Urteil des BPatG vom 02.10.2014

Verordnung, Genehmigung, Inverkehrbringen, Erzeugnis

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
15 W (pat) 51/05
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Schutzzertifikatsanmeldung 12 2005 000 004.3
für das Grundpatent DE 689 25 352 (EP 0 375 907)
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
2. Oktober 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Feuerlein und der
Richter Dr. Egerer, Kätker und Dr. Wismeth
- 2 -
beschlossen:
I.
Der Beschluss der Patentabteilung 1.44 des Deutschen Pa-
tent- und Markenamts vom 30. September 2005 wird aufge-
hoben.
II.
Der Antragstellerin wird ein ergänzendes Schutzzertifikat für
das Pflanzenschutzmittel, enthaltend Clothianidin, mit einer
Laufzeit
vom
17. November 2009
bis
zum
16. November 2014 erteilt.
I. Sachverhalt
Die Antragstellerin begehrt die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für
Pflanzenschutzmittel. Sie ist Inhaberin des inzwischen abgelaufenen Europäi-
schen Patents EP 0 375 907 mit der Bezeichnung
„Nitroverbindungen als Insekti-
zide
“. Anmeldetag für dieses Grundpatent, das auch für die Bundesrepublik
Deutschland galt (DE 689 25 352), war der 16. November 1989.
Die Patentansprüche 1, 2 und 6 bis 8 des Grundpatents haben folgenden Wort-
laut:
- 3 -
6. Insektizide Zusammensetzungen, dadurch gekennzeichnet,
dass sie wenigstens eine Nitro-Verbindung der Formel (I) gemäß
den Ansprüchen 1 bis 4 enthalten.
7. Verfahren zur Herstellung insektizider Zusammensetzungen,
dadurch gekennzeichnet, dass Nitro-Verbindungen der Formel (I)
gemäß den Ansprüchen 1 bis 4 mit Streckmitteln und/oder ober-
flächenaktiven Mitteln vermischt werden.
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8. Verfahren zur Bekämpfung schädlicher Insekten, dadurch ge-
kennzeichnet, dass Nitro-Verbindungen der Formel (I) gemäß den
Ansprüchen 1 bis 4 auf schädliche Insekten und/oder deren Le-
bensraum zur Einwirkung gebracht werden.
Am 3. Februar 2005 beantragte die Patentinhaberin die Erteilung eines ergänzen-
den Schutzzertifikats für den von diesem Patent erfassten Wirkstoff Clothianidin.
Den Erteilungsantrag stützte sie auf die beiden am 8. September 2004 erteilten
Zulassungen mit den Zulassungsnummern 5272-00 und 5429-00 für die Pflan-
zenschutzmittel „Poncho“ und „Poncho ungefärbt“ (jeweils mit dem Wirkstoff
Clothianidin) des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.
Dabei handelte es sich
– entgegen den Angaben der Anmelderin, die von
endgültigen Zulassungen ausging (vgl.
„Erläuterungen zum Antrag vom
2. Februar
2005“, S. 3 unten) – um sogenannte vorläufige Zulassungen gemäß
§ 15c des Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen in der Fassung der
Bekanntmachung vom 14. Mai 1998, zuletzt geändert durch Art. 149 der
Verordnung vom 25. November 2003 (PflSchG a.F.). Beide Zulassungen waren
bis zum 7. September 2007 gültig.
Als Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Europäi-
schen Union gab die Antragstellerin den 19. Februar 2003 an, den Tag der erteil-
ten (vorläufigen) Zulassung MAPP Number 11201 des Erzeugnisses im Vereinig-
ten Königreich. Die Laufzeit dieser Zulassung für das Inverkehrbringen des Er-
zeugnisses endete am 18. Februar 2006.
Noch vor Einreichung der o. g. Anmeldung ist der Anmelderin am
6. September 2004 für den gleichen Wirkstoff bereits ein ergänzendes Schutzzer-
tifikat erteilt worden, worauf sie im o. g. Erteilungsantrag auch hingewiesen hat.
Dabei handelte es sich um das Schutzzertifikat DE 12 2004 000 010, dem eben-
falls das Grundpatent EP 0 375 907 zugrunde lag. Der damaligen Erteilung des
Zertifikats
lag
allerdings
eine
sogenannte
Notgenehmigung
(vom
- 5 -
2. Dezember 2003) des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi-
cherheit gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PflSchG a.F. zugrunde, die für 120 Tage
erteilt wurde.
Zur Begründung ihres neuerlichen Erteilungsantrags (vom 3. Februar 2005) hat
die Anmelderin sinngemäß ausgeführt, dass es fraglich erscheine, ob es sich bei
einer (Not-) Genehmigung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PflSchG a.F. um eine
solche nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Euro-
päischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines
ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel (Verordnung (EG)
Nr. 1610/96) handele. Demgemäß werde nunmehr die Erteilung eines ergänzen-
den Schutzzertifikats auf Basis der Zulassungen vom 9. September 2004 bean-
tragt.
Mit Beschluss vom 30. September 2005 hat die Patentabteilung 1.44 des Deut-
schen Patent- und Markenamts den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat
sie unter Verweis auf ihren Bescheid vom 6. April2005 ausgeführt, dass für den-
selben Wirkstoff gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) Verordnung (EG) Nr. 1610/96
nicht ein zweites ergänzendes Schutzzertifikat erteilt werden könne. Nachdem für
den Wirkstoff Clothianidin bereits das Schutzzertifikat 12 2004 000 010 erteilt wor-
den sei, könne dem vorliegenden Erteilungsantrag nicht stattgegeben werden.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Von einer Begründung hat
sie bisher abgesehen.
Mit Urteil vom 24. Juni 2014 (3 Ni 60/06) hat der 3. Senat des Bundespatentge-
richts das o.g.
– auf eine Notzulassung gestützte – ergänzende Schutzzertifikat
DE 12 2004 000 010 für nichtig erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
- 6 -
II.
Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 73 Abs. 1 PatG i. V. m.
§ 16a Abs. 2 PatG). Sie hat in der Sache Erfolg, denn nach der Nichtigerklärung
des Schutzzertifikats DE 12 2004 000 010 liegen die Voraussetzungen für die Er-
teilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel auf den vor-
liegenden Erteilungsantrag vom 3. Februar 2005 vor.
1. Nach Art. 3 der Verordnung Nr. 1610/96 wird das Zertifikat erteilt, wenn zum
Zeitpunkt der Anmeldung das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpa-
tent geschützt ist (Art. 3 Abs. 1 a)), für das Erzeugnis als Pflanzenschutzmittel
eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 4 der Richtlinie
91/414/EWG oder einer gleichwertigen einzelstaatlichen Rechtsvorschrift erteilt
wurde (Art. 3 Abs. 1 b)), bei der es sich um die erste Genehmigung für das Inver-
kehrbringen dieses Erzeugnisses als Pflanzenschutzmittel handeln muss (Art. 3
Abs. 1 d)), und wenn für das Erzeugnis noch kein Zertifikat erteilt wurde (Art. 3
Abs. 1 c)).
a) Zum Zeitpunkt der Anmeldung am 3. Februar 2005 war das Erzeugnis
Clothianidin durch das damals noch in Kraft befindliche Grundpatent EP 0 375 907
(DE 689 25 352) geschützt.
Zur näheren Identifizierung des Erzeugnisses, für das ein Zertifikat erteilt werden
soll, hat die Anmelderin im Feld (7) des Erteilungsantrags neben den Angaben
„Poncho®“ und „common name: Clothianidin“ auch auf eine Anlage 1 zum Ertei-
lungsantrag verwiesen. Bei dieser Anlage handelt es sich um die Unterlage
„Technical Information“ zum Produkt „Poncho® (Clothianidin) Systemic Insecti-
cide“. Darin finden sich auf Seite 6, unter Ziff. 2 folgende Angaben zur Identität
des Wirkstoffs:
- 7 -
Da in Patentanspruch 2 des Grundpatents (der sich auf Patentanspruch 1 bezieht)
R
1
und R² für Wasserstoff oder Methyl stehen, R³ für
–NR
5
R
6
steht, R
5
und R
6
Wasserstoff oder Methyl sind und Z u. a. für 2-Chlor-5-thiazolyl steht, wird dieser
Wirkstoff von Patentanspruch 2 und somit durch das Grundpatent geschützt.
b) Für das Erzeugnis als Pflanzenschutzmittel lag zum Zeitpunkt der Anmeldung
auch eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen i. S. d. Art. 3 Abs. 1 d)
der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 vor. Die Anmelderin konnte sich insoweit auf die
beiden
Zulassungen für die Pflanzenschutzmittel „Poncho“ und „Poncho unge-
färbt“ (jeweils mit dem Wirkstoff Clothianidin) des Bundesamts für Verbraucher-
schutz und Lebensmittelsicherheit jeweils vom 8. September 2004 stützen, die
noch bis zum 7. September 2007 gültig waren. Soweit es sich hierbei um soge-
- 8 -
nannte vorläufige Zulassungen gemäß § 15c PflSchG a.F. handelte, ist dies un-
schädlich, da vorläufige Zulassungen i. S. d. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie
91/414/EWG nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
ebenfalls von Art. 3 Abs. 1 b) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 erfasst werden
(vgl. EuGH GRUR 2011, 213
– Lovells/Bayer).
c) Zudem handelte es sich bei diesen Genehmigungen um die erste(n) Genehmi-
gung(en) für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Pflanzenschutzmittel
i. S. d. Art. 3 Abs. 1 b) u. d) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96. Zwar ist bereits am
2. Dezember 2003 eine sogenannte Notgenehmigung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 PflSchG a.F. erteilt worden, solche Notgenehmigungen i. S. d. Art. 8 Abs. 4
der Richtlinie 91/414/EWG sind aber
– im Gegensatz zu vorläufigen Genehmigun-
gen
– nicht einer Genehmigung i. S. d. Art. 4 der Richtlinie 91/414/EWG gleichzu-
stellen und fallen damit nicht unter Art. 3 Abs. 1 b) der Verordnung (EG)
Nr. 1610/96 (vgl. EuGH GRUR 2013, 1129 - Sumitomo Chemical/DPMA). Die
(vorläufigen) Genehmigungen vom 8. September 2004 stellen damit die ersten
Genehmigungen i. S. d. Art. 3 Abs. 1 b) u. d) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96
dar.
d)
Schließlich ist für das Erzeugnis rechtlich auch noch kein Zertifikat erteilt wor-
den (Art. 3 Abs. 1 c) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96). Das ursprünglich auf der
Grundlage einer Notgenehmigung erteilte Zertifikat DE 12 2004 000 010 ist für
nichtig erklärt worden und damit von Anfang an unwirksam (vgl. Schulte, Patent-
gesetz, 9. Aufl., § 16a, Rdn. 68). Damit ist das vorliegend erteilte Zertifikat das
erste i. S. d. Art. 3 Abs. c) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96).
2. Auch die weiteren (formalrechtlichen) Voraussetzungen für die Erteilung eines
Zertifikats liegen vor. Insbesondere wurde das Zertifikat fristgerecht innerhalb von
6 Monaten nach Erteilung der beiden maßgeblichen (vorläufigen) Genehmigungen
für das Inverkehrbringen vom 8. September 2004 angemeldet (Art. 7 Abs. 1 der
Verordnung (EG) Nr. 1610/96). Im Übrigen wurden auch die weiteren Formalerfor-
- 9 -
dernisse nach Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1610/69, §§ 49a PatG i. V. m. § 34
Abs. 6 PatG, 19, 21 PatV eingehalten.
Die Laufzeit des Zertifikats errechnet sich nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung
(EG) Nr. 1610/96 durch Bestimmung des Zeitraumes zwischen der Anmeldung
des Grundpatents (16. November 1995), dem Zeitpunkt der ersten Genehmigung
in der Gemeinschaft (19. Februar 2003), dem Abzugszeitraum von fünf Jahren
und der
– hier zu berücksichtigenden – Höchstlaufzeit von fünf Jahren (Art. 13
Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96).
Dr. Feuerlein
Dr. Egerer
Kätker
Dr. Wismeth
Pr