht worden. Es liege insoweit eine Klagehäufung vor.
6 Die Klage auf Wertersatz sei in der Sache nicht begründet. Zwar habe das
Bundessozialgericht (BSG) zwischenzeitlich entschieden, dass ein öffentlich-rechtlicher
Erstattungsanspruch in Betracht komme, wenn vom Hilfebedürftigen nach Zuweisung in
eine Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung Arbeiten geleistet worden
seien, die sich als rechtsgrundlos erweisen. Vorliegend spreche einiges dafür, dass es an
der gesetzlichen Voraussetzung der Zusätzlichkeit der Beschäftigung gefehlt habe, dies
könne aber offenbleiben. Gleiches gelte auch für die Frage, in welcher Höhe Wertersatz
für die ggf rechtsgrundlos erlangte Arbeitsleistung von dem Beklagten zu leisten wäre. Der
geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch scheitere jedenfalls daran,
dass die Klägerin die Zuweisung in die Arbeitsgelegenheit zunächst hingenommen und
gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Maßnahme erst einige Zeit nach deren Beendigung
in Anspruch genommen habe. Der Grundsatz des Vorrangs des Primärrechtsschutzes
finde im gesamten öffentlichen Recht Anwendung und lasse dem Betroffenen keine
Wahlmöglichkeit, entweder einen gegen ihn gerichteten rechtswidrigen Hoheitseingriff mit
den zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmitteln abzuwehren oder aber diesen freiwillig
zu dulden und dafür einen Ersatz zu liquidieren. Es könne dabei offenbleiben, ob § 839
Abs 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der hinsichtlich der Nichteinlegung des
Rechtsbehelfs ein Verschulden des Betroffenen voraussetze, in der vorliegenden
Konstellation entsprechend anwendbar sei. Jedenfalls sei ein Verschulden der Klägerin
zu bejahen, denn es wäre ausreichend gewesen, wenn sie dem Beklagten gegenüber
zum Ausdruck gebracht hätte, dass sie mit der Zuweisung nicht mehr einverstanden sei.
Zwar entfalle der Ersatzanspruch nur, soweit die schuldhafte Nichteinlegung des
Rechtsbehelfs für den eingetretenen Schaden ursächlich geworden sei. Für die durch den
Qualifizierungsanteil unterbrochene Einführungsphase lasse sich aber in Ermangelung
nennenswerter Arbeitsleistung ein bezifferbarer Erstattungsanspruch nicht feststellen.
Könne die Leistungsklage nach alledem keinen Erfolg haben, sei für die isolierte
Anfechtungsklage gegen den Zuweisungsbescheid, dessen Geltungszeitraum längst
abgelaufen sei, das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen.
7 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Die
Klägerin ist der Ansicht, die Ablehnung des Ersatzanspruchs durch das LSG beruhe auf
unzutreffenden Annahmen im Hinblick auf die Möglichkeit, Rechtsschutz in Anspruch zu
nehmen. Es habe zum damaligen Zeitpunkt keine realistischen
Rechtsschutzmöglichkeiten für sie gegeben, da in der Zeit 2008/2009 schon streitig
gewesen sei, ob es sich bei einer Zuweisung um einen Verwaltungsakt handele oder
nicht. Der Beklagte selbst sei in seinem Widerspruchsbescheid davon ausgegangen, dass
kein Verwaltungsakt vorliege. Es habe deshalb von der Klägerin nicht erwartet werden
können, dass sie Widerspruch einlege. Insbesondere sei ein etwaiger Widerspruch nicht
"umgehend" einzulegen gewesen, da der Zuweisungsbescheid vom 31.10.2008 datiere,
die Tätigkeit jedoch erst am 3.11.2008 begonnen habe. Soweit das LSG die Auffassung
vertrete, die Rechtswidrigkeit hätte auch schon sehr viel früher als am Ende der
Beschäftigung erkannt werden können, so sei nicht ersichtlich, wann dies gewesen sein
solle. Was den vom LSG angesprochenen Eilrechtsschutz betreffe, so sei nicht erkennbar,
welchen Eilrechtsschutz sie hätte erfolgreich in Anspruch nehmen können.
8 Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 5. September 2012 und
des Sozialgerichts Bremen vom 23. Februar 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom
31. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Juni 2009 aufzuheben
und den Beklagten zu verurteilen, ihr 3717,76 Euro nebst Prozesszinsen zu zahlen.
9 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10 Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Eingliederungsmaßnahme sei inhaltlich
mit der Klägerin abgesprochen gewesen, von dieser freiwillig abgeschlossen und nicht
gekündigt worden. Da die Klägerin zu keinem Zeitpunkt darauf aufmerksam gemacht
habe, dass sie mit der Art der Durchführung der Maßnahme nicht einverstanden gewesen
sei, habe keine Möglichkeit bestanden, im Rahmen der laufenden Maßnahme noch
eingreifen zu können.
Entscheidungsgründe
11 Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen
Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ). Mangels
ausreichender Feststellungen des LSG konnte nicht abschließend über den von der
Klägerin in der Sache begehrten Wertersatz für geleistete Arbeit im Rahmen einer
Arbeitsgelegenheit entschieden werden.
12 1. Die Leistungsklage der Klägerin auf Wertersatz ist unabhängig von der Zulässigkeit
ihrer Anfechtungsklage gegen den "Bescheid des Beklagten vom 31.10.2008 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 2.6.2009" zulässig, weil es sich um eine reine
Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG handelt (BSG Urteil vom 13.4.2011 - B 14 AS 98/10
R - BSGE 108, 116 = SozR 4-4200 § 16 Nr 7, RdNr 13). Angesichts dessen sind weitere
Ermittlungen des Senats zur Zulässigkeit der Anfechtungsklage untunlich, weil diese
Entscheidung von der Frage abhängt, ob das Schriftstück vom 31.10.2008 überhaupt ein
Verwaltungsakt ist - wie die Klägerin behauptet, der Beklagte aber in seinem
Widerspruchsbescheid verneint und das LSG offengelassen hat - und in welchem
Verhältnis das Schriftstück zur Eingliederungsvereinbarung steht, die von Seiten des
Beklagten am 31.10.2008 und von der Klägerin am 7.11.2008 unterschrieben wurde. Die
Würdigung beider Schriftstücke ist seitens des LSG ohnehin im Rahmen seiner weiteren
Ermittlungen notwendig.
13 2. Als Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren auf Wertersatz kommt allein ein
öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Betracht, der als aus den allgemeinen
Grundsätzen des öffentlichen Rechts abgeleitetes Rechtsinstitut voraussetzt, dass im
Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen
Grund erbracht wurden oder eine sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebung
stattgefunden hat, und ein Recht auf Herausgabe des Erlangten verschafft (BSG Urteil
vom 13.4.2011 - B 14 AS 98/10 R - BSGE 108, 116 = SozR 4-4200 § 16 Nr 7, RdNr 13;
BSG Urteil vom 27.8.2011 - B 4 AS 1/10 R - BSGE 109, 70 = SozR 4-4200 § 16 Nr 9).
14 Es mangelt insoweit bereits an den zur endgültigen Überprüfung des Anspruchs
notwendigen bindenden Feststellungen hinsichtlich der Arbeitsleistung der Klägerin. Das
LSG hat zwar in den Raum gestellt, dass nur ein Teil der von der Klägerin geleisteten
Arbeit eine wirtschaftlich verwertbare Leistung darstellen könne, weil sie über einen
längeren Zeitraum keine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr ausgeübt
habe und sie sich erst wieder an eine regelmäßige Arbeitstätigkeit habe gewöhnen und
zugleich erproben müssen, ob sie den sich daraus ergebenden Belastungen gewachsen
sei. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass ein Teil der Arbeitszeit auf die
Qualifizierungsmaßnahmen durch die G-Schulen entfallen sei. Aus diesen Überlegungen
zieht das LSG jedoch keine Schlussfolgerungen. Da auch nur ein Teil der geleisteten
Arbeit sich als wertschöpfende, fremdnützige Tätigkeit mit Vermögensverschiebung zu
Gunsten des Beklagten darstellen kann (vgl BSG Urteil vom 13.4.2011 - B 14 AS 98/10 R -
BSGE 108, 116 = SozR 4-4200 § 16 Nr 7, RdNr 16 ff), hätten die verschiedenen Teile der
Tätigkeit der Klägerin ausdrücklich nach Art und Umfang bezeichnet werden müssen.
15 3. Entscheidend ist aber letztlich, dass nicht abschließend entschieden werden kann, ob
die mögliche Vermögensverschiebung ohne Rechtsgrund erfolgt ist. Insofern konnte
insbesondere nicht offenbleiben, ob die Tätigkeit im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit
nach § 16 Abs 3 Satz 2 SGB II (in der ab 1.8.2006 geltenden Fassung des
Fortentwicklungsgesetzes vom 20.7.2006, BGBl I 1706) bzw nach § 16d Satz 2 SGB II in
der ab 1.1.2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuausrichtung der
arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl I 2917) eine "zusätzliche"
Arbeit war. Wird das Merkmal der Zusätzlichkeit verneint, hat dies zur Folge, dass der
ursprüngliche Rechtsgrund für die Arbeitsgelegenheit - entweder die
Eingliederungsvereinbarung oder ein entsprechender Verwaltungsakt - von Anfang an
nicht vorlag oder im Laufe der Tätigkeit entfallen sein könnte. Um dies beurteilen zu
können, sind jedoch zunächst Feststellungen dahingehend zu treffen, welches
Verwaltungshandeln ursprünglich den Rechtsgrund für die Arbeitsgelegenheit der
Klägerin dargestellt hat.
16 a) Vorliegend kommt als Rechtsgrund für die Arbeitsgelegenheit in erster Linie die
Eingliederungsvereinbarung vom 31.10.2008/7.11.2008 in Betracht. Der Senat hat zwar in
einem weiteren Urteil vom 13.4.2011 (B 14 AS 101/10 R - SozR 4-1200 § 16 Nr 8 RdNr 16
f) ausgesprochen, dass es sich bei einer auf einer Eingliederungsvereinbarung
beruhenden Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit regelmäßig um einen Verwaltungsakt iS
des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) handele, da dort außerhalb des
weit gesteckten Rahmens für die Abfassung von Eingliederungsvereinbarungen der
konkrete Inhalt der Arbeitsgelegenheit bestimmt werde (vgl auch Voelzke in Hauck/Noftz,
SGB II, Stand 7/2012, § 16b RdNr 40). Im vorliegenden Fall ist jedoch eine
Konkretisierung der Arbeitsgelegenheit bereits in der Eingliederungsvereinbarung selbst
erfolgt. Sie regelt alle wesentlichen Einzelheiten der Arbeitsgelegenheit; die Klägerin hat
unterschrieben und damit eingewilligt, dass sie als Organisationskraft bei Radio W mit
einem zeitlichen Umfang von 35 Stunden und einer zeitlichen Verteilung von sieben
Stunden pro Tag bei einer Mehraufwandsentschädigung von 1,20 Euro pro Stunde
arbeiten wird, wobei das individuell verfolgte Maßnahmeziel in der Vermittlung von
Kenntnissen lag. Nur wenn in einer Eingliederungsvereinbarung keine solchen konkreten
Festlegungen hinsichtlich der Arbeitsgelegenheit vorgenommen werden, bedarf es dieser
Festlegungen "im Nachgang" und können diese insoweit auch durch einseitige Regelung
des Trägers erfolgen (BSG aaO).
17 b) Ob das ebenfalls auf den 31.10.2008 datierende Schriftstück des Beklagten einen
Verwaltungsakt darstellt, in dem die konkreten Einzelheiten der Zuweisung grundlegend
geregelt werden, oder ob es sich insofern um eine ergänzende Vereinbarung zwischen
dem Beklagten und der Klägerin handelt, wäre unter dem vorgenannten Gesichtspunkt,
dass eine konkretisierende Eingliederungsvereinbarung als Rechtsgrund für die
Arbeitsgelegenheit ausreicht, ebenfalls zu prüfen. Dabei wird zu berücksichtigen sein,
dass nach Aktenlage das Schriftstück vom 31.10.2008 aus zwei Seiten besteht und die
Klägerin die letzte Seite unterschrieben hat, was für eine ergänzende Vereinbarung zu der
Eingliederungsvereinbarung vom selben Tage spricht, zumal in dem Schriftstück
dieselben Einzelheiten wie in der Eingliederungsvereinbarung aufgeführt sind und
lediglich die Zeit der Zuweisung (vom 3.11.2008 bis 31.1.2009) sowie die Kosten für die
Anfahrt zur Maßnahme ergänzend aufgeführt werden.
18 Andererseits ist das Schriftstück vom 31.10.2008 als "Zuweisung in eine Beschäftigung
nach § 16 Abs 3 SGB II U 65" überschrieben, was auf einen Verwaltungsakt hindeuten
könnte. Allerdings ist das Schriftstück nach dem Briefkopf an eine interne Geschäftsstelle
des Beklagten gerichtet, was jedenfalls von der äußeren Gestaltung her gegen einen an
die Klägerin adressierten Verwaltungsakt spricht. Dass die Rechtsnatur von Zuweisungen
zu Arbeitsgelegenheiten unterschiedlich sein kann und nicht ausnahmslos
Verwaltungsakte iS des § 31 Satz 1 SGB X zugrunde zu legen sind, entspricht auch der
Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (BSG Urteil vom 27.8.2011 - B 4 AS 1/10 R -
BSGE 109, 70 = SozR 4-4200 § 16 Nr 9). Danach ist nach den Umständen des konkreten
Einzelfalls zu beurteilen, ob eine Regelung iS des § 31 SGB X vorliegt, wobei der
Empfängerhorizont maßgeblich ist.
19 c) Kommt das LSG nach den vorgenannten Maßgaben zu dem Ergebnis, dass das
Schriftstück vom 31.10.2008 einen Verwaltungsakt darstellt, so ist dessen Wirksamkeit zu
überprüfen unter dem Blickwinkel, dass die Klägerin dieses von ihr als Verwaltungsakt
qualifizierte Schriftstück unter Berufung auf die mangelnde Zusätzlichkeit der Tätigkeit
angefochten hat. Wird dagegen die Eingliederungsvereinbarung als maßgeblicher
Rechtsgrund für die Arbeitsgelegenheit zugrunde gelegt, ist deren Nichtigkeit nach § 58
Abs 2 Nr 4 SGB X zu prüfen, weil bei mangelnder Zusätzlichkeit in der Vereinbarung eine
nach § 55 SGB X unzulässige Gegenleistung versprochen wurde. In beiden Fällen entfällt
nach positiver Prüfung der Rechtsgrund für die Arbeitsgelegenheit, weshalb es bei der
erneuten Entscheidung des LSG maßgeblich auf die Klärung der Frage der Zusätzlichkeit
der Arbeitsgelegenheit ankommen wird.
20 4. Ein Anspruch auf Wertersatz scheitert nicht von vornherein deshalb, weil die Klägerin
die Arbeiten zunächst widerspruchslos ausgeführt hat.
21 a) Ob einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch überhaupt der Rechtsgedanke des
§ 814 BGB (Kenntnis der Nichtschuld) entgegenstehen kann (BSG Urteil vom 13.4.2011 -
B 14 AS 98/10 R - BSGE 108, 116 = SozR 4-4200 § 16 Nr 7, RdNr 21 mwN), kann auch in
diesem Verfahren offen bleiben, weil die Klägerin nach den Feststellungen des LSG die
Zuweisung zunächst hingenommen hat und erst ab einem bestimmten, nicht näher
festgestellten Zeitpunkt Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Arbeit hatte. Zweifel
beinhalten aber keine Kenntnis von einer Nichtschuld.
22 b) Ein vorliegend durchgreifender allgemeiner "Vorrang des Primärrechtsschutzes" ist
nicht zu erkennen. Zur Begründung eines solchen von ihm angenommenen "im gesamten
öffentlichen Recht" Geltung beanspruchenden Grundsatzes, der über die
spezialgesetzliche Regelung in § 839 Abs 3 BGB hinaus geht, hat das LSG sich
insbesondere auf die Entscheidung des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) vom 15.7.1981 (1 BvL 77/78 - BVerfGE 58, 300: "Nassauskiesung") bezogen, in
der aber kein derartiger allgemeiner Grundsatz begründet wird, sondern ausgehend von
der konkreten Fallgestaltung und dem Fehlen einer gesetzlichen Entschädigungsregelung
bei einem rechtswidrigen Eingriff und dem Unterlassen der grundgesetzlich zulässigen
und möglichen Klage gegen den Eingriffsakt ein Entschädigungsanspruch verneint wird
(BVerfG, aaO, Juris-RdNr 94 f; ähnlich: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats
vom 4.9.2008 - 2 BvR 1720/03 - Juris-RdNr 41). In den anderen vom LSG angeführten
sowie weiteren Entscheidungen wird ebenfalls kein allgemeiner Grundsatz des
Primärrechtsschutzes hergeleitet, sondern nur angesprochen und sein Eingreifen jeweils
verneint (vgl BSG Urteil vom 15.12.2009 - B 1 AS 1/08 KL - BSGE 105, 100 = SozR 4-
1100 Art 104a Nr 1, RdNr 16 f: Abstellen auf die Besonderheiten von Art 84 Abs 4 und Art
104a Abs 5 GG; BVerwG Beschluss vom 22.5.2003 - 6 B 25/03 - Juris-RdNr 6: keine
Annahme eines allgemeinen Grundsatzes, sondern Bewertung der Nicht-
Inanspruchnahme von Rechtsschutz als Mitverschulden gemäß § 62 VwVfG, § 254 BGB;
BGH Urteil vom 13.7.1995 - III ZR 160/94 - BGHZ 130, 332, Juris-RdNr 8; BGH Urteil vom
21.10.1999 - III ZR 130/98 - BGHZ 143, 18, Juris-RdNr 30: Verneinung der Anwendung
eines Vorrangs des Primärrechtsschutzes, aber Hinweis auf ein Mitverschulden des
Klägers und seine Schadensminderungspflicht). In der vom LSG angeführten Literatur wird
ebenfalls kein solcher allgemein geltender Grundsatz aufgestellt, sondern die
Rechtsmittelversäumung als eine Ausprägung des Mitverschuldens angesehen (Papier in
Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl 2013, § 839 RdNr 329).
23 Gegen einen solchen allgemeinen Grundsatz spricht entscheidend die Konzeption des
sozialgerichtlichen Verwaltungsverfahrens, das, wie insbesondere § 44 SGB X zeigt,
weniger auf die formelle Rechtswahrnehmung, sondern stärker auf die materielle
Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit ausgerichtet ist. Bestätigt wird dies durch die
allgemeinen Vorschriften im Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), wie § 2 Abs 2 Halbs 2
SGB I, nach dem sicherzustellen ist, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend
verwirklicht werden, §§ 13 bis 15 SGB I über Aufklärung, Beratung, Auskunft,
einschließlich dem aus ihnen abgeleiteten Herstellungsanspruch, § 17 SGB I über die
Ausführung von Sozialleistungen.
24 c) Wenn es auch keinen allgemeinen Grundsatz des Primärrechtsschutzes für das
gesamte öffentliche Recht gibt, so bestehen dessen ungeachtet in öffentlich-rechtlichen
(Sozial-)Rechtsverhältnissen wie zwischen der Klägerin als SGB II-Leistungsempfängerin
und dem beklagten Jobcenter Nebenpflichten und Obliegenheiten (vgl zur Unterscheidung
nur: Grüneberg in Palandt, 72. Aufl 2013, vor § 241 RdNr 13; zum SGB X: Vogelgesang in
Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 6/2013, K § 21 RdNr 30), deren Verletzung zu
Rechtsnachteilen führen kann.
25 Eine Kodifikation solcher Pflichten und Obliegenheiten enthalten § 21 Abs 2 SGB X und
§§ 60 ff SGB I über die "Mitwirkungspflichten" der Beteiligten, ohne dass diese
beanspruchen, insofern abschließend zu sein. Dass aus dem Sozialrechtsverhältnis
Nebenpflichten erwachsen, entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl
allgemein nur BSG Urteil vom 19.3.1992 - 7 RAr 26/91 - BSGE 70, 186 = SozR 3-1200 §
53 Nr 4, Juris-RdNr 23: Schadensersatzpflicht; ähnlich: BSG Urteil vom 27.1.2000 - B 12
KR 10/99 R - SozR 3-2400 § 28h Nr 11, Juris-RdNr 18 ff; BSG Urteil vom 25.3.1999 - B 9
V 11/98 R - SozR 3-3100 § 10 Nr 6, Juris-RdNr 22; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR
13/08 R - BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 36 ff; zum
Herstellungsanspruch als Folge einer Verletzung von Nebenpflichten: BSG Urteil vom
18.12.1975 - 12 RJ 88/75 - BSGE 41, 126 = SozR 7610 § 242 Nr 5; BSG Urteil vom
23.7.1986 - 1 RA 31/85 - BSGE 60, 158 = SozR 1300 § 44 Nr 23; BSG Urteil vom
29.8.2012 - B 12 R 7/10 R - SozR 4-2600 § 2 Nr 16; speziell zu Pflichten der
Leistungsberechtigten: BSG Urteil vom 23.3.1972 - 5 RJ 63/70 - BSGE 34, 124 = SozR Nr
25 zu § 29 RVO, Juris-RdNr 18 f; BSG Urteil vom 10.11.1977 - 3 RK 44/75 - BSGE 45, 119
= SozR 2200 § 1542 Nr 1, Juris-RdNr 18 ff; vgl auch BVerwG Urteil vom 13.4.1984 - 4 C
31/81; BVerwG Beschluss vom 20.1.2010 - 9 B 31/09; vgl zu Nebenpflichten bei öffentlich-
rechtlichen Verträgen: Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 61 RdNr 94 ff; Engelmann in von
Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, RdNr 4a, 4c; vgl allgemein zu Nebenpflichten in öffentlich-
rechtlichen Rechtsverhältnissen: Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs,
Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl 2008, § 9 RdNr 30 ff). Als typische Folge einer
solchen Pflichtverletzung kann es zu einem Herstellungsanspruch kommen (BSG aaO).
Andere Folgen können Schadensersatzansprüche oder, insbesondere bei der Verletzung
von Obliegenheiten, die Begrenzung eigener Ansprüche sein, sodass im Ergebnis kein
grundlegender Unterschied zu den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und
Bundesgerichtshofs besteht (BVerwG Beschluss vom 22.5.2003 - 6 B 25/03 - Juris-RdNr
6; BGH Urteil vom 13.7.1995 - III ZR 160/94 - BGHZ 130, 332, Juris-RdNr 8; BGH Urteil
vom 21.10.1999 - III ZR 130/98 - BGHZ 143, 18, Juris-RdNr 30).
26 Übertragen auf das zwischen der Klägerin und dem Beklagten als Träger von Leistungen
nach dem SGB II bestehende Sozialrechtsverhältnis bedeutet dies: Dem Anspruch der
Klägerin auf Wertersatz kann entgegenstehen, dass sie ihre Obliegenheit aus dem
sozialrechtlichen Grundverhältnis gegenüber dem beklagten Jobcenter verletzt hat, dieses
auf mögliche rechtswidrige Umstände hinzuweisen und die Möglichkeit zur Abhilfe zu
geben, wenn aus dem Grundverhältnis weitere Ansprüche abgeleitet werden sollen. Auf
die Entscheidung, ob der Rechtsgrund für ihr Tätigwerden die
Eingliederungsvereinbarung vom 31.10.2008/7.11.2008 oder ein in dem Schriftstück vom
31.10.2008 verlautbarter Verwaltungsakt ist, kommt es insofern nicht an (vgl zur
Eingliederungsvereinbarung als öffentlich-rechtlicher Vertrag: BSG Urteil vom 14.2.2013 -
B 14 AS 195/11 R - SozR 4-4200 § 15 Nr 2). Ein solcher Hinweis ist einem
Leistungsbezieher auch regelmäßig zumutbar (vgl Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs,
Verwaltungsverfahrensgesetz, aaO, § 9 RdNr 36) und entspricht - wenn auch nicht direkt -
den Obliegenheiten aus § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB I, Tatsachen anzugeben, die
für die Leistung erheblich sind, und ebensolche Änderungen mitzuteilen. Unterlässt er
diesen Hinweis, besteht ab dem Kennenkönnen auch kein Anspruch auf Wertersatz mehr,
vielmehr ist eine Anspruchsbegrenzung ab dem Zeitpunkt anzunehmen, ab dem auch aus
der Laienperspektive Anlass bestanden hätte, den Beklagten auf die Fehlerhaftigkeit der
Zuweisung hinzuweisen ("hier läuft etwas schief").
27 Wann dieser Zeitpunkt für die Anspruchsbegrenzung eintritt, hängt von dem konkreten
Einzelfall ab und hat sowohl die Erkenntnismöglichkeiten des Leistungsbeziehers als
auch die Art der Arbeitsgelegenheit zu berücksichtigen. Für das vorliegende Verfahren
bedeutet dies, dass nicht ab dem ersten Tag der Arbeitsgelegenheit die Hinweispflicht
bestand, aber angesichts der Tatsache, dass die Klägerin nach den Feststellungen des
LSG über den gesamten Maßnahmezeitraum hinweg gleichmäßig mit den Tätigkeiten
"Disposition, Telefonzentrale, Geräterücknahme" beschäftigt war, jedenfalls vor Ende der
Maßnahme, zumal sie in deren Verlauf, wenn auch - so die Klägerin - leider zu spät, die
fehlende Zusätzlichkeit erkannt habe. Insoweit sind ebenfalls weitere Feststellungen des
LSG notwendig.
28 Schließlich wird das LSG über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.