Urteil des BPatG vom 20.07.2006

BPatG: stand der technik, patentanspruch, gas, daten, messgerät, protokollierung, messung, aufzeichnung, nichtigkeitsklage, fahrzeug

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 14/05
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
20. Juli 2006
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das deutsche Patent 39 09 337
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 20. Juli
2006 unter Mitwirkung …
für Recht erkannt:
Das deutsche Patent 39 09 337 wird im Umfang der Ansprüche 1,
2, 4, 5 und 6 teilweise für nichtig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 22. März
1989 beim Deutschen
Patent- und
Markenamt angemeldeten Patents 39
09
337 (Streitpatent). Die Be-
zeichnung des Streitpatents lautet: „Verfahren und Vorrichtung zur Überprüfung
von unterirdisch verlegten, Gas oder Flüssigkeit führenden Rohren auf Undichtig-
keiten“. Es umfasst 8
Patentansprüche, von denen mit der vorliegenden Nichtig-
keitsklage die Patentansprüche
1, 2, 4, 5 und
6 angegriffen sind. Die angegriffe-
nen Patentansprüche lauten wie folgt (Streitpatentschrift DE 39 09 337 C2):
„1. Verfahren zur Überprüfung von unterirdisch verlegten, Gas
oder Flüssigkeit führenden Rohren auf Undichtigkeiten, wobei
im Bereich der verlegten Rohre ein Spürgerät über die Erd-
oberfläche geführt, einer Messeinrichtung zugeleitet und das
Messergebnis und die Messstrecke oder der Standort proto-
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kolliert werden, dadurch gekennzeichnet, dass die Protokollie-
rung durch ein rechnergesteuertes Aufzeichnungsgerät erfolgt,
wobei zu Beginn und während der Überprüfung automatisch
standortabhängige sowie messwertabhängige Signale aufge-
zeichnet werden.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
zur Standortbestimmung Impulse eines Navigations-Satelliten
empfangen und aufgezeichnet werden.
4. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
zur Standortbestimmung in einen mit dem Aufzeichnungsgerät
(24) gekoppelten Stadtplan entsprechend der jeweiligen Mess-
strecke Protokollpunkte (30, 31, 32, 33, 34) eingetragen wer-
den.
5. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach An-
spruch 1 mit einem Spürgerät und einem Messgerät, dadurch
gekennzeichnet, dass ein rechnergesteuertes Aufzeichnungs-
gerät (24) und ein daran angeschlossener Impulsempfänger
vorgesehen sind.
6. Vorrichtung nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass
das Aufzeichnungsgerät (24) und der Impulsempfänger in ei-
nem mit einer Messeinrichtung (8) versehenen Fahrzeug (6)
angeordnet sind.“
Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil dessen Ge-
genstand - soweit angegriffen - nicht neu sei und nicht auf erfinderischer Tätigkeit
beruhe. Zur Begründung bezieht sich die Klägerin auf folgende Dokumente:
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1. US 3 333 458,
2. US 4 814 711,
3. US 4 743 913,
4. DE 37 89 328 T2,
5. DE 38 10 229 C2,
6. US 4 514 810,
7. US 4 484 284.
Die Klägerin beantragt,
das Patent 39 09 337 im Umfang seiner Ansprüche 1, 2, 4, 5 so-
wie 6 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent - soweit angegriffen - mit den
Patentansprüchen gemäß in der mündlichen Verhandlung überreich-
tem Hilfsantrag und beantragt insoweit Klageabweisung.
Patentanspruch 5 gemäß Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut (Änderungen gegen-
über Patentanspruch 1 gemäß Streit-PS in kursiver Schrift):
„5. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach An-
spruch 1 mit einem Spürgerät und einem Messgerät, dadurch
gekennzeichnet, dass ein rechnergesteuertes Aufzeichnungs-
gerät (24) und ein daran angeschlossener Impulsempfänger
vorgesehen sind
.“
- 5 -
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent
in dem angegriffenen und verteidigten Umfang für patentfähig.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund steht dem Streitpatent, soweit mit der vor-
liegenden Nichtigkeitsklage angegriffen, entgegen (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1
Nr. 1 PatG).
I
1.
fung von unterirdisch verlegten, Gas oder Flüssigkeit führenden Rohren auf Un-
dichtigkeit gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 sowie eine Vorrichtung
zur Durchführung des Verfahrens.
In der Patentschrift ist zum Stand der Technik ausgeführt, zur Überprüfung von
Rohren auf Undichtigkeiten sei es bekannt, Fahrzeuge einzusetzen, die mit im Bo-
denbereich angeordneten Spürgeräten beispielsweise ausströmendes Gas mes-
sen und so eine Ortsbestimmung von Leckagen vornehmen könnten. Derartige
Fahrzeuge würden dort eingesetzt, wo ein Rohrnetz im Bereich befahrbarer Stra-
ßen oder Wege installiert sei. Zur Überprüfung von Rohren, deren Verlegebereich
nicht oder nur unzugänglich erreichbar sei, beispielsweise in Vorgärten oder engs-
ten Gassen und Wegen, werde eine Messung manuell durchgeführt, das heißt,
das Spürgerät werde von einer Person geführt. Dabei werde das Messergebnis
ebenso wie bei einer Messung mit einem Fahrzeug handschriftlich protokolliert,
wobei vorbereitete Listen zur Verfügung stehen könnten, die beispielsweise Stra-
ßennamen oder sonstige Markierungspunkte vorgäben. In jedem Fall bleibe es der
die Messung durchführenden Person überlassen entsprechende Protokollierungen
vorzunehmen (Streitpatentschrift Sp. 1 Z. 8 bis 27).
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Bei diesem Vorgehen seien Fehlerquellen nicht auszuschließen. So könnten Ein-
tragungen für Überprüfungen vorgenommen werden, die gar nicht durchgeführt
worden seien. Umgekehrt sei es denkbar, dass Eintragungen vergessen würden,
so dass sich insgesamt die Gefahr einer ungenauen Protokollierung ergebe, die
dem Sinn und Zweck einer derartigen Aufzeichnung nicht gerecht werde (Streitpa-
tentschrift Sp. 1 Z. 28-35).
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gattungsgemäßen Art zu schaffen, mit dem eine sichere und zuverlässige, perso-
nalunabhängige Protokollierung möglich ist (Streitpatentschrift Sp. 1 Z. 43-46).
3
1.a) Verfahren zur Überprüfung von unterirdisch verlegten, Gas oder
Flüssigkeit führenden Rohren auf Undichtigkeiten;
1.b)
im Bereich der verlegten Rohre wird ein Spürgerät über die Erdober-
fläche geführt;
1.c)
die abgesaugte Luft wird einer Messeinrichtung zugeleitet;
1.d) das
Messergebnis
und die Messstrecke oder der Standort werden
protokolliert;
1.e) die
Protokollierung erfolgt durch ein Aufzeichnungsgerät;
1.f)
das Aufzeichnungsgerät wird durch einen Rechner gesteuert;
1.g)
zu Beginn und während der Überprüfung werden automatisch
1.g1) standortabhängige Signale sowie
1.g2) messwertabhängige Signale
aufgezeichnet.
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Patentanspruch
5 weist folgende Merkmale auf:
5.a) die Vorrichtung weist ein Spürgerät und ein Messgerät auf;
5.b) die Vorrichtung weist ein Aufzeichnungsgerät (24) auf;
5.c) das Aufzeichnungsgerät ist rechnergesteuert;
5.d) an das Aufzeichnungsgerät
(24) ist ein Impulsempfänger ange-
schlossen.
Der Patentanspruch
5 nach Hilfsantrag umfasst zusätzlich das folgende Merkmal:
5.e) mit dem Aufzeichnungsgerät
(24) ist ein Stadtplan gekoppelt, in den
entsprechend der jeweiligen Messstrecke Protokollpunkte (30, 31,
32, 33, 34) eingetragen werden.
II
1.
sind nicht patentfähig, denn sie sind zwar neu, beruhen aber nicht auf einer erfin-
derischen Tätigkeit.
2.
gung tätiger Techniker oder Ingenieur mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Mess-
technik anzusehen.
3.
fung von unterirdisch verlegten Gasleitungen auf Undichtigkeiten beschrieben, bei
dem/der die von einem Startpunkt aus zurückgelegte Wegstrecke und die Signale
eines im Bereich der verlegten Leitungen über die Erdoberfläche geführten Spür-
geräts automatisch gemeinsam auf einem Papierstreifen aufgezeichnet werden.
- 8 -
Von dem aus der US 3 333 458 bekannten Stand der Technik unterscheiden sich
das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 bzw. die Vorrichtung gemäß Patentan-
spruch 5 des Streitpatents durch die rechnergestützte Aufzeichnung (Merkmal 1.f)
bzw. das rechnergestützte Aufzeichnungsgerät (Merkmal 5.c). Bei dem Verfahren
nach Patentanspruch 1 werden außerdem im Unterschied zum bekannten Verfah-
ren Signale abhängig vom Standort und nicht nur abhängig von einer zurückgeleg-
ten Wegstrecke aufgezeichnet (Merkmal 1.g1).
4.
einer vorgegebenen Route zu überprüfen. Da die Route vorgegeben ist, muss ne-
ben dem Signal des Gasspürgeräts nur die zurückgelegte Strecke gemessen und
aufgezeichnet werden, denn aus der Route und aus der auf dieser Route zurück-
gelegten Strecke ergibt sich der augenblickliche Standort. Die zurückgelegte Stre-
cke kann bekannter Weise einfach und genau mit einem Messrad oder dem Kilo-
meterzähler eines Fahrzeugs ohne äußere Hilfsmittel gemessen werden. Start-
punkt und abzufahrende Route müssen gesondert protokolliert werden. Die Signa-
le für die zurück gelegte Strecke und die Messwerte der Messeinrichtung werden
dagegen (nach Einschalten) automatisch aufgezeichnet. Dadurch soll die Genau-
igkeit und Zuverlässigkeit der Lecksuche verbessert werden.
Für den Fachmann liegt es auf der Hand, dass die Notwendigkeit, einer vorgege-
benen Route in einer bestimmten Fahrtrichtung folgen zu müssen, und die damit
verbundene Fehlermöglichkeit (Abweichen von der Route oder falsche Fahrtrich-
tung) entfällt, wenn nicht nur die zurückgelegte Wegstrecke sondern der Standort
bzw. dessen Koordinaten fortlaufend festgestellt und zusammen mit den Messwer-
ten des Spürgerätes aufgezeichnet wird.
Dass solches möglich ist, war am Anmeldetag des Streitpatents bekannt, z. B. in
Form einer Standortbestimmung mit Hilfe von Navigationssatelliten. So ist in der
US 4 814 711 (D2) beschrieben, dass geophysikalische Daten standortabhängig
mit Hilfe von Fahrzeugen, z. B. Leichtflugzeugen, erfasst und aufgezeichnet wer-
den. Dazu ist jedes Fahrzeug mit einem Messgerät für die zu erfassenden Daten,
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einem Empfänger für die Signale von Navigations-Satelliten und mit Mitteln zur
fortlaufenden automatischen Berechnung ihrer Position sowie mit Mitteln zur Kor-
relation der Messdaten und der Positionsdaten und natürlich auch zu deren Auf-
zeichnung ausgestattet (D2, Anspruch 1). Dass dies alles rechnergesteuert erfolgt,
versteht sich für den Fachmann quasi von selbst.
Somit ergeben sich das Verfahren nach Patentanspruch 1 und die Vorrichtung
nach Patentanspruch 5 des Streitpatents für den Fachmann in nahe liegender
Weise aus dem Stand der Technik.
5.
Vorrichtung tauglich für das Verfahren gemäß Patentanspruch 4, wonach Proto-
kollpunkte in einen mit dem Aufzeichnungsgerät gekoppelten Stadtplan eingetra-
Weder das Verfahren noch die Vorrichtung erhält mit diesem zusätzlichen Merk-
mal eine neue Qualität. Vielmehr geht es um eine bessere Visualisierung der er-
fassten Daten. Eine Vorstufe dazu ist bereits in der US 3 333 458 (D1) offenbart,
denn gemäß dieser Druckschrift sollen die Messdaten und die auf einer vorgege-
benen Route zurück gelegte Strecke nicht numerisch ausgedruckt sondern auf ei-
nem Papierstreifen grafisch aufgezeichnet werden (Sp. 2 Z. 11 bis 13). Ein Stadt-
plan ist von je her in unterschiedlichen Abstraktionsstufen ein Mittel zur Darstel-
lung der Topographie einer Stadt. Wenn also im Zusammenhang mit der Überprü-
fung von Versorgungsleitungen in einer Stadt standortabhängige Daten aufgenom-
men werden, was - wie oben ausgeführt - keiner erfinderischen Tätigkeit bedarf,
ist es daher für den Fachmann auch naheliegend, diese automatisch in einem
Stadtplan einzutragen.
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6.
patentfähigen Erfindungen dar, da die in diesen Patentansprüchen zusätzlich ent-
haltenen Merkmale unmittelbar aus dem Stand der Technik gemäß den vorge-
nannten Druckschriften D1 und D2 hervorgehen. Gegenteiliges hat die Beklagte
auch nicht geltend gemacht.
III
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m.
§ 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
gez.
Unterschriften