Urteil des BPatG vom 12.03.2015

Stand der Technik, Fig, Abhängigkeit, Patent

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
12 W (pat) 26/13
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2007 000 165.9
hat der 12. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung am 12. März 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dipl.-Ing. Schneider, der Richterin Bayer, sowie der Richter Dr.-Ing. Krüger und
Dipl.-Ing. Univ. Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) Ausfelder
- 2 -
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin vom 5. Juni 2013 wird der
Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F02P des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 11. April 2013 aufgehoben und das
Patent 10 2007 000 165.9 mit folgenden Unterlagen erteilt:
- Ansprüche 1 bis 15 vom Anmeldetag (19. März 2007),
- Beschreibung Seiten 1 und 2 vom Anmeldetag (19. März 2007),
- Beschreibung Seiten 3 und 3a vom 5. Juni 2013,
- Beschreibung Seiten 4 bis 33 vom Anmeldetag (19. März 2007)
- Figuren 1 bis 19 vom Anmeldetag (19. März 2007).
G r ü n d e
I. Tatbestand
Die Beschwerdeführerin ist Anmelderin der am 19. März 2007 beim Deutschen
Patent- und Markenamt eingegangenen Patentanmeldung mit der Bezeichnung
„Vorrichtung und Verfahren zur Steuerung der Zündzeit einer
Brennkraftmaschine“.
In der Anhörung am 11. April 2013 hat die Prüfungsstelle für Klasse F02P des
Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung auf Grund § 48 PatG
zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen angegeben, dass der
Gegenstand nach Anspruch 1 nicht neu sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 5. Juni 2013 eingegangene
Beschwerde der Anmelderin.
- 3 -
Sie beantragt dabei sinngemäß,
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F02P des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 11. April 2013 aufzuheben und ein
Patent auf Basis der folgenden Unterlagen zu erteilen:
- Ansprüche 1 bis 15 vom Anmeldetag (19. März 2007),
- Beschreibung Seiten 1 und 2 vom Anmeldetag (19. März 2007),
- Beschreibung Seiten 3 und 3a vom 5. Juni 2013,
- Beschreibung Seiten 4 bis 33 vom Anmeldetag (19. März 2007),
- Figuren 1 bis 19 vom Anmeldetag (19. März 2007).
Der geltende Anspruch 1 lautet:
- 4 -
Der nebengeordnete Anspruch 6 lautet:
- 5 -
Der ebenfalls nebengeordnete Anspruch 11 lautet:
Im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt sind als Stand der
Technik die folgenden Druckschriften berücksichtigt worden:
D1)
JP 2003 - 021 032 A
D8)
EP 0 293 573 B1
D2)
US 2002/0179053 A1
D9)
US 7 133 766 B2
D3)
DE 10 2007 000 041 A1
D10)
EP 0 859 149 A2
D4)
WO 2007/066785 A1
D11)
US 6 688 286 B2
D5)
DE 10 2006 000 312 A1
D12)
US 5 386 722 A
D6)
WO 2007/080815 A1
D13)
DE 32 33 373 C2
D7)
DE 690 25 915 T2
- 6 -
Wegen der jeweiligen Unteransprüche 2 bis 5, 7 bis 10 und 12 bis 15 sowie der
weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Entscheidungsgründe
1)
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und hat auch
Erfolg.
2)
Der geltende unabhängige Anspruch 1 lässt sich wie folgt gliedern:
1M0
Vorrichtung zur Steuerung der Zündzeit einer Brennkraftmaschine, mit:
1M1
einem Klopfbestimmungssensor (300) zur mehrfachen Erfassung der
Stärke der in der Brennkraftmaschine (100) auftretenden Vibration,
und
1M2
einer Betriebseinheit (200), die mit dem Klopfsensor (300) verbunden
ist, wobei
1M2.1
die Betriebseinheit (200) eine Klopfstärke bezüglich einer Stärke
der Vibration infolge des Klopfens in Verbindung mit der mittels des
Klopfsensors (300) erfassten Stärke berechnet,
1M2.2
die Betriebseinheit (200) die Zündzeit der Brennkraftmaschine (100)
auf der Basis eines Ergebnisses des Vergleichs zwischen der
Klopfstärke und einem vorbestimmten ersten Bestimmungswert
steuert,
1M2.3
die Betriebseinheit (200) einen Medianwert und eine Standard-
abweichung der mittels des Klopfsensors (300) erfassten Stärken
berechnet,
1M2.4
und die Betriebseinheit (200) den ersten Bestimmungswert korri-
giert,
1M2.4.1
so dass der Grad der Nacheilung der Zündzeit größer wird,
wenn ein zweiter Bestimmungswert, der durch Addieren eines
- 7 -
Produkts der Standardabweichung und eines vorbestimmten
Koeffizienten zu dem Medianwert berechnet wird, größer ist als
der erste Bestimmungswert.
3)
Als Fachmann ist beim vorliegenden Gegenstand ein Ingenieur des
Maschinenbaus mit vertieften Kenntnissen und mehrjähriger Erfahrung auf dem
Gebiet der Mess- und Regeltechnik bei Verbrennungsmotoren angesprochen.
4)
Nachfolgend werden die be
iden als „Medianwert“ und „Standardab-
weichung“ bezeichneten Werte der Erfindung nur in Anführungszeichen ange-
geben. Denn die hierfür offenbarten Bestimmungsmethoden, siehe
a)
insb. Abs. [0069] der Offenlegungsschrift (OS) für den „Medianwert“ sowie
b)
Abs. [0069], [0075] der OS für die „Standardabweichung“,
nähern, wenn überhaupt, den gleichlautenden statistischen Verteilungsmittelwert
(a) bzw. Streuungswert (b), nur an, berechnen diese Werte jedoch nicht im
mathematischen Sinne.
5)
Die geltenden Ansprüche sind zulässig. Sie entsprechen den am An-
meldetag eingereichten Ansprüchen und sind damit ursprünglich offenbart.
6)
Patentfähigkeit
6.1)
Der ausführbar offenbarte und zweifelsfrei gewerblich anwendbare Gegen-
stand der unabhängigen Ansprüche 1, 6 und 11 ist neu und beruht auch auf
erfinderischer Tätigkeit (§§ 3, 4 PatG). Der Anspruch 6 ist dabei auf ein
– der
Vorrichtung nach Anspruch 1 entsprechendes
– Verfahren, der Anspruch 11 auf
- 8 -
eine
– ebenfalls entsprechende – Vorrichtung gerichtet. Im Anspruch 11 sind
jedoch funktionellen Begriffe verwendet anstelle der im Anspruch 1 konkret
benannten Vorrichtungsmerkmale („Erfassungseinrichtung“ statt „Klopfbestim-
mungssensor“; „erste“ und „zweite Berechnungseinrichtung“ sowie „Korrektur-
einheit“ statt „Betriebseinheit“, welche die gleiche Funktionalität aufweist; etc.).
Stellvertretend für die lediglich durch einen Kategoriewechsel bzw. eine andere
Umschreibung der Merkmale vom Anspruch 1 sich unterscheidenden Ansprüche 6
und 11 ist nachfolgend die Neuheit sowie die zugrundeliegende erfinderische
Tätigkeit für den Gegenstand nach Anspruch 1 aufgeführt:
Denn die im Prüfungsverfahren befindlichen Druckschriften D1 bis D13 können
den Gegenstand des Anspruchs 1
– und damit auch die jeweiligen Gegenstände
der Ansprüche 6 und 11
– weder vorwegnehmen noch in Kombination miteinander
oder mit Fachwissen nahelegen.
Von den nachfolgend diskutierten Entgegenhaltungen sind die D3 bis ein-
schließlich D6 von älterem Zeitrang, jedoch nachveröffentlicht. Sie werden daher
ausschließlich hinsichtlich eventuell entgegenstehender Neuheit berücksichtigt,
dagegen bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen
(§§ 3 Absatz 2, 4 Satz 2 PatG).
So zeigen die von der Anmelderin in der Beschreibungseinleitung
– als der
Erfindung zugrundeliegender Stand der Technik
D1 (JP 2003-
021 032 A)
D2 (US 2002/0179053 A1),
[0118], zwar entsprechend Merkmal 1M2.2 eine Steuerung der Zündzeit auf Basis
eines Größenvergleichs zwischen der Klopfstärke (D2: „sensor signal“) und einem
vorbestimmten Wert (D2: Vref). Allerdings fehlen die Merkmale 1M2.4 mit
1M2.4.1. Denn in der D1 und der D2 wird zwar der Bestimmungswert (Vref)
korrigiert
– so dass der Grad der Nacheilung der Zündzeit größer wird – allerdings
- 9 -
in Abhängigkeit des Verhältnisvergleichs V10/V50 > V50/V90 (s. Abs. [0117]). Aus
diesen Größenvergleichen kann der Fachmann jedoch keinen Vergleich eines
ersten Bestimmungswerts (D2: Vref) mit einer Summe aus einem bei der
Erfindung ebenfalls als V50 bezeichneten „Medianwert“ sowie dem Produkt einer
„Standardabweichung“ mit einem vorbestimmten Koeffizienten mitlesen.
D3
(DE 10 2007 000 041 A1)
S116 zusammen mit der Beschreibung Abs. [0110], Z. 1-6, zwar das Merkmal
1M2.2 auf. Hier wird auf der Basis eines Ergebnisses des Vergleichs zwischen
Klopfstärke und einem vorbestimmten ersten Bestimmungswert (D3: V(KX); siehe
Abs. [0110], Z. 3f.) die Zündzeit gesteuert. Allerdings wird dieser erste
Bestimmungswert in der D3 dann nicht
– wie im geltenden Anspruch 1 – korrigiert
(1M2.4 f.), wenn ein zweiter Bestimmungswert, der durch Addieren eines Produkts
der „Standardabweichung“ und eines vorbestimmten Koeffizienten zu dem
„Medianwert“ berechnet wird, größer ist als der erste Bestimmungswert. In D3
erfolgt die Entscheidung über die Korrektur stattdessen (s. Fig. 14 mit Schritt S302
i. V. m. Abs. [0094]) anhand eines Größenvergleichs der Differenz zwischen dem
Bestimmungswert V(KX) und dem maximalen Wert V(MAX) des Größenwertes
LOG(V) mit dem Produkt aus Standardabweichung σ und einem Koeffizienten.
Der „Medianwert“ spielt damit keine Rolle. Der Fachmann hat auch keine
Veranlassung, siehe insb. die Fig. 10 und 11, bei denen V(MAX) jenseits vom
Medianwert V(50) angeordnet ist, hier anstelle des maximalen Werts V(MAX) den
„Medianwert“ als Vergleichswert mitzulesen.
D4 (WO 2007/066785 A1)
in dortigem Schritt S210 und nachfolgend (s. a. D4, S. 18, Z. 20-28) der
Bestimmungswert (D4: determination value V(KX)) in Abhängigkeit eines Größen-
vergleichs zwischen einem Klopfverhältnis „knock proportion“ KC und einem
Schwellwert „threshold value“ KC(0) abgeändert. Auch hier hier ist Merkmal
1M2.4.1 nicht offenbart.
- 10 -
D5 (DE 10 2006 000 312 A1)
Klopfbestimmungspegel in Abhängigkeit des Medianwertes V(50) und der Stan-
dardabweichung σ (Schritt S410) berechnet (s. Abs. [0155], Z. 10 ff.), die
Korrektur erfolgt jedoch, wie in Fig. 15 i. V. m. Abs. [0167] beschrieben, erst nach
vorherigem Größe
nvergleich einer „Klopfproportion KC“ mit einem Schwellenwert
KC(0) und damit nicht entsprechend Merkmal 1M2.4 und 1M2.4.1.
D6 (WO
2007/080815 A1)
– wie bei D5 – eine Klopfproportion verglichen mit einem
Schwellenwert KC(0) und daraufhin dann der Bestimmungswert V(KX) korrigiert
(s. D6, S. 16, Z. 5-12). Merkmale 1M2.4 mit 1M2.4.1 sind daher nicht
vorweggenommen.
D7 (DE 690 25 915 T2)
Klopfstärke mit einem vorbestimmten ersten Bestimmungswert (Klopfentschei-
dungspegel v
KD
) verglichen (D7, S. 8, Z. 1-3; S. 17, Z. 1 i. V. m. Fig. 9, dortiger
Schritt S041). Zudem wird der erste Bestimmungswert regelmäßig gem. Fig. 4,
Schritt S03 i. V. m. Fig. 7, insb. Schritt S036 und S. 12, Z. 9 aus der Summe des
Medianwerts und des Produkts aus Standardabweichung und einem Koeffizienten
bestimmt. Die dortige Standardabweichung und der Medianwert unterliegen dabei
zwar ebenfalls einer steten Anpassung, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind
(s. Fig. 4, Schritt S05 sowie Fig. 16 i. V. m. S. 7, Z. 32 sowie S. 25, Z. 19 ff.). Ein
Größenvergleich des (geltenden) Bestimmungswerts mit einem Term der Summe
aus aktuel
lem „Medianwert“ und Vielfachem der aktuellen „Standardabweichung“
(wie Merkmal 1M2.4 und 1M2.4.1) erfolgt dabei aber nicht und ist auch in
Verbindung mit den weiteren im Verfahren befindlichen Schriften nicht nahegelegt.
D8 (EP 0 293 573 B1)
pricht der „reference value Vre“ (s. D8,
Anspruch 1, Sp. 17, Z. 47-51) dem anspruchsgemäßen Bestimmungswert. Aller-
dings wird dieses Signal nicht in Abhängigkeit eines Größenvergleich abgeändert
- 11 -
und kann von daher weder die Neuheit noch die zugrundliegenden erfinderischen
Tätigkeit des Gegenstands nach geltendem Anspruch 1 in Frage stellen.
D9 (US 7 133 766 B2)
auftretendem Klopfen durch statistische Auswertung des Drehzahlsignals (D9,
Sp. 11, Z. 47-Sp. 12, Z. 26). Details fehlen jedoch, so dass der Fachmann der D9
keine Hinweise auf einen Gegenstand wie nach geltendem Anspruch 1 ent-
nehmen kann.
D10 (EP 0 859 149 A2)
Abhängigkeit gemessener Drückverläufe im Zylinder (s. Anspruch 1). Ansonsten
fehlen
– bis auf den Hinweis auf eine Anti-Klopf-Regelung (s. D10, Sp. 3, Z. 9-19),
die anstelle der auf den Verbrennungsschwerpunkt abgestellten Zündzeitpunkt-
regelung beim Auftreten vom Klopfen zeitweise die Regelung übernimmt
– Details
zu der Anti-Klopf-Regelung. Somit kann auch hier der Fachmann keine Anre-
gungen zu einem Verfahren wie nach Anspruch 1 entnehmen.
D11 (US 6 688 286 B2)
(„threshold value V
ref
“) zur Bestimmung eines Klopfens korrigiert (s. D11, Fig. 23
i. V m. Sp. 11, Z. 18 ff., insb. Schritt S1900). Allerdings erfolgt dies in Abhängigkeit
des Größenvergleichs V10/V50>V50/V90 (s. Fig. 25 i. V. m. Sp. 11, Z. 55-Sp. 12,
Z. 9) und nicht auf der Basis eines Größenvergleichs wie in Merkmal 1M4.2 und
1M4.2.1. Auch die anderen, alternativ angegebenen Verfahren zur Korrektur des
Bestimmungswerts (s. Sp. 10, Z. 54-Sp. 11. Z. 13 sowie Sp. 11, Z. 14-17)
kommen dem nicht näher.
- 12 -
D12 (US 5 386 722 A)
Änderung des Bestimmungswerts in Abhängigkeit vom „Medianwert“, denn die
D12 geht stets von Durchschnittswerten und nicht vom „Medianwert“ aus.
D13 (DE 32 33 373 C2)
Hinweis auf die Merkmale 1M2.4 und 1M2.4.1 geben.
6.2)
7 bis 10
mitgetragen.
III. Rechtsmittelbelehrung
- 13 -
Schneider
Bayer
Krüger
Ausfelder
Me