Urteil des BPatG vom 17.03.2016

Stand der Technik, Schuss, Gewebe, Form

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
2 Ni 2/14 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
17. März 2016
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 1 838 909
(DE 60 2006 023 985)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 17. März 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Guth sowie der Richterin Hartlieb und der Richter Dr.-Ing. Fritze,
Dipl.-Ing. Fetterroll und Dipl.-Ing. Wiegele
für Recht erkannt:
I.
Das europäische Patent 1 838 909 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig er-
klärt, soweit sein Anspruch 1 über folgende Fassung hinaus-
geht:
„1.
Webmaterial mit bandartigem Schuss- und Kett-
garn, wobei zumindest ein Schuss- und/oder
Kettband teilweise stabilisiertes Faserband ist,
wobei die Fasern diskontinuierlich durch ein
Bindemittel derart verbunden sind, dass nur
einige Fasern über die Bandbreite gehalten
werden, während andere frei verbleiben, wobei
das teilweise stabilisierte Faserband vor dem
Weben teilweise stabilisiert wurde.“
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander
aufgehoben.
- 3 -
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120%
des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreck-
bar.
T a t b e s t a n d
Die Nichtigkeitsklage betrifft das am 17. Januar 2006 unter Inanspruchnahme der
schwedischen Priorität SE 0500114 vom 17. Januar 2005 angemeldete europäi-
sche Patent EP 1 838 909 (im Folgenden Streitpatent), das aus der internationa-
len Anmeldung PCT/SE2006/000062, veröffentlicht unter WO 2006/075962, her-
vorgegangen ist. Das in der Verfahrenssprache Englisch abgefasste Patent mit
der B
ezeichnung „A woven material comprising tape-like warp and weft, and an
apparatus and method for weaving thereof“ (deutsch: Webmaterial mit bandarti-
gem Schuss- und Kettgarn sowie Webvorrichtung und
–verfahren dafür), wird vom
Deutschen Patent- und Markenamt unter der Registernummer 60 2006 023 985.8
geführt. Es umfasst 19 Patentansprüche, von denen die Ansprüche 2 bis 19 un-
mittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen sind.
Die Klägerin greift lediglich den Patentanspruch 1 des Streitpatents an, der von
der Beklagten in vollem Umfang und hilfsweise beschränkt mit 10 Hilfsanträgen
verteidigt wird.
Anspruch 1 des Streitpatents lautet in der erteilten Fassung in der Verfahrens-
sprache Englisch:
“A woven material comprising tape-like warps and wefts, wherein
at least one warp and/or weft tape is a partially stabilized fibrous
tape where the fibres are discontinuously connected by a binding
agent in such a way that only some fibres across the tape width
are held while leaving some others free.
und in deutscher Übersetzung:
- 4 -
„Webmaterial mit bandartigem Schuss- und Kettgarn, wobei zu-
mindest ein Schuss- und/oder Kettband teilweise stabilisiertes Fa-
serband ist, wobei die Fasern diskontinuierlich durch ein Binde-
mittel derart verbunden sind, dass nur einige Fasern über die
Bandbreite gehalten werden, während andere frei verbleiben.
Hinsichtlich des Wortlauts der weiteren Patentansprüche 2 bis 19 wird auf die Pa-
tentschrift EP 1 838 909 B 1 verwiesen.
Beim Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist an den Text des erteilten Anspruchs 1
das weitere Merkmal angefügt:
„wobei das teilweise stabilisierte Faserband vor dem Weben teil-
weise stabilisiert wurde.
Zum Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß der weiteren Hilfsanträge
1 bis 5 und 1‘ bis
5‘ wird auf die Akten verwiesen.
Die Klägerin begründet ihre Klage damit, dass der jeweilige Gegenstand des An-
spruchs 1 weder neu sei noch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und somit
nicht patentfähig sei.
Sie stützt ihr Vorbringen auf die nachstehend genannten Dokumente:
Ni 2
US 6,450,208 B1
Ni 3
US 5,455,107 A
Ni 4
US 5,763,069 A
Ni 5
US 5,395,665 A
Ni 7
US 5,783,278 A
Ni 8
JP 2001
– 226850 A
Ni 8a
durch „patent-translate“ in Espacenet
- 5 -
Ni 9
US 4 906 506 A
Ni 10
/N10’
DE 37 84 467 T2 / EP 0 272 083 A2
D1
WO 98/46817 A1
D2
FR 2 848 227 A1
D3
US 4,816,327 A
D4
US 6,367,513 B1
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents sei
nicht neu gegenüber den Entgegenhaltungen Ni 7, Ni 8/8a, Ni 9 und Ni 10/Ni10‘
und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Stand der
Technik aus einer der Entgegenhaltungen Ni 7, Ni 8/8a und Ni 9 in Verbindung mit
handwerklichen Maßnahmen. Dies gelte entsprechend für die Hilfsanträge, deren
zusätzliche Merkmale nicht zu einer Abgrenzung vom genannten Stand der Tech-
nik führten und die außerdem zum Teil zu einer unzulässigen Erweiterung sowie
zu Unklarheiten führten und keine technische Lehre enthielten.
Insbesondere ist die Klägerin der Meinung, nach dem Wortlaut von Anspruch 1
des Streitpatents sei es unerheblich, ob die zum Weben verwendeten Bänder be-
reits vor dem Weben teilweise stabilisiert worden seien. Die Entgegenhaltung Ni 7
offenbare daher auch ein anspruchsgemäßes Webmaterial, bei dem nur einige
Fasern über die Bandbreite der Kette gehalten und nicht alle Fasern des Schus-
ses verklebt würden.
Die Klägerin stellt den Antrag,
das europäische Patent 1 838 909 im Umfang seines Anspruchs 1
mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutsch-
land für nichtig zu erklären.
Die Beklagte stellt den Antrag,
die Klage abzuweisen,
- 6 -
hilfsweise, das Streitpatent für nichtig zu erklären, soweit sein An-
spruch 1 über die Fassung gemäß eines der Hilfsanträge 1 bis 5
vom 18. Januar 2016,
weiter hilfsweise über die Fassung eines der Hilfsanträge
1‘ bis 5‘
vom 26. Februar 2016 hinausgeht, wobei die Hilfsanträge
1‘ bis 5‘
jeweils auf den Hilfsantrag mit der betreffenden Ziffer ohne Strich
folgen.
Die Beklagte tritt der Argumentation der Klägerin in vollem Umfang entgegen.
Sie ist im Wesentlichen der Ansicht, die in den Entgegenhaltungen offenbarten
Lösungen unterschieden sich bereits im grundsätzlichen Ansatz von der Lehre
und dem Ausgangspunkt des Streitpatents, der auch im Anspruchswortlaut und
zwar insbesondere im Merkmal 2 Niederschlag gefunden habe. Der Anspruch 1
des Streitpatents betreffe ein Gewebematerial, das speziell ein teilweise stabili-
siertes Faserband aufweise. Keines der Dokumente betreffe die Verwendung ei-
nes teilstabilisierten Faserbands als Kett- bzw. Schussband zum Herstellen eines
Webmaterials, da die Verbindung lediglich im Anschluss an das Weben mittels
Erhitzen eines Polymergarns oder Polymerpuders erzeugt werde. Damit offenbare
auch keines der Dokumente ein Webmaterial mit bandförmigem Schuss und Kett-
garn, wobei mindestens ein Schuss- und/oder Kettband bereits von Anfang an ein
teilweise stabilisiertes Faserband ist. Im Übrigen werde lediglich eine vollständige
Verbindung aller Fasern über die Bandbreite offenbart.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Artikel 138
Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Artikel 54 und Artikel 56 EPÜ, Artikel II § 6 Abs. 1
Nr. 1 IntPatÜG) geltend gemacht wird, ist zulässig. Die Klage ist insoweit begrün-
- 7 -
det, als das Streitpatent für nichtig zu erklären ist, soweit sein Anspruch 1 über die
von der Beklagten mit Hilfsantrag 1 beschränkt verteidigte Fassung hinausgeht,
denn der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung
ist nicht patentfähig. Die weitergehende Klage ist hingegen unbegründet, denn in
der Fassung nach Hilfsantrag 1 hat der Anspruch 1 des Patents Bestand, da die
Lehre nach Anspruch 1 des Streitpatents in dieser Fassung patentfähig ist.
I.
1.
Das Streitpatent betrifft allgemein das Weben und insbesondere ein
Verfahren zum Weben, wobei die Kette und der Schuss in Form von Bändern,
nicht Garnen, zugeführt werden. Die Kett- und Schussbänder sind dabei teilweise
stabilisiert, in der Art, dass ihre Fasern diskontinuierlich verbunden sind. Der
Anspruch 1 des Streitpatents betrifft ein mit diesen Bändern gewobenes Material.
In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, Methoden zur Herstellung
von bandartigen Schüssen und Ketten, seien im Stand der Technik bekannt. So
beschreibe die Druckschrift US 6,450,208 B1 (Ni 2) ein Verfahren zum Weben
bandartiger Ketten und Schüsse. Mit Hilfe eines Walzensatzes werde demnach
der eingelegte bandartige Schuss am Warenrand ausgerichtet. Die Möglichkeit
teilweise stabilisierte Kett- oder Schussbänder zuzuführen, sei aus dieser
Druckschrift nicht bekannt. Ein Verfahren zum Weben von „flachem
Kohlefaserg
arn“ sei in der Druckschrift US 5,455,107 A (Ni 3) beschrieben. Das
dort offenbarte Verfahren weise jedoch Einschränkungen hinsichtlich der
Bänderabmessungen auf, denn es sei nicht möglich, Bandbreiten über 16 mm zu
verarbeiten. Auch könnten keine Kett- und Schussbänder mit unterschiedlichen
Breiten, Konstruktionen und Materialien im selben Gewebe verarbeitet werden.
Verarbeitet würden mit diesem Verfahren Ketten und Schüsse nur aus
Faserbändern, die voll unverklebt (nicht stabilisiert) oder voll verklebt (stabilisiert)
seien. Die durch diese Verfahren hergestellten Gewebe wiesen jedoch Nachteile
hinsichtlich ihrer Formbarkeit und auch der maximalen Länge bzw. Breite des
- 8 -
Materials auf. Nicht stabilisiertes Faserband sei dafür anfällig, dass sich einzelne
Fasern lateral zueinander verschieben, was zu Faserbündeln und damit
korrespondierenden Faserlöchern führe. Vollständig stabilisiertes Faserband hätte
hingegen die Nachteile, dass es aufgrund der Stabilisierung unter Zugspannung
stehe und die Fasern daher nur linear längs entlang des Faserbandes liegen
könnten. Da die Fasern vollständig mittels eines Bindemittels miteinander
verbunden seien, könnten sie zudem nicht relativ zueinander verschoben werden.
Die Bildung von Erhebungen sei dadurch stark eingeschränkt, da das Material
wegen der starken Bindung der Fasern zueinander an der gestreckten Seite leicht
reiße oder an der gegenüberliegenden Seite wiederum Faserbündel bilde.
Daher soll durch das vorliegende Streitpatent die Aufgabe gelöst werden, ein
neues Verfahren, eine neue Einrichtung zur Herstellung eines gewobenen
Materials sowie ein damit hergestelltes gewobenes Material bereitzustellen, mit
denen zumindest ein Teil der dargestellten Probleme des Standes der Technik
gelöst werden können.
2.
Die genannte Aufgabe wird durch ein gewobenes Material gemäß dem
erteilten Patentanspruch 1 des Streitpatents gelöst.
Der Patentanspruch 1 beschreibt demnach ein (Merkmalsgliederung hinzugefügt):
1
Webmaterial mit bandartigem Schuss- und Kettgarn,
2
zumindest ein Schuss- und/oder Kettband ist teilweise stabilisiertes Faser-
band, bei dem
2.1
die Fasern diskontinuierlich durch ein Bindemittel derart verbunden sind,
2.2
dass nur einige Fasern über die Bandbreite gehalten werden, während an-
dere frei verbleiben.
3.
Als Fachmann ist ein (Fach-)Hochschulabsolvent der Fachrichtung
Textiltechnik mit einer mehrjährigen Erfahrung auf dem Gebiet der Webverfahren
anzusehen.
- 9 -
4.
Zur Bedeutung der Merkmale ist zu bemerken:
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 betrifft nach dem maßgebenden engli-
schen Wortlaut ein „woven material“, das aus „tape like warps and wefts“ besteht.
Unter dem in
der deutschen Übersetzung benutzten Begriff „Webmaterial“ ist da-
her ein gewebtes Material und somit ein Gewebe zu verstehen. Dieses Gewebe
besteht aus Ketten und Schüssen (warps and wefts) die eine bandartige (tape-
like) Form aufweisen. Das Merkmal 2 des erteilten Anspruchs 1 definiert die
Schüsse und Ketten näher, denn dort werden diese als Schuss- bzw. Kettbänder
bezeichnet. Weiter ist im Absatz [0001] des Streitpatents explizit angegeben, dass
es sich um ein Gewebe handelt, bei dem die Schüsse und Ketten in Form von
Bändern und nicht in Form von Garnen zugeführt werden. Die im Merkmal 1 des
deutschen Anspruchs
1 benutzte Formulierung „bandartiges Schuss- und Kett-
garn“ ist daher so auszulegen, dass es sich um Ketten und Schüsse handelt die
eine breite,
bandartige Form, und nicht, wie die Wortendung „-garn“ vermitteln
könnte, eine linienartige Form aufweisen.
Zumindest ein Schuss- und/oder Kettband des Gewebes ist teilweise stabilisiertes
Faserband (Merkmal 2). Die teilweise Stabilisierung wird dadurch erreicht, dass
ein Bindemittel so auf das Faserband aufgetragen ist, dass die Fasern diskonti-
nuierlich verbunden sind (Merkmal 2.1) so dass nur einige der Fasern über die
Bandbreite gehalten werden, während andere frei bleiben (Merkmal 2.2). Der
Wortlaut des Anspruchs 1 gibt den Zeitpunkt der teilweisen Stabilisierung jedoch
nicht vor. Ob die Verbindung des Bindemittels mit dem Faserband bereits bei der
Bandherstellung, und somit vor dem eigentlichen Webvorgang, oder im gewobe-
nen Zustand erfolgt, lässt der Anspruch 1 offen.
5.
Der Anspruch 1 des Streitpatents erweist sich in der erteilten Fassung nicht
als rechtsbeständig, denn aus der Druckschrift Ni 7 bereits bekanntes Webmate-
rial steht dem Webmaterial nach Anspruch 1 des Streitpatents neuheitsschädlich
entgegen.
- 10 -
Die Druckschrift Ni 7 offenbart (vgl. die Ansprüche 1 und 2 sowie Fig. 12) ein
Webmaterial (woven fabric) mit bandartigem Schuss-
und Kettgarn („flat filam-
mentary yarn“) (Merkmal 1). Wie weiter in der Fig. 12 gezeigt und in der Sp. 26,
Z. 8 bis 17 beschrieben, wird entlang der Ketten 36 ein Polymergarn mit niedrigem
Schmelzpunkt (low-melting point polymer yarn 38) eingewoben, so dass es, wie
insb. der Fig. 12 zu entnehmen, über die gesamte Länge mittig auf dem Kettband
angeordnet ist. Durch Erhitzen wird das Polymergarn 38 geschmolzen und verbin-
det sich entlang der Kette mit deren Fasern. Aufgrund der mittigen Anordnung des
Polymergarns 38 werden nur einige der Fasern verbunden und dadurch über die
Bandbreite gehalten, während andere frei verbleiben (Merkmale 2.1 und 2.2).
Nach dem Erhitzen des Gewebes sind daher die Kettbänder teilweise stabilisierte
Faserbänder (Merkmal 2).
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es bei den in der Druckschrift Ni 7
gezeigten Ketten 36 um Faserbänder. Denn die Ketten 36 bestehen aus mehreren
Fasern („multifilament“), die hergestellt werden, vgl. die Sp. 9, Z. 61 bis 67, indem
ein Faserbündel durch eine Walze aufgeweitet und die Fasern in dieser Form ge-
halten werden („kept in a flat condition“). Die dadurch entstehende bandartige
Form der Fasern ist sowohl der Figur 12 als auch der Figur 2 der Druckschrift Ni 7
zu entnehmen.
Die Beklagte legt hinsichtlich der technischen Lehre der Druckschrift Ni 7 weiter
dar, das dort beschriebene Gewebe bestehe zunächst aus Bändern mit vollständig
unverbundenen losen Fasern, da eine Verbindung zwischen einzelnen Fasern erst
nach einer Erhitzung des gewebten Materials entstehe. Jedoch würden sich auch
bei Erhitzung die Fasern der Kettbänder 36 nicht miteinander verbinden, während
die Fasern der Schussbänder 37 an einzelnen Stellen sämtlich über die gesamte
Breite miteinander verbunden seien. Auch klebten dann die Kett- und Schussbän-
der an den Überlappungspunkten aneinander und seien nicht relativ zueinander
bewegbar. Das Gewebe sei aufgrund dieser völligen Verklebung weitgehend un-
flexibel. Der vorliegende Anspruch 1 betreffe aber ein Gewebematerial, dessen
Faserband bereits vor dem Webvorgang teilweise stabilisiert sei. Mit Verweis auf
- 11 -
den Absatz [0028] des Streitpatents ergebe sich dies auch aus der Beschreibung,
wonach die Verwendung von anspruchsgemäß teilweise stabilisiertem Schuss-
und/oder Kettband von Vorteil sei, vorzugsweise wenn die Stabilisierung der ein-
zelnen Faserbänder vor dem Weben erfolge.
Diese Argumente halten der Überprüfung jedoch nicht stand. Wie oben bereits
ausgeführt, gibt der Wortlaut des Patentanspruchs 1 nicht vor, dass die teilweise
Stabilisierung des zumindest einen Schuss und/oder Kettbandes bereits vor dem
Weben stattfindet. Dies findet in dem von der Beklagten zitierten Absatz [0028]
des Streitpatents auch seine Stütze, denn darin ist die teilweise Stabilisierung der
Bänder vor dem Weben lediglich als eine bevorzugte und nicht als zwingend vor-
zunehmende Ausgestaltung angegeben.
Dass sich an den Überlappungspunkten der Kett- und Schussbänder eine Verbin-
dung des Polymergarns mit dem Schussband ergibt, ist für die Beurteilung der
Neuheit irrelevant. Denn wie in der Druckschrift Ni 7 gezeigt, ist das Polymergarn
38 entlang der kompletten Länge der Kettbänder eingewoben, vgl. die Figur 12.
Durch das anschließende Erhitzen schmilzt das Polymergarn und verbindet sich
über die gesamte Länge der Kette mit einigen Fasern der Kettbänder. Somit ist
Merkmal 2, das zumindest ein Schuss- und/oder Kettband das ein teilweise stabi-
lisiertes Faserband erfordert, aufgrund der „und/oder“-Verknüpfung erfüllt, da die
Kettbänder teilweise stabilisiert sind. Daher kann es dahingestellt bleiben, ob an
den Überlappungspunkten zusätzlich eine Verbindung mit den Schussbändern
vorliegt und diese dort nicht definitionsgemäß teilweise stabilisiert sind.
6.
In der Fassung von Hilfsantrag 1 erweist sich der Anspruch 1 des Streitpa-
tents dagegen als rechtsbeständig, denn der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß
Hilfsantrag 1 ist neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
6.1
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom erteilten An-
spruch 1 durch das zusätzlich aufgenommene Merkmal:
HA1
wobei das teilweise stabilisierte Faserband vor dem Weben teilweise
stabilisiert wurde
- 12 -
6.2
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 ist zulässig.
Das neu aufgenommene Merkmal geht aus dem Absatz [0011] hervor. Danach
wird ein Gewebe hergestellt („a woven fabric is produced), indem bevorzugt teil-
weise stabilisierte
Faserbänder („using preferably partially fibrous types of tapes“)
benutzt werden. Explizit beschreibt dies auch weiter der Absatz [0028], der sich
auf einen Webvorgang bezieht („when weaving“), der bevorzugt mit teilweise sta-
bilisierten Faserbändern („especially partially stabilized fibrous tapes“) durchge-
führt wird.
6.3
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 ist neu.
Sowohl die Druckschrift Ni 7 als auch die Druckschrift Ni 8/8a beschreiben ein
Webmaterial mit bandartigen Schüssen und Ketten, wobei die Schuss- und/oder
Kettbänder teilweise stabilisiertes Faserband sind. Die Faserbänder dieser Web-
materialien sind, entsprechend der Merkmale 2 bis 2.1 des Anspruchs 1, teilweise
so stabilisiert, dass nur einige der Fasern über die Bandbreite durch ein Binde-
mittel verbunden sind, während andere frei bleiben (vgl. die Druckschrift Ni 7, An-
sprüche 1 und 2, Fig. 12 sowie Sp. 26, Z. 8 bis 17 und die Druckschrift Ni 8, Fig. 1
und 5, i. V. m. Ni 8a, Seite 4 vorletzter Absatz).
Die teilweise Stabilisierung der Faserbänder wird gemäß den technischen Lehren
dieser Druckschriften durch Wärmezufuhr erst nach dem Webvorgang durchge-
führt. Die Druckschrift Ni 7 offenbart dies in der Sp. 26, Z. 8 bis 17. Die Druck-
schrift Ni 8/8a beschreibt auf S. 11 in den beiden letzten Absätzen, dass das Ge-
webe durch Wärmezufuhr (heat treatment) nach dem Übereinanderschichten (af-
ter being sandwiched) in einer Wärmebehandlungseinheit (heat unit 40) verbun-
den und somit teilweise stabilisiert ist.
Somit offenbaren beide Druckschriften Ni 7 und Ni 8/8a, im Unterschied zu dem in
dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag neu aufgenommenen Merkmal HA1, ein Web-
material, bei dem die Faserbänder erst nach dem Weben teilweise stabilisiert sind.
- 13 -
Die Klägerin wendet ein, dass sich der nunmehr als Product-by-Process-Anspruch
formulierte Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 auch gegenständlich vom Stand der
Technik unterscheiden müsse, um schutzfähig zu sein. Der Stand der Technik
zeige Verbindungen zwischen Kette und Schuss und trotzdem eine Beweglichkeit.
Dies sei auch bei dem Gegenstand nach Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 der Fall.
Darüber hinaus werde im Streitpatent die Beweglichkeit der Ketten und Schüsse
zueinander nur im Zusammenhang mit gedoppelt zugeführten Kett- bzw. Schüs-
sen oder einem Überdosieren (overfeeding) bei gedoppelten Ketten bzw. Schüs-
sen offenbart. Da diese Ausführungsformen jedoch nicht vom Gegenstand des
Anspruchs 1 mit umfasst werden, unterscheide sich dieser somit auch nicht vom
bekannten Stand der Technik.
Diese Einwände der Klägerin erweisen sich jedoch als nicht zutreffend, denn das
Streitpatent offenbart die Beweglichkeit der Ketten und Schüsse sowohl bei ein-
zeln eingeführten Ketten und Schüssen, vgl. die S. 23, Z. 36 bis 39, als auch bei
einem Überdosieren von einzeln oder gedoppelt (single or doubled) eingeführten
Ketten und Schüssen, vgl. die S. 25, Z. 44 bis 47. Unabhängig davon, ob die Ket-
ten und Schüsse beim Weben einzeln oder gedoppelt eingeführt werden, unter-
scheidet sich ein Webmaterial gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 auch gegen-
ständlich vom Stand der Technik. Die Webmaterialien, wie in den Druckschriften
5.
tels Wärmezufuhr nach dem Webvorgang teilweise stabilisiert. Daher unterschei-
den sich diese Webmaterialien vor der Wärmezufuhr vom Gegenstand des An-
spruchs 1 nach Hilfsantrag 1 darin, dass (noch) keine teilweise Stabilisierung vor-
liegt. Nach der Wärmezufuhr sind die Webmaterialien an den Überlappungspunk-
ten der Kett- und Schussbänder durch das geschmolzene Bindemittel (Ni
7: „po-
lymer yarn 38“; Ni 8/8a: „thermoplastic resin 14“) miteinander verbunden. Hierin
unterscheiden sie sich erkennbar vom Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfs-
antrag 1. Denn ein Webmaterial, bei dem das teilweise stabilisierte Faserband vor
dem Weben teilweise stabilisiert wurde, weist eine solche Verbindung zwischen
Kett- und Schussbändern nicht auf.
- 14 -
Die Druckschriften Ni 2 bis Ni 4 offenbaren zwar Webmaterialien aus bandartigen
Schüssen und Ketten, eine teilweise Stabilisierung der Faserbänder ist in diesen
Druckschriften jedoch nicht beschrieben.
Die Druckschrift Ni 9 sowie die zur selben Patentfamilie gehörenden Druckschrif-
ten Ni 10 und Ni
10‘ offenbaren lediglich Garne. Stellvertretend für die beiden an-
deren Druckschriften, wird nachfolgend auf die Druckschrift Ni 10 verwiesen.
Diese beschreibt, vgl. S. 20, Z. 12 bis 33, die Herstellung eines Webmaterials
(„gewebter Textilerzeugnisträger“), das aus Kettfäden 1 besteht, um die ein Poly-
mergarn 7a spiralförmig herum gewunden ist. Diese mit Polymergarn umwunde-
nen Kettfäden werden in das Gewebe eingewoben, wie in den Fig. 21 bis 24 dar-
gestellt. Die Gewebe gemäß den Figuren 1 bis 17 der Ni 10 setzen sich ebenfalls
ausschließlich aus Garnen (Kettfäden, Schussfäden, Hilfsfilamentgarnen) zusam-
men. Auch die Figuren 18 und 20 zeigen kein Gewebe mit einem Faserband als
Schuss- oder Kettband. Bei den dort mit 701 a,b bzw. 703 a,b bezeichneten
Schüssen und Ketten handelt es sich um parallel angeordnete Verstärkungsfa-
sern, die Garngruppen bilden, vgl. S. 17, Z. 25 bis 35 sowie S. 18, Z. 23 bis 30. Da
4.
bandförmige Schüsse und Ketten gerichtet ist und nicht auf Garne, ist der Gegen-
stand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 somit neu gegenüber den aus den
Druckschriften Ni 9, Ni 10 und Ni
10‘ bekannten Webmaterialien.
Dies gilt auch mit Blick auf die Druckschrift Ni 5. Diese offenbart bereits kein Fa-
serband, denn das dort beschriebene Gewebe besteht aus gewobenen Plastik-
streifen, vgl. Sp. 2, Z. 16 bis 20.
Keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften zeigt somit Webmaterialien,
die sämtliche im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 angegebenen Merkmale aufwei-
sen.
6.4
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 beruht auch auf einer
erfinderischen Tätigkeit.
- 15 -
Wie zur Neuheit dargelegt offenbaren die Druckschriften Ni 7 und Ni 8/8a Web-
materialien, die teilweise stabilisiertes Faserband aufweisen. Im Unterschied zum
Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 wird die teilweise Stabilisierung der Faserbänder
erst durch ein Erhitzen nach dem Webvorgang erreicht.
Warum der Fachmann von der dort offenbarten technischen Lehre abweichen und
die Bänder bereits vor dem Weben teilweise stabilisieren sollte, erschließt sich
nicht. Weder der Ni 7 noch der Ni 8/8a sind dahingehende Anregungen zu ent-
nehmen.
Auch die in den Druckschriften Ni 9, Ni 10/Ni
10‘ und Ni 11 offenbarten techni-
schen Lehren können den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nahe legen. Zwar
ist die Klägerin mit Verweis auf die Ni 9 und Ni 10 der Auffassung, dass die be-
schriebene Umwicklung der Fasern mit Polymergarn, vgl. bspw. Ni 10, S. 20, Z. 12
bis 33, eine teilweise Stabilisierung bewirkten, da die Fasern der Kettfäden bereits
mit Polymerfäden umwickelt seien. Ob das zutrifft oder nicht, kann dahingestellt
bleiben. Denn die Umwicklung eines Faserbandes wäre aus Sicht des Fachmanns
nicht zielführend, da ein Faserband bei dem Umwickeln mit einem Polymerfaden
eingeschnürt würde und danach nicht mehr wie gewünscht, vgl. den Absatz [0001]
des Streitpatents, in verdrehungsfreiem flachen Zustand verwoben werden könnte.
Da auch die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften Ni 2 bis Ni 5 nicht
nahe legen, ein Webmaterial so auszugestalten, dass das teilweise stabilisierte
Faserband bereits vor dem Weben teilweise stabilisiert ist, konnte der Fachmann
nicht ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsan-
trag 1 gelangen.
- 16 -
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 1
ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1
und 2 ZPO.
III.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gemäß § 110 PatG statt-
haft.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des in vollständiger Form
abgefassten Urteils - spätestens nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung -
durch einen in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder
Patentanwalt
schriftlich
beim
Bundesgerichtshof,
Herrenstraße
45a,
76133 Karlsruhe, einzulegen.
Die Berufungsschrift muss
- die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet ist, sowie
- die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde,
enthalten. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Ab-
schrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
- 17 -
Auf die Möglichkeit, die Berufung nach § 125a PatG in Verbindung mit § 2 der
Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof und
Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV) auf elektronischem Weg beim Bundes-
gerichtshof einzulegen, wird hingewiesen (www. bundesgerichtshof.de/erv.html).
Guth
Hartlieb
Dr. Fritze
Fetterroll
Wiegele
prö