Urteil des BPatG vom 06.03.2006

BPatG: geographische herkunftsangabe, beschreibende angabe, stadt hamburg, freihaltebedürfnis, absicht, begriff, dienstleistung, verkehr, infrastruktur, wettbewerbsfähigkeit

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
30 W (pat) 7/05
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 303 66 604.8
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 6. März 2006 unter Mitwirkung des …
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beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I .
Zur Eintragung in das Markenregister angemeldet ist die Wortmarke
"HNO-Praxis-Süderelbe im Praxiszentrum Striepenweg"
für die Dienstleistungen
"Medizinische Dienstleistungen".
Die Markenstelle für Kl. 44 hat die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungs-
kraft zurückgewiesen. Der Verkehr werde in der angemeldeten Wortfolge lediglich
eine unmittelbar beschreibende Sachaussage dahingehend erkennen, dass in
dem Ärztehaus, das unter der genannten Adresse zu finden sei, medizinische
Dienstleistungen für den Bereich Hals, Nase, Ohr angeboten werden.
Der Anmelder hat Beschwerde eingelegt und im Wesentlichen ausgeführt, die
Wortfolge eigne sich als Herkunftsbezeichnung, da es in der genannten Region
Süderelbe nur einen einzigen Striepenweg gebe und damit nur ein Praxiszentrum
Striepenweg und in diesem wiederum nur eine HNO-Praxis. Es gebe auch keine
Anhaltspunkte für ein künftiges Freihaltebedürfnis, da nicht zu erwarten sei, dass
ein weiterer Striepenweg benannt werde, im Striepenweg ein weiteres Praxis-
zentrum geplant sei oder im bestehenden Praxiszentrum eine weitere HNO-Praxis
eröffnet werde.
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II.
Die zulässige Beschwerde des Anmelders ist in der Sache ohne Erfolg.
Die angemeldete Marke ist für die beanspruchten Dienstleistungen nach den Vor-
schriften des Markengesetzes von der Eintragung ausgeschlossen, da sie eine
beschreibende Angabe im Sinne von § 8 Absatz 2 Nr. 2 MarkenG darstellt.
Nach § 8 Absatz 2 Nr. 2 MarkenG sind solche Marken von der Eintragung ausge-
schlossen, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im Verkehr
u. a. zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Bestimmung, der geogra-
phischen Herkunft oder sonstiger Merkmale der Waren und Dienstleistungen
dienen können. Dabei ist die Eintragung bei Bezeichnungen der geographischen
Herkunft der Waren oder Dienstleistungen auch dann zu versagen, wenn die
fragliche Benutzung als geographische Herkunftsangabe noch nicht zu beobach-
ten ist, wenn eine solche Verwendung aber jederzeit in Zukunft erfolgen kann. Zur
Bejahung der Voraussetzung dieses Schutzhindernisses bedarf es allerdings der
Feststellung, dass eine derartige zukünftige Verwendung vernünftigerweise zu
erwarten ist. An die damit verbundene Prognoseentscheidung sind keine höheren
Anforderungen als bei den übrigen Sachangaben des § 8 Absatz 2 Nr. 2 MarkenG
zu stellen (vgl. BGH GRUR 2003, 882 - Lichtenstein).
Auch Wortneubildungen kann der Eintragungsversagungsgrund des § 8 Absatz 2
Nr. 2 MarkenG entgegenstehen, wenn sie sprachüblich gebildet sind und ihr be-
schreibender Aussagegehalt so deutlich und unmissverständlich ist, dass sie ihre
Funktion als Sachbegriffe ohne weiteres erfüllen können. Dies ist dann der Fall,
wenn sich den angesprochenen Abnehmern eine konkret beschreibende Angabe
ohne die Notwendigkeit besonderer Denkprozesse unmittelbar erschließt (vgl.
Ströbele/Hacker, MarkenG, 7. Aufl., § 8 Rdn. 380).
Auf die Frage der Mehrdeutigkeit der angemeldeten Marke kommt es bei § 8 Ab-
satz 2 Nr. 2 MarkenG grundsätzlich nicht an. Da es genügt, dass die Zeichen oder
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Angaben "zur Bezeichnung ... dienen können", ist ein Wortzeichen demnach von
der Eintragung ausgeschlossen, wenn es zumindest in einer seiner möglichen Be-
deutungen ein Merkmal der in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen be-
zeichnet. Soweit eine als solche geeignete geographische Herkunftsangabe vor-
liegt, kann auch eine mögliche Mehrdeutigkeit das Freihaltungsbedürfnis nicht
ausräumen (vgl. Ströbele/Hacker a. a. O. § 8 Rdn. 226, Rdn. 317).
Dabei muss die für die Bejahung eines Freihaltungsbedürfnisses erforderliche Be-
ziehung zwischen den beanspruchten Waren und Dienstleistungen und dem frag-
lichen Ort nicht notwendigerweise auf der Herstellung der Waren oder der Erbrin-
gung der Dienstleistung in diesem Ort beruhen, sondern kann sich auch aus ande-
ren Anknüpfungspunkten ergeben. Letztlich besteht ein Freihaltungsbedürfnis
nicht nur an geographischen Angaben, die sich unmittelbar auf konkrete Eigen-
schaften der einschlägigen Waren und Dienstleistung beziehen, sondern auch an
Ortsbezeichnungen, welche die Vorlieben der Verbraucher in anderer Weise be-
einflussen können, z. B. dadurch, dass diese eine Verbindung zwischen Waren
und Dienstleistungen und einem Ort herstellen, mit dem sie positiv besetzte Vor-
stellungen verknüpfen (vgl. Ströbele/Hacker a. a. O. § 8 Rdn. 316). Dabei besteht
bei Namen von Ländern, Regionen, Großstädten oder sonst wirtschaftlich be-
deutenden Örtlichkeiten eine grundsätzliche Vermutung dafür, dass sie als geo-
graphische Herkunftsangaben zur freien Verwendung benötigt werden können
(vgl. Ströbele/Hacker a. a. O. § 8 Rdn. 319).
Davon ausgehend kann im vorliegenden Fall ein rechtserhebliches Freihaltebe-
dürfnis an der angemeldeten Wortkombination nicht verneint werden. Die ange-
meldete Marke ist eine Zusammenstellung aus den Fachbezeichnungen "HNO-
Praxis" und "Praxiszentrum" sowie den Ortsangaben "-Süderelbe" und "Striepen-
weg".
Bei dem Zeichenbestandteil "HNO-Praxis" handelt es sich in Bezug auf die ange-
meldeten Dienstleistungen um eine ohne weiteres beschreibende Sachangabe, da
damit die Art der Dienstleistungen und der Ort ihrer Erbringung bezeichnet wird.
Praxis ist ein allgemein gebräuchlicher Begriff, um einen Bereich oder einen Ort
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der Ausübung einer Tätigkeit zu bezeichnen, üblicherweise in Verbindung mit der
Ausübung von Heil- oder Pflegeberufen. Die damit verbundene Abkürzung "HNO"
steht für die Facharztbezeichnung "Hals-Nasen-Ohren" und konkretisiert die
ärztlichen Leistungen näher als Facharztleistungen. Der Begriff "Praxiszentrum"
beschreibt lediglich den Zusammenschluss mehrerer Praxiseinrichtungen oder
das zentrale Angebot mehrerer Leistungen an einem Ort.
Die Angabe "Süderelbe" bezeichnet den Namen einer Region in Hamburg, die
sich als Teil der Metropolregion Hamburg vom Landkreis Stade im Nordwesten
elbaufwärts über den Landkreis Harburg und den Bezirk Hamburg-Harburg bis hin
zum Landkreis Lüneburg im Südosten erstreckt. In der Region Süderelbe leben
auf einer Fläche von insgesamt über 4.000
Quadratkilometern rund
780.000 Menschen. Wirtschaftlich ist die Region mit ihren über 200.000 Beschäf-
tigten eng mit Hamburg verflochten (vgl.
).
Die mit "Süderelbe" verbundene Angabe "Striepenweg" bezeichnet eine Straße in
Hamburg im Stadtteil Neuwiedenthal.
Im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung zur Feststellung eines Frei-
haltebedürfnisses aufgrund einer zukünftigen Verwendung ist es insbesondere
nicht erforderlich festzustellen, ob die konkrete Absicht von Mitbewerbern besteht,
in diesem bestehenden Praxiszentrum Striepenweg oder in einem neu zu
schaffenden Praxiszentrum im Striepenweg eine weitere HNO-Praxis mit den
beanspruchten Dienstleistungen zu eröffnen bzw. ob die konkrete Absicht besteht,
in dem Gebiet Süderelbe eine weitere Straße mit dem Namen Striepenweg zu
benennen mit der Möglichkeit der Ansiedlung eines Praxiszentrums und einer
HNO-Praxis. Insoweit ist es ausreichend, dass es bei der Größe des Gebietes
Süderelbe (vgl. BGH a. a. O. – Lichtenstein), als möglich erscheint, dass sich eine
weitere HNO-Praxis mit den genannten Dienstleistungen ansiedeln kann.
Zu berücksichtigen ist hierbei, dass gerade in dieser Region ein Projekt gestartet
ist mit der Bezeichnung "Wachstumsinitiative Süderelbe" und dem Ziel, die Wirt-
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schafts- und Beschäftigungsentwicklung in diesem Gebiet zu fördern und die
regionale Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern (vgl.
). Damit verbunden ist naturgemäß die Schaffung
einer erforderlichen Infrastruktur, die die Bereitstellung einer ärztlichen Versorgung
umfasst und damit auch die Neuansiedlung von Facharztpraxen.
Im Zuge der Ansiedlung neuer Unternehmen und der damit verbundenen Auswei-
sung neuer Gewerbegebiete ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass neue
Straßen entstehen, für die auch die Bezeichnung "Striepenweg" in Frage kommt,
zumal dieser kein nur für die Stadt Hamburg typischer und somit auch kein
ortsgebundener Namen ist ("Striepen" bedeutet in Plattdeutsch "Streifen", vgl.
Damit handelt es sich um eine geographische Herkunftsangabe, für die ein Frei-
haltebedürfnis besteht, da hier ebenfalls die Ansiedlung einer Praxis mit den be-
anspruchten Dienstleistungen als möglich erscheint. Im Übrigen ist es auch mög-
lich, dass im Praxiszentrum eine weitere HNO-Praxis errichtet oder die jetzt be-
stehende aneinen anderen Arzt übertragen wird.
Die angemeldete Kombination beschreibt damit nur die Art und den Erbringungs-
ort der beanspruchten Dienstleistungen und ist somit freihaltebedürftig.
gez.
Unterschriften