Urteil des BPatG vom 18.05.2010

BPatG: stand der technik, bewirtschaftung, wasser, patentanspruch, neuheit, deponie, schlussbericht, bewässerung, abhängigkeit, erfindung

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 54/08 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
18. Mai 2010
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 1 252 939
(DE 502 03 718)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2010 unter Mitwirkung des Richters Engels
als Vorsitzenden, der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, des Richters
Dipl.-Chem. Dr. Gerster sowie der Richterinnen Dr. Schuster und Prietzel-Funk
für Recht erkannt:
Das europäische Patent 1 252 939 wird mit Wirkung für das Ho-
heitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die
Patentansprüche 1 bis 6 insoweit für nichtig erklärt, als sie über
folgende Fassung hinausgehen:
1.
Verfahren
zur
verbesserten
Bewirtschaftung
von
flüssigkeitsdicht abgedeckten Deponien mit verteilt ange-
ordneten Gasbrunnen zur Abschöpfung des durch den bio-
chemischen Abbauprozess entstehenden Deponiegases,
dadurch gekennzeichnet, dass die in einzelne abgetrennte
Versickerungsfelder eingeteilte Deponieoberfläche in Ab-
hängigkeit von der lokalen Gasergiebigkeit flächig von oben
mit Wasser infiltriert wird, wobei das Infiltrationswasser der-
art rasch aufgebracht wird, dass sich über das gesamte
Versickerungsfeld ein freier Wasserspiegel aufstaut.
2.
Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
zur Infiltration deponiespezifische Wässer, insbesondere
austretendes Sickerwasser, verwendet wird.
- 3 -
3.
Deponieanlage zur Durchführung des Verfahrens nach ei-
nem der Ansprüche 1 bis 2, dadurch gekennzeichnet, dass
die Deponieoberfläche in durch flüssigkeitsdichte Trenn-
schürzen (14) voneinander getrennte Versickerungsfel-
der (2, 3, 4, 5, 6, 7) aufgeteilt ist, denen jeweils eine ge-
trennt mit Infiltrierwasser beaufschlagbare Speiselei-
tung (19, 20, 21, 22, 23, 24) zugeordnet ist.
4.
Deponieanlage nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet,
dass die Versickerungsfelder (2, 3, 4, 5, 6, 7) eine Länge
60 m und eine Breite 10 m aufweisen.
5.
Deponieanlage nach Anspruch 3 oder 4, dadurch gekenn-
zeichnet, dass in jedem Versickerungsfeld (2, 3, 4, 5, 6, 7)
wenigstens ein Gasbrunnen (28) angeordnet ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgeho-
ben.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 22. April 2002 unter Inanspruch-
nahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 10120107 vom 25. April 2001
beim europäischen Patentamt angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik
Deutschland erteilten europäischen Patents 1 252 939 (Streitpatent), das vom
Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 502 03 718 geführt wird.
Das Streitpatent betrifft „Verfahren und Vorrichtung zur verbesserten Bewirtschaf-
- 4 -
tung von Deponien“ und umfasst 18 Patentansprüche. Die unabhängigen Patent-
ansprüche 1 und 4 des Streitpatents lauten in der erteilten Fassung:
1.
Verfahren zur verbesserten Bewirtschaftung von flüssigkeits-
dicht abgedeckten Deponien mit verteilt angeordneten Gas-
brunnen zur Abschöpfung des durch den biochemischen Ab-
bauprozess entstehenden Deponiegases, dadurch gekenn-
zeichnet, dass die in einzelne abgetrennte Versickerungsfel-
der eingeteilte Deponieoberfläche in Abhängigkeit von der lo-
kalen Gasergiebigkeit flächig von oben mit Wasser infiltriert
wird.
4.
Deponieanlage zur Durchführung des Verfahrens nach einem
der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die De-
ponieoberfläche in durch flüssigkeitsdichte Trennschür-
zen (14) voneinander getrennte Versickerungsfelder (2, 3, 4,
5, 6, 7) aufgeteilt ist, denen jeweils eine getrennt mit Infiltrier-
wasser beaufschlagbare Speiseleitung (19, 20, 21, 22, 23, 24)
zugeordnet ist.
Die Patentansprüche 2 bis 3 und 5 bis 18 betreffen besondere Ausgestaltungen
des Verfahrens und der Vorrichtung nach den Ansprüchen 1 und 4.
Die Klägerin, die das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 6 angreift,
bestreitet die Patentfähigkeit dieser Ansprüche 6 wegen fehlender Neuheit und
fehlender erfinderischer Tätigkeit. Sie stützt sich auf die Druckschriften:
T1
Vorwort und Inhaltsverzeichnis der „Trierer Berichte zur Abfallwirt-
schaft“, Bd. 13 - Deponiegas 2001,
T2
K. Drexler, Vortrag auf der Fachtagung „Deponiegas“ vom
20./21. Februar 2001: Erfahrungen mit der Sickerwasserinfiltration
in Bayern,
- 5 -
T2a
„Trierer Berichte zur Abfallwirtschaft“, Rettenberger/Stegmann
(Hrsg.), Deponiergas 2001, Verlag Abfall Aktuell, Stuttgart 2001,
S. 3 bis 5, 115 bis 121 (Vortrag von K. Drexler) und rückwärtiger
Buchdeckel,
T3
Landgericht Nürnberg-Fürth Akz: 3 O 4762/08 Sitzungsprotokoll
der mündlichen Verhandlung vom 7. Januar 2009 zum parallelen
Verletzungsprozess,
T4
Email der Ingenieurgruppe RUK zum Herausgabedatum von T2a
vom 5. Februar 2009,
T5
Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und
Umweltfragen: Vorhaben E9: Optimierung von biologischen Um-
setzvorgängen in abgedichteten Deponien durch Reinfiltration von
Sickerwasser, Schlussbericht (1996), Kap. 1 S. 1 bis 3, Kap. 2
S. 1 bis 5, Kap. 3 S. 1 bis 14, Kap. 4 S. 1 bis 2, Kap. 5 S. 1 bis 62,
Kap. 6 S. 1 und 2, Kap. 7 S. 1 bis 2 und Anhang 1,
T6
Lueger Lexikon der Bautechnik, Bd. 10 A-K (1966), S. 707, 708
Stichwort: Kerndichtung
Die Klägerin bestreitet die Neuheit des Verfahrens zur verbesserten Bewirtschaf-
tung von Deponien nach Anspruch 1 und der Vorrichtung zur Durchführung des
Verfahrens nach Anspruch 4 gegenüber T2/T2a. Sie hat die von dem Beklagten
zunächst bestrittene Vorveröffentlichung dieser Druckschrift T2/T2a unter Beweis
gestellt. Die Klägerin behauptet außerdem, dass die Lehre des Streitpatents durch
die Deponie „Im Dienstfeld“ - Landkreis Ansbach offenkundig vorbenutzt sei und
im Übrigen im Hinblick auf den vorgelegten druckschriftlichen Stand der Technik
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Die Klägerin beantragt:
das europäische Patent 1 252 939 für das Hoheitsgebiet der Bun-
desrepublik Deutschland im Umfang seiner Patentansprüche 1 bis
6 für nichtig zu erklären,
- 6 -
Der Beklagte, der das Streitpatent ausschließlich nach Hauptantrag in der im Ur-
teilsausspruch wiedergegebenen Fassung verteidigt, beantragt,
die Klage in dem Umfang abzuweisen, soweit sie über die nun-
mehr verteidigte Fassung hinausgeht.
Der Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und verweist auf die
Druckschriften:
B1
EP 1 252 939 A3 (Recherchebericht zum Streitpatent)
B2
US 5 201 609 A
B3
DE 39 21 949 A1
B4
Merkmalsanalyse der Patentansprüche 1 bis 6
B5
Bauer/Meisinger: Abfallwirtschaft in Forschung und Praxis,
Bd. 114, Erich Schmidt Verlag, Berlin 1999, Vorwort, Inhaltsver-
zeichnis S. 14, 15 und 57 bis 60
B6
Prof. Dr. H. Hoins „Oberflächenabdichtung von Deponien in
Verbindung mit einer gezielten Rückbefeuchtung“, Vortrag auf der
Tagung zur Deponienachsorge am 30. November 2000, S. 1, 9,
10, 17 und 18
B7
Vortrag Universität Trier „Grundlagen der Wasserinfiltration mittels
Sickerwasserrückführung im Zuge der neuen Deponieverordnung“
(nachveröffentlicht)
B8
Baubeschreibung und Bauplan der Hausmülldeponie in Detten-
dorf, Landkreis Neustadt/Aisch vom 17. März 2006
B9
Zeichnungen 5.1 A, B, 5. 2 A, B und 6.1
Der Beklagte bestreitet, dass die Deponie „Im Dienstfeld“ - Landkreis Ansbach -
eine offenkundige Vorbenutzung der patentgemäßen Lehre darstelle, insbeson-
dere relevante Informationen öffentlich gemacht worden seien. Das anfängliche
Bestreiten der Vorveröffentlichung der Druckschriften T2/T2a hat der Beklagte in
der mündlichen Verhandlung fallen gelassen. Diese könne allerdings - wie auch
- 7 -
der weitere Stand der Technik - weder die Neuheit noch die erfinderische Tätigkeit
der Gegenstände der geltenden Ansprüche 1 und 3 in Frage stellen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien sowie des Wortlauts
der weiteren Patentansprüche wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der von der Klägerin geltend ge-
machte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit, Art. 138 Abs. 1 lit a
EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents
in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang (Art. 138 Abs. 1, lit a, Abs. 2
EPÜ), Im Übrigen war die Klage abzuweisen, da sich die gemäß Hauptantrag
zulässig beschränkt verteidigte patentgegenständliche Lehre als neu und erfin-
derisch (Art. 54, 56 EPÜ) erweist.
I.
1.
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur verbesserten Bewirtschaftung von
flüssigkeitsdicht abgedeckten Mülldeponien mit verteilt angeordneten Gasbrunnen
zur Abschöpfung des durch den biochemischen Abbauprozess entstehenden De-
poniegases sowie eine Deponieanordnung zur Durchführung dieses Verfahrens.
Deponien werden seit geraumer Zeit großflächig abgedeckt, damit kein Oberflä-
chenwasser ständig in den Müllberg eindringt, das dann kontaminiert als Sicker-
wasser zu entsorgen ist, und um unerwünschte Kontaminationen der Umwelt
durch den Müllberg selbst zu vermeiden. Bei der großflächigen Abdeckung zeigt
sich in kurzer Zeit, dass der biochemische Abbauprozess abklingt und folglich die
Methangasproduktion versiegt, da die im Müllberg abgelagerten organischen Be-
standteile bei Wasserentzug nicht umgesetzt werden und mumifizieren. Es wurden
in verschiedenen Deponien Versuche unternommen, mit eingebohrten Metalllan-
zen bzw. Gräben oder Brunnen punktuell bzw. linear Sickerwasser in die Deponie
- 8 -
zurückzuführen. Dabei bauen sich aber infolge der Inhomogenität der Müllschüt-
tung Wasserwegsamkeiten auf, durch die ein Kurzschluss zur Deponiebasis ent-
steht, worüber infiltriertes Wasser ohne Befeuchtungseffekt wieder versickert.
Auch haben diese Techniken wegen ihrer geringen Grundfläche gegenüber der
grundsätzlich relativ großen Deponieoberfläche nur ein geringes Wirkungsspekt-
rum (Streitpatent Abs. [0001] bis [0004]).
2.
Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren
und eine Deponieanlage zur Durchführung des Verfahrens zur verbesserten Be-
wirtschaftung von flüssigkeitsdicht abgedeckten Deponien zu schaffen, welches
eine optimale Durchfeuchtung des Müllbergs im Sinne einer gezielten biochemi-
schen Umsetzung der Inhaltsstoffe gewährleistet (Streitpatent Abs. [0005]).
3.
Zuständiger Fachmann ist ein Tiefbauingenieur mit speziellen Kenntnissen der
Abfallentsorgung sowie dem Bau und Betrieb von Deponien.
4.
Die Aufgabe wird durch ein Verfahren zur verbesserten Bewirtschaftung von
Deponien nach Patentanspruch 1 und eine Deponieanlage zur Durchführung des
Verfahrens nach Patentanspruch 3 der ausschließlich nach Hauptantrag vertei-
digten Fassung mit folgenden Merkmalen gelöst:
1.
Verfahren zur verbesserten Bewirtschaftung von flüssigkeits-
dicht abgedeckten Deponien
1.2. mit verteilt angeordneten Gasbrunnen zur Abschöpfung des
durch den biochemischen Abbauprozess entstehenden De-
poniegases, dadurch gekennzeichnet, dass
1.3. die in einzelne abgetrennte Versickerungsfelder eingeteilte
Deponieoberfläche in Abhängigkeit von der lokalen Gaser-
giebigkeit flächig von oben mit Wasser infiltriert wird,
1.4. wobei das Infiltrationswasser derart rasch aufgebracht wird;
dass sich über das gesamte Versickerungsfeld ein freier
Wasserspiegel aufstaut.
- 9 -
3.
Deponieanlage zur Durchführung des Verfahrens nach ei-
nem der Ansprüche 1 bis 2, dadurch gekennzeichnet, dass
3.1
die Deponieoberfläche in durch flüssigkeitsdichte Trenn-
schürzen (14) voneinander getrennte Versickerungsfelder (2,
3, 4, 5, 6, 7) aufgeteilt ist,
3.2. Denen jeweils eine getrennt mit Infiltrierwasser beaufschlag-
bare Speiseleitung (19, 20, 21, 22, 23, 24) zugeordnet ist.
II.
1.
Die Patentansprüche 1 bis 5 beruhen auf einer zulässigen Beschränkung des
Streitpatents. Der Patentanspruch 1 geht aus den erteilten und ursprünglichen An-
sprüchen 1 und 3 hervor. Die Ansprüche 2 bis 5 entsprechen den erteilten und ur-
sprünglichen Ansprüchen 2 und 4 bis 6.
2.
Die Neuheit der Gegenstände der Patentansprüche 1 und 3 ist gegeben.
Es kann dahinstehen, ob der Vortrag T2 bzw seine Veröffentlichung in den Trierer
Berichten zur Abfallwirtschaft T2a vorveröffentlichten Stand der Technik darstel-
len, denn auch unter Einräumen der von dem Beklagten nicht mehr bestrittenen
Vorveröffentlichung kann T2/T2a die Neuheit der Gegenstände der Patentansprü-
che 1 und 3 nicht in Frage stellen. In T2/T2a ist nämlich jedenfalls kein Verfahren
zur verbesserten Bewirtschaftung von flüssigkeitsdicht abgedeckten Deponien be-
schrieben, bei dem das Infiltrationswasser auf einzelne abgetrennte Versicke-
rungsfelder derart rasch aufgebracht wird, dass sich über das gesamte Versicke-
rungsfeld ein freier Wasserspiegel aufstaut, und keine Vorrichtung zur Durchfüh-
rung des Verfahrens nach Anspruch 1 mit durch flüssigkeitsdichte Trennschürzen
voneinander getrennten Versickerungsfeldern beschrieben, denen jeweils eine
getrennt mit Infiltrierwasser beaufschlagbare Speiseleitung zugeordnet ist. Diese
Merkmale sind auch T5 nicht zu entnehmen. Das gleiche gilt für T6, die Kerndich-
tungen von Staudämmen betrifft, und dem von dem Beklagten selbst angegebe-
nen Stand der Technik. Dies gilt auch für die im Klageschriftsatz von der Klägerin
- 10 -
lediglich angedeutete Behauptung einer offenkundigen Vorbenutzung durch die
Deponie „Im Dienstfeld“, die auch im Verlauf des Nichtigkeitsverfahrens und in der
mündlichen Verhandlung nicht mehr präsentiert worden ist.
3.
Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 3 beruhen auch auf einer erfinderi-
schen Tätigkeit.
3.1
welche Leistung der Stand der Technik bereichert wird, was die Erfindung also
gegenüber diesem tatsächlich leistet (BGH GRUR 2009, 382 - Olanzapin; BGH
GRUR 2009, 1039 - Fischbissanzeiger; BGH GRUR 2003, 693 - Hochdruckreini-
ger), wobei verschiedene Ausgangspunkte in Betracht zu ziehen sein können
(BPatG GRUR 2004, 317 - Programmartmitteilung;) und zu fragen ist, ob der
Fachmann Veranlassung hatte, diesen Stand der Technik zu ändern.
Hierbei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass erfahrungsgemäß die
technische Entwicklung nicht notwendigerweise diejenigen Wege geht, die sich bei
nachträglicher Analyse der Ausgangsposition als sachlich plausibel oder gar mehr
oder weniger zwangsläufig darstellen und es - abgesehen von denjenigen Fällen,
in denen für den Fachmann auf der Hand liegt was zu tun ist - in der Regel zu-
sätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender
Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür bedarf, die Lösung
des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH
GRUR 2009, 746 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung). Das Auffinden einer
neuen Lehre zum technischen Handeln kann insbesondere nicht schon deshalb
als nahegelegt bewertet werden, weil lediglich keine Hinderungsgründe zutage
treten, von dem im Stand der Technik Bekannten zum Gegenstand dieser Lehre
zu gelangen. Diese Wertung setzt vielmehr voraus, dass das Bekannte dem
Fachmann Anlass oder Anregung gab, zu der vorgeschlagenen Lehre zu gelan-
gen (BGH GRUR 2010, 487 - einteilige Öse).
- 11 -
3.2
T2/T2a, ihre Vorveröffentlichung eingeräumt, beschriebenen Stand der Technik
auszugehen. T5 betrifft den Schlussbericht über das bei der Hausmülldeponie
E… durchgeführte Vorhaben zur Optimierung von biologischen
Umsetzvorgängen
in
abgedichteten
Deponien
durch
Reinfiltration
von
Sickerwasser. Dabei sollte die Eignung von Infiltrationsanlagen unterhalb der
Oberflächendichtung zur definierten Zugabe von Reaktionswasser in den
Müllkörper untersucht werden, wobei nur so viel Reaktionswasser zugegeben
werden soll, wie der Müllkörper aufnehmen kann (Kap. 1 S. 2 Abs. 4, Kap. 2 S. 1
Abs. 1). Fünf Methoden zur Reinfiltration von Wasser in einen bestehenden
Deponiekörper werden dabei beschrieben, wobei nur die Bewässerung mittels
Lanzen praktisch durchgeführt wurde, da hierfür unter Abwägung der Vor- und
Nachteile nur geringfügige Eingriffe in die Oberflächenabdichtungsschicht des
bestehenden Müllkörpers erforderlich waren (Kap. 5 Abschnitt 5.2 S. 25 Abs. 2
bis 4 i. V. m. S. 36). Bei einer weiteren diskutierten Methode erfolgt die
Bewässerung mittels Bewässerungsleitungen in die gasgängige Stützschicht über
das Sickerwasser parallel zu den Höhenlinien weitgehend flächendeckend. In der
Oberflächenabdeckungsschicht werden dazu Gräben angelegt, in die die
Dränleitungen eingebaut werden, wobei die gasgängige Stützschicht als
Füllkörper dient (Kap. 5 S. 30 Abs. 1 und 2 i. V. m. Abb. 5.9 auf S. 31). In T5 wird
damit zwar entsprechend Merkmal 1.3 die Deponieoberfläche flächig von oben mit
Wasser infiltriert. T5 liefert aber keinen Hinweis darauf, zur Lösung der Aufgabe
die Deponieoberfläche in einzelne Versickerungsfelder gemäß Merkmal 1.3
einzuteilen und das Infiltrationswasser gemäß Merkmal 1.4 derart rasch
aufzubringen, dass sich über das gesamte Versickerungsfeld ein freier
Wasserspiegel aufstaut.
In T2/T2a wird auf den Schlussbericht T5 Bezug genommen (T2a: S. 115 bis 116
Abschnitt 2.). Davon ausgehend werden vier technische Einrichtungen zur Sicker-
wasserinfiltration diskutiert, nämlich Bewässerungslanzen, Bewässerungs-
schächte, Bewässerungsrigolen und Bewässerungsfelder. Bei der technischen
Einrichtung der Bewässerungsfelder werden großflächige Bewässerungsfelder
- 12 -
unter der Abdeckung mit Kunststoffdichtungsbahn zur besseren Steuerung in
mehrere Felder unterteilt, die aus einer Kies- oder Schotterschicht bestehen, wo-
bei in die Felder zur Beschickung Bewässerungsleitungen verlegt sind. Die Was-
serzugabe hat dabei so zu erfolgen, dass die Energiemenge des erfassten Depo-
niegases pro Zeiteinheit (berechnet aus Gasmenge und Methankonzentration)
maximiert wird. Dies wird an den betreffenden Gasbrunnen gemessen (T2a:
S. 117 Abschnitt 4. bis S. 118 Abschnitt 6, insbesondere S. 118 Abs. 1 und 7,
i. V. m. S. 120 Anhang 1 Punkt 6.). Damit sind in T2a die Merkmale 1.1 bis 1.3 be-
schrieben. Einen Hinweis darauf aber, dass, wenn der Fachmann die Einrichtung
einzelner abgetrennter Bewässerungs- bzw. Versickerungsfelder zur Lösung der
Aufgabe in Betracht zieht, dann gemäß Merkmal 1.4 das Infiltrationswasser derart
rasch aufzubringen, dass sich über das gesamte Versickerungsfeld ein freier
Wasserspiegel aufstaut, liefert auch T2/T2a nicht. Gerade durch diese Maßnahme
werden nach den Ausführungen im Streitpatent die Nachteile der punktuellen
Wasserzuführung vermieden und eine im Wesentlichen gleichmäßige Durch-
feuchtung des Müllberges unterhalb des gefluteten Versickerungsfeldes erreicht,
wodurch sich optimale Bedingungen für die biochemische Umsetzung der abgela-
gerten organischen Bestandteile ergeben (Streitpatent Sp. 2 Abs. [0007]).
Der weitere dem Senat vorliegende Stand der Technik liegt ferner und kann daher
das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 des geltenden Hauptantrags ebenfalls
nicht nahelegen.
3.3
zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 2. Durch den
Rückbezug auf das Verfahren nach Patentanspruch 1 muss die Deponieanlage
gegenständlich in der Weise ausgestaltet sein, dass sie zur Durchführung des
Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 geeignet ist. Dies bedeutet zumindest, dass
die Speiseleitungen zur Beaufschlagung mit Infiltrierwasser und die flüssigkeits-
dichten Trennschürzen entsprechend ausgestaltet sind, damit das Infiltrationswas-
ser gemäß Merkmal 1.4 derart rasch aufgebracht werden kann, dass sich über
das gesamte Versickerungsfeld ein freier Wasserspiegel aufstaut. Es handelt sich
damit hier um ein funktionelles technisches Merkmal, das geeignet ist die Vor-
- 13 -
richtung vom Stand der Technik zu unterscheiden (vgl Schulte PatG 8. Aufl. § 1
Rdn. 228, § 34 Rdn. 131). Die erfinderische Tätigkeit der Vorrichtung zur Durch-
führung des Verfahrens nach Anspruch 1 wird damit bereits durch das erfinderi-
sche Verfahren gemäß Anspruch 1 getragen. Darüber hinaus sind weder in T5
noch in T2/T2a flüssigkeitsdichte Trennschürzen gemäß Merkmal 3.1 beschrie-
ben, noch geht aus diesen Druckschriften hervor, dass den getrennten Versicke-
rungsfeldern gemäß Merkmal 3.2 auch eine jeweils getrennt mit Infiltrierwasser
beaufschlagbare Speiseleitung zugeordnet ist. B2 ist lediglich zu entnehmen, dass
Mülldeponien mittels flüssigkeitsdichten Trennwänden in einzelne Zellen unterteilt
werden können (Ansprüche 1, 9, 27, 37 und 50). Eine Bewässerung ist dabei nicht
vorgesehen. T6 liegt noch weiter entfernt, da daraus nur hervorgeht, dass z. B.
Staudämme mittels Kerndichtungen flüssigkeitsdicht abgedichtet werden können.
3.4
Hauptantrags vom Stand der Technik nicht nahegelegt. Die Gegenstände der Pa-
tentansprüche 1 und 3 haben danach Bestand. Mit ihnen haben die darauf rück-
bezogenen, vorteilhafte Ausführungsformen der Patentansprüche 1 und 3 betref-
fenden Ansprüche 2, 4 und 5 ebenfalls Bestand. Soweit das Streitpatent nicht
verteidigt worden ist, war der über die Beschränkung hinausgehende Teil ohne
weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären.
- 14 -
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO,
wonach die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben waren. Die Ent-
scheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
Engels
Dr. Proksch-Ledig
Dr. Gerster
Dr. Schuster
Prietzel-Funk
Pr