Urteil des BSG vom 28.03.2013

BSG: eigene mittel, heizung, existenzminimum, witwenrente, wasser, ausschluss, grundrecht, nettoeinkommen, gestaltungsspielraum, überprüfung

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 28.3.2013, B 4 AS 47/12 R
Tenor
Auf die Sprungrevision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 20. März
2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses
Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Streitig ist, ob die Klägerin im Zeitraum vom 1.4.2011 bis zum 30.9.2011 höhere Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beanspruchen kann.
2 Die im Jahre 1957 geborene Klägerin bezieht eine Witwenrente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung in Höhe von monatlich 370,90 Euro. Für die von ihr allein bewohnte
Wohnung fallen Mietkosten in Höhe von 300 Euro einschließlich einer
Heizkostenpauschale an. Der Beklagte bewilligte ihr für die Zeit vom 1.4.2011 bis zum
30.9.2011 zunächst SGB II-Leistungen in Höhe von 318,10 Euro monatlich (Bescheid vom
9.3.2011). Nach der Neufestsetzung der Regelbedarfe ab 1.1.2011 erbrachte er Leistungen
in Höhe von 323,10 Euro monatlich (23,10 Euro Regelbedarf zzgl 300 Euro für die Kosten
der Unterkunft und Heizung). Die Witwenrente rechnete er unter Abzug einer
Versicherungspauschale von monatlich 30 Euro an (Bescheid vom 26.3.2011;
Widerspruchsbescheid vom 6.5.2011).
3 Das SG hat die auf höhere Leistungen gerichtete Klage abgewiesen und zur Begründung
seiner Entscheidung ausgeführt, die Klägerin habe weder nach dem SGB II noch aus dem
Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum einen Anspruch auf höhere
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Urteil vom 20.3.2012). Die Witwenrente
sei unter Abzug der Versicherungspauschale gemäß § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II iVm § 6
Abs 1 Nr 1 Alg II-V zutreffend angerechnet worden. Nach dem SGB II stehe der Klägerin ein
Regelbedarf in Höhe von 364 Euro zu. Ein Mehrbedarf sei weder geltend gemacht worden
noch bestünden Anhaltspunkte für einen solchen. Die Bemessung der Höhe der
Regelbedarfe nach dem SGB II verstoße nicht gegen die Vorgaben des BVerfG in seinem
Urteil vom 9.2.2010. Die Zusammensetzung der in die Einkommens- und
Verbrauchsstatistik (EVS) 2008 einbezogenen Referenzhaushalte sei ebenso wie die
Entscheidung des Gesetzgebers, die unteren 15 % der nach ihrem Nettoeinkommen
geschichteten Einpersonenhaushalte als Grundlage für die Bedarfsermittlung anzusetzen,
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. In der Nichtberücksichtigung einzelner
Produkte bei der Auswertung der EVS 2008 liege ebenfalls kein Verstoß gegen das
Grundgesetz.
4 Mit ihrer Sprungrevision trägt die Klägerin vor, problematisch sei der fehlende Ausschluss
von Leistungsbeziehern nach dem BAföG, deren Lebensstandard unter dem der Bezieher
von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII liege, bei der Referenzgruppenbildung.
Zudem hätten Studenten relativ hohe Ausgaben für Gaststättendienstleistungen, die jedoch
im Regelbedarf erheblich gekürzt worden seien. Durch die Herausnahme einzelner
Positionen als nicht regelbedarfsrelevant habe der Gesetzgeber das gewählte
Statistikmodell verfälscht und unzulässig mit dem Warenkorbmodell vermischt. Dies treffe
zB auf die Positionen für Tabakwaren und alkoholische Getränke zu. Alkoholkonsum decke
auch den Kalorienbedarf eines Menschen und hätte daher durch nahrhafte Getränke und
nicht durch Wasser ersetzt werden müssen. Den Kürzungen des Regelbedarfs bei
Gaststättendienstleistungen liege ein zu niedriger Warenwert zugrunde. Es sei auch
unberücksichtigt geblieben, dass beim Zubereiten von Mahlzeiten über den Warenwert
hinausgehende Kosten entstünden, etwa für Wasser und Elektrizität. Würden - im Bereich
des Verkehrs - Kosten für die Benutzung von Kraftfahrzeugen als nicht regelbedarfsrelevant
behandelt, müssten umgekehrt Beträge für fremde Verkehrsdienstleistungen berücksichtigt
werden. Wie das SG Berlin in seinem Vorlagebeschluss an das BVerfG vom 25.4.2012 (S
55 AS 9238/12) ausgeführt habe, ergäben diese Fehler einen Betrag von mindestens 100
Euro monatlich, um welchen das Existenzminimum unterschritten werde. Dies mache eine
Überprüfung des Regelbedarfs durch das BVerfG notwendig.
5 Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 20. März 2012 aufzuheben und den Beklagten
unter Abänderung des Bescheides vom 26. März 2011 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2011 zu verurteilen, höhere Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II, mindestens einen Betrag in Höhe von 407 Euro
monatlich zuzüglich der gewährten Kosten der Unterkunft und Heizung zu bewilligen.
6 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Der Beklagte trägt vor, das BSG habe bereits mit Urteil vom 12.7.2012 (B 14 AS 153/11 R)
entschieden, dass der Regelbedarf für Alleinstehende vom Gesetzgeber für die Zeit ab
1.1.2011 nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden sei.
8 Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
9 Die Sprungrevision ist zulässig. Die Klägerin hat mit der Einlegung der Sprungrevision die
Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem SG vom 20.3.2012 vorgelegt.
Hiernach haben die Beteiligten "ihr Einverständnis mit der Einlegung der Sprungrevision
bei dem Bundessozialgericht unter Umgehung der Berufungsinstanz" erklärt; dies ist als
Zustimmungserklärung ausreichend (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leiterer, SGG, 10.
Aufl 2012, § 161 RdNr 4b mwN)
10 1. Die Sprungrevision ist insoweit begründet, als das Urteil des SG aufzuheben und der
Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht
zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Die bisher getroffenen Feststellungen
lassen keine abschließende - positive oder negative - Entscheidung darüber zu, ob der
geltend gemachte Anspruch auf höhere SGB II-Leistungen in dem Zeitraum vom 1.4.2011
bis 30.9.2011 begründet ist.
11 Gegenstand des Verfahrens ist - nach den tatsächlichen Feststellungen des SG, an die
der Senat gebunden ist (§ 163 SGG) - allein der Bescheid vom 26.3.2011 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 6.5.2011. Hiergegen wendet sich die Klägerin zu Recht
mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 iVm 4, § 56 SGG).
Ihr Begehren ist auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gerichtet und
nach dem sog "Meistbegünstigungsprinzip" unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu
prüfen (BSGE 97, 217 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 11; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 9
RdNr 11). Vor diesem Hintergrund fehlen Feststellungen des SG zu einem möglichen
Anspruch auf einen - ab 1.1.2011 - gesetzlich vorgesehenen Mehrbedarf für Kosten des
Warmwassers bei dezentraler Warmwassererzeugung nach § 21 Abs 7 SGB II, die der
Senat im Revisionsverfahren nicht nachholen kann (2). Die Höhe des Regelbedarfs für
Alleinstehende ist nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für
Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG dagegen nicht verfassungswidrig zu niedrig
festgesetzt (3).
12 2. Ob die Klägerin Anspruch auf einen Mehrbedarf für Kosten des Warmwasserverbrauchs
bei dezentraler Warmwassererzeugung hat, bedarf noch weiterer Feststellungen des SG.
Das SG hat zwar in seinem Urteil festgestellt, dass die Klägerin leistungsberechtigt iS des
§ 7 Abs 1 S 1 SGB II ist, weil sie die in dieser Norm genannten Voraussetzungen sämtlich
erfüllt. Insbesondere ist sie hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II, weil sie
neben ihrem monatlichen Einkommen aus einer Witwenrente in Höhe von 370,90 Euro
über kein weiteres Einkommen, etwa aus einer Erwerbstätigkeit, verfügt. Ihr Bedarf
übersteigt das abzüglich der gemäß § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II iVm § 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-
V anzusetzenden Versicherungspauschale in Höhe von 30 Euro monatlich
anzurechnende Einkommen. Der Beklagte hat die Regelungen des SGB II bei der
Berechnung der der Klägerin zustehenden Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts zutreffend angewandt und einen Regelbedarf in Höhe von 364 Euro
sowie die Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe der sich aus dem Mietvertrag
ergebenden tatsächlichen Verpflichtungen berücksichtigt.
13 Soweit das SG allerdings ausgeführt hat, ein Mehrbedarf sei weder geltend gemacht
worden noch bestünden Anhaltspunkte für das Bestehen eines solchen, reichen diese
Feststellungen nicht, um einen möglichen Anspruch der Klägerin auf einen Mehrbedarf
wegen dezentraler Warmwasserversorgung auszuschließen. Zwar kann der Gebrauch von
Rechtsgriffen (hier: "Mehrbedarf") nach den Gesamtumständen des jeweiligen
Sachverhalts eine für die Auslegung bindende Tatsachenfeststellung beinhalten, wenn
sicher ist, dass dem Begriff ein bestimmtes definitorisches Verständnis zugrunde liegt
(BSG SozR 4-4300 § 64 Nr 2 RdNr 8 mwN). Hier bleibt jedoch auch unter
Berücksichtigung der weiteren Feststellungen des SG unklar, ob das SG auch einen
eventuellen Anspruch der Klägerin auf einen Mehrbedarf wegen dezentraler
Warmwasserversorgung geprüft hat.
14 Nach § 21 Abs 7 S 1 SGB II (idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur
Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I
453) wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch
in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale
Warmwasserversorgung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes
Warmwasser nach § 22 SGB II als Kosten der Unterkunft und Heizung anerkannt werden.
Aus den Ausführungen des SG zu den Kosten der Unterkunft und Heizung, wonach "die
Grundmiete inklusive Heizkostenpauschale 300 Euro beträgt", ist nicht ersichtlich, ob eine
zentrale oder dezentrale Warmwasserversorgung bestand. Es ist nicht klar, ob von der
"Heizkostenpauschale" auch die Kosten für Warmwasser umfasst waren. Ist dies nicht der
Fall, sondern bestand eine dezentrale Warmwasserversorgung, ist die vom Gesetzgeber
nunmehr regelmäßig vorgesehene Übernahme der tatsächlich anfallenden und
angemessenen Kosten hierfür gemeinsam mit den übrigen Kosten für die Heizung als
Mietnebenkosten nach § 22 SGB II nicht möglich (vgl Brehm/Schifferdecker SGb 2011,
505, 506). Auch soweit das SG festgestellt hat, dass ein Mehrbedarf nicht geltend gemacht
worden sei, ermöglicht dies hier keinen Rückschluss auf einen eventuellen Bedarf nach §
21 Abs 7 SGB II. Das Antragsformular, welches der Leistungsbeantragung der Klägerin
am 1.3.2011 zugrunde lag und auf welches das SG offenbar Bezug genommen hat,
enthielt nur eine Beantragungsmöglichkeit für Mehrbedarfe nach § 21 Abs 1 bis 6 SGB II
und auch keine Rubrik, in der die Art der Warmwasserversorgung abgefragt wurde (vgl zur
ergänzenden Heranziehung von Schriftstücken, auf die das Vordergericht im Urteil bei
seiner Tatsachenwürdigung abgestellt hat: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, § 163 RdNr 4 mwN). Vor dem Hintergrund des mit Wirkung zum
1.1.2011 erst durch das Gesetz vom 24.3.2011 (BGBl I 453) eingeführten Mehrbedarfs bei
dezentraler Warmwasserversorgung nach § 21 Abs 7 SGB II bestand grundsätzlich eine
Hinweis-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Beklagten über diese neue
Mehrbedarfsleistung. Allein aus fehlenden Angaben der Klägerin hierzu ist daher ein
Rückschluss nicht möglich, dass ein Bedarf bei dezentraler Warmwasserversorgung nicht
besteht. Die hierzu notwendigen Feststellungen kann der Senat nicht nachholen.
15 3. Bei der Prüfung, ob der Gesetzgeber die ab 1.1.2011 neu festgesetzte Höhe der
Regelbedarfe für Alleinstehende zu niedrig festgesetzt hat, wird das SG - ohne Bindung an
die folgenden Ausführungen des Senats gemäß § 170 Abs 5 SGG - unter
Berücksichtigung des weiteren Urteils des Senats vom 28.3.2013 (B 4 AS 12/12 R) an
seiner Rechtsauffassung festhalten dürfen, dass der Regelbedarf für Alleinerziehende in
dem hier streitigen Zeitraum nicht verfassungswidrig zu niedrig festgelegt war. Der
erkennende Senat hat sich insofern dem 14. Senat des BSG angeschlossen, der dies im
Juli 2012 in zwei Entscheidungen im Einzelnen dargelegt hat (BSGE 111, 211 = SozR 4-
4200 § 20 Nr 17, RdNr 19 ff; vom 12.7.2012 - B 14 AS 189/11 R - RdNr 14). Die
Verfassungsbeschwerden gegen die benannten Urteile sind nicht zur Entscheidung
angenommen worden (BVerfG Beschluss vom 20.11.2012 - 1 BvR 2203/12 -
unveröffentlicht; BVerfG Beschluss vom 27.12.2012 - 1 BvR 2471/12 - unveröffentlicht; zur
Bedeutung dessen: Rixen, SozSich 2013, 73 ff).
16 Der Gesetzgeber hat den ihm vom BVerfG in dessen Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua -
BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) erteilten Auftrag, das Grundrecht auf ein
menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten, erfüllt. Der 14. Senat hat hierzu
ausgeführt, dass bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Neuermittlung der
Regelbedarfe der Entscheidungsprozess des Gesetzgebers bei der Neuordnung der §§ 28
ff SGB XII auf die Bemessung des Regelbedarfs in § 20 Abs 2 S 1 SGB II zu übertragen
sei. Der Gesetzgeber habe den Umfang des konkreten gesetzlichen Auftrags auch in
einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt, das den Vorgaben des
BVerfG nach realitätsgerechten sowie nachvollziehbaren Feststellungen auf der
Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren entspreche. Dabei
habe er sich des vom BVerfG gebilligten "Statistikmodells mit begründeter Herausnahme
einzelner Positionen" bedienen können. Innerhalb dieses Ansatzes habe er - ausgehend
von der EVS 2008 - die Referenzgruppe anhand der unteren Einkommensgruppen
bestimmt, ohne seinen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum zu überschreiten. Den
Maßstab der sachlichen Angemessenheit und Vertretbarkeit habe er bei der Veränderung
der Bezugsgröße von 20 % auf 15 % der Einpersonenhaushalte gemäß § 4 S 2 Nr 1
RBEG nicht verlassen. Diese Anpassung der Referenzgruppe führe nicht zu einer
Verringerung, sondern zu einer Erhöhung des absoluten oberen Grenzwertes der
betrachteten Haushalte im Vergleich zu 2003 von 20,4 % auf 22,3 % aller nach dem
Nettoeinkommen geschichteten Haushalte (Hinweis auf BT-Drucks 17/3404 S 89; BSGE
111, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 17, RdNr 37 f).
17 Soweit die Klägerin den fehlenden Ausschluss sog "atypischer Haushalte", insbesondere
von Leistungsbeziehern nach dem BAföG, kritisiert, hat der 14. Senat des BSG im
Einzelnen ausgeführt, dass die mögliche Einbeziehung sog "atypischer Haushalte",
insbesondere von Auszubildenden, die Berufsausbildungsbeihilfe nach dem SGB III oder
Leistungen nach dem BAföG erhielten, nach dem Erkenntnisstand des Gesetzgebers des
Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und des SGB
XII (vom 24.3.2011, BGBl I 453) nicht zu einer signifikanten Verschiebung der
Referenzgruppe auf der Einkommensskala führe (BSGE 111, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr
17, RdNr 46 f). Dem folgt der erkennende Senat, der in seinem Urteil vom 28.3.2013 (B 4
AS 12/12 R) in Auseinandersetzung mit den vorhandenen Forschungsansätzen zur
Ermittlung der "verdeckt Armen" ausgeführt hat, dass der Gesetzgeber wegen des nur zur
Verfügung stehenden knappen Zeitrahmens in verfassungsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise von einer Korrektur der Referenzgruppe abgesehen habe. Der
Auftrag des BVerfG, seine Abgrenzungssystematik über § 3 RBEG hinaus
fortzuentwickeln, bezieht sich auf die Auswertung künftiger EVS, und nicht bereits auf
diejenige der EVS 2008 (BSGE 111, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 17, RdNr 44). Beide für
die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG haben betont, dass
der Gesetzgeber mit § 10 Abs 2 Nr 1 iVm Abs 1 RBEG das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales verpflichtet habe, in dem bis zum 1.7.2013 vorzulegenden Bericht über die
Weiterentwicklung der für die Ermittlung von Regelbedarfen anzuwendenden Methodik
Vorschläge für die Abgrenzung der Referenzhaushalte nach § 3 Abs 1 RBEG hinsichtlich
der Bestimmung von Haushalten der EVS zu unterbreiten, die nicht als Referenzhaushalte
zu berücksichtigen seien, weil deren eigene Mittel nicht zur Deckung des jeweils zu
unterstellenden Bedarfs nach dem SGB II oder SGB XII ausreichten (BSGE 111, 211 =
SozR 4-4200 § 20 Nr 17, RdNr 45; BSG Urteil vom 28.3.2013 - B 4 AS 12/12 R).
18 Soweit die Klägerin einwendet, der Gesetzgeber habe durch die Herausnahme einzelner
Positionen aus der EVS 2008 das Statistikmodell mit dem Warenkorbmodell in
verfassungsrechtlich unzulässiger Weise vermischt, lässt sie unberücksichtigt, dass der
verfassungsrechtlich verbürgte Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum
gemäß Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG ua von den gesellschaftlichen Anschauungen
über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche abhängt. Dies beinhaltet auch
eine wertende Entscheidung des Gesetzgebers, welche Waren und Güter als zur Wahrung
des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlich angesehen werden (BSGE 111,
211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 17, RdNr 51 ff). Einzelne Positionen der EVS dürfen
herausgenommen werden, wenn der Gesetzgeber hierfür eine nachvollziehbare
Begründung gibt und ein solch wertender Eingriff des Gesetzgebers in die EVS nicht dazu
führt, dass ein interner Ausgleich nicht mehr möglich ist (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1
BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 170 ff; BSGE 111, 211 =
SozR 4-4200 § 20 Nr 17, RdNr 53). Der 14. Senat des BSG, dessen Rechtsprechung sich
der erkennende Senat auch insoweit angeschlossen hat, hat ausgeführt, dass der auf
Grundlage des Regelbedarfsermittlungsgesetzes festgelegte Regelbedarf für
alleinstehende Erwachsene in Höhe von 364 Euro monatlich ab 1.1.2011 insgesamt nicht
evident unzureichend sei (BSGE 111, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 17, RdNr 60; BSG Urteil
vom 28.3.2013 - B 4 AS 12/12 R).
19 Dass die einzelnen regelbedarfsrelevanten Verbrauchsgruppen innerhalb der Grenzen,
welche die Verfassung dem Gesetzgeber zieht, zutreffend ermittelt und in nicht evident
unzureichender Höhe festgesetzt wurden, hat der 14. Senat des BSG gleichfalls bereits
dargelegt (BSGE 111, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 17, RdNr 64 ff). Soweit sich die
Klägerin gegen die Herausnahme und Substituierung alkoholischer Getränke und
Tabakwaren aus der EVS 2008 bei der Bemessung der Regelbedarfshöhe wendet, hat
der Gesetzgeber seiner Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung der -
verfassungsrechtlich zulässigen - wertenden Entscheidung, Bedarfe für Alkoholika aus
dem Regelbedarf zu streichen, genügt. Er hat im Einzelnen dargelegt, aus welchen
Gründen diese Bedarfe als regelbedarfsirrelevant unberücksichtigt bleiben (vgl BT-Drucks
17/3404 S 53). Eine Substituierung alkoholischer Getränke in der Verbrauchsgruppe durch
andere Flüssigkeiten als Wasser (vgl hierzu BT-Drucks 17/3404 S 53) ist nicht aus
verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Auch durch die von der Klägerin weiter
beanstandete Nichtberücksichtigung eines Bedarfs für Schwund und Verderb von
Lebensmitteln hat der Gesetzgeber den ihm zukommenden Gestaltungsspielraum nicht
unter- bzw überschritten. Schließlich bestehen gegen die Berücksichtigung eines Bedarfs
für Verkehr in der aus § 5 RBEG ersichtlichen Höhe ebenfalls keine durchgreifenden
verfassungsrechtlichen Bedenken. Hierzu hat sich der 14. Senat des BSG (BSGE 111,
211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 17, RdNr 72 f) bereits ausführlich geäußert. Der erkennende
Senat schließt sich den dortigen Ausführungen an (BSG Urteil vom 28.3.2013 - B 4 AS
12/12 R).
20 Das SG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahren zu entscheiden haben.