Urteil des BPatG vom 05.11.2015

Stand der Technik, Schlitten, Zusammenwirken, Neuheit

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
10 W (pat) 24/14
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
5. November 2015
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
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betreffend das Patent 10 2004 061 621
hat der 10. Senat (Technischer Beschwerdesenat) aufgrund der mündlichen Ver-
handlung am 5. November 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr.-Ing. Lischke sowie der Richter Dipl.-Ing. Hildebrandt, Eisenrauch und
Dr.-Ing. Großmann
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Gegen das Patent 10 2004 061 621, dessen Erteilung am 25. September 2008
veröffentlicht wurde, ist am 15. Dezember 2008 Einspruch erhoben worden. Die
Patentabteilung 23 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit in der Anhö-
rung vom 25. November 2009 verkündetem Beschluss das Patent aufrechterhal-
ten.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 22. Januar 2010 eingegangene Be-
schwerde der Einsprechenden.
Das
Streitpatent
ist
im
Laufe
des
Beschwerdeverfahrens
von
der
D… GmbH+Co.KG auf die D… GmbH umgeschrieben wor-
den. Wie sich aus dem von der Patentinhaberin vorgelegten Handelsregisteraus-
zug ergibt, war Hintergrund dieser Umschreibung ein gesellschaftsrechtlicher
- 3 -
Formwechsel, bei dem die bisherige Patentinhaberin, die
D… GmbH + Co . KG, ohne Liquidation erloschen ist.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu wi-
derrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerdeführerin führt aus, dass der Gegenstand des geltenden Patentan-
spruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie bezieht sich dazu auf
folgende Druckschriften:
E1
DE 34 23 242 C1
E2
DE 102 61 225 A1
E3
DE 43 23 150 A1
E4
DE 100 01 950 A1
E5
DE 195 06 220 C2
E6
DE 102 16 982 A1.
In der Patentschrift wurden noch folgende Druckschriften genannt:
E7
DE 295 21 068 U1
E8
DE 40 38 720 C2
E9
DE 197 56 496 C2
E10 DE 102 16 982 A1.
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Das Patent betrifft nach dem Wortlaut des geltenden Patentanspruchs 1 einen:
Türantrieb (1), insbesondere Drehtürantrieb, mit einer Antriebsein-
heit (2), die über eine Ausgangswelle (9) mit einer Tür koppelbar
und in einem Gehäuse (13) angeordnet ist; mit einem Motor (3),
der mit der Antriebseinheit (2) in Antriebsverbindung steht und mit
einem im Gehäuse (13) angeordneten Federkraftspeicher (4), der
mit dem Motor (3) und der Antriebseinheit (2) gekoppelt ist; und
dass eine Hydraulikpumpe (5) vorgesehen ist, die mit dem Motor
(3) antriebsverbunden ist und die mit einem ein Tankvolumen dar-
stellenden Hydraulikraum (6) und einem dem Federkraftspeicher
(4) zugeordneten separaten Druckraum (7) in Hydraulikverbindung
dadurch gekennzeichnet
Nockenantrieb mit einem Laschenwagen (18) ausgebildet ist, der
eine Hubkurvenscheibe (8), die auf der Ausgangswelle (9) ange-
ordnet ist, und zwei Kraftübertragungsrollen (10, 11) aufweist, die
zu beiden Seiten der Ausgangswelle (9) angeordnet sind und auf
Kurvenbahnen der Kurvenscheibe (8) aufliegen, und dass der La-
schenwagen (18) im Bereich des größten Durchmessers (D) eines
Aufnahmeraumes (21) des Gehäuses (13) der Antriebseinheit (2)
um die Ausgangswelle (9) herum angeordnet ist, wobei die Kraft-
übertragungsrollen (10, 11) in einer Längsrichtung (L) der Aus-
gangswelle (9) beabstandet angeordnete Einzelrollen (10', 10''
bzw. 11', 11'') aufweisen, die mit zugeordneten beabstandeten
Nockenscheiben (8', 8'') der Hubkurvenscheibe (8) zusammenwir-
ken.
Die Beschwerdeführerin legt einen nach Merkmalen gegliederten Anspruch 1
vor, der im Wesentlichen für die Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tä-
tigkeit übernommen wird:
- 5 -
(1.1) Türantrieb (1), insbesondere Drehtürantrieb,
(1.2) mit einer Antriebseinheit (2),
(1.3) die über eine Ausgangswelle (9) mit einer Tür koppelbar und
(1.4) in einem Gehäuse (13) angeordnet ist;
(1.5) mit einem Motor (3),
(1.6) der mit der Antriebseinheit (2) in Antriebsverbindung steht
und
(1.7) mit einem im Gehäuse (13) angeordneten Federkraftspei-
cher (4),
(1.8) der mit dem Motor (3) und der Antriebseinheit (2) gekoppelt
ist; und
(1.9) dass eine Hydraulikpumpe (5) vorgesehen ist,
die mit dem Motor (3) antriebsverbunden ist und
die mit einem ein Tankvolumen darstellenden Hydraulikraum
(6) und einem dem Federkraftspeicher (4) zugeordneten se-
paraten Druckraum (7) in Hydraulikverbindung steht,
dadurch gekennzeichnet
dass die Antriebseinheit (2) als Nockenantrieb
mit einem Laschenwagen (18) ausgebildet ist,
der eine Hubkurvenscheibe (8),
die auf der Ausgangswelle (9) angeordnet ist,
und zwei Kraftübertragungsrollen (10, 11) aufweist,
die zu beiden Seiten der Ausgangswelle (9) angeordnet sind
und auf Kurvenbahnen der Kurvenscheibe (8) aufliegen,
(1.10)
und dass der Laschenwagen (18) im Bereich des
größten Durchmessers (D) eines Aufnahmeraumes (21) des
Gehäuses (13) der Antriebseinheit (2) um die Ausgangswelle
(9) herum angeordnet ist,
(1.11)
wobei die Kraftübertragungsrollen (10, 11) in einer
Längsrichtung (L) der Ausgangswelle (9) beabstandet ange-
ordnete Einzelrollen (10', 10'' bzw. 11', 11'') aufweisen,
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(1.12)
die mit zugeordneten beabstandeten Nockenscheiben
(8', 8'') der Hubkurvenscheibe (8) zusammenwirken.
Die auf den Hauptanspruch rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 lauten:
2.
Türantrieb nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
der Federkraftspeicher (4) eine Druckfeder (12) aufweist, die
sich mit einem Ende (14) an einer Gehäusewand (15) und
mit dem anderen Ende (16) an einem Federspannkol-
ben (17) abstützt.
3.
Türantrieb nach einem der vorhergehenden Ansprüche 1
oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der dem Federkraft-
speicher (4) zugeordnete Druckraum (7) benachbart zum
Federspannkolben (17) angeordnet ist.
4.
Türantrieb nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch ge-
kennzeichnet, dass die Kraftübertragungsrollen (10, 11) in
dem Laschenwagen (18) angeordnet sind, der über eine
Kolbenstange (19) mit dem Federspannkolben (17) verbun-
den ist.
5.
Türantrieb nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass
die Kolbenstange (17) durch eine Dichtung (20) verläuft.
6.
Türantrieb nach einem der Ansprüche 4 bis 5, dadurch ge-
kennzeichnet, dass der Laschenwagen (18) eine Einzella-
sche (18') aufweist.
7.
Türantrieb nach einem der Ansprüche 4 bis 5, dadurch ge-
kennzeichnet, dass der Laschenwagen (18) ein Bolzen-
paar (18'', 18'') aufweist.
8.
Türantrieb nach einem der vorhergehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass ein Spielausgleich der Rol-
len (10, 11) zur Kurvenscheibe (8) vorhanden ist.
- 7 -
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Im vorliegenden Fall wird das Verfahren ohne weiteres mit der DORMA Deutsch-
land GmbH als neuer Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin weitergeführt.
Dies steht im Einklang mit der Regelung des § 265 Abs. 2 ZPO, wonach der
Rechtsnachfolger grundsätzlich nicht berechtigt ist, ohne Zustimmung des Ein-
sprechenden und Beschwerdeführers den Prozess als Hauptpartei an Stelle des
Rechtsvorgängers zu übernehmen (vgl. BGH GRUR 2008, 87 ff.
– „Patentinha-
berwechsel im
Einspruchsverfahren“). Hier besteht nämlich die Besonderheit,
dass die D… GmbH im Wege eines gesellschaftsrechtlichen
Formwechsels unmittelbar aus der
D… GmbH + Co. KG hervorgegangen ist.
Auf eine solche Umwandlung, bei der die Rechtsvorgängerin erloschen und eine
Gesamtrechtsnachfolge eingetreten ist, ist § 265 Abs. 2 ZPO nicht anwendbar
(Busse/, PatG, 7. Aufl., § 59 Rn. 213).
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. In der Sache ist sie
aber unbegründet und führt deshalb nicht zum Widerruf des Patents.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist patentfähig (§§ 1 bis 5 PatG).
Die Beschwerdeführerin stellt die Neuheit des Streitgegenstands nicht in Frage.
Keine der entgegengehaltenen Schriften zeigt einen Türantrieb mit allen im An-
spruch 1 genannten Merkmalen, insbesondere zeigen die E1, E2, E3, E6 und E9
keinen Nockenantrieb (Merkmal 1.13 und 1.14) und E4, E5 und E8 zeigen kei-
nen hydraulischen Antrieb (Merkmale 1.9 bis 1.11). Der Antrieb für einen Flügel
einer Tür gemäß der E4 hat lediglich eine hydraulisch wirkende Dämpfung (Ab-
sätze 0084 bis 0087). In E7 und E10 sind keine Einzelheiten des Antriebs er-
kennbar, ein Hydraulikantrieb wird nicht erwähnt.
- 8 -
Der Türantrieb nach Anspruch 1 ist also neu gegenüber den entgegengehalte-
nen Druckschriften.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit nicht
in Zweifel steht, beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Als nächstliegender Stand der Technik wird die E4 angesehen, sie zeigt Nocken-
antriebe mit den Merkmalen 1.12 bis 1.17. Die ebenfalls dargestellten hydraulisch
wirkenden Komponenten werden nur zur Dämpfung der Bewegung eines Türblat-
tes eingesetzt (vgl. Absätze 0084 bis 0087), nicht zu dessen Antrieb. Die Kraft-
übertragung eines als Ausgestaltung vorgesehenen Motors zum Antrieb der
Schließerwelle erfolgt über ein Zahnradgetriebe (Figur 11), Zahnriemen (Figu-
ren 12 bis 15) oder ein Seil (siehe Figuren 24 und 25). Ein hydraulischer Antrieb
wird nicht vorgeschlagen. Ein wesentliches Merkmal des Antriebs ist die gegenei-
nander versetzte Anordnung von mindestens zwei Federkolbenräumen. Jedem
Federkolben sind Kraftübertragungsrollen zugeordnet, die auf einem Schlitten an-
gebracht sind und auf jeweils eine Hubkurvenscheibe einwirken (Figur 4). Zumin-
dest zwei Federkolben sind zusammengefasst und wirken auf eine Schließerwelle
ein, daher sitzen auf einer Schließerwelle zwei Hubkurvenscheiben mit jeweils
eigenen Kraftübertragungsrollen, es sind also auch zwei Schlitten vorhanden. Die
Federkolben sind bezüglich der Schließerwelle gegenüberliegend angeordnet, bei
einer Drehung der Schließerwelle bewegen sich die Schlitten in entgegengesetzte
Richtungen.
Diese bekannte Anordnung zeigt also einen Türantrieb, bei dem eine Antriebsein-
heit als Nockenantrieb (Merkmal 1.12) mit einem Laschenwagen (Merkmal 1.13)
ausgebildet ist, bei dem zwei Hubkurvenscheiben auf der Ausgangswelle ange-
ordnet sind (Merkmale 1.14, 1.15) und bei dem jeder Hubkurvenscheibe zwei
Kraftübertragungsrollen zugeordnet sind (Merkmal 1.16), die zu beiden Seiten der
Ausgangswelle angeordnet sind und auf der Kurvenscheibe aufliegen (Merk-
mal 1.17).
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Anregungen zur Lösung der Aufgabe, diese Anordnung dahingehend weiter zu
entwickeln, dass sie vollständig im Türblatt einbaubar ist, gibt diese Entgegenhal-
tung nicht.
Gemäß Anspruch 1 wird die Anordnung aus Laschenwagen, Antriebsrollen und
Hubkurvenscheibe so gestaltet, dass der Laschenwagen im Bereich des größten
Durchmessers eines Aufnahmeraumes des Gehäuses der Antriebseinheit um die
Ausgangswelle herum angeordnet ist, wobei die Kraftübertragungsrollen in einer
Längsrichtung der Ausgangswelle beabstandet angeordnete Einzelrollen aufwei-
sen, die mit zugeordneten beabstandeten Nockenscheiben der Hubkurvenscheibe
zusammenwirken.
In den Figuren 4 bis 11 der E4 sind Laschenwägen dargestellt, die deutlich außer-
halb der Achse des Federspeichers liegen. Das Verbindungsstück zwischen den
beiden Kraftübertragungsrollen verläuft unterhalb der Hubkurvenscheibe. Figur 13
zeigt einen Vertikalschnitt durch den Türantrieb, durch punktierte Linien sind die
beiden Zylinder der Federspeicher angedeutet, die auch den Aufnahmeraum bil-
den, mittig zu den Zylindern sind die zugeordneten Hubkurvenscheiben auf der
Schließerwelle angebracht, sie sitzen also im Bereichs des größten Durchmessers
des Aufnahmeraums, wobei als Durchmesser die lichte Weite der Zylinder in hori-
zontaler Richtung angesehen wird. Da das Verbindungsstück zwischen den bei-
den Kraftübertragungsrollen unterhalb der Hubkurvenscheibe verläuft, ist es nicht
im Bereich des größten Durchmessers des Aufnahmeraumes angeordnet. In Fi-
gur 13 ist auch klar zu sehen, dass der Platz im Aufnahmeraum im Bereich seines
größten Durchmessers, also seitlich von der Hubkurvenscheibe, sehr begrenzt ist,
so dass es sich nicht ohne weiteres anbietet, dort den Laschenwagen anzuord-
nen. Diese Änderung am Laschenwagen erfordert auch eine andere Gestaltung
der Hubkurvenscheibe und der Kraftübertragungsrollen. Zu einer solchen Ände-
rung der Konstruktion gibt die E4 keinerlei Hinweis oder Anregung.
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Es findet sich auch im übrigen Stand der Technik kein Vorbild oder auch nur ein
Hinweis, die Kraftübertragungsrollen als in der Längsrichtung der Ausgangswelle
beabstandete Einzelrollen auszuführen und die Hubkurvenscheibe in zwei beab-
standete Nockenscheiben aufzuteilen.
Keine der Entgegenhaltungen konnte also weder für sich allein noch in einer Zu-
sammenschau mit anderem Druckschriften einen Hinweis oder eine Anregung
dazu geben, einen Türantrieb mit den im Anspruch 1 aufgeführten Merkmalen zu
gestalten, der Gegenstand des Anspruchs 1 ist also durch den angegebenen
Stand der Technik nicht nahegelegt, er beruht somit auf einer erfinderischen Tä-
tigkeit.
Die Unteransprüche 2 bis 8 betreffen zweckmäßige Ausgestaltungen, sie wurden
im Einzelnen nicht angegriffen. Mit dem beständigen Patentanspruch 1 haben
auch sie Bestand, da sie auf nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen des
Türantriebs gerichtet sind.
III.
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
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5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses
beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe durch einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
einzulegen.
Lischke
Hildebrandt
Eisenrauch
Großmann
prö