Urteil des BPatG vom 04.11.2004

BPatG (bundesrepublik deutschland, fachmann, lehre, patent, druck, gesetz, stand der technik, abstand, geschwindigkeit, erfindung)

BPatG 253
9.72
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
2 Ni 35/03 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
4. November 2004
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das europäische Patent 0 789 635
(DE 595 06 604)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 4. November 2004 unter Mitwirkung des Vorsitzen-
den Richters Meinhardt sowie der Richter Dipl.-Ing. Dr. Henkel, Gutermuth,
Ph.D./M.I.T. Cambridge Dipl.-Phys. Skribanowitz und Dipl.-Ing. G. Schmitz
für Recht erkannt:
1. Das europäische Patent 0 789 635 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der
Patentansprüche 1 bis 7 für nichtig erklärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist für die Kläger hinsichtlich der Kosten gegen Si-
cherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstre-
ckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 6. September 1995 unter der in-
ternationalen Anmeldenummer PCT/CH95/00196 unter Inanspruchnahme der Pri-
oritäten der Schweizer Patentanmeldungen CH 271994 vom 6. September 1994
und CH 130295 vom 5. Mai 1995 angemeldeten europäischen Patents 0 789 635
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(Streitpatent), dessen Erteilung auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutsch-
land am 11. August 1999 veröffentlicht worden ist.
Das in der Verfahrenssprache deutsch veröffentlichte Patent, das beim Deutschen
Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 59 506 604 geführt wird, betrifft ein
"Verfahren und Vorrichtung zum Entfernen von Staubpartikeln von einer relativ be-
wegten Materialbahn". Es umfasst 13 Ansprüche, wovon die nebengeordneten An-
sprüche 1 (Verfahrensanspruch) und 4 (Vorrichtungsanspruch) entsprechend der
europäischen Patentschrift EP 0 789 635 B1 folgenden Wortlaut besitzen:
1. Verfahren zum Entfernen von Staubpartikeln (S) von einer
relativ bewegten, insbesondere stabilen Materialoberfläche
(1; 71) mit einer berührungsfrei arbeitenden Entstaubungs-
vorrichtung, dadurch gekennzeichnet, dass ein geerdeter,
der Materialbahnoberfläche (1; 71) zugewandter Potential-
flächenbereich (6, 33; 54a, 54b) einer Einblaseinheit (3a,
3b; 53) der Entstaubungseinrichtung in einem Abstand (d;
d/53) zur Materialbahnoberfläche (1; 71) angeordnet wird,
die Geschwindigkeit und der Druck (p) zwischen einem je-
weils zu entstaubenden Materialbahnoberflächenbereich
und der Potentialfläche (6, 33; 54a, 54b) des aus der Ein-
blaseinheit (3a, 3b; 53) austretenden Gasstroms (G) derart
eingestellt werden, dass die dem Produkt aus Druck, (p)
und Abstand (d; d/53) gemäss dem Gesetz von Paschen
zugeordnete kritische Spannung (U/krit) unter der elektro-
statischen Spannung (E) der Staubpartikel (S) auf der Ma-
terialbahnoberfläche (1; 71) liegt, damit deren Neutralisation
erfolgt und somit eine Ueberwindung der Haltekräfte (E/W)
der Staubpartikel auf der Materialbahnoberfläche gegeben
ist und diese (S) ohne eine elektrische Energie benötigende
Ionisationseinheit, lediglich durch den Gasstrom (G) aufge-
nommen und von wenigstens einer Absaugeinheit (7a, 7b;
65) abgesaugt werden.
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4. Entstaubungsvorrichtung
zur
Durchführung des Verfahrens
nach einem der Ansprüche 1 bis 3 mit einer mit einer Ver-
sorgungseinheit (13; 57) verbundenen Einblaseinheit (3a,
3b; 53) sowie einer Absaugeinheit (7a, 7b; 65), dadurch ge-
kennzeichnet, dass die Einblaseinheit (3a, 3b; 53) ausge-
hend von der Versorgungseinheit (13; 57) einen stetig sich
verjüngenden Düsenquerschnitt (15; 59) aufweist, der nach
einer Verengung (17; 55) in einen sich erweiternden Quer-
schnitt (19; 61) übergeht, die Einblaseinheit (3a, 3b; 53) ei-
nen dem Staubpartikel (S) tragenden Materialoberflächen-
bereich (1; 71) zugewandten, geerdeten, elektrisch leiten-
den Oberflächenbereich (6, 33; 54a, 54b) hat, wobei der
Gasdruck in der Versorgungseinheit (13; 57) sowie der Ab-
stand (d; d/53) des geerdeten Oberflächenbereichs (6, 33;
54a, 54b) von dem jeweils kontinuierlich zu entstaubenden
Materialbahnoberflächenbereich (1; 71) derart einstellbar
sind, dass die Staubpartikel (S) hier ohne jeglichen Einsatz
einer an eine elektrische Energiequelle anzuschliessenden
Ionisationseinheit zur Ionisation des Gasstroms ablösbar
und durch die Absaugeinheit (7a, 7b; 65) absaugbar sind.
Bezüglich der weiteren Ansprüche wird auf die Patentschrift verwiesen.
Mit ihrer Teilnichtigkeitsklage machen die Kläger geltend, der Gegenstand des
Streitpatents sei, soweit angegriffen, gegenüber dem Stand der Technik nicht pa-
tentfähig. Er sei nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen
Tätigkeit. Weiter machen sie geltend, dass das Patent die Erfindung nicht so deut-
lich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
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Um ihre Ausführungen zu stützen, verweisen die Kläger auf folgende Dokumente:
M1
DE 20 06 716 A
M2
US 3 776 806
M3 Vorläufiger
Prüfungsbericht zu PCT/CH95/00196
M4
Walter, Phillip: Analyse des Paschen-Gesetzes in Bezug auf
die Lehre von DE 595 06 C1, Februar/März 2003 nebst An-
lagen:
Anlage 1
Pietsch G.: Grundlagen der Gasentladungstechnik
1997, S. 52-57
Anlage 2
Schulz, Paul: Elektronische Vorgänge in Gasen und Fest-
körpern, 1974, Verlag G. Brunn Karlsruhe,
S. 150-153
Anlage 3
Gänger, Berthold: Der elektrische Durchlag von Gasen,
1953, Springer Verlag, S. 174-179 u.
S. 220-221
Anlage 4
Cobine, James D.: Gaseous Conductors, Theory and
engineering Applications, 1958,
Dover Publications Inc., S. 160-183
M5
Schneider, Robert: Neue Wege der Entstaubung in der Druckin-
dustrie, (nachveröffentlicht), S. 1-6
M6 VDE
0100/11.58
M7
CH 458 680
M8
DD 135 857
M9
DE 1 229 105 B
M10
DE 42 15 602 A1
M11
Schneider, Robert: Neue Wege der Entstaubung in der Druckin-
dustrie, undatiert
M12 Internetausdruck:
www.schneiderxt400.ch/eins.html
"Schneider XT 400 Einsatzgebiete" vom 14. Januar 2004
M13
Lexikon der Energietechnik und Kraftmaschinen, 1965
M14
Dubbels Taschenbuch für den Maschinenbau, 1961, S. 302
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M15
LG Düsseldorf 4 0 248/02 vom 11. November 2003
Die Kläger beantragen,
das europäische Patent 0 789 635 im Umfang der Ansprüche 1
bis 7 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik
Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt den Ausführungen der Kläger in allen Punkten entgegen und hält das
Streitpatent für patentfähig. Die richtige Einstellung der Verfahrensparameter zur
Erzielung der Selbstentladung der Staubpartikel entsprechend dem Paschen-Ge-
setz lasse sich für den Fachmann unmittelbar anhand des dann verbesserten Ent-
staubungsergebnisses erkennen, eine Messung und gezielte Einstellung einzelner
Parameter sei weder erforderlich noch könne sie als Voraussetzung für die Patent-
fähigkeit herangezogen werden (unter Bezugnahme auf BPatG Mitt 2004, 304
- "Rahmensynchronisation"). Die Patenansprüche 2, 3, 5 und 6 seien eigenständig
erfinderisch.
Zur Stützung ihres Vorbringens verweist sie auf:
B1 Urteil des LG Düsseldorf vom 11. November 2003
(Az 4 0 248/02)
B2 "Höhere Technische Mechanik" nach Vorlesungen von
Prof. Dr. Szabo, Ist van, 3. Auflage 1960, Springer-Verlag,
S. 425-427
- 7 -
Entscheidungsgründe
Die erhobene Teilnichtigkeitsklage ist zulässig und begründet.
Rechtsgrundlage für die gegen ein europäisches Patent gerichtete Nichtigkeits-
klage ist Artikel 138 EPÜ in Verbindung mit Artikel II § 6 IntPatÜG. Danach kann
ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik
Deutschland gem. Artikel 138 Abs. 1 lit a EPÜ, Artikel II § 6 Nr. 1 IntPatÜG dann
für nichtig erklärt werden, wenn sein Gegenstand nach den Artikeln 52 bis 57 EPÜ
nicht patentfähig ist oder nach Artikel 138 Abs. 1 lit b EPÜ, Artikel II § 6
Nr. 2 IntPatÜG, wenn es die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart,
dass ein Fachmann sie ausführen kann. Der letztgenannte Nichtigkeitsgrund liegt
vor.
I
Das Patent betrifft ein Verfahren sowie eine Vorrichtung zum Entfernen von Staub-
partikeln von einer relativ bewegten Materialbahn. Bei bisher bekannten Entstau-
bungsvorrichtungen solcher Art waren die Materialbahnen in Vibration zu verset-
zen oder Entladungselektroden im Einsatz.
Der Erfindung ist demnach das technische Problem (die Aufgabe) zugrunde ge-
legt, eine Entstaubung einer bewegten, stabilen, für die Entstaubung nicht in
Vibration zu setzenden Materialbahn vorzunehmen, bei der auf Entladungselektro-
den verzichtet werden kann.
Die erfindungsgemäße Lösung dieses Problems wird in einem Verfahren nach An-
spruch 1 sowie einer Vorrichtung nach Anspruch 4 des Patents gesehen.
Der für den Streitgegenstand zuständige Fachmann ist Diplom-Ingenieur mit we-
nigstens Fachhochschulabschluss der Fachrichtung Maschinenbau mit den im
Studium erworbenen physikalischen Kenntnissen und einschlägiger Berufserfah-
rung auf dem Gebiet der Behandlung von Materialbahnen einschließlich deren
Reinigung.
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II
Das Streitpatent offenbart die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein
Fachmann sie ausführen kann; denn er findet weder in den Patentansprüchen
noch ergänzt durch die Beschreibung eine nacharbeitbare Lehre.
Die Lehre des Anspruchs 1 ist nicht ausführbar. Es ist dort zwar vorgegeben, dass
ein geerdeter, der Materialbahnoberfläche zugewandter Potentialflächenbereich
einer Einblaseinheit der Entstaubungseinrichtung in einem Abstand zur Material-
bahnoberfläche anzuordnen ist. Der Abstand ist aber von bestimmten Größen ab-
hängig, die der Fachmann zu ermitteln hat. Mit der zur Materialbahnoberfläche
beabstandeten Anordnung des Potentialflächenbereichs sollen Geschwindigkeit
und Druck des aus der Einblaseinheit austretenden Gasstroms zwischen dem
Materialbahnoberflächenbereich und der Potentialfläche eingestellt werden. Ziel
der Einstellung soll sein, dass die dem Produkt aus Druck und Abstand gemäß
dem Gesetz von Paschen zugeordnete kritische Spannung unter der elektrostati-
schen Spannung der Staubpartikel auf der Materialbahnoberfläche liegt. Zwar fin-
det er in der Figur 2 der Patentschrift Diagramme, aus welchen für unterschiedli-
che Medien, z.B. Luft, in Abhängigkeit von einem Wertebereich von kritischen
Spannungen (100 bis 400V) nach Paschen ein Produkt (p
x
d in Torr
x
cm) aus
Druck und Abstand entnommen werden. Wie der Fachmann weiß, bezieht sich
das Diagramm auf definierte Bedingungen, damit das Paschen-Gesetz so, wie im
Diagramm nach Figur 2 dargestellt, gilt, nämlich ein homogenes elektrisches Feld
in einem ruhenden (stationären) Gasraum, welches durch Potentialflächen (Plat-
ten- oder sphärische Elektroden) begrenzt ist. Wenn noch angenommen werden
kann, dass beim Streitpatent als gegeneinander gerichtete Potentialflächen einmal
die Staubpartikel selbst (die Materialbahn soll ja nicht entladen werden) und zum
anderen eine den Staubpartikeln zugewandte Fläche der geerdeten Einblaseinheit
anzusehen sind, so ist doch schon die erforderliche Homogenität des dazwischen
wirksamen elektrostatischen Feldes wegen der baulichen und kinematischen Ver-
hältnisse in der Absaugvorrichtung nicht realisiert. Zudem ist das Ermitteln der für
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die Anwendung des Paschen-Gesetzes erforderlichen Parameter U und p nicht im
erforderlichen Maß möglich.
Schon das Feststellen der elektrostatischen Spannung der Staubpartikel bereitet,
worauf die Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen haben, kaum über-
windbare Schwierigkeiten. Staubpartikel können - wie der Fachmann weiß - so-
wohl positiv (Mangel an Elektronen) wie auch negativ (Elektronenüberschuss) ge-
laden sein, sie können Träger einer höchst unterschiedlichen Anzahl von Elemen-
tarladungen sein, wobei die kleinste Ladung sich von der größten durchaus um
den Faktor 1000 unterscheiden kann. Die kritische Spannung U
krit
für das Anwen-
den des Gesetzes von Paschen unterscheidet sich demnach von Staubpartikel zu
Staubpartikel. Mit dem in der Beschreibung (Sp 5, Z 4) angeführten Feldmeter
vermag der Fachmann zwar eine Feldstärke und damit mittelbar (U = E
x
d mit U
für Spannung, E für Feldstärke und d für den Abstand) auch eine Spannung zu
messen. Dies kann aber allenfalls eine mittlere Spannung des über dem Messbe-
reich vorhandenen Feldes sein, die elektrostatische Spannung jedes einzelnen zu
neutralisierenden Staubpartikels ist damit nicht repräsentiert. Es ist für den Fach-
mann nicht zu erwarten, dass eine solchermaßen ermittelte Spannung für das
Paschen-Gesetz und damit für das in Figur 2 des Streitpatents wiedergegebene
Diagramm gilt. Der Hinweis in der Patentschrift, eine Messung mit dem Feldmeter
vorzunehmen, kann dem Fachmann keine brauchbare Anleitung zum Ermitteln der
elektrostatischen Spannung der Staubpartikel geben.
Gänzlich unlösbar ist für den Fachmann das Ermitteln des für das Anwenden des
Diagramms der Figur 2 des Patents noch erforderlichen Druckwertes, welchen er
braucht, um die Geschwindigkeit in der im Anspruch 1 des Streitpatents geforder-
ten Weise einstellen zu können. In dem mit vergleichsweise hoher Geschwindig-
keit, auch über Schallgeschwindigkeit strömenden Gas, wie es der beim Streitpa-
tent aus der Einblaseinheit austretende Gasstrom darstellt, ist ein im Paschen-Ge-
setz verwertbarer Druckwert nicht ermittelbar. In einem solchermaßen strömenden
Medium sind nämlich nicht nur dynamische und statische Druckanteile vorhanden
und messbar, dort sind auch je nach Geschwindigkeit Kompressibilitätseinflüsse
zu berücksichtigen, es existieren laminare und turbulente Bereiche sowie Bereiche
höchst unterschiedlicher Druckverhältnisse und Strömungsgeschwindigkeiten, es
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sind Grenzschichten und sich über den Strömungsquerschnitt ausbildende Druck-
profile sowie die unterschiedlichen Verhältnisse bei Überschall- und Unterschall-
strömung zu beachten und zu berücksichtigen. Für den Fachmann hat ein solcher
erfindungsgemäßer Druckraum mit dem von Paschen untersuchten Raum keine
Gemeinsamkeiten.
Weder im Anspruch 1 noch in der Beschreibung ist in der Patentschrift angege-
ben, welcher existierende Druck als der für Handhabung des Diagramms der Fi-
gur 2 verwertbare Druck heranzuziehen und auf welche Art und an welcher Stelle
er im System zu messen ist. Hinderlich ist für den Fachmann diesbezüglich auch,
dass nach dem Patentanspruch 1 als Multiplikator des Produkts aus p
x
d der
Druck des aus der Einblaseinheit austretenden Gasstromes eingestellt werden
soll, obgleich nach den Ausführungsbeispielen der Ort, an dem der Abstand d gilt,
außerhalb dieses Gasstromes an einer anderen Stelle des Systems liegt. Der
Fachmann wird damit im Unklaren darüber belassen, ob der Druck- und der Ab-
standswert an unterschiedlichen Orten überhaupt als Produkt in ein das Paschen-
Gesetz darstellendes Diagramm eingehen kann, um die Neutralisation von Staub-
teilchen zu bewerkstelligen, wo doch nach dem Paschen-Gesetz die (von U
krit
ab-
hängigen) Druck- und Abstandwerte (als Produkt) am Ort der Selbstentladung gel-
ten.
Das Paschen-Gesetz ist patentgemäß unabdingbarer Inhalt des Anspruchs 1 und
somit relevanter Bestandteil des dem Fachmann mit dem Patent an die Hand ge-
gebenen Lehre (Patentschrift ua Sp 4, Z 40: "Erfindungsgemäß wird nun das Ge-
setz von Paschen bei der Entstaubung einer Materialbahn 1 verwendet."). Einen
Hinweis darauf, dass die von Paschen festgehaltenen Gesetzmäßigkeiten für die
Lehre des Patents nur richtungsweisenden Charakter haben oder nur einen gro-
ben Anhalt liefern sollen, finden sich im Patent nicht.
Vielmehr soll nach der Lehre des Anspruchs 1 wie auch des gesamten Patents
gerade das Einhalten dieser Gesetzmäßigkeit die Neutralisation der Staubpartikel
ohne zusätzliche Ionisationseinheit und damit eine Überwindung deren Haltekräfte
auf der Materialbahnoberfläche bewirken, so dass die Staubpartikel lediglich durch
den Gasstrom ohne sonstige Maßnahmen aufgenommen werden können.
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Der Vortrag der Patentinhaberin, der Erfolg und der Eintritt der patentgemäßen
Lehre werde am Reinigungsergebnis festgestellt, ist nicht stichhaltig, denn das
Reinigungsergebnis kann ebenso auch durch andere Faktoren, wie die Luftfüh-
rung, die Blas- und/oder Sauggeschwindigkeit u. dgl. begünstigt werden.
Ob der Erfolg in einem konkreten Fall tatsächlich durch die beanspruchten und be-
schriebenen Maßnahmen der patentgemäßen Ausführungsform (also auch bei ei-
ner eventuellen Verletzungsform) eintritt, wäre allein daran festzustellen, ob die
beabsichtigte und im Patentanspruch 1 ausdrücklich geforderte Neutralisation der
Staubpartikel tatsächlich erfolgt und genau diese Neutralisation das Ablösen be-
wirkt. Die Patentinhaberin konnte aber nicht darlegen, wie die Neutralisation der
Staubpartikel direkt und unmittelbar als solche festgestellt werden kann und nicht
nur indirekt durch den Rückschluss aus einem mehr oder weniger guten
Reinigungsergebnis. Abgesehen davon, dass eine geerdete Potentialfläche
allenfalls dazu in der Lage ist, negativ geladene Staubpartikel zu neutralisieren,
könnte die Neutralisation der Staubpartikel direkt nur festgestellt werden, wenn
jedes zu entfernende Staubteilchen eingangsseitig auf elektrostatische Ladung hin
untersucht (und markiert), ausgangsseitig auf fehlende elektrostatische Ladung
geprüft würde. Ein solches Verfahren ist in der Praxis wohl kaum zu realisieren
und überschreitet bei weitem die Anforderungen einfacher, dem Fachmann
regelmäßig zumutbarer Versuche.
Somit erweist sich die Lehre des Anspruchs 1 des Patents mangels ausreichender
Offenbarung hinsichtlich der Erfüllung der Paschen-Bedingungen und der tatsäch-
lichen Staub-Neutralisation als für den Fachmann nicht ausführbar.
Weil die Ansprüche 2 und 3 als vom Anspruch 1 abhängige Ansprüche von des-
sen vollständiger Lehre Gebrauch machen müssen, kann der Fachmann diese
weiteren Ausgestaltungen der patentierten Lehre nach den Unteransprüchen 2
und 3 ebenfalls nicht ausführen.
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Aber auch hinsichtlich des Vorrichtungsanspruches 4 offenbart das Patent die Er-
findung nicht in dem für die Ausführbarkeit erforderlichen Maße. Zwar ist der Fach-
mann ohne Weiteres in der Lage, eine Entstaubungsvorrichtung nach den gegen-
ständlichen Merkmalen des Anspruchs 4 zu fertigen. Doch hat eine solche Ent-
staubungsvorrichtung dem Wortlaut des Anspruchs 4 entsprechend die Durchfüh-
rung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 3 zu ermöglichen, also die
Neutralisation der Staubpartikel zu gewährleisten. Da der Fachmann zur Sicher-
stellung dieser Eigenschaften der Vorrichtung wiederum die in das Diagramm des
Paschen-Gesetzes einbringbaren Parameter braucht, muss er auch bei der Vor-
richtung aus den zum Verfahren nach Anspruch 1 genannten Gründen scheitern.
Denn die Einstellbarkeit des Gasdruckes in der Vorsorgungseinheit sowie des Ab-
standes des geerdeten Oberflächenbereichs soll auch bei der Vorrichtung des An-
spruchs 4 wegen der durch den Rückbezug (ua) auf den Anspruch 1 implemen-
tierten Verfahrensmerkmale die Neutralisation der Staubpartikel sicherstellen.
Denn auch die Lehre des Anspruchs 4 verlangt verbindlich die Anwendung des
Paschen-Gesetzes entsprechend dem Diagramm der Figur 2. Dafür ist die Ermitt-
lung der notwendigen Parameter (Spannung und Druck im Feld) für den Fach-
mann unabdingbar. Dies vermag er aus den oben genannten Gründen nicht.
Demnach erweist sich auch die Lehre des Anspruchs 4 mangels hinreichender Of-
fenbarung für den Fachmann als nicht ausführbar.
Der Anspruch 5 des Streitpatents ist auf den Anspruch 4 zurückbezogen. Der An-
spruch 4 enthält jedoch wegen seines Rückbezugs (ua) auf den Anspruch 1 be-
reits alle Verfahrensmerkmale des Anspruchs 1. Somit erschöpft sich der An-
spruch 5 größtenteils in bloßen Wiederholungen. Ein Unterschied zu der Vorrich-
tung nach Anspruch 4 ist nur darin zu sehen, dass bei der Vorrichtung nach An-
spruch 5 die Einstellbarkeit der Ausgestaltung und die Lage des Düsenquer-
schnitts gefordert ist, mit der Absicht, die Bedingungen zu schaffen, die für die
Gültigkeit des Paschen-Gesetzes erforderlich sind. Dass sich diese Einstellbarkeit
auf die Strömungsgeschwindigkeit und den Druck des Gasstromes auswirkt, liegt
für den Fachmann zwar auf der Hand, um aber auch hierauf das Paschen-Gesetz
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im Sinne einer ausführbaren Lehre anwenden zu können, bedarf er wiederum der
möglichst genauen Kenntnis der Parameter U und p. Dabei stößt er auch bei der
Vorrichtung nach Anspruch 5 auf die gleichen Probleme, wie bei der Vorrichtung
nach Anspruch 4 und dem Verfahren nach Anspruch 1, welche ihn an der Ausfüh-
rung hindern.
Somit zeigt sich auch die Lehre des Anspruchs 5 mangels hinreichender Offenba-
rung als für den Fachmann nicht ausführbar.
Weil die Ansprüche 6 und 7 durch mittelbaren oder unmittelbaren Bezug auf den
Anspruch 4 von dessen vollständiger Lehre Gebrauch machen müssen, kann der
Fachmann diese weiteren Ausgestaltungen der Entstaubungsvorrichtung zum
Durchführen des Verfahrens zum Entfernen von Staubpartikeln nach den Unteran-
sprüchen 6 und 7 ebenfalls nicht ausführen.
Aus den genannten Gründen kann das Patent in dem mit der Teilnichtigkeitsklage
angegriffenen Umfang keinen Bestand haben.
Die Erläuterung der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung, dass der in
das Paschen-Gesetz einzubringende Druck sich außerhalb des Gasstromes, näm-
lich in einem durch Ansaugen von Luft aus der Atmosphäre gebildeten Strömungs-
bereich in jenem Abschnitt der Vorrichtung einstelle, in welchem entsprechend
den Ausführungsbeispielen der Abstand d gilt, und erst dort die Selbstentladung
stattfände, war ebenfalls nicht zu berücksichtigen, da diese neu vorgestellte Wir-
kungsweise weder durch die Ansprüche noch durch die Beschreibung des Patents
gedeckt ist.
Die Entscheidung des Bundespatentgerichts "Rahmensynchronisation" (BPatGE
20 W (pat) 43/02), auf welche die Patentinhaberin noch verweist, stellt klar, dass
ein bestimmtes Merkmal, welches auf das Prinzip einer dem Fachmann bekannten
Theorie verweist, nicht im Sinne von § 34 Abs. 4 PatG nicht ausführbar ist, son-
dern ein allgemein und breit gefasstes Merkmal bildet, was für sich gesehen kei-
- 14 -
nen patentrechtlichen Mangel darstellt. Beim Streitpatent wird vom Senat auch
nicht das Einbeziehen des Paschen-Gesetzes in die Patentansprüche als unzuläs-
sig erachtet, sondern dessen nicht ausführbare Umsetzung im Rahmen des pa-
tentgemäßen Verfahrens und der patentgemäßen Vorrichtung als Mangel erkannt.
Insofern führt der Sachverhalt auch unter Berücksichtigung der genannten Ent-
scheidung zu keiner anderen Beurteilung.
Da der Nichtigkeitsgrund der nicht ausreichenden Offenbarung durchgreift, kann
der darüber hinaus geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfä-
higkeit dahingestellt bleiben.
III
Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 84 Abs 2
PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1 PatG, 709 ZPO.
Meinhardt Dr.
Henkel Gutermuth Skribanowitz
Richter Schmitz ist an
das DPMA versetzt
und deshalb an der
Unterschrift gehindert
Meinhardt
Be