Urteil des BPatG vom 21.05.2015

Stand der Technik, Patentanspruch, Anteil, Zusammensetzung

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
14 W (pat) 32/12
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 199 26 170.9-43
hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung vom 21. Mai 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr. Maksymiw sowie des Richters Schell, des Richters Dr. Jäger und der Richterin
Dr. Wagner
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e
I
Mit Beschluss vom 25. Oktober 2011 hat die Prüfungsstelle für Klasse A 61 K des
Deutschen Patent- und Markenamts die Patentanmeldung Akz. 199 26 170.9-43
mit der Bezeichnung
"Haarkosmetische Mittel mit Ubichinonen"
zurückgewiesen.
Dem Beschluss liegen die am 21. Juni 2011 eingegangenen Patentansprüche 1
bis 4 vom 20. Juni 2011 zugrunde, von denen die nebengeordneten Patentansprü-
che 1 und 2 wie folgt lauten:
Die Zurückweisung ist unter Nennung der Entgegenhaltung
D3 DE 198 02 444 A1
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im Wesentlichen damit begründet worden, dass der Gegenstand des geltenden
Patentanspruchs 1 nicht neu sei. D3 beschreibe kosmetische Haarreinigungsmittel
in Form von Conditioner-Shampoos, die übereinstimmend mit dem geltenden
Patentanspruch 1 anionische Tenside, amphotere Tenside, polymere quaternäre
Verbindungen sowie Ubichinon als Antioxidans mit Mengenanteilen im bean-
spruchten Bereich enthielten, wobei das zwingend zugegebene Sonnenblumen-
wachs im Haarreinigungsmittel der D3 im Anmeldegegenstand durch den Wortlaut
des Patentanspruchs 1 nicht ausgeschlossen sei. Auch das Fehlen expliziter Bei-
spiele in der D3 ändere nichts an der mangelnden Neuheit, da zur Lehre einer
Entgegenhaltung jede für den Fachmann ausführbare Information aus dem An-
spruchs- und Beschreibungsteil gehöre.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie
ihr Patentbegehren auf der Grundlage der mit Schriftsatz vom 4. Januar 2008 ein-
gereichten Patentansprüche 1 bis 3 gemäß Hauptantrag, hilfsweise auf der Grund-
lage der mit Schriftsatz vom 20. Juni 2011 eingereichten Patentansprüche 1 bis 4
gemäß Hilfsantrag, die den dem Beschluss der Prüfungsstelle zugrunde liegenden
Patentansprüchen 1 bis 4 entsprechen, weiterverfolgt.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
Die Anmelderin macht im Wesentlichen geltend, der Gegenstand des Patentan-
spruchs 1 sei nicht von der D3 vorweggenommen. Die speziellen Ausführungsbei-
spiele dürften nicht beliebig mit dem generellen Offenbarungsgehalt dieses nicht
vorveröffentlichten Dokuments kombiniert werden. Denn auch wenn zur Lehre
eines Dokuments jede für den Fachmann ausführbare Information aus Anspruchs-
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und Beschreibungsteil gehöre, dürfe nicht jede Information aus der Beschreibung
motivationslos mit konkreten Ausführungsbeispielen kombiniert werden, um
daraus eine neuheitsschädliche Vorbeschreibung zu konstruieren. So würden in
den Ausführungsbeispielen Zusammensetzungen offenbart, deren Mengenanteile
an Inhaltsstoffen sich auf jeweils 100 % addierten. Es gebe daher keinen Interpre-
tationsspielraum, diese mit weiteren Inhaltsstoffen aus der Beschreibung "anzurei-
chern". Zudem seien sämtliche in D3 aufgezeigten Shampoo-Zusammensetzun-
gen frei von Antioxidantien. Der D3 lassen sich somit zwar Ubichinon-haltige Mittel
entnehmen, kosmetische Haarreinigungsmittel mit Biochinonen seien aber nicht
offenbart. Schließlich sei die von der Prüfungsstelle in der Begründung des Zu-
rückweisungsbeschlusses angeführte Rechtsprechung nicht einschlägig.
Die Anmelderin beantragt,
- die Aufhebung der o. g. Entscheidung und
- die Erteilung eines Patents auf Grundlage der mit Schreiben
vom 4. Januar 2008 vorgelegten Patentansprüche,
- hilfsweise die Erteilung eines Patents auf der Basis der mit
Schreiben vom 20. Juni 2011 vorgelegten Patentansprüche.
In einer Zwischenverfügung wurde die Anmelderin hinsichtlich der Diskussion der
Patentfähigkeit u. a. auf die Druckschriften
D5 JP 08259994 A (Abstract und maschinelle Übersetzung) und
D6 K. Schrader, "Grundlagen und Rezepturen der Kosmetika",
Hüthig Buch Verlag, Heidelberg 1989, S. 677 bis 722
hingewiesen. Zudem wurde ihr mitgeteilt, dass bei Berücksichtigung dieser Druck-
schriften keine Argumente erkennbar seien, die zur Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses führen könnten.
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Mit Schreiben vom 12. März 2015 hat die Anmelderin den Eingang der Zwischen-
verfügung ohne sachliche Stellungnahme bestätigt und sinngemäß Entscheidung
nach Aktenlage beantragt.
Daraufhin wurde der für den 27. März 2015 anberaumte Termin für eine mündliche
Verhandlung aufgehoben.
Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere zum Wortlaut der nachgeordneten
Patentansprüche 2 und 3 gemäß Hauptantrag sowie 3 und 4 nach Hilfsantrag,
wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II
1. Die Beschwerde der Patentinhaberin ist zulässig. Sie führt aber nicht zum
Erfolg, weil der beanspruchte Gegenstand sowohl gemäß Haupt- als auch gemäß
Hilfsantrag nicht patentfähig ist.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist nicht neu.
Die am 8. Oktober 1996 und damit vor dem maßgeblichen Anmeldetag veröffent-
lichte Druckschrift D5 offenbart im "Working example 2" ein Shampoo, das
20 Gew.-% Natriumlaurylethersulfat als anionisches Tensid, 10 Gew.-% eines
30 %igen Palmamidopropylbetains als amphoteres Tensid und 1 Gew.-% Co-
enzym Q10 enthält (vgl. D5 Abs. [0023]). Coenzym Q10 ist entsprechend den
anmeldungsgemäßen Biochinonen ein Ubichinon mit 10 Isopreneinheiten in der
Seitenkette (vgl. Erstunterlagen S. 5 Abs. 4 bis S. 6 obere Formel). Zudem
bedeutet die Angabe "(30%)" nach Palmamidopropylbetain nicht dessen Gew.-%-
Anteil in der Zusammensetzung, der in diesem Ausführungsbeispiel durch die
Zahl "10" beziffert wird, sondern die Verwendung einer Zusammensetzung, die
30 % Palmamidopropylbetain enthält. Dieses Verständnis der offenbarten Konzen-
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trations- und Mengenangaben wird in der D5 beispielsweise durch das "Working
example 7" bestätigt, in dem ein 30%-iges Imidazoliniumbetain zu
10 Gew.-% in dem beispielhaft ausgeführten Shampoo eingesetzt wird und für die
weiteren Komponenten dieses Ausführungsbeispiels die Gewichtsprozentanteile
wiederum nur als Zahlen ohne weitere Angaben offenbart sind (vgl. D5
Abs. [0032]). 10 Gew.-% einer Zusammensetzung, die einen 30-%igen Anteil an
Palmamidopropylbetain enthält, entspricht somit einem Anteil von 3 Gew.-% Palm-
amidopropylbetain in dem Shampoo des "Working example 2". Damit sind sämtli-
che Komponenten des Patentanspruchs 1 in den beanspruchten Mengenanteils-
bereichen der D5 zu entnehmen, so dass die D5 den Gegenstand des Patentan-
spruchs 1 neuheitsschädlich vorwegnimmt.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist somit mangels
Neuheit nicht patentfähig.
Die nachgeordneten Patentansprüche 2 und 3 gemäß Hauptantrag teilen das
Schicksal des Patentanspruchs 1 (vgl. BGH, GRUR 2007, 862 - Informationsüber-
mittlungsverfahren II; BGH, GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät).
3. Ob das mit dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag beanspruchte kosmeti-
sche Haarreinigungsmittel zulässig und gegenüber dem Stand der Technik neu ist,
kann dahin gestellt bleiben. Die Beschränkung des Anmeldegegenstands auf ein
kosmetisches Haarreinigungsmittel mit einem zusätzlichen Gehalt von 0,01 bis
2 Gew.-% an polymeren quaternären Verbindungen im Hilfsantrag führt zu einem
Gegenstand, der jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Der vorliegenden Anmeldung liegt die Aufgabe zu Grunde, kosmetische Zuberei-
tungen bereitzustellen, bei deren Verwendung die Schädigung der Kopfhaut und/
oder des Haares durch oxidativen Einfluss gemindert oder gänzlich verhindert
werden kann (vgl. Erstunterlagen S. 4 Abs. 4).
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Zur Lösung dieser Aufgabe konnte der Fachmann, ein Diplomchemiker, Pharma-
zeut oder Diplombiologe, der sich in das spezielle Gebiet der Kosmetik und insbe-
sondere der Haarbehandlung eingearbeitet hat (siehe auch BGH GRUR 2003,
317, 319 - kosmetisches Sonnenschutzmittel), von der D5 ausgehen. Die D5 will
eine kosmetische Zubereitung bereitstellen, die wenig hautreizend ist (vgl. D5
Abs. [0004] und [0005]). Damit will die D5 wie die Anmeldung mit den offenbarten
Shampoos eine verminderte oder gänzlich verhinderte Schädigung der Kopfhaut
erreichen. Die D5 lehrt dem Fachmann dazu, dass die Verwendung des Ubichi-
nons Coenzym Q die Hautreizung von kosmetischen Zubereitungen erkennbar
vermindert, wobei Coenzym Q antioxidierend wirkt, was ihm im Übrigen auch aus
seinen Fachkenntnissen bekannt ist (vgl. D5 Abs. [0006], [0010], [0011]). Beispiel-
haft gibt die D5 des Weiteren ein Shampoo an, das 20 Gew.-% des anionischen
Tensids Polyoxyethylen(3)natriumlaurylethersulfat, 10 Gew.-% des amphoteren
Tensids Palmamidopropylbetain (30 %ig) und 1 Gew.-% des Ubichinons Co-
enzym Q10 enthält (vgl. D5 Abs. [0023]). Damit unterscheidet sich das Shampoo
gemäß D5 von dem Haarreinigungsmittel gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsan-
trags lediglich durch den neu eingefügten Bestandteil 0,01 bis 2 Gew.-% polymere
quaternäre Verbindungen. Die Zugabe derartiger Verbindungen wird aber eben-
falls in der D5 offenbart (vgl. D5 Abs. [0014] vorle. Zeile). Bei diesen polymeren
quaternären Verbindungen handelt es sich um typische Konditioniermittel, die dem
Fachmann als übliche Zusatzstoffe für Shampoos geläufig sind (vgl. D6 S. 681
Abschnitt "2.2.2.1. Allgemeiner Aufbau eines Shampoos" insbesondere Z. 6 und 5
von unten, S. 691 bis 692 Abschnitt "2.2.2.3. Kationische Tenside" und S. 700 bis
702 Abschnitt "2.2.2.9. Aktivverbindungen (Konditioniermittel)-Wirkstoffe"). Da
auch anmeldungsgemäß die polymeren quaternären Verbindungen als Konditio-
nierhilfsmittel eingesetzt werden (vgl. Erstunterlagen S. 9 Abs. 3), wird der Fach-
mann bei der Zugabe eines Konditioniermittels zu dem Shampoo der D5 die in D5
angeführten quaternären polymeren Verbindungen mit angemes-
sener Erfolgserwartung für die Bereitstellung der anmeldungsgemäß angestrebten
verbesserten kosmetischen Zubereitung in Betracht ziehen (vgl. BGH GRUR
2012, 803 Ls. - Calcipotriol-Monohydrat). Auch der beanspruchte Mengenanteil an
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diesen Verbindungen war dem Fachmann geläufig, da der in dem Standard-
werk D6 gelehrte allgemeine Aufbau eines Shampoos Konditioniermittel, wie die
beispielhaft angeführten quaternären polymeren Verbindungen Polymer JR, Gaf-
quat 755 N, Merquat 550 und Luviquat, zu ca. 2 % enthält (vgl. D6 S. 681 Z. 6 bis
5 von unten). Im Übrigen weisen fachübliche Konditioniershampoorezepturen
einen Gehalt von 0,5 Gew.-% bzw. 1,6 Gew.-% an quaternären polymeren Verbin-
dungen auf (vgl. D6 S. 718 und 720 jeweils oberste Rezeptur mit den Mengenan-
teilen für das auch in der Anmeldung angeführte quaternäre Polymer JR 400 (vgl.
Erstunterlagen S. 9 Abs. 3) bzw. für Merquat 100). Der Gegenstand des Patentan-
spruchs 1 nach Hilfsantrag ist somit aus der D5 zusammen mit dem Fachwissen,
dokumentiert durch das Standardwerk D6, nahe gelegen.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag ist somit mangels
erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig.
Die neben- und nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 4 nach Hilfsantrag teilen
das Schicksal des Patentanspruchs 1 (vgl. BGH, GRUR 2007, 862 - Informations-
übermittlungsverfahren II; BGH, GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizge-
rät).
III
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Verfahrensbeteiligten das Rechtsmittel der
Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat,
ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
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1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war,
sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend
zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der
die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind,
oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses von einer beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwältin
oder von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt beim Bun-
desgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, eingereicht werden.
Maksymiw
Schell
Jäger
Wagner
Fa