Urteil des BSG vom 13.03.2017

BSG (besondere härte, kläger, verwertung, höhe, angemessenheit, verlust, lebensversicherung, verkehrswert, rückkaufswert, härte)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 6.9.2007, B 14/7b AS 66/06 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Vermögensberücksichtigung - Angemessenheit
eines Kraftfahrzeuges - offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung einer
Lebensversicherung - Einfluss der Anspruchsdauer auf Verwertbarkeit
Leitsätze
1. Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit als Voraussetzung für Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende ist ein PKW mit einem Verkehrswert bis zu 7.500 Euro als angemessenes
Kraftfahrzeug anzusehen und zählt damit zum so genannten Schonvermögen.
2. Zur Frage, wann die Verwertung einer Lebensversicherung als offensichtlich unwirtschaftlich
anzusehen ist, weil der Verwertungserlös die Summe der eingezahlten Beiträge (Prämien) nicht
erreicht.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff Zweites
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 25. März 2005 bis zum 11. Mai 2005.
2 Der 1958 geborene Kläger ist gelernter Drucker und Reservist der Bundeswehr im Dienstgrad
Hauptfeldwebel. Seit dem Jahre 2000 leistete er verschiedene Auslandseinsätze für die
Bundeswehr (ua im Kosovo und in Afghanistan). Vom 18. Dezember 2004 bis 31. Dezember
2004 bezog er Arbeitslosenhilfe (Alhi) von der Bundesagentur für Arbeit (BA). Danach leistete
er vom 3. Januar 2005 bis 24. März 2005 Wehrdienst in einem Lazarettregiment. Am 25. März
2005 beantragte er bei der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach
dem SGB II. Im Zeitpunkt der Antragstellung verfügte er über Sparguthaben in Höhe von
361,97 EUR und 80,43 EUR sowie ein Girokonto mit einem Guthaben in Höhe von 658,58
EUR. Weiterhin verfügte er über zwei Lebensversicherungen mit einem Rückkaufswert von
4.002,74 EUR (eingezahlter Betrag: 4.596,24 EUR) und 2.520,05 EUR (Einzahlungsbetrag:
3.090,91 EUR). Weiterhin verfügte der Kläger über eine private Rentenversicherung mit einem
Rückkaufswert von 6.260,63 EUR (bei eingezahlten 12.655,95 EUR und einer angestrebten
Versicherungsleistung von 51.843,35 EUR). Zudem war der Kläger Eigentümer eines Pkw der
Marke Seat Leon, Erstzulassung: 2001. Die Beklagte ermittelte über die Homepage des
ADAC Auto und Motorrad im Internet am 30. März 2005 einen "Händlerverkaufspreis" für
diesen Pkw in Höhe von 9.600 EUR.
3 Durch Bescheid vom 30. März 2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Kläger sei nicht
hilfebedürftig. Es stehe ihm ein Grundfreibetrag in Höhe von 9.950 EUR zu, dem zu
berücksichtigendes Vermögen in Höhe von 12.223,77 EUR gegenüber stünde. Den
Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Bescheid vom 25. April 2005 zurück. Ende
April 2005 wurde der Kläger vom Kreiswehrersatzamt zu einer besonderen
Auslandsverwendung in Kabul/Afghanistan vom 12. Mai 2005 bis 30. September 2005
einberufen.
4 Das Sozialgericht Speyer (SG) hat durch Urteil vom 21. November 2005 die Klage
abgewiesen, das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) durch Urteil vom 29. September
2006 die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG
ausgeführt, der Kläger sei nicht hilfebedürftig, weil er über Vermögen verfüge, das den
Freibetrag übersteige. Der Pkw des Klägers habe einen Wert in Höhe von 9.600 EUR gehabt.
Angesichts seiner Ausstattung und Größe (fünf Türen, Verbrauch von Superbenzin, 105 PS)
handele es sich um ein Mittelklassefahrzeug, das für einen alleinstehenden Hilfebedürftigen
als nicht mehr angemessen zu betrachten sei. Deshalb sei die Beklagte zu Recht davon
ausgegangen, dass der Betrag von 4.600 EUR, mit dem der Pkw über der von der BA als
generelle Angemessenheitsgrenze festgesetzten Grenze von 5.000 EUR liege, als Vermögen
zu berücksichtigen sei. Zu diesen 4.600 EUR, mit denen der Pkw als Vermögen zu
berücksichtigen sei, seien die beiden Lebensversicherungen mit einem Rückkaufswert von
insgesamt 6.522,79 EUR hinzuzurechnen. Zwar erleide der Kläger bei einem sofortigen
Verkauf der beiden Policen einen Verlust von 13 bis 19 % gegenüber den eingezahlten
Beträgen. Damit sei der sofortige Verkauf aber noch nicht offensichtlich unwirtschaftlich. Die
vom Bundessozialgericht (BSG) im Rahmen der Alhi angedeutete 10 %-Grenze für das
Vorliegen einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit könne in das Recht der Grundsicherung
nach dem SGB II nicht übernommen werden. Allerdings sei der Verkauf der Rentenpolice
wegen der damit verbundenen Verluste offensichtlich unwirtschaftlich, was aber nichts daran
ändere, dass der Kläger insgesamt nicht hilfebedürftig sei. Es ergebe sich auch keine
besondere Härte für den Kläger aus der Tatsache, dass er auf Grund einer erneuten
Einberufung nach Afghanistan bereits ab 12. Mai 2005 nur für eine kurze Zeit Leistungen der
Grundsicherung beansprucht habe.
5 Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision. Er macht
geltend, dass andere Landessozialgerichte höhere Wertgrenzen als 5.000 EUR bei der Frage
der Angemessenheit eines Pkw angesetzt hätten. Bei einem Verkauf der
Lebensversicherungspolicen müsse er einen Verlust von 13 bzw 19 % gegenüber den
Einzahlungen hinnehmen. Selbst die BA gehe in ihren Dienstanweisungen davon aus, dass
die Grenze der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit bereits bei einem Verlust von 10 vH
anzusetzen sei. Des weiteren werde sein "Sonderopfer" als Soldat im Auslandseinsatz nicht
gebührend berücksichtigt. Nach § 63b Soldatenversorgungsgesetz (SVG) sei nach wie vor ein
Schadensausgleich bei Verwirklichung des aktiven Kriegsrisikos ausgeschlossen, wenn die
Bezugsrechte aus dem Lebensversicherungsvertrag an einen Dritten abgetreten worden
seien.
6 Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des Sozialgerichts Speyer vom 21. November 2005
und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. September 2006 sowie des
Bescheides der Beklagten vom 30. März 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
25. April 2005 zu verurteilen, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit
vom 25. März bis 11. Mai 2005 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
7 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere sei für die Frage der
Zumutbarkeit der Verwertung von der Alterssicherung dienender Lebensversicherungen auf
die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Sozialhilfe
zurückzugreifen. Nach dieser Rechtsprechung würden auch Verluste von 50 vH gegenüber
den eingezahlten Beträgen keine besondere Härte darstellen (Hinweis auf BVerwG FEVS 48,
145, 151).
Entscheidungsgründe
9 Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten und des
LSG steht dem Kläger im streitigen Zeitraum vom 25. März bis 11. Mai 2005 ein Anspruch
auf Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 19 ff SGB II zu. Der Kläger war im streitigen
Zeitraum hilfebedürftig gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II iVm §§ 9, 11, 12 SGB II, weil er
kein Einkommen erzielte und sein verwertbares Vermögen die ihm zustehenden
Vermögensfreibeträge gemäß § 12 Abs 2 Nr 1 und Nr 4 SGB II nicht überstieg.
10 Der Kläger war nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG und der in
Bezug genommenen Akten Berechtigter iS des § 7 Abs 1 SGB II, insbesondere erwerbsfähig
gemäß § 7 Abs 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II. Der Kläger war auch hilfebedürftig gemäß § 7 Abs 1
Nr 3 SGB II iVm §§ 9, 11, 12 SGB II. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine
Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft
lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem
nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden
Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen,
insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs 1
SGB II). Ausweislich der Feststellungen des LSG erzielte der Kläger im streitigen Zeitraum
kein Einkommen. Er erhielt auch keine Leistungen von Seiten der Bundeswehr oder anderer
Stellen.
11 Der Kläger verfügte auch nicht über zu berücksichtigendes Vermögen, das die
Vermögensfreibeträge überstieg. Dem 1958 geborenen Kläger standen im Zeitpunkt der
Antragstellung Vermögensfreibeträge in Höhe von 9.950 EUR zu. Gemäß § 12 Abs 2 Nr 1
SGB II (idF der Norm durch das Vierte SGB III-Änderungsgesetz vom 19. November 2004
EUR je vollendetem Lebensjahr des volljährigen Hilfebedürftigen und seines Partners. Dem
Kläger stand mithin gemäß § 12 Abs 2 Nr 1 SGB II ein Grundfreibetrag in Höhe von 9.200
EUR (46 x 200 EUR) zu. Hinzu kommt gemäß § 12 Abs 2 Nr 4 SGB II ein Freibetrag für
notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 EUR. Es kann hier dahinstehen, dass der
Vermögensfreibetrag des Klägers am 6. Mai 2005 um weitere 200 EUR zu erhöhen war, weil
der Kläger an diesem Tag das 47. Lebensjahr vollendet hat. Gemäß § 48 Abs 1 Satz 2
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), der hier gemäß § 40 Abs 1 SGB II iVm § 330 Abs
3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zur Anwendung kommt, war ab diesem Tag der
Vermögensfreibetrag des Klägers um 200 EUR zu erhöhen. Da die verwertbaren
Vermögensgegenstände des Klägers iS des § 12 Abs 1 SGB II aber bereits nicht den ihm am
25. März 2005 zustehenden Vermögensfreibetrag von 9.950 EUR überstiegen, braucht
hierauf nicht weiter eingegangen zu werden.
12 Der Kläger verfügte am 25. März 2005 über verwertbares Vermögen iS des § 12 SGB II, das
unter dem Grenzwert von 9.550 EUR lag. Er war damit hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 SGB II.
Der im Eigentum des Klägers stehende Pkw Seat Leon mit einem Verkehrswert von 9.600
EUR stellte zwar ein unangemessenes Kfz iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II dar, weil
sein Verkehrswert die hier maßgebliche Wertgrenze von 7.500 EUR für ein angemessenes
Kfz überstieg (hierzu unter 1). Folglich war ein Betrag in Höhe von 2.100 EUR aus dem Pkw
als Vermögen iS des § 12 Abs 1 SGB II zu verwerten. Der Senat geht dabei allerdings davon
aus, dass ein isoliert betrachtet unangemessener Vermögensgegenstand iS des § 12 Abs 3
Satz 1 SGB II nicht in jedem Fall zu verwerten ist. Vielmehr ist im Rahmen des § 12 SGB II
eine Gesamtbetrachtung aller Vermögensgegenstände und Vermögenswerte anzustellen.
Das verwertbare Vermögen iS des § 12 SGB II darf nur insgesamt betrachtet nicht die
Freibeträge gemäß § 12 Abs 2 SGB II übersteigen (hierzu unter 2). Der Kläger verfügte
zudem über verwertbares Geldvermögen in Höhe von jedenfalls 5.103,72 EUR. Neben den
Giro- und Sparguthaben in Höhe von 1.100,98 EUR verfügte er zumindest über eine
verwertbare Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 4.002,74 EUR. Der Verkauf
dieser Lebensversicherung war nicht offensichtlich unwirtschaftlich iS des § 12 Abs 3 Satz 1
Nr 6 SGB II, weil der Rückkaufswert die eingezahlten Beträge um lediglich 12,9 %
unterschritt. Ob die Verwertung der weiteren Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert
von 2.520,05 EUR (und einem Verlust von 18,5 % gegenüber den eingezahlten Beträgen)
offensichtlich unwirtschaftlich iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II war, kann hier letztlich
dahin stehen, weil jedenfalls die Rentenversicherungspolice auf Grund des Verlusts von
48,2 % gegenüber den eingezahlten Beträgen nicht verwertet werden musste. Letzteres
haben bereits die Vorinstanzen zu Recht erkannt (hierzu unter 3). Selbst wenn man davon
ausginge, dass auch die Lebensversicherung mit dem Rückkaufswert von 2.520,05 EUR
(und einem Verlust von 18,5 %) verwertbares Vermögen darstellte, wäre der
Vermögensfreibetrag in Höhe von 9.950 EUR nicht überschritten worden. Offen bleiben kann
daher auch, inwieweit an die Verwertbarkeit von Vermögen im Rahmen des § 12 SGB II
andere Maßstäbe anzulegen sind, wenn der Hilfeempfänger - wie hier - lediglich für einen
absehbar kurzen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff
SGB II beansprucht (vgl hierzu unter 4).
13 1. Die Vorinstanzen haben im Grundsatz zu Recht entschieden, dass der Pkw der Marke
Seat Leon ein unangemessenes Kfz iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II darstellte. Dies ist
allein anhand des Verkehrswerts des Pkw zu entscheiden, was auch aus § 12 Abs 4 Satz 1
SGB II folgt. Der Senat geht davon aus, dass ein Pkw mit einem Verkehrswert von bis zu
7.500 EUR als angemessen iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II betrachtet werden kann.
Diesen Wert leitet der Senat insbesondere aus § 5 Abs 1 der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung
(KfzHV) idF vom 21. Dezember 2000 (BGBl I 1983) ab.
14 § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II bestimmt, dass für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden
Hilfebedürftigen ein angemessenes Kfz nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist. Die
"Angemessenheit" eines Kfz wird damit sogleich im Normtext des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2
SGB II selbst in Beziehung gesetzt zur Erwerbstätigkeit bzw Erwerbsfähigkeit, denn einem
nicht erwerbsfähigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft steht grundsätzlich kein
"angemessenes" Kfz iS des § 12 Abs 3 Nr 2 SGB II zu. Sinn und Zweck der Privilegierung
des Pkw in § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II ist es damit, dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
die Gelegenheit und Chance zu erhalten, im Falle seiner Vermittlung in Arbeit mittels eines
Pkw eine (ggf auch weit entfernte, vgl § 10 Abs 2 Nr 3 SGB II) Arbeitsstelle erreichen zu
können. Dieser Gedanke entspricht auch dem Regelungszweck des § 88 Abs 2 Nr 4
Bundessozialhilfegesetz (jetzt § 90 Abs 2 Nr 5 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch
SGB XII>), nach dem ein Pkw nur dann von der Verwertung ausgenommen war, wenn er als
"Gegenstand" zur "Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der
Erwerbstätigkeit unentbehrlich" war (vgl hierzu VG Brandenburg, Beschluss vom 28.
Dezember 2004 - 2 E 196/04; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. September
1996 - 8 E 401/95 = NJW 1997, 540; VG Halle, Urteil vom 24. März 2005 - 4 A 687/03; VG
Augsburg, Beschluss vom 10. Dezember 2002 - AU 3 E 02.1463; allerdings wurde hierbei
auch jeweils berücksichtigt, in welchem Verhältnis der Verkehrswert des Pkw zu dem zu
erwartenden Jahreseinkommen aus der Erwerbstätigkeit steht). Jedoch ist mit der Betonung
der "Erwerbszentriertheit" der Privilegierung des Pkw iS des SGB II noch nicht zwingend ein
Bewertungsmaßstab für die Angemessenheit eines Pkw gefunden. So wird im Rahmen des
§ 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II teilweise herausgestellt, ein Fahrzeug müsse qualitativ so
beschaffen sein, dass es für die Fahrt zur Arbeitsstätte oder Bildungseinrichtung zuverlässig
und nicht reparaturanfällig sei (vgl LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 1. August 2005
- L 7 AS 2875/05 ER-B; SG Stade, Gerichtsbescheid vom 12. September 2005 - S 8 AS 6/05;
Bayerisches LSG, Beschluss vom 2. Mai 2005 - L 10 B 180/05 AS-ER). Hierbei ist zu
berücksichtigen, dass eine Wertgrenze für die "Zuverlässigkeit" eines Pkw in der Regel nicht
ohne aufwendige Ermittlungen hinsichtlich der Reparatur- bzw Pannenhäufigkeit geklärt
werden kann. Eine solche Herangehensweise, bei der sicherlich auch das Alter des Pkw zu
berücksichtigen wäre, verschiebt die normative Frage von dem Begriff der Angemessenheit
in § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II auf den der "Zuverlässigkeit" eines Pkw. Ebenso wenig
kann aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber des SGB II ausdrücklich klargestellt hat, dass
er hinsichtlich der Berücksichtigung von Vermögen dem bisherigen Recht der Alhi folgen will
(vgl BT-Drucks 15/1516 S 53), geschlossen werden, dass die Kriterien der Angemessenheit
aus der früheren Alhi-Verordnung (AlhiV) übernommen werden könnten. Die BA hat in ihrer
Durchführungsanweisung Alhi zu § 193 SGB III-Bedürftigkeit (30. Ergänzungslieferung,
Stand 30. August 2005) die Angemessenheit eines Kfz grundsätzlich nicht in Frage gestellt,
so lange es sich nicht um ein Luxusgefährt handelte. Hieraus folgert ein Teil der
Rechtsprechung und Literatur, dass ein Mittelklassefahrzeug immer angemessen iS des § 12
Abs 3 Nr 2 SGB II sein müsse, weil es sich hierbei definitionsgemäß bereits um kein
Luxusfahrzeug handele (vgl SG Aurich, Beschluss vom 24. Februar 2005 - S 15 AS 11/05
ER; SG Detmold, Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2005 - S 4 AS 17/05; Mrozynski,
Grundsicherung und Sozialhilfe, II.11., RdNr 65, Stand 2006, Brühl in LPK-SGB II, 2. Aufl
2007, § 12 RdNr 36). Der Senat hat erhebliche Bedenken, die Frage der Angemessenheit
eines Kfz anhand der schwer generalisierbaren Kriterien der Einteilung von Kfz in
Mittelklasse- bzw Luxusfahrzeuge vorzunehmen. Hinzu kommt, dass § 12 Abs 3 Satz 2 SGB
II nunmehr ausdrücklich klarstellt, dass für die Angemessenheit von
Vermögensgegenständen auf die Lebensverhältnisse während des Bezugs von Alg II
abzustellen ist. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende hat - anders als die frühere Alhi (vgl
BVerfGE 87, 234, 257 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3) - nicht mehr die Funktion einer
Lebensstandardsicherung.
15 Ebenso wenig überzeugen Ansätze, die jeweils auf die gesamten Umstände des Einzelfalls
abstellen wollen (vgl insbesondere LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. August
2005 - L 8 B 67/05 AS; SG Aachen, Urteil vom 27. Oktober 2005 - S 9 AS 31/05; Schmidt in
Oestreicher SGB XII/SGB II, § 12 RdNr 77 - Stand 2005). Angesichts der Vielfalt von
Kriterien und Grenzwerten, die in der Rechtsprechung der Sozialgerichte zur
Angemessenheit eines Pkw diskutiert wurden, geht der Senat davon aus, dass es unter dem
Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, der Berechenbarkeit von Verwaltungshandeln und der
Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland unumgänglich ist,
ebenso wie die BA in ihren Hinweisen zu § 12 (12.24) von einem einheitlichen Grenzwert für
die Angemessenheit von Pkws für Leistungsempfänger nach dem SGB II auszugehen. Die
BA stellt dabei ohne weitere Begründung auf einen Verkaufserlös von maximal 5.000 EUR
ab. Der Senat teilt zunächst den Ansatz der BA, die Wertgrenze für die Angemessenheit
eines Pkw strikt zu monetarisieren. Angesichts der Schwierigkeit, die (technische)
Zuverlässigkeit eines Pkw bzw seinen Charakter als Mittelklasse- oder Luxusfahrzeug zu
bestimmen, bleibt als einziges tragfähiges Kriterium für die Angemessenheit der
Verkehrswert eines Pkw. Dies folgt zudem - wie bereits betont - aus § 12 Abs 4 Satz 1 SGB
II, nach dem das Vermögen mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen ist.
16 Ein Anhalt für die Ermittlung eines Grenzwertes für die Angemessenheit eines Kfz kann § 5
Abs 1 der KfzHV (aaO) entnommen werden. Nach § 5 Abs 1 KfzHV wird die Beschaffung
eines Kraftfahrzeugs für behinderte Menschen bis zu einem Betrag in Höhe des Kaufpreises,
höchstens jedoch bis zu einem Betrag von 9.500 EUR gefördert. Zur Begründung der KfzHV
hat der Verordnungsgeber ausgeführt (BR-Drucks 266/87), dass diese Verordnung dem
Umstand Rechnung trage, dass bei der heutigen weitgehenden Motorisierung ein Kfz als
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zur Standardausstattung auch von
Arbeitnehmerhaushalten mit durchschnittlichem Einkommen gehöre. Deshalb solle nach § 5
der Verordnung (BR-Drucks 266/87 S 19) ein Höchstbetrag festgelegt werden, bis zu dem
die Beschaffung eines Kfz gefördert werden könne. Der Verordnungsgeber ging davon aus,
dass die in § 5 Abs 1 KfzHV genannten Beträge nach derzeitigen Autopreisen dafür
ausreichen, einen Wagen der unteren Mittelklasse anzuschaffen, der für Fahrten von und
zum Arbeitsplatz geeignet und ausreichend erscheint (BR-Drucks 266/87 S 19). Insofern
kann § 5 KfzHV ein verallgemeinerungsfähiges Kriterium entnommen werden, welcher
Geldbetrag nach Einschätzung des Verordnungsgebers eingesetzt werden muss, um ein
gebrauchstaugliches Fahrzeug der unteren Mittelklasse auf dem Markt erwerben zu können.
Es ist damit davon auszugehen, dass mit dem Betrag von 9.500 EUR ein solches Kfz
erworben werden kann. Da die Leistungen des SGB II sich aber grundsätzlich an den
unteren 20 % der Haushalte in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe orientieren (vgl
kritisch Däubler, NZS 2005, 225; Bieback NZS 2005, 337), war von diesem Wert von 9.500
EUR noch ein Abschlag vorzunehmen. Schließlich richtet sich der Zuschuss nach § 6 KfzHV
auch nach der Höhe des Einkommens des behinderten Menschen, sodass der Höchstbetrag
von 9.500 EUR nur von behinderten Menschen mit niedrigem Einkommen erreicht werden
kann. Andererseits war zu berücksichtigen, dass der Betrag in § 5 KfzHV letztmals 2002
erhöht worden ist und die Preise für die Mittelklasse der Pkws seither deutlich gestiegen sind
(vgl hierzu auch Hansen in Ernst/Adelhoch/Siel, SGB IX, § 33 RdNr 62). Insofern geht der
Senat unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte von einem Grenzwert der
Angemessenheit von 7.500 EUR für einen Pkw aus. Zumindest für die nächsten Jahre soll
damit auch der Entwicklung der Verbraucherpreise Rechnung getragen werden. Mithin ist
davon auszugehen, dass ein Pkw, der einen Verkehrswert von 7.500 EUR nicht
überschreitet, angemessen iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II ist.
17 Das LSG hat den Verkehrswert des Pkw Seat Leon (Erstzulassung 2001) im Jahre 2005 mit
9.600 EUR festgestellt. Der Senat kann hier dahinstehen lassen, dass er an diese
Feststellung gebunden ist (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ), weil insoweit
Verfahrensrügen nicht erhoben worden sind. Das LSG dürfte allerdings von einem
unrichtigen Maßstab bei der Ermittlung des Verkehrswertes ausgegangen sein. Soweit
ersichtlich, legt es den "Händlerverkaufspreis" für den Pkw im Jahre 2005 zu Grunde. Der
"Händlerverkaufspreis" dürfte aber nicht dem Preis entsprechen, den der private Verkäufer
auf dem Kraftfahrzeugmarkt für seinen Pkw erzielen kann, insbesondere, wenn er seinerseits
einen Pkw an einen Händler veräußert. Richtiger Maßstab zur Ermittlung des
Verkehrswertes eines Pkw ist daher der von privaten Veräußerern aktuell erzielbare Preis.
Hierfür stehen mehrere Listen (wie die so genannte Schwackeliste etc) als Anhaltspunkte zur
Verfügung. Letztlich kann dies jedoch hier dahinstehen und der Verkehrswert des Pkw mit
9.600 EUR angesetzt werden, weil die zu verwertenden Vermögenswerte des Klägers
insgesamt die ihm zustehenden Vermögensfreibeträge nicht übersteigen.
18 2. Die Beklagte hat in Bezug auf den Pkw zu Recht lediglich den Betrag als Vermögen
berücksichtigt, der den von ihr (allerdings zu niedrig) angenommenen Grenzwert der
Angemessenheit (5.000 EUR) überstieg. Hiervon geht im Übrigen auch die BA in ihren
Hinweisen zu § 12 (12.24) aus: "Soweit ein Kfz nicht angemessen ist, ist der die
Angemessenheit übersteigende Wert auf den Vermögensfreibetrag aus § 12 Abs 2 Nr 1 SGB
II anzurechnen". Diese bundesweite Verwaltungspraxis entspricht der Rechtslage. Der
Senat weicht damit nicht iS von § 41 Abs 2 SGG von der Entscheidung des 11b. Senats im
Urteil vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 37/06 R ab. Denn der 11b. Senat hat die
Rechtsauffassung, dass die Freibetragsregelungen in § 12 Abs 2 SGB II mit den
Privilegierungsvorschriften des § 12 Abs 3 SGB II nicht kombiniert werden könnten (RdNr
42) lediglich als obiter dictum geäußert. Die Rechtsfrage war für die die Rückverweisung an
das LSG begründende Entscheidung des 11b. Senats nicht tragend. Der 11b. Senat hat
insoweit lediglich erklärt, er könne den Ausführungen des dortigen LSG (zur "Gesamthöhe"
der Freibeträge) "nicht ohne weiteres" folgen.
19 Würde man die Verwertbarkeit etwa von Haushaltsgegenständen iS des § 12 Abs 3 Satz 1
Nr 1 SGB II rein isoliert und ohne Blick auf die dem Hilfebedürftigen zustehenden
Freibeträge iS des § 12 Abs 2 SGB II beurteilen, so wäre ein Hilfebedürftiger gezwungen,
einen - isoliert betrachtet - unangemessenen Haushaltsgegenstand zu "versilbern". Der aus
der Verwertung zufließende Geldbetrag wäre im Moment der Verwertung aber als
Geldvermögen wieder geschützt, soweit er die Freibeträge des § 12 Abs 2 Nr 1 und Nr 4
SGB II nicht erreicht und kein weiteres Geldvermögen vorhanden ist. Dies führte im Ergebnis
zu einem Verwertungszwang von lediglich isoliert betrachtet unangemessenen
Vermögensgegenständen, ohne dass damit gleichzeitig die Hilfebedürftigkeit iS des § 9
SGB II beendet würde. Ein Zwang zur Verwertung von Vermögensgegenständen kann nach
dem Sinn und Zweck des SGB II aber immer nur dann einsetzen, wenn damit auch
tatsächlich Vermögen in einer Höhe erzielt wird, das zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit
führt. Ob dies der Fall ist, kann wiederum nur anhand der Freibetragsregelung in § 12 Abs 2
SGB II und damit anhand der den Hilfebedürftigen zustehenden Freibeträge entschieden
werden. Die Vermögensverschonungsregelungen in § 12 Abs 2 und Abs 3 SGB II müssen
daher als zueinander in Wechselwirkung stehend angesehen werden. Auch in den
Gesetzesmaterialien und der Literatur finden sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein
Kombinationsverbot gewollt war oder erforderlich wäre.
20 3. Der Kläger verfügte damit auf Grund der Tatsache, dass er Eigentümer eines mit einem
Verkehrswert von 9.600 EUR unangemessenen Pkw iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II
war, über verwertbares Vermögen in Höhe von 2.100 EUR. Zu diesen 2.100 EUR Vermögen
aus dem Pkw waren zunächst die verwertbaren 1.100,98 EUR hinzu zu addieren, die dem
Kläger auf Spar- oder Girokonten zur Verfügung standen. Darüber hinaus verfügte der Kläger
über zwei Lebensversicherungsverträge und eine private Rentenversicherung. Da diese
Vermögensgegenstände nicht unter die Schutznormen des § 12 Abs 2 Nr 2 oder Nr 3 SGB II
fielen, waren sie lediglich dann nicht als Vermögen zu berücksichtigen, wenn ihre
Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich wäre bzw für den Betroffenen eine besondere
Härte bedeuten würde (§ 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II). Der Senat kann hierbei offen lassen,
ab welchem Grenzwert im Rahmen des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II bei einem Verkauf von
Lebensversicherungsverträgen generell von einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der
Verwertung ausgegangen werden kann. Denn der Kläger hätte bei einer Verwertung seiner
privaten Rentenversicherung von einem Verlust von 48,2 % gegenüber den eingezahlten
Beträgen erlitten. Ein solcher Verlust ist im Rahmen des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II in
keinem Falle hinzunehmen. Demgegenüber war die Lebensversicherung des Klägers mit
einem Rückkaufswert von 4.002,74 EUR zu verwerten. Im Falle dieser Lebensversicherung
erlitt der Kläger gegenüber den eingezahlten Beträgen einen Verlust von lediglich 12,9 %.
Der Senat geht davon aus, dass im Rahmen des SGB II ein solcher Verlust noch nicht als
offensichtlich unwirtschaftlich zu betrachten ist. Offen bleiben kann, ob die weitere
Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 2.520,05 EUR als verwertbares
Vermögen iS des § 12 Abs 1 SGB II angesehen werden kann. Bei einem Verkauf dieser
Lebensversicherung hätte der Kläger einen Verlust von 18,5 % gegenüber den eingezahlten
Beträgen erlitten. Ob eine mit einem solchen Verlust verbundene Verwertung iS des § 12
Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II als offensichtlich unwirtschaftlich anzusehen ist, kann hier letztlich
dahinstehen, weil der Kläger auch bei einem Zwang zur Verwertung dieser
Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 2.520,05 EUR noch hilfebedürftig iS des
§ 9 SGB II ist.
21 Aus der Normstruktur, dem Wortlaut und der Gesetzgebungsgeschichte des § 12 Abs 3 Satz
1 Nr 6 SGB II folgt, dass diese Norm zwei Ausnahmetatbestände von dem
Verwertungszwang normiert: Die offensichtliche Unwirtschaftlichkeit und die besondere
Härte. Der ursprüngliche Gesetzentwurf des SGB II vom 5. September 2003 enthielt in § 12
Abs 2 Nr 6 SGB II lediglich den Ausnahmetatbestand der offensichtlichen
Unwirtschaftlichkeit der Verwertung (BT-Drucks 15/1516 S 12). In den Gesetzesmaterialien
ist zur Begründung ausgeführt, dass die Berücksichtigung von Vermögen - anders als die
Berücksichtigung von Einkommen gemäß § 11 SGB II - in § 12 SGB II im Wesentlichen wie
im bisherigen Recht der Alhi geregelt werden soll (BT-Drucks 15/1516 S 53 zu § 12; vgl
bereits oben unter 1). Dort waren nach § 1 Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002 (vom 13. Dezember 2001,
BGBl I 3734) als Vermögen nicht zu berücksichtigen Sachen und Rechte, soweit ihre
Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist. Demgegenüber ist der Ausnahmetatbestand
der besonderen Härte erst nachträglich auf Beschlussempfehlung des 9. Ausschusses für
Wirtschaft und Arbeit vom 15. Oktober 2003 (BT-Drucks 15/1728 S 176) in das Gesetz
aufgenommen worden. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Regelung solle ermöglichen,
besondere Härtefälle angemessen zu behandeln. Als Beispiel wird auf einen
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen verwiesen, der kurz vor dem Renteneintritt seine
Ersparnisse für die Altersversorgung einsetzen müsse, obwohl seine Rentenversicherung
Lücken wegen selbständiger Tätigkeit aufweise (BT-Drucks 15/1749 S 32). Wollte der
Gesetzgeber mit dem Tatbestandsmerkmal der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit in § 12
Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II an das Recht der Alhi anknüpfen, so kann zur Inhaltsbestimmung
dieses Begriffs gerade nicht - entgegen der Rechtsansicht der Beklagten - auf das bisherige
Sozialhilferecht zurückgegriffen werden. Weder in § 88 BSHG noch in § 90 SGB XII war oder
ist ein Tatbestand enthalten, der § 1 Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002 bzw § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB
II entspricht. Das Sozialhilferecht kannte und kennt nicht ein Verwertungsverbot bei
offensichtlicher Unwirtschaftlichkeit der Verwertung. Zur Bestimmung des Begriffs der
Unwirtschaftlichkeit iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II kann daher auch nicht auf die
Rechtsprechung des BVerwG zurückgegriffen werden, die ausschließlich zu dem Begriff der
"Härte" ergangen ist (vgl jetzt § 90 Abs 3 SGB XII bzw früher § 88 Abs 3 BSHG; vgl
beispielsweise BVerwGE 106, 105, 110; 121, 34, 35 ff). Nach dieser Rechtsprechung wurde
eine Härte erst im wirtschaftlichen Ausverkauf des Hilfebedürftigen gesehen, sodass selbst
Verluste von über 50 % gegenüber den eingezahlten Beträgen noch nicht als hart iS des §
88 Abs 2 Nr 8 BSHG betrachtet wurden.
22 Auf diese Rechsprechung kann schon nach dem Wortlaut des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II,
der ersichtlich auf § 1 Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002 zurückgeht, für die Bestimmung des Begriffs der
offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit nicht abgestellt werden (anders SG Berlin, Urteil vom 2.
August 2005 - S 63 AS 2117/05; SG Berlin, Urteil vom 13. Dezember 2005 - S 63 AS
7329/05; SG Reutlingen, Beschlüsse vom 20. Februar 2007 - S 2 AS 564/07 ER, S 2 AS
564/07). Demgegenüber ist im Rahmen des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II die
Wirtschaftlichkeit der Verwertung eines bestimmten Vermögensgegenstandes ausschließlich
nach objektiven Kriterien zu ermitteln. Dies folgt bereits aus der Notwendigkeit einer
Abgrenzung dieses Tatbestandsmerkmals zur besonderen Härte iS der 2. Alternative des §
12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II. Eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit liegt nach der
Rechtsprechung des BSG zur Alhi dann vor, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem
deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden
Vermögensgegenstandes steht (BSG, Urteil vom 17. Oktober 1990 - 11 RAr 133/88, DBlR
3785a zu § 137 AFG; BSG, Urteil vom 24. April 2002 - B 11 AL 69/01 R, DBlR 4750a,
AFG/137). Umgekehrt ist offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung nicht
gegeben, wenn das Ergebnis der Verwertung vom wirklichen Wert nur geringfügig abweicht
(zur Alhi BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 7). Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Verwertung ist
auf das ökonomische Kalkül eines rational handelnden Marktteilnehmers abzustellen (zum
Recht der Alhi vgl Spellbrink, Kasseler Handbuch der Arbeitsförderung, 2003, § 13 RdNr
208). Es ist mithin zu ermitteln, welchen Verkehrswert der Vermögensgegenstand
gegenwärtig auf dem Markt hat. Dieser gegenwärtige Verkaufspreis ist dem Substanzwert
gegenüber zu stellen (vgl Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 12 RdNr 84). Der
Substanzwert kann sich zB aus den auf einen Lebensversicherungsvertrag eingezahlten
Beiträgen ergeben. Die BA geht in ihren Hinweisen zu § 12 SGB II nach wie vor davon aus,
dass die Verwertung von Sachen und Rechten dann nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist,
wenn im Ergebnis unter Berücksichtigung der Verwertungskosten der Verkehrswert nur
geringfügig (bis 10 %) unter dem Substanzwert (Summe der eingezahlten Beträge) liegt
(Hinweise der BA: 12.37).
23 Obwohl das BSG in seiner Rechtsprechung zur Alhi diese Verlustgrenze von 10 % explizit
nicht gezogen hat, bietet es sich an, auch im Rahmen des § 12 SGB II, der nach dem
ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers dem Recht der Alhi folgen will, eine entsprechende
Grenzziehung vorzunehmen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. November 2006 - L
20 AS 89/06; SG Dresden, Urteil vom 31. März 2006 S 35 AS 66/05; Brühl in LPK-SGB II, 2.
Aufl 2007, § 12 RdNr 51; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 12 RdNr 255, Stand
2/2007). Andererseits darf nicht übersehen werden, dass der Gesetzgeber des SGB II auch
davon ausging, dass für die Verwertbarkeit von Vermögen generell der Lebenszuschnitt des
Hilfebedürftigen während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung für
Arbeitsuchende maßgebend sein soll (§ 12 Abs 3 Satz 2 SGB II). Wie bereits oben erwähnt
(vgl 1) kommt dem SGB II nicht mehr die Funktion zu, den Lebensstandard des
Hilfesuchenden zu sichern. Dementsprechend hat der 11b. Senat des BSG in seinem Urteil
vom 23. November 2006 (B 11b AS 17/06 R, RdNr 24 am Ende) angedeutet, dass er
Verluste von mehr als 10 % als noch im Bereich des Wirtschaftlichen liegend betrachten
würde. Aus allem zieht der Senat den Schluss, dass die Grenze der offensichtlichen
Unwirtschaftlichkeit iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II noch nicht erreicht ist, wenn bei
einem Verkauf der Lebensversicherung der Rückkaufswert 12,9 % unter den eingezahlten
Beiträgen liegt. Geht man allerdings davon aus, dass der Substanzwert einer
Lebensversicherung nicht nur darin besteht, dass Beiträge einbezahlt wurden, sondern dass
zugleich mit einer Lebensversicherung eine Chance bzw Anwartschaft auf eine wesentlich
höhere Gesamtsumme im Fall der Auszahlung bzw der Rentenzahlung verbunden ist,
könnte zweifelhaft sein, ob ein Verlust von 18,5 % (bei rein isolierter Betrachtung des
Verhältnisses von eingezahlten Beträgen und Rückkaufswert) noch im Bereich der
Wirtschaftlichkeit iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II liegt. Dies kann hier aber letztlich
dahinstehen, weil die Verwertung der privaten Rentenversicherung in jedem Falle
unzumutbar ist. Der Rückkaufswert dieser Versicherung von 6.557,50 EUR ist mit einem
Verlust von 48,2 % gegenüber den eingezahlten Beträgen verbunden. Ein solcher Verlust ist
in jedem Fall offensichtlich unwirtschaftlich. Damit wird der Vermögensfreibetrag des Klägers
gemäß § 12 Abs 2 Nr 1 iVm Nr 4 SGB II selbst dann nicht erreicht, wenn man davon
ausginge, dass auch die Lebensversicherung mit einem Verlust von 18,5 % der
Verwertungspflicht unterläge.
24 4. Da das vom Kläger einzusetzende Vermögen den Vermögensfreibetrag gemäß § 12 Abs
2 SGB II nicht erreicht, kann auch dahinstehen, welche rechtlichen Konsequenzen es hat,
dass der Kläger hier nur für einen kurzen Zeitraum Leistungen beansprucht. Das BSG hat
allerdings bereits zur Alhi entschieden, dass die Kurzzeitigkeit des Leistungsbezugs die
Verwertung von Vermögensgegenständen nicht unzumutbar macht (Urteil vom 17. Oktober
1990 - 11 RAr 133/88). Jedenfalls dürfte eine absehbar kurze Leistungs- bzw
Anspruchsdauer keinen Einfluss darauf haben, ob ein Vermögensgegenstand verwertbar iS
des § 12 Abs 3 SGB II ist. Ob ein Verwertungszwang für Gegenstände iS des § 12 Abs 3
SGB II entsteht, entscheidet sich allein auf Grund der Tatbestandsmerkmale der
Angemessenheit in Relation zu den Vermögensfreibeträgen in § 12 Abs 2 SGB II (soeben
2.). Allenfalls könnte mit dem Einwand, es werde nur für einen absehbar kurzen Zeitraum
Arbeitslosengeld II beantragt, das Tatbestandsmerkmal des Vorliegens einer besonderen
Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II begründet werden. Hierzu hat der 11b. Senat des
BSG in seinem Urteil vom 16. Mai 2007 (B 11b AS 37/06 R) klargestellt, dass die Annahme
einer besonderen Härte iS dieser Vorschrift außergewöhnliche Umstände erfordert. Es muss
sich daher um Umstände handeln, die nicht bereits in § 12 Abs 2 bzw Abs 3 SGB II erfasst
sind (vgl aaO RdNr 31). Geht man davon aus, dass für die Anwendung des § 12 Abs 3 Satz
1 Nr 6 SGB II Umstände vorliegen müssen, die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer
abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit einer Vermögensverwertung
stets verbundenen Einschnitte, so dürfte das Argument, die Leistung werde nur für einen
kurzen Zeitraum beantragt, kaum jemals dazu führen, dass eine besondere Härte iS des § 12
Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II zu bejahen ist. Letztlich kann auch dies hier dahinstehen, weil das
Vermögen des Klägers die Freibeträge des § 12 Abs 2 Nr 1 und Nr 4 SGB II nicht übersteigt
und damit eine Verwertung nicht gefordert werden kann.
25 Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.