Urteil des BPatG vom 05.06.2014

Rechtliches Gehör, Rückzahlung, Anhörung, Zustellung

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
15 W (pat) 6/11
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2006 018 123
(hier: Rückzahlung der Beschwerdegebühr)
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hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
5. Juni 2014 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Feuerlein und die Richter Kätker,
Dr. Lange und Dr. Freudenreich
beschlossen:
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
G r ü n d e
I.
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren, das sich mit Zurücknahme der Be-
schwerde durch die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 22. April 2014 in der
Hauptsache erledigt hat, geht es allein noch um den Antrag der Beschwerdeführe-
rin auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr.
Gegen das Patent DE 10 2006 018 123 B4 hat die Einsprechende Einspruch er-
hoben und mangelnde erfinderische Tätigkeit bei den Gegenständen der erteilten
Patentansprüche geltend gemacht.
Hierauf hat die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 1. September 2010 erwidert.
Mit dem insgesamt 11 Seiten umfassenden Erwiderungsschriftsatz hat sie die An-
träge gestellt, das Patent aufrechtzuerhalten sowie hilfsweise eine Anhörung an-
zuberaumen. Zudem hat sie zur Frage der erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf
die von der Einsprechenden genannten Entgegenhaltungen Stellung genommen.
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Das Deutsche Patent- und Markenamt hat veranlasst, dass diese Einspruchserwi-
derung der Einsprechenden durch formlose Übersendung zur Kenntnis übersandt
wird. In der Akte des Patentamts findet sich dazu jedenfalls das Aktenexemplar
eines Bescheids vom 22. September 2010, mit dem eine Abschrift der Ein-
spruchserwiderung vom 1. September 2010 an die Vertreter der Einsprechenden
übersandt werden sollte (Blatt 38 der Einspruchsakte).
Mit Beschluss vom 24. Januar 2011 hat die Patentabteilung 43 des Deutschen
Patent- und Markenamts im schriftlichen Verfahren die Aufrechterhaltung des Pa-
tents in vollem Umfang beschlossen.
Im Beschluss hat die Patentabteilung darauf hingewiesen, dass der von der Pa-
tentinhaberin gestellte Hilfsantrag auf Anhörung hinfällig sei, da ihrem Hautantrag
gefolgt worden sei, während die Einsprechende weder einen Antrag noch einen
Hilfsantrag auf Anhörung gestellt habe. Eine Anhörung sei auch nicht sachdienlich
gewesen. Weiter heißt es im Beschluss der Patentabteilung:
„Nachdem der Einsprechenden die entscheidungserheblichen Umstände durch
Zustellung des Schriftsatzes der Patentinhaberin vom 1. September 2010 mit
Schreiben der Patentabteilung vom 22. September 2010 bekannt waren, konnte
da
her Beschluss gefasst werden.“
Noch vor der Absendung des Beschlusses, die laut Vermerk eines Bearbeiters am
31. Januar 2011 erfolgte (Blatt 42 der Einspruchsakte), ist am 27. Januar 2011
eine Sachstandsanfrage der Einsprechenden beim Patentamt eingegangen
(Blatt 40 der Einspruchsakte), in der sie unter anderem darauf hingewiesen hat,
dass Ihr bisher noch keine Erwiderung zugestellt worden sei. Diese Eingabe der
Einsprechenden führte nicht dazu, dass die Zustellung des Beschlusses noch auf-
gehalten wurde.
Der Einspruchsbeschluss bzw. sein Beschlusstext ist in der Akte des Patentamts
zweimal enthalten, wobei die Unterschriften der drei Abteilungsmitglieder jeweils
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nur in kopierter Form vorliegen. Unterhalb dieser Unterschriften ist in beiden
Exemplaren ein
Ausfertigungsvermerk („Ausgefertigt …“) mit der Unterschrift einer
Tarifbeschäftigten angebracht. Ein Beschlussexemplar mit den Originalunter-
schriften der Abteilungsmitglieder am Ende der Begründung findet sich in der Akte
nicht. Auch die an das Deutsche Patent- und Markenamt gerichtete Bitte des Bun-
despatentgerichts (Blatt 12 der Gerichtsakte), den Originalbeschluss der Akte bei-
zufügen, blieb ohne Ergebnis.
Gegen den Aufrechterhaltungsbeschluss hat sich die inzwischen zurückgenom-
mene Beschwerde der Einsprechenden gerichtet, mit der sie unter anderem be-
antragt hat,
die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.
Diesen Antrag hat sie, nachdem sie die Beschwerde zurückgenommen hat, mit
Schriftsatz vom 23. Mai 2014 aufrechterhalten.
Zur Begründung führt sie aus, dass ihr die Einspruchserwiderung der Patentinha-
berin vom 1. September 2010 nicht zugestellt worden sei. Das einzige Schrift-
stück, das sie nach Erhebung des Einspruchs erhalten habe, sei der Beschluss
selbst gewesen. Damit sei das rechtliche Gehör der Einsprechenden nicht ausrei-
chend gewahrt worden.
II.
Das Patentgericht kann nach § 80 Abs. 3 PatG anordnen, dass die Beschwerde-
gebühr zurückgezahlt wird. Dies gilt auch dann, wenn die Beschwerde zurückge-
nommen worden ist (§ 80 Abs. 4 PatG).
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Es entspricht vorliegend der Billigkeit, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen. Die
Billigkeit ergibt sich aus der fehlerhaften Sachbehandlung durch das Deutsche
Patent- und Markenamt, die auch für die Erhebung der Beschwerde ursächlich
war.
Nach ihrem nicht zu widerlegenden Vortrag ist der Einsprechenden die Ein-
spruchserwiderung der Patentinhaberin nicht zugegangen, so dass sie zum Zeit-
punkt der Entscheidung über ihren Einspruch keine Kenntnis von der Stellung-
nahme der Patentinhaberin und damit auch keine Gelegenheit hatte, sich hierzu
zu äußern. Zwar bestand keine Pflicht des Deutschen Patent- und Markenamts,
die Einspruchserwiderung der Patentinhaberin an die Einsprechende förmlich zu-
zustellen. Insbesondere ergibt sich eine solche Verpflichtung mangels entspre-
chender Bestimmungen weder aus dem Gesetz noch aus der Hausverfügung des
Nr. 10 des Deutschen Patent- und Markenamts in Verbindung mit dem Grundsatz
der Selbstbindung der Verwaltung. Wenn das Amt den somit nicht zu beanstan-
denden Weg der einfachen Übersendung per Post gewählt hat, trägt es jedoch
das Risiko, dass der Zugang beim Empfänger nicht mit Nachweisen belegt werden
kann, wie dies bei der förmlichen Zustellung der Fall wäre. In der patentamtlichen
Akte findet sich zwar ein Aktenexemplar des Bescheids vom 22. September 2010,
laut dem die „Eingabe des Pi vom 1. September 2010“ an die Vertreter der Ein-
sprechenden übersandt werden soll und auf dem auch ein handschriftlicher „ab“-
Vermerk eines Bearbeiters vom „22. SEP. 2010“ angebracht ist. Der Senat geht
daher davon aus, dass die Einspruchserwiderung vom Deutschen Patent- und
Markenamt an dessen Postabfertigungsstelle abgegeben worden ist.
Nachdem aber die der Wahrheitspflicht nach § 124 PatG unterliegende Einspre-
chende durch ihre anwaltlichen Vertreter mitgeteilt hat, dass diese den Schriftsatz
nicht erhalten haben, wofür auch der Inhalt ihrer Sachstandsanfrage vom
27. Januar 2011 spricht, und sich
– wie bei einfacher Postabfertigung üblich - kein
Nachweis über die Übergabe der einfachen Postsendung an den Empfänger in
den Akten findet, muss der Senat davon ausgehen, dass die fragliche Postsen-
dung nicht von den Vertretern der Einsprechenden empfangen worden ist.
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Damit ist der Anspruch der Einsprechenden auf rechtliches Gehör aus
Art. 103 Abs. 1 GG verletzt worden. Das Unterlassen der Übermittlung von
Schriftsätzen an den anderen Beteiligten stellt einen schwerwiegenden Verfah-
rensverstoß dar, weil der Anspruch auf rechtliches Gehör auch das Recht umfasst,
von den Ausführungen des Gegners ohne unangemessene Zeitverzögerung
Kenntnis zu erhalten. Schriftsätze sind daher - selbst wenn sie nach Auffassung
der entscheidenden Stelle nichts Relevantes enthalten - unverzüglich an den
Gegner zu übersenden (vgl. Schulte, Patentgesetz, 9. Auflage, § 73, Rdn. 151).
Dies muss erst recht für die Einspruchserwiderung gelten, in der sich die Patentin-
haberin erstmalig und umfassend auf den Einspruch und seine Begründung geäu-
ßert und zudem auch Anträge gestellt hat.
Dieser Verfahrensfehler ist auch kausal für die Einlegung der Beschwerde und
damit für die Notwendigkeit der Zahlung der Beschwerdegebühr. Denn aus der
Sicht eines verständigen Beschwerdeführers (vgl. Schulte, Patentgesetz,
9. Auflage, § 73, Rdn. 139) ist nicht auszuschließen, dass die Entscheidung ohne
den Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre, zumal die Einsprechende dann
Gelegenheit gehabt hätte, die Argumentation der Patentinhaberin zu widerlegen.
Damit ist die Rückzahlung der Beschwerdegebühr aus Gründen der Billigkeit ge-
rechtfertigt.
Unter diesen Umständen brauchte nicht mehr der Frage nachgegangen zu wer-
den, ob die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht auch deshalb gerechtfertigt
ist, weil den Beteiligten zwar der (ursprünglich) angefochtene Beschluss zugestellt
worden ist, eine Urschrift in den Akten aber nicht existiert (vgl. Schulte, Patentge-
setz, 9. Auflage, § 73, Rdn. 152 unter b)).
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III.
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
einzulegen.
Feuerlein
Kätker
Lange
Freudenreich
prö