Urteil des BPatG vom 16.09.2014

Stand der Technik, Besonderer Vorteil, Patentanspruch, Erfindung

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
17 W (pat) 17/11
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 100 29 381.6 - 51
- 2 -
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts
in der Sitzung vom 16. September 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters
Dipl.-Phys. Dr. Morawek,
der
Richterin
Eder,
der
Richterin
Dipl.-Phys. Dr. Thum-Rung sowie des Richters Dipl.-Ing. Hoffmann
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I.
Die vorliegende Patentanmeldung ist am 21. Juni 2000 beim Deutschen Patent-
und Markenamt unter der Bezeichnung
„Optischer Wellenleiter“
eingereicht worden.
Die Prüfungsstelle für Klasse G02B hat am 18. November 2010 die Anmeldung
zurückgewiesen, da der beanspruchte Gegenstand nicht neu sei.
Gegen den Beschluss wendet sich die am 25. Februar 2011 eingegangene
Beschwerde der Anmelderin I.
Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent
mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
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gemäß Hauptantrag mit
-
Patentansprüchen 1 bis 6, eingegangen am 18. Novem-
ber 2010,
-
Beschreibung Seiten 1 bis 6 und
1 Blatt Zeichnungen mit 1 Figur,
jeweils eingegangen am Anmeldetag;
gemäß Hilfsantrag mit
-
Patentanspruch 1, eingegangen am 18. November 2010,
-
Im Übrigen wie Hauptantrag.
Zuletzt hat sie mit Eingabe vom 5. August 2011 die Entscheidung nach Aktenlage
beantragt. Diesem Antrag hat sich die Anmelderin II angeschlossen.
Des Weiteren regt sie an, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.
Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt sind folgende
Druckschriften genannt worden:
D1: WO 98/58884 A1
D2: EP 0 843 424 A2
D3: GB 2 071 644 A.
Die Anmelderinnen haben in den Anmeldeunterlagen folgende Druckschriften auf-
geführt:
G. M. Williams et
al: “Radiation-induced coloring of erbium-doped optical
Fibers”, SPIE Vol. 1791 Optical Materials Reliability and Testing (1992),
S. 274 bis 283
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H. Henschel, E.
Baumann: “Effect of natural Radioactivity on Optical
Fibers of Undersea Cables”, Jour. Lightwave Tech., Vol. 14, No. 5,
May 1996, S. 724.
Zu den Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht und auch sonst zulässig. Sie
konnte jedoch keinen Erfolg haben, da die Gegenstände des jeweiligen Patentan-
spruchs 1 gemäß dem Hauptantrag und gemäß dem Hilfsantrag nicht neu sind
(§ 1 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 PatG).
1.
Die Patentanmeldung betrifft einen optischen Wellenleiter.
Gemäß der Beschreibung auf Seite 1 bis 3 ist die Anwendung von Faserlasern
und Faserverstärkern in der optischen Nachrichtentechnik weit verbreitet. Beson-
ders hätten sich die erbiumdotierten Faserverstärker schon seit einigen Jahren in
kommerziellen terrestrischen Systemen bewährt; diese Systeme hätten einen sehr
hohen Entwicklungsstand bezüglich Effizienz und Resistenz gegen diverse ther-
mische und klimatische Bedingungen erreicht.
Insbesondere für die Unterwasserkommunikation und Intersatellitenverbindungen
komme zu den bei terrestrischen Applikationen existierenden Randbedingungen
noch die über den Anwendungszeitraum von einigen Jahren akkumulierte Strah-
lungsschädigung hinzu, die zu einer langsamen Degradation der Performance bis
zum Erlöschen des Laser- oder Verstärkerbetriebes führen könne.
Ursächlich dafür seien Farbzentren (also im sichtbaren und nahen infraroten
Spektralbereich absorbierende Zentren) in den Fasern, die durch Herauslösen von
Elektronen aus den Atomen der Laser- oder Verstärkermaterialien verursacht wür-
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den. Diese Elektronen seien nicht mehr stationär und könnten an anderen Atomen
im Material und an Gitterleerstellen in langzeitstabile Zentren umgewandelt wer-
den, die spektral breitbandige (einige hundert Nanometer) Absorption aufwiesen.
Die in diesen Zentren absorbierte Lichtleistung werde überwiegend in Wärme
umgewandelt und schwäche das zur Aufrechterhaltung des Laser- oder Verstär-
kerbetriebes notwendige Nutzsignal.
In der Vergangenheit seien verschiedene bei der Herstellung (Zucht) der Fasern
variable Parameter untersucht worden sowie die Einflüsse der zur Einstellung des
Brechungsindexprofils notwendigen Kodotierungen (z. B. Phosphor, Germanium,
Aluminium) auf die Strahlungsresistenz der Fasern.
Es habe sich herausgestellt, dass die Verwendung von Phosphor einen nachteili-
gen Effekt auf die Strahlungsbeständigkeit der Fasern habe, die alleinige Verwen-
dung von Germanium hingegen die Strahlungsschäden mindern könne.
Ungeachtet dessen existierten bei Dotierung mit laseraktiven Ionen (Seltene
Erden wie Erbium, Neodym, Ytterbium) bis heute keine überzeugenden Lösungen
für akkumulierte Strahlungsdosen von 50-200 kRad, welche bei Langzeitweltraum-
anwendungen oder Unterseekabeln aufträten.
Die Firma S… biete passive Gläser mit Cer-Kodotierung an, die jedoch nicht mit
laseraktiven Ionen dotiert seien. Diese Gläser wiesen vergleichsweise geringe
durch Strahlung induzierte Absorptionen auf.
Demgegenüber habe der beanspruchte Anmeldungsgegenstand folgenden Vorteil:
Durch Kodotierung (Zugabe) von Cer-Ionen zu den üblicherweise verwendeten
Ausgangsmaterialien einer Faserzucht ermögliche die Erfindung die Vermeidung
von durch Gamma- und Protonenbeschuss induzierter Absorption und die damit
verbundene Verringerung der Ausgangsleistung.
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Mit der Erfindung sei eine Materialkombination für wenig strahlungsempfindliche
Faserlaser und -verstärker geschaffen worden, die den Einsatz solcher Systeme
im Weltraum oder anderen strahlungsbelasteten Hintergründen ermögliche. Dabei
sei es gelungen, den durch Strahlung induzierten Verlust an Effizienz auf ca. 30%
zu beschränken (bei 100 kRad Co
60
Dosis). Ein besonderer Vorteil der Erfindung
bestehe darin, dass das Ion Cer aus der gleichen chemischen Gruppe (Seltene
Erden) stamme wie die laseraktiven Ionen, so dass eine Dotierbarkeit mit Cer
immer gegeben sei, sofern sich das Fasermaterial mit laseraktiven Ionen der Sel-
tenen Erden-Gruppe dotieren lasse.
Die Wirkungsweise der Cer-Kodotierung sei noch Gegenstand weiterer Untersu-
chung, die Ursache für die Verhinderung der Farbzentrenbildung liege aber
höchstwahrscheinlich an einem Einfangen der durch die Strahlungswirkung aus
dem Atom herausgeschlagenen Elektronen, bevor diese ein Farbzentrum bilden
könnten. Die Elektronen könnten am Cer lokalisiert werden, oder durch soge-
nannte Charge-Transfer-Übergänge wieder auf die Ausgangsatome zurück über-
tragen werden.
Anwendbar sei die Erfindung bei sämtlichen laseraktiven Ionen in Fasern [Neodym
(Nd), Erbium (Er), Thulium (Tm), Holmium (Ho), Ytterbium (Yb), Praseodym (Pr)]
und bei allen Faserausgangsmaterialien wie Silikatglas, Quarz, Fluoridglas.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet (mit eingefügten Gliederungszei-
chen):
a) Optischer Verstärker oder Laser als Wellenleiter
b) aus Silikatglas
c) zum Langzeiteinsatz unter Strahlenbelastung,
d) dessen Kern mit laseraktiven Ionen dotiert ist,
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dadurch gekennzeichnet, dass
e) der Kern zur Ermöglichung eines Charge-Transfers zusätzlich mit Cer
kodotiert ist.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet (mit eingefügten Gliederungszei-
chen):
a‘) Optischer Wellenleiter aus einer Materialkombination für wenig strah-
lungsempfindliche Faserlaser und -verstärker,
c) zum Langzeiteinsatz unter Strahlenbelastung
b‘) mit einer Faser aus Silikatglas als Faserausgangsmaterial,
d‘) deren Kern mit laseraktiven Ionen dotiert ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
e‘) zur Verhinderung der Farbzentrenbildung der Faserkern mit Cer kodo-
tiert ist.
Einige Anspruchsmerkmale bedürften der Erläuterung.
Nach S. 3 vorle. und le. Abs. in Verbindung mit S. 4 Abs. 3 der Anmeldeunterlagen
führt bei sämtlichen laseraktiven Ionen in Fasern (etwa Erbium) und bei allen
Faserausgangsmaterialien wie Silikatglas, Quarz, Fluoridglas die anmeldungsge-
mäße Kodotierung mit Cer-Ionen zu einer geringen Strahlungsempfindlichkeit, so
dass alle diese Materialien zum Langzeiteinsatz unter Strahlenbelastung geeignet
sind.
Soweit die Merkmale im jeweiligen Anspruch 1 nach Hauptantrag und nach Hilfs-
antrag darauf abzielen, dass der beanspruchte Gegenstand „
“ (Merkmal c)) geeignet sein und „
Faserlaser und -ve
rstärker“ (Merkmal a‘))
bestehen soll, sind sie somit nach der Lehre der Anmeldung bei jedem beliebigen
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als Verstärker oder Laser ausgebildeten optischen Wellenleiter erfüllt, der die
Merkmale
b) und d) bzw. b‘) und d‘) aufweist und dessen Faserkern mit Cer kodo-
tiert ist; der beanspruchten Materialkombination wird dadurch inhaltlich nichts hin-
zugefügt.
Als Fachmann sieht der Senat hier einen Chemiker oder Physiker mit Erfahrung in
der Entwicklung von optischen Wellenleitern an.
2.
Die Gegenstände des jeweiligen Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und
Bei der Prüfung auf Patentfähigkeit sind insbesondere folgende Grundsätze zu
beachten:
Bei einem Sachpatent kommt der Aufnahme von Zweck-, Wirkungs- und Funk-
tionsangaben in den Patentanspruch im Regelfall keine schutzbeschränkende Wir-
kung zu; vgl. BGH GRUR 1991, 436
– Befestigungsvorrichtung II. Die Neuheits-
prüfung einer Stofferfindung erstreckt sich auf die Neuheit des Stoffes als solchen;
auf die Wirkung des Stoffes und seine bisherige Verwendung für einen bestimmten
Zweck kommt es dabei nicht an; eine Stofferfindung wird z. B. durch eine
Beschreibung des Stoffes in einer öffentlichen Druckschrift neuheitsschädlich vor-
weggenommen, mögen dem Stoff dort auch andere Wirkungen oder eine von der
in der Anmeldung angegebenen Verwendungsart völlig verschiedene Verwen-
dungsweise zugeschrieben sein; vgl. BGH GRUR 1972, 541 - Imidazoline
(Kap. II.E.2.d); BGH GRUR 1984, 644 - Schichtträger (Kap. II.2.a); Schulte,
Die Druckschrift D2 beschreibt einen als Verstärker wirkenden optischen Wellen-
leiter (Titel) - Merkmale a), teilweise a
‘). Zur Lichtverstärkung bei Anregung mittels
0,98 µm Pumplicht sind als Stand der Technik Fasern aus Erbium-dotiertem Sili-
kat-, Halogenid-, Chalcogenid- oder Oxyhalogenid-Glas mit hoher Verstärkungs-
Bandbreite beschrieben, die jedoch nachteilig eine relativ geringe Verstärkerleis-
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tung aufwiesen (Sp. 1 Z. 8 bis 51). Durch die Lehre der D2 soll ein optischer Ver-
stärker bzw. Wellenleiter mit hoher Lichtverstärkung bei Anregung im 0.98 µm-
Band geschaffen werden (Sp. 2 Z. 9 bis 16). Dieser kann in seinem Kern (und
damit in seinem hier allein relevanten Hauptteil) aus Silikatglas bestehen (Sp. 3 le.
Abs. bis Sp. 4 Abs. 1, insbesondere Sp. 4 Z.
4 und 5 „fluorine-containing silicate
glasses“, ebenso Unteranspruch 6), wobei der Kern sowohl mit Erbium (also
einem laseraktiven Material) als auch mit Cer dotiert ist (Anspruch 1, Sp. 3 Z. 25,
Z. 41 bis 49)
– Merkmale b), b‘), d), d‘), teilweise e) und e‘).
Damit sind in dem aus D2 bekannten Wellenleiter alle gegenständlichen Merkmale
des jeweiligen Anspruchs 1 nach Hauptantrag und nach Hilfsantrag erfüllt. Wie
oben ausgeführt, sind nach der Lehre der vorliegenden Anmeldung solche Mate-
rialien zwangsläufig wenig strahlungsempfindlich und somit prinzipiell zum Lang-
zeiteinsatz unter Strahlenbelastung geeignet.
Die Angaben zum Einsatzzweck in den Merkmalen c) und a
‘) beschränken den
beanspruchten Gegenstand nicht und sind bei der Prüfung auf Neuheit nicht zu
berücksichtigen. Entsprechendes gilt für die Zweck- und Wirkungsangaben in den
Merkmalen
e) („zur Ermöglichung eines Charge-Transfers“) und e‘) („zur Verhinde-
rung
der Farbzentrenbildung“).
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag und ebenso der Gegenstand
des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag ist demnach nicht neu.
Diese Ansprüche sind nicht gewährbar.
3.
Da über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann, sind auch
die jeweiligen abhängigen Patentansprüche 2 bis 6 des Haupt- und Hilfsantrags
nicht gewä
hrbar; vgl. BGH GRUR 1997, 120 „Elektrisches Speicherheizgerät“.
Für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr sieht der Senat keinen Anlass. Das
Prüfungsverfahren wurde korrekt durchgeführt.
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Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel
der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist
sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richter-
amtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit
Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war,
sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend
zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die
Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichts-
hof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Dr. Morawek
Eder
Dr. Thum-Rung
Hoffmann
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